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Die Lehrausbildung junger Asylwerber/-innen in Wien
Möglichkeiten und Herausforderungen
Master Thesis
zur Erlangung des akademischen Grades
Master of Science
Universitätslehrgang Migration Studies
eingereicht am
Department für Migration und Globalisierung
Donau-Universität Krems
von
Mag. Birgit Karger
Mat. Nr. 8603544
Krems, Jänner 2015
Betreuerin: MMag. Isabella Skrivanek
Eidesstattliche Erklärung
Ich, Mag. Birgit Karger, geboren am 15.4.1968 in Wien,
erkläre,
1. dass ich meine Master Thesis selbständig verfasst, andere als die angegebenen
Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfen
bedient habe,
2. dass ich meine Master Thesis bisher weder im In- noch im Ausland in irgendeiner Form
als Prüfungsarbeit vorgelegt habe,
3. dass ich, falls die Thesis meine arbeitgebende Institution betrifft, meinen Arbeitgeber
über Titel, Form und Inhalt der Master Thesis unterrichtet und sein Einverständnis
eingeholt habe.
Wien, 31.Jänner 2015 ……………………………………………………………………..
Danksagung
Ich bedanke mich bei meinen Interviewpartnern, bei MMag. Isabella Skrivanek für die
kompetente und engagierte Betreuung und die zahlreichen nützlichen Hinweise, bei Mag.
Dr. Rita-Maria Kirschbaum und Margaret Zaidan für das Korrekturlesen sowie bei DI
Herbert Karger für die Unterstützung bei der Formatierung.
Diese Arbeit ist Bernhard Grösel gewidmet.
Anmerkung zu gendergerechter Formulierung:
Bei allen Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, betrifft die gewählte
Formulierung beide Geschlechter, auch wenn aus Gründen der leichteren Lesbarkeit die
männliche Form gewählt wurde.
Abstract
Jedes Jahr kommen zahlreiche junge Menschen auf der Suche nach Schutz und
besseren Lebensbedingungen nach Österreich, wo sie oft lange auf eine Entscheidung in
ihren Asylverfahren warten. Asylwerber haben in Österreich nur sehr beschränkt Zugang
zum Arbeitsmarkt. Um ihrem besonderen Bedürfnis nach Ausbildung Rechnung zu
tragen, wurde im Jahr 2012 für junge Asylwerber die Möglichkeit geschaffen, in Österreich
eine Lehrausbildung zu absolvieren. In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen,
inwieweit junge Asylwerber in Wien diese Möglichkeit nützen können und welche
Herausforderungen bzw. Chancen bestehen. Dafür werden zunächst die asylrechtlichen
Zusammenhänge kurz erklärt und die rechtlichen Gegebenheiten hinsichtlich des
Arbeitsmarktzuganges von (jungen) Asylwerbern analysiert. Welche strukturellen und
individuellen Faktoren bestimmend dafür sind, ob junge Asylwerber in Wien tatsächlich
eine Lehre beginnen können, wird anhand der Ergebnisse von Experteninterviews
herausgearbeitet.
Every year a large number of young people come to Austria in search of international
protection or a better livelihood. Often it takes a long time for the authorities to process
their asylum claims. In Austria, asylum seekers have a very restricted access to the labour
market. In 2012, the Austrian government decided to offer young asylum seekers access
to apprenticeship training, to help meet their need for training and education. This paper
examines to what extent young asylum seekers in Vienna can take advantage of this
provision and what obstacles and opportunities they may encounter. The legal framework
of international protection and employment of foreign nationals in Austria is analyzed and
explained. Based on expert interviews the structural and individual factors that determine
whether young asylum seekers can start an apprenticeship in Vienna, are identified.
Abkürzungsverzeichnis
Abb. Abbildung
Abs. Absatz
AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
AK Arbeiterkammer
AMS Arbeitsmarktservice
Anm. Anmerkung
Art. Artikel
ASVG Allgemeines Sozialversicherungsgesetz
AsylG Asylgesetz
BAG Berufsausbildungsgesetz
Bd. Band
BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl
BGBl. Bundesgesetzblatt
BIS Betreuungsinformationssystem
BMASK Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
BMI Bundesministerium für Inneres
BMWA Bundesministerium für Wirtschaftliche Angelegenheiten
B-VG Bundesverfassungsgesetz
BVwG Bundesverwaltungsgericht
ErläutRV Erläuterungen zur Regierungsvorlage
et al. und andere
EU Europäische Union
EUR Euro
EWR Europäische Wirtschaftsraum
FPG Fremdenpolizeigesetz
G Gesetz
GFK Genfer Flüchtlingskonvention
GP Gesetzgebungsperiode
GPA-djp Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier
GVS Grundversorgungssystem
HSV Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger
I Interview
idF in der Fassung
lit. Buchstabe
MA Magistratsabteilung
mVa mit Verweis auf
NGO Nichtregierungsorganisation
ÖGB Österreichischer Gewerkschaftsbund
RL Richtlinie
RZ Randzahl
Teilbd. Teilband
UMF unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
UNHCR Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge
VfGH Verfassungsgerichtshof
VfSlg Verfassungssammlung
VG Verfahrensgesetz
VwGH Verwaltungsgerichtshof
WKO Wirtschaftskammer Österreich
ZMR Zentrales Melderegister
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ….………………………………………………………………………………….1
1.1 Problemstellung....................................................................................................... 1
1.2 Aufbau..................................................................................................................... 4
2. Methodik...................................................................................................................... 5
3. Herausforderungen für junge Asylwerber am Lehrstellenmarkt............................. 9
3.1 Benachteiligung von jungen Migranten in der Lehrausbildung................................. 9
3.2 Ethnische Segmentierung des Arbeitsmarktes .......................................................10
3.2.1 Das neoklassische (orthodoxe) Modell.............................................................12
3.2.2 Die Humankapitaltheorie..................................................................................12
3.2.3 Die Segmentationstheorie................................................................................13
3.2.4 Das Insider – Outsider-Modell..........................................................................14
3.2.5 Benachteiligung von Migranten am Arbeitsmarkt in Österreich ........................16
3.3 Die Lehrlingsauswahl in den Betrieben...................................................................18
4. Asylrechtlicher Rahmen............................................................................................23
4.1 Einleitung des Verfahrens ......................................................................................24
4.3 Zulassungsverfahren..............................................................................................26
4.4 Weiteres Verfahren und Entscheidung ...................................................................28
4.4 Ende der Asylwerbereigenschaft ............................................................................29
4.4.1 Rechtskräftiger Abschluss des Verfahrens.......................................................29
4.4.2 Einstellung und Gegenstandslosigkeit des Verfahrens.....................................30
4.5 Bedeutung von Ausbildung und Erwerbstätigkeit....................................................32
4.6 Grundversorgung ...................................................................................................32
5. Lehrausbildung allgemein.........................................................................................34
6. Arbeitsmarktzugang für Asylwerber.........................................................................34
6.1 Internationale Grundlagen......................................................................................35
6.2 EU-Recht................................................................................................................36
6.3 Österreich...............................................................................................................38
6.3.1 Überblick Ausländerbeschäftigung...................................................................38
6.3.2 Beschäftigungsbewilligung...............................................................................39
6.3.3 Arbeitsmarktprüfung (Ersatzkraftverfahren)......................................................40
6.4 Beschäftigung von Asylwerbern in Österreich ........................................................41
7. Junge Asylwerber in Wien und Lehre ......................................................................43
7.1 Rechtlicher Rahmen...............................................................................................43
7.2 Formale Voraussetzungen für den Beginn einer Lehre...........................................44
7.3 Herausforderungen und Chancen...........................................................................45
7.3.1 Stellenwert von Ausbildung und Beschäftigung................................................46
7.3.2 Information der Asylwerber ..............................................................................48
7.3.3 Information der Betriebe...................................................................................50
7.3.4 Schulbildung ....................................................................................................50
7.3.5 Deutschkenntnisse...........................................................................................52
7.3.6 Diskriminierung am Arbeitsmarkt .....................................................................53
7.3.7 Wirtschaftliche Aspekte....................................................................................54
7.3.8 Rechtliche Regelungen....................................................................................55
8. Schlussfolgerungen ..................................................................................................56
9. Tabellenverzeichnis...................................................................................................61
10. Literaturverzeichnis.................................................................................................62
11. Verzeichnis der Rechtsquellen ...............................................................................68
Anhang ...........................................................................................................................71
1
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
Die Frage des freien Zugangs zum Arbeitsmarkt für Asylwerber ist immer wieder Thema
in den Medien und in der politischen wie juristischen Diskussion. Spätestens seit der
„Besetzung“ der Wiener Votivkirche um den Jahreswechsel 2012/13 ist die Frage der
rechtlichen Möglichkeiten für Asylwerber, während des laufenden Asylverfahrens einer
legalen Beschäftigung nachzugehen, auch in den Medien präsent. Öffentlichkeitswirksam
forderten damals Asylwerber wie Flüchtlingsorganisationen unter anderem auch einen
freien Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber. So findet sich auf der Homepage der
Initiative Refugee Protest Camp Vienna folgende „dringende Forderung" vom 24.
November 2012: „Wir brauchen eine Arbeitserlaubnis. Wir wollen für uns selbst sorgen.
Wir wollen nicht vom Staat abhängig sein. Wir verlangen, dass man uns unsere Würde als
Menschen zurückgibt.“ (Refugeecampvienna 2012)
Schon zuvor hatten sich verschiedenste Organisationen mit dem Thema beschäftigt und
nicht nur die tatsächlichen sondern insbesondere auch die rechtlichen Schwierigkeiten,
denen Asylwerber in Hinblick auf eine Erwerbstätigkeit unterliegen, thematisiert. So
bildete die soziale Integration von Asylwerbern in dem im Jahr 2000 von der
Europäischen Kommission zur Verringerung von Diskriminierung am Arbeitsmarkt
initiierten Programms EQUAL einen thematischen Schwerpunkt (vgl. Europäische
Kommission 2005: 4, 60f.). In Österreich versuchten die EQUAL-Projekte EPIMA und
EPIMA 2 (vgl. Integrationshaus o.J.) von 2002 – 2007 nicht nur durch
Qualifizierungsmaßnahmen sondern auch durch Öffentlichkeitsarbeit eine Verbesserung
der Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit speziell für junge Asylwerber herbeizuführen.
Immer wieder treten auch Gewerkschafter und Politiker für eine Erleichterung des
Zugangs zum Arbeitsmarkt für Asylwerber ein. So herrschte bei der Arbeitstagung von
EPIMA 2 im Dezember 2006 über Parteigrenzen hinweg die Meinung, dass eine Öffnung
des Arbeitsmarktes nicht nur wünschenswert sondern sogar insgesamt für den
Arbeitsmarkt förderlich sei. Elisabeth Mitter vom Österreichischen Gewerkschaftsbund
(ÖGB), Referat für Bildung, verwies damals auf die am 15. Bundeskongress des ÖGB im
Oktober 2003 einstimmig angenommene Position, wonach der ÖGB für eine totale
Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber eintrete. Dieser Position schloss sich Margit
Kreuzhuber von der Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit der Wirtschaftskammer
Österreich (WKO) an. Hermann Deutsch (damals Bundesministerium für Wirtschaftliche
Angelegenheiten [BMWA], Abteilung Ausländerbeschäftigung), Friedrich Kinzlbauer
(damaliger Leiter der Abteilung III/5 des Bundesministeriums für Inneres [BMI]) und
2
Joseph Wallner (damaliger Leiter der Abteilung für Soziales der Wiener Arbeiterkammer
[AK Wien]), sprachen sich ebenfalls für eine Erweiterung der
Beschäftigungsmöglichkeiten für Asylwerber aus (vgl. EPIMA 2006). Insbesondere
Gewerkschaften, aber auch Parteien und Hilfsorganisationen treten nach wie vor für eine
Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber ein. Im Zuge der Proteste rund um die
Votivkirche gab es beispielsweise eine entsprechende Initiative der Sozialistischen
Jugend und der Volkshilfe. Ende 2012 bekräftigte die Bundesgeschäftsführerin der
Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp), dass
Asylbewerber ein Recht auf Beschäftigung hätten und dass dieses im Interesse aller sei,
da undokumentierte Arbeit zum Unterlaufen kollektivvertraglicher Standards führe (vgl.
ÖGB 2012). Auch die Volksanwaltschaft setzte sich jüngst für einen erleichterten
Arbeitsmarktzugang für Asylwerber ein und leitete diesbezüglich im Jahr 2013 ein
Prüfverfahren ein, wobei insbesondere auf die unzureichende Datenlage betreffend die
Qualifikationen von Asylwerbern hingewiesen und die Ausweitung von gemeinnützigen
Beschäftigungsprojekten angeregt wurde (vgl. Volksanwaltschaft 2014: 143).
In der Diskussion werden nicht nur ökonomische oder soziale Argumente ins Treffen
geführt. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit kann auch Auswirkungen auf den Ausgang
eines Asylverfahrens haben, da ihr im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehr
in den Herkunftsstaat bzw. der Erteilung eines Aufenthaltstitels durchaus Bedeutung
zukommen kann. Dies gilt insbesondere, wenn sich ein Asylwerber schon lange in
Österreich aufhält. Eine Rückkehr ist nämlich nur zulässig, wenn dabei das Recht des
Einzelnen auf sein Familien- und Privatleben (Art. 8 EMRK) gewahrt wird. Die
entscheidende Behörde muss daher eine Abwägung zwischen den Interessen des
Asylwerbers an seinem Verbleib in Österreich und dem öffentlichen Interesse an seiner
Ausreise vornehmen. Als Maßstab einer solchen Interessenabwägung wird auch der Grad
der Integration herangezogen. Dabei ist eine etwaige Erwerbstätigkeit oder die
Absolvierung einer Ausbildung in Österreich zu Gunsten des Asylwerbers zu
berücksichtigen (siehe dazu unten 4.5). Zwar haben Asylwerber in Österreich
grundsätzlich unter bestimmten Bedingungen Zugang zum Arbeitsmarkt, de facto ist die
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für sie jedoch nur sehr eingeschränkt gegeben. Die
Möglichkeiten, durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit eine erfolgreiche Integration
darzulegen, sind somit stark limitiert.
Für junge Asylwerber im Ausbildungsalter hat sich die Situation seit dem Jahr 2012 in
einem Bereich verbessert: Bis 2012 hatten sie kaum Zugang zu dem in Österreich
traditionellen Ausbildungsweg für eine Facharbeiterausbildung – die Lehre. Da nämlich
3
mit der Aufnahme einer Lehre ein Arbeitsverhältnis begründet wird, benötigen diese
Jugendlichen einen Zugang zum Arbeitsmarkt. Seit 2012 ist es jugendlichen Asylwerbern
unter bestimmten Bedingungen gestattet, ein Lehrverhältnis einzugehen. Dies stellt für sie
eine weitere Möglichkeit einer legalen Erwerbstätigkeit (in Kombination mit einer
Ausbildung) dar.
Da für junge Asylwerber die Möglichkeit, eine Lehre zu absolvieren, erst seit dem Jahr
2012 besteht, gibt es zu diesem Thema noch keine Erhebungen. In der Schriftenreihe des
Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte wird lediglich auf die rechtliche
Möglichkeit eines Lehrverhältnisses für junge Asylwerber hingewiesen (vgl. Mayrhofer
2013). Die Literatur betreffend (junge) Asylwerber beschränkt sich im Übrigen oft auf die
rechtlichen Aspekte insbesondere des Asylverfahrens oder behandelt lediglich
Teilbereiche (vgl. Böckmann 2011, Fronek 2010, Fronek/Messinger 2002, Lukits 2012,
Mayrhofer 2013, Pirker 2010, Suhsmann 2012). Was die Frage des Zugangs zum
Arbeitsmarkt für Asylwerber betrifft, rückte diese in den letzten Jahren nicht zuletzt auch
durch die medial sehr präsenten Proteste auch in der akademischen Diskussion vermehrt
in den Fokus der Aufmerksamkeit. Dieses Thema wird in akademischen Arbeiten
(teilweise am Rande) und auch in der Schriftenreihe des Ludwig Boltzmann Instituts für
Menschenrechte behandelt (vgl. Ammer 2011, Ammer o.J., Filzmoser 2012, Mayrhofer
o.J., Pirker 2010, Wehinger 2012). Eine diesbezügliche europaweite Erhebung enthält
keine Informationen über die Situation in Österreich (vgl. EMN 2013). Auf das Thema
Integration von Asylwerbern wird großteils als Teilaspekt von Migration eingegangen,
wobei dieser Bereich auch unter dem Gesichtspunkt der Integration am Arbeitsmarkt und
der Bedeutung von Erwerbstätigkeit für die Integration beleuchtet wird (vgl. Huber 2010,
Kapeller/Sprung 2002, Kaufmann 2009, Kreuzer 2012, Kucera 2011, Stolzlechner 2007,
Volf 2001, Wolf-Maier 2009, Riesenfelder 2011).
Ziel dieser Arbeit ist es zu untersuchen, inwiefern es jungen Asylwerbern mit den seit
2012 bestehenden Rahmenbedingungen tatsächlich möglich ist, eine Lehre zu
absolvieren. Die forschungsleitenden Fragestellungen sind dabei:
 Welche tatsächlichen Möglichkeiten haben junge Asylwerber in Wien, eine Lehre zu
absolvieren?
 Wie groß ist der in Frage kommende Personenkreis? Wie viele absolvieren bereits
eine Lehre?
 Welche Faktoren, Rahmenbedingungen und/oder Akteure waren ausschlaggebend,
dass sie eine Lehrstelle gefunden haben?
4
 Welche strukturellen und/ oder individuellen Schwierigkeiten bestehen?
Die Ergebnisse können einerseits Hinweise darauf geben, wie die Chancen von jungen
Asylwerbern auf eine Lehrstelle erhöht werden können bzw. welche Maßnahmen in
diesem Bereich seitens der Flüchtlingsbetreuer aber auch seitens anderer involvierter
Stellen sinnvollerweise gesetzt werden könnten. Nicht zuletzt kann die Beurteilung der
tatsächlichen Möglichkeiten von jungen Asylwerbern im Bereich Bildung bzw.
Erwerbstätigkeit den Entscheidungsträgern im Asylverfahren eine Orientierungshilfe sein.
1.2 Aufbau
Nach einer kurzen Darstellung der angewandten Methodik (Kapitel 2.) wird zunächst in
Kapitel 3. auf die Herausforderungen eingegangen, denen junge Asylwerber (wie alle
jungen Migranten) am Lehrstellenmarkt gegenüberstehen, wobei die diesbezüglichen
theoretischen Ansätze erläutert werden. Dabei wird insbesondere auf die ethnische
Segmentierung des Arbeitsmarktes und die bei der Lehrlingsauswahl durch die Betriebe
wirksamen Mechanismen eingegangen.
Da sich die vorliegende Arbeit ausschließlich auf Asylwerber, d.h. auf Personen bezieht,
die sich im Asylverfahren befinden und die in Österreich noch nicht Asyl oder subsidiären
Schutz erhalten haben, ist es nötig, die Gruppe der betroffenen Personen zu definieren. In
Kapitel 4. wird daher ein Überblick über das Asylverfahren gegeben. Es wird anhand der
gesetzlichen Bestimmungen dargelegt, ab welchem Zeitpunkt eine Person als Asylwerber
anzusehen ist und wann diese Eigenschaft endet. Ebenso wird auf die daran
anknüpfenden Rechtsfolgen insbesondere hinsichtlich des Aufenthaltsstatus und der
staatlichen Versorgung eingegangen. Ergänzend wird kurz auf die Bedeutung der
Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Rahmen des Asylverfahrens hingewiesen.
In Kapitel 5. folgt ein kurzer Abriss über die Lehrausbildung in Österreich.
Daran anknüpfend beschäftigt sich Kapitel 6. mit der Frage des Arbeitsmarktzuganges,
dem angesichts des dualen Charakters der Lehrausbildung für die Aufnahme eines
Ausländers als Lehrling entscheidende Bedeutung zukommt. Zur Beurteilung der Lage
von Asylwerbern, ist es zunächst notwendig, einen Überblick über die Bestimmungen zu
geben, die regeln, unter welchen Voraussetzungen Ausländern allgemein die Aufnahme
einer legalen, unselbständigen Beschäftigung in Österreich gestattet ist. Dafür werden
zunächst die menschenrechtlichen Grundlagen des Rechts auf Arbeit und die
diesbezüglichen europarechtlichen Bestimmungen betreffend Asylwerber berücksichtigt
5
sowie im Weiteren die für die Ausländerbeschäftigung in Österreich relevanten
Regelungen dargestellt. Dabei wird erläutert, inwieweit junge Asylwerber in Österreich
Zugang zum Arbeitsmarkt haben und welche Auswirkungen sich daran anknüpfen.
Ausgehend von den in den Kapiteln 3. – 6. skizzierten Rahmenbedingungen und
theoretischen Überlegungen beleuchtet Kapitel 7. schließlich die spezifische Situation von
jungen Asylwerbern in Wien. Nach der Darstellung des für den Beginn einer
Lehrausbildung für Asylwerber relevanten rechtlichen Rahmens wird anhand der aus den
Experteninterviews gewonnenen Erkenntnisse im Sinne der oben angeführten
Forschungsfragen die tatsächliche Situation junger Asylwerber in Bezug auf die
Möglichkeit, in Wien eine Lehre zu absolvieren, beurteilt. Es werden die
Forschungsergebnisse dargestellt und analysiert und in Kapitel 8. die entsprechenden
Schlussfolgerungen getätigt.
2. Methodik
Bei den Forschungen wurde qualitativen Methoden der Vorzug gegeben, da es wichtiger
war, Details zu erfahren als Messwerte zu ermitteln (vgl. Bortz/Döring 2006: 297).
Da die Lehrausbildung junger Asylwerber in einem engen Zusammenhang mit asyl-,
beschäftigungs- und ausbildungsrechtlichen Regelungen steht, wurden zunächst die in
Frage kommenden rechtlichen (internationalen, europäischen und nationalen)
Bestimmungen im Sinne einer zusammenfassenden Inhaltsanalyse auf die für den
gegenständlichen Themenkreis relevanten Inhalte reduziert. Darüber hinaus war es
notwendig, über die reinen Rechtstexte hinaus entsprechende Literatur heranzuziehen,
um unklare Begriffe bzw. Zusammenhänge zu klären. Erhebungen in den Datenbanken
des Arbeitsmarktservice (AMS), der Asylstatistik des Bundesministeriums für Inneres
(BMI), der Statistik Austria und des Hauptverbandes der österreichischen
Sozialversicherungsträger (HSV) ergänzten das Bild. Da hinsichtlich der spezifischen
Situation von jungen Asylwerbern am Lehrstellenmarkt in Wien keine Untersuchungen
vorliegen, wurden teilstandardisierte Interviews mit in diesem Bereich tätigen Experten
geführt.
Zu diesem Zweck wurde ein Interviewleitfaden mit offen formulierten Fragen erstellt,
welcher in zwei Varianten auf die Befragung von Experten in öffentlichen Stellen
(Behörden, Interessensvertretung) bzw. von Betreuern der Jugendlichen
(Flüchtlingsberater, Betreuer von jungen Asylwerbern) angepasst wurde. Die Fragen
umfassten die Themen Betreuungssituation, Information (der Asylwerber und der
6
Betriebe), Bildung, Deutschkenntnisse, Motivation der Asylwerber, Haltung der
Unternehmer und Beschäftigungsbewilligung. Ziel der Interviews war die Gewinnung von
Informationen und die Erhebung der Einschätzungen der Experten. Durch die
Experteninterviews konnte ein Maximum an Informationsgewinnung bei gleichzeitiger
Sicherstellung der Strukturierung und Vergleichbarkeit der Daten erreicht werden (vgl.
Mayer 2008: 37). Die Interviews wurden persönlich an den Arbeitsstätten der Befragten
durchgeführt. Die Form des Einzelinterviews, bei dem jeweils nur eine einzige Person
befragt wurde, sollte die Möglichkeit geben, auf den Befragten einzugehen und so
möglichst viel an spezifischen Informationen und Einschätzungen zu gewinnen. Aufgrund
guter Vertrautheit mit der Materie (juristische Ausbildung, berufliche Tätigkeit im
Asylbereich) konnten die Experteninterviews als Einzelinterviews ohne Hinzuziehung
weiterer, unterstützender Personen durchgeführt werden. Einem Interviewpartner wurde
der Leitfaden elektronisch übermittelt und er beantwortete die Fragen schriftlich.
Kriterien für die Auswahl der Experten waren die Vertrautheit mit den Themen
Ausländerbeschäftigung, Lehre, Asylrecht, die Tätigkeit in der Betreuung von jungen
Asylwerbern und der persönliche Kontakt zu diesen. Diese Kriterien wurden vorab (vgl.
Mayer 2008: 39) festgelegt und ergaben sich aus Internetrecherchen sowie aus bereits
vorhandenem Wissen über die Betreuungssituation junger Asylwerber und über die
Behördenzuständigkeit im Bereich Ausländerbeschäftigung. Auch erwiesen sich
bestehende persönliche Kontakte zu Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bzw. dem
Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) als nützlich. Teilweise
wurden Experten auch von einzelnen Interviewpartnern genannt.
Mit folgenden Experten wurden Interviews durchgeführt (in alphabetischer Reihenfolge):
Arbeitsmarktservice Wien
 Sabine Sebastianelli
Abteilungsleiterin, Service Ausländerbeschäftigung Wien
Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK)
 Dr. Hermann Deutsch
Leiter der Gruppe B der Sektion VI (Ausländerbeschäftigung)
Caritas, Wohngemeinschaften für minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge (UMF)
7
 Mirela Meric
Leiterin der UMF-Betreuungsstelle
 An Thu-Tran
Betreuerin in der UMF-Wohngemeinschaft
 Mariam Hakimzadeh
Betreuerin in der UMF-Wohngemeinschaft
Don Bosco Flüchtlingswerk, Wohngemeinschaften für minderjährige, unbegleitete
Flüchtlinge
 Silvia Zotz
Betreuerin, Beraterin für Asylwerber
Magistrat der Stadt Wien
 Norbert Ceipek
Pädagogischer Leiter
Fachbereich Drehscheibe – Sozialpädagogische Einrichtung der MA 11
Wirtschaftskammer Wien
 Mag. Erich Huber
Leiter der Lehrlingsstelle
Abteilungsleiter Bildungspolitik und Berufsausbildung
Die Interviews wurden mittels eines digitalen Aufnahmegeräts aufgenommen und
angesichts der Informationsdichte danach vollständig transkribiert. Bei der Transkription
wurde auf die Darstellung nichtsprachlicher Elemente verzichtet und ausschließlich der
Gesprächsinhalt wiedergegeben. Die Aussagen wurden anonymisiert.
Die Auswertung der Interviews erfolgte aufgrund der transkribierten Aufnahmen. Da, wie
oben erwähnt, der Fokus auf der Gewinnung von konkreten Informationen bzw.
Einschätzungen lag, wurde das von Mayer (vgl. Mayer 2008: 48) für Experteninterviews
empfohlene und von Mühlfeld, Windolf, Lampert und Krüger (vgl. Mühlfeld et al. 1981)
entwickelte Auswertungsverfahren herangezogen, dessen „Schwergewicht der
Interpretation […] auf offenkundigen, unverdeckten Kommunikationsinhalten“ (Mayer
2008: 48) liegt. Dieses Verfahren bietet einerseits einen pragmatischen Zugang (vgl.
Mayer 2008: 48) und hat andererseits den Vorteil, dass die Aussagen der Interviewpartner
8
in der ursprünglichen Form erhalten bleiben. Die Auswertung erfolgte in sechs
Einzelschritten (vgl. Mühlfeld 1981: 336 – 338; Mayer 2008: 49, 50):
1. Es wurden spontan ersichtliche Antworten markiert.
2. Die markierten Antworten wurden in ein Kategorienschema eingeordnet. Dieses
wurde zuvor aufgrund der herangezogenen Theorien, der Auseinandersetzung mit
den relevanten Rechtsfragen und nach Informationsgesprächen mit Experten
entwickelt und umfasste folgende Kategorien:
Kategorie 1: erforderliche Bildung
Unterkategorien: Schulabschluss
Deutschkenntnisse
Möglichkeiten zum Erwerb eines Schulabschlusses
Möglichkeiten zum Erwerb von Deutschkenntnissen
Kursangebot
Kategorie 2: Information
Unterkategorien: Information der Asylwerber
Informationsangebot Asylwerber
Information der Unternehmen
Informationsangebot Unternehmen
Kategorie 3: Vorstellungen der Asylwerber über Lehre
Unterkategorien: Berufswünsche
Erwartungen
Was ist Lehre?
Asylverfahren
Interesse an Lehre
Kategorie 4: Sicht der Unternehmen
Unterkategorien: Bereitschaft, Asylwerber als Lehrlinge einzustellen
Bedenken betreffend Einstellung von Asylwerbern
Kategorie 5: Zugang zu Lehrstelle
Unterkategorien: Mangellehrberufe
Bewerbung
Auswahlverfahren in den Unternehmen
9
Kategorie 6: rechtliche Voraussetzungen/ Bürokratie/ Auswirkungen
Unterkategorien: Beschäftigungsbewilligung
Regionalbeirat/ Arbeitsmarktprüfung
Hauptschulabschluss
wirtschaftliche Aspekte
Kategorie 7: Gruppe der Asylwerber
Unterkategorien: Alter
Geschlecht
Unterbringung
Betreuung
Aufnahme in Betreuung
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
3. Die innere Logik der Informationen innerhalb der einzelnen Interviews wurde unter
besonderer Berücksichtigung von Übereinstimmungen in der Bedeutung und
Widersprüchen hergestellt. Besonders aussagekräftige Passagen wurden
identifiziert.
4. Dies wurde unter weitergehender Detaillierung, Differenzierung und Präzisierung
schriftlich niedergelegt.
5. Ein Text mit Interviewausschnitten wurde erstellt und mit dem transkribierten Text
verglichen.
6. Mit Hilfe der theoretischen Erklärungsansätze und der aus anderen Quellen
abgeleiteten Erkenntnisse (Rechtsnormen, Literatur, Daten) wurden die
gewonnenen Inhalte interpretiert und die Auswertung dargestellt.
3. Herausforderungen für junge Asylwerber am Lehrstellenmarkt
3.1 Benachteiligung von jungen Migranten in der Lehrausbildung
In Österreich sinkt der Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (nicht-
österreichische Staatsbürgerschaft bzw. nicht-deutsche Umgangssprache) ab der 9.
Schulstufe merkbar und reduziert sich in der 12. Schulstufe auf rund die Hälfte. Es fällt
auf, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund in diesem Bildungszweig stark
unterrepräsentiert sind (vgl. Dornmayer/Nowak 2013: 38). Da es sich bei den
Jugendlichen mit Migrationshintergrund aufgrund von Herkunftsländern, Migrationsgrund,
Aufenthaltsstatus etc. um eine sehr heterogene Gruppe handelt, gilt dies für den
10
Gesamtdurchschnitt, individuelle Subgruppen können sich in der Bildungslaufbahn stark
unterscheiden. Wie Studien zeigen, verlassen Jugendliche mit Migrationshintergrund
generell früher das weiterführende Bildungssystem und verfügen häufiger lediglich über
einen Pflichtschulabschluss als Jugendliche ohne Migrationshintergrund (vgl.
Dornmayer/Nowak 2006: 4). Wenn man den Bereich der Lehrlingsausbildung getrennt
betrachtet, fällt der Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund noch deutlich
geringer aus. So lag im Schuljahr 2011/12 der Anteil von Kindern mit nicht-deutscher
Umgangssprache in Volksschulen und Polytechnischen Schulen bei rund 25 % und in den
AHS auch noch bei 14,2 %, während er in den Berufsschulen lediglich bei 10,6 % lag (vgl.
Dornmayer/Nowak 2013: 42). Hinsichtlich des Anteils von Jugendlichen mit nicht-
deutscher Umgangssprache, die eine Berufsschule besuchen, zeigen sich jedoch (bedingt
durch die unterschiedlichen Anteile von Migranten an der Bevölkerung) große
Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern (Wien: 34,9 %, Niederösterreich:
4,2% Schüler mit nicht-deutscher Umgangssprache [vgl. Dornmayer/Nowak 2013: 44];
anders nach der Arbeitsmarktstatistik: Wien: 35,5%, Niederösterreich: 10,8% [vgl.
Biffl/Skrivanek 2014: 21, Abb. 4]). Zu beachten ist, dass die Umgangssprache lediglich
ein näherungsweiser Indikator für einen Migrationshintergrund sein kann, da es Hinweise
gibt, dass die diesbezüglichen Angaben oft ungenau sind. Dies liegt einerseits in
vereinfachenden Erhebungsvorgängen an den Schulen, andererseits kommt es vor, dass
die Umgangssprache aus Angst vor Nachteilen (insbesondere im Falle von
Minderheitensprachen) oder auf eigenen Wunsch der Schüler mit Deutsch angegeben
wird (vgl. Biffl/Skrivanek 2014: 13). Auch die Daten der Wirtschaftskammer, bei denen
ausschließlich auf die Staatsbürgerschaft abgestellt und die Umgangssprache nicht
berücksichtigt wird, kommen zu ähnlichen Ergebnissen (Wien: 16,2 %, Bgld. 4,6 %
Lehrlinge mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft [vgl. Dornmayr/Nowak 2013: 45]).
Es wird davon ausgegangen, dass die ethnische Segmentierung des Wiener
Arbeitsmarktes (vgl. Fassmann 1997; Biffl 2000; BMASK 2010) in Verbindung mit
diskriminierenden Praktiken bei der Lehrlingsauswahl (vgl. Imdorf 2010) wesentliche
Faktoren für die Benachteiligung junger Asylwerber am Lehrstellenmarkt darstellen.
3.2 Ethnische Segmentierung des Arbeitsmarktes
Empirisch zeigt sich (vgl. Sengenberger 1978: 19), dass bestimmte Gruppen von
Arbeitnehmern dauerhaft von Teilen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen sind. Diese
Gruppen, zu denen auch Jugendliche und Migranten zählen können, haben schlechtere
Beschäftigungschancen, sie sind oft auf schlecht bezahlte oder prekäre Arbeitsplätze
11
beschränkt und häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen (vgl. Sengenberger 1978: 19). Man
kann von einer Arbeitsmarktsegmentation oder Arbeitsmarktspaltung (vgl. Sengenberger
1978) sprechen.
Für den Wiener Arbeitsmarkt wurde bereits Ende der 1990er-Jahre eine starke ethnische
Strukturierung festgestellt (vgl. Biffl 2000). Wie schon 1988 waren auch 1993
ausländische Arbeitskräfte vorwiegend in den Bereichen Bauwesen, Tourismus und
Reinigung beschäftigt (vgl. Fassmann 1997: 26). Auch im Jahr 2014 waren Ausländer zu
einem großen Teil in den Bereichen Baugewerbe, Handel, Gastgewerbe und
Dienstleistungen beschäftigt:
Tabelle 1: Beschäftigte Ausländer in Wien nach Branchen (Jahresdurchschnitt 2014)
Quelle: HSV, 27.01.2015, eigene Bearbeitung
Aktuell stellt auch das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
(vgl. BMASK 2010) strukturelle Probleme insbesondere durch eine immer stärkere
Segmentierung des österreichischen Arbeitsmarktes fest und richtet seine aktuellen, für
mehrere Jahre gültigen arbeitsmarktpolitischen Zielvorgaben danach aus: Unter die
besonders von Arbeitslosigkeit betroffenen Personengruppen fallen demnach
insbesondere auch solche, bei denen individuelle Problemsituationen vorliegen.
M + F Männer Frauen
insgesamt 188 560 101 677 86 883
Land- und Forstw irtschaft, Fischerei 536 307 229
Bergbau und Gew innung von Steinen und Erden 56 42 14
Verarbeitendes Gew erbe / Herstellung von Waren 10 806 7 371 3 435
Energieversorgung 305 197 108
Wasserversorgung; Abw asser- und Abfallentsorgung
und Beseitigung von Umw eltverschmutzungen
325 285 40
Baugew erbe / Bau 20 491 19 386 1 105
Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen 29 312 13 713 15 599
Verkehr und Lagerei 8 726 7 530 1 196
Gastgew erbe / Beherbergung und Gastronomie 22 674 12 132 10 542
Information und Kommunikation 6 116 3 965 2 151
Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen 5 102 2 583 2 519
Grundstücks- und Wohnungsw esen 5 103 2 099 3 004
Erbringung von freiberuflichen, w issenschaftlichen
und technischen Dienstleistungen
11 868 5 858 6 010
Erbringung von sonstigen w irtschaftlichen Dienstleistungen 23 915 11 801 12 114
Öffentliche Verw altung, Verteidigung; Sozialversicherung 9 318 2 621 6 697
Erziehung und Unterricht 10 337 4 464 5 873
Gesundheits- und Sozialw esen 13 754 3 182 10 572
Kunst, Unterhaltung und Erholung 3 428 1 874 1 554
Erbringung von sonstigen Dienstleistungen 5 341 1 968 3 373
Private Haushalte mit Hauspersonal; Herstellung von Waren
und Erbringung von Dienstleistungen durch private Haushalte
493 67 426
Exterritoriale Organisationen und Körperschaften 305 124 181
Wirtschaftsklasse unbekannt 249 108 141
Branchen
Beschäftigte Ausländer
12
Migranten, die ohnehin oft in besonders von Arbeitslosigkeit betroffenen Branchen
arbeiten, seien besonders betroffen, da bei ihnen häufig komplexe
Problemkonstellationen wie beispielsweise schlechte Ausbildung oder mangelnde
Deutschkenntnisse vorliegen würden. In diesem Sinne sehen die Zielvorgaben des
BMASK daher auch speziell für jugendliche Migranten eine intensive Betreuung und die
Förderung der Eingliederung in den Arbeitsmarkt vor (vgl. BMASK 2010).
Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die theoretischen Ansätze gegeben, die für
die Untersuchung der Zugangsmöglichkeiten und -hürden von jungen Asylwerbern auf
dem Lehrstellenmarkt berücksichtigt wurden. Die herangezogenen Erklärungsansätze
entstanden im Wesentlichen aus der Weiterentwicklung bzw. aus der Kritik des
orthodoxen neoklassischen Modells, das ebensowenig wie die Humankapitaltheorie
dauerhafte Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt erklären konnte. Angesichts der
Segmentierung des Wiener Arbeitsmarktes lässt sich insbesondere das Insider-Outsider-
Modell auf die Situation in Wien anwenden.
3.2.1 Das neoklassische (orthodoxe) Modell
In der neoklassischen Theorie wird der Arbeitsmarkt neben dem Kapitalmarkt und dem
Gütermarkt als ein Teil der Wirtschaft gesehen. Diese Märkte stehen zueinander in
Wechselbeziehung und befinden sich (in sich und auch miteinander) in einem
Gleichgewicht, das durch Lohn, Preis und Zins bestimmt ist (vgl. Pfriem 1978: 49). Da
angenommen wird, dass alle Arbeitskräfte in gleicher Weise produktiv und somit ersetzbar
sind („Homogenitätsbedingung“ [Pfriem 1978: 50]), ist der Arbeitsmarkt einheitlich und das
Bestehen von Teilarbeitsmärkten ist ausgeschlossen. Es herrschen Transparenz und
Mobilität, die Löhne unterliegen keinen sozialen Einflüssen. Jeder Einzelne strebt nach
größtmöglichem persönlichem Nutzen und hat dabei die gleichen Interessen wie alle
anderen Beteiligten. Der Arbeitsmarkt ist somit durchlässig und ein Arbeitsplatzwechsel
ohne Probleme und Kosten möglich (vgl. Pfriem 1978: 49). Ungleichverteilungen werden
lediglich als Abweichungen von der Norm gesehen, die auf „Friktionen“ und
„Unvollkommenheiten“ (Kreckel 1983: 146) auf dem Arbeitsmarkt beruhen. Dieses Modell
bietet somit keinen Raum für die Erklärung struktureller und dauerhafter
Chancenungleichheit.
3.2.2 Die Humankapitaltheorie
In den 1960er-Jahren erfuhr das neoklassische Modell verschiedenste Änderungen bzw.
Erweiterungen, um es den realen Gegebenheiten anzunähern. Mit der
13
Humankapitaltheorie ging man von der Homogenitätsbedingung ab und nahm Arbeitskraft
nunmehr als „quasi-fixen“ (Pfriem 1978: 50) Faktor an, der dem Sachkapital
gegenübersteht und dessen Produktivität von den getätigten finanziellen Aufwendungen
für die Erlangung von Qualifikationen („Humankapitalinvestitionen“ [Kreckel 1983: 146])
abhängt. Indem der Mensch als „homo oeconomicus“ (Pfriem 1978: 50) nach
größtmöglichem Einkommen trachtet, investiert er in Ausbildung und verbessert so seine
Position am Arbeitsmarkt. Einkommensunterschiede und die ungleiche Verteilung von
Einkommen werden als Folge ungenügender Investitionen in den Erwerb von beruflichen
Qualifikationen gesehen. Dieses Modell übersieht jedoch, dass Investitionen in berufliche
Qualifikationen in der Realität nicht notwendiger Weise auch zu einem höheren
Einkommen führen. Außerdem kann damit nicht erklärt werden, weshalb Personen mit
gleicher Ausbildung, aber beispielsweise unterschiedlicher Nationalität oder Geschlechts,
nicht den gleichen Status und das gleiche Einkommen aufweisen können (vgl. Kreckel
1983: 146).
3.2.3 Die Segmentationstheorie
Ende der 1960er Jahre wurde klar, dass die Bemühungen der USA, durch die im
Wesentlichen auf neoklassischen Ansätzen beruhenden arbeitsmarktpolitischen
Maßnahmen die Situation benachteiligter Gruppen zu verbessern, nicht den gewünschten
Erfolg gebracht hatten. Daneben kam es auch zu keiner nennenswerten
Weiterentwicklung der neoklassischen Theorien. Diese Umstände begünstigten das
Entstehen neuer Denkansätze, sodass Ende der 1960er Jahre erstmals der Begriff
Arbeitsmarktsegmentation auftauchte (vgl. Sengenberger 1978: 17).
Um die Benachteiligungen insbesondere der afro-amerikanischen Bevölkerung in den
großen amerikanischen Städten verstehen zu können, wurde zunächst die Hypothese des
dualen Arbeitsmarktes (vgl. Piore 1978: 68) entwickelt, wonach der Arbeitsmarkt aus zwei
Sektoren besteht, die grundsätzlich verschieden sind und zwischen denen ein Wechsel
von Arbeitskräften kaum möglich ist: Die Arbeitsplätze im primären Sektor sind gut
bezahlt, es herrschen gute Arbeitsbedingungen, die Rechte der Arbeitnehmer werden
respektiert und sie haben Aufstiegschancen. Dieser Sektor ist gekennzeichnet von
stabilen Beschäftigungsverhältnissen. Der sekundäre Sektor dagegen umfasst schlecht
bezahlte, wenig stabile, von ungünstigen Arbeitsbedingungen und (aufgrund des stark
personalisierten Verhältnisses zum Arbeitgeber) potentiell unfairen Verhältnissen
gekennzeichnete Arbeitsplätze, die kaum Aufstiegschancen bieten. Die
Arbeitnehmerfluktuation in diesem Sektor ist hoch. Piore (1978: 69) kritisiert, dass diese
duale Betrachtungsweise zu sehr auf die Probleme benachteiligter Gruppen fokussiert ist,
14
und weist darauf hin, dass die dem Primärsektor zugewiesenen Eigenschaften in der
Realität lediglich auf den unteren Teilbereich dieses Sektors zutreffen. Es gibt vielmehr
auch innerhalb des primären Sektors ein Segment, das hinsichtlich Fluktuation und
Mobilität eher dem sekundären Sektor entspricht. In diesem oberen Teilsektor bringen
diese beiden Aspekte – im Gegensatz zum sekundären Sektor – jedoch großteils einen
beruflichen Aufstieg mit sich.
Bezüglich der Entstehung dieser strengen Trennung des Arbeitsmarktes in zwei Sektoren
gibt es verschiedene Theorien. Die sogenannten „Radical Economists“ gehen davon aus,
dass die Unternehmen gezielt auf eine Trennung des Arbeitsmarktes hinwirken, um die
Arbeitnehmer besser beherrschen zu können („divide et impera“ [Kreckel 1983: 148]).
Dabei bleibt jedoch der Einfluss die Arbeitnehmerseite unberücksichtigt. Piore dagegen
führt die Trennung im Wesentlichen auf die unterschiedliche Stabilität von Arbeitsplätzen
und Arbeitskräften zurück (vgl. Piore 1978: 69). Demnach binden die Unternehmer, um
Transaktionskosten zu sparen, eine Kernbelegschaft durch verschiedene betriebliche
Maßnahmen (Bildung, Boni, Betriebspensionen etc.) an sich, sodass interne
Arbeitsmärkte entstehen. Um konjunkturelle Schwankungen ausgleichen zu können,
wird ein sogenannter externer Arbeitsmarkt aufrechterhalten, in dem eher gering
qualifizierte, kurzfristig verfügbare Arbeitskräfte bei Bedarf akquiriert werden können (vgl.
Kreckel 1983: 148).
Auch wenn es schwierig ist, die komplexen Zusammenhänge und strukturellen
Bedingungen zu analysieren, die zu einer Ungleichbehandlung am Arbeitsmarkt führen,
kann die Segmentationstheorie doch zumindest einen ersten Ansatz bieten.
3.2.4 Das Insider – Outsider-Modell
Mitte der 1980er Jahre entwickelten Lindberg und Snower die Insider-Outsider-Theorie
zur Erklärung nachhaltiger Arbeitslosigkeit und von Problemen der
Einkommensverteilung. Dieses Modell wurde in der Folge von Organisationen wie der
OECD und dem IWF angewendet (vgl. Lindbeck/Snower 2002: 1). Diese Theorie
beschäftigt sich mit der Frage, weshalb – entgegen der Annahme der neoklassischen
Theorie, wonach durch eine Senkung der Reallöhne Vollbeschäftigung erreicht werden
kann – Löhne trotz hoher Arbeitslosigkeit nicht sinken (vgl. Lindbeck/Snower 2001: 166)
und kann auch zur Erklärung der sozialen Exklusion bestimmter Personengruppen sowie
des Phänomens der Segmentierung des Arbeitsmarktes herangezogen werden.
15
Die Insider-Outsider-Theorie geht von dem Umstand aus, dass mit Personalfluktuation
regelmäßig „Arbeitsumwälzungskosten“ (Snower 1993: 461) (Fluktuationskosten), d.h.
beispielsweise Kosten der Anstellung und Entlassung von Personal sowie
Schulungskosten für neu eingetretene Mitarbeiter, verbunden sind und diese vorwiegend
die Arbeitgeber treffen (vgl. Snower 1993: 461 f.).
Es werden drei Gruppen von Arbeitnehmern identifiziert: Die Insider sind schon lange im
Betrieb beschäftigt und ihre Position wird durch die Fluktuationskosten geschützt, die die
Arbeitgeber von Kündigungen abhalten. Die Outsider hingegen genießen diesen Schutz
nicht. Sie sind arbeitslos oder im informellen Sektor beschäftigt. Die Neueingetretenen
schließlich belegen Arbeitsplätze, die ihnen potentiell Insider-Status bringen können.
Ursprünglich Outsider, können sie nach einer „Einweihperiode“ (Snower 1993: 464) durch
die Erlangung von Rechten sowie durch den Erwerb von Kenntnissen betreffend die
Manipulation von Fluktuationskosten die Position von Insidern erlangen. Je länger ein
Arbeitnehmer in einer Firma beschäftigt ist, desto stärker wird seine Insider-Position.
Dasselbe gilt umgekehrt für die Outsider, für die der (Wieder)Eintritt ins Arbeitsleben auch
durch den Verlust von betrieblichen Kontakten umso schwieriger wird, je länger die
Arbeitslosigkeit andauert (vgl. Lindbeck/Snower 2002: 2)
Die Insider nützen ihre Macht zu ihrem eigenen Vorteil. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit
resultiert somit aus einem Interessenkonflikt zwischen Insidern und Outsidern:
„The crucial assumption [of insider-outsider] is that it is costly to exchange a
firm’s current, full-fledged employees (the insiders) for unemployed workers
(the outsiders), and that the rent associated with this turnover cost can be
tapped by the insiders in the process of wage negotiation … Accordingly,
involuntary unemployment arises out of a conflict of interest between the
insiders and the outsiders“ (Lindbeck und Snower 1988 in: De Vroey 2004:
206)
Es lassen sich zwei Arten von Fluktuationskosten unterscheiden: Die
produktionsbezogenen Kosten fallen an, um Outsider für den Betrieb produktiv zu
machen. Darunter fallen Ausgaben für die Suche, Anwerbung und Ausbildung von
Arbeitnehmern. Die renten- (verhandlungs-) bezogenen Kosten stehen nicht im
Zusammenhang mit der Produktion sondern umfassen Kosten, die aus gesetzlichen
Bestimmungen zur Arbeitsplatzsicherung oder aus den Verhandlungsstrategien der
Insider entspringen. Es handelt sich dabei typischerweise um Abfertigungszahlungen,
automatische Gehaltsvorrückungen, Kündigungsschutz, Streikkosten etc. Schließlich
16
können Kosten auch dadurch entstehen, dass Insider sich untereinander unterstützen und
zusammenarbeiten, während sie sich gegenüber neu eingetretenen Mitarbeitern
unkooperativ zeigen oder diese schikanieren, sodass deren Produktivität sinkt. Dies
betrifft besonders die Arbeit in Teams (vgl. Snower 1993: 465; Lindbeck/Snower 2002: 3).
Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang auch die Unterscheidung von
allgemeinem und betriebsspezifischem Wissen: Während allgemeines Wissen auf dem
Arbeitsmarkt einen Marktwert hat, verhilft betriebsspezifisches Wissen, das
typischerweise mit der Dauer des Arbeitsverhältnisses steigt, zu Insider-Macht, da es
höhere Fluktuationskosten verursacht (vgl. Biffl 1999: 21, 31).
Insider haben direkten Einfluss auf die Fluktuationskosten, da sie einerseits an den
Lohnverhandlungen beteiligt sind und andererseits das Arbeitsklima bzw. die Produktivität
im Betrieb maßgeblich beeinflussen können. Outsider haben diese Möglichkeiten
dagegen nicht. Sie sind von Lohnverhandlungen ausgeschlossen und können lediglich
indirekt Einfluss nehmen: Solange die Forderungen der Insider in einem Rahmen bleiben,
der sie als für das Unternehmen rentabler als die Outsider erscheinen lässt, haben
Outsider wenig Chancen auf Beschäftigung und gleiche Bezahlung. Sie geraten in die
Langzeitarbeitslosigkeit oder arbeiten in Positionen, in denen sie trotz Bereitschaft zu
Lohnabstrichen keine Chance auf die Erreichung von Insider-Status haben (vgl. Snower,
1993: 462; Lindbeck/Snower, 2001: 167f.).
Das Insider-Outsider-Modell kann nicht nur Einkommensunterschiede sondern auch
soziale Ungleichheiten erklären: Die Position von Outsidern auf dem Arbeitsmarkt trägt
wesentlich zur sozialen Exklusion einzelner Bevölkerungsgruppen bei (vgl.
Lindbeck/Snower, 2001: 170). Die Insider-Outsider-Theorie kann auch zur Erklärung von
Arbeitsmarktsegmentierung angewendet werden: Da im primären Sektor die
Fluktuationskosten im Gegensatz zum sekundären Sektor erheblich sind, haben Insider
im primären Sektor größeren Einfluss, wogegen im sekundären Sektor mehr Konkurrenz
und damit größere Beschäftigungschancen bestehen (vgl. Lindbeck/Snower, 2001: 176).
3.2.5 Benachteiligung von Migranten am Arbeitsmarkt in Österreich
Ausgehend von segmentationstheoretischen Ansätzen und den Überlegungen
Sengenbergers (vgl. Sengenberger 1987), der die Bedeutung institutionalisierter Regeln
für die Stabilität und Dauerhaftigkeit der Undurchlässigkeit des Arbeitsmarktes betonte,
wies Fassmann (vgl. Fassmann 1997) Ende der 1990er Jahre darauf hin, dass die
ethnische Strukturierung des Arbeitsmarktes in Österreich wesentlich auf die – auf
politische Entscheidungen der Interessenvertreter und Parteien zurückgehenden –
17
gesetzlichen Regelungen der Arbeitsmigration zurückzuführen seien. Dies unterscheide
den österreichischen Arbeitsmarkt beispielweise von jenem der USA, wo entsprechende
Regelungen weitgehend fehlen. Anfang der 1960er Jahre, als in Österreich weitgehend
Vollbeschäftigung herrschte, kam es durch den wirtschaftlichen Aufschwung zu einem
Mangel an Arbeitskräften. Inländische Arbeitnehmer waren nicht mehr bereit, in weniger
gut bezahlten und durch schlechte Arbeitsbedingungen gekennzeichneten Branchen zu
arbeiten. So entschied man sich dem Beispiel Deutschlands folgend für die Einführung
des sogenannten „Gastarbeitermodells“ und schloss Anwerbeabkommen mit Spanien, der
Türkei und dem damaligen Jugoslawien (vgl. Fassmann 1997: 158).
Die Anwerbung und Unterbringung von Arbeitskräften auf dem österreichischen
Arbeitsmarkt erfolgte nach strengen Regeln. Zwar wurden Faktoren von Angebot und
Nachfrage berücksichtigt, die jährlichen Kontingentvereinbarungen waren jedoch auch
wesentlich von politischen Absichten (Gewerkschaften, Arbeitnehmer- und
Arbeitgebervertretungen) getragen (vgl. Fassmann 1997: 159). Ausländische Arbeitskräfte
konnten ihren Arbeitsbereich nicht frei wählen, ihnen wurden Arbeitsplätze zugewiesen.
Sie übernahmen in der Folge jene Stellen in Gewerbe und Industrie, für die sich keine
inländischen Arbeitnehmer finden ließen, sowie im Dienstleistungsbereich solche, die sich
durch schlechte Entlohnung, geringe Qualifikation und soziale Nichtanerkennung
auszeichneten (vgl. Fassmann 1997: 158, 161).
Das österreichische System der Ausländerbeschäftigung war bis zur Einführung eines an
der Erfüllung bestimmter Kriterien anknüpfenden und eine auf Dauer ausgerichtete
Zuwanderung ermöglichenden Systems („Rot-Weiß-Rot-Karte“, § 3 AuslBG, §§ 41ff.
NAG) im Juli 2011 gekennzeichnet von Normen, die einerseits die Beschäftigung von
Ausländern genehmigungspflichtig machten und deren Aufteilung auf Branchen und
Bundesländer regelten, und andererseits Höchstzahlen für ausländische Beschäftigte
sowie generell für Zuwanderer festlegten (vgl. Fassmann 1997: 159, 160). Die
Positionierung ausländischer Arbeitskräfte erfolgte vorwiegend in unattraktiven Bereichen
ohne die Möglichkeit, dieses Arbeitsmarktsegment zu verlassen (vgl. Fassmann 1997:
164, 165, 167). Hinzu kam, dass diese Positionen von hoher Fluktuation gekennzeichnet
waren. Der Hintergrund dieser Regelungen kann nach Fassmann (vgl. Fassmann 1997:
164, 165, 167) in humankapitaltheoretischen Überlegungen gesehen werden: Demnach
macht es in einem nicht auf dauerhafte Zuwanderung ausgelegten System wenig Sinn,
Bildungsinvestitionen für Personen zu tätigen, indem man sie auf Arbeitsplätzen einsetzt,
die die Aneignung berufs- und betriebsspezifischen Wissens erlauben, wo doch ihr
18
Verbleib in Österreich nicht auf Dauer angelegt war, da sie lediglich als „Lückenfüller“ in
Zeiten erhöhter Nachfrage erwünscht waren.
Biffl (1999) setzte sich im Lichte einer in den 1980er und 1990er-Jahren in Österreich
stark steigenden Jobfluktuation auch mit der Position ausländischer Arbeitskräfte in
Österreich auseinander. Ausgehend vom Insider-Outsider-Modell zählen demnach
Ausländer eher zu den Outsidern als zu den Insidern (vgl. Biffl 1999: 20). Ihre
Beschäftigungsverhältnisse dauern weniger lang, sie haben eine geringere Jobsicherheit
und sie sind in geringem Ausmaß als Inländer in Kernbelegschaften zu finden (vgl. Biffl
1999: 21, 31). Als Gründe für diese Positionierung als Outsider kommen auch rechtliche
Aspekte in Betracht: So wird eine Beschäftigungsbewilligung nur für ein Jahr erteilt, was
naturgemäß einer langfristigen Eingliederung hinderlich sein kann. Des Weiteren werden
Inländer nach den gesetzlichen Bestimmungen (jedenfalls im Bereich der Regelungen
betreffend die temporäre Zuwanderung; siehe dazu unten 6.3.3) auf dem Arbeitsmarkt
bevorzugt (Inländerschutzgedanke) (vgl. Biffl 1999: 5, 6).
Gerade Asylwerber, die einerseits einen unsicheren rechtlichen Status haben und deren
Zugang zum Arbeitsmarkt – wie noch ausgeführt werden wird – extrem eingeschränkt ist,
kann sich die ethnische Segmentierung des österreichischen und im konkreten Fall des
Wiener Arbeitsmarktes sehr stark auf ihre Möglichkeit, eine Arbeits- bzw. Lehrstelle zu
finden, auswirken.
3.3 Die Lehrlingsauswahl in den Betrieben
Dass die Benachteiligung oder ethnische Diskriminierung im Sinne einer
Bewerberauswahl nach an Ethnizität statt an Leistung orientierten Gesichtspunkten eine
Rolle beim Zugang zu Erwerbstätigkeit spielt, wurde durch zahlreiche Forschungen belegt
und theoretisch zu erklären versucht (vgl. zusammenfassend Devah/Shepherd 2008).
Imdorf (2010) weist darauf hin, dass nicht alle diese Theorien auch die Motivation der
Arbeitgeber erklären können, diskriminierende Kriterien bei der Auswahl von Lehrlingen
anzuwenden (vgl. Imdorf 2010: 198f.). Zwar zieht das Insider-Outsider-Modell auch
betriebsinterne Vorgänge wie mangelnde Kooperation, schlechte Teamarbeit, mangelnde
Unterstützung der Insider gegenüber den Outsidern als Faktoren für die Steigerung der
Fluktuationskosten heran (vgl. Lindbeck/Snower 2001: 167). Jene Ansätze, denen der
Gedanke der Produktivität zugrunde liegt, würden jedoch Diskriminierung oft auf die
Bewertung der individuellen Produktivität des Bewerbers durch den Arbeitgeber
reduzieren, die diese entweder auf empirische Belege (statistische Diskriminierung) oder
auf ihr Gefühl (implizites Vorurteilsmodell) stützen (vgl. Imdorf 2010: 200). Dabei würden
19
die komplexen, ebenso für den wirtschaftlichen Erfolg maßgebenden Strukturen innerhalb
der Betriebe außer Acht gelassen. Dazu gehören die sozialen Beziehungen innerhalb der
Belegschaft, die dazu führen können, dass im Sinne der Vermeidung von Spannungen
lediglich solche Personen aufgenommen werden, die „sozial möglichst gut in eine
‚bestehende‘ inländische Belegschaft ‚passen‘ “ (Imdorf 2010: 200), ebenso wie der
Wunsch der Arbeitgeber nach fügsamen Mitarbeitern. Wird der Unterordnungswille von
Ausländern thematisiert, kann dies zu einer Diskriminierung führen. Des Weiteren dürfen
auch die Markt- und Kundenbeziehungen der Betriebe nicht unbeachtet bleiben, da es
denkbar ist, dass Kunden ihre Entscheidung für ein Produkt (auch) von diskriminierenden
Kriterien abhängig machen. Ein soziologischer Ansatz berücksichtigt daher insbesondere
die Sozialbeziehungen der Betriebe (innerhalb sowie auch zur Kundschaft), die sich
wesentlich auf die Produktivität auswirken. Während es sich beim Insider-Outsider-Modell
um eine ökonomische Theorie (vgl. Lindbeck/Snower 2001: 166) handelt, kommt bei
Imdorf (2010: 202) einem organisationssoziologischen Zugang große Bedeutung zu.
Imdorf (2010) befasste sich mit der Gruppe ausländischer Jugendlicher, die auf dem von
Klein- und Mittelbetrieben dominierten Schweizer Lehrstellenmarkt eine Lehrstelle
suchen. Auch in Wien überwiegen kleine und mittlere Unternehmen gerade in den für
Migranten bedeutsamen Branchen, weshalb die Ansätze Imdorfs (2010) auch auf den
Wiener Kontext übertragbar sind.
Tabelle 2: Betriebsgrößen in Wien (2012, ausgewählte Branchen)
20
Quelle: Statistik Austria, 30.01.2015, eigene Bearbeitung
Imdorf (2010) ging davon aus, dass es dabei im Regelfall zu Diskriminierung kommt und
führte dies im Wesentlichen auf das Fehlen gesetzlicher Regelungen bei der
Stellenvergabe, der üblicherweise großen Anzahl der Bewerbungen und der dadurch
großen Wahlfreiheit bei der Kandidatenauswahl sowie mangelnde Fachkompetenzen und
Zeitdruck auf Seiten der Personalverantwortlichen zurück (vgl. Imdorf 2010: 198, 199).
Er geht davon aus, dass Ausbildungsbetriebe hinsichtlich ihres Bestehens am Markt unter
einem gewissen Erfolgsdruck stehen, weshalb die Ausbildung eines Lehrlings sich aus
Sicht des Betriebes früher oder später rechnen solle. Hinzu kommt, dass der Lehrling
auch in der Belegschaft und bei Kunden bzw. Geschäftspartnern auf Akzeptanz stoßen
muss. Schließlich muss die Auswahl der Lehrlinge oft unter Zeitdruck geschehen und es
kann aufgrund der Anforderungsprofile nahezu unmöglich sein, einen Lehrling zu finden,
der alle geforderten Kriterien erfüllt. Zur Legitimierung von Personalentscheidungen sind
B eschäftigten- A nzahl der
grö ß enklasse Unternehmen
INSGESAMT insgesamt 74.188
INSGESAMT 0-9 65.588
INSGESAMT 10-19 4.597
INSGESAMT 20-49 2.417
INSGESAMT 50-249 1.277
INSGESAMT 250 und mehr 309
Bau insgesamt 5.490
Bau 0-9 4.411
Bau 10-19 625
Bau 20-49 320
Bau 50-249 114
Bau 250 und mehr 20
Handel insgesamt 15.507
Handel 0-9 13.463
Handel 10-19 1.117
Handel 20-49 575
Handel 50-249 286
Handel 250 und mehr 66
Beherbergung und Gastronomie insgesamt 6.161
Beherbergung und Gastronomie 0-9 4.911
Beherbergung und Gastronomie 10-19 741
Beherbergung und Gastronomie 20-49 359
Beherbergung und Gastronomie 50-249 132
Dienstleistungen insgesamt 25.630
Dienstleistungen 0-9 23.540
Dienstleistungen 10-19 1.100
Dienstleistungen 20-49 563
Dienstleistungen 50-249 364
Dienstleistungen 250 und mehr 63
B ranchen
21
die Verantwortlichen daher auf Rechtfertigungsmechanismen angewiesen (vgl. Imdorf
2010: 203).
Die Rechtfertigungstheorie von Boltanski und Thévenot (siehe dazu ausführlich
Boltanski/Thévenot 2007) nimmt die Existenz verschiedener „Welten“ an, denen jeweils
ein eigenes, auf den sozialen Zusammenhalt gerichtetes Ordnungsprinzip innewohnt. Die
Qualität („Größe“) einer Person wird daran gemessen, inwieweit sie Eigenschaften
aufweist, die zur Aufrechterhaltung des sozialen Zusammenhalts und somit zum Wohle
der Gemeinschaft beitragen kann. Personalentscheidungen erscheinen demnach dann
als gerechtfertigt, wenn die Auswahlkriterien in Hinblick auf das (betriebliche) Gemeinwohl
als förderlich erachtet und unter diesem Blickwinkel als fair angesehen werden (vgl.
Imdorf 2010: 203).
In Anlehnung an das Konzept der Rechtfertigungsordnung erörtert Imdorf (2010: 204f.)
die verschiedenen betrieblichen Welten und die diesbezüglichen Hindernisse, die sich
ausländischen Arbeitssuchenden entgegenstellen. In der „industriellen Welt“ eines
Betriebes, d.h. im Rahmen der technischen Produktionsprozesse, ist es zur
Aufrechterhaltung höchstmöglicher Effizienz wichtig, dass diese Produktionsprozesse
möglichst wenig gestört werden. Die Größe eines Bewerbers wird folglich an seiner
Effizienz, Produktivität und Funktionsfähigkeit gemessen (vgl. Boltanski/Thévenot 2007:
267f.). In der „häuslichen Welt“, worunter man die soziale Gruppe im Sinne der
Belegschaft verstehen kann und die von persönlichen Abhängigkeiten bestimmt ist (vgl.
Boltanski/Thévenot 2007: 228f.), liegt der Schwerpunkt auf den sozialen Beziehungen
unter den Mitarbeitern. Diese sind insbesondere in Klein- und Mittelbetrieben im Sinne
des Vorliegens von sozialer Kontrolle, Anerkennung von Autorität etc. (vgl.
Boltanski/Thévenot 2007: 237f) familienähnlich ausgebildet, sodass ausländische
Arbeitnehmer oftmals als Störfaktoren, die den Fortbestand des Betriebes gefährden
könnten, gesehen werden. Was die Kundenbeziehungen anbelangt, fallen diese in
mehrere „Welten“. In der „projektbasierten Polis“ (Boltanski/Chiapello 2003 in Imdorf
2010: 208) zählen kommunikative Kompetenzen (vgl. Boltanski o.J.), in der häuslichen
Welt kommt harmonischen persönlichen Beziehungen große Bedeutung zu, während
schließlich der Lehrling aus Sicht des Arbeitgebers auch in der „Welt des Marktes“ (Imdorf
2010: 208) verortet ist, da er möglicherweise Kundenbindungen gefährden könnte.
Um die Größe eines Bewerbers in den für den Betrieb relevanten Welten erheben zu
können, bedienen sich Personalentscheider verschiedener sogenannter
„Bewährungsproben“ (Imdorf, 2010: 209f. mVa Boltanski/Chiapello, 2003). Je nach Art der
betrieblichen Welt kommen dabei typischerweise spezifische Prüfmethoden zur
22
Anwendung. So kommt in der „industriellen Welt“ der Leistungsmessung besondere
Bedeutung zu, während sich in der „häuslichen Welt“ Personalverantwortliche bei der in
diesem Bereich zentralen Beurteilung der sozialen Passung des Bewerbers eher auf ihr
Gefühl verlassen.
Folgende Bewährungsproben können unterschieden werden (vgl. Imdorf 2010: 211):
Beim betrieblich individualisierten Praxistest wird die Größe des Bewerbers durch
Tests, die im Betrieb selbst in Anwesenheit (auch mehrerer) Mitarbeiter als Prüfer
stattfinden, ermittelt. In Frage kommen hier Betriebspraktika, „Schnupperlehre“,
Vorstellungsgespräche, im Betrieb durchgeführte Tests. Wenn sich ein Betrieb einer
anderen Institution als Prüfer bedient, spricht man vom delegierten individualisierten
Praxistest. Darunter fallen etwa die Heranziehung von Schulzeugnissen,
Praktikumszeugnisse anderer Betriebe und Referenzschreiben. Bei der auf betrieblicher
Erfahrung basierten kollektivistischen Bewährungsprobe wird die Beurteilung des
Bewerbers auf Erfahrungen im Betrieb mit Personen, die ähnliche Merkmale wie der
Bewerber aufweisen, gestützt. Damit vergleichbar ist die delegierte erfahrungsbasierte
kollektivistische Bewährungsprobe, bei der die (schlechten) Erfahrungen Dritter als
Kriterium herangezogen werden. Bei der imaginären kollektivistischen
Bewährungsprobe schließlich ist eine Überprüfung durch Erfahrungswissen überhaupt
nicht möglich, da sich diese ausschließlich auf Vorurteile und Stereotypen gründet.
Nach Imdorf (2010) liegt eine diskriminierende Bewährungsprobe vor, „wenn die
individuelle Größe eines Bewerbers im Selektionsprozess nicht angemessen beurteilt wird
und die Verzerrung der Beurteilung mit einem sozialen Gruppenmerkmal variiert“ (Imdorf
2010: 213). Ohne dass dies mittels Erfahrungswissen oder Praxistests verifiziert wurde,
wird ein soziales Merkmal als für den Betrieb problematisch eingestuft. Weniger als bei
den Praxistests ist dies insbesondere bei den Bewährungsproben 3, 4 und 5 der Fall. Bei
diesen stützt sich der Betrieb bei der Beurteilung der Größe eines Bewerbers nämlich
nicht auf sein Erfahrungswissen sondern auf die Annahme eines beim Bewerber
vorliegenden sozialen Merkmals, das dieser aufweist und das ihn als einer aus Sicht des
Betriebes problematischen Gruppe zugehörig erscheinen lässt. Darüber hinaus können
die Bewährungsproben 2 bis 5, welche wesentlich ressourcen- und zeitsparender sind, zu
einer diskriminierenden Vorselektion führen und sogar die (kostenintensiveren)
Praxistests überflüssig machen.
23
Tabelle 3: Bewährungsproben
Quelle: Imdorf, 2010: 211, eigene Bearbeitung
Das Zusammentreffen zweier wesentlicher Kriterien der Personalauswahl – Minimierung
des künftigen Störungsrisikos sowie der Kosten des Personalauswahlverfahrens – führt
somit insbesondere in Klein- und Mittelbetrieben, die meist nicht so stark unter der
Beobachtung der Öffentlichkeit stehen und daher weniger um ihr Ansehen fürchten
müssen, oft zu organisationaler Diskriminierung (vgl. Imdorf 2010: 214).
In der Praxis zeigt sich, dass es mitunter bereits durch die in den
Lehrstellenausschreibungen enthaltenen Anforderungen an das Deutschniveau oder die
Staatsbürgerschaft zu einer Vorselektion und somit zu einem Ausschluss ganzer
Bevölkerungsgruppen kommen kann (vgl. Klaus/Halbwirth 2004). Im Auswahlverfahren
legen Unternehmen großen Wert auf das Auftreten und Verhalten der Jugendlichen im
Bewerbungsgespräch. Gutes Benehmen und der persönliche Eindruck werden dabei
durch die schulischen Leistungen ergänzt (vgl. Zeitler 2004). Allerdings kommt in
Österreich der Initiativbewerbung und der „Schnupperlehre“ große Bedeutung zu (vgl.
Zeitler 2004), was den Jugendlichen die Möglichkeit bieten kann, diskriminierende
Abschnitte des Auswahlverfahrens zu vermeiden und sich in einem objektiveren Prozess
bewähren zu können. Es ist denkbar, dass ein Betriebspraktikum oder eine
„Schnupperlehre“ auch die Chancen von Asylwerbern auf eine Lehrstelle erhöhen kann.
4. Asylrechtlicher Rahmen
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit der Situation von Asylwerbern.
Um darzustellen, welcher Personenkreis unter diesen Begriff fällt und wann diese
Eigenschaft beginnt bzw. endet, wird im Folgenden ein kurzer Abriss des Asylverfahrens
gegeben. Dies soll auch helfen, häufig anzutreffende Missverständnisse aufzuklären, die
nicht zuletzt durch die oft in den Medien verwendeten, unterschiedlichen Begriffe
entstehen. Auf eine umfassende Beschreibung des im Asylgesetz 2005 (AsylG 2005)
geregelten österreichischen Asylrechts und auf die Darstellung der besonderen Lage im
Falle von Folgeanträgen (§ 2 Abs. 1 Z. 23 AsylG 2005) oder Sonderverfahren wie etwa
betriebsintern betriebsextern imaginiert
kollektivistische Probe
(wenig zuverlässig)
auf betrieblicher
Erfahrung basierte
Bewährungsprobe (3)
delegierte,
erfahrungsbasierte
Bewährungsprobe (4)
imaginäre
Bewährungsprobe (5)
Individualisierungsgrad
Ort der Bewährungsprobe
betrieblicher Praxistest
(1)
delegierter Praxistest
(2)
--
individualistische Probe
(eher zuverlässig)
24
Familienverfahren (§§ 34 f. AsylG 2005) oder Flughafenverfahren (§§ 31 f. AsylG 2005)
muss verzichtet werden, da dies den Rahmen der Arbeit bei weitem sprengen würde und
im gegebenen Zusammenhang auch nicht relevant ist. Ebensowenig kann auf die
verschiedenen Rechtslagen bzw. Übergangsbestimmungen eingegangen werden. Es
werden vielmehr die wichtigsten, für die Asylwerbereigenschaft bzw. das damit
verbundene Aufenthaltsrecht relevanten Bestimmungen überblicksmäßig dargestellt,
soweit sie für das Verständnis der Zusammenhänge in Hinblick auf den
Forschungsgegenstand relevant sind.
4.1 Einleitung des Verfahrens
Für die Einleitung eines Asylverfahrens in Österreich bedarf es grundsätzlich eines
Antrags auf internationalen Schutz in Österreich, wobei das AsylG 2005 zwischen der
Stellung (§ 17 Abs. 1 AsylG 2005) und der Einbringung (§ 17 Abs. 2 AsylG 2005) des
Antrags unterscheidet (vgl. Schrefler-König, 2014: § 17 Anm. 1). Dies wird vom
Gesetzgeber als notwendig erachtet, da ein Antragsteller vor aufenthaltsbeendenen
Maßnahmen (§ 2 Abs. 1 Z. 27 AsylG 2005; Rückkehrentscheidung: § 52
Fremdenpolizeigesetz (FPG), Anordnung zur Außerlandesbringung: § 61 FPG,
Ausweisung: § 66 FPG, Aufenthaltsverbot: § 67 FPG) geschützt werden muss, sobald er
in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, auch wenn das
Asylverfahren erst begonnen werden kann, wenn der Fremde persönlich erscheint und
seinen Antrag bei der zuständigen Behörde eingebracht hat (vgl. ErläutRV 952). Die
Unterscheidung ist insbesondere deshalb relevant, da der Fremde erst ab der
Einbringung des Antrags auf internationalen Schutz als Asylwerber behandelt wird (siehe
unten 4.2).
Ein Antrag auf internationalen Schutz kann gemäß § 17 Abs. 1 AsylG 2005 bei jedem
Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, bei einer Sicherheitsbehörde oder bei einer
Erstaufnahmestelle gestellt werden. Andere Behörden sind verpflichtet, diese Stellen zu
verständigen, wenn ein Fremder (fälschlicherweise) bei ihnen um Schutz ersucht hat (§
17 Abs. 5 AsylG 2005). Je nach Lage des Falles wird die Stellung eines Antrags auf
internationalen Schutz dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) von der
Erstaufnahmestelle gemeldet und der Fremde kann gegebenenfalls gemäß § 42 Abs. 2
BFA-VG dem Bundesamt vorgeführt werden. Ab der Stellung des Antrags auf
internationalen Schutz genießt der Fremde gemäß § 12 Abs. 1 AsylG 2005 faktischen
Abschiebeschutz, was bedeutet, dass sein Aufenthalt in Österreich zulässig ist und er
25
(außer bei Folgeanträgen; siehe § 12a AsylG 2005) vor Ende seines Asylverfahrens
weder zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden darf.
4.2 Beginn der Asylwerbereigenschaft
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 ist ein Asylwerber:
„ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz […]“.
Der Antrag auf internationalen Schutz gilt gemäß § 17 Abs. 2 AsylG 2005 erst als
eingebracht, wenn er persönlich bei einer Erstaufnahmestelle gestellt wird (vgl. Schrefler-
König, 2014: § 17 Anm. 3). Dies kann auch im Zuge einer Vorführung (siehe oben)
geschehen. Durch die BFA-G-Durchführungsverordnung wurden insgesamt drei derartige
Stellen eingerichtet: Die Erstaufnahmestelle „Ost“ befindet sich in der Betreuungsstelle
des Bundes in Traiskirchen (Niederösterreich), die Erstaufnahmestelle „West“ in der
Betreuungsstelle des Bundes in St. Georgen im Attergau (Oberösterreich). Weiters
besteht die Erstaufnahmestelle „Flughafen“ am Flughafen Wien, Schwechat. In Österreich
geborene Kinder von Asylwerbern, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten
können einen Antrag auf internationalen Schutz auch bei einer Regionaldirektion des
Bundesamts oder einer Außenstelle der Regionaldirektion einbringen (§ 17 Abs. 3 AsylG
2005). Familienangehörigen von Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, die
sich im Ausland befinden und die einen Antrag auf internationalen Schutz stellen
möchten, kann unter gewissen Umständen von den österreichischen
Vertretungsbehörden im Ausland auf Antrag ein Einreisevisum erteilt werden (§ 35 AsylG
2005). Dies betrifft im Wesentlichen minderjährige Kinder, Eltern minderjähriger Kinder,
Ehegatten und eingetragene Partner (zum genauen Umfang des Personenkreises siehe §
35 Abs. 5 AsylG 2005). Auch diese werden somit erst nach ihrer Einreise und der
Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz im Bundesgebiet zu Asylwerbern
(vgl. ErläutRV 330; Schrefler-König, 2014: § 35 Anm. 1, 2).
In § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wird definiert, was unter einem Antrag auf internationalen
Schutz zu verstehen ist. Die Formulierung „Antrag auf internationalen Schutz“ geht dabei
auf Art. 2 lit g der Status- oder Anerkennungsrichtlinie (nunmehr Art. 2 lit. h StatusRL
2011) zurück und soll entsprechende Einheitlichkeit gewährleisten (vgl. ErläutRV 952).
Das AsylG 2005 versteht unter einem Antrag auf internationalen Schutz
„das - auf welche Weise auch immer artikulierte - Ersuchen eines Fremden in
Österreich, sich dem Schutz Österreichs unterstellen zu dürfen; der Antrag gilt
26
als Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und bei
Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als Antrag auf
Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten“ (§ 2 Abs. 1 Z 13
AsylG 2005).
Nach den Bestimmungen des AsylG 2005 sind – anders als in der StatusRL, die auf die
Drittstaatsangehörigkeit abstellt – Angehörige der Mitgliedstaaten nicht ausgeschlossen
(vgl. Frank/Anerinhof et al., 2012: 45; Schrefler-König, 2014: §§ 3 Anm. 1 und § 4a Anm.
1). Gemäß § 2 Abs. 1 Z 20a AsylG 2005, ist nämlich ein Fremder jede Person, die keine
österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Es können daher grundsätzlich auch
Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der europäischen Union Asylanträge in Österreich
stellen.
Für den Antrag ist keine bestimmte Form vorgesehen. Es muss lediglich erkennbar sein,
dass der Antragsteller in Österreich um Schutz vor Verfolgung im Sinne der Genfer
Flüchtlingskonvention (GFK) ersucht (vgl. Frank/Anerinhof, 2012: 45; Schrefler-König,
2014: § 2 Anm. 6). Er kann dies „auf welche Art auch immer“ (ErläutRV 952) tun und
muss sich auch nicht der deutschen Sprache bedienen oder den Antrag schriftlich
formulieren (vgl. Putzer, 2011: RZ 27). Bei der Beurteilung, ob ein Asylantrag vorliegt, ist
„ein großzügiger Maßstab anzulegen“ (VwGH 08.09.1999, 99/01/0248).
Der Antrag gilt sowohl als Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als
auch des subsidiär Schutzberechtigten. Er muss – wie oben ausgeführt – in Österreich
persönlich bei der zuständigen Behörde gestellt bzw. eingebracht werden. Eine
Antragstellung im Ausland ist nicht möglich (vgl. Putzer, 2011: RZ 28).
Mit der Einbringung des Antrags auf internationalen Schutz wird der Fremde zum
Asylwerber (vgl. Schrefler-König, 2014: § 17 Anm. 4).
4.3 Zulassungsverfahren
Mit der Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bei der Erstaufnahmestelle
beginnt das Asylverfahren, das grundsätzlich in dieser geführt wird. Sofern noch keine
Befragung erfolgt ist, wird eine solche binnen 48 (längstens 72) Stunden durch Organe
des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführt. Der Asylwerber erhält eine sogenannte
Verfahrenskarte (§ 50 Abs. 1 AsylG 2005), die ihn zum Aufenthalt in der
Erstaufnahmestelle berechtigt. Diese Karte gewährt ihm auch Zugang zu den Leistungen
der Grundversorgung (siehe unten Pkt. 4.6) und dient darüber hinaus der Dokumentation
27
der Verfahrensschritte bis zum Abschluss des Zulassungsverfahrens. Es werden zu
Beginn des Zulassungsverfahrens verschiedene Verfahrens- und Ermittlungsschritte
gesetzt (§ 29 Abs. 6 AsylG 2005), wie beispielsweise eine erkennungsdienstliche
Behandlung, eine Durchsuchung und gesundheitliche Untersuchungen. Der Asylwerber
wird über den Ablauf des Asylverfahrens in einer ihm verständlichen Sprache, die nicht
seine Muttersprache sein muss (ErläutRV 952), informiert und er wird von einem Organ
des Bundesamtes zu seinem Antrag einvernommen. Er darf (mit einigen Ausnahmen: §
15 Abs. 3b AsylG 2005) bis zum Abschluss dieser Schritte die Erstaufnahmestelle für die
Dauer von 120 Stunden nicht verlassen, wobei diese Frist gegebenenfalls um höchstens
48 Stunden verlängert werden kann (§ 15 Abs. 3a AsylG 2005). Wenn das Bundesamt
nicht beabsichtigt, das Verfahren zuzulassen oder dem Asylwerber den Status des
Asylberechtigten zuzuerkennen, ist ihm dies mitzuteilen. Er wird an einen Rechtsberater
verwiesen und gleichzeitig (vgl. ErläutRV 952) zu einer Einvernahme geladen. Er erhält
eine Aktenabschrift und es erfolgt die Rechtsberatung. Bei der darauf folgenden
Einvernahme, bei der dem Asylwerber das Ergebnis der Beweisaufnahme vorgehalten
wird und in der er selbst seine Fluchtgründe näher schildern und Beweismittel vorlegen
kann, ist der Rechtsberater anwesend. Gemäß § 19 Abs. 5 AsylG 2005 muss bei der
Einvernahme Minderjähriger der gesetzliche Vertreter anwesend sein.
Das Bundesamt kann bereits in der Erstaufnahmestelle inhaltlich über den Antrag auf
internationalen Schutz entscheiden (vgl. Frank/Anerinhof, 2012: S. 710; Schrefler-König,
2014: §§ 28 – 30 Anm. 3; siehe aber § 30 AsylG 2005). Wird eine solche Entscheidung
nicht bereits vor der Zulassung des Verfahrens gefällt, hat das Bundesamt eine
Prognoseentscheidung zu treffen: Es hat nach seinem Wissensstand zu beurteilen, ob der
Antrag auf internationalen Schutz voraussichtlich (wegen Drittstaatssicherheit; Schutz im
EWR-Staat oder in der Schweiz; Zuständigkeit eines anderen Staates aufgrund
vertraglicher Verpflichtung oder der sog. Dublin-Verordnung; res iudicata) zurückzuweisen
sein wird (vgl. ErläutRV 952; Frank/Anerinhof, 2012: S. 710). Ist dies nicht der Fall, wird
das Verfahren zugelassen, indem dem Asylweber eine Aufenthaltsberechtigungskarte (§
51 AsylG 2005) ausgefolgt wird, wobei dies durch die Stattgebung oder Abweisung des
Antrags im Zulassungsverfahren ersetzt werden kann. Die Karte dient zum Nachweis der
Identität des Asylwerbers im Verfahren und der Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts in
Österreich und gilt für die Dauer des Verfahrens. Wird gegen einen im
Zulassungsverfahren abgewiesenen Antrag rechtzeitig Beschwerde erhoben und kommt
dieser aufschiebende Wirkung zu, gilt der Antrag ebenfalls als zugelassen (vgl. Schrefler-
König, 2014: §§ 28 – 30 Anm. 5). Da manche Zurückweisungstatbestände erst später
28
hervorkommen können (vgl. ErläutRV 952), kann auch nach erfolgter Zulassung noch
eine zurückweisende Entscheidung ergehen.
Asylwerber sind gemäß § 13 Abs. 1 AsylG 2005 bis zur Erlassung einer durchsetzbaren
Entscheidung, Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens (siehe unten 4.4) in
Österreich aufenthaltsberechtigt, wobei sie dieses Recht jedoch auch (beispielsweise bei
Straffälligkeit) wieder verlieren können (§ 13 Abs. 2 AsylG 2005).
4.4 Weiteres Verfahren und Entscheidung
Die Prüfung des Antrags erfolgt in zwei Stufen (vgl. Schrefler-König, 2014: § 2 Anm. 5).
Wird der Antrag auf internationalen Schutz nicht zurückgewiesen, prüft das Bundesamt
zunächst, ob dem Asylwerber der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist (dazu
ausführlich Schrefler-König, 2014: § 3). Dies ist gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 dann der
Fall, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1
Abschnitt A Z 2 GFK – d.h. wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu
einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung – droht
und ihm im Herkunftsland keine innerstaatliche Fluchtalternative (§§ 3 Abs. 3 Z 1, 11
AsylG 2005) möglich ist, d.h. er dort nicht zumutbarer Weise in einem anderen Landesteil
Schutz vor Verfolgung finden kann. Der Asylwerber darf auch keinen
Asylausschlussgrund (§§ 3 Abs. 3 Z 2, 6 AsylG 2005; siehe dazu Schrefler-König, 2014: §
6) gesetzt haben. Auch eine amtswegige Zuerkennung des Status des Asylberechtigten
aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen ist möglich (§ 3 Abs. 4 AsylG 2005). Im Falle
einer positiven Entscheidung wird festgestellt, dass dem Fremden die
Flüchtlingseigenschaft zukommt und er kann in Österreich bleiben.
Im Falle, dass nicht festgestellt werden kann, dass dem Fremden im Herkunftsland eine
Verfolgung im Sinne der GFK droht, wird der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des
Status des Asylberechtigten abgewiesen und das Bundesamt prüft, ob dem Asylwerber
gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten
zuzuerkennen ist. Dabei wird geprüft, ob dem Fremden im Falle seiner Rückkehr in den
Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder Art. 3 der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK
(Recht auf Leben, Verbot der Folter und unmenschlicher Behandlung, Abschaffung der
Todesstrafe) drohen würde oder er „als Zivilperson einer ernsthafte Bedrohung des
Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines
internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes“ (§ 8 AsylG 2005) ausgesetzt wäre (dazu
ausführlich Schrefler-König, 2014: § 8). Die Gefahr muss sich wiederum auf das gesamte
29
Staatsgebiet beziehen (innerstaatliche Fluchtalternative, § 11 AsylG 2005), der
Herkunftsstaat muss feststehen (§ 8 Abs. 6 AsylG 2005) und es darf kein
Aberkennungsgrund (§§ 8 Abs. 3a, 9 Abs. 2 AsylG 2005) vorliegen. Wird dem Fremden
der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, erhält er gemäß § 52 Abs. 1
AsylG 2005 eine entsprechende Karte, die seine Identität und Aufenthaltsberechtigung
dokumentiert. Die Aufenthaltsberechtigung gilt zunächst für ein Jahr. Auf Antrag prüft das
Bundesamt, ob die Voraussetzungen danach weiter vorliegen und verlängert die
Aufenthaltsberechtigung diesfalls für jeweils zwei weitere Jahre (§ 8 Abs. 4 AsylG 2005).
Wird weder der Status des Asylberechtigten noch des subsidiär Schutzberechtigten
zuerkannt – wird somit eine negative Entscheidung über den Antrag auf internationalen
Schutz getroffen – und wird auch kein Aufenthaltstitel erteilt, ist die (negative)
Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 mit einer Rückkehrentscheidung oder einer
Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG (siehe dazu
Schrefler-König, 2014: § 10) zu verbinden und der Fremde muss das Bundesgebiet
verlassen.
Gegen eine (negative) Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl kann
der Asylwerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erheben (Art. 130 B-VG).
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts können mit Beschwerde beim
Verfassungsgerichtshof (VfGH) (Art. 144 B-VG) oder (außer)ordentliche Revision beim
Verwaltungsgerichtshof (VwGH) (Art. 133 B-VG)bekämpft werden.
4.4 Ende der Asylwerbereigenschaft
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 besteht die Asylwerbereigenschaft
„[…] bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder
Gegenstandslosigkeit des Verfahrens“.
4.4.1 Rechtskräftiger Abschluss des Verfahrens
Das Verfahren ist rechtskräftig abgeschlossen, wenn der Bescheid nicht mehr mit
ordentlichen Rechtsmitteln bekämpft werden kann (vgl. Hengstschläger/Leeb, 2009: RZ
6). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich um einen letztinstanzlichen
Bescheid handelt, wenn die Rechtsmittelfrist ungenützt verstrichen ist oder die
Beschwerde zurückgezogen wird (vgl. Hengstschläger/Leeb, 2009: RZ 10). Die
Rechtskraft tritt ein mit der Erlassung (rechtswirksame [vgl. Hengstschläger/Leeb, 2009:
30
RZ 10] Zustellung, mündliche Verkündung) des Bescheids und nicht erst mit der
Zurückweisung einer unzulässigen (weil verspäteten) Beschwerde (vgl. Walter et al.,
2011: RZ 455).
Die Einbringung eines außerordentlichen Rechtsmittels ändert nichts am Eintritt der
Rechtskraft, auch wenn diesem aufschiebende Wirkung zukommt (vgl.
Hengstschläger/Leeb, 2009: RZ 9). Wird der Bescheid später durch eine
(höchstgerichtliche) Entscheidung oder aufgrund eines Antrags auf Wiederaufnahme des
Verfahrens (§ 32 VwGVG) oder auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§34 VwGVG)
behoben, lebt die Asylwerbereigenschaft wieder auf (vgl. ErläutRV 952).
4.4.2 Einstellung und Gegenstandslosigkeit des Verfahrens
In bestimmten Fällen kann es zur Einstellung des Asylverfahrens kommen. Dies ist
gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 der Fall, wenn sich ein Asylwerber
„dem Verfahren entzogen hat und eine Entscheidung ohne eine allenfalls
weitere Einvernahme oder Verhandlung nicht erfolgen kann“.
Wann sich ein Asylwerber dem Verfahren entzieht, ist in § 24 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG
2005 geregelt. Dazu ist anzumerken, dass einen Asylwerber gemäß § 15 Abs. 1 AsylG
2005 eine Mitwirkungspflicht im Verfahren trifft. So muss er beispielsweise seinen Antrag
begründen, zu Verfahrenshandlungen und Untersuchungen erscheinen, relevante
Dokumente zur Verfügung stellen und insbesondere seinen Aufenthaltsort mitteilen bzw.
über eine aufrechte Meldung verfügen (vgl. Schrefler-König, 2014: zu § 15 Anm. 2, 4).
Wenn nun der Asylwerber seiner meldegesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommt oder
es unterlässt, der entscheidenden Behörde seinen Aufenthaltsort oder eine Änderung
desselben kundzutun, entzieht er sich dem Verfahren, wenn sein Aufenthaltsort von der
Behörde nicht leicht festgestellt werden kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn
über Abfragen des Zentralen Melderegisters (ZMR) oder des
Betreuungsinformationssystems/Grundversorgungssystems (BIS/GVS) hinausgehende,
aufwendige Ermittlungen gesetzt werden müssen (vgl. ErläutRV 952). Einfache
Recherchen wie beispielsweise eine Nachschau in der Notschlafstelle, wenn der
Asylwerber nie über eine Meldeadresse verfügt hat, können der Behörde zugemutet
werden (vgl. Frank/Anerinhof et al., 2012: S. 689). Weiters entzieht sich ein Asylwerber
dem Verfahren, wenn er das Bundesgebiet freiwillig (also nicht aufgrund einer
gesetzlichen Pflicht [vgl. ErläutRV 952]) verlässt und in ein anderes als sein Herkunftsland
reist.
31
Der maßgebliche Sachverhalt – auch wenn etwa bereits eine Befragung oder
Einvernahme stattgefunden haben sollte – darf noch nicht soweit geklärt sein, dass
alleine auf dieser Grundlage und ohne eine weitere Befragung des Asylwerbers eine
Entscheidung getroffen werden kann (vgl. ErläutRV 952; Frank/Anerinhof et al., 2012: S.
680).
Sind diese beiden Voraussetzungen erfüllt, wird das Verfahren von der Behörde
eingestellt. Damit verliert der Asylwerber die Asylwerbereigenschaft (vgl. Frank/Anerinhof,
2012: S. 679; Schrefler-König, 2014, zu § 24 Anm. 1). Sobald es (wieder) möglich wird,
den maßgeblichen Sachverhaltes festzustellen, hat die Behörde das Verfahren von Amts
wegen fortzusetzen, wobei eine Fortsetzung allerdings nach Ablauf von zwei Jahren ab
Einstellung nicht mehr zulässig ist, sodass ein neuerlicher Antrag auf internationalen
Schutz gestellt werden muss (vgl. ErläutRV 952). Zur Fortsetzung des Verfahrens kommt
es regelmäßig, wenn der Antragsteller der Behörde eine aktuelle Meldeadresse mitteilt
oder nach seinem Aufgriff durch Sicherheitsbeamte.
Die Einstellung bewirkt unter anderem, dass der Asylwerber sein Aufenthaltsrecht verliert
(§ 13 Abs. 1 AsylG 2005). Der faktische Abschiebeschutz bleibt jedoch gemäß § 12 Abs.
1 AsylG 2005 bis zum Ablauf der zweijährigen Frist aufrecht. Im Falle der Einstellung
durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl kann dieses gemäß § 34 Abs. 4 BFA-
VG die Festnahme des Asylwerbers anordnen. Gegebenenfalls wird ein Verfahren zur
Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet (§ 27 Abs. 1 Z 2 AsylG
2005). Es ist davon auszugehen, dass im Falle einer späteren Fortsetzung das Verfahren
wieder zugelassen ist, der Antragsteller wieder als Asylwerber anzusehen ist und die
Aufenthaltsberechtigung wieder auflebt (vgl. Frank/Anerinhof, 2012: S. 680).
Gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz unter
anderem als gegenstandslos abzulegen, „wenn der Fremde freiwillig in den
Herkunftsstaat abreist“ und zwar mit dem Zeitpunkt seiner Ausreise. Auch hier muss die
Ausreise ohne behördlichen oder gesetzlichen Druck stattfinden (vgl. Frank/Anerinhof,
2012: S. 680). Die übrigen in § 25 Abs. 1 AsylG 2005 genannten Fälle der
Gegenstandslosigkeit (keine persönliche Einbringung bei der Erstaufnahmestelle binnen
14 Tagen, ausschließlich schriftlicher Antrag, Abschiebung bei Folgeantrag) sind für
Asylwerber nicht relevant, weil sie sich im Wesentlichen auf die Situation vor Einbringung
eines Antrags auf internationalen Schutz beziehen. Eine Fortsetzung des Verfahrens ist
im Falle der Gegenstandslosigkeit nicht möglich.
32
4.5 Bedeutung von Ausbildung und Erwerbstätigkeit
Bei der Entscheidung der Behörden über die Zulässigkeit der Rückkehr eines
Asylwerbers, dessen Antrag sowohl hinsichtlich der Gewährung von Asyl als auch von
subsidiärem Schutz zuerkannt wurde, in sein Heimat- oder Herkunftsland ist gemäß § 9
Abs. 1 BFA-VG auf dessen durch Art. 8 Abs. 2 EMRK geschütztes Privat- und
Familienleben Rücksicht zu nehmen. Der EGMR versteht unter Privatleben alle
„persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines
jeden Menschen konstitutiv sind“ (Chvosta, 2007: 853). Die Behörde hat neben den
anderen, in § 9 Abs. 2 BFA-VG demonstrativ aufgelisteten Faktoren auch den Grad der
Integration (§ 9 Abs. 2 Z. 4 BFA-VG) der betreffenden Person in Österreich zu
berücksichtigen. Diesbezüglich betonen VwGH und VfGH unter anderem auch den
Aspekt der Selbsterhaltungsfähigkeit (vgl. Chvosta, 2007: 858) und die damit in
Zusammenhang stehende Bedeutung einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit (z.B. VwGH
20. 4. 2006, 2005/18/0560; zur beruflichen Integration jüngst etwa VfGH 06.06.2014, U
1313/2013 und VfGH 19.09.2014, U 2377/2012-14). Bei Minderjährigen fällt eine Schul-
oder Berufsausbildung positiv ins Gewicht (vgl. VfSlg 16.657/2002; VwGH 19. 10. 1999,
99/18/0342 u.a; jüngst auch BVwG 29.09.2014, W161 1430391-1/5E).
4.6 Grundversorgung
Die Unterbringung und Versorgung von Asylwerbern erfolgt in Österreich im Rahmen der
Grundversorgung. Diese ist in der aufgrund Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und den
Ländern abgeschlossenen Grundversorgungsvereinbarung vorgesehen. Für die
Betreuung im Bereich des Bundes (Bundesbetreuung) und der Länder bestehen darüber
hinaus eigene bundes- und landesgesetzliche Regelungen (Grundversorgungsgesetz-
Bund; z.B. Wiener Grundversorgungsgesetz). Grundsätzlich lässt sich sagen, dass
Asylwerber bis zur Zulassung ihres Verfahrens in Österreich in Bundesbetreuung stehen
(Erstaufnahme, Art. 3 Abs. 1 Grundversorgungsvereinbarung), während danach die
Zuständigkeit auf das jeweilige Bundesland übergeht, dem der Asylwerber zugewiesen
wurde. Bund und Länder teilen sich die Kosten der Grundversorgung (Art. 11
Grundversorgungsvereinbarung). Sie können sich zur Erfüllung dieser Aufgaben
humanitärer, kirchlicher oder privater Einrichtungen oder Institutionen der freien
Wohlfahrtspflege bedienen (Art. 3 Abs. 5 und 4 Abs. 3 Grundversorgungsvereinbarung).
Gemäß Art. 9 Grundversorgungsvereinbarung und § 1 Abs. 4 und 5
Grundversorgungsgesetz-Bund sind drei Arten von Betreuungseinrichtungen vorgesehen:
kollektive Erstaufnahmestellen/Durchgangszentren, organisierte Unterkünfte (inklusive
33
besondere Betreuungseinrichtungen für unbegleitete Minderjährige) und individuelle
Unterbringungen in Privatquartieren, wobei diese Möglichkeit jedoch nur in den
Bundesländern gegeben ist (vgl. Koppenberg, 2014: 36). Während in den Bundesländern
Asylwerber großteils in Privatunterkünften untergebracht sind, übernehmen in Wien diese
Aufgaben ausschließlich NGOs und kirchliche Einrichtungen. Hier wird auch die
Grundversorgung für individuell untergebrachte Asylwerber von der Caritas Wien
abgewickelt (vgl. Koppenberg, 2014: 21). Die Asylwerber werden gemäß Art. 3 Abs. 2 Z. 1
Grundversorgungsvereinbarung von der Koordinationsstelle im Bundesministerium für
Inneres in Übereinstimmung mit der im jeweiligen Bundesland zuständigen Behörde (in
Wien: "Grundversorgung Wien Landesleitstelle" des Fonds Soziales Wien) einer
Betreuungseinrichtung zugewiesen, wobei dieser Einrichtung jedoch kein Mitspracherecht
zukommt (vgl. Koppenberg, 2014: 37).
Die Leistungen, die im Rahmen der Grundversorgung bezogen werden können, umfassen
im Wesentlichen Unterbringung, Verpflegung, Bekleidung (maximal 150,- EUR pro Jahr),
Taschengeld (40,- EUR pro Monat), medizinische Versorgung, Beratung, Kosten in
Verbindung mit einem Schulbesuch und Unterstützung bei freiwilliger Rückkehr (Art. 6
Grundversorgungsvereinbarung). Ein nicht in einer organisierten Unterkunft
untergebrachter Asylwerber erhält somit rund 330,- EUR pro Monat für Miete, Heizung,
Strom, Essen etc. (Art. 6 Grundversorgungsvereinbarung; eigene Berechnung).
Für unbegleitete minderjährige Asylwerber bestehen gesonderte Regelungen: In Art. 7
Grundversorgungsvereinbarung ist vorgesehen, dass für sie weitergehende Leistungen
gewährt werden. Dadurch soll eine psychische Festigung erreicht und eine
Vertrauensbasis geschaffen werden. Sie erhalten Unterstützung bei der
Tagesstrukturierung, der Identitäts- und Altersfeststellung, der Suche nach
Familienangehörigen, der Integration in Österreich und bei der Schul- und Ausbildung.
Wenn nötig, erhalten sie sozialpädagogische und psychologische Unterstützung. Ihre
Unterbringung erfolgt je nach Betreuungsbedarf in Wohngruppen (bei besonders hohem
Betreuungsbedarf), Wohnheimen (für nicht selbstversorgungsfähige) und im Rahmen des
Betreuten Wohnens für diejenigen, die sich unter Anleitung selbst versorgen können. Die
Kostensätze für unbegleitete Minderjährige in organisierten Unterkünften sind je nach Art
der Unterkunft höher (Art. 9 Z. 7 Grundversorgungsvereinbarung). Darüber hinaus stehen
ihnen gemäß Art. 9 Z. 13 Grundversorgungsvereinbarung 200 Unterrichtseinheiten für
einen Deutschkurs zu.
Wenn der Asylwerber (beispielsweise durch ein eigenes Einkommen) über finanzielle
Mittel verfügt, wird dies auf den Grundversorgungsbetrag angerechnet oder die
34
Grundversorgungsleistungen werden als Teilleistungen erbracht (6 Abs. 2
Grundversorgungsvereinbarung, § 3 Abs. 2 Grundversorgungsgesetz-Bund). Übersteigt
das Einkommen den Grundversorgungsbetrag, endet die Grundversorgung. Ein
Einkommen von circa 100,- EUR im Monat wird in der Praxis toleriert (vgl. Koppenberg,
2014: S. 30).
5. Lehrausbildung allgemein
Nach Erfüllung der neunjährigen Schulpflicht (§ 2 Abs.1 Kinder- und Jugendlichen-
Beschäftigungsgesetz) kann in Österreich die berufliche Ausbildung Jugendlicher im
Rahmen einer Lehre erfolgen. Bei der Lehre handelt es sich um eine duale Ausbildung,
bei der die Jugendlichen einerseits in einem Betrieb praktische Kompetenzen,
andererseits durch den Besuch einer Berufsschule fachtheoretisches Wissen vermittelt
bekommen. Die Lehrausbildung ist im Berufsausbildungsgesetz (BAG) geregelt: Gemäß §
1 BAG werden Lehrlinge auf Grund eines Lehrvertrages in bestimmten Berufen (§§ 5, 7
Abs. 1 BAG) fachlich ausgebildet und im Rahmen dieser Ausbildung verwendet, wobei die
Ausbildungsdauer in der Regel drei Jahre beträgt (§ 6 BAG). Der Besuch der
Berufsschule ist gemäß § 20 Abs. 1 Z. 1 Schulpflichtgesetz 1985 für jede Person mit
einem gültigen Lehrvertrag verpflichtend und daher unabhängig von Deutschkenntnissen
oder schulischer Vorbildung. Diese Zeit gilt als Arbeitszeit und die Lehrlingsentschädigung
wird auch für diese Zeiten ausbezahlt (§§ 9 Abs. 5, 17 Abs. 2 BAG).
Durch den Abschluss des Lehrvertrages wird ein Arbeitsverhältnis begründet und die
Lehrlinge sind damit nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) kranken-,
unfall-, pensions- und unter bestimmten Bedingungen auch arbeitslosenversichert. Es
handelt sich daher um die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, für die auch eine sog.
Lehrlingsentschädigung gebührt, deren Höhe meist kollektivvertraglich geregelt ist (§ 17
Abs. 1 BAG). Sie beträgt beispielsweise für kaufmännische Lehrlinge im Hotel- und
Gastgewerbe in Wien ab 01.09.2014 604,- EUR im 1. Lehrjahr (vgl. ÖGB 2014).
6. Arbeitsmarktzugang für Asylwerber
Da es für die Aufnahme einer Lehrausbildung somit notwendig ist, in Österreich legal
einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können, wird im Folgenden der bestehende
rechtliche Rahmen in Bezug auf den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber erläutert.
Es werden zunächst die Grundlagen dargestellt, auf denen das Recht von Asylwerbern
basiert, einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Um die Voraussetzungen
darzustellen, die Asylwerber (wie andere Ausländer auch) hinsichtlich der Ausübung einer
35
Erwerbstätigkeit erfüllen müssen, und die damit verbundenen Hürden anschaulich zu
machen, wird ein Überblick über die in Österreich gültigen Bestimmungen hinsichtlich der
Ausländerbeschäftigung gegeben.
Sodann wird auf die spezifischen rechtlichen Möglichkeiten eingegangen, im Rahmen
derer junge Asylwerber in Österreich bzw. in Wien eine Lehrausbildung absolvieren
können.
6.1 Internationale Grundlagen
Das Recht auf Arbeit ist ein grundsätzliches Menschenrecht und als solches auch in Art.
23 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthalten:
„Everyone has the right to work, to free choice of employment, to just and
favourable conditions of work and to protection against unemployment.”
(Universal Declaration of Human Rights 1948).
Wenn auch heute teilweise die Ansicht vertreten wird, dass der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte Rechtsverbindlichkeit zukomme, ist diese als eine Resolution der
Generalversammlung der Vereinten Nationen für die Staatengemeinschaft nach
herrschender Meinung rechtlich nicht bindend (vgl. Nettesheim 2009: 191f.). Das
Grundrecht auf Arbeit hat jedoch in der Folge insbesondere aufgrund zweier
internationaler Verträge Eingang in die österreichische Rechtsordnung gefunden:
In Teil III, Art. 6 Abs. 1 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte anerkennen die Vertragsstaaten
„das Recht auf Arbeit, welches das Recht jedes Einzelnen auf die
Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene
Arbeit zu verdienen, umfasst“ (Internationaler Pakt über wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte 1978).
Teil II, Art. 1 der Europäischen Sozialcharta normiert das Recht auf Arbeit, wobei Teil I,
Art. 1 die Vertragspartner verpflichtet, die entsprechenden Voraussetzungen zur
Gewährleistung der tatsächlichen Ausübung dieses Rechts zu schaffen:
„Jedermann soll die Möglichkeit haben, seinen Lebensunterhalt durch eine frei
übernommene Tätigkeit zu verdienen.“ (Europäische Sozialcharta 1970)
36
Dieses Recht gilt gemäß § 1 des Anhangs zur europäischen Sozialcharta 1970 für alle
legal in einem anderen Vertragsstaat der Europäischen Sozialcharta aufhältigen
Staatsangehörigen.
6.2 EU-Recht
Die Richtlinie (RL) 2013/33/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni
2013 legt Mindestnormen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz
beantragen, in den Mitgliedstaaten der EU fest (Aufnahmerichtlinie, Neufassung).
Die Aufnahmerichtlinie stellt in Art. 2 lit. a auf das Vorliegen eines Antrags auf
internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 lit. h der Richtlinie 2011/95/EU
(Anerkennungsrichtlinie) ab, über den noch nicht endgültig entschieden wurde (Art. 2 lit. b
RL 2013/33/EU). Ein solcher Antrag liegt demnach vor, wenn ein Antrag eines
Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus gerichtet ist und nicht ausdrücklich um
eine andere Form des Schutzes ersucht wird (Art. 2 lit. h RL 2011/95/EU).
Diese Aufnahmerrichtlinie enthält keine Legaldefinition des Begriffs
„Drittstaatsangehöriger“. Sie verweist jedoch auf die Richtlinie 2008/115/EG des
europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame
Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger
Drittstaatsangehöriger, welche in Art. 3 auf das Nichtvorliegen der Unionsbürgerschaft
und des Gemeinschaftsrechts auf freien Personenverkehr gemäß Art. 2 Absatz 5 des
Schengener Grenzkodex abstellt.
Unionsbürger wiederum sind gemäß Art. 20 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union (AEUV) alle jene Personen, die die Staatsangehörigkeit eines
Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen.
Staatenlose sind Personen ohne Staatsangehörigkeit. Nach Kap. I Art. 1 Abs. 1 des
Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954
gelten als staatenlos jene Personen, die von keinem Staat aufgrund nationalen Rechts als
seine Staatsangehörigen angesehen werden.
Die Aufnahmerichtlinie überlässt es weitgehend den Mitgliedstaaten, den Zugang von
Asylwerbern zu Beschäftigung und Bildung zu regeln. Nach Art. 15 Abs. 1 RL 2013/33/EU
müssen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass Asylwerber spätestens nach neun
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  • 1. Die Lehrausbildung junger Asylwerber/-innen in Wien Möglichkeiten und Herausforderungen Master Thesis zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science Universitätslehrgang Migration Studies eingereicht am Department für Migration und Globalisierung Donau-Universität Krems von Mag. Birgit Karger Mat. Nr. 8603544 Krems, Jänner 2015 Betreuerin: MMag. Isabella Skrivanek
  • 2. Eidesstattliche Erklärung Ich, Mag. Birgit Karger, geboren am 15.4.1968 in Wien, erkläre, 1. dass ich meine Master Thesis selbständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfen bedient habe, 2. dass ich meine Master Thesis bisher weder im In- noch im Ausland in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe, 3. dass ich, falls die Thesis meine arbeitgebende Institution betrifft, meinen Arbeitgeber über Titel, Form und Inhalt der Master Thesis unterrichtet und sein Einverständnis eingeholt habe. Wien, 31.Jänner 2015 ……………………………………………………………………..
  • 3. Danksagung Ich bedanke mich bei meinen Interviewpartnern, bei MMag. Isabella Skrivanek für die kompetente und engagierte Betreuung und die zahlreichen nützlichen Hinweise, bei Mag. Dr. Rita-Maria Kirschbaum und Margaret Zaidan für das Korrekturlesen sowie bei DI Herbert Karger für die Unterstützung bei der Formatierung. Diese Arbeit ist Bernhard Grösel gewidmet. Anmerkung zu gendergerechter Formulierung: Bei allen Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, betrifft die gewählte Formulierung beide Geschlechter, auch wenn aus Gründen der leichteren Lesbarkeit die männliche Form gewählt wurde.
  • 4. Abstract Jedes Jahr kommen zahlreiche junge Menschen auf der Suche nach Schutz und besseren Lebensbedingungen nach Österreich, wo sie oft lange auf eine Entscheidung in ihren Asylverfahren warten. Asylwerber haben in Österreich nur sehr beschränkt Zugang zum Arbeitsmarkt. Um ihrem besonderen Bedürfnis nach Ausbildung Rechnung zu tragen, wurde im Jahr 2012 für junge Asylwerber die Möglichkeit geschaffen, in Österreich eine Lehrausbildung zu absolvieren. In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, inwieweit junge Asylwerber in Wien diese Möglichkeit nützen können und welche Herausforderungen bzw. Chancen bestehen. Dafür werden zunächst die asylrechtlichen Zusammenhänge kurz erklärt und die rechtlichen Gegebenheiten hinsichtlich des Arbeitsmarktzuganges von (jungen) Asylwerbern analysiert. Welche strukturellen und individuellen Faktoren bestimmend dafür sind, ob junge Asylwerber in Wien tatsächlich eine Lehre beginnen können, wird anhand der Ergebnisse von Experteninterviews herausgearbeitet. Every year a large number of young people come to Austria in search of international protection or a better livelihood. Often it takes a long time for the authorities to process their asylum claims. In Austria, asylum seekers have a very restricted access to the labour market. In 2012, the Austrian government decided to offer young asylum seekers access to apprenticeship training, to help meet their need for training and education. This paper examines to what extent young asylum seekers in Vienna can take advantage of this provision and what obstacles and opportunities they may encounter. The legal framework of international protection and employment of foreign nationals in Austria is analyzed and explained. Based on expert interviews the structural and individual factors that determine whether young asylum seekers can start an apprenticeship in Vienna, are identified.
  • 5. Abkürzungsverzeichnis Abb. Abbildung Abs. Absatz AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AK Arbeiterkammer AMS Arbeitsmarktservice Anm. Anmerkung Art. Artikel ASVG Allgemeines Sozialversicherungsgesetz AsylG Asylgesetz BAG Berufsausbildungsgesetz Bd. Band BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl BGBl. Bundesgesetzblatt BIS Betreuungsinformationssystem BMASK Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz BMI Bundesministerium für Inneres BMWA Bundesministerium für Wirtschaftliche Angelegenheiten B-VG Bundesverfassungsgesetz BVwG Bundesverwaltungsgericht ErläutRV Erläuterungen zur Regierungsvorlage et al. und andere EU Europäische Union EUR Euro EWR Europäische Wirtschaftsraum FPG Fremdenpolizeigesetz G Gesetz GFK Genfer Flüchtlingskonvention GP Gesetzgebungsperiode GPA-djp Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier GVS Grundversorgungssystem HSV Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger I Interview idF in der Fassung lit. Buchstabe MA Magistratsabteilung mVa mit Verweis auf NGO Nichtregierungsorganisation ÖGB Österreichischer Gewerkschaftsbund RL Richtlinie RZ Randzahl Teilbd. Teilband UMF unbegleitete minderjährige Flüchtlinge UNHCR Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge VfGH Verfassungsgerichtshof VfSlg Verfassungssammlung VG Verfahrensgesetz VwGH Verwaltungsgerichtshof WKO Wirtschaftskammer Österreich ZMR Zentrales Melderegister
  • 6. Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ….………………………………………………………………………………….1 1.1 Problemstellung....................................................................................................... 1 1.2 Aufbau..................................................................................................................... 4 2. Methodik...................................................................................................................... 5 3. Herausforderungen für junge Asylwerber am Lehrstellenmarkt............................. 9 3.1 Benachteiligung von jungen Migranten in der Lehrausbildung................................. 9 3.2 Ethnische Segmentierung des Arbeitsmarktes .......................................................10 3.2.1 Das neoklassische (orthodoxe) Modell.............................................................12 3.2.2 Die Humankapitaltheorie..................................................................................12 3.2.3 Die Segmentationstheorie................................................................................13 3.2.4 Das Insider – Outsider-Modell..........................................................................14 3.2.5 Benachteiligung von Migranten am Arbeitsmarkt in Österreich ........................16 3.3 Die Lehrlingsauswahl in den Betrieben...................................................................18 4. Asylrechtlicher Rahmen............................................................................................23 4.1 Einleitung des Verfahrens ......................................................................................24 4.3 Zulassungsverfahren..............................................................................................26 4.4 Weiteres Verfahren und Entscheidung ...................................................................28 4.4 Ende der Asylwerbereigenschaft ............................................................................29 4.4.1 Rechtskräftiger Abschluss des Verfahrens.......................................................29 4.4.2 Einstellung und Gegenstandslosigkeit des Verfahrens.....................................30 4.5 Bedeutung von Ausbildung und Erwerbstätigkeit....................................................32 4.6 Grundversorgung ...................................................................................................32 5. Lehrausbildung allgemein.........................................................................................34 6. Arbeitsmarktzugang für Asylwerber.........................................................................34
  • 7. 6.1 Internationale Grundlagen......................................................................................35 6.2 EU-Recht................................................................................................................36 6.3 Österreich...............................................................................................................38 6.3.1 Überblick Ausländerbeschäftigung...................................................................38 6.3.2 Beschäftigungsbewilligung...............................................................................39 6.3.3 Arbeitsmarktprüfung (Ersatzkraftverfahren)......................................................40 6.4 Beschäftigung von Asylwerbern in Österreich ........................................................41 7. Junge Asylwerber in Wien und Lehre ......................................................................43 7.1 Rechtlicher Rahmen...............................................................................................43 7.2 Formale Voraussetzungen für den Beginn einer Lehre...........................................44 7.3 Herausforderungen und Chancen...........................................................................45 7.3.1 Stellenwert von Ausbildung und Beschäftigung................................................46 7.3.2 Information der Asylwerber ..............................................................................48 7.3.3 Information der Betriebe...................................................................................50 7.3.4 Schulbildung ....................................................................................................50 7.3.5 Deutschkenntnisse...........................................................................................52 7.3.6 Diskriminierung am Arbeitsmarkt .....................................................................53 7.3.7 Wirtschaftliche Aspekte....................................................................................54 7.3.8 Rechtliche Regelungen....................................................................................55 8. Schlussfolgerungen ..................................................................................................56 9. Tabellenverzeichnis...................................................................................................61 10. Literaturverzeichnis.................................................................................................62 11. Verzeichnis der Rechtsquellen ...............................................................................68 Anhang ...........................................................................................................................71
  • 8. 1 1. Einleitung 1.1 Problemstellung Die Frage des freien Zugangs zum Arbeitsmarkt für Asylwerber ist immer wieder Thema in den Medien und in der politischen wie juristischen Diskussion. Spätestens seit der „Besetzung“ der Wiener Votivkirche um den Jahreswechsel 2012/13 ist die Frage der rechtlichen Möglichkeiten für Asylwerber, während des laufenden Asylverfahrens einer legalen Beschäftigung nachzugehen, auch in den Medien präsent. Öffentlichkeitswirksam forderten damals Asylwerber wie Flüchtlingsorganisationen unter anderem auch einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber. So findet sich auf der Homepage der Initiative Refugee Protest Camp Vienna folgende „dringende Forderung" vom 24. November 2012: „Wir brauchen eine Arbeitserlaubnis. Wir wollen für uns selbst sorgen. Wir wollen nicht vom Staat abhängig sein. Wir verlangen, dass man uns unsere Würde als Menschen zurückgibt.“ (Refugeecampvienna 2012) Schon zuvor hatten sich verschiedenste Organisationen mit dem Thema beschäftigt und nicht nur die tatsächlichen sondern insbesondere auch die rechtlichen Schwierigkeiten, denen Asylwerber in Hinblick auf eine Erwerbstätigkeit unterliegen, thematisiert. So bildete die soziale Integration von Asylwerbern in dem im Jahr 2000 von der Europäischen Kommission zur Verringerung von Diskriminierung am Arbeitsmarkt initiierten Programms EQUAL einen thematischen Schwerpunkt (vgl. Europäische Kommission 2005: 4, 60f.). In Österreich versuchten die EQUAL-Projekte EPIMA und EPIMA 2 (vgl. Integrationshaus o.J.) von 2002 – 2007 nicht nur durch Qualifizierungsmaßnahmen sondern auch durch Öffentlichkeitsarbeit eine Verbesserung der Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit speziell für junge Asylwerber herbeizuführen. Immer wieder treten auch Gewerkschafter und Politiker für eine Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Asylwerber ein. So herrschte bei der Arbeitstagung von EPIMA 2 im Dezember 2006 über Parteigrenzen hinweg die Meinung, dass eine Öffnung des Arbeitsmarktes nicht nur wünschenswert sondern sogar insgesamt für den Arbeitsmarkt förderlich sei. Elisabeth Mitter vom Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB), Referat für Bildung, verwies damals auf die am 15. Bundeskongress des ÖGB im Oktober 2003 einstimmig angenommene Position, wonach der ÖGB für eine totale Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber eintrete. Dieser Position schloss sich Margit Kreuzhuber von der Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) an. Hermann Deutsch (damals Bundesministerium für Wirtschaftliche Angelegenheiten [BMWA], Abteilung Ausländerbeschäftigung), Friedrich Kinzlbauer (damaliger Leiter der Abteilung III/5 des Bundesministeriums für Inneres [BMI]) und
  • 9. 2 Joseph Wallner (damaliger Leiter der Abteilung für Soziales der Wiener Arbeiterkammer [AK Wien]), sprachen sich ebenfalls für eine Erweiterung der Beschäftigungsmöglichkeiten für Asylwerber aus (vgl. EPIMA 2006). Insbesondere Gewerkschaften, aber auch Parteien und Hilfsorganisationen treten nach wie vor für eine Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber ein. Im Zuge der Proteste rund um die Votivkirche gab es beispielsweise eine entsprechende Initiative der Sozialistischen Jugend und der Volkshilfe. Ende 2012 bekräftigte die Bundesgeschäftsführerin der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp), dass Asylbewerber ein Recht auf Beschäftigung hätten und dass dieses im Interesse aller sei, da undokumentierte Arbeit zum Unterlaufen kollektivvertraglicher Standards führe (vgl. ÖGB 2012). Auch die Volksanwaltschaft setzte sich jüngst für einen erleichterten Arbeitsmarktzugang für Asylwerber ein und leitete diesbezüglich im Jahr 2013 ein Prüfverfahren ein, wobei insbesondere auf die unzureichende Datenlage betreffend die Qualifikationen von Asylwerbern hingewiesen und die Ausweitung von gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten angeregt wurde (vgl. Volksanwaltschaft 2014: 143). In der Diskussion werden nicht nur ökonomische oder soziale Argumente ins Treffen geführt. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit kann auch Auswirkungen auf den Ausgang eines Asylverfahrens haben, da ihr im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat bzw. der Erteilung eines Aufenthaltstitels durchaus Bedeutung zukommen kann. Dies gilt insbesondere, wenn sich ein Asylwerber schon lange in Österreich aufhält. Eine Rückkehr ist nämlich nur zulässig, wenn dabei das Recht des Einzelnen auf sein Familien- und Privatleben (Art. 8 EMRK) gewahrt wird. Die entscheidende Behörde muss daher eine Abwägung zwischen den Interessen des Asylwerbers an seinem Verbleib in Österreich und dem öffentlichen Interesse an seiner Ausreise vornehmen. Als Maßstab einer solchen Interessenabwägung wird auch der Grad der Integration herangezogen. Dabei ist eine etwaige Erwerbstätigkeit oder die Absolvierung einer Ausbildung in Österreich zu Gunsten des Asylwerbers zu berücksichtigen (siehe dazu unten 4.5). Zwar haben Asylwerber in Österreich grundsätzlich unter bestimmten Bedingungen Zugang zum Arbeitsmarkt, de facto ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für sie jedoch nur sehr eingeschränkt gegeben. Die Möglichkeiten, durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit eine erfolgreiche Integration darzulegen, sind somit stark limitiert. Für junge Asylwerber im Ausbildungsalter hat sich die Situation seit dem Jahr 2012 in einem Bereich verbessert: Bis 2012 hatten sie kaum Zugang zu dem in Österreich traditionellen Ausbildungsweg für eine Facharbeiterausbildung – die Lehre. Da nämlich
  • 10. 3 mit der Aufnahme einer Lehre ein Arbeitsverhältnis begründet wird, benötigen diese Jugendlichen einen Zugang zum Arbeitsmarkt. Seit 2012 ist es jugendlichen Asylwerbern unter bestimmten Bedingungen gestattet, ein Lehrverhältnis einzugehen. Dies stellt für sie eine weitere Möglichkeit einer legalen Erwerbstätigkeit (in Kombination mit einer Ausbildung) dar. Da für junge Asylwerber die Möglichkeit, eine Lehre zu absolvieren, erst seit dem Jahr 2012 besteht, gibt es zu diesem Thema noch keine Erhebungen. In der Schriftenreihe des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte wird lediglich auf die rechtliche Möglichkeit eines Lehrverhältnisses für junge Asylwerber hingewiesen (vgl. Mayrhofer 2013). Die Literatur betreffend (junge) Asylwerber beschränkt sich im Übrigen oft auf die rechtlichen Aspekte insbesondere des Asylverfahrens oder behandelt lediglich Teilbereiche (vgl. Böckmann 2011, Fronek 2010, Fronek/Messinger 2002, Lukits 2012, Mayrhofer 2013, Pirker 2010, Suhsmann 2012). Was die Frage des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Asylwerber betrifft, rückte diese in den letzten Jahren nicht zuletzt auch durch die medial sehr präsenten Proteste auch in der akademischen Diskussion vermehrt in den Fokus der Aufmerksamkeit. Dieses Thema wird in akademischen Arbeiten (teilweise am Rande) und auch in der Schriftenreihe des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte behandelt (vgl. Ammer 2011, Ammer o.J., Filzmoser 2012, Mayrhofer o.J., Pirker 2010, Wehinger 2012). Eine diesbezügliche europaweite Erhebung enthält keine Informationen über die Situation in Österreich (vgl. EMN 2013). Auf das Thema Integration von Asylwerbern wird großteils als Teilaspekt von Migration eingegangen, wobei dieser Bereich auch unter dem Gesichtspunkt der Integration am Arbeitsmarkt und der Bedeutung von Erwerbstätigkeit für die Integration beleuchtet wird (vgl. Huber 2010, Kapeller/Sprung 2002, Kaufmann 2009, Kreuzer 2012, Kucera 2011, Stolzlechner 2007, Volf 2001, Wolf-Maier 2009, Riesenfelder 2011). Ziel dieser Arbeit ist es zu untersuchen, inwiefern es jungen Asylwerbern mit den seit 2012 bestehenden Rahmenbedingungen tatsächlich möglich ist, eine Lehre zu absolvieren. Die forschungsleitenden Fragestellungen sind dabei:  Welche tatsächlichen Möglichkeiten haben junge Asylwerber in Wien, eine Lehre zu absolvieren?  Wie groß ist der in Frage kommende Personenkreis? Wie viele absolvieren bereits eine Lehre?  Welche Faktoren, Rahmenbedingungen und/oder Akteure waren ausschlaggebend, dass sie eine Lehrstelle gefunden haben?
  • 11. 4  Welche strukturellen und/ oder individuellen Schwierigkeiten bestehen? Die Ergebnisse können einerseits Hinweise darauf geben, wie die Chancen von jungen Asylwerbern auf eine Lehrstelle erhöht werden können bzw. welche Maßnahmen in diesem Bereich seitens der Flüchtlingsbetreuer aber auch seitens anderer involvierter Stellen sinnvollerweise gesetzt werden könnten. Nicht zuletzt kann die Beurteilung der tatsächlichen Möglichkeiten von jungen Asylwerbern im Bereich Bildung bzw. Erwerbstätigkeit den Entscheidungsträgern im Asylverfahren eine Orientierungshilfe sein. 1.2 Aufbau Nach einer kurzen Darstellung der angewandten Methodik (Kapitel 2.) wird zunächst in Kapitel 3. auf die Herausforderungen eingegangen, denen junge Asylwerber (wie alle jungen Migranten) am Lehrstellenmarkt gegenüberstehen, wobei die diesbezüglichen theoretischen Ansätze erläutert werden. Dabei wird insbesondere auf die ethnische Segmentierung des Arbeitsmarktes und die bei der Lehrlingsauswahl durch die Betriebe wirksamen Mechanismen eingegangen. Da sich die vorliegende Arbeit ausschließlich auf Asylwerber, d.h. auf Personen bezieht, die sich im Asylverfahren befinden und die in Österreich noch nicht Asyl oder subsidiären Schutz erhalten haben, ist es nötig, die Gruppe der betroffenen Personen zu definieren. In Kapitel 4. wird daher ein Überblick über das Asylverfahren gegeben. Es wird anhand der gesetzlichen Bestimmungen dargelegt, ab welchem Zeitpunkt eine Person als Asylwerber anzusehen ist und wann diese Eigenschaft endet. Ebenso wird auf die daran anknüpfenden Rechtsfolgen insbesondere hinsichtlich des Aufenthaltsstatus und der staatlichen Versorgung eingegangen. Ergänzend wird kurz auf die Bedeutung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Rahmen des Asylverfahrens hingewiesen. In Kapitel 5. folgt ein kurzer Abriss über die Lehrausbildung in Österreich. Daran anknüpfend beschäftigt sich Kapitel 6. mit der Frage des Arbeitsmarktzuganges, dem angesichts des dualen Charakters der Lehrausbildung für die Aufnahme eines Ausländers als Lehrling entscheidende Bedeutung zukommt. Zur Beurteilung der Lage von Asylwerbern, ist es zunächst notwendig, einen Überblick über die Bestimmungen zu geben, die regeln, unter welchen Voraussetzungen Ausländern allgemein die Aufnahme einer legalen, unselbständigen Beschäftigung in Österreich gestattet ist. Dafür werden zunächst die menschenrechtlichen Grundlagen des Rechts auf Arbeit und die diesbezüglichen europarechtlichen Bestimmungen betreffend Asylwerber berücksichtigt
  • 12. 5 sowie im Weiteren die für die Ausländerbeschäftigung in Österreich relevanten Regelungen dargestellt. Dabei wird erläutert, inwieweit junge Asylwerber in Österreich Zugang zum Arbeitsmarkt haben und welche Auswirkungen sich daran anknüpfen. Ausgehend von den in den Kapiteln 3. – 6. skizzierten Rahmenbedingungen und theoretischen Überlegungen beleuchtet Kapitel 7. schließlich die spezifische Situation von jungen Asylwerbern in Wien. Nach der Darstellung des für den Beginn einer Lehrausbildung für Asylwerber relevanten rechtlichen Rahmens wird anhand der aus den Experteninterviews gewonnenen Erkenntnisse im Sinne der oben angeführten Forschungsfragen die tatsächliche Situation junger Asylwerber in Bezug auf die Möglichkeit, in Wien eine Lehre zu absolvieren, beurteilt. Es werden die Forschungsergebnisse dargestellt und analysiert und in Kapitel 8. die entsprechenden Schlussfolgerungen getätigt. 2. Methodik Bei den Forschungen wurde qualitativen Methoden der Vorzug gegeben, da es wichtiger war, Details zu erfahren als Messwerte zu ermitteln (vgl. Bortz/Döring 2006: 297). Da die Lehrausbildung junger Asylwerber in einem engen Zusammenhang mit asyl-, beschäftigungs- und ausbildungsrechtlichen Regelungen steht, wurden zunächst die in Frage kommenden rechtlichen (internationalen, europäischen und nationalen) Bestimmungen im Sinne einer zusammenfassenden Inhaltsanalyse auf die für den gegenständlichen Themenkreis relevanten Inhalte reduziert. Darüber hinaus war es notwendig, über die reinen Rechtstexte hinaus entsprechende Literatur heranzuziehen, um unklare Begriffe bzw. Zusammenhänge zu klären. Erhebungen in den Datenbanken des Arbeitsmarktservice (AMS), der Asylstatistik des Bundesministeriums für Inneres (BMI), der Statistik Austria und des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger (HSV) ergänzten das Bild. Da hinsichtlich der spezifischen Situation von jungen Asylwerbern am Lehrstellenmarkt in Wien keine Untersuchungen vorliegen, wurden teilstandardisierte Interviews mit in diesem Bereich tätigen Experten geführt. Zu diesem Zweck wurde ein Interviewleitfaden mit offen formulierten Fragen erstellt, welcher in zwei Varianten auf die Befragung von Experten in öffentlichen Stellen (Behörden, Interessensvertretung) bzw. von Betreuern der Jugendlichen (Flüchtlingsberater, Betreuer von jungen Asylwerbern) angepasst wurde. Die Fragen umfassten die Themen Betreuungssituation, Information (der Asylwerber und der
  • 13. 6 Betriebe), Bildung, Deutschkenntnisse, Motivation der Asylwerber, Haltung der Unternehmer und Beschäftigungsbewilligung. Ziel der Interviews war die Gewinnung von Informationen und die Erhebung der Einschätzungen der Experten. Durch die Experteninterviews konnte ein Maximum an Informationsgewinnung bei gleichzeitiger Sicherstellung der Strukturierung und Vergleichbarkeit der Daten erreicht werden (vgl. Mayer 2008: 37). Die Interviews wurden persönlich an den Arbeitsstätten der Befragten durchgeführt. Die Form des Einzelinterviews, bei dem jeweils nur eine einzige Person befragt wurde, sollte die Möglichkeit geben, auf den Befragten einzugehen und so möglichst viel an spezifischen Informationen und Einschätzungen zu gewinnen. Aufgrund guter Vertrautheit mit der Materie (juristische Ausbildung, berufliche Tätigkeit im Asylbereich) konnten die Experteninterviews als Einzelinterviews ohne Hinzuziehung weiterer, unterstützender Personen durchgeführt werden. Einem Interviewpartner wurde der Leitfaden elektronisch übermittelt und er beantwortete die Fragen schriftlich. Kriterien für die Auswahl der Experten waren die Vertrautheit mit den Themen Ausländerbeschäftigung, Lehre, Asylrecht, die Tätigkeit in der Betreuung von jungen Asylwerbern und der persönliche Kontakt zu diesen. Diese Kriterien wurden vorab (vgl. Mayer 2008: 39) festgelegt und ergaben sich aus Internetrecherchen sowie aus bereits vorhandenem Wissen über die Betreuungssituation junger Asylwerber und über die Behördenzuständigkeit im Bereich Ausländerbeschäftigung. Auch erwiesen sich bestehende persönliche Kontakte zu Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bzw. dem Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) als nützlich. Teilweise wurden Experten auch von einzelnen Interviewpartnern genannt. Mit folgenden Experten wurden Interviews durchgeführt (in alphabetischer Reihenfolge): Arbeitsmarktservice Wien  Sabine Sebastianelli Abteilungsleiterin, Service Ausländerbeschäftigung Wien Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK)  Dr. Hermann Deutsch Leiter der Gruppe B der Sektion VI (Ausländerbeschäftigung) Caritas, Wohngemeinschaften für minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge (UMF)
  • 14. 7  Mirela Meric Leiterin der UMF-Betreuungsstelle  An Thu-Tran Betreuerin in der UMF-Wohngemeinschaft  Mariam Hakimzadeh Betreuerin in der UMF-Wohngemeinschaft Don Bosco Flüchtlingswerk, Wohngemeinschaften für minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge  Silvia Zotz Betreuerin, Beraterin für Asylwerber Magistrat der Stadt Wien  Norbert Ceipek Pädagogischer Leiter Fachbereich Drehscheibe – Sozialpädagogische Einrichtung der MA 11 Wirtschaftskammer Wien  Mag. Erich Huber Leiter der Lehrlingsstelle Abteilungsleiter Bildungspolitik und Berufsausbildung Die Interviews wurden mittels eines digitalen Aufnahmegeräts aufgenommen und angesichts der Informationsdichte danach vollständig transkribiert. Bei der Transkription wurde auf die Darstellung nichtsprachlicher Elemente verzichtet und ausschließlich der Gesprächsinhalt wiedergegeben. Die Aussagen wurden anonymisiert. Die Auswertung der Interviews erfolgte aufgrund der transkribierten Aufnahmen. Da, wie oben erwähnt, der Fokus auf der Gewinnung von konkreten Informationen bzw. Einschätzungen lag, wurde das von Mayer (vgl. Mayer 2008: 48) für Experteninterviews empfohlene und von Mühlfeld, Windolf, Lampert und Krüger (vgl. Mühlfeld et al. 1981) entwickelte Auswertungsverfahren herangezogen, dessen „Schwergewicht der Interpretation […] auf offenkundigen, unverdeckten Kommunikationsinhalten“ (Mayer 2008: 48) liegt. Dieses Verfahren bietet einerseits einen pragmatischen Zugang (vgl. Mayer 2008: 48) und hat andererseits den Vorteil, dass die Aussagen der Interviewpartner
  • 15. 8 in der ursprünglichen Form erhalten bleiben. Die Auswertung erfolgte in sechs Einzelschritten (vgl. Mühlfeld 1981: 336 – 338; Mayer 2008: 49, 50): 1. Es wurden spontan ersichtliche Antworten markiert. 2. Die markierten Antworten wurden in ein Kategorienschema eingeordnet. Dieses wurde zuvor aufgrund der herangezogenen Theorien, der Auseinandersetzung mit den relevanten Rechtsfragen und nach Informationsgesprächen mit Experten entwickelt und umfasste folgende Kategorien: Kategorie 1: erforderliche Bildung Unterkategorien: Schulabschluss Deutschkenntnisse Möglichkeiten zum Erwerb eines Schulabschlusses Möglichkeiten zum Erwerb von Deutschkenntnissen Kursangebot Kategorie 2: Information Unterkategorien: Information der Asylwerber Informationsangebot Asylwerber Information der Unternehmen Informationsangebot Unternehmen Kategorie 3: Vorstellungen der Asylwerber über Lehre Unterkategorien: Berufswünsche Erwartungen Was ist Lehre? Asylverfahren Interesse an Lehre Kategorie 4: Sicht der Unternehmen Unterkategorien: Bereitschaft, Asylwerber als Lehrlinge einzustellen Bedenken betreffend Einstellung von Asylwerbern Kategorie 5: Zugang zu Lehrstelle Unterkategorien: Mangellehrberufe Bewerbung Auswahlverfahren in den Unternehmen
  • 16. 9 Kategorie 6: rechtliche Voraussetzungen/ Bürokratie/ Auswirkungen Unterkategorien: Beschäftigungsbewilligung Regionalbeirat/ Arbeitsmarktprüfung Hauptschulabschluss wirtschaftliche Aspekte Kategorie 7: Gruppe der Asylwerber Unterkategorien: Alter Geschlecht Unterbringung Betreuung Aufnahme in Betreuung unbegleitete minderjährige Flüchtlinge 3. Die innere Logik der Informationen innerhalb der einzelnen Interviews wurde unter besonderer Berücksichtigung von Übereinstimmungen in der Bedeutung und Widersprüchen hergestellt. Besonders aussagekräftige Passagen wurden identifiziert. 4. Dies wurde unter weitergehender Detaillierung, Differenzierung und Präzisierung schriftlich niedergelegt. 5. Ein Text mit Interviewausschnitten wurde erstellt und mit dem transkribierten Text verglichen. 6. Mit Hilfe der theoretischen Erklärungsansätze und der aus anderen Quellen abgeleiteten Erkenntnisse (Rechtsnormen, Literatur, Daten) wurden die gewonnenen Inhalte interpretiert und die Auswertung dargestellt. 3. Herausforderungen für junge Asylwerber am Lehrstellenmarkt 3.1 Benachteiligung von jungen Migranten in der Lehrausbildung In Österreich sinkt der Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (nicht- österreichische Staatsbürgerschaft bzw. nicht-deutsche Umgangssprache) ab der 9. Schulstufe merkbar und reduziert sich in der 12. Schulstufe auf rund die Hälfte. Es fällt auf, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund in diesem Bildungszweig stark unterrepräsentiert sind (vgl. Dornmayer/Nowak 2013: 38). Da es sich bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund aufgrund von Herkunftsländern, Migrationsgrund, Aufenthaltsstatus etc. um eine sehr heterogene Gruppe handelt, gilt dies für den
  • 17. 10 Gesamtdurchschnitt, individuelle Subgruppen können sich in der Bildungslaufbahn stark unterscheiden. Wie Studien zeigen, verlassen Jugendliche mit Migrationshintergrund generell früher das weiterführende Bildungssystem und verfügen häufiger lediglich über einen Pflichtschulabschluss als Jugendliche ohne Migrationshintergrund (vgl. Dornmayer/Nowak 2006: 4). Wenn man den Bereich der Lehrlingsausbildung getrennt betrachtet, fällt der Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund noch deutlich geringer aus. So lag im Schuljahr 2011/12 der Anteil von Kindern mit nicht-deutscher Umgangssprache in Volksschulen und Polytechnischen Schulen bei rund 25 % und in den AHS auch noch bei 14,2 %, während er in den Berufsschulen lediglich bei 10,6 % lag (vgl. Dornmayer/Nowak 2013: 42). Hinsichtlich des Anteils von Jugendlichen mit nicht- deutscher Umgangssprache, die eine Berufsschule besuchen, zeigen sich jedoch (bedingt durch die unterschiedlichen Anteile von Migranten an der Bevölkerung) große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern (Wien: 34,9 %, Niederösterreich: 4,2% Schüler mit nicht-deutscher Umgangssprache [vgl. Dornmayer/Nowak 2013: 44]; anders nach der Arbeitsmarktstatistik: Wien: 35,5%, Niederösterreich: 10,8% [vgl. Biffl/Skrivanek 2014: 21, Abb. 4]). Zu beachten ist, dass die Umgangssprache lediglich ein näherungsweiser Indikator für einen Migrationshintergrund sein kann, da es Hinweise gibt, dass die diesbezüglichen Angaben oft ungenau sind. Dies liegt einerseits in vereinfachenden Erhebungsvorgängen an den Schulen, andererseits kommt es vor, dass die Umgangssprache aus Angst vor Nachteilen (insbesondere im Falle von Minderheitensprachen) oder auf eigenen Wunsch der Schüler mit Deutsch angegeben wird (vgl. Biffl/Skrivanek 2014: 13). Auch die Daten der Wirtschaftskammer, bei denen ausschließlich auf die Staatsbürgerschaft abgestellt und die Umgangssprache nicht berücksichtigt wird, kommen zu ähnlichen Ergebnissen (Wien: 16,2 %, Bgld. 4,6 % Lehrlinge mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft [vgl. Dornmayr/Nowak 2013: 45]). Es wird davon ausgegangen, dass die ethnische Segmentierung des Wiener Arbeitsmarktes (vgl. Fassmann 1997; Biffl 2000; BMASK 2010) in Verbindung mit diskriminierenden Praktiken bei der Lehrlingsauswahl (vgl. Imdorf 2010) wesentliche Faktoren für die Benachteiligung junger Asylwerber am Lehrstellenmarkt darstellen. 3.2 Ethnische Segmentierung des Arbeitsmarktes Empirisch zeigt sich (vgl. Sengenberger 1978: 19), dass bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern dauerhaft von Teilen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen sind. Diese Gruppen, zu denen auch Jugendliche und Migranten zählen können, haben schlechtere Beschäftigungschancen, sie sind oft auf schlecht bezahlte oder prekäre Arbeitsplätze
  • 18. 11 beschränkt und häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen (vgl. Sengenberger 1978: 19). Man kann von einer Arbeitsmarktsegmentation oder Arbeitsmarktspaltung (vgl. Sengenberger 1978) sprechen. Für den Wiener Arbeitsmarkt wurde bereits Ende der 1990er-Jahre eine starke ethnische Strukturierung festgestellt (vgl. Biffl 2000). Wie schon 1988 waren auch 1993 ausländische Arbeitskräfte vorwiegend in den Bereichen Bauwesen, Tourismus und Reinigung beschäftigt (vgl. Fassmann 1997: 26). Auch im Jahr 2014 waren Ausländer zu einem großen Teil in den Bereichen Baugewerbe, Handel, Gastgewerbe und Dienstleistungen beschäftigt: Tabelle 1: Beschäftigte Ausländer in Wien nach Branchen (Jahresdurchschnitt 2014) Quelle: HSV, 27.01.2015, eigene Bearbeitung Aktuell stellt auch das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (vgl. BMASK 2010) strukturelle Probleme insbesondere durch eine immer stärkere Segmentierung des österreichischen Arbeitsmarktes fest und richtet seine aktuellen, für mehrere Jahre gültigen arbeitsmarktpolitischen Zielvorgaben danach aus: Unter die besonders von Arbeitslosigkeit betroffenen Personengruppen fallen demnach insbesondere auch solche, bei denen individuelle Problemsituationen vorliegen. M + F Männer Frauen insgesamt 188 560 101 677 86 883 Land- und Forstw irtschaft, Fischerei 536 307 229 Bergbau und Gew innung von Steinen und Erden 56 42 14 Verarbeitendes Gew erbe / Herstellung von Waren 10 806 7 371 3 435 Energieversorgung 305 197 108 Wasserversorgung; Abw asser- und Abfallentsorgung und Beseitigung von Umw eltverschmutzungen 325 285 40 Baugew erbe / Bau 20 491 19 386 1 105 Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen 29 312 13 713 15 599 Verkehr und Lagerei 8 726 7 530 1 196 Gastgew erbe / Beherbergung und Gastronomie 22 674 12 132 10 542 Information und Kommunikation 6 116 3 965 2 151 Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen 5 102 2 583 2 519 Grundstücks- und Wohnungsw esen 5 103 2 099 3 004 Erbringung von freiberuflichen, w issenschaftlichen und technischen Dienstleistungen 11 868 5 858 6 010 Erbringung von sonstigen w irtschaftlichen Dienstleistungen 23 915 11 801 12 114 Öffentliche Verw altung, Verteidigung; Sozialversicherung 9 318 2 621 6 697 Erziehung und Unterricht 10 337 4 464 5 873 Gesundheits- und Sozialw esen 13 754 3 182 10 572 Kunst, Unterhaltung und Erholung 3 428 1 874 1 554 Erbringung von sonstigen Dienstleistungen 5 341 1 968 3 373 Private Haushalte mit Hauspersonal; Herstellung von Waren und Erbringung von Dienstleistungen durch private Haushalte 493 67 426 Exterritoriale Organisationen und Körperschaften 305 124 181 Wirtschaftsklasse unbekannt 249 108 141 Branchen Beschäftigte Ausländer
  • 19. 12 Migranten, die ohnehin oft in besonders von Arbeitslosigkeit betroffenen Branchen arbeiten, seien besonders betroffen, da bei ihnen häufig komplexe Problemkonstellationen wie beispielsweise schlechte Ausbildung oder mangelnde Deutschkenntnisse vorliegen würden. In diesem Sinne sehen die Zielvorgaben des BMASK daher auch speziell für jugendliche Migranten eine intensive Betreuung und die Förderung der Eingliederung in den Arbeitsmarkt vor (vgl. BMASK 2010). Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die theoretischen Ansätze gegeben, die für die Untersuchung der Zugangsmöglichkeiten und -hürden von jungen Asylwerbern auf dem Lehrstellenmarkt berücksichtigt wurden. Die herangezogenen Erklärungsansätze entstanden im Wesentlichen aus der Weiterentwicklung bzw. aus der Kritik des orthodoxen neoklassischen Modells, das ebensowenig wie die Humankapitaltheorie dauerhafte Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt erklären konnte. Angesichts der Segmentierung des Wiener Arbeitsmarktes lässt sich insbesondere das Insider-Outsider- Modell auf die Situation in Wien anwenden. 3.2.1 Das neoklassische (orthodoxe) Modell In der neoklassischen Theorie wird der Arbeitsmarkt neben dem Kapitalmarkt und dem Gütermarkt als ein Teil der Wirtschaft gesehen. Diese Märkte stehen zueinander in Wechselbeziehung und befinden sich (in sich und auch miteinander) in einem Gleichgewicht, das durch Lohn, Preis und Zins bestimmt ist (vgl. Pfriem 1978: 49). Da angenommen wird, dass alle Arbeitskräfte in gleicher Weise produktiv und somit ersetzbar sind („Homogenitätsbedingung“ [Pfriem 1978: 50]), ist der Arbeitsmarkt einheitlich und das Bestehen von Teilarbeitsmärkten ist ausgeschlossen. Es herrschen Transparenz und Mobilität, die Löhne unterliegen keinen sozialen Einflüssen. Jeder Einzelne strebt nach größtmöglichem persönlichem Nutzen und hat dabei die gleichen Interessen wie alle anderen Beteiligten. Der Arbeitsmarkt ist somit durchlässig und ein Arbeitsplatzwechsel ohne Probleme und Kosten möglich (vgl. Pfriem 1978: 49). Ungleichverteilungen werden lediglich als Abweichungen von der Norm gesehen, die auf „Friktionen“ und „Unvollkommenheiten“ (Kreckel 1983: 146) auf dem Arbeitsmarkt beruhen. Dieses Modell bietet somit keinen Raum für die Erklärung struktureller und dauerhafter Chancenungleichheit. 3.2.2 Die Humankapitaltheorie In den 1960er-Jahren erfuhr das neoklassische Modell verschiedenste Änderungen bzw. Erweiterungen, um es den realen Gegebenheiten anzunähern. Mit der
  • 20. 13 Humankapitaltheorie ging man von der Homogenitätsbedingung ab und nahm Arbeitskraft nunmehr als „quasi-fixen“ (Pfriem 1978: 50) Faktor an, der dem Sachkapital gegenübersteht und dessen Produktivität von den getätigten finanziellen Aufwendungen für die Erlangung von Qualifikationen („Humankapitalinvestitionen“ [Kreckel 1983: 146]) abhängt. Indem der Mensch als „homo oeconomicus“ (Pfriem 1978: 50) nach größtmöglichem Einkommen trachtet, investiert er in Ausbildung und verbessert so seine Position am Arbeitsmarkt. Einkommensunterschiede und die ungleiche Verteilung von Einkommen werden als Folge ungenügender Investitionen in den Erwerb von beruflichen Qualifikationen gesehen. Dieses Modell übersieht jedoch, dass Investitionen in berufliche Qualifikationen in der Realität nicht notwendiger Weise auch zu einem höheren Einkommen führen. Außerdem kann damit nicht erklärt werden, weshalb Personen mit gleicher Ausbildung, aber beispielsweise unterschiedlicher Nationalität oder Geschlechts, nicht den gleichen Status und das gleiche Einkommen aufweisen können (vgl. Kreckel 1983: 146). 3.2.3 Die Segmentationstheorie Ende der 1960er Jahre wurde klar, dass die Bemühungen der USA, durch die im Wesentlichen auf neoklassischen Ansätzen beruhenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen die Situation benachteiligter Gruppen zu verbessern, nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatten. Daneben kam es auch zu keiner nennenswerten Weiterentwicklung der neoklassischen Theorien. Diese Umstände begünstigten das Entstehen neuer Denkansätze, sodass Ende der 1960er Jahre erstmals der Begriff Arbeitsmarktsegmentation auftauchte (vgl. Sengenberger 1978: 17). Um die Benachteiligungen insbesondere der afro-amerikanischen Bevölkerung in den großen amerikanischen Städten verstehen zu können, wurde zunächst die Hypothese des dualen Arbeitsmarktes (vgl. Piore 1978: 68) entwickelt, wonach der Arbeitsmarkt aus zwei Sektoren besteht, die grundsätzlich verschieden sind und zwischen denen ein Wechsel von Arbeitskräften kaum möglich ist: Die Arbeitsplätze im primären Sektor sind gut bezahlt, es herrschen gute Arbeitsbedingungen, die Rechte der Arbeitnehmer werden respektiert und sie haben Aufstiegschancen. Dieser Sektor ist gekennzeichnet von stabilen Beschäftigungsverhältnissen. Der sekundäre Sektor dagegen umfasst schlecht bezahlte, wenig stabile, von ungünstigen Arbeitsbedingungen und (aufgrund des stark personalisierten Verhältnisses zum Arbeitgeber) potentiell unfairen Verhältnissen gekennzeichnete Arbeitsplätze, die kaum Aufstiegschancen bieten. Die Arbeitnehmerfluktuation in diesem Sektor ist hoch. Piore (1978: 69) kritisiert, dass diese duale Betrachtungsweise zu sehr auf die Probleme benachteiligter Gruppen fokussiert ist,
  • 21. 14 und weist darauf hin, dass die dem Primärsektor zugewiesenen Eigenschaften in der Realität lediglich auf den unteren Teilbereich dieses Sektors zutreffen. Es gibt vielmehr auch innerhalb des primären Sektors ein Segment, das hinsichtlich Fluktuation und Mobilität eher dem sekundären Sektor entspricht. In diesem oberen Teilsektor bringen diese beiden Aspekte – im Gegensatz zum sekundären Sektor – jedoch großteils einen beruflichen Aufstieg mit sich. Bezüglich der Entstehung dieser strengen Trennung des Arbeitsmarktes in zwei Sektoren gibt es verschiedene Theorien. Die sogenannten „Radical Economists“ gehen davon aus, dass die Unternehmen gezielt auf eine Trennung des Arbeitsmarktes hinwirken, um die Arbeitnehmer besser beherrschen zu können („divide et impera“ [Kreckel 1983: 148]). Dabei bleibt jedoch der Einfluss die Arbeitnehmerseite unberücksichtigt. Piore dagegen führt die Trennung im Wesentlichen auf die unterschiedliche Stabilität von Arbeitsplätzen und Arbeitskräften zurück (vgl. Piore 1978: 69). Demnach binden die Unternehmer, um Transaktionskosten zu sparen, eine Kernbelegschaft durch verschiedene betriebliche Maßnahmen (Bildung, Boni, Betriebspensionen etc.) an sich, sodass interne Arbeitsmärkte entstehen. Um konjunkturelle Schwankungen ausgleichen zu können, wird ein sogenannter externer Arbeitsmarkt aufrechterhalten, in dem eher gering qualifizierte, kurzfristig verfügbare Arbeitskräfte bei Bedarf akquiriert werden können (vgl. Kreckel 1983: 148). Auch wenn es schwierig ist, die komplexen Zusammenhänge und strukturellen Bedingungen zu analysieren, die zu einer Ungleichbehandlung am Arbeitsmarkt führen, kann die Segmentationstheorie doch zumindest einen ersten Ansatz bieten. 3.2.4 Das Insider – Outsider-Modell Mitte der 1980er Jahre entwickelten Lindberg und Snower die Insider-Outsider-Theorie zur Erklärung nachhaltiger Arbeitslosigkeit und von Problemen der Einkommensverteilung. Dieses Modell wurde in der Folge von Organisationen wie der OECD und dem IWF angewendet (vgl. Lindbeck/Snower 2002: 1). Diese Theorie beschäftigt sich mit der Frage, weshalb – entgegen der Annahme der neoklassischen Theorie, wonach durch eine Senkung der Reallöhne Vollbeschäftigung erreicht werden kann – Löhne trotz hoher Arbeitslosigkeit nicht sinken (vgl. Lindbeck/Snower 2001: 166) und kann auch zur Erklärung der sozialen Exklusion bestimmter Personengruppen sowie des Phänomens der Segmentierung des Arbeitsmarktes herangezogen werden.
  • 22. 15 Die Insider-Outsider-Theorie geht von dem Umstand aus, dass mit Personalfluktuation regelmäßig „Arbeitsumwälzungskosten“ (Snower 1993: 461) (Fluktuationskosten), d.h. beispielsweise Kosten der Anstellung und Entlassung von Personal sowie Schulungskosten für neu eingetretene Mitarbeiter, verbunden sind und diese vorwiegend die Arbeitgeber treffen (vgl. Snower 1993: 461 f.). Es werden drei Gruppen von Arbeitnehmern identifiziert: Die Insider sind schon lange im Betrieb beschäftigt und ihre Position wird durch die Fluktuationskosten geschützt, die die Arbeitgeber von Kündigungen abhalten. Die Outsider hingegen genießen diesen Schutz nicht. Sie sind arbeitslos oder im informellen Sektor beschäftigt. Die Neueingetretenen schließlich belegen Arbeitsplätze, die ihnen potentiell Insider-Status bringen können. Ursprünglich Outsider, können sie nach einer „Einweihperiode“ (Snower 1993: 464) durch die Erlangung von Rechten sowie durch den Erwerb von Kenntnissen betreffend die Manipulation von Fluktuationskosten die Position von Insidern erlangen. Je länger ein Arbeitnehmer in einer Firma beschäftigt ist, desto stärker wird seine Insider-Position. Dasselbe gilt umgekehrt für die Outsider, für die der (Wieder)Eintritt ins Arbeitsleben auch durch den Verlust von betrieblichen Kontakten umso schwieriger wird, je länger die Arbeitslosigkeit andauert (vgl. Lindbeck/Snower 2002: 2) Die Insider nützen ihre Macht zu ihrem eigenen Vorteil. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit resultiert somit aus einem Interessenkonflikt zwischen Insidern und Outsidern: „The crucial assumption [of insider-outsider] is that it is costly to exchange a firm’s current, full-fledged employees (the insiders) for unemployed workers (the outsiders), and that the rent associated with this turnover cost can be tapped by the insiders in the process of wage negotiation … Accordingly, involuntary unemployment arises out of a conflict of interest between the insiders and the outsiders“ (Lindbeck und Snower 1988 in: De Vroey 2004: 206) Es lassen sich zwei Arten von Fluktuationskosten unterscheiden: Die produktionsbezogenen Kosten fallen an, um Outsider für den Betrieb produktiv zu machen. Darunter fallen Ausgaben für die Suche, Anwerbung und Ausbildung von Arbeitnehmern. Die renten- (verhandlungs-) bezogenen Kosten stehen nicht im Zusammenhang mit der Produktion sondern umfassen Kosten, die aus gesetzlichen Bestimmungen zur Arbeitsplatzsicherung oder aus den Verhandlungsstrategien der Insider entspringen. Es handelt sich dabei typischerweise um Abfertigungszahlungen, automatische Gehaltsvorrückungen, Kündigungsschutz, Streikkosten etc. Schließlich
  • 23. 16 können Kosten auch dadurch entstehen, dass Insider sich untereinander unterstützen und zusammenarbeiten, während sie sich gegenüber neu eingetretenen Mitarbeitern unkooperativ zeigen oder diese schikanieren, sodass deren Produktivität sinkt. Dies betrifft besonders die Arbeit in Teams (vgl. Snower 1993: 465; Lindbeck/Snower 2002: 3). Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang auch die Unterscheidung von allgemeinem und betriebsspezifischem Wissen: Während allgemeines Wissen auf dem Arbeitsmarkt einen Marktwert hat, verhilft betriebsspezifisches Wissen, das typischerweise mit der Dauer des Arbeitsverhältnisses steigt, zu Insider-Macht, da es höhere Fluktuationskosten verursacht (vgl. Biffl 1999: 21, 31). Insider haben direkten Einfluss auf die Fluktuationskosten, da sie einerseits an den Lohnverhandlungen beteiligt sind und andererseits das Arbeitsklima bzw. die Produktivität im Betrieb maßgeblich beeinflussen können. Outsider haben diese Möglichkeiten dagegen nicht. Sie sind von Lohnverhandlungen ausgeschlossen und können lediglich indirekt Einfluss nehmen: Solange die Forderungen der Insider in einem Rahmen bleiben, der sie als für das Unternehmen rentabler als die Outsider erscheinen lässt, haben Outsider wenig Chancen auf Beschäftigung und gleiche Bezahlung. Sie geraten in die Langzeitarbeitslosigkeit oder arbeiten in Positionen, in denen sie trotz Bereitschaft zu Lohnabstrichen keine Chance auf die Erreichung von Insider-Status haben (vgl. Snower, 1993: 462; Lindbeck/Snower, 2001: 167f.). Das Insider-Outsider-Modell kann nicht nur Einkommensunterschiede sondern auch soziale Ungleichheiten erklären: Die Position von Outsidern auf dem Arbeitsmarkt trägt wesentlich zur sozialen Exklusion einzelner Bevölkerungsgruppen bei (vgl. Lindbeck/Snower, 2001: 170). Die Insider-Outsider-Theorie kann auch zur Erklärung von Arbeitsmarktsegmentierung angewendet werden: Da im primären Sektor die Fluktuationskosten im Gegensatz zum sekundären Sektor erheblich sind, haben Insider im primären Sektor größeren Einfluss, wogegen im sekundären Sektor mehr Konkurrenz und damit größere Beschäftigungschancen bestehen (vgl. Lindbeck/Snower, 2001: 176). 3.2.5 Benachteiligung von Migranten am Arbeitsmarkt in Österreich Ausgehend von segmentationstheoretischen Ansätzen und den Überlegungen Sengenbergers (vgl. Sengenberger 1987), der die Bedeutung institutionalisierter Regeln für die Stabilität und Dauerhaftigkeit der Undurchlässigkeit des Arbeitsmarktes betonte, wies Fassmann (vgl. Fassmann 1997) Ende der 1990er Jahre darauf hin, dass die ethnische Strukturierung des Arbeitsmarktes in Österreich wesentlich auf die – auf politische Entscheidungen der Interessenvertreter und Parteien zurückgehenden –
  • 24. 17 gesetzlichen Regelungen der Arbeitsmigration zurückzuführen seien. Dies unterscheide den österreichischen Arbeitsmarkt beispielweise von jenem der USA, wo entsprechende Regelungen weitgehend fehlen. Anfang der 1960er Jahre, als in Österreich weitgehend Vollbeschäftigung herrschte, kam es durch den wirtschaftlichen Aufschwung zu einem Mangel an Arbeitskräften. Inländische Arbeitnehmer waren nicht mehr bereit, in weniger gut bezahlten und durch schlechte Arbeitsbedingungen gekennzeichneten Branchen zu arbeiten. So entschied man sich dem Beispiel Deutschlands folgend für die Einführung des sogenannten „Gastarbeitermodells“ und schloss Anwerbeabkommen mit Spanien, der Türkei und dem damaligen Jugoslawien (vgl. Fassmann 1997: 158). Die Anwerbung und Unterbringung von Arbeitskräften auf dem österreichischen Arbeitsmarkt erfolgte nach strengen Regeln. Zwar wurden Faktoren von Angebot und Nachfrage berücksichtigt, die jährlichen Kontingentvereinbarungen waren jedoch auch wesentlich von politischen Absichten (Gewerkschaften, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen) getragen (vgl. Fassmann 1997: 159). Ausländische Arbeitskräfte konnten ihren Arbeitsbereich nicht frei wählen, ihnen wurden Arbeitsplätze zugewiesen. Sie übernahmen in der Folge jene Stellen in Gewerbe und Industrie, für die sich keine inländischen Arbeitnehmer finden ließen, sowie im Dienstleistungsbereich solche, die sich durch schlechte Entlohnung, geringe Qualifikation und soziale Nichtanerkennung auszeichneten (vgl. Fassmann 1997: 158, 161). Das österreichische System der Ausländerbeschäftigung war bis zur Einführung eines an der Erfüllung bestimmter Kriterien anknüpfenden und eine auf Dauer ausgerichtete Zuwanderung ermöglichenden Systems („Rot-Weiß-Rot-Karte“, § 3 AuslBG, §§ 41ff. NAG) im Juli 2011 gekennzeichnet von Normen, die einerseits die Beschäftigung von Ausländern genehmigungspflichtig machten und deren Aufteilung auf Branchen und Bundesländer regelten, und andererseits Höchstzahlen für ausländische Beschäftigte sowie generell für Zuwanderer festlegten (vgl. Fassmann 1997: 159, 160). Die Positionierung ausländischer Arbeitskräfte erfolgte vorwiegend in unattraktiven Bereichen ohne die Möglichkeit, dieses Arbeitsmarktsegment zu verlassen (vgl. Fassmann 1997: 164, 165, 167). Hinzu kam, dass diese Positionen von hoher Fluktuation gekennzeichnet waren. Der Hintergrund dieser Regelungen kann nach Fassmann (vgl. Fassmann 1997: 164, 165, 167) in humankapitaltheoretischen Überlegungen gesehen werden: Demnach macht es in einem nicht auf dauerhafte Zuwanderung ausgelegten System wenig Sinn, Bildungsinvestitionen für Personen zu tätigen, indem man sie auf Arbeitsplätzen einsetzt, die die Aneignung berufs- und betriebsspezifischen Wissens erlauben, wo doch ihr
  • 25. 18 Verbleib in Österreich nicht auf Dauer angelegt war, da sie lediglich als „Lückenfüller“ in Zeiten erhöhter Nachfrage erwünscht waren. Biffl (1999) setzte sich im Lichte einer in den 1980er und 1990er-Jahren in Österreich stark steigenden Jobfluktuation auch mit der Position ausländischer Arbeitskräfte in Österreich auseinander. Ausgehend vom Insider-Outsider-Modell zählen demnach Ausländer eher zu den Outsidern als zu den Insidern (vgl. Biffl 1999: 20). Ihre Beschäftigungsverhältnisse dauern weniger lang, sie haben eine geringere Jobsicherheit und sie sind in geringem Ausmaß als Inländer in Kernbelegschaften zu finden (vgl. Biffl 1999: 21, 31). Als Gründe für diese Positionierung als Outsider kommen auch rechtliche Aspekte in Betracht: So wird eine Beschäftigungsbewilligung nur für ein Jahr erteilt, was naturgemäß einer langfristigen Eingliederung hinderlich sein kann. Des Weiteren werden Inländer nach den gesetzlichen Bestimmungen (jedenfalls im Bereich der Regelungen betreffend die temporäre Zuwanderung; siehe dazu unten 6.3.3) auf dem Arbeitsmarkt bevorzugt (Inländerschutzgedanke) (vgl. Biffl 1999: 5, 6). Gerade Asylwerber, die einerseits einen unsicheren rechtlichen Status haben und deren Zugang zum Arbeitsmarkt – wie noch ausgeführt werden wird – extrem eingeschränkt ist, kann sich die ethnische Segmentierung des österreichischen und im konkreten Fall des Wiener Arbeitsmarktes sehr stark auf ihre Möglichkeit, eine Arbeits- bzw. Lehrstelle zu finden, auswirken. 3.3 Die Lehrlingsauswahl in den Betrieben Dass die Benachteiligung oder ethnische Diskriminierung im Sinne einer Bewerberauswahl nach an Ethnizität statt an Leistung orientierten Gesichtspunkten eine Rolle beim Zugang zu Erwerbstätigkeit spielt, wurde durch zahlreiche Forschungen belegt und theoretisch zu erklären versucht (vgl. zusammenfassend Devah/Shepherd 2008). Imdorf (2010) weist darauf hin, dass nicht alle diese Theorien auch die Motivation der Arbeitgeber erklären können, diskriminierende Kriterien bei der Auswahl von Lehrlingen anzuwenden (vgl. Imdorf 2010: 198f.). Zwar zieht das Insider-Outsider-Modell auch betriebsinterne Vorgänge wie mangelnde Kooperation, schlechte Teamarbeit, mangelnde Unterstützung der Insider gegenüber den Outsidern als Faktoren für die Steigerung der Fluktuationskosten heran (vgl. Lindbeck/Snower 2001: 167). Jene Ansätze, denen der Gedanke der Produktivität zugrunde liegt, würden jedoch Diskriminierung oft auf die Bewertung der individuellen Produktivität des Bewerbers durch den Arbeitgeber reduzieren, die diese entweder auf empirische Belege (statistische Diskriminierung) oder auf ihr Gefühl (implizites Vorurteilsmodell) stützen (vgl. Imdorf 2010: 200). Dabei würden
  • 26. 19 die komplexen, ebenso für den wirtschaftlichen Erfolg maßgebenden Strukturen innerhalb der Betriebe außer Acht gelassen. Dazu gehören die sozialen Beziehungen innerhalb der Belegschaft, die dazu führen können, dass im Sinne der Vermeidung von Spannungen lediglich solche Personen aufgenommen werden, die „sozial möglichst gut in eine ‚bestehende‘ inländische Belegschaft ‚passen‘ “ (Imdorf 2010: 200), ebenso wie der Wunsch der Arbeitgeber nach fügsamen Mitarbeitern. Wird der Unterordnungswille von Ausländern thematisiert, kann dies zu einer Diskriminierung führen. Des Weiteren dürfen auch die Markt- und Kundenbeziehungen der Betriebe nicht unbeachtet bleiben, da es denkbar ist, dass Kunden ihre Entscheidung für ein Produkt (auch) von diskriminierenden Kriterien abhängig machen. Ein soziologischer Ansatz berücksichtigt daher insbesondere die Sozialbeziehungen der Betriebe (innerhalb sowie auch zur Kundschaft), die sich wesentlich auf die Produktivität auswirken. Während es sich beim Insider-Outsider-Modell um eine ökonomische Theorie (vgl. Lindbeck/Snower 2001: 166) handelt, kommt bei Imdorf (2010: 202) einem organisationssoziologischen Zugang große Bedeutung zu. Imdorf (2010) befasste sich mit der Gruppe ausländischer Jugendlicher, die auf dem von Klein- und Mittelbetrieben dominierten Schweizer Lehrstellenmarkt eine Lehrstelle suchen. Auch in Wien überwiegen kleine und mittlere Unternehmen gerade in den für Migranten bedeutsamen Branchen, weshalb die Ansätze Imdorfs (2010) auch auf den Wiener Kontext übertragbar sind. Tabelle 2: Betriebsgrößen in Wien (2012, ausgewählte Branchen)
  • 27. 20 Quelle: Statistik Austria, 30.01.2015, eigene Bearbeitung Imdorf (2010) ging davon aus, dass es dabei im Regelfall zu Diskriminierung kommt und führte dies im Wesentlichen auf das Fehlen gesetzlicher Regelungen bei der Stellenvergabe, der üblicherweise großen Anzahl der Bewerbungen und der dadurch großen Wahlfreiheit bei der Kandidatenauswahl sowie mangelnde Fachkompetenzen und Zeitdruck auf Seiten der Personalverantwortlichen zurück (vgl. Imdorf 2010: 198, 199). Er geht davon aus, dass Ausbildungsbetriebe hinsichtlich ihres Bestehens am Markt unter einem gewissen Erfolgsdruck stehen, weshalb die Ausbildung eines Lehrlings sich aus Sicht des Betriebes früher oder später rechnen solle. Hinzu kommt, dass der Lehrling auch in der Belegschaft und bei Kunden bzw. Geschäftspartnern auf Akzeptanz stoßen muss. Schließlich muss die Auswahl der Lehrlinge oft unter Zeitdruck geschehen und es kann aufgrund der Anforderungsprofile nahezu unmöglich sein, einen Lehrling zu finden, der alle geforderten Kriterien erfüllt. Zur Legitimierung von Personalentscheidungen sind B eschäftigten- A nzahl der grö ß enklasse Unternehmen INSGESAMT insgesamt 74.188 INSGESAMT 0-9 65.588 INSGESAMT 10-19 4.597 INSGESAMT 20-49 2.417 INSGESAMT 50-249 1.277 INSGESAMT 250 und mehr 309 Bau insgesamt 5.490 Bau 0-9 4.411 Bau 10-19 625 Bau 20-49 320 Bau 50-249 114 Bau 250 und mehr 20 Handel insgesamt 15.507 Handel 0-9 13.463 Handel 10-19 1.117 Handel 20-49 575 Handel 50-249 286 Handel 250 und mehr 66 Beherbergung und Gastronomie insgesamt 6.161 Beherbergung und Gastronomie 0-9 4.911 Beherbergung und Gastronomie 10-19 741 Beherbergung und Gastronomie 20-49 359 Beherbergung und Gastronomie 50-249 132 Dienstleistungen insgesamt 25.630 Dienstleistungen 0-9 23.540 Dienstleistungen 10-19 1.100 Dienstleistungen 20-49 563 Dienstleistungen 50-249 364 Dienstleistungen 250 und mehr 63 B ranchen
  • 28. 21 die Verantwortlichen daher auf Rechtfertigungsmechanismen angewiesen (vgl. Imdorf 2010: 203). Die Rechtfertigungstheorie von Boltanski und Thévenot (siehe dazu ausführlich Boltanski/Thévenot 2007) nimmt die Existenz verschiedener „Welten“ an, denen jeweils ein eigenes, auf den sozialen Zusammenhalt gerichtetes Ordnungsprinzip innewohnt. Die Qualität („Größe“) einer Person wird daran gemessen, inwieweit sie Eigenschaften aufweist, die zur Aufrechterhaltung des sozialen Zusammenhalts und somit zum Wohle der Gemeinschaft beitragen kann. Personalentscheidungen erscheinen demnach dann als gerechtfertigt, wenn die Auswahlkriterien in Hinblick auf das (betriebliche) Gemeinwohl als förderlich erachtet und unter diesem Blickwinkel als fair angesehen werden (vgl. Imdorf 2010: 203). In Anlehnung an das Konzept der Rechtfertigungsordnung erörtert Imdorf (2010: 204f.) die verschiedenen betrieblichen Welten und die diesbezüglichen Hindernisse, die sich ausländischen Arbeitssuchenden entgegenstellen. In der „industriellen Welt“ eines Betriebes, d.h. im Rahmen der technischen Produktionsprozesse, ist es zur Aufrechterhaltung höchstmöglicher Effizienz wichtig, dass diese Produktionsprozesse möglichst wenig gestört werden. Die Größe eines Bewerbers wird folglich an seiner Effizienz, Produktivität und Funktionsfähigkeit gemessen (vgl. Boltanski/Thévenot 2007: 267f.). In der „häuslichen Welt“, worunter man die soziale Gruppe im Sinne der Belegschaft verstehen kann und die von persönlichen Abhängigkeiten bestimmt ist (vgl. Boltanski/Thévenot 2007: 228f.), liegt der Schwerpunkt auf den sozialen Beziehungen unter den Mitarbeitern. Diese sind insbesondere in Klein- und Mittelbetrieben im Sinne des Vorliegens von sozialer Kontrolle, Anerkennung von Autorität etc. (vgl. Boltanski/Thévenot 2007: 237f) familienähnlich ausgebildet, sodass ausländische Arbeitnehmer oftmals als Störfaktoren, die den Fortbestand des Betriebes gefährden könnten, gesehen werden. Was die Kundenbeziehungen anbelangt, fallen diese in mehrere „Welten“. In der „projektbasierten Polis“ (Boltanski/Chiapello 2003 in Imdorf 2010: 208) zählen kommunikative Kompetenzen (vgl. Boltanski o.J.), in der häuslichen Welt kommt harmonischen persönlichen Beziehungen große Bedeutung zu, während schließlich der Lehrling aus Sicht des Arbeitgebers auch in der „Welt des Marktes“ (Imdorf 2010: 208) verortet ist, da er möglicherweise Kundenbindungen gefährden könnte. Um die Größe eines Bewerbers in den für den Betrieb relevanten Welten erheben zu können, bedienen sich Personalentscheider verschiedener sogenannter „Bewährungsproben“ (Imdorf, 2010: 209f. mVa Boltanski/Chiapello, 2003). Je nach Art der betrieblichen Welt kommen dabei typischerweise spezifische Prüfmethoden zur
  • 29. 22 Anwendung. So kommt in der „industriellen Welt“ der Leistungsmessung besondere Bedeutung zu, während sich in der „häuslichen Welt“ Personalverantwortliche bei der in diesem Bereich zentralen Beurteilung der sozialen Passung des Bewerbers eher auf ihr Gefühl verlassen. Folgende Bewährungsproben können unterschieden werden (vgl. Imdorf 2010: 211): Beim betrieblich individualisierten Praxistest wird die Größe des Bewerbers durch Tests, die im Betrieb selbst in Anwesenheit (auch mehrerer) Mitarbeiter als Prüfer stattfinden, ermittelt. In Frage kommen hier Betriebspraktika, „Schnupperlehre“, Vorstellungsgespräche, im Betrieb durchgeführte Tests. Wenn sich ein Betrieb einer anderen Institution als Prüfer bedient, spricht man vom delegierten individualisierten Praxistest. Darunter fallen etwa die Heranziehung von Schulzeugnissen, Praktikumszeugnisse anderer Betriebe und Referenzschreiben. Bei der auf betrieblicher Erfahrung basierten kollektivistischen Bewährungsprobe wird die Beurteilung des Bewerbers auf Erfahrungen im Betrieb mit Personen, die ähnliche Merkmale wie der Bewerber aufweisen, gestützt. Damit vergleichbar ist die delegierte erfahrungsbasierte kollektivistische Bewährungsprobe, bei der die (schlechten) Erfahrungen Dritter als Kriterium herangezogen werden. Bei der imaginären kollektivistischen Bewährungsprobe schließlich ist eine Überprüfung durch Erfahrungswissen überhaupt nicht möglich, da sich diese ausschließlich auf Vorurteile und Stereotypen gründet. Nach Imdorf (2010) liegt eine diskriminierende Bewährungsprobe vor, „wenn die individuelle Größe eines Bewerbers im Selektionsprozess nicht angemessen beurteilt wird und die Verzerrung der Beurteilung mit einem sozialen Gruppenmerkmal variiert“ (Imdorf 2010: 213). Ohne dass dies mittels Erfahrungswissen oder Praxistests verifiziert wurde, wird ein soziales Merkmal als für den Betrieb problematisch eingestuft. Weniger als bei den Praxistests ist dies insbesondere bei den Bewährungsproben 3, 4 und 5 der Fall. Bei diesen stützt sich der Betrieb bei der Beurteilung der Größe eines Bewerbers nämlich nicht auf sein Erfahrungswissen sondern auf die Annahme eines beim Bewerber vorliegenden sozialen Merkmals, das dieser aufweist und das ihn als einer aus Sicht des Betriebes problematischen Gruppe zugehörig erscheinen lässt. Darüber hinaus können die Bewährungsproben 2 bis 5, welche wesentlich ressourcen- und zeitsparender sind, zu einer diskriminierenden Vorselektion führen und sogar die (kostenintensiveren) Praxistests überflüssig machen.
  • 30. 23 Tabelle 3: Bewährungsproben Quelle: Imdorf, 2010: 211, eigene Bearbeitung Das Zusammentreffen zweier wesentlicher Kriterien der Personalauswahl – Minimierung des künftigen Störungsrisikos sowie der Kosten des Personalauswahlverfahrens – führt somit insbesondere in Klein- und Mittelbetrieben, die meist nicht so stark unter der Beobachtung der Öffentlichkeit stehen und daher weniger um ihr Ansehen fürchten müssen, oft zu organisationaler Diskriminierung (vgl. Imdorf 2010: 214). In der Praxis zeigt sich, dass es mitunter bereits durch die in den Lehrstellenausschreibungen enthaltenen Anforderungen an das Deutschniveau oder die Staatsbürgerschaft zu einer Vorselektion und somit zu einem Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen kommen kann (vgl. Klaus/Halbwirth 2004). Im Auswahlverfahren legen Unternehmen großen Wert auf das Auftreten und Verhalten der Jugendlichen im Bewerbungsgespräch. Gutes Benehmen und der persönliche Eindruck werden dabei durch die schulischen Leistungen ergänzt (vgl. Zeitler 2004). Allerdings kommt in Österreich der Initiativbewerbung und der „Schnupperlehre“ große Bedeutung zu (vgl. Zeitler 2004), was den Jugendlichen die Möglichkeit bieten kann, diskriminierende Abschnitte des Auswahlverfahrens zu vermeiden und sich in einem objektiveren Prozess bewähren zu können. Es ist denkbar, dass ein Betriebspraktikum oder eine „Schnupperlehre“ auch die Chancen von Asylwerbern auf eine Lehrstelle erhöhen kann. 4. Asylrechtlicher Rahmen Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit der Situation von Asylwerbern. Um darzustellen, welcher Personenkreis unter diesen Begriff fällt und wann diese Eigenschaft beginnt bzw. endet, wird im Folgenden ein kurzer Abriss des Asylverfahrens gegeben. Dies soll auch helfen, häufig anzutreffende Missverständnisse aufzuklären, die nicht zuletzt durch die oft in den Medien verwendeten, unterschiedlichen Begriffe entstehen. Auf eine umfassende Beschreibung des im Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) geregelten österreichischen Asylrechts und auf die Darstellung der besonderen Lage im Falle von Folgeanträgen (§ 2 Abs. 1 Z. 23 AsylG 2005) oder Sonderverfahren wie etwa betriebsintern betriebsextern imaginiert kollektivistische Probe (wenig zuverlässig) auf betrieblicher Erfahrung basierte Bewährungsprobe (3) delegierte, erfahrungsbasierte Bewährungsprobe (4) imaginäre Bewährungsprobe (5) Individualisierungsgrad Ort der Bewährungsprobe betrieblicher Praxistest (1) delegierter Praxistest (2) -- individualistische Probe (eher zuverlässig)
  • 31. 24 Familienverfahren (§§ 34 f. AsylG 2005) oder Flughafenverfahren (§§ 31 f. AsylG 2005) muss verzichtet werden, da dies den Rahmen der Arbeit bei weitem sprengen würde und im gegebenen Zusammenhang auch nicht relevant ist. Ebensowenig kann auf die verschiedenen Rechtslagen bzw. Übergangsbestimmungen eingegangen werden. Es werden vielmehr die wichtigsten, für die Asylwerbereigenschaft bzw. das damit verbundene Aufenthaltsrecht relevanten Bestimmungen überblicksmäßig dargestellt, soweit sie für das Verständnis der Zusammenhänge in Hinblick auf den Forschungsgegenstand relevant sind. 4.1 Einleitung des Verfahrens Für die Einleitung eines Asylverfahrens in Österreich bedarf es grundsätzlich eines Antrags auf internationalen Schutz in Österreich, wobei das AsylG 2005 zwischen der Stellung (§ 17 Abs. 1 AsylG 2005) und der Einbringung (§ 17 Abs. 2 AsylG 2005) des Antrags unterscheidet (vgl. Schrefler-König, 2014: § 17 Anm. 1). Dies wird vom Gesetzgeber als notwendig erachtet, da ein Antragsteller vor aufenthaltsbeendenen Maßnahmen (§ 2 Abs. 1 Z. 27 AsylG 2005; Rückkehrentscheidung: § 52 Fremdenpolizeigesetz (FPG), Anordnung zur Außerlandesbringung: § 61 FPG, Ausweisung: § 66 FPG, Aufenthaltsverbot: § 67 FPG) geschützt werden muss, sobald er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, auch wenn das Asylverfahren erst begonnen werden kann, wenn der Fremde persönlich erscheint und seinen Antrag bei der zuständigen Behörde eingebracht hat (vgl. ErläutRV 952). Die Unterscheidung ist insbesondere deshalb relevant, da der Fremde erst ab der Einbringung des Antrags auf internationalen Schutz als Asylwerber behandelt wird (siehe unten 4.2). Ein Antrag auf internationalen Schutz kann gemäß § 17 Abs. 1 AsylG 2005 bei jedem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, bei einer Sicherheitsbehörde oder bei einer Erstaufnahmestelle gestellt werden. Andere Behörden sind verpflichtet, diese Stellen zu verständigen, wenn ein Fremder (fälschlicherweise) bei ihnen um Schutz ersucht hat (§ 17 Abs. 5 AsylG 2005). Je nach Lage des Falles wird die Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) von der Erstaufnahmestelle gemeldet und der Fremde kann gegebenenfalls gemäß § 42 Abs. 2 BFA-VG dem Bundesamt vorgeführt werden. Ab der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz genießt der Fremde gemäß § 12 Abs. 1 AsylG 2005 faktischen Abschiebeschutz, was bedeutet, dass sein Aufenthalt in Österreich zulässig ist und er
  • 32. 25 (außer bei Folgeanträgen; siehe § 12a AsylG 2005) vor Ende seines Asylverfahrens weder zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden darf. 4.2 Beginn der Asylwerbereigenschaft Gemäß § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 ist ein Asylwerber: „ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz […]“. Der Antrag auf internationalen Schutz gilt gemäß § 17 Abs. 2 AsylG 2005 erst als eingebracht, wenn er persönlich bei einer Erstaufnahmestelle gestellt wird (vgl. Schrefler- König, 2014: § 17 Anm. 3). Dies kann auch im Zuge einer Vorführung (siehe oben) geschehen. Durch die BFA-G-Durchführungsverordnung wurden insgesamt drei derartige Stellen eingerichtet: Die Erstaufnahmestelle „Ost“ befindet sich in der Betreuungsstelle des Bundes in Traiskirchen (Niederösterreich), die Erstaufnahmestelle „West“ in der Betreuungsstelle des Bundes in St. Georgen im Attergau (Oberösterreich). Weiters besteht die Erstaufnahmestelle „Flughafen“ am Flughafen Wien, Schwechat. In Österreich geborene Kinder von Asylwerbern, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten können einen Antrag auf internationalen Schutz auch bei einer Regionaldirektion des Bundesamts oder einer Außenstelle der Regionaldirektion einbringen (§ 17 Abs. 3 AsylG 2005). Familienangehörigen von Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, die sich im Ausland befinden und die einen Antrag auf internationalen Schutz stellen möchten, kann unter gewissen Umständen von den österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland auf Antrag ein Einreisevisum erteilt werden (§ 35 AsylG 2005). Dies betrifft im Wesentlichen minderjährige Kinder, Eltern minderjähriger Kinder, Ehegatten und eingetragene Partner (zum genauen Umfang des Personenkreises siehe § 35 Abs. 5 AsylG 2005). Auch diese werden somit erst nach ihrer Einreise und der Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz im Bundesgebiet zu Asylwerbern (vgl. ErläutRV 330; Schrefler-König, 2014: § 35 Anm. 1, 2). In § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wird definiert, was unter einem Antrag auf internationalen Schutz zu verstehen ist. Die Formulierung „Antrag auf internationalen Schutz“ geht dabei auf Art. 2 lit g der Status- oder Anerkennungsrichtlinie (nunmehr Art. 2 lit. h StatusRL 2011) zurück und soll entsprechende Einheitlichkeit gewährleisten (vgl. ErläutRV 952). Das AsylG 2005 versteht unter einem Antrag auf internationalen Schutz „das - auf welche Weise auch immer artikulierte - Ersuchen eines Fremden in Österreich, sich dem Schutz Österreichs unterstellen zu dürfen; der Antrag gilt
  • 33. 26 als Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und bei Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten“ (§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005). Nach den Bestimmungen des AsylG 2005 sind – anders als in der StatusRL, die auf die Drittstaatsangehörigkeit abstellt – Angehörige der Mitgliedstaaten nicht ausgeschlossen (vgl. Frank/Anerinhof et al., 2012: 45; Schrefler-König, 2014: §§ 3 Anm. 1 und § 4a Anm. 1). Gemäß § 2 Abs. 1 Z 20a AsylG 2005, ist nämlich ein Fremder jede Person, die keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Es können daher grundsätzlich auch Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der europäischen Union Asylanträge in Österreich stellen. Für den Antrag ist keine bestimmte Form vorgesehen. Es muss lediglich erkennbar sein, dass der Antragsteller in Österreich um Schutz vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ersucht (vgl. Frank/Anerinhof, 2012: 45; Schrefler-König, 2014: § 2 Anm. 6). Er kann dies „auf welche Art auch immer“ (ErläutRV 952) tun und muss sich auch nicht der deutschen Sprache bedienen oder den Antrag schriftlich formulieren (vgl. Putzer, 2011: RZ 27). Bei der Beurteilung, ob ein Asylantrag vorliegt, ist „ein großzügiger Maßstab anzulegen“ (VwGH 08.09.1999, 99/01/0248). Der Antrag gilt sowohl als Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten. Er muss – wie oben ausgeführt – in Österreich persönlich bei der zuständigen Behörde gestellt bzw. eingebracht werden. Eine Antragstellung im Ausland ist nicht möglich (vgl. Putzer, 2011: RZ 28). Mit der Einbringung des Antrags auf internationalen Schutz wird der Fremde zum Asylwerber (vgl. Schrefler-König, 2014: § 17 Anm. 4). 4.3 Zulassungsverfahren Mit der Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bei der Erstaufnahmestelle beginnt das Asylverfahren, das grundsätzlich in dieser geführt wird. Sofern noch keine Befragung erfolgt ist, wird eine solche binnen 48 (längstens 72) Stunden durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführt. Der Asylwerber erhält eine sogenannte Verfahrenskarte (§ 50 Abs. 1 AsylG 2005), die ihn zum Aufenthalt in der Erstaufnahmestelle berechtigt. Diese Karte gewährt ihm auch Zugang zu den Leistungen der Grundversorgung (siehe unten Pkt. 4.6) und dient darüber hinaus der Dokumentation
  • 34. 27 der Verfahrensschritte bis zum Abschluss des Zulassungsverfahrens. Es werden zu Beginn des Zulassungsverfahrens verschiedene Verfahrens- und Ermittlungsschritte gesetzt (§ 29 Abs. 6 AsylG 2005), wie beispielsweise eine erkennungsdienstliche Behandlung, eine Durchsuchung und gesundheitliche Untersuchungen. Der Asylwerber wird über den Ablauf des Asylverfahrens in einer ihm verständlichen Sprache, die nicht seine Muttersprache sein muss (ErläutRV 952), informiert und er wird von einem Organ des Bundesamtes zu seinem Antrag einvernommen. Er darf (mit einigen Ausnahmen: § 15 Abs. 3b AsylG 2005) bis zum Abschluss dieser Schritte die Erstaufnahmestelle für die Dauer von 120 Stunden nicht verlassen, wobei diese Frist gegebenenfalls um höchstens 48 Stunden verlängert werden kann (§ 15 Abs. 3a AsylG 2005). Wenn das Bundesamt nicht beabsichtigt, das Verfahren zuzulassen oder dem Asylwerber den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, ist ihm dies mitzuteilen. Er wird an einen Rechtsberater verwiesen und gleichzeitig (vgl. ErläutRV 952) zu einer Einvernahme geladen. Er erhält eine Aktenabschrift und es erfolgt die Rechtsberatung. Bei der darauf folgenden Einvernahme, bei der dem Asylwerber das Ergebnis der Beweisaufnahme vorgehalten wird und in der er selbst seine Fluchtgründe näher schildern und Beweismittel vorlegen kann, ist der Rechtsberater anwesend. Gemäß § 19 Abs. 5 AsylG 2005 muss bei der Einvernahme Minderjähriger der gesetzliche Vertreter anwesend sein. Das Bundesamt kann bereits in der Erstaufnahmestelle inhaltlich über den Antrag auf internationalen Schutz entscheiden (vgl. Frank/Anerinhof, 2012: S. 710; Schrefler-König, 2014: §§ 28 – 30 Anm. 3; siehe aber § 30 AsylG 2005). Wird eine solche Entscheidung nicht bereits vor der Zulassung des Verfahrens gefällt, hat das Bundesamt eine Prognoseentscheidung zu treffen: Es hat nach seinem Wissensstand zu beurteilen, ob der Antrag auf internationalen Schutz voraussichtlich (wegen Drittstaatssicherheit; Schutz im EWR-Staat oder in der Schweiz; Zuständigkeit eines anderen Staates aufgrund vertraglicher Verpflichtung oder der sog. Dublin-Verordnung; res iudicata) zurückzuweisen sein wird (vgl. ErläutRV 952; Frank/Anerinhof, 2012: S. 710). Ist dies nicht der Fall, wird das Verfahren zugelassen, indem dem Asylweber eine Aufenthaltsberechtigungskarte (§ 51 AsylG 2005) ausgefolgt wird, wobei dies durch die Stattgebung oder Abweisung des Antrags im Zulassungsverfahren ersetzt werden kann. Die Karte dient zum Nachweis der Identität des Asylwerbers im Verfahren und der Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts in Österreich und gilt für die Dauer des Verfahrens. Wird gegen einen im Zulassungsverfahren abgewiesenen Antrag rechtzeitig Beschwerde erhoben und kommt dieser aufschiebende Wirkung zu, gilt der Antrag ebenfalls als zugelassen (vgl. Schrefler- König, 2014: §§ 28 – 30 Anm. 5). Da manche Zurückweisungstatbestände erst später
  • 35. 28 hervorkommen können (vgl. ErläutRV 952), kann auch nach erfolgter Zulassung noch eine zurückweisende Entscheidung ergehen. Asylwerber sind gemäß § 13 Abs. 1 AsylG 2005 bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens (siehe unten 4.4) in Österreich aufenthaltsberechtigt, wobei sie dieses Recht jedoch auch (beispielsweise bei Straffälligkeit) wieder verlieren können (§ 13 Abs. 2 AsylG 2005). 4.4 Weiteres Verfahren und Entscheidung Die Prüfung des Antrags erfolgt in zwei Stufen (vgl. Schrefler-König, 2014: § 2 Anm. 5). Wird der Antrag auf internationalen Schutz nicht zurückgewiesen, prüft das Bundesamt zunächst, ob dem Asylwerber der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist (dazu ausführlich Schrefler-König, 2014: § 3). Dies ist gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 dann der Fall, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK – d.h. wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung – droht und ihm im Herkunftsland keine innerstaatliche Fluchtalternative (§§ 3 Abs. 3 Z 1, 11 AsylG 2005) möglich ist, d.h. er dort nicht zumutbarer Weise in einem anderen Landesteil Schutz vor Verfolgung finden kann. Der Asylwerber darf auch keinen Asylausschlussgrund (§§ 3 Abs. 3 Z 2, 6 AsylG 2005; siehe dazu Schrefler-König, 2014: § 6) gesetzt haben. Auch eine amtswegige Zuerkennung des Status des Asylberechtigten aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen ist möglich (§ 3 Abs. 4 AsylG 2005). Im Falle einer positiven Entscheidung wird festgestellt, dass dem Fremden die Flüchtlingseigenschaft zukommt und er kann in Österreich bleiben. Im Falle, dass nicht festgestellt werden kann, dass dem Fremden im Herkunftsland eine Verfolgung im Sinne der GFK droht, wird der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen und das Bundesamt prüft, ob dem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist. Dabei wird geprüft, ob dem Fremden im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (Recht auf Leben, Verbot der Folter und unmenschlicher Behandlung, Abschaffung der Todesstrafe) drohen würde oder er „als Zivilperson einer ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes“ (§ 8 AsylG 2005) ausgesetzt wäre (dazu ausführlich Schrefler-König, 2014: § 8). Die Gefahr muss sich wiederum auf das gesamte
  • 36. 29 Staatsgebiet beziehen (innerstaatliche Fluchtalternative, § 11 AsylG 2005), der Herkunftsstaat muss feststehen (§ 8 Abs. 6 AsylG 2005) und es darf kein Aberkennungsgrund (§§ 8 Abs. 3a, 9 Abs. 2 AsylG 2005) vorliegen. Wird dem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, erhält er gemäß § 52 Abs. 1 AsylG 2005 eine entsprechende Karte, die seine Identität und Aufenthaltsberechtigung dokumentiert. Die Aufenthaltsberechtigung gilt zunächst für ein Jahr. Auf Antrag prüft das Bundesamt, ob die Voraussetzungen danach weiter vorliegen und verlängert die Aufenthaltsberechtigung diesfalls für jeweils zwei weitere Jahre (§ 8 Abs. 4 AsylG 2005). Wird weder der Status des Asylberechtigten noch des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt – wird somit eine negative Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz getroffen – und wird auch kein Aufenthaltstitel erteilt, ist die (negative) Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG (siehe dazu Schrefler-König, 2014: § 10) zu verbinden und der Fremde muss das Bundesgebiet verlassen. Gegen eine (negative) Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl kann der Asylwerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erheben (Art. 130 B-VG). Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts können mit Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) (Art. 144 B-VG) oder (außer)ordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) (Art. 133 B-VG)bekämpft werden. 4.4 Ende der Asylwerbereigenschaft Gemäß § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 besteht die Asylwerbereigenschaft „[…] bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens“. 4.4.1 Rechtskräftiger Abschluss des Verfahrens Das Verfahren ist rechtskräftig abgeschlossen, wenn der Bescheid nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln bekämpft werden kann (vgl. Hengstschläger/Leeb, 2009: RZ 6). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich um einen letztinstanzlichen Bescheid handelt, wenn die Rechtsmittelfrist ungenützt verstrichen ist oder die Beschwerde zurückgezogen wird (vgl. Hengstschläger/Leeb, 2009: RZ 10). Die Rechtskraft tritt ein mit der Erlassung (rechtswirksame [vgl. Hengstschläger/Leeb, 2009:
  • 37. 30 RZ 10] Zustellung, mündliche Verkündung) des Bescheids und nicht erst mit der Zurückweisung einer unzulässigen (weil verspäteten) Beschwerde (vgl. Walter et al., 2011: RZ 455). Die Einbringung eines außerordentlichen Rechtsmittels ändert nichts am Eintritt der Rechtskraft, auch wenn diesem aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. Hengstschläger/Leeb, 2009: RZ 9). Wird der Bescheid später durch eine (höchstgerichtliche) Entscheidung oder aufgrund eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 32 VwGVG) oder auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§34 VwGVG) behoben, lebt die Asylwerbereigenschaft wieder auf (vgl. ErläutRV 952). 4.4.2 Einstellung und Gegenstandslosigkeit des Verfahrens In bestimmten Fällen kann es zur Einstellung des Asylverfahrens kommen. Dies ist gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 der Fall, wenn sich ein Asylwerber „dem Verfahren entzogen hat und eine Entscheidung ohne eine allenfalls weitere Einvernahme oder Verhandlung nicht erfolgen kann“. Wann sich ein Asylwerber dem Verfahren entzieht, ist in § 24 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG 2005 geregelt. Dazu ist anzumerken, dass einen Asylwerber gemäß § 15 Abs. 1 AsylG 2005 eine Mitwirkungspflicht im Verfahren trifft. So muss er beispielsweise seinen Antrag begründen, zu Verfahrenshandlungen und Untersuchungen erscheinen, relevante Dokumente zur Verfügung stellen und insbesondere seinen Aufenthaltsort mitteilen bzw. über eine aufrechte Meldung verfügen (vgl. Schrefler-König, 2014: zu § 15 Anm. 2, 4). Wenn nun der Asylwerber seiner meldegesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommt oder es unterlässt, der entscheidenden Behörde seinen Aufenthaltsort oder eine Änderung desselben kundzutun, entzieht er sich dem Verfahren, wenn sein Aufenthaltsort von der Behörde nicht leicht festgestellt werden kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn über Abfragen des Zentralen Melderegisters (ZMR) oder des Betreuungsinformationssystems/Grundversorgungssystems (BIS/GVS) hinausgehende, aufwendige Ermittlungen gesetzt werden müssen (vgl. ErläutRV 952). Einfache Recherchen wie beispielsweise eine Nachschau in der Notschlafstelle, wenn der Asylwerber nie über eine Meldeadresse verfügt hat, können der Behörde zugemutet werden (vgl. Frank/Anerinhof et al., 2012: S. 689). Weiters entzieht sich ein Asylwerber dem Verfahren, wenn er das Bundesgebiet freiwillig (also nicht aufgrund einer gesetzlichen Pflicht [vgl. ErläutRV 952]) verlässt und in ein anderes als sein Herkunftsland reist.
  • 38. 31 Der maßgebliche Sachverhalt – auch wenn etwa bereits eine Befragung oder Einvernahme stattgefunden haben sollte – darf noch nicht soweit geklärt sein, dass alleine auf dieser Grundlage und ohne eine weitere Befragung des Asylwerbers eine Entscheidung getroffen werden kann (vgl. ErläutRV 952; Frank/Anerinhof et al., 2012: S. 680). Sind diese beiden Voraussetzungen erfüllt, wird das Verfahren von der Behörde eingestellt. Damit verliert der Asylwerber die Asylwerbereigenschaft (vgl. Frank/Anerinhof, 2012: S. 679; Schrefler-König, 2014, zu § 24 Anm. 1). Sobald es (wieder) möglich wird, den maßgeblichen Sachverhaltes festzustellen, hat die Behörde das Verfahren von Amts wegen fortzusetzen, wobei eine Fortsetzung allerdings nach Ablauf von zwei Jahren ab Einstellung nicht mehr zulässig ist, sodass ein neuerlicher Antrag auf internationalen Schutz gestellt werden muss (vgl. ErläutRV 952). Zur Fortsetzung des Verfahrens kommt es regelmäßig, wenn der Antragsteller der Behörde eine aktuelle Meldeadresse mitteilt oder nach seinem Aufgriff durch Sicherheitsbeamte. Die Einstellung bewirkt unter anderem, dass der Asylwerber sein Aufenthaltsrecht verliert (§ 13 Abs. 1 AsylG 2005). Der faktische Abschiebeschutz bleibt jedoch gemäß § 12 Abs. 1 AsylG 2005 bis zum Ablauf der zweijährigen Frist aufrecht. Im Falle der Einstellung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl kann dieses gemäß § 34 Abs. 4 BFA- VG die Festnahme des Asylwerbers anordnen. Gegebenenfalls wird ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet (§ 27 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005). Es ist davon auszugehen, dass im Falle einer späteren Fortsetzung das Verfahren wieder zugelassen ist, der Antragsteller wieder als Asylwerber anzusehen ist und die Aufenthaltsberechtigung wieder auflebt (vgl. Frank/Anerinhof, 2012: S. 680). Gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz unter anderem als gegenstandslos abzulegen, „wenn der Fremde freiwillig in den Herkunftsstaat abreist“ und zwar mit dem Zeitpunkt seiner Ausreise. Auch hier muss die Ausreise ohne behördlichen oder gesetzlichen Druck stattfinden (vgl. Frank/Anerinhof, 2012: S. 680). Die übrigen in § 25 Abs. 1 AsylG 2005 genannten Fälle der Gegenstandslosigkeit (keine persönliche Einbringung bei der Erstaufnahmestelle binnen 14 Tagen, ausschließlich schriftlicher Antrag, Abschiebung bei Folgeantrag) sind für Asylwerber nicht relevant, weil sie sich im Wesentlichen auf die Situation vor Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz beziehen. Eine Fortsetzung des Verfahrens ist im Falle der Gegenstandslosigkeit nicht möglich.
  • 39. 32 4.5 Bedeutung von Ausbildung und Erwerbstätigkeit Bei der Entscheidung der Behörden über die Zulässigkeit der Rückkehr eines Asylwerbers, dessen Antrag sowohl hinsichtlich der Gewährung von Asyl als auch von subsidiärem Schutz zuerkannt wurde, in sein Heimat- oder Herkunftsland ist gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG auf dessen durch Art. 8 Abs. 2 EMRK geschütztes Privat- und Familienleben Rücksicht zu nehmen. Der EGMR versteht unter Privatleben alle „persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind“ (Chvosta, 2007: 853). Die Behörde hat neben den anderen, in § 9 Abs. 2 BFA-VG demonstrativ aufgelisteten Faktoren auch den Grad der Integration (§ 9 Abs. 2 Z. 4 BFA-VG) der betreffenden Person in Österreich zu berücksichtigen. Diesbezüglich betonen VwGH und VfGH unter anderem auch den Aspekt der Selbsterhaltungsfähigkeit (vgl. Chvosta, 2007: 858) und die damit in Zusammenhang stehende Bedeutung einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit (z.B. VwGH 20. 4. 2006, 2005/18/0560; zur beruflichen Integration jüngst etwa VfGH 06.06.2014, U 1313/2013 und VfGH 19.09.2014, U 2377/2012-14). Bei Minderjährigen fällt eine Schul- oder Berufsausbildung positiv ins Gewicht (vgl. VfSlg 16.657/2002; VwGH 19. 10. 1999, 99/18/0342 u.a; jüngst auch BVwG 29.09.2014, W161 1430391-1/5E). 4.6 Grundversorgung Die Unterbringung und Versorgung von Asylwerbern erfolgt in Österreich im Rahmen der Grundversorgung. Diese ist in der aufgrund Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern abgeschlossenen Grundversorgungsvereinbarung vorgesehen. Für die Betreuung im Bereich des Bundes (Bundesbetreuung) und der Länder bestehen darüber hinaus eigene bundes- und landesgesetzliche Regelungen (Grundversorgungsgesetz- Bund; z.B. Wiener Grundversorgungsgesetz). Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Asylwerber bis zur Zulassung ihres Verfahrens in Österreich in Bundesbetreuung stehen (Erstaufnahme, Art. 3 Abs. 1 Grundversorgungsvereinbarung), während danach die Zuständigkeit auf das jeweilige Bundesland übergeht, dem der Asylwerber zugewiesen wurde. Bund und Länder teilen sich die Kosten der Grundversorgung (Art. 11 Grundversorgungsvereinbarung). Sie können sich zur Erfüllung dieser Aufgaben humanitärer, kirchlicher oder privater Einrichtungen oder Institutionen der freien Wohlfahrtspflege bedienen (Art. 3 Abs. 5 und 4 Abs. 3 Grundversorgungsvereinbarung). Gemäß Art. 9 Grundversorgungsvereinbarung und § 1 Abs. 4 und 5 Grundversorgungsgesetz-Bund sind drei Arten von Betreuungseinrichtungen vorgesehen: kollektive Erstaufnahmestellen/Durchgangszentren, organisierte Unterkünfte (inklusive
  • 40. 33 besondere Betreuungseinrichtungen für unbegleitete Minderjährige) und individuelle Unterbringungen in Privatquartieren, wobei diese Möglichkeit jedoch nur in den Bundesländern gegeben ist (vgl. Koppenberg, 2014: 36). Während in den Bundesländern Asylwerber großteils in Privatunterkünften untergebracht sind, übernehmen in Wien diese Aufgaben ausschließlich NGOs und kirchliche Einrichtungen. Hier wird auch die Grundversorgung für individuell untergebrachte Asylwerber von der Caritas Wien abgewickelt (vgl. Koppenberg, 2014: 21). Die Asylwerber werden gemäß Art. 3 Abs. 2 Z. 1 Grundversorgungsvereinbarung von der Koordinationsstelle im Bundesministerium für Inneres in Übereinstimmung mit der im jeweiligen Bundesland zuständigen Behörde (in Wien: "Grundversorgung Wien Landesleitstelle" des Fonds Soziales Wien) einer Betreuungseinrichtung zugewiesen, wobei dieser Einrichtung jedoch kein Mitspracherecht zukommt (vgl. Koppenberg, 2014: 37). Die Leistungen, die im Rahmen der Grundversorgung bezogen werden können, umfassen im Wesentlichen Unterbringung, Verpflegung, Bekleidung (maximal 150,- EUR pro Jahr), Taschengeld (40,- EUR pro Monat), medizinische Versorgung, Beratung, Kosten in Verbindung mit einem Schulbesuch und Unterstützung bei freiwilliger Rückkehr (Art. 6 Grundversorgungsvereinbarung). Ein nicht in einer organisierten Unterkunft untergebrachter Asylwerber erhält somit rund 330,- EUR pro Monat für Miete, Heizung, Strom, Essen etc. (Art. 6 Grundversorgungsvereinbarung; eigene Berechnung). Für unbegleitete minderjährige Asylwerber bestehen gesonderte Regelungen: In Art. 7 Grundversorgungsvereinbarung ist vorgesehen, dass für sie weitergehende Leistungen gewährt werden. Dadurch soll eine psychische Festigung erreicht und eine Vertrauensbasis geschaffen werden. Sie erhalten Unterstützung bei der Tagesstrukturierung, der Identitäts- und Altersfeststellung, der Suche nach Familienangehörigen, der Integration in Österreich und bei der Schul- und Ausbildung. Wenn nötig, erhalten sie sozialpädagogische und psychologische Unterstützung. Ihre Unterbringung erfolgt je nach Betreuungsbedarf in Wohngruppen (bei besonders hohem Betreuungsbedarf), Wohnheimen (für nicht selbstversorgungsfähige) und im Rahmen des Betreuten Wohnens für diejenigen, die sich unter Anleitung selbst versorgen können. Die Kostensätze für unbegleitete Minderjährige in organisierten Unterkünften sind je nach Art der Unterkunft höher (Art. 9 Z. 7 Grundversorgungsvereinbarung). Darüber hinaus stehen ihnen gemäß Art. 9 Z. 13 Grundversorgungsvereinbarung 200 Unterrichtseinheiten für einen Deutschkurs zu. Wenn der Asylwerber (beispielsweise durch ein eigenes Einkommen) über finanzielle Mittel verfügt, wird dies auf den Grundversorgungsbetrag angerechnet oder die
  • 41. 34 Grundversorgungsleistungen werden als Teilleistungen erbracht (6 Abs. 2 Grundversorgungsvereinbarung, § 3 Abs. 2 Grundversorgungsgesetz-Bund). Übersteigt das Einkommen den Grundversorgungsbetrag, endet die Grundversorgung. Ein Einkommen von circa 100,- EUR im Monat wird in der Praxis toleriert (vgl. Koppenberg, 2014: S. 30). 5. Lehrausbildung allgemein Nach Erfüllung der neunjährigen Schulpflicht (§ 2 Abs.1 Kinder- und Jugendlichen- Beschäftigungsgesetz) kann in Österreich die berufliche Ausbildung Jugendlicher im Rahmen einer Lehre erfolgen. Bei der Lehre handelt es sich um eine duale Ausbildung, bei der die Jugendlichen einerseits in einem Betrieb praktische Kompetenzen, andererseits durch den Besuch einer Berufsschule fachtheoretisches Wissen vermittelt bekommen. Die Lehrausbildung ist im Berufsausbildungsgesetz (BAG) geregelt: Gemäß § 1 BAG werden Lehrlinge auf Grund eines Lehrvertrages in bestimmten Berufen (§§ 5, 7 Abs. 1 BAG) fachlich ausgebildet und im Rahmen dieser Ausbildung verwendet, wobei die Ausbildungsdauer in der Regel drei Jahre beträgt (§ 6 BAG). Der Besuch der Berufsschule ist gemäß § 20 Abs. 1 Z. 1 Schulpflichtgesetz 1985 für jede Person mit einem gültigen Lehrvertrag verpflichtend und daher unabhängig von Deutschkenntnissen oder schulischer Vorbildung. Diese Zeit gilt als Arbeitszeit und die Lehrlingsentschädigung wird auch für diese Zeiten ausbezahlt (§§ 9 Abs. 5, 17 Abs. 2 BAG). Durch den Abschluss des Lehrvertrages wird ein Arbeitsverhältnis begründet und die Lehrlinge sind damit nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) kranken-, unfall-, pensions- und unter bestimmten Bedingungen auch arbeitslosenversichert. Es handelt sich daher um die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, für die auch eine sog. Lehrlingsentschädigung gebührt, deren Höhe meist kollektivvertraglich geregelt ist (§ 17 Abs. 1 BAG). Sie beträgt beispielsweise für kaufmännische Lehrlinge im Hotel- und Gastgewerbe in Wien ab 01.09.2014 604,- EUR im 1. Lehrjahr (vgl. ÖGB 2014). 6. Arbeitsmarktzugang für Asylwerber Da es für die Aufnahme einer Lehrausbildung somit notwendig ist, in Österreich legal einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können, wird im Folgenden der bestehende rechtliche Rahmen in Bezug auf den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber erläutert. Es werden zunächst die Grundlagen dargestellt, auf denen das Recht von Asylwerbern basiert, einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Um die Voraussetzungen darzustellen, die Asylwerber (wie andere Ausländer auch) hinsichtlich der Ausübung einer
  • 42. 35 Erwerbstätigkeit erfüllen müssen, und die damit verbundenen Hürden anschaulich zu machen, wird ein Überblick über die in Österreich gültigen Bestimmungen hinsichtlich der Ausländerbeschäftigung gegeben. Sodann wird auf die spezifischen rechtlichen Möglichkeiten eingegangen, im Rahmen derer junge Asylwerber in Österreich bzw. in Wien eine Lehrausbildung absolvieren können. 6.1 Internationale Grundlagen Das Recht auf Arbeit ist ein grundsätzliches Menschenrecht und als solches auch in Art. 23 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthalten: „Everyone has the right to work, to free choice of employment, to just and favourable conditions of work and to protection against unemployment.” (Universal Declaration of Human Rights 1948). Wenn auch heute teilweise die Ansicht vertreten wird, dass der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Rechtsverbindlichkeit zukomme, ist diese als eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen für die Staatengemeinschaft nach herrschender Meinung rechtlich nicht bindend (vgl. Nettesheim 2009: 191f.). Das Grundrecht auf Arbeit hat jedoch in der Folge insbesondere aufgrund zweier internationaler Verträge Eingang in die österreichische Rechtsordnung gefunden: In Teil III, Art. 6 Abs. 1 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte anerkennen die Vertragsstaaten „das Recht auf Arbeit, welches das Recht jedes Einzelnen auf die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen, umfasst“ (Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 1978). Teil II, Art. 1 der Europäischen Sozialcharta normiert das Recht auf Arbeit, wobei Teil I, Art. 1 die Vertragspartner verpflichtet, die entsprechenden Voraussetzungen zur Gewährleistung der tatsächlichen Ausübung dieses Rechts zu schaffen: „Jedermann soll die Möglichkeit haben, seinen Lebensunterhalt durch eine frei übernommene Tätigkeit zu verdienen.“ (Europäische Sozialcharta 1970)
  • 43. 36 Dieses Recht gilt gemäß § 1 des Anhangs zur europäischen Sozialcharta 1970 für alle legal in einem anderen Vertragsstaat der Europäischen Sozialcharta aufhältigen Staatsangehörigen. 6.2 EU-Recht Die Richtlinie (RL) 2013/33/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 legt Mindestnormen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, in den Mitgliedstaaten der EU fest (Aufnahmerichtlinie, Neufassung). Die Aufnahmerichtlinie stellt in Art. 2 lit. a auf das Vorliegen eines Antrags auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 lit. h der Richtlinie 2011/95/EU (Anerkennungsrichtlinie) ab, über den noch nicht endgültig entschieden wurde (Art. 2 lit. b RL 2013/33/EU). Ein solcher Antrag liegt demnach vor, wenn ein Antrag eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus gerichtet ist und nicht ausdrücklich um eine andere Form des Schutzes ersucht wird (Art. 2 lit. h RL 2011/95/EU). Diese Aufnahmerrichtlinie enthält keine Legaldefinition des Begriffs „Drittstaatsangehöriger“. Sie verweist jedoch auf die Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, welche in Art. 3 auf das Nichtvorliegen der Unionsbürgerschaft und des Gemeinschaftsrechts auf freien Personenverkehr gemäß Art. 2 Absatz 5 des Schengener Grenzkodex abstellt. Unionsbürger wiederum sind gemäß Art. 20 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) alle jene Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen. Staatenlose sind Personen ohne Staatsangehörigkeit. Nach Kap. I Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 gelten als staatenlos jene Personen, die von keinem Staat aufgrund nationalen Rechts als seine Staatsangehörigen angesehen werden. Die Aufnahmerichtlinie überlässt es weitgehend den Mitgliedstaaten, den Zugang von Asylwerbern zu Beschäftigung und Bildung zu regeln. Nach Art. 15 Abs. 1 RL 2013/33/EU müssen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass Asylwerber spätestens nach neun