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  Mobbing: Konflikte am Arbeitsplatz –
Pathologische Beziehungsgefüge in Gruppen




                     Magisterarbeit
             zur Erlangung des Grades eines
                  Magister Artium M.A.




                        vorgelegt
                           der
                Philosophischen Fakultät
      der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität
                        zu Bonn




                           von
                     Ibrahim Mazari
                           aus
                          Köln
2

                                Inhaltsverzeichnis
   Einführung (1)
         o   Aufbau der Arbeit (2)
         o   Fallbeispiel (4)
         o   Problemstellung (5)
         o   Relevanz (7)
         o   Etymologie Mobbing (9)


   Forschungsgegenstand Mobbing (10)
        o   grundsätzliche Strukturen von Mobbing (12)
        o   Mobbingdefinitionen (13)
        o   Abgrenzung zu verwandten Begriffen (16)
                     sexuelle Belästigung (16)
                     Diskriminierung (17)
                     Gewalt (17)
                     Konflikt (18)
        o   Leymanns 45er Liste (19)
                     Kritik (24)
        o   standardisierte Methoden zur Erfassung von Mobbing (26)
                     LIPT (26)
                                 Aufbau (26)
                                 Validität (27)
                                 Reliabilität (27)
                                 Kritik am LIPT (28)
                     WHS (28)


   Mobbingprozess (30)
       o   Leymanns 5-Phasen-Modell (30)
                    Kritik des Leymann – Modell (31)
       o   Dynamik von Mobbing (33)
       o   Verbreitung von Mobbing (35)
       o   Mobbingrisiko (36)
                    Mobbingrisiko und Geschlecht (37)
                    Mobbingrisiko und Alter (38)
                    Mobbingrisiko und Berufsgruppe (39)
                    Mobbingrisiko und Branche/Wirtschaftszweig (39)
                    Mobbingrisiko und Betriebsgröße (40)
                    Mobbingrisiko und Status (40)
                    Mobbingrisiko und Persönlichkeitsmerkmale (41)
       o   Mobbinghandlungen (44)
       o   Dauer und Häufigkeit des Mobbingprozesses (48)
                    Dauer (48)
                    Häufigkeit (49)
        o    Hierarchische Position, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Geschlecht und Alter des Mob-
             bing-Täters (50)
                     Hierarchie (51)
                     Betriebszugehörigkeit (52)
                     Geschlecht (52)
                     Alter (53)
        o    Folgen von Mobbing (53)
                     individuelle Folgen (53)
                                psychische und physische Folgen (53)
                                Arbeits- und Leistungsverhalten (57)
                     betriebswirtschaftliche Folgen (57)
                     Bewältigungsstrategien des Opfers (58)
                                persönliches Bewältigungsverhalten (58)
                                Gegenwehr (59)
                                Social Support (60)

        o    Begünstigungsfaktoren für Mobbing (61)
                     individuelle Begünstigungsfaktoren (61)
                                Angst (62)
                                Stress (62)
                                Neid (64)
                                Frustration (65)
                                Antipathie (65)
                     betriebliche und arbeitsorganisatorische Faktoren (66)
                                Arbeitsorganisation (67)
                                Normen und Werte in der Organisation (71)
                                Führungsverhalten in Organisationen (72)
                                mangelnde Streitkultur (74)
3

                               gesellschaftliche Begünstigungsfaktoren (75)
                                         Strukturwandel (75)
                                         Wirtschaftslage (76)
                                         gesellschaftliche Normen und Werte (76)
                   o     Zusammenfassung und Schlussfolgerung (78)


              theoretische Erklärungsansätze zu Mobbing (80)
4.1 organisationssoziologischer Ansatz (81)
                                   Organisation als soziales System (81)
                                              Funktionen von organisierten Sozialsystemen (83)
                                              Selbstregulierung von Systemen (85)
                                              pathologische Grundmuster von Organisationen (89)
                                              Exkurs: Ist Mobbing pathologisch oder systemimmanent? (91)
                                                     o    Devianz (92)
                                                     o    Funktionen von Sündenböcken in Organisationen (96)
                                   Organisation als mikropolitischer Raum (96)
                                              Merkmale mikropolitischer Situationen (97)
                                              Charakterisierung der Spielmetapher (99)
                                              Merkmale des Spiels „Arbeiten in Organisationen“ (99)
                                   Mobbing als Gruppenphänomen (100)
                                              Gruppenfunktionen (101)
                                              Konformität in (Klein-) Gruppen (103)
                                              soziale Normierung in der Gruppe (105)
                                              soziale Differenzierung in der Gruppe (106)
                                              Arbeitsgruppen im Industriebetrieb (107)
                    o    konfliktsoziologischer Ansatz (108)
                                   Konflikte (108)
                                   soziale Konflikte in Organisationen (111)
                                              innerorganisatorische Konfliktursachen (112)
                                   Kommunikation, Interaktion und Konflikte (114)
                                              Kommunikation und Interaktion (114)
                                              Störungen der Kommunikation (115)
                                   Funktionen von Konflikten (122)
                                              positive Funktionen von Konflikten (122)
                                              negative Funktionen von Konflikten (123)
                                   Konflikteskalationsmodelle (124)
                                           Konfliktverlaufsmodell nach Berkel (1985) (124)
                                       Das Phasenmodell der Konflikteskalation nach Glasl (1992) (125)
                   o    Zusammenfassung und Schlussfolgerung (130)

             Schlussbemerkung (133)
             Literatur- und Quellenverzeichnis (135)
4


1. Einführung


Mobbing ist ein Phänomen wiederkehrender Feindseligkeiten. (Niedl 1995, 3)
Es ist das Produkt und die Folge eines fehlgeschlagenen Konfliktmanagements, das
begünstigt wird durch ein Versagen von systemnotwendigen Funktionen in Ver-
bindung mit in der Organisation angelegten pathologischen Grundmustern. (vgl.
Neuberger 1995; Bosetzky & Heinrich 1994; Bergmann 1967)
Mobbing ist im Gegensatz zu dem, was jedem als Gemeinheit von Kollegen auf der
Arbeitsstätte widerfährt, systematisch und zeichnet sich durch ein bestimmtes Hand-
lungsregister und einen eskalierenden Verlaufscharakter aus; der Betroffene leidet
unter verheerenden gesundheitlichen Folgen.
Gerade diese extremen Konsequenzen und die daraus resultierenden menschlichen
Tragödien, die bis zum Selbstmord des Opfers reichen können, hinterlassen ein be-
klemmendes Gefühl und führen vor Augen, dass der scheinbar zivilisierte Umgang
von ganz normalen Menschen wie „du und ich“ eine derartige Wendung erfahren
kann und der dünne Firnis der Humanität unserer Arbeits- und Lebenswelt in Frage
gestellt wird.
Dieser Schrecken erklärt, warum die Boulevardpresse, aber auch seriöse Publika-
tionsorgane, sich diesem Thema widmen und von den bewegenden Schicksalen ge-
brochener Menschen berichten1. Was sind das für Menschen? – das ist unsere Reakti-
on auf die geschilderten Taten der Täter, und die Presse erleichtert das Gewissen des
zivilisatorisch hinterfragten Individuums, indem Mobbing als Produkt sadistischer
Menschen bezeichnet wird.
Diese Arbeit zeigt, dass sowohl empirisch fundierte Ergebnisse als auch theoretische
Überlegungen ein anderes Bild vermitteln und zu dem Schluss kommen, dass der in-
dividuelle Anteil am Mobbing äußerst gering ist gemessen an Faktoren wie
Arbeitsorganisation und Hierarchiestruktur im Unternehmen.
Hinter dem Offensichtlichen schauen, dass scheinbar Unerklärliche und Unergründli-
che zurückführen auf handfeste Fakten ist das erklärte Ziel einer jeden Wissenschaft;
diese Arbeit bemüht sich hinter die Fassaden des tagtäglichen Grauens am
Arbeitsplatz zu blicken und mit Hilfe der Soziologie, ihrem Blick, ihren Methoden
und ihren Erkenntnissen, dem Phänomen Mobbing ein Stück weit näher zu kommen.


1
  Wie etwa die Schilderung des Falls von der jungen Polizistin aus München, die durch das Mobbing
ihrer Kollegen in den Selbstmord getrieben wurde.
5

1.1 Aufbau der Arbeit
Diese Arbeit ist in vier Kapiteln gegliedert. Im ersten, einleitenden Abschnitt wird
Mobbing anhand eines Fallbeispiels veranschaulicht, die Relevanz dieses Themas für
die Soziologie und für die Gesellschaft als ganzes herausgestellt und anschließend
das Untersuchungsthema dieser Arbeit über die Formulierung einer Arbeitshypothese
näher eingegrenzt.


Im zweiten Kapitel wird Mobbing am Arbeitsplatz als Forschungsgegenstand thema-
tisiert, die Entstehung der Mobbingforschung und die Abgrenzung zu anderen Mob-
bingbereichen (z.B. Mobbing an der Schule) nachvollzogen, um dann auf aktuelle
Definitionen des Mobbingbegriffs einzugehen und daraus grundsätzliche Strukturen
von Mobbing abzuleiten.
Damit einher geht die Abgrenzung zu verwandten Begriffen wie den des Konfliktes
oder der Gewalt, um eine so weit wie möglich „scharfe“ Begriffsbestimmung zu ge-
währleisten.
Im zweiten Kapitel werden ebenfalls die bisher wichtigsten standardisierten Metho-
den zur Erfassung von Mobbing, den Fragebögen LIPT und WHS, vorgestellt und
kritisch betrachtet. Abschließend werden neben allgemeinen methodenkritischen
Anmerkungen im Umgang mit Mobbing die 45 Mobbinghandlungen von Leymann
aufgezählt und einzeln erläutert, da sie der operationalen Definition von Mobbing auf
der Grundlage des LIPT entsprechen.


Im dritten Kapitel geht es um die Darstellung des Mobbings als ein dynamischer, von
Phasen bestimmter Prozess. Dem folgen die Ergebnisse der ersten deutschen Re-
präsentativstudie von Meschkutat et al. (2002), die Auskunft geben über die Ver-
breitung, die Dauer und die Häufigkeit von Mobbing und die Zusammenhänge zwi-
schen dem Mobbingrisiko und bestimmten soziodemographischen Angaben wie Ge-
schlecht, Alter und Berufsgruppe aufzeigen und dabei auch Angaben über den Mob-
ber hinsichtlich seiner hierarchischen Position, seiner Betriebszugehörigkeit, dem
Geschlecht und dem Alter erfragen. Zudem untersucht die Studie auch die Folgen
von Mobbing für den Betroffenen, eruiert Bewältigungsstrategien und forscht nach
Begünstigungsfaktoren für Mobbing in Persönlichkeitsmustern, in betrieblichen und
arbeitsorganisatorischen Bedingungen und fragt nach gesamtgesellschaftlichen Zu-
sammenhängen.
6

Diese Ergebnisse werden kritisch mit denen anderer Erhebungen verglichen, um so
Widersprüche oder Bestätigungen auszumachen.


Im vierten, abschließenden Kapitel wird der Versuch unternommen, die aus dem
dritten Kapitel empirisch fundierten Ergebnisse in einen weiten theoretischen
Rahmen zu stellen und die Arbeitshypothese zu belegen, wonach Mobbing wahr-
scheinlicher ist, wenn systemnotwendige Funktionen von organisierten Sozialsyste-
men versagen und gleichzeitig vorhandene pathologische Grundmuster (vgl. Bosetz-
ky & Heinrich, 1994) hinzukommen und dadurch die Lösung und Integration von
Konflikten verhindert wird. Die ungelösten Konflikte eskalieren und nehmen den für
Mobbing typischen Verlauf an.
Um diese These zu belegen, gehe ich zunächst auf organisationssoziologische Über-
legungen ein, führe den Systembegriff zur Beschreibung von Wirtschaftsunter-
nehmen ein, um dann nach Funktionen von organisierten Sozialsystemen und sys-
temimmanenten Strukturen wie Selbstregulierung zu suchen, so dass ich Rück-
schlüsse auf die Entstehung von Mobbing ziehen kann.
Dann beleuchte ich pathologische Grundmuster von Organisationen wie die Über-
komplizierung, verdeutliche in bestimmten Organisationsmustern implizierte Aus-
grenzungsprozesse und versuche die Frage, ob Mobbing systemimmanent oder
pathologisch ist, in einem Exkurs zu beantworten.
Dem folgt die Darstellung von Organisation als ein mikropolitischer Raum, in dem
Mobbing ein spezifisches Spiel, eine politische Strategie ist.
Daran schließen gruppensoziologische Überlegungen an, da Mobbing ein Gruppen-
phänomen ist. Funktionen wie Konformität, soziale Normierung und Differenzierung
in Gruppen werden untersucht und mit der Entstehung und der Ausprägung von
Mobbing in Verbindung gesetzt. Auch spezifische Strukturen der Arbeitsgruppe im
Industriebetrieb werden in Augeschein genommen und nach mobbingbegünstigenden
Strukturen hin durchforstet.
Abschließend geht es um die Rolle sozialer Konflikte in Organisationen. In diesem
Ansatz versuche ich die Funktionen und Dysfunktionen von Konflikten für die
Organisation zu ermitteln und fahnde nach innerorganisatorischen Konfliktursachen,
z.B. in der Kommunikation und Interaktion der Beteiligten, um dann Mobbing in-
nerhalb bestehender Konflikteskalationsmodellen einzuordnen und dadurch als einen
spezifischen, eskalierenden Konflikt zu bestimmen.
7

1.2 Fallbeispiel
Geschildert wird der Fall von Lena (vgl. Leymann 1993, 19f., 57f.), einer Schweiße-
rin aus Schweden, die nach einer Umschulung gleich eine Anstellung in einem Be-
trieb findet. Sie ist die erste Frau in diesem Betrieb, die diesen Beruf ausübt, und er-
regt dadurch Aufsehen, was sie erwartet hat. Schließlich wusste Lena, dass sie in
einem „Männerberuf“ gelandet war.
Ihrer Ansicht nach läuft es gut und sie kann sich schnell einarbeiten.
Nach einem Monat bittet sie der Werksmeister in der Küche auszuhelfen, da zwei
Mädchen erkrankt waren.
Sie traut sich nicht zu widersprechen und fragt sich dennoch, wie ein Mann reagiert
hätte an ihrer Stelle. Doch da sie neu ist, möchte sie keinen Aufstand machen und
willigt ein.
In der folgenden Zeit kommt der Meister immer mit der gleichen Bitte, bis sie sich
weigert und es zu einer Auseinandersetzung kommt. Lena berichtet davon, dass alle
Augen in diesem Moment auf sie gerichtet sind und sie darin deutlich Verachtung
und Ablehnung verspürt.
Sie wird nunmehr als „Emanze“ stigmatisiert und Kollegen beginnen sie zu atta-
ckieren, die jüngeren Mitarbeiter belästigen sie sexuell, indem sie Lenas Hintern
kneifen, der Werkmeister und andere Kollegen kritisieren permanent die Qualität ih-
rer Arbeit und sprechen ihr die Qualifikation für diesen Job ab.
Lena ist immer mehr verängstigt und reagiert unsicher, morgens vor der Arbeit leidet
sie unter Weinkrämpfen und Magenbeschwerden und geht äußerst ungern zur Arbeit.
Sie entschließt sich, klar ihre Meinung zu sagen und die Kollegen deutlich zu bitten,
die Angriffe zu unterlassen, doch es wird dadurch nur noch schlimmer für sie, die
Angriffe werden häufiger und intensiver, Hilfsgesuche an Vorgesetzte und Gewerk-
schaftsfunktionäre werden belächelt, nicht ernst genommen oder einfach ignoriert.
Immerhin widmet sich ein Journalist ihrer Geschichte und veröffentlicht sie in einer
Gewerkschaftspublikation, woraufhin Lena als Reaktion einen Drohbrief mit wüsten
Beschimpfungen erhält. Als sie diesen ihren Vorgesetzten zeigt, reagieren diese gar
nicht.
Lena wird immer häufiger krank, was ihr angelastet wird, mit der Begründung, sie
vertrage die Belastungen der Schweißarbeit (als Frau) nicht. Infolge dessen wird
Lena ins Lager strafversetzt, worauf sie depressiv wird und endgültig erkrankt, so
dass sie mit 39 Jahren den Betrieb verlässt, in psychiatrischer Behandlung gehen
muss und den Rest ihres Lebens als Frührentnerin arbeitsunfähig bleibt.
8

1.3 Problemstellung
Feindseligkeiten am Arbeitsplatz sind ein Thema für unterschiedliche wissenschaftli-
che Disziplinen. Die Gruppendynamik interessiert Sozialpsychologen, Ausgrenzung
und Sündenbockphänomen rufen Soziologen auf den Plan, die sich gemeinsam mit
Betriebswirten Fragen nach der Arbeitsorganisation und ihre Auswirkung auf das be-
triebliche Miteinander und auf die Produktivität stellen. Konflikte in Betrieben erlau-
ben unterschiedliche Zugänge, von der Analyse der Dyade in einer stark psycholo-
gisch geprägten und auf das Individuum fokussierten Perspektive bis hin zur Betrach-
tung des Wirtschaftsunternehmens als ein System mit immanenten Strukturen, das in
eine spezifische Umwelt eingebettet ist.
Obwohl jeder von derartigen Konflikten weiß und Mobbing vielen ein Begriff ist,
stellt sich die Forschungslage als eher dürftig heraus. (vgl. Niedl 1995)
Die Diskussion um Mobbing und die praxisnahe Auseinandersetzung in den Be-
trieben ist einseitig und kapriziert sich fast ausschließlich auf das Konzept von Ley-
mann. (a.a.O. 4)
Dies ist nicht nur einer geradezu sträflichen Vernachlässigung dieses Themas von
Seiten der Soziologie geschuldet, sondern auch dem Umstand, dass empirisch fun-
dierte Untersuchungen im deutschsprachigen Raum lange Zeit fehlten. Erst die
Arbeit von Meschkutat et al. (2002), eine Repräsentativstudie für ganz Deutschland,
konnte diese Lücke füllen. (vgl. Meschkutat et al. 2002; Niedl 1995; Neuberger
1995)


Meine Arbeit verfolgt zwei Ziele: einmal die Auseinandersetzung mit Mobbing als
einem sozialen Phänomen und als einem wissenschaftlichen Begriff. Hierbei versu-
che ich, den gegenwärtigen Diskussionstand widerzugeben und mich dem Phänomen
mit kritischer Distanz zu nähern.
Dann möchte ich Mobbing für die Soziologie erobern. Hier ist ein eklatantes Defizit
zu konstatieren, denn die bisher vorgelegten ernstzunehmenden wissenschaftlichen
Arbeiten, die sich des Mobbings annehmen, entstammen größtenteils der Feder von
Psychologen, Betriebswirten und Arbeitswissenschaftlern, soziologische Konzepte
wurden, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt.
Natürlich ist ein interdisziplinärer Zugang wünschenswert und notwendig, denn
Mobbing umfasst viele Aspekte, die unterschiedliche Herangehensweisen und For-
schungsperspektiven herausfordern, dennoch stellen selbst Forscher aus anderen Dis-
ziplinen fest, dass Mobbing als ein soziales Phänomen zu betrachten und dass eine
9

rein auf die einzelnen Akteure und ihre Psychologie beschränkte Analyse dem Phä-
nomen nicht gerecht zu werden vermag.
Neuberger (1995, 1) betont:


       „Mobbing sollte nicht als singuläres Phänomen betrachtet werden, sondern als allgegen-
       wärtiger Aspekt organisierten sozialen Handelns.“


Umso mehr erstaunt es, dass sich Soziologen bis jetzt dem Mobbingkonzept
verschließen. Zwar gab und gibt es zahlreiche Arbeiten zu Konflikten in Betrieben,
aber eine wissenschaftlich fundierte, kritische Betrachtung des Mobbingkonzepts aus
soziologischer Perspektive blieb bis jetzt aus.
Diese Arbeit bemüht sich diese Lücke mit einem bescheidenen Beitrag zu füllen.
Meiner Analyse liegt die These zugrunde, dass Mobbing begriffen werden kann als
ein eskalierender Konflikt, der ungelöst bleibt, weil bestimmte Funktionen von
organisierten Sozialsystemen versagen und in Verbindung mit einerseits „patholo-
gischen Grundmustern“ (vgl. Löffler & Sofsky 1986) in der Organisation selbst und
andererseits spezifischen Strukturen in Gruppen (wie z.B. die Ausgrenzung devianten
Verhaltens zur Stärkung der Gruppenidentität) zur Entstehung eines Mobbingpro-
zesses führen.
Um diese These zu prüfen, ist eine organisationssoziologische, eine konfliktsoziolo-
gische und eine gruppensoziologische Analyse notwendig.
Dies geschieht im theoretischen Teil dieser Arbeit.




1.4 Relevanz
Die Arbeitszufriedenheit und die Qualität der sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz
sind schon sehr lange wichtige Forschungsfelder, legitimiert nicht nur durch das
Streben nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auch durch den Wunsch, die
Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.
Im Zuge der Industrialisierung und der kompletten Umstrukturierung der Arbeits-
welt, gelangten mit der verstärkten Urbanisierung und der sozialen Frage zunehmend
arbeitsrechtliche und -medizinische Probleme in das Bewusstsein der Politiker,
Wissenschaftler und den Vorreitern der sozialen Bewegungen, die sich nun der
Arbeit und ihrer sozialen Verwerfungen als einem eigenständigen Feld in Wissen-
schaft und Politik widmeten.
10

Levenstein (1912) macht die „Arbeiterfrage“ zu seinem Thema, De Man (1927) gibt
seiner Untersuchung gar den programmatischen Titel „Der Kampf um die Arbeits-
freude“ und Herkner wirft 1921 in seinem ersten Band „Arbeiterfrage und Sozialre-
form“ die Problematik auf, wie Erkenntnisse aus der Forschung in konkrete, die
Arbeitsbedingungen verbessernde, Maßnahmen einfließen können. (vgl. Neuberger
1995)
Die Relevanz des Themas Mobbing resultiert aber nicht nur aus der Tatsache, dass
jeder davon betroffen sein kann und Arbeit in unserer Gesellschaft einen hohen
Stellenwert im Selbstverständnis des Individuums einnimmt.
Mobbing zeitigt eben auch erhebliche Folgeschäden für den Betroffenen und für die
gesamte Gesellschaft, nicht nur durch den finanziellen Schaden, sondern auch im
Verlust von Lebensqualität und von Humanität.
Neuberger (1995) betont diesen Aspekt in besonderer Weise, wenn er ausführt, dass
Mobbing bzw. seine Thematisierung ein Symptom für die Sensibilisierung unserer
Gesellschaft für Gewaltstrukturen ist. (a.a.O. 4)
Darüber hinaus drängt sich für jeden neugierigen Menschen die Frage auf, wie eine
solche Gewalteskalation zwischen Menschen wie „du und ich“ möglich sein kann
und welche Bedingungen gegeben sein müssen, um eine solche fatale Dynamik aus-
zulösen.
Eine sozialwissenschaftliche Betrachtungsweise erkennt schnell die Unzulänglichkeit
jener Erklärungsansätze, die ausschließlich Individuen und ihre psychologische
Verfasstheit berücksichtigen, um Mobbing zu beschreiben, oder die teilweise mit Be-
griffen wie „Schuld“ operieren.
Diese Perspektive leugnet die handlungsbestimmende Kraft sozialer Konfigura-
tionen, verhindert, Mobbing als einen sozialen Prozess darzustellen, der sich in der
Gruppe zwischen Menschen manifestiert, die wiederum in einer Organisation arbei-
ten – und genau die Organisation bestimmt durch ihre Struktur Arbeitsabläufe und
Machtverhältnisse.
Die Auseinandersetzung mit Mobbing als einer fehlgeschlagenen Integration von
Konflikten in Gruppen und Organisationen vermag Erkenntnisse über den Aufbau
von sozialen Beziehungsgefügen zu liefern, lässt Rätsel, die das menschliche Zu-
sammenleben bestimmen, weniger rätselhaft erscheinen.
Das Wissen darüber, was und vor allem warum etwas schief geht, erlaubt Rück-
schlüsse darauf, wie etwas besser gemacht werden kann.
11

Die Wissenschaft, auch die Soziologie, hat sich intensiv mit dem Thema der
optimierten Arbeitsgestaltung und der Implementierung neuer Arbeitsformen wie
z.B. die Gruppenarbeit beschäftigt, doch gleichzeitig Forschungen über „Fehl-
entwicklungen“ wie Mobbing vernachlässigt. (vgl. Niedl 1995)
Die Bedeutung des sozialen Kontextes bei der Erforschung von Arbeit verdeutlichen
die sogenannten Hawthorne-Experimente2 im Rahmen der Human – Relation – Be-
wegung. (vgl. Joas 2001)
Den Forschern ist eher zufällig aufgefallen, dass die Produktivität weniger durch
physische Arbeitsbedingungen (z.B. Lichtverhältnisse) als durch die Form der Zu-
sammenarbeit, durch die soziale Konfiguration von Arbeit bestimmt wird.
Niedl (1995) hebt hervor, dass der soziale Aspekt bei der Untersuchung von Mob-
bing elementar ist und untermauert somit die Relevanz dieses Themas für die Sozi-
alwissenschaften:


        „Soziale Beziehungen und auftretende soziale Konflikte innerhalb eines Unternehmens
        können als wichtiger Faktor für Leistung und Arbeitszufriedenheit beschrieben werden. (...)
        Der Arbeitsplatz stellt sich dabei als Vorstrukturierung der Sozialbeziehungen dar und ist
        jener Ort, an dem das Phänomen Mobbing – in welchem Umfang und in welcher Intensität
        auch immer – entstehen und stattfinden kann.“ (Niedl 1995, 7)




1.5 Etymologie Mobbing3
Der Begriff Mobbing ist relativ neu und wird in seiner heutigen Bedeutung seit Ende
der Achtziger Jahre vor allem durch die Arbeiten von Leymann geprägt.
Mobbing ist vom englischen mob abgeleitet, was so viel bedeutet wie zusammenge-
rotteter Pöbelhaufen bzw. Bande und etymologisch weiter zurückgeht auf den la-
teinischen Begriff „mobile vulgus“ (die aufgewiegelte Menge). (Kholodej 1999, 19)
Selma Lagerlöf verwendet den Begriff in ihrem Kinderbuch „Wunderbare Reise des
kleinen Nils Holgerson mit den Wildgänsen.“ Später greift Konrad Lorenz (1958) in
seiner vergleichenden Verhaltensforschung an Tieren diesen Begriff auf, um zu
beschreiben, wie eine Gruppe von Gänsen ein einzelnes Tier drangsalieren. (Niedl
1995)



2
 vgl. S. 105f.
3
 diverse Definitionen für Mobbing finden sich im dritten Kapitel, hier geht es um die etymologischen
Wurzeln
12

Der Schwede Heinemann (1969) verwendet zum ersten Mal den Begriff „Mobbing“
im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen. Sein Buch „Mobbing –
Gruppengewalt unter Kindern und Erwachsenen“ wird in den skandinavischen
Ländern ein Bestseller und macht den Begriff weit über die Wissenschaft hinaus be-
kannt. (vgl. Niedl 1995; Kholodej 1999)
In Großbritannien setzt sich der Begriff bullying durch, wohingegen in den USA im
Zusammenhang mit Feindseligkeiten am Arbeitsplatz der Begriff harassement gän-
gig ist; um gezielte Attacken hierarchisch ungleicher Kontrahenten zu beschreiben,
wird auch der Begriff bossing benutzt.
13


2. Forschungsgegenstand Mobbing am Arbeitsplatz


Mobbing am Arbeitsplatz ist nach Einarsen & Raknes (1991, 93) ein eigenständiges
Forschungsfeld und grenzt sich gegen Mobbing in der Schule ab. (vgl. Niedl 1995).
Zwar ist nach Brodsky (1976) Mobbing ein grundsätzlicher Mechanismus in der zwi-
schenmenschlichen Interaktion, dennoch zeigen sich am Arbeitsplatz im Vergleich
zur Schule fundamentale Unterschiede.
Der Arbeitnehmer ist von seiner Arbeit ökonomisch existentiell abhängig, wo-
hingegen ein Schulwechsel prinzipiell weniger schwierig ist.
Weitere Unterschiede begründen sich aus dem Umstand, dass Schüler und Arbeit-
nehmer sozialisationsbedingt andere Rollen ausfüllen, Mobbing in der Schule hat
einen entwicklungspsychologischen Aspekt, der für Wirtschaftsorganisationen margi-
nal ist. (Niedl 1995, 16)
Forschungsergebnisse des einen Feldes sind deswegen nicht ohne weiteres auf das
andere übertragbar.
Die Beschäftigung mit systematischen Feindseligkeiten am Arbeitsplatz gehen weit
zurück, lange bevor der Begriff Mobbing von Leymann geprägt wurde. Schon Brods-
ky (1976) widmete sich dem harassment (Belästigung) in Arbeitsgruppen und unter-
suchte in erster Linie individuelle Begünstigungsfaktoren für die systematische Aus-
grenzung aus der Arbeitswelt.
Erste empirisch fundierte Untersuchungen zu Mobbing wurden vor allem in Skandi-
navien durchgeführt. Der norwegische Organisationspsychologe Kille hat sich 1976
dem Thema zugewandt, Leymann und Gustavsson haben 1984 qualitative Untersu-
chungen angestrengt, infolge dessen eine breite Mediendiskussion ausbrach und zahl-
reiche Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und Therapiemöglichkeiten eingerichtet
wurden. (vgl. Niedl 1995)
Die juristische Aufarbeitung solcher Fälle und das geschaffene Bewusstsein für Miss-
stände im Arbeitsleben hatten politische Konsequenzen: Schadensersatzforderungen
und betriebliche bzw. gesundheitliche Folgeschäden verlangten die Etablierung prä-
ventiver Strategien, was eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit den
Entstehungszusammenhängen dieser systematischen Feindseligkeiten notwendig
machte. (a.a.O.)
14

Die erste epidemiologische Untersuchung über die Verbreitung von Mobbing in Nor-
wegen wurde 1988 durchgeführt, in anderen skandinavischen Ländern folgten weite-
re (z.B. Matthiesen et al 1989; Vartia 1991).


In Deutschland erfolgte eine wissenschaftliche Analyse relativ spät, anfangs überwo-
gen journalistische Arbeiten (z.B. von Moebius 1988), dann beschäftigten sich einige
Haus- und Diplomarbeiten mit dem Thema Mobbing. (vgl. Niedl 1995)
Einen Theoriebezug zu soziologischen und psychologischen Erkenntnissen leisteten
Neuberger (1995), Kholodej (1999) und Schlaugat (1999).
Niedl (1995) konstatiert, dass Neuberger mit seiner Arbeit den besten akademischen
Diskurszugang zu Mobbing bietet und dass es ihm gelingt, das Phasenmodell Ley-
manns kritisch zu betrachten und seine methodischen Schwächen herauszustellen.




2.1 grundsätzliche Strukturen von Mobbing
Bevor einige Begriffsbestimmungen zu Mobbing präsentiert werden, sollen grund-
sätzliche Strukturen von Mobbing, die aus allen Definitionen hervorgehen, zu-
sammengetragen werden.


Wiederholung
Mobbing ist kein Singulärakt. (Niedl 1995, 21)
Mobbinghandlungen sind nur dann Mobbing, wenn sie gehäuft, systematisch und
wiederholt auftreten. (vgl. Leymann 1995; Kholodej 1999; Niedl 1995)


längere Dauer
Alle Definitionen geben eine Mindestdauer an, denn erst dann lässt sich eine Sys-
tematik in Handlungsabfolgen konstatieren. Sonst sind es „nur“ einzelne Beschimp-
fungen, Intrigen, Demütigungen, die aneinandergereiht sind.
Die methodische Schwierigkeit besteht darin, diesen festzulegenden Zeitraum zu be-
gründen. Der größte Teil der Forscher sieht eine Mindestdauer von einem halben Jahr
vor, um von Mobbing sprechen zu können.
Dann stellt sich die Frage, ob systematische Feindseligkeiten von fünf oder weniger
Monaten wirklich einen anderen Charakter haben.


negative Handlungen
15

Mobbing zeichnet sich durch Handlungen aus, die der Betroffene als Angriff be-
wertet. Diese Handlungen sind negativ. Es handelt sich dabei um subjektive Kriteri-
en, das darf bei der Analyse von Mobbing nicht vergessen werden. Es besteht die
Gefahr, sie als objektive Tatbestände aufzufassen, die miteinander verglichen werden
können. Hoyningen-Huene (1991) führt dazu aus:


       "Der Bauarbeiter, der von seinem Polier als 'fauler' Hund beschimpft wird, wundert sich
       möglicherweise darüber kaum; wird dagegen der Bankkassierer durch seinen Prokuristen so
       tituliert, ist er entsetzt." (a.a.O. 2215)



Deshalb plädiert Brodsky (1976) dafür, zwischen subjektiv empfundenen und objek-
tiv erfassbaren Belästigungen zu differenzieren. Subjektive Belästigungen zeichnen
sich aus durch "awareness of harassment by the target", objektive Belästigungen
durch "a harassment situation in which actual external evidence of harassment is
found, for example, in statements from coworkers, employers, subordinates, or inde-
pendent observers". (a.a.O. 3)
Auch Niedl (1995, 23) hebt hervor, dass Mobbinghandlungen subjektiv erlebt
werden und entsprechend unterschiedlich aufgefasst und gewertet werden.
Das kulturelle Umfeld muss bei der Bewertung von Mobbing berücksichtigt werden,
die Werte und Normen einer Gruppe, ihre Traditionen und Riten prägen Handlungs-
muster und geben Bewertungsmaßstäbe vor.
Smeltzer & Leap (1988) können in einer Untersuchung über den Umgang mit rassis-
tischen Witzen diesen Zusammenhang bestätigen.
Wie Witze aufgefasst werden, hängt davon ab wer wem was erzählt. Farbige Men-
schen empfinden rassistische Witze weniger anstößig als Weiße, Frauen verurteilen
rassistische Witze mehr als sexistische. (vgl. Niedl 1995, 23)
Diese Überlegungen verweisen auf ein methodisches Problem bei der Interpretation
von Handlungen und ihrer Vergleichbarkeit. Bei der Analyse von Mobbing ist der si-
tuative Aspekt zu berücksichtigen.


Asymmetrie
Nach Niedl (1995) ist eine hierarchische Asymmetrie typisch für Mobbingfälle, das
Positionsverhältnis spiegelt sich in der Kommunikation wider, der Mobber besitzt
Verfügungsgewalt Dinge anzuordnen und zu verlangen, auf die der Gemobbte nur
reagieren kann. (a.a.O.)
16

Asymmetrie bedeutet nicht nur die im Rahmen der Organisation definierte Position,
sondern umfasst auch informelle Strukturen in einer Gruppe, so dass neue Führungs-
kräfte, die nicht das Vertrauen der Mitarbeiter besitzen, Opfer von Mobbing werden
können, obwohl der Täter formal inferior, aber in der Gruppe tatsächlich einflussrei-
cher ist.


Dies sind Faktoren, die zusammengenommen das Phänomen Mobbing ergeben.
Mobbing ist, wenn negative Handlungen wiederholt über längere Zeit gegen einen
Menschen gerichtet werden, der in sozialer, ökonomischer, physischer und psy-
chischer Hinsicht abhängig ist von der Gruppe und der Organisation, in der das Mob-
bing stattfindet und der sich machtlos fühlt, schwächer ist und keine entsprechenden
Flucht- oder ebenbürtige Wehrmöglichkeiten besitzt. (vgl. Niedl 1995, 25)




2.2 Mobbingdefinitionen
Bezugnehmend auf die grundsätzlichen Strukturen von Mobbing und unter Berück-
sichtigung der Subjektivität der erlebten Schikanen, schlägt Niedl (1995) eine Defini-
tion von Mobbing vor:


        "Unter Mobbing am Arbeitsplatz werden Handlungen einer Gruppe oder eines Individuums
        verstanden, denen von einer Person, die diese Handlungen als gegen sie gerichtet wahrnimmt,
        ein feindseliger, demütigender oder einschüchternder Charakter zugeschrieben wird. Die
        Handlungen müssen häufig auftreten und über einen längeren Zeitraum andauern. Die betrof-
        fene Person muss sich zudem aufgrund wahrgenommener sozialer, ökonomischer, physischer
        oder psychischer Charakteristika außerstande sehen, sich zu wehren oder dieser Situation zu
        entkommen." (a.a.O. 23)



Leymann (1995) betont in seiner Definition ebenfalls die geschilderten Faktoren wie
die Asymmetrie in der Beziehung und die Systematik der Mobbinghandlungen. Er
führt aus:


        "Unter Mobbing wird eine konflikthafte Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder
        zwischen Vorgesetzten und Untergebenen verstanden, bei der die angegriffene Person un-
        terlegen ist und von einer oder einigen Personen systematisch, oft und während längerer Zeit
        mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indi-
        rekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung empfindet." (a.a.O. 18)
17



Kholodej (1999) definiert Mobbing als eine Konflikteskalation4 am Arbeitsplatz,


         "bei der das Kräfteverhältnis zu Ungunsten einer Partei verschoben ist. Diese Konfliktpartei
         ist systematisch feindseligen Angriffen ausgesetzt, die sich über einen längeren Zeitraum er-
         strecken, häufig auftreten und zu maßgeblichen individuellen und betrieblichen Schädigungen
         führen" (a.a.O. 22)


Kholodej (1999) betont mit ihrer Definition die Dynamik des Mobbingprozesses. Die
Autorin sieht die Zuweisung der Opfer- und Täterrolle nicht so klar von vorneherein
aus der organisationsbedingten Asymmetrie gegeben. Doch im Laufe des Mobbing-
prozesses stellt sich die allen Definitionen gemeinsame Prämisse der Asymmetrie
deutlich ein. (a.a.O.)


Walter (1993) versucht Mobbing zu definieren, indem er einen Katalog von Kriterien
vorlegt. Demnach ist Mobbing eine für alle Beteiligten schädliche Eskalation von
Konflikten, die Handlungen befördert, welche die ethischen Werte des Individuums
verletzen und nichts mit einer sachlichen Auseinandersetzung zu tun haben.
Walter definiert Mobbing über Konflikte -


         "- bei denen alle nur verlieren;
         - bei denen auf die Dauer einzelne Personen deutlich unterliegen. Und zwar nicht nur in Be-
         zug auf diesen Konflikt, sondern mit ihrer ganzen Persönlichkeit;
         - die nichts mehr mit der Suche nach einer Lösung, einem Kompromiss zu tun haben, sondern
         die nur um ihrer Selbst willen geführt werden;
         - die aus unsichtbaren, irrationalen Interessen geführt werden;
         - bei denen Verhaltensweisen an den Tag gelegt werden, die alle Parteien grundsätzlich verur-
         teilen und für die beide Seiten keine Verantwortung übernehmen;
         - bei denen die Parteien sich gegenseitig für die Eskalation verantwortlich machen;
         - bei denen ein sichtbarer Streitgrund, der rational zu lösen wäre, nicht oder nicht mehr er-
         kennbar ist;
         - bei denen alle Beteiligten eine rationale Auseinandersetzung ablehnen und auf der in ihren
         Augen berechtigten emotionalen Position bestehen;
         - die sich durch gegenseitige Hilflosigkeit auszeichnen." (a.a.O. 38)




4
 Dieser Ansatz ruft eine konfliktsoziologische Analyse auf den Plan. Dies soll im theoretischen Teil
dieser Arbeit geschehen.
18

Schließlich verweist Schlaugat (1999, 5) auf Löffler & Sofsky (1986) bzw. auf Alt-
haus (1979), die von pathologischen Strukturen in sozialen Beziehungsgefügen spre-
chen, um Mobbing zu beschreiben, und die Autorin entwickelt eine Definition, die
die oben beschriebenen grundsätzlichen Strukturen aufgreift. Nach Schlaugat (1999)
ist Mobbing ein Prozess,


       „in dessen Verlauf eine oder mehrere Person/-en wiederholt und häufig über einen längeren
       Zeitraum bestimmte Handlungen gegen eine oder mehrere Einzelperson/-en richten, die diese
       als sehr verletzend wahrnehmen, und dass sich mit zunehmender Dauer des Prozesses eine
       asymmetrische Rollenverteilung herauskristallisiert sowie gesundheitliche Beeinträchti-
       gungen als Folgen auftreten.“ (a.a.O. 22)


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle Mobbingdefinitionen auf typische
Strukturen von Mobbing verweisen wie z.B. die Asymmetrie zwischen dem Täter
und dem Opfer.
Die Definitionen setzen eine Beziehung zwischen mindestens zwei Personen voraus,
die innerhalb einer Gruppe zusammenarbeiten. Diese Beziehung zeichnet sich durch
ein Ungleichgewicht im Stärkeverhältnis (Asymmetrie) und der mangelnden
Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers aus. (vgl. Schlaugat 1999)
Mobbing wird darüber hinaus als ein dynamischer Prozess beschrieben, bei dem die
Rollenverteilung erst im Mobbingverlauf erfolgt. (a.a.O. 13f.)
Mobbing zeigt sich in Handlungen, die von den Opfern als verletzend und demü-
tigend betrachtet werden. Und diese Handlungen müssen über längere Zeit, relativ
häufig und systematisch auftreten, und zeitigen dadurch im Opfer beträchtliche
gesundheitliche Folgen.
19

2.3 Abgrenzung zu verwandten Begriffen
Mobbing als Strategie umfasst zahlreiche Handlungen, die bereits mit Begriffen
besetzt sind.
Neben der definitorischen Unschärfe von Mobbing ist dies eine weitere Ursache für
methodische Schwierigkeiten und verlangt daher nach einer klaren Abgrenzung zu
verwandten Begriffen wie Gewalt, sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Kon-
flikte. (vgl. Niedl 1995, Esser 1999)


2.3.1 sexuelle Belästigung
In den letzten Jahrzehnten ist das Phänomen der sexuellen Belästigung am
Arbeitsplatz als ein ernsthaftes Problem erkannt worden. Das zeigen die gestiegenen
Fälle von juristischen Auseinandersetzungen. (Niedl 1995, 25)
Diergarten (1994, 66) versteht unter sexueller Belästigung


       „sexuelle Annäherungsversuche jeder Art in Form von Gesten und Äußerungen, jeder un-
       erwünschte körperliche Kontakt, explizit sexuell abfällige Anspielungen oder sexistische Be-
       merkungen, die wiederholt am Arbeitsplatz vorgebracht und von der Person, an die sie sich
       richten, als beleidigend empfunden werden und zur Folge haben, dass diese sich bedroht, er-
       niedrigt oder belästigt fühlt.“



Für Kholodej (1999) können einzelne sexistische Handlungen Teil einer Mob-
bingstrategie sein, doch sexuelle Belästigung ist ihrer Ansicht nach ein eigenstän-
diges Phänomen, das der Aufrechterhaltung bestehender patriarchalischer Machtver-
hältnisse zwischen den Geschlechtern diene. (a.a.O. 42)
Niedl (1995) betont gleichfalls, dass sexistische Angriffe als Mobbinghandlungen zu
finden sind, aber nur, wenn sie wiederholt und relativ häufig auftreten.
Sexuelle Belästigung ist im Gegensatz zu Mobbing auch dann gegeben, wenn es sich
um einen Singulärakt handelt, der nicht einer mobbingtypischen eskalierenden Dyna-
mik unterliegt. (a.a.O. 26)
Sowohl Mobbing als auch sexuelle Belästigung haben das Ziel, den anderen zu er-
niedrigen, doch Mobbing zeichnet sich nicht durch bestimmte Handlungsinhalte aus,
sondern dadurch, dass es eine Strategie ist, während die sexuelle Belästigung per de-
finitionem nur bestimmte Handlungen fokussiert. (vgl. Diergarten 1994; Niedl 1995)
20

2.3.2 Diskriminierung
In   den    meisten     Industrienationen      gibt    es   juristische    Sanktionen      gegen
Diskriminierungen am Arbeitsplatz – Sanktionen, die auch in betrieblichen Mobbing-
bestimmungen Eingang finden.
Dennoch sind die beiden Begriffe voneinander zu unterscheiden.
Mobbing kann jeden treffen, unabhängig von bestimmten Merkmalen wie Ge-
schlecht, Ethnie etc. (Niedl 1995, 26)
Empirische Ergebnisse zeigen (vgl. Meschkutat et al. 2002) die relativ geringe Be-
deutung individueller Eigenschaften bei der Genese von Mobbing.
Niedl (1995, 27) zitiert Markefka (1984) und konstatiert, dass soziale
Diskriminierung jede Form von Ungleichbehandlung umfasst, die durch die
vermeintliche oder tatsächliche Zugehörigkeit des Diskriminierten zu einer Gruppe
mit bestimmten, dem herrschenden Wertesystem konterkarierenden, Merkmalen ge-
rechtfertigt wird.


2.3.3 Gewalt
Gewalt ist ein „zwangsweises Einwirken auf den Willen des Opfers“ (Microsoft En-
carta Enzyklopädie 1999) und schließt in dieser sehr weit gefassten Bedeutung auch
Mobbing mit ein. (vgl. Niedl 1995)
Im engeren Sinne unterscheiden sich Mobbing und Gewalt durch spezifische Ausprä-
gungen im Laufe des Mobbingprozesses wie die Beschränkung auf arbeitsplatzinter-
ne Beziehungen (Gewalt umfasst auch Konflikte zwischen Abteilungen innerhalb
eines Betriebs, zwischen Unternehmen und Kunden etc.) und die in der Mobbingde-
finition explizierten Dauerhaftigkeit und Wiederholung von Angriffen. Wie die sexu-
elle Belästigung kann eine einzelne Handlung als Gewalteinwirkung gesehen werden,
nicht jedoch als Mobbing
Zudem zeigen empirisch fundierte Ergebnisse, dass Mobbing mit bestimmten
Formen von Gewalt zu tun hat und dass z.B. physische Gewalt in der Mobbingstrate-
gie nahezu unbedeutend ist. (vgl. Meschkutat et al 2002; Kholodej 1999).5




5
 Im empirischen Teil dieser Arbeit, der die Wahl der Mobbinghandlungen untersucht, gehe ich auf
diesen Aspekt genauer ein.
21

2.3.3 Konflikt
Mobbing entsteht, wenn Konflikte ungelöst bleiben und eskalieren, somit ist Mob-
bing das Produkt und die Folge eines fehlgeschlagenen Konfliktmanagements. (Neu-
berger 1995, 92)6
Konflikte sind ein Begünstigungsfaktor und stehen zeitlich versetzt vor dem Mob-
bing.
Deshalb trennt Leymann (1993) in seinem Verlaufsmodell Konflikt und Mobbingge-
schehen in zeitlich abgesetzten Phasen. (a.a.O. 59)
Neben verlaufstypischen Differenzen machen die Autoren inhaltliche Unterschiede
zwischen Mobbing und Konflikten aus.
Nach Niedl (1995, 30) zeichnen sich manifeste Konflikte durch bewusste Kenntnis
der Gegnerschaft aus, die Kontrahenten stehen sich gegenüber. Bei Mobbing ist dies
nicht notwendig, vielmehr prägen in erster Linie unbewusste Feindseligkeiten das
Geschehen. (a.a.O.)
Konflikte erzwingen keine Asymmetrie der Gegner, zudem kann eine positive Lö-
sung (Kompromiss) angestrebt werden, die Auseinandersetzung wird geführt, weil
strittige Sachfragen ausgetragen werden.
Bei Mobbing ist das Ziel die soziale Vernichtung des Gegenüber, der sich in einer in-
ferioren Position befindet; die Auseinandersetzung geht nicht um Sachfragen, ein
Kompromiss ist nicht das Ziel, das Opfer kann sich nicht mal ergeben, bis es ausge-
grenzt ist und den sozialen Tod erleidet. (vgl. Neuberger 1995; Niedl 1995; Esser &
Wolmerath 1998)


        „Mobbing dürfte damit (...) eher den chronifizierten Endzustand einer fehlgeschlagenen Kon-

        flikthandhabung zum Ausdruck bringen.“ (Niedl 1995, 31) 7



Esser & Wolmerath (1998) betonen, dass der wesentliche Unterschied zwischen
Mobbing und Konflikten im Fokus der Auseinandersetzung liegt. In Konflikten steht
ein strittiger Gegenstand im Vordergrund, bei Mobbing geht es um die Schwächung
des Gegners. (a.a.O. 78)




6
 vgl. S.124 in dieser Arbeit
7
 Mobbing kann innerhalb von Konflikteskalationsmodellen subsumiert werden (vgl. Neuberger 1995),
was ich im theoretischen Teil meiner Arbeit versuchen werde.
22

2.4 Leymanns 45er Liste
Leymann (1993) definiert Mobbing operational über 45 Handlungen, die er in seinem
Fragebogen LIPT (Leymann Inventory of Psychological Terrorization) jeweils fünf
Angriffsbereichen zuordnet.
Mobbing liegt dann vor, wenn mindestens einer dieser Handlungen oder mehrere
über ein halbes Jahr und mindestens einmal die Woche auftreten. (a.a.O. 22)
Die Handlungen sind im einzelnen:


   1. Angriffe auf die Möglichkeiten, sich mitzuteilen:
   - Der Vorgesetzte schränkt die Möglichkeiten ein, sich zu äußern.
   - Man wird ständig unterbrochen.
   - Kollegen schränken die Möglichkeiten ein, sich zu äußern.
   - Anschreien oder lautes Schimpfen.
   - Ständige Kritik an der Arbeit.
   - Ständige Kritik am Privatleben.
   - Telefonterror
   - Mündliche Drohungen.
   - Schriftliche Drohungen.
   - Kontaktverweigerung durch abwertende Blicke oder Gesten.
   - Kontaktverweigerung durch Andeutungen, ohne dass man etwas direkt aus-
   - spricht.


   2. Angriffe auf die sozialen Beziehungen:
   - Man spricht nicht mehr mit dem/der Betroffenen.
   - Man lässt sich nicht ansprechen.
   - Versetzung in einen Raum weitab von den Kollegen.
   - Den Arbeitskollegen/innen wird verboten, den/die Betroffene/n anzusprechen.
   - Man wird „wie Luft“ behandelt.


   3. Auswirkungen auf das soziale Ansehen:
   - Hinter dem Rücken des Betroffenen wird schlecht über ihn gesprochen.
   - Man verbreitet Gerüchte.
   - Man macht jemanden lächerlich.
   - Man verdächtigt jemanden, psychisch krank zu sein.
   - Man will jemanden zu einer psychiatrischen Untersuchung zwingen.
23

- Man macht sich über eine Behinderung lustig.
- Man imitiert den Gang, die Stimme oder Gesten, um jemanden lächerlich zu
 machen.
- Man greift die politische oder religiöse Einstellung an.
- Man macht sich über das Privatleben lustig.
- Man macht sich über die Nationalität lustig.
- Man zwingt jemanden, Arbeiten auszuführen, die das Selbstbewusstsein verlet-
- zen.
- Man beurteilt den Arbeitseinsatz in falscher und kränkender Weise.
- Man stellt die Entscheidungen des/der Betroffenen in Frage.
- Man ruft ihm/ihr obszöne Schimpfworte oder andere entwürdigende Ausdrücke
- nach.
- Sexuelle Annäherungen oder verbale sexuelle Angebote.


4. Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation:
- Man weist dem Betroffenen keine Arbeitsaufgaben zu.
- Man nimmt ihm jede Beschäftigung am Arbeitsplatz, so dass er sich nicht ein-
- mal selbst Aufgaben ausdenken kann.
- Man gibt ihm sinnlose Arbeitsaufgaben.
- Man gibt ihm Aufgaben weit unter seinem eigentlichen Können.
- Man gibt ihm ständig neue Aufgaben.
- Man gibt ihm „kränkende“ Aufgaben.
- Man gibt dem Betroffenen Arbeitsaufgaben, die seine Qualifikation überstei-
- gen, um ihn zu diskreditieren.


5. Angriffe auf die Gesundheit:
- Zwang zu gesundheitsschädlichen Arbeiten.
- Androhung körperlicher Gewalt.
- Anwendung leichter Gewalt, zum Beispiel um jemandem einen „Denkzettel“ zu
- verpassen.
- Körperliche Misshandlung.
- Man verursacht Kosten für den/die Betroffene, um ihm/ihr zu schaden.
- Man richtet physischen Schaden im Heim oder am Arbeitsplatz des/der Betrof- -
fenen an.
- Sexuelle Handgreiflichkeiten.
24

(Leymann 1993, 33f.)


Der erste Angriffsbereich Angriffe auf die Möglichkeiten, sich mitzuteilen betrifft die
kommunikative Ebene im menschlichen Zusammenleben und tangiert somit einen
existentiellen Bereich für das Individuum. Es ist abhängig von den Austauschpro-
zessen mit seiner sozialen Umwelt und läuft Gefahr physisch und psychisch zu er-
kranken, wenn die Kommunikation gestört ist bzw. gestört wird. (vgl. Dunckel &
Zapf 1996, 45)
Kholodej (1999) betont diesen Aspekt und stellt fest, dass mangelnde Kommunikati-
on am Arbeitsplatz psychische Stressreaktionen bewirkt, die die Gesundheit des Be-
troffenen nachhaltig angreifen können. (a.a.O. 34)
Die von Leymann aufgelisteten Handlungen bewirken eine Isolierung des Betrof-
fenen. Die Weitergabe falscher Informationen und die Unterschlagung wichtiger
Arbeitsmaterialien fallen auch unter diese Angriffe, sie werden von Leymann nach-
träglich genannt. (vgl. Leymann 1993, 25)


Angriffe auf die sozialen Beziehungen verfolgen das Ziel, den Betroffenen zu iso-
lieren und ihm den Schutz und die Würde eines sozialen Wesens abzuerkennen.
Hinlänglich bekannt sind die Bedeutung der sozialen Unterstützung (social support)
bei der Bewältigung von Belastungen wie Stress. Angriffe auf diese ebenfalls
existentielle Bereiche entmachten den Betroffenen in zweifacher Hinsicht, indem sie
ihn angreifen und ihm gleichzeitig jede Wehr- und Rückzugmöglichkeit nehmen.
Besteht das soziale Umfeld nicht mehr, werden betriebliche Stressoren viel schlech-
ter bewältigt und der Betroffene erkrankt eher. (vgl. Kholodej 1999; Niedl 1995)
Robbins (1991, 611f.) hebt diesen Aspekt hervor, wenn er ausführt:


       „There is increasing evidence that social support – that is, collegial relationships with co-
       worker or supervisors – can buffer the impact of stress. The logic underlying this moderating
       variable is that social support acts as a palliative, mitigating the negative effects of even high-
       strain jobs. For individuals whose work associates are unhelpful or even actively hostile, so-
       cial support may be found outside the job. Involvement with family, friends, and community
       can provide the support – especially for those with a high social need – that is missing at
       work and that can make job stressors more tolerable.”



Soziale Netzwerke helfen, schwierige Situationen zu bewältigen, und je defizitärer
das Netz, umso höher das Erkrankungsrisiko. (Kholodej 1999, 36)
25

Mobbing verfolgt das Ziel, das Opfer aus dem sozialen Gefüge auszugrenzen. Die
Isolation bewirkt, dass die Betroffenen keine Möglichkeiten besitzen, ihre Arbeits-
und Lebensbedingungen mit denen anderer Menschen zu vergleichen und Schikane
und bloße Willkür adäquat einzuordnen. (Zuschlag 1994, 80)
Fehlt dem Betroffenen dann noch die Möglichkeit, sich soziale Unterstützung
außerhalb der Arbeit bei der Familie und bei Freunden zu holen, so verstärken sich
die physischen und psychischen Folgen der Belastungen.


   „Ist der Mobbingprozess weit fortgeschritten und innerhalb des Betriebes kein sozialer Rückhalt
   mehr möglich, so stellt das familiäre und freundschaftliche Netz den letzten Halt dar. (...) Da
   Mobbingprozesse meist über einen langen Zeitraum gehen, kann dies zu massiven Ehe- und Fa-
   milienproblemen führen.“ (Kholodej 1999, 36f.)



In den Angriffen auf das soziale Ansehen erfolgt gleichzeitig ein Angriff auf die so-
zialen Beziehungen, denn das Ansehen ist der unmittelbare Ausdruck der Bezie-
hungen. (Kholodej 1999, 37)
Ungestörte und unterstützende Kommunikation und Interaktion mit dem sozialen
Umfeld sind die Basis eines positiven Selbstbildes und eines gesunden Selbstbe-
wusstseins. (a.a.O.)
Mobbingbetroffene zeichnen sich durch Selbstzweifel und innerer Orientierungs-
losigkeit aus. Dies ist die Folge der Angriffe auf das soziale Ansehen, die einherge-
hen mit der Diskriminierung bestimmter (oder vermeintlicher) persönlicher Eigen-
schaften des/der Betroffenen wie politische, ethnische, geschlechtsspezifische oder
körperliche Merkmale. (vgl. Kholodej 1999; Leymann 1993)
Die permanenten Angriffe und Erniedrigungen z.B. durch Gerüchte oder dem Vor-
wurf, psychisch krank zu sein, führen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen des
Betroffenen und haben als letzte Konsequenz den Charakter einer sich selbst erfül-
lenden Prophezeiung, denn durch die Infragestellung der Zurechnungsfähigkeit (was
eine Infragestellung der Persönlichkeit ist) wird der Mensch letztlich unzurechnungs-
fähig.


         „Die von außen gesetzten Bedingungen schließen sich zu einem Rahmen, der ihre [der Be-
         troffenen – eig. Anmerkung] individuelle psychische Welt vollkommen und lückenlos um-
         gibt.“ (Temmel 1997, 13)
26

Die Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation tangieren das
menschliche Grundbedürfnis, durch Arbeit wirtschaftlichen Ertrag und Sinn zu ge-
winnen. (Kholodej 1999, 38)
Der Arbeitsplatz ist darüber hinaus außerhalb des eigenen engen sozialen Netzwerkes
ein wichtiger, weiterer sozialer Raum, in dem ein beträchtlicher Teil der Lebenszeit
verbracht wird und der den gesamten Tagesablauf strukturiert und dadurch den Status
und die Identität des Mitarbeiters stark bestimmt, denn die Kooperation mit anderen
Menschen stiftet Identität, Ordnung und Selbstwert; der Beruf vermittelt Teilhabe an
Gesellschaft. (vgl. Kholodej 1999)
Mobbing zerstört diese Funktionen von Arbeit. Und das hat auch außerhalb des
Arbeitsplatzes gravierende Folgen, denn die gesamte Persönlichkeit ist involviert, da
Mobbing am Arbeitsplatz die Existenz des Betroffenen bedroht, anders als beim
Mobbing in der Freizeit (z.B. im Verein). (a.a.O. 39)
Die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust, gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten,
bildet ein Korsett und verhindert die rechtzeitige Flucht aus der Mobbingsituation.
Sozialpsychologische Untersuchungen ergaben8, dass Arbeitslosigkeit starke psy-
chische und psychosomatische Folgen zeitigt wie z.B. der Anstieg der Depressions-
werte, das Absinken des Selbstwerts, vermehrte Angstzustände, Gereiztheit und
Schlafstörungen.
Dies veranschaulicht die Bedeutung der Arbeit für den Menschen und erklärt die
verheerende Folgen von Mobbing. (vgl. Leymann 1993; Kholodej 1999)
Mobbingstrategien, die den Arbeitsbereich betreffen, sind etwa die permanente Über-
und Unterforderung, Eingriffe in die Arbeitsorganisation, um die Arbeit des Betrof-
fenen zu erschweren, zu sabotieren oder sinnlos werden zu lassen oder unberechtigte
und entwürdigende Kritik.
Diese Strategien verdeutlichen die für Mobbing typische Aussichtslosigkeit des Be-
troffenen, der nicht in der Lage ist, richtig zu handeln, denn alles, was er macht,
misslingt, da der Mobber die Arbeitsbedingungen kontrolliert und der Betroffene sich
nur in diesem Rahmen bewegen kann und darf. (Kholodej 1999, 40)
In diesem Zusammenhang verweisen Neuberger (1995) und Hochstätter (1990) dar-
auf, dass Mobbing auch als Instrument der Personalpolitik, als mikropolitische
Strategie9, benutzt wird, so dass Bestimmungen des Kündigungsschutzes und eventu-
elle Abfindungszahlungen übergangen werden können.
8
  vgl. Kirchler. E. (1984): Arbeitslosigkeit und Alltagsbefinden. Eine sozialpsychologische Studie über
die subjektiven Folgen von Arbeitslosigkeit. Linz
9
  vgl. in dieser Arbeit S. 98
27

Hochstätter (1990, 98) führt dazu aus:


       „Häufig fehlen sachliche Gründe, die eine Kündigung rechtfertigen würden. Da liegt es nahe,
       einer klaren Entscheidung auszuweichen und Mittel zu wählen, die von der gezielten Demüti-
       gung bis zur subtilen Folter reichen.“



Der fünfte Bereich der Mobbinghandlungen umfasst die Angriffe auf die Gesundheit
des Betroffenen.
Dazu zählen sowohl die Androhung von physischer Gewalt als auch die direkte kör-
perliche Misshandlung, die jedoch als Mobbingstrategie äußerst selten ist. (vgl. Ley-
mann 1993).
Wenn physische Gewalt als Mobbinghandlung gewählt wird, so geschieht dies in
erster Linie gegen Ende der Eskalationsspirale. (Kholodej 1999, 41)
Indirekte Methoden, die den Betroffenen subtiler zusetzen, sind häufiger, wie z.B.
der Zwang zu gesundheitsschädlichen Arbeiten oder die bewusste Überforderung des
Opfers. (a.a.O.)
Zu den Angriffen auf die Gesundheit des Opfers zählt Leymann auch die sexuelle
Belästigung. (vgl. Leymann 1993)
Diese kommt im Gegensatz zu sonstigen physischen Gewalttaten relativ häufig vor.
(Kholodej 1999, 41)


2.4.1 Kritik
Leymanns operationale Definition von Mobbing über die 45 Handlungen wird kri-
tisch gesehen. Neuberger (1995) wirft Leymann vor, mit dieser Liste nur eine Aus-
wahl von möglichen Mobbinghandlungen getroffen zu haben und verweist auf Strate-
gien in Fallbeispielen, die dadurch nicht erfasst werden wie z.B. exzessives und
demonstratives Wartelassen, jemanden die eigenen Fehler in die Schuhe schieben,
das Unterbinden von Hilfsangeboten und Solidarität dritter gegenüber dem Gemobb-
ten, öffentliches Niedermachen, permanente Androhung, gekündigt zu werden, klein-
liche Kontrollen oder dem Verfassen ausführlicher und despektierlicher Dossiers
über den betroffenen Mitarbeiter. (Neuberger 1995, 16f.)
Auch Niedl (1995, Anhang Tabelle A6.1 und A6.2) kann in seiner eigenen empi-
rischen Arbeit in einem Krankenhaus und einem Forschungsinstitut Items eruieren,
die nicht durch die 45er Liste abgedeckt sind, wie z.B. 'fehlendes Feedback über erle-
28

digte Aufgaben' oder die 'Verweigerung von Fortbildungsmaßnahmen durch den
mobbenden Vorgesetzten'.
Neuberger (1995) kommt zu dem Schluss, dass die Auswahl der Handlungen in der
45er Liste willkürlich und selektiv ist.
Er beklagt redundante Items ('Man macht jemanden lächerlich. ', 'Man imitiert den
Gang, die Stimme oder Gesten, um jemanden lächerlich zu machen' , 'Man macht
sich über das Privatleben lustig. '), eine inkonsistente Kategorisierung der Items10 und
das Fehlen wichtiger Informationen wie z.B. die Bedingungen, unter denen die Hand-
lungen zustande kommen. (Neuberger 1995, 24)
Die Inkonsistenz besteht nicht nur in der Kategorisierung, sondern auch zwischen
den Items, da sie unterschiedliche Dinge auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau
abfragen. Einige Aussagen sind aktionsbezogen, andere ermitteln Einstellungen.
(a.a.O.)
Weiterhin beklagt der Autor, dass die Gleichgewichtung der Items bei der Aus-
wertung (es wird nicht differenziert nach dem Grad der Schädlichkeit) nur Auskunft
gibt, ob jemand unter Mobbing leidet oder nicht, wie stark betroffen jemand ist, lässt
sich so nicht ermitteln. (a.a.O.) Es fehlt die Definition eines Kontinuums zwischen
den zwei Polen kein Mobbing und extremes Mobbing, abhängig von Inhalten, dem
Schweregrad, Häufigkeit und Dauer der Handlungen.
Zudem suggeriert die 45er Liste eine Konstanz von einzelnen Handlungen, die in der
Realität so nicht vorkommen dürfte. Die Wandlung von Mobbingstrategien kann
über die Abfrage der 45 Items nicht erfasst werden. (a.a.O.)
Schlaugat (1999, 21) beklagt den Suggestivcharakter der Items.
Insgesamt bezieht sich die Kritik auf methodische Mängel in der Generierung der
Mobbingitems. Grundlage der 45er Liste als operationale Definition von Mobbing
am Arbeitsplatz ist der LIPT-Fragebogen, der das am häufigsten verwendete Instru-
ment bei der empirisch fundierten Untersuchung von Mobbing ist.
Im folgenden soll näher ausgeführt werden, wie dieser Fragebogen konstruiert ist,
gleichzeitig sollen kritische Anmerkungen zu diesem Instrument zitiert werden,
Überlegungen, die auch grundsätzliche, methodenkritische Fragen im Umgang mit
Mobbing berühren; im Anschluss daran möchte ich einen anderen Fragebogen vor-
stellen, der auf LIPT basiert: den WHS.

10
  So ist das Item 'Man zwingt jemanden, Arbeiten auszuführen, die das Selbstbewusstsein verletzen. '
unter der Kategorie Angriffe auf das soziale Ansehen sortiert, obwohl es eher in die Kategorie Angrif-
fe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation und inhaltlich eher dem Item 'Man gibt ihm sinn-
lose Arbeitsaufgaben' entspricht.
29

2.5 standardisierte Methoden zur Erfassung von Mobbing
Die Ergebnisse einer Erhebung sind immer nur so gut wie die zugrunde gelegte
Stichprobe. Niedl (1995) verweist auf die methodischen Schwierigkeiten im Umgang
mit Mobbing und beklagt, dass viele Erhebungen, um ihre Stichprobe zusammenzu-
bekommen, auf Angehörige aus Beratungsstellen zurückgreifen und deshalb nicht re-
präsentativ seien.
Darüber hinaus werden durch den LIPT-Fragebogen ausschließlich Querschnittsun-
tersuchungen gemacht, obwohl für Mobbing mit seinem dynamischen Prozesscharak-
ter Längsschnittuntersuchungen notwendig sind. (vgl. Niedl 1995; Schlaugat 1999)
Der Umgang mit Konflikten am Arbeitsplatz war immer schon Forschungs-
gegenstand für Arbeitswissenschaftler, Psychologen und Soziologen. In Untersu-
chungen wurde Leymann auf bestimmte Muster von Konflikten aufmerksam und be-
gann, den LIPT-Fragebogen zu entwickeln.


2.5.1 LIPT
In ihrer explorativen Studie haben Leymann & Gustavsson (1984) in 300 Einzel-
interviews mit Betroffenen und deren Angehörigen eine Liste von feindseligen Hand-
lungen erfassen können, die sie in ihrer Validität und Reliabilität testen ließen, um
sie schließlich als Items für einen Fragebogen zu verwenden.


2.5.1.1 Aufbau
Der Fragebogen ist untergliedert in einen soziodemographischen Teil, in dem In-
formationen über den Befragten und den Betrieb erhoben werden, der zweite Teil ist
die 45er Liste, der dritte Teil besteht aus Fragen über den/die Gegner, in dem z.B.
Anzahl, Position und Geschlecht erfragt werden, und schließlich der letzte Teil, ein
Fragekomplex, der dem Befragten ermöglichen soll, über 39 vorgegebene Items
Stresssymptome und körperliche Beschwerden zu benennen, um zwischen ihnen
einen Zusammenhang anzunehmen. (Niedl 1995, 80)


2.5.1.2 Validität
Der 45er Katalog ist durch zwei Testverfahren von Leymann geprüft worden. Zu-
nächst wurde mittels einer Fallrekonstruktion im Blindverfahren die Validität des
Fragebogens getestet, dann ein Vergleich zwischen Fragebogen- und Interviewergeb-
nissen durchgeführt. (Niedl 1995, 81)
30

Die Fallrekonstruktion bezog sich auf einige Probanden, die mindestens seit drei Jah-
ren unter Mobbingattacken litten. Ihre Interviewangaben wurden von einem Psycho-
logen, der die LIPT-Methodik nicht kannte, untersucht, und er sollte die Fälle rekon-
struieren. Er kam zu den gleichen Ergebnissen, d.h. es gab eine Deckung zwischen
den Befunden des Psychologen und den durch die Interviewer erfassten Selbst-
beschreibungen der Mobbingbetroffenen. (a.a.O.)
Der zweite Test bestand darin, 26 Angestellten den LIPT-Fragebogen vorzusetzen
und sie im Anschluss in einem Tiefeninterview zu befragen.
Die LIPT – Ergebnisse deckten sich mit den Ergebnissen der intensiveren und ge-
naueren Tiefeninterviews und konnten somit die Validität des Fragebogens un-
termauern. (Niedl 1995, 81f.)
Nach Niedl (1995) ist aus den dargestellten Beschreibungen zu entnehmen, dass in
beiden Fällen eine Validierung durch ein Außenkriterium (concurrent validity) gege-
ben war. (a.a.O.)


2.5.1.3 Reliabilität
Niedl (1995) berichtet von einem Parallel-Test, den Leymann verwendet hat, um die
Reliabilität des LIPT – Fragebogens zu untersuchen. Der Paralleltest verwendet zwei
unterschiedliche, aber äquivalente Instrumente, um ein bestimmtes Objekt zu
messen.
Leymann verwendete die Stichprobe der oben erwähnten 26 Angestellten und
verglich deren Angaben mit denen des Experten (Psychologen), der über Tiefen-
interviews die verlangten Informationen erfragte.
Dabei wurde festgestellt, dass insbesondere die Angaben über die Dauer und die
Häufigkeit des Mobbingprozesses durch beide Methoden bestätigt worden sind, da
eine stark positive Korrelation ermittelt werden konnte. (Niedl 1995, 82)
2.5.1.4 Kritik am LIPT
Niedl (1995) betont, dass durch den LIPT nur ein Querschnitt ermittelt wird und dass
dadurch die Dynamik von Mobbing nicht erfasst wird.


        „Ähnlich wie bei einigen standardisierten Verfahren zur Messung von mikropolitischen
        Verhaltensweisen bzw. sozialen Einflussprozesse in Unternehmen (...) fokussiert der LIPT
        damit auf die Perspektive der Zielperson, die zum „Opfer“ (gemacht) wird. Durch die Art der
        Befragung ist eine Rekonstruktion des Prozesses, der zu diesem Zustand geführt hat, nicht
        möglich; die Analyse über einzelne Handlungen unterbricht eine mögliche Handlungsse-
        quenz.“ (Niedl 1995, 83)
31

Schlaugat (1999, 21) gibt ebenfalls zu bedenken, dass eine retrospektive
Querschnittsbetrachtung die Rekonstruktion des Mobbingprozesses erschwert, und
deshalb die Ergebnisse aufgrund der Selektivität des Erinnerten verzerrt werden.
(a.a.O.)
Niedl (1995) kritisiert, dass durch die negative Formulierung der Items suggestiv
Einfluss auf den Befragten genommen wird. (Niedl 1995, 82)
Schlaugat (1999, 21) zieht die Validität des Fragebogens in Frage und verweist auf
die unzureichende Überprüfung der Gütekriterien, weil z.B. die Stichprobe, mit der
die Validität und die Reliabilität geprüft wurde, zu klein sei.
Leymann macht keine Angaben darüber, über welche Reduktionsverfahren (z.B. Fak-
toranalyse) er auf 45 Handlungen kommt und inwieweit diese in die fünf Kategorien
geordnet werden. (Neuberger 1995, 19)
Bei der Analyse von Mobbing ist zu beachten, dass die Konzentration auf Einzelfälle
dazu führt, dass das Geschehen zu einseitig und zu sehr personenbezogen wahrge-
nommen und zu wenig systematisch erfasst wird. (vgl. Neuberger 1995)


2.5.2 WHS
Die Work Harassment Scale (WHS), ein von Hjelt-Bäck (1992) an der Abo-Akade-
mie in Finnland konstruierter Fragebogen, orientiert sich inhaltlich stark an LIPT und
bildet eine gekürzte Fassung mit weniger Redundanz in den Items. Darüber hinaus
wird anhand einer fünfteiligen Likert – Skala für jede Mobbinghandlung die Häufig-
keit erfragt (von nie bis sehr oft), der Mittelwert spiegelt den Grad der Mobbingbe-
troffenheit wider. (Niedl 1995, 84)
Nach Niedl (1995) ergaben empirische Überprüfungen eine hohe innere Konsistenz
des WHS – Fragebogens.
Deutlicher Unterschied ist die Likert – Skala, die beim WHS – Fragebogen eine
Dimension einführt, die bei LIPT bemängelt wird. Ansonsten gelten für beide Instru-
mente die bereits ausgeführten Kritikpunkte.


Der LIPT-Fragebogen ist trotz methodischer Schwächen das wichtigste Instrument
für die empirisch fundierte Analyse des Mobbingprozesses.
Im anschließenden Kapitel sollen Ergebnisse aus der Empirie dazu beitragen, den
Mobbingprozess besser zu verstehen.
32


3. Mobbingprozess


3.1. Leymanns 5 – Phasen – Modell
Mobbing ist als dynamischer Prozess Phasen unterworfen und wird von Leymann
(1995) als Eskalationsmodell beschrieben. Seine Konzept ist trotz methodischer
Schwächen Grundlage fast aller empirischer Untersuchungen und theoretischer Aus-
einandersetzungen und muss deshalb kritisch gewürdigt werden.


Das Modell umfasst fünf Phasen11, die auf der betrieblichen Ebene mit Konflikten in
der Organisation beginnen und bis zum Ausschluss aus der Gruppe und aus der
Arbeitswelt in der letzten Phase reichen und gleichzeitig mit einer Phasenentwick-
lung auf der persönlichen Ebene des Betroffenen korrespondieren. (vgl. Esser &
Wolmerath 1998, 23)


Tab.1: Leymanns Mobbingverlaufsmodell
     I.     Konflikte, einzelne Unstimmigkeiten und Gemeinheiten


     II.    Übergang zu Mobbing und Psychoterror


     III.   Rechtsbrüche durch Über- und Fehlgriffe


     IV.    Stigmatisierende Diagnosen


     V.     Ausschluss aus der Arbeitswelt


Quelle: Kholodej 1999, 98



In der ersten Phase kommt es auf betrieblicher Ebene zu Unstimmigkeiten und
manifesten Konflikten, die in Angriffen auf den Betroffenen münden und in ihm
Stresssymptome und unterschiedliche Anpassungsstrategien wie Versöhnungsgesten,
ignorierendes und kämpferisches Verhalten hervorrufen.
In der zweiten Phase treten systematische Angriffe und Schikanen auf, die Leymann
in fünf Angriffsbereiche mit insgesamt 45 Handlungen zusammenfasst (sogenannte
45er-Liste) und der Leymannschen operationalen Mobbingdefinition entsprechen.


11
  Ursprünglich beinhaltete das Phasenmodell von Leymann nur vier Phasen (Phase 4 "Ärztliche und
therapeutische Fehldiagnosen" fehlte)(vgl. Leymann 1993; Leymann 1995; Esser & Wolmerath 1998)
33

Das Opfer reagiert darauf mit Angst, Verwirrung, Selbstzweifel und psychosoma-
tischen Störungen und sieht sich zunehmend isoliert. (Esser & Wolmerath 1998)
Die dritte Phase ist gekennzeichnet durch Fehl- und Übergriffe der Personal-
verwaltung. Das Opfer sucht in der Verwaltung Unterstützung und muss erfahren,
dass es weiterhin angegriffen und schikaniert wird. Angesichts der Hilflosigkeit, die
sich des Opfers in der zweiten Phase bemächtigt, sind Vertrauensbrüche übergeord-
neter, bisher als objektive Schlichter wahrgenommene Instanzen wie Betriebs- oder
Personalrat für den Betroffenen mit verheerenden physischen und psychischen Aus-
wirkungen verbunden, und er gerät dadurch in einen anomischen Zustand (vgl. Mob-
bingfolgen), die betroffene Person vollzieht eine innere Kündigung, schwankt zwi-
schen Rückzug und Auflehnung, zeigt verstärkte psychosomatische Störungen wie
Magen- und Darmbeschwerden, Kopf- und Rückenschmerzen, Migräneanfälle. (Kho-
lodej 1999, 103; Esser & Wolmerath 1998)
Durch die Auswirkungen der dritten Phase gelangt der Betroffene in ärztliche und
therapeutische Obhut. Die vierte Phase des Mobbing beginnt damit, dass ärztliche
und therapeutische Fehldiagnosen gepaart mit vergeblichen juristischen Schritten das
Opfer endgültig stigmatisieren und es keine Möglichkeiten der Intervention und des
Widerstandes sieht, vielmehr erleben muss, dass alle gesellschaftlichen Kon-
trollinstanzen versagen. Generelle Verunsicherung und Misstrauen, tiefe Verzweif-
lung und ein posttraumatisches Stresssymptom sind mögliche Konsequenzen.
In der fünften und letzten Phase erfolgt die Ausgrenzung aus der Gruppe und der
Ausschluss aus der Arbeitswelt. Das Opfer wird gekündigt oder muss wegen Krank-
heit seine Arbeitsstelle verlassen. Depressionen, Obsessionen, Suchtmittelmissbrauch
und Persönlichkeitsstörungen bis zum Suizid sind auf persönlicher Ebene die Aus-
wirkungen der letzten Phase, in der das Opfer endgültig in eine Pariasituation gerät.
(Kholodej 1999, 98)


3.1.1. Kritik des Leymann – Modell
Esser und Neuberger werfen Leymann vor, Mobbing als "worst-case" über das End-
ergebnis her zu definieren und zu konstruieren und dadurch Angriffe, die in früheren
Phasen beendet werden, nicht als Mobbing zu bewerten. (Esser & Wolmerath 1998,
24; Neuberger 1995, 59)
Neuberger (1995) gibt zu bedenken, dass das Modell zu linear und stereotyp und die
Stadien willkürlich gesetzt und theoretisch nicht fundiert seien. Neben der fehlenden
Systematik ist auch die uneinheitliche Perspektive zwischen den Phasen augenfällig,
34

sie wechselt zwischen Gruppengeschehen und Organisationsgeschehen, ohne beides
aufeinander zu beziehen und die Notwendigkeit dieser Phasenentwicklung zu be-
legen. (vgl. Neuberger 1995, 55)
So sind zahlreiche weitere Phasen und potentielle Zwischenphasen denkbar:


Phase 1 > Phase 2:
- Eine bestimmte Person wird zum Opfer auserkoren
- Das Opfer wehrt sich und wird zum Täter
- Koalitionsbildungen, Einbinden von Dritten


Phase 2 > Phase 3:
- offizielle Stellen reagieren richtig


Phase 3 > Phase 4:
- Rechtsweg bringt Klärung
- Mobber wird im Betrieb isoliert und bestraft


(vgl. Neuberger 1995)


Abweichungen von Leymanns Verlaufsmodell zeigen auch qualitative Interviews mit
21 Gemobbten (Knorz & Zapf 1995, 14). Demnach können 20% nichts zur ersten
Phase sagen und können somit keine Konflikte benennen, die zu den Mobbingatta-
cken hätten führen können, 87,5% können nicht zwischen Phase 2 und Phase 3 diffe-
renzieren, weil viele Angriffe von Vorgesetzten erfolgen und somit Macht- und
Rechtsübergriffe höherer Instanzen schon zu Beginn des Mobbings ineinander über-
gehen.
30% der Befragten erreichen die letzte Phase und verlieren den Arbeitsplatz. Die
Autoren der Studie konstatieren trotz dünner Datenbasis ihrer Erhebung, dass Ley-
manns Verlaufsmodell theoretisch fragwürdig und eine unidirektionale Eskalation
nicht bestätigt worden ist.


Insgesamt lässt sich sagen, dass sowohl das Verlaufsmodell als auch die Definition
von Mobbing zu opferzentriert sind und aus methodischen Mängeln den Täter und
die Interaktion zwischen ihm und dem Opfer unberücksichtigt lassen, da bisher keine
systematische Erfassung aller Handlungsbeteiligten, ihrer Interaktionen und ihrer
35

Motive erfolgte. Die Erhebungen mit dem LIPT-Fragebogen bilden nur subjektive
und retrospektive Ansichten ab. (vgl. Neuberger 1995; Niedl 1995)
Prädiktive Studien und Langzeitbeobachtungen (statt der Querschnittsuntersu-
chungen heute) einer Population könnten die Interaktionen erfassen und Mobbing im
sozialen System mit allen Akteuren evaluieren und der Dynamik von Mobbing ge-
recht werden. Die Täter-Opfer-Zuweisung ist nur im Kontext von dynamischen
Entwicklungen zwischen den Interaktionspartnern zu begreifen.




3.2. Dynamik von Mobbing
Der Mobbingprozess geht aus der Interaktion zwischen Tätern, Betroffenen und Mit-
läufern hervor und unterliegt einer interpersonalen Dynamik.
Diese bestimmt nicht nur den Mobbingverlauf, sondern ist auch Ausdruck sozialer
Spannungen im sozialen Gefüge; die Akteure sind Symptomträger in einem Konflikt-
system, gestützt durch Mitläufer und "Möglichmachern" (vgl. Neuberger 1995, 85;
Leymann 1993, 61), alle legen ihre Verhaltensstrategien adäquat fest, d.h. erst die In-
teraktion und ihre Dynamik weist den Akteuren ihre Täter- und Opferrollen zu und
bestimmt die Mobbinghandlungen. (Kholodej 1999, 69ff.)


Dynamik meint eine über die Summe der einzelnen Akteure und ihrer Motive, Werte
und Einstellungen gehende Entwicklung eines sozialen Beziehungsgefüges in Form
von Rückkoppelungsprozessen, die Interaktionen zwischen Mitgliedern einer
Gruppe12 verstärken oder abschwächen und somit eskalierend oder bremsend wirken
können und dadurch Handlungsmöglichkeiten begrenzen und einer "zwingenden"
Logik unterwerfen. (vgl. Watzlawick 1990; Lewin 1969)
Homans unterscheidet in seiner Gruppentheorie zwischen äußerem System (Bedürf-
nisse und Einstellungen des einzelnen Mitglieds, die aus der Umwelt resultieren, z.B.
Unterhalt sichern, Status erarbeiten etc.) und dem inneren System (Gefühle zu den
anderen Mitgliedern, Interaktionen, Aktivitäten innerhalb der Gruppe) und postuliert
eine Rückkoppelung zwischen beiden, indem "das innere System die Entfaltung des
Gruppenverhaltens [zeigt], d.h. aus dem äußeren System geht das innere gleichzeitig
mit hervor und wirkt auf dieses zurück" (Wössner 1986, 137f.) Das zeigt die Unzu-
12
  Gruppenspezifische Aspekte der Dynamik, die über die Dyade "Täter/Opfer" hinausgehen, werden
hier nur angeschnitten und im theoretischen Teil dieser Arbeit im Rahmen der organisationssoziolo-
gischen Betrachtungen ausgeführt, wesentlicher Augenmerk soll jetzt die Dynamik im Mobbingpro-
zess sein, die in der empirischen Erfassung und Analyse des sozialen Phänomens Mobbing am
Arbeitsplatz wesentlich ist.
36

länglichkeit, sich alleine auf Persönlichkeitsmerkmale einzelner Akteure zu fixieren
und dadurch den Mobbingablauf erklären zu wollen; vielmehr ist geboten Mobbing
als einen sozialen Prozess zu begreifen, der durch Rückkoppelungsprozesse verstärkt
wird ("Teufelskreis") und der in der schrittweisen Eskalation die Positionen zwischen
den Kontrahenten bestimmt, reaktives Verhalten (Abwehr) organisiert und die
Rollenzuweisung zwischen Opfer und Täter vorzeichnet; und diese Rollenzuweisung
wiederum korrespondiert mit der in der Organisations- und Gruppenstruktur vorgege-
benen Ausstattung der Kontrahenten an Macht und Einfluss. (vgl. Kholodej 1999,
73f.)
Diese Dynamik bewirkt, dass Mobbinghandlungen den Anderen entwerten und das
einzige Konstituens der Beziehung zwischen Opfer und Täter bilden. (a.a.O. 77)
In Anlehnung an Leymanns Phasenmodell hat Björkqvist (1992, 15; zitiert nach
Niedl 1995, 58) auf der Grundlage explorativer Interviews mit gemobbten Personen
ein dynamisches und handlungsorientiertes Modell generiert. Die erste Phase be-
zeichnet der Autor als "Phase der indirekten Methoden" und umfasst Handlungen wie
ständiges Unterbrechen, Gerüchte verbreiten und Stigmatisierung des Betroffenen als
Sündenbock. Die zweite Phase eskaliert in "direkte Aggressionen" wie Beleidi-
gungen und Isolation, bis in der dritten Phase das Opfer einen "sozialen Tod" erfährt
und unter psychischen und physischen Übergriffen und Misshandlungen zu leiden
hat.


Nach der Herleitung des Mobbingbegriffs, der Darstellung methodischer Schwierig-
keiten und der Beschreibung der Phasen von Leymann und der Schilderung des Mob-
bings als einen dynamischen Prozess, ist es nun an der Zeit, empirische Ergebnisse
heranzuziehen und zu untersuchen, wie weit Mobbing verbreitet ist, welche Faktoren
das Mobbingrisiko bestimmen, wie Mobbing sich auswirkt auf den Einzelnen, die
Gruppe, die Organisation, die Gesellschaft, inwieweit Prozessverläufe verifizierbar
sind, welche Bewältigungsstrategien das Opfer wählt und welche mikro- und makro-
soziologischen Begünstigungsfaktoren für Mobbing ermittelt werden können. Grund-
lage dieser Analyse ist die erste bundesweit durchgeführte Repräsentativstudie zu
Mobbing am Arbeitsplatz. (Meschkutat & Stackelbeck & Langenhoff 2002; im Text
Meschkutat et al. 2002)
Die Ergebnisse aus anderen, größtenteils im skandinavischen Raum durchgeführten
Untersuchungen werden zum Vergleich herangezogen.
37

3.3. Verbreitung von Mobbing
Einheitliche Aussagen über das Ausmaß von Mobbing in einer Gesamtpopulation
wie der Arbeitstätigen in Deutschland sind wegen unterschiedlicher methodischer
Ansätze der Erhebungen und der zugrundegelegten Mobbingdefinitionen äußerst
schwierig zu treffen. (vgl. Niedl 1995)
Vergleichbarkeit ist nur auf gemeinsamer Basis (z.B. LIPT) möglich.

                     Mobbingquote in Deutschland

 12,00%                                                      11,30%

 10,00%
  8,00%
                                          5,50%
  6,00%
  4,00%           2,70%
  2,00%
  0,00%
          aktuelle Mobbingquote Jahresmobbingquote          gesamte
                                                          Mobbingquote

Diagramm 1 – Mobbingquote in Deutschland, Quelle: Meschkutat et al. 2002, 23



In der ersten bundesweit repräsentativen Umfrage über Mobbing am Arbeitsplatz
(Meschkutat et al. 2002) wird eine aktuelle Mobbingquote (Ende 2000) von 2,7% er-
mittelt. Dies entspräche bei einer Gesamtzahl von 38,988 Mio. Erwerbstätigen 1,053
Millionen Personen, die von Mobbing betroffen sind. Werden alle Fälle des Jahres
2000 berücksichtigt, also auch die "abgeschlossenen", so beträgt der Wert 5,5%.
(a.a.O. 23)
Die Gesamtmobbingquote (d.h. alle Mobbingfälle, die die Befragten in ihrem ge-
samten Berufsleben erlebt haben) beträgt 11,3% (a.a.O. 24) und zeigt, dass über jeder
zehnte mindestens einmal in seinem Berufsdasein mit Mobbing konfrontiert wird und
dass Mobbing keine Randerscheinung in Organisationen ist. (vgl. Niedl 1995)


Diese Werte werden auch von Skogstad & Matthiesen & Hellsoy (1990, S. 45) bestä-
tigt. So geben zum Zeitpunkt der Befragung 3,3% an, Opfer von Mobbing zu sein, zu
einem früheren Zeitpunkt sind 8,4% gemobbt worden.
Vartia (1991, 132) gibt als Gesamtmobbingquote 10,1% an und bestätigt somit den
Wert von Meschkutat et al. (2002).
38

Auch der aktuelle Mobbingwert von 2,7% wird von vielen Studien bestätigt, so hat
Leymann (1990, S.10) in einem Stahlwerk 3,5% Mobbingfälle ausgemacht und
dieses Ergebnis später in einer landesweiten Studie in Schweden verifiziert.


3.4. Mobbingrisiko
Die statistische Auswertung der Korrelation zwischen Mobbingrisiko und demogra-
fischen Variablen gibt möglicherweise Auskunft über potentielle theoretische Zu-
sammenhänge, dennoch muss betont werden, dass statistische Korrelationen für sich
keinerlei Aussagekraft haben, wenn man ein soziales Phänomen soziologisch unter-
sucht, oder wie Bourdieu (1983, 46) warnt:


       "Keineswegs ist mit rein statistischen Berechnungen der wechselnden Stärke der Relation
       zwischen diesem bestimmten Indikator und jener bestimmten Praxis schon die im strengen
       Verstand soziologische Berechnung der in der statistischen Relation sich offenbarenden
       Effekte, Auswirkungen und Einflüsse, hinfällig geworden."


Vorgreifend lässt sich aus den folgenden empirischen Ergebnissen ein statistisches
Profil erstellen für jene, die ein sehr hohes bzw. ein sehr niedriges Mobbingrisiko
aufweisen.
Mobbing findet sich überall, in allen Berufsgruppen, Alterklassen und Branchen. Das
höchste statistische Risiko hat eine junge Sozialarbeiterin und das geringste ein 43-
55 jähriger männlicher Angestellter in der Landwirtschaft. (Meschkutat et al. 2002,
38)


3.4.1. Mobbingrisiko und Geschlecht
Nach Meschkutat et al (2002, S. 26) liegt das Risiko für Frauen, von Mobbing betrof-
fen zu sein, um 75% höher als für Männer. Zum Zeitpunkt der Befragung sind 3,5%
der befragten Frauen gegenüber 2,0% der Männer Opfer von Mobbinghandlungen.
39


                    Mobbingquote und Geschlecht

 14,00%                                    12,90%
 12,00%
                                                    9,60%
 10,00%
  8,00%                                                             Frauen
  6,00%                                                             Männer
                3,50%
  4,00%
                        2,00%
  2,00%
  0,00%
             aktuelle Mobbingquote     gesamte Mobbingquote

Diagramm 2 – Mobbingquote und Geschlecht, Quelle: Meschkutat et al. 2002, 26



Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist geringer, wenn die gesamte Mob-
bingquote betrachtet wird. Demnach sind 12,9% der Frauen und 9,6% der Männer
von Mobbing betroffen. Die Autoren sehen den Grund für die Differenz zwischen ak-
tueller und gesamter Mobbingquote in den für Frauen typischen Brüchen ihrer
Erwerbsbiographie mit längeren Zeiten der Erwerbslosigkeit und somit geringeren
Arbeitsjahren begründet.(a.a.O. 27)
Kholodej (1999, 28) sieht im höheren Mobbingrisiko für Frauen einen Ausdruck der
patriarchalen Geschlechtsideologie, die sich darin zeigt, dass Männer in der Gesell-
schaft immer noch die hierarchisch höhergestellten Positionen inne haben und in
wirtschaftlichen Organisationen mehr innerbetriebliche Macht besitzen.
In Schweden hat Leymann in seiner Repräsentativstudie (1993) keine statistisch si-
gnifikanten Unterschiede zwischen Frauen (55%) und Männern (45%) gefunden.
Dies könnte dadurch erklärt werden, dass in Schweden Frauen Familie und Beruf
besser in Einklang bringen können.
Die kulturellen Unterschiede und bessere Betreuungsangebote für Kinder mindern in
Skandinavien geschlechtsspezifische Ungleichheiten und korrespondieren mit einem
ähnlich hohen Mobbingrisiko für beide Geschlechter.
Lindroth & Leymann (1993, 168) können zeigen, dass geschlechtsspezifische Berufe
für das andere Geschlecht ein höheres Mobbingrisiko bedeuten. So sind in ihrer
Erhebung in einem Kindergarten doppelt so oft männliche Erzieher von Mobbing be-
troffen als ihre weiblichen Kollegen. Weitere Untersuchungen über den Zusammen-
hang zwischen Berufsrolle und Geschlecht in Bezug auf Mobbing (z.B. Frauen in
"typischen" männlichen technischen Berufen, s. Fallbeispiel Lena) stehen noch aus,
40

doch es lässt sich sagen, dass Merkmale, die sich vom Durchschnitt der Gruppe
abheben und einen höheren Grad an Heterogenität schaffen, eher zu Ausgrenzung
und Mobbing führen. Auf den Zusammenhang zwischen Mobbingrisiko und Persön-
lichkeitsmerkmalen gehe ich später ein.


3.4.2. Mobbingrisiko und Alter
Das höchste Risiko haben Berufsanfänger (<25Jahre) mit 3,7% Mobbingbetroffen-
heit, gefolgt von den über 55 Jährigen mit einer Mobbingquote von 2,9%. Alle
anderen Altersgruppen haben ein ähnlich hohes Risiko. (Meschkutat et al. 2002, 28)

                            Mobbingquote und Alter

 4,00%        3,70%
 3,50%
                                                                          2,90%
 3,00%                       2,60%          2,60%
 2,50%                                                     2,20%
 2,00%
 1,50%
 1,00%
 0,50%
 0,00%
             unter 25       25 bis 34      35 bis 44      45 bis 54    55 Jahre und
              Jahre           Jahre          Jahre          Jahre          älter

Diagramm 3 – Mobbingquote und Alter, Quelle: Meschkutat et al. 2002, 28



Einarsen & Raknes (1991, 49f.) sehen einen signifikanten Zusammenhang zwischen
steigendem Alter und Mobbingrisiko und können die Ergebnisse von Meschkutat et
al. hinsichtlich der Berufsanfänger und jüngeren Mitarbeitern nicht bestätigen. Björk-
qvist (1992, 15) und Leymann (1991, 16) sehen überhaupt keinen Zusammenhang
zwischen Alter und Mobbingrisiko.
Kholodej (1999, 27) sieht in den Ergebnissen von Einarsen & Raknes (1991) einen
Beleg für die These, dass Mobbing ältere Mitarbeiter eher treffen kann, wenn in einer
wirtschaftlich angespannten Lage oder einer Rezession ein Verdrängungswettbewerb
um Arbeitsplätze ausgetragen wird. Deshalb seien auch jüngere Mitarbeiter eher be-
droht.


         "Die bisherigen Ergebnisse lassen demnach die Tendenz erkennen, dass an den jeweiligen
         Randbereichen des beruflichen Werdegangs, in der Zeit nach dem Berufseinstieg oder vor
         dem Berufsausstieg, ein erhöhtes Mobbingrisiko besteht." (Kholodej 1999, 27)
41

3.4.3. Mobbingrisiko und Berufsgruppe
In der deutschen Repräsentativstudie sind soziale Berufe mit dem höchsten Mob-
bingrisiko (2,8-fach gegenüber Durchschnitt) behaftet, während Kaufleute im Groß-
und Einzelhandel über das geringste Mobbingrisiko verfügen. (Meschkutat et al.
2002, 29ff.)
Andere Studien untersuchen meist nur Branchenzugehörigkeit und differenzieren
nicht nach Berufen. In einer Untersuchung an Universitätsangestellten von Björkqvist
et al. (1994) werden signifikante Unterschiede zwischen den Berufen in Administra-
tion und Verwaltung und der in Lehre und Forschung ermittelt. Demnach sind die
Angestellten in der Bürokratie (24% Mobbingfälle) einem viel höheren Mobbingrisi-
ko ausgesetzt als die Berufe in Forschung und Lehre. (Björkqvist & Österman &
Hielt-Bück 1994, 7)
Meschkutat et al. (2002) betonen, dass eine präzise Bestimmung von Beruf und Mob-
bingrisiko nicht möglich ist aufgrund zahlreicher Einflussfaktoren wie Arbeitsbe-
dingungen, hierarchische Strukturen, Konkurrenz- und Konfliktkultur, wirtschaftli-
che Lage und Betriebsklima in der Organisation. Diese Faktoren haben einen wesent-
lich höheren Einfluss auf die Entstehung von Mobbing. (a.a.O. 32)


3.4.4. Mobbingrisiko und Branche/Wirtschaftszweig
Das höchste Risiko wird im Verlags- und im Druckgewerbe ermittelt (2,2-faches
Risiko), das geringste in der Landwirtschaft und der gewerblichen Jagd (0,6-faches
Risiko gegenüber Durchschnitt). (Meschkutat et al. 2002, 33ff.)
Dieses Bild ist nicht stimmig mit den Ergebnissen des Berufsvergleiches, arbeiten
doch gerade im Verlagsgewerbe Kaufleute. Die Autoren der deutschen Repräsenta-
tivstudie erklären dies mit dem geringen Anteil dieser Berufsgruppe innerhalb einer
sonst stark ausdifferenzierten Branche. (a.a.O. 35)
Andere Studien vermitteln ein uneinheitliches Bild. Einarsen & Raknes (1991, 51 u.
103) können für Norwegen keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Mob-
bingrisiko und Branchenzugehörigkeit eruieren.


3.4.5. Mobbingrisiko und Betriebsgröße
Die Betriebsgröße steht in keinem Zusammenhang mit dem Risiko, Opfer von Mob-
bing zu werden. (Meschkutat et al. 2002, 36) In der Studie werden kleine Unter-
nehmen bis zu Großorganisationen mit mehr als 500 Mitarbeitern untersucht, doch
die Größe scheint keinen Einfluss zu haben. Mobbing entsteht innerhalb einer
42

Gruppe unabhängig von der Größe einer Organisation, nicht jedoch unabhängig von
der Organisationsstruktur und äußeren Umweltbedingungen wie Wirtschaftslage etc.
(siehe organisatorische und gesellschaftliche Begünstigungsfaktoren für Mobbing)


3.4.6. Mobbingrisiko und Status
Mobbing ist eher ein Problem für Beamte und Angestellte und weniger für Arbeiter.
So beträgt die gesamte Mobbingbetroffenheit unter Arbeitern 12,3%, unter Ange-
stellten 13,6% und unter Beamten 13,7%. Anders sieht es aus, wenn man die aktuelle
Mobbingquote vergleicht. Da sind Arbeiter wesentlich stärker betroffen (3,3%)
gegenüber Angestellten (2,9%) und Beamten (1,5%), die sogar ein unterdurchschnitt-
liches Mobbingrisiko zum Zeitpunkt der Erhebung aufweisen.


                               Tab.2: Mobbingbetroffenheit   (in %)
Status (aktuell)
                               aktuell                       gesamt
Arbeiter/innen                 3,3                           12,3
Angestellte                    2,9                           13,6
Beamt/innen                    1,5                           13,7
Gesamtdurchschnitt             2,7                           13,4

Quelle: Meschkutat et al. 2002, 36


Den Widerspruch erklären sich die Autoren durch die in den letzten Jahren be-
gonnene Privatisierungswelle im öffentlichen Dienst und den damit verbundenen
Umstrukturierungen und dem Stellenabbau.
Ein besonders hohes Mobbingrisiko haben Auszubildende (aktuelle Mobbingbetrof-
fenheit: 4,4%), was den Zusammenhang zwischen Alter und Mobbing, der in dieser
Studie ermittelt wird, untermauert. (Meschkutat et al. 2002, 36f.)


3.4.7. Mobbingrisiko und Persönlichkeitsmerkmale
Die Frage nach persönlichen Merkmalen des Opfers wirft das Problem auf, dass mit
einem konstatierten Zusammenhang eine Schuldzuweisung erfolgen kann. Die vor-
liegenden empirischen Ergebnisse betonen den geringen Einfluss individueller Eigen-
schaften, verweisen auf soziale Faktoren und bestätigen die Notwendigkeit, Mobbing
als soziales Phänomen soziologisch zu betrachten und zu analysieren. (Neuberger
1995; Niedl 1995; Leymann 1994)
Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit persönliche Merkmale wie der Umgang mit
Konflikten und die sogenannten "soft skills" Entwicklungen begünstigen oder
hemmen.
43

       "Personen mit einer hohen sozialen Kompetenz und mit ausgeprägten Fähigkeiten zur Kon-
       fliktanalyse und -bewältigung haben in der Regel bessere Möglichkeiten, den Ablauf von
       Mobbing zu durchbrechen und das Mobbing zu stoppen." (Meschkutat et al. 2002, 120)


Daraus folgt: Persönlichkeitsmerkmale bestimmen in erster Linie den Verlauf, die In-
tensität und die Prägung von Mobbing, weniger die Entstehungszusammenhänge.
Brodsky (1976, 94ff.) hat in frühen klinischen Analysen acht Idealtypen von gemobb-
ten Personen ausgemacht:


1. "Der Uneinsichtige"
Er zeichnet sich durch mangelndes Verständnis für eigenes und fremdes Handeln aus
und zeigt sich enttäuscht über die unerwarteten Reaktionen seiner direkten sozialen
Umwelt.


2. "Personen, die sich nicht losreißen können"
Trotz Unzufriedenheit mit der Arbeit, können sie sich nicht von ihr lösen und
schätzen sich und ihre Fähigkeiten falsch ein und erwarten von der Organisation für-
sorgliches Verhalten.


3. "Der Paranoide"
Er betrachtet seine soziale Umwelt als feindlich und wähnt sich als Opfer eines gegen
ihn gerichteten kollektiven Angriffs (Verschwörungstheoretiker).


4. "Der Zwanghafte"
Er kann nicht von sich abstrahieren und erwartet von seiner Umgebung so zu handeln
und zu reagieren wie er.


5. "Der Manieristische"
Dieser Typus glaubt von sich, besser und wertvoller zu sein als andere und zeichnet
sich durch auffälliges Verhalten aus, das seine Umwelt feindselig reagieren lässt.


6. "Der Passive"
Er erwartet Lob und Anerkennung aus seiner sozialen Umgebung, geschieht dies
nicht, so empfindet er dies als feindselige Reaktion und als einen Angriff.
44

7. "Der Narr"
Er ist innerhalb der Gruppe der Clown ("Klassenclown") und ist durch diese
Rollenzuweisung stigmatisiert und erlebt Verhöhnung und Zurückweisung auch in
konflikthaften Auseinandersetzungen mit anderen Gruppenmitgliedern.


8. "Der Hypochonder"
Der Hypochonder ist nicht fähig mit Belastungen am Arbeitsplatz emotional umzuge-
hen und drückt dies ersatzweise über seinen Körper und dessen Befindlichkeit aus,
und er sieht sich als machloses Opfer äußerer Einflüsse und Kräfte.


Einarsen & Raknes (1991, 61f., 109) ermitteln in einer norwegischen Untersuchung
einen Zusammenhang zwischen 'sozialer Angst', Selbstachtung und Mobbingrisiko.
Soziale Angst meint die Unfähigkeit, in der Auseinandersetzung mit der sozialen
Umwelt Konflikte zu ertragen und adäquat darauf zu reagieren. Stattdessen hat der
Betroffene eine generelle Angst vor sozialen Interaktionen.
Der Zusammenhang zwischen diesen Items ist hochsignifikant. Gemobbte Personen
haben einen geringeren Grad an Selbstachtung und einen höheren Grad an sozialer
Angst. (a.a.O.)
Unklar ist, wie der Zusammenhang kausal interpretiert werden soll. Denkbar ist bei-
spielsweise, die Items 'geringe Selbstachtung' und 'soziale Angst' als Folgen des
Mobbingprozesses zu sehen.


       "Praktisch wird keine Aussage darüber gemacht, ob die beschriebenen Persönlichkeitsfakto-
       ren als Effekte der Belastungssituation oder als personenimmanent anzusehen sind" (Niedl
       1995, 51)


Auch Leymann betont die Gefahr, Persönlichkeitsveränderungen infolge des Mob-
bingprozesses als Begünstigungsfaktoren für Mobbing fehlzuinterpretieren. Er hebt
hervor, dass


       "the individual can develop major personality changes as a symptom of a major mental disor-
       der due to the mobbing process. As the symptoms of this changed personality are quite typi-
       cal and distinct, it is understandable, but still false, that even psychiatrists lacking modern
       knowledge about PTSD as a typical victim disorder misunderstand the symptoms as being
       what the individual brought into the company in the firs place." (Leymann 1996, 178)
45

Die Fokussierung auf Persönlichkeitsmerkmale vernachlässigt sowohl den dyna-
mischen Aspekt des Mobbings als auch seine organisatorischen und gesellschaftli-
chen Faktoren. (Kholodej 1999, 28)
Deutlichere Ergebnisse zeigen sich bei Randgruppen in der Gesellschaft, etwa bei
Ausländern und Behinderten, die neben Diskriminierungserfahrungen in vielen Be-
reichen des öffentlichen Lebens auch einem höheren Mobbingrisiko ausgesetzt sind.
So zeigt eine Erhebung von Leymann (1992, 12; zitiert nach Niedl 1995), dass unter
den behinderten Mitarbeitern einer Non-Profit-Organisation eine Mobbingrate von
über 20% ermittelt wird gegenüber 4,4% Mobbingfällen bei nichtbehinderten Mit-
arbeitern.
Die Benachteiligung des anderen Geschlechts in geschlechtsspezifisch definierten
Berufsbildern bestätigt den Zusammenhang zwischen der Abweichung bestimmter
Persönlichkeitsmerkmale der Betroffenen von gruppenhomogenen Eigenschaften und
dem Risiko, dafür angefeindet zu werden und dadurch einem höheren Mobbingrisiko
ausgesetzt zu sein. (vgl. Neuberger 1995, Kholodej 1999)


3.5. Mobbinghandlungen
Mobbing besteht aus Handlungen. Diese sind, als Angriffe definiert und in Eska-
lationsphasen gebettet, eine operationale Definition von Mobbing. In Anlehnung an
Leymanns 45er Liste mit fünf Angriffsbereichen, sollen empirische Ergebnisse
zeigen, ob die aufgeführten Mobbinghandlungen bei Leymann bestätigt werden
können oder ob wesentliche Strategien unberücksichtigt bleiben. Kritik an Leymanns
Ansatz wurde in dieser Arbeit bereits ausgeführt, jetzt geht es um eine empirisch fun-
dierte Validierung der Items.
Mobbingdefinitionen setzen Systematik und Zielgerichtetheit von Handlungen und
Strategien voraus.
In der Erhebung von Meschkutat et al. (2002) geben 83,5% der Befragten an, dass die
Handlungen zielgerichtet erfolgten und 68,9% sprechen von einer erkennbaren Sys-
tematik. Von einem unbewussten Vorgehen sind nur 8,2% überzeugt. (a.a.O. 48)


Zapf et al (1996) bestätigen durch eine Faktorenanalyse 38 der 45 LIPT-Handlungen
und ermitteln sieben Angriffsbereiche (Faktoren):
1. Angriffe auf das Opfer mit arbeitsbedingten Methoden (11 Items)
2. Angriffe auf die sozialen Beziehungen des Opfers durch Isolation (7 Items)
3. Angriffe auf das Privatleben des Opfers (7 Items)
Magister mobbing
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Magister mobbing

  • 1. 1 Mobbing: Konflikte am Arbeitsplatz – Pathologische Beziehungsgefüge in Gruppen Magisterarbeit zur Erlangung des Grades eines Magister Artium M.A. vorgelegt der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn von Ibrahim Mazari aus Köln
  • 2. 2 Inhaltsverzeichnis  Einführung (1) o Aufbau der Arbeit (2) o Fallbeispiel (4) o Problemstellung (5) o Relevanz (7) o Etymologie Mobbing (9)  Forschungsgegenstand Mobbing (10) o grundsätzliche Strukturen von Mobbing (12) o Mobbingdefinitionen (13) o Abgrenzung zu verwandten Begriffen (16)  sexuelle Belästigung (16)  Diskriminierung (17)  Gewalt (17)  Konflikt (18) o Leymanns 45er Liste (19)  Kritik (24) o standardisierte Methoden zur Erfassung von Mobbing (26)  LIPT (26)  Aufbau (26)  Validität (27)  Reliabilität (27)  Kritik am LIPT (28)  WHS (28)  Mobbingprozess (30) o Leymanns 5-Phasen-Modell (30)  Kritik des Leymann – Modell (31) o Dynamik von Mobbing (33) o Verbreitung von Mobbing (35) o Mobbingrisiko (36)  Mobbingrisiko und Geschlecht (37)  Mobbingrisiko und Alter (38)  Mobbingrisiko und Berufsgruppe (39)  Mobbingrisiko und Branche/Wirtschaftszweig (39)  Mobbingrisiko und Betriebsgröße (40)  Mobbingrisiko und Status (40)  Mobbingrisiko und Persönlichkeitsmerkmale (41) o Mobbinghandlungen (44) o Dauer und Häufigkeit des Mobbingprozesses (48)  Dauer (48)  Häufigkeit (49) o Hierarchische Position, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Geschlecht und Alter des Mob- bing-Täters (50)  Hierarchie (51)  Betriebszugehörigkeit (52)  Geschlecht (52)  Alter (53) o Folgen von Mobbing (53)  individuelle Folgen (53)  psychische und physische Folgen (53)  Arbeits- und Leistungsverhalten (57)  betriebswirtschaftliche Folgen (57)  Bewältigungsstrategien des Opfers (58)  persönliches Bewältigungsverhalten (58)  Gegenwehr (59)  Social Support (60) o Begünstigungsfaktoren für Mobbing (61)  individuelle Begünstigungsfaktoren (61)  Angst (62)  Stress (62)  Neid (64)  Frustration (65)  Antipathie (65)  betriebliche und arbeitsorganisatorische Faktoren (66)  Arbeitsorganisation (67)  Normen und Werte in der Organisation (71)  Führungsverhalten in Organisationen (72)  mangelnde Streitkultur (74)
  • 3. 3  gesellschaftliche Begünstigungsfaktoren (75)  Strukturwandel (75)  Wirtschaftslage (76)  gesellschaftliche Normen und Werte (76) o Zusammenfassung und Schlussfolgerung (78)  theoretische Erklärungsansätze zu Mobbing (80) 4.1 organisationssoziologischer Ansatz (81)  Organisation als soziales System (81)  Funktionen von organisierten Sozialsystemen (83)  Selbstregulierung von Systemen (85)  pathologische Grundmuster von Organisationen (89)  Exkurs: Ist Mobbing pathologisch oder systemimmanent? (91) o Devianz (92) o Funktionen von Sündenböcken in Organisationen (96)  Organisation als mikropolitischer Raum (96)  Merkmale mikropolitischer Situationen (97)  Charakterisierung der Spielmetapher (99)  Merkmale des Spiels „Arbeiten in Organisationen“ (99)  Mobbing als Gruppenphänomen (100)  Gruppenfunktionen (101)  Konformität in (Klein-) Gruppen (103)  soziale Normierung in der Gruppe (105)  soziale Differenzierung in der Gruppe (106)  Arbeitsgruppen im Industriebetrieb (107) o konfliktsoziologischer Ansatz (108)  Konflikte (108)  soziale Konflikte in Organisationen (111)  innerorganisatorische Konfliktursachen (112)  Kommunikation, Interaktion und Konflikte (114)  Kommunikation und Interaktion (114)  Störungen der Kommunikation (115)  Funktionen von Konflikten (122)  positive Funktionen von Konflikten (122)  negative Funktionen von Konflikten (123)  Konflikteskalationsmodelle (124)  Konfliktverlaufsmodell nach Berkel (1985) (124)  Das Phasenmodell der Konflikteskalation nach Glasl (1992) (125) o Zusammenfassung und Schlussfolgerung (130)  Schlussbemerkung (133)  Literatur- und Quellenverzeichnis (135)
  • 4. 4 1. Einführung Mobbing ist ein Phänomen wiederkehrender Feindseligkeiten. (Niedl 1995, 3) Es ist das Produkt und die Folge eines fehlgeschlagenen Konfliktmanagements, das begünstigt wird durch ein Versagen von systemnotwendigen Funktionen in Ver- bindung mit in der Organisation angelegten pathologischen Grundmustern. (vgl. Neuberger 1995; Bosetzky & Heinrich 1994; Bergmann 1967) Mobbing ist im Gegensatz zu dem, was jedem als Gemeinheit von Kollegen auf der Arbeitsstätte widerfährt, systematisch und zeichnet sich durch ein bestimmtes Hand- lungsregister und einen eskalierenden Verlaufscharakter aus; der Betroffene leidet unter verheerenden gesundheitlichen Folgen. Gerade diese extremen Konsequenzen und die daraus resultierenden menschlichen Tragödien, die bis zum Selbstmord des Opfers reichen können, hinterlassen ein be- klemmendes Gefühl und führen vor Augen, dass der scheinbar zivilisierte Umgang von ganz normalen Menschen wie „du und ich“ eine derartige Wendung erfahren kann und der dünne Firnis der Humanität unserer Arbeits- und Lebenswelt in Frage gestellt wird. Dieser Schrecken erklärt, warum die Boulevardpresse, aber auch seriöse Publika- tionsorgane, sich diesem Thema widmen und von den bewegenden Schicksalen ge- brochener Menschen berichten1. Was sind das für Menschen? – das ist unsere Reakti- on auf die geschilderten Taten der Täter, und die Presse erleichtert das Gewissen des zivilisatorisch hinterfragten Individuums, indem Mobbing als Produkt sadistischer Menschen bezeichnet wird. Diese Arbeit zeigt, dass sowohl empirisch fundierte Ergebnisse als auch theoretische Überlegungen ein anderes Bild vermitteln und zu dem Schluss kommen, dass der in- dividuelle Anteil am Mobbing äußerst gering ist gemessen an Faktoren wie Arbeitsorganisation und Hierarchiestruktur im Unternehmen. Hinter dem Offensichtlichen schauen, dass scheinbar Unerklärliche und Unergründli- che zurückführen auf handfeste Fakten ist das erklärte Ziel einer jeden Wissenschaft; diese Arbeit bemüht sich hinter die Fassaden des tagtäglichen Grauens am Arbeitsplatz zu blicken und mit Hilfe der Soziologie, ihrem Blick, ihren Methoden und ihren Erkenntnissen, dem Phänomen Mobbing ein Stück weit näher zu kommen. 1 Wie etwa die Schilderung des Falls von der jungen Polizistin aus München, die durch das Mobbing ihrer Kollegen in den Selbstmord getrieben wurde.
  • 5. 5 1.1 Aufbau der Arbeit Diese Arbeit ist in vier Kapiteln gegliedert. Im ersten, einleitenden Abschnitt wird Mobbing anhand eines Fallbeispiels veranschaulicht, die Relevanz dieses Themas für die Soziologie und für die Gesellschaft als ganzes herausgestellt und anschließend das Untersuchungsthema dieser Arbeit über die Formulierung einer Arbeitshypothese näher eingegrenzt. Im zweiten Kapitel wird Mobbing am Arbeitsplatz als Forschungsgegenstand thema- tisiert, die Entstehung der Mobbingforschung und die Abgrenzung zu anderen Mob- bingbereichen (z.B. Mobbing an der Schule) nachvollzogen, um dann auf aktuelle Definitionen des Mobbingbegriffs einzugehen und daraus grundsätzliche Strukturen von Mobbing abzuleiten. Damit einher geht die Abgrenzung zu verwandten Begriffen wie den des Konfliktes oder der Gewalt, um eine so weit wie möglich „scharfe“ Begriffsbestimmung zu ge- währleisten. Im zweiten Kapitel werden ebenfalls die bisher wichtigsten standardisierten Metho- den zur Erfassung von Mobbing, den Fragebögen LIPT und WHS, vorgestellt und kritisch betrachtet. Abschließend werden neben allgemeinen methodenkritischen Anmerkungen im Umgang mit Mobbing die 45 Mobbinghandlungen von Leymann aufgezählt und einzeln erläutert, da sie der operationalen Definition von Mobbing auf der Grundlage des LIPT entsprechen. Im dritten Kapitel geht es um die Darstellung des Mobbings als ein dynamischer, von Phasen bestimmter Prozess. Dem folgen die Ergebnisse der ersten deutschen Re- präsentativstudie von Meschkutat et al. (2002), die Auskunft geben über die Ver- breitung, die Dauer und die Häufigkeit von Mobbing und die Zusammenhänge zwi- schen dem Mobbingrisiko und bestimmten soziodemographischen Angaben wie Ge- schlecht, Alter und Berufsgruppe aufzeigen und dabei auch Angaben über den Mob- ber hinsichtlich seiner hierarchischen Position, seiner Betriebszugehörigkeit, dem Geschlecht und dem Alter erfragen. Zudem untersucht die Studie auch die Folgen von Mobbing für den Betroffenen, eruiert Bewältigungsstrategien und forscht nach Begünstigungsfaktoren für Mobbing in Persönlichkeitsmustern, in betrieblichen und arbeitsorganisatorischen Bedingungen und fragt nach gesamtgesellschaftlichen Zu- sammenhängen.
  • 6. 6 Diese Ergebnisse werden kritisch mit denen anderer Erhebungen verglichen, um so Widersprüche oder Bestätigungen auszumachen. Im vierten, abschließenden Kapitel wird der Versuch unternommen, die aus dem dritten Kapitel empirisch fundierten Ergebnisse in einen weiten theoretischen Rahmen zu stellen und die Arbeitshypothese zu belegen, wonach Mobbing wahr- scheinlicher ist, wenn systemnotwendige Funktionen von organisierten Sozialsyste- men versagen und gleichzeitig vorhandene pathologische Grundmuster (vgl. Bosetz- ky & Heinrich, 1994) hinzukommen und dadurch die Lösung und Integration von Konflikten verhindert wird. Die ungelösten Konflikte eskalieren und nehmen den für Mobbing typischen Verlauf an. Um diese These zu belegen, gehe ich zunächst auf organisationssoziologische Über- legungen ein, führe den Systembegriff zur Beschreibung von Wirtschaftsunter- nehmen ein, um dann nach Funktionen von organisierten Sozialsystemen und sys- temimmanenten Strukturen wie Selbstregulierung zu suchen, so dass ich Rück- schlüsse auf die Entstehung von Mobbing ziehen kann. Dann beleuchte ich pathologische Grundmuster von Organisationen wie die Über- komplizierung, verdeutliche in bestimmten Organisationsmustern implizierte Aus- grenzungsprozesse und versuche die Frage, ob Mobbing systemimmanent oder pathologisch ist, in einem Exkurs zu beantworten. Dem folgt die Darstellung von Organisation als ein mikropolitischer Raum, in dem Mobbing ein spezifisches Spiel, eine politische Strategie ist. Daran schließen gruppensoziologische Überlegungen an, da Mobbing ein Gruppen- phänomen ist. Funktionen wie Konformität, soziale Normierung und Differenzierung in Gruppen werden untersucht und mit der Entstehung und der Ausprägung von Mobbing in Verbindung gesetzt. Auch spezifische Strukturen der Arbeitsgruppe im Industriebetrieb werden in Augeschein genommen und nach mobbingbegünstigenden Strukturen hin durchforstet. Abschließend geht es um die Rolle sozialer Konflikte in Organisationen. In diesem Ansatz versuche ich die Funktionen und Dysfunktionen von Konflikten für die Organisation zu ermitteln und fahnde nach innerorganisatorischen Konfliktursachen, z.B. in der Kommunikation und Interaktion der Beteiligten, um dann Mobbing in- nerhalb bestehender Konflikteskalationsmodellen einzuordnen und dadurch als einen spezifischen, eskalierenden Konflikt zu bestimmen.
  • 7. 7 1.2 Fallbeispiel Geschildert wird der Fall von Lena (vgl. Leymann 1993, 19f., 57f.), einer Schweiße- rin aus Schweden, die nach einer Umschulung gleich eine Anstellung in einem Be- trieb findet. Sie ist die erste Frau in diesem Betrieb, die diesen Beruf ausübt, und er- regt dadurch Aufsehen, was sie erwartet hat. Schließlich wusste Lena, dass sie in einem „Männerberuf“ gelandet war. Ihrer Ansicht nach läuft es gut und sie kann sich schnell einarbeiten. Nach einem Monat bittet sie der Werksmeister in der Küche auszuhelfen, da zwei Mädchen erkrankt waren. Sie traut sich nicht zu widersprechen und fragt sich dennoch, wie ein Mann reagiert hätte an ihrer Stelle. Doch da sie neu ist, möchte sie keinen Aufstand machen und willigt ein. In der folgenden Zeit kommt der Meister immer mit der gleichen Bitte, bis sie sich weigert und es zu einer Auseinandersetzung kommt. Lena berichtet davon, dass alle Augen in diesem Moment auf sie gerichtet sind und sie darin deutlich Verachtung und Ablehnung verspürt. Sie wird nunmehr als „Emanze“ stigmatisiert und Kollegen beginnen sie zu atta- ckieren, die jüngeren Mitarbeiter belästigen sie sexuell, indem sie Lenas Hintern kneifen, der Werkmeister und andere Kollegen kritisieren permanent die Qualität ih- rer Arbeit und sprechen ihr die Qualifikation für diesen Job ab. Lena ist immer mehr verängstigt und reagiert unsicher, morgens vor der Arbeit leidet sie unter Weinkrämpfen und Magenbeschwerden und geht äußerst ungern zur Arbeit. Sie entschließt sich, klar ihre Meinung zu sagen und die Kollegen deutlich zu bitten, die Angriffe zu unterlassen, doch es wird dadurch nur noch schlimmer für sie, die Angriffe werden häufiger und intensiver, Hilfsgesuche an Vorgesetzte und Gewerk- schaftsfunktionäre werden belächelt, nicht ernst genommen oder einfach ignoriert. Immerhin widmet sich ein Journalist ihrer Geschichte und veröffentlicht sie in einer Gewerkschaftspublikation, woraufhin Lena als Reaktion einen Drohbrief mit wüsten Beschimpfungen erhält. Als sie diesen ihren Vorgesetzten zeigt, reagieren diese gar nicht. Lena wird immer häufiger krank, was ihr angelastet wird, mit der Begründung, sie vertrage die Belastungen der Schweißarbeit (als Frau) nicht. Infolge dessen wird Lena ins Lager strafversetzt, worauf sie depressiv wird und endgültig erkrankt, so dass sie mit 39 Jahren den Betrieb verlässt, in psychiatrischer Behandlung gehen muss und den Rest ihres Lebens als Frührentnerin arbeitsunfähig bleibt.
  • 8. 8 1.3 Problemstellung Feindseligkeiten am Arbeitsplatz sind ein Thema für unterschiedliche wissenschaftli- che Disziplinen. Die Gruppendynamik interessiert Sozialpsychologen, Ausgrenzung und Sündenbockphänomen rufen Soziologen auf den Plan, die sich gemeinsam mit Betriebswirten Fragen nach der Arbeitsorganisation und ihre Auswirkung auf das be- triebliche Miteinander und auf die Produktivität stellen. Konflikte in Betrieben erlau- ben unterschiedliche Zugänge, von der Analyse der Dyade in einer stark psycholo- gisch geprägten und auf das Individuum fokussierten Perspektive bis hin zur Betrach- tung des Wirtschaftsunternehmens als ein System mit immanenten Strukturen, das in eine spezifische Umwelt eingebettet ist. Obwohl jeder von derartigen Konflikten weiß und Mobbing vielen ein Begriff ist, stellt sich die Forschungslage als eher dürftig heraus. (vgl. Niedl 1995) Die Diskussion um Mobbing und die praxisnahe Auseinandersetzung in den Be- trieben ist einseitig und kapriziert sich fast ausschließlich auf das Konzept von Ley- mann. (a.a.O. 4) Dies ist nicht nur einer geradezu sträflichen Vernachlässigung dieses Themas von Seiten der Soziologie geschuldet, sondern auch dem Umstand, dass empirisch fun- dierte Untersuchungen im deutschsprachigen Raum lange Zeit fehlten. Erst die Arbeit von Meschkutat et al. (2002), eine Repräsentativstudie für ganz Deutschland, konnte diese Lücke füllen. (vgl. Meschkutat et al. 2002; Niedl 1995; Neuberger 1995) Meine Arbeit verfolgt zwei Ziele: einmal die Auseinandersetzung mit Mobbing als einem sozialen Phänomen und als einem wissenschaftlichen Begriff. Hierbei versu- che ich, den gegenwärtigen Diskussionstand widerzugeben und mich dem Phänomen mit kritischer Distanz zu nähern. Dann möchte ich Mobbing für die Soziologie erobern. Hier ist ein eklatantes Defizit zu konstatieren, denn die bisher vorgelegten ernstzunehmenden wissenschaftlichen Arbeiten, die sich des Mobbings annehmen, entstammen größtenteils der Feder von Psychologen, Betriebswirten und Arbeitswissenschaftlern, soziologische Konzepte wurden, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. Natürlich ist ein interdisziplinärer Zugang wünschenswert und notwendig, denn Mobbing umfasst viele Aspekte, die unterschiedliche Herangehensweisen und For- schungsperspektiven herausfordern, dennoch stellen selbst Forscher aus anderen Dis- ziplinen fest, dass Mobbing als ein soziales Phänomen zu betrachten und dass eine
  • 9. 9 rein auf die einzelnen Akteure und ihre Psychologie beschränkte Analyse dem Phä- nomen nicht gerecht zu werden vermag. Neuberger (1995, 1) betont: „Mobbing sollte nicht als singuläres Phänomen betrachtet werden, sondern als allgegen- wärtiger Aspekt organisierten sozialen Handelns.“ Umso mehr erstaunt es, dass sich Soziologen bis jetzt dem Mobbingkonzept verschließen. Zwar gab und gibt es zahlreiche Arbeiten zu Konflikten in Betrieben, aber eine wissenschaftlich fundierte, kritische Betrachtung des Mobbingkonzepts aus soziologischer Perspektive blieb bis jetzt aus. Diese Arbeit bemüht sich diese Lücke mit einem bescheidenen Beitrag zu füllen. Meiner Analyse liegt die These zugrunde, dass Mobbing begriffen werden kann als ein eskalierender Konflikt, der ungelöst bleibt, weil bestimmte Funktionen von organisierten Sozialsystemen versagen und in Verbindung mit einerseits „patholo- gischen Grundmustern“ (vgl. Löffler & Sofsky 1986) in der Organisation selbst und andererseits spezifischen Strukturen in Gruppen (wie z.B. die Ausgrenzung devianten Verhaltens zur Stärkung der Gruppenidentität) zur Entstehung eines Mobbingpro- zesses führen. Um diese These zu prüfen, ist eine organisationssoziologische, eine konfliktsoziolo- gische und eine gruppensoziologische Analyse notwendig. Dies geschieht im theoretischen Teil dieser Arbeit. 1.4 Relevanz Die Arbeitszufriedenheit und die Qualität der sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz sind schon sehr lange wichtige Forschungsfelder, legitimiert nicht nur durch das Streben nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auch durch den Wunsch, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Im Zuge der Industrialisierung und der kompletten Umstrukturierung der Arbeits- welt, gelangten mit der verstärkten Urbanisierung und der sozialen Frage zunehmend arbeitsrechtliche und -medizinische Probleme in das Bewusstsein der Politiker, Wissenschaftler und den Vorreitern der sozialen Bewegungen, die sich nun der Arbeit und ihrer sozialen Verwerfungen als einem eigenständigen Feld in Wissen- schaft und Politik widmeten.
  • 10. 10 Levenstein (1912) macht die „Arbeiterfrage“ zu seinem Thema, De Man (1927) gibt seiner Untersuchung gar den programmatischen Titel „Der Kampf um die Arbeits- freude“ und Herkner wirft 1921 in seinem ersten Band „Arbeiterfrage und Sozialre- form“ die Problematik auf, wie Erkenntnisse aus der Forschung in konkrete, die Arbeitsbedingungen verbessernde, Maßnahmen einfließen können. (vgl. Neuberger 1995) Die Relevanz des Themas Mobbing resultiert aber nicht nur aus der Tatsache, dass jeder davon betroffen sein kann und Arbeit in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert im Selbstverständnis des Individuums einnimmt. Mobbing zeitigt eben auch erhebliche Folgeschäden für den Betroffenen und für die gesamte Gesellschaft, nicht nur durch den finanziellen Schaden, sondern auch im Verlust von Lebensqualität und von Humanität. Neuberger (1995) betont diesen Aspekt in besonderer Weise, wenn er ausführt, dass Mobbing bzw. seine Thematisierung ein Symptom für die Sensibilisierung unserer Gesellschaft für Gewaltstrukturen ist. (a.a.O. 4) Darüber hinaus drängt sich für jeden neugierigen Menschen die Frage auf, wie eine solche Gewalteskalation zwischen Menschen wie „du und ich“ möglich sein kann und welche Bedingungen gegeben sein müssen, um eine solche fatale Dynamik aus- zulösen. Eine sozialwissenschaftliche Betrachtungsweise erkennt schnell die Unzulänglichkeit jener Erklärungsansätze, die ausschließlich Individuen und ihre psychologische Verfasstheit berücksichtigen, um Mobbing zu beschreiben, oder die teilweise mit Be- griffen wie „Schuld“ operieren. Diese Perspektive leugnet die handlungsbestimmende Kraft sozialer Konfigura- tionen, verhindert, Mobbing als einen sozialen Prozess darzustellen, der sich in der Gruppe zwischen Menschen manifestiert, die wiederum in einer Organisation arbei- ten – und genau die Organisation bestimmt durch ihre Struktur Arbeitsabläufe und Machtverhältnisse. Die Auseinandersetzung mit Mobbing als einer fehlgeschlagenen Integration von Konflikten in Gruppen und Organisationen vermag Erkenntnisse über den Aufbau von sozialen Beziehungsgefügen zu liefern, lässt Rätsel, die das menschliche Zu- sammenleben bestimmen, weniger rätselhaft erscheinen. Das Wissen darüber, was und vor allem warum etwas schief geht, erlaubt Rück- schlüsse darauf, wie etwas besser gemacht werden kann.
  • 11. 11 Die Wissenschaft, auch die Soziologie, hat sich intensiv mit dem Thema der optimierten Arbeitsgestaltung und der Implementierung neuer Arbeitsformen wie z.B. die Gruppenarbeit beschäftigt, doch gleichzeitig Forschungen über „Fehl- entwicklungen“ wie Mobbing vernachlässigt. (vgl. Niedl 1995) Die Bedeutung des sozialen Kontextes bei der Erforschung von Arbeit verdeutlichen die sogenannten Hawthorne-Experimente2 im Rahmen der Human – Relation – Be- wegung. (vgl. Joas 2001) Den Forschern ist eher zufällig aufgefallen, dass die Produktivität weniger durch physische Arbeitsbedingungen (z.B. Lichtverhältnisse) als durch die Form der Zu- sammenarbeit, durch die soziale Konfiguration von Arbeit bestimmt wird. Niedl (1995) hebt hervor, dass der soziale Aspekt bei der Untersuchung von Mob- bing elementar ist und untermauert somit die Relevanz dieses Themas für die Sozi- alwissenschaften: „Soziale Beziehungen und auftretende soziale Konflikte innerhalb eines Unternehmens können als wichtiger Faktor für Leistung und Arbeitszufriedenheit beschrieben werden. (...) Der Arbeitsplatz stellt sich dabei als Vorstrukturierung der Sozialbeziehungen dar und ist jener Ort, an dem das Phänomen Mobbing – in welchem Umfang und in welcher Intensität auch immer – entstehen und stattfinden kann.“ (Niedl 1995, 7) 1.5 Etymologie Mobbing3 Der Begriff Mobbing ist relativ neu und wird in seiner heutigen Bedeutung seit Ende der Achtziger Jahre vor allem durch die Arbeiten von Leymann geprägt. Mobbing ist vom englischen mob abgeleitet, was so viel bedeutet wie zusammenge- rotteter Pöbelhaufen bzw. Bande und etymologisch weiter zurückgeht auf den la- teinischen Begriff „mobile vulgus“ (die aufgewiegelte Menge). (Kholodej 1999, 19) Selma Lagerlöf verwendet den Begriff in ihrem Kinderbuch „Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgerson mit den Wildgänsen.“ Später greift Konrad Lorenz (1958) in seiner vergleichenden Verhaltensforschung an Tieren diesen Begriff auf, um zu beschreiben, wie eine Gruppe von Gänsen ein einzelnes Tier drangsalieren. (Niedl 1995) 2 vgl. S. 105f. 3 diverse Definitionen für Mobbing finden sich im dritten Kapitel, hier geht es um die etymologischen Wurzeln
  • 12. 12 Der Schwede Heinemann (1969) verwendet zum ersten Mal den Begriff „Mobbing“ im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen. Sein Buch „Mobbing – Gruppengewalt unter Kindern und Erwachsenen“ wird in den skandinavischen Ländern ein Bestseller und macht den Begriff weit über die Wissenschaft hinaus be- kannt. (vgl. Niedl 1995; Kholodej 1999) In Großbritannien setzt sich der Begriff bullying durch, wohingegen in den USA im Zusammenhang mit Feindseligkeiten am Arbeitsplatz der Begriff harassement gän- gig ist; um gezielte Attacken hierarchisch ungleicher Kontrahenten zu beschreiben, wird auch der Begriff bossing benutzt.
  • 13. 13 2. Forschungsgegenstand Mobbing am Arbeitsplatz Mobbing am Arbeitsplatz ist nach Einarsen & Raknes (1991, 93) ein eigenständiges Forschungsfeld und grenzt sich gegen Mobbing in der Schule ab. (vgl. Niedl 1995). Zwar ist nach Brodsky (1976) Mobbing ein grundsätzlicher Mechanismus in der zwi- schenmenschlichen Interaktion, dennoch zeigen sich am Arbeitsplatz im Vergleich zur Schule fundamentale Unterschiede. Der Arbeitnehmer ist von seiner Arbeit ökonomisch existentiell abhängig, wo- hingegen ein Schulwechsel prinzipiell weniger schwierig ist. Weitere Unterschiede begründen sich aus dem Umstand, dass Schüler und Arbeit- nehmer sozialisationsbedingt andere Rollen ausfüllen, Mobbing in der Schule hat einen entwicklungspsychologischen Aspekt, der für Wirtschaftsorganisationen margi- nal ist. (Niedl 1995, 16) Forschungsergebnisse des einen Feldes sind deswegen nicht ohne weiteres auf das andere übertragbar. Die Beschäftigung mit systematischen Feindseligkeiten am Arbeitsplatz gehen weit zurück, lange bevor der Begriff Mobbing von Leymann geprägt wurde. Schon Brods- ky (1976) widmete sich dem harassment (Belästigung) in Arbeitsgruppen und unter- suchte in erster Linie individuelle Begünstigungsfaktoren für die systematische Aus- grenzung aus der Arbeitswelt. Erste empirisch fundierte Untersuchungen zu Mobbing wurden vor allem in Skandi- navien durchgeführt. Der norwegische Organisationspsychologe Kille hat sich 1976 dem Thema zugewandt, Leymann und Gustavsson haben 1984 qualitative Untersu- chungen angestrengt, infolge dessen eine breite Mediendiskussion ausbrach und zahl- reiche Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und Therapiemöglichkeiten eingerichtet wurden. (vgl. Niedl 1995) Die juristische Aufarbeitung solcher Fälle und das geschaffene Bewusstsein für Miss- stände im Arbeitsleben hatten politische Konsequenzen: Schadensersatzforderungen und betriebliche bzw. gesundheitliche Folgeschäden verlangten die Etablierung prä- ventiver Strategien, was eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit den Entstehungszusammenhängen dieser systematischen Feindseligkeiten notwendig machte. (a.a.O.)
  • 14. 14 Die erste epidemiologische Untersuchung über die Verbreitung von Mobbing in Nor- wegen wurde 1988 durchgeführt, in anderen skandinavischen Ländern folgten weite- re (z.B. Matthiesen et al 1989; Vartia 1991). In Deutschland erfolgte eine wissenschaftliche Analyse relativ spät, anfangs überwo- gen journalistische Arbeiten (z.B. von Moebius 1988), dann beschäftigten sich einige Haus- und Diplomarbeiten mit dem Thema Mobbing. (vgl. Niedl 1995) Einen Theoriebezug zu soziologischen und psychologischen Erkenntnissen leisteten Neuberger (1995), Kholodej (1999) und Schlaugat (1999). Niedl (1995) konstatiert, dass Neuberger mit seiner Arbeit den besten akademischen Diskurszugang zu Mobbing bietet und dass es ihm gelingt, das Phasenmodell Ley- manns kritisch zu betrachten und seine methodischen Schwächen herauszustellen. 2.1 grundsätzliche Strukturen von Mobbing Bevor einige Begriffsbestimmungen zu Mobbing präsentiert werden, sollen grund- sätzliche Strukturen von Mobbing, die aus allen Definitionen hervorgehen, zu- sammengetragen werden. Wiederholung Mobbing ist kein Singulärakt. (Niedl 1995, 21) Mobbinghandlungen sind nur dann Mobbing, wenn sie gehäuft, systematisch und wiederholt auftreten. (vgl. Leymann 1995; Kholodej 1999; Niedl 1995) längere Dauer Alle Definitionen geben eine Mindestdauer an, denn erst dann lässt sich eine Sys- tematik in Handlungsabfolgen konstatieren. Sonst sind es „nur“ einzelne Beschimp- fungen, Intrigen, Demütigungen, die aneinandergereiht sind. Die methodische Schwierigkeit besteht darin, diesen festzulegenden Zeitraum zu be- gründen. Der größte Teil der Forscher sieht eine Mindestdauer von einem halben Jahr vor, um von Mobbing sprechen zu können. Dann stellt sich die Frage, ob systematische Feindseligkeiten von fünf oder weniger Monaten wirklich einen anderen Charakter haben. negative Handlungen
  • 15. 15 Mobbing zeichnet sich durch Handlungen aus, die der Betroffene als Angriff be- wertet. Diese Handlungen sind negativ. Es handelt sich dabei um subjektive Kriteri- en, das darf bei der Analyse von Mobbing nicht vergessen werden. Es besteht die Gefahr, sie als objektive Tatbestände aufzufassen, die miteinander verglichen werden können. Hoyningen-Huene (1991) führt dazu aus: "Der Bauarbeiter, der von seinem Polier als 'fauler' Hund beschimpft wird, wundert sich möglicherweise darüber kaum; wird dagegen der Bankkassierer durch seinen Prokuristen so tituliert, ist er entsetzt." (a.a.O. 2215) Deshalb plädiert Brodsky (1976) dafür, zwischen subjektiv empfundenen und objek- tiv erfassbaren Belästigungen zu differenzieren. Subjektive Belästigungen zeichnen sich aus durch "awareness of harassment by the target", objektive Belästigungen durch "a harassment situation in which actual external evidence of harassment is found, for example, in statements from coworkers, employers, subordinates, or inde- pendent observers". (a.a.O. 3) Auch Niedl (1995, 23) hebt hervor, dass Mobbinghandlungen subjektiv erlebt werden und entsprechend unterschiedlich aufgefasst und gewertet werden. Das kulturelle Umfeld muss bei der Bewertung von Mobbing berücksichtigt werden, die Werte und Normen einer Gruppe, ihre Traditionen und Riten prägen Handlungs- muster und geben Bewertungsmaßstäbe vor. Smeltzer & Leap (1988) können in einer Untersuchung über den Umgang mit rassis- tischen Witzen diesen Zusammenhang bestätigen. Wie Witze aufgefasst werden, hängt davon ab wer wem was erzählt. Farbige Men- schen empfinden rassistische Witze weniger anstößig als Weiße, Frauen verurteilen rassistische Witze mehr als sexistische. (vgl. Niedl 1995, 23) Diese Überlegungen verweisen auf ein methodisches Problem bei der Interpretation von Handlungen und ihrer Vergleichbarkeit. Bei der Analyse von Mobbing ist der si- tuative Aspekt zu berücksichtigen. Asymmetrie Nach Niedl (1995) ist eine hierarchische Asymmetrie typisch für Mobbingfälle, das Positionsverhältnis spiegelt sich in der Kommunikation wider, der Mobber besitzt Verfügungsgewalt Dinge anzuordnen und zu verlangen, auf die der Gemobbte nur reagieren kann. (a.a.O.)
  • 16. 16 Asymmetrie bedeutet nicht nur die im Rahmen der Organisation definierte Position, sondern umfasst auch informelle Strukturen in einer Gruppe, so dass neue Führungs- kräfte, die nicht das Vertrauen der Mitarbeiter besitzen, Opfer von Mobbing werden können, obwohl der Täter formal inferior, aber in der Gruppe tatsächlich einflussrei- cher ist. Dies sind Faktoren, die zusammengenommen das Phänomen Mobbing ergeben. Mobbing ist, wenn negative Handlungen wiederholt über längere Zeit gegen einen Menschen gerichtet werden, der in sozialer, ökonomischer, physischer und psy- chischer Hinsicht abhängig ist von der Gruppe und der Organisation, in der das Mob- bing stattfindet und der sich machtlos fühlt, schwächer ist und keine entsprechenden Flucht- oder ebenbürtige Wehrmöglichkeiten besitzt. (vgl. Niedl 1995, 25) 2.2 Mobbingdefinitionen Bezugnehmend auf die grundsätzlichen Strukturen von Mobbing und unter Berück- sichtigung der Subjektivität der erlebten Schikanen, schlägt Niedl (1995) eine Defini- tion von Mobbing vor: "Unter Mobbing am Arbeitsplatz werden Handlungen einer Gruppe oder eines Individuums verstanden, denen von einer Person, die diese Handlungen als gegen sie gerichtet wahrnimmt, ein feindseliger, demütigender oder einschüchternder Charakter zugeschrieben wird. Die Handlungen müssen häufig auftreten und über einen längeren Zeitraum andauern. Die betrof- fene Person muss sich zudem aufgrund wahrgenommener sozialer, ökonomischer, physischer oder psychischer Charakteristika außerstande sehen, sich zu wehren oder dieser Situation zu entkommen." (a.a.O. 23) Leymann (1995) betont in seiner Definition ebenfalls die geschilderten Faktoren wie die Asymmetrie in der Beziehung und die Systematik der Mobbinghandlungen. Er führt aus: "Unter Mobbing wird eine konflikthafte Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen verstanden, bei der die angegriffene Person un- terlegen ist und von einer oder einigen Personen systematisch, oft und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indi- rekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung empfindet." (a.a.O. 18)
  • 17. 17 Kholodej (1999) definiert Mobbing als eine Konflikteskalation4 am Arbeitsplatz, "bei der das Kräfteverhältnis zu Ungunsten einer Partei verschoben ist. Diese Konfliktpartei ist systematisch feindseligen Angriffen ausgesetzt, die sich über einen längeren Zeitraum er- strecken, häufig auftreten und zu maßgeblichen individuellen und betrieblichen Schädigungen führen" (a.a.O. 22) Kholodej (1999) betont mit ihrer Definition die Dynamik des Mobbingprozesses. Die Autorin sieht die Zuweisung der Opfer- und Täterrolle nicht so klar von vorneherein aus der organisationsbedingten Asymmetrie gegeben. Doch im Laufe des Mobbing- prozesses stellt sich die allen Definitionen gemeinsame Prämisse der Asymmetrie deutlich ein. (a.a.O.) Walter (1993) versucht Mobbing zu definieren, indem er einen Katalog von Kriterien vorlegt. Demnach ist Mobbing eine für alle Beteiligten schädliche Eskalation von Konflikten, die Handlungen befördert, welche die ethischen Werte des Individuums verletzen und nichts mit einer sachlichen Auseinandersetzung zu tun haben. Walter definiert Mobbing über Konflikte - "- bei denen alle nur verlieren; - bei denen auf die Dauer einzelne Personen deutlich unterliegen. Und zwar nicht nur in Be- zug auf diesen Konflikt, sondern mit ihrer ganzen Persönlichkeit; - die nichts mehr mit der Suche nach einer Lösung, einem Kompromiss zu tun haben, sondern die nur um ihrer Selbst willen geführt werden; - die aus unsichtbaren, irrationalen Interessen geführt werden; - bei denen Verhaltensweisen an den Tag gelegt werden, die alle Parteien grundsätzlich verur- teilen und für die beide Seiten keine Verantwortung übernehmen; - bei denen die Parteien sich gegenseitig für die Eskalation verantwortlich machen; - bei denen ein sichtbarer Streitgrund, der rational zu lösen wäre, nicht oder nicht mehr er- kennbar ist; - bei denen alle Beteiligten eine rationale Auseinandersetzung ablehnen und auf der in ihren Augen berechtigten emotionalen Position bestehen; - die sich durch gegenseitige Hilflosigkeit auszeichnen." (a.a.O. 38) 4 Dieser Ansatz ruft eine konfliktsoziologische Analyse auf den Plan. Dies soll im theoretischen Teil dieser Arbeit geschehen.
  • 18. 18 Schließlich verweist Schlaugat (1999, 5) auf Löffler & Sofsky (1986) bzw. auf Alt- haus (1979), die von pathologischen Strukturen in sozialen Beziehungsgefügen spre- chen, um Mobbing zu beschreiben, und die Autorin entwickelt eine Definition, die die oben beschriebenen grundsätzlichen Strukturen aufgreift. Nach Schlaugat (1999) ist Mobbing ein Prozess, „in dessen Verlauf eine oder mehrere Person/-en wiederholt und häufig über einen längeren Zeitraum bestimmte Handlungen gegen eine oder mehrere Einzelperson/-en richten, die diese als sehr verletzend wahrnehmen, und dass sich mit zunehmender Dauer des Prozesses eine asymmetrische Rollenverteilung herauskristallisiert sowie gesundheitliche Beeinträchti- gungen als Folgen auftreten.“ (a.a.O. 22) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle Mobbingdefinitionen auf typische Strukturen von Mobbing verweisen wie z.B. die Asymmetrie zwischen dem Täter und dem Opfer. Die Definitionen setzen eine Beziehung zwischen mindestens zwei Personen voraus, die innerhalb einer Gruppe zusammenarbeiten. Diese Beziehung zeichnet sich durch ein Ungleichgewicht im Stärkeverhältnis (Asymmetrie) und der mangelnden Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers aus. (vgl. Schlaugat 1999) Mobbing wird darüber hinaus als ein dynamischer Prozess beschrieben, bei dem die Rollenverteilung erst im Mobbingverlauf erfolgt. (a.a.O. 13f.) Mobbing zeigt sich in Handlungen, die von den Opfern als verletzend und demü- tigend betrachtet werden. Und diese Handlungen müssen über längere Zeit, relativ häufig und systematisch auftreten, und zeitigen dadurch im Opfer beträchtliche gesundheitliche Folgen.
  • 19. 19 2.3 Abgrenzung zu verwandten Begriffen Mobbing als Strategie umfasst zahlreiche Handlungen, die bereits mit Begriffen besetzt sind. Neben der definitorischen Unschärfe von Mobbing ist dies eine weitere Ursache für methodische Schwierigkeiten und verlangt daher nach einer klaren Abgrenzung zu verwandten Begriffen wie Gewalt, sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Kon- flikte. (vgl. Niedl 1995, Esser 1999) 2.3.1 sexuelle Belästigung In den letzten Jahrzehnten ist das Phänomen der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz als ein ernsthaftes Problem erkannt worden. Das zeigen die gestiegenen Fälle von juristischen Auseinandersetzungen. (Niedl 1995, 25) Diergarten (1994, 66) versteht unter sexueller Belästigung „sexuelle Annäherungsversuche jeder Art in Form von Gesten und Äußerungen, jeder un- erwünschte körperliche Kontakt, explizit sexuell abfällige Anspielungen oder sexistische Be- merkungen, die wiederholt am Arbeitsplatz vorgebracht und von der Person, an die sie sich richten, als beleidigend empfunden werden und zur Folge haben, dass diese sich bedroht, er- niedrigt oder belästigt fühlt.“ Für Kholodej (1999) können einzelne sexistische Handlungen Teil einer Mob- bingstrategie sein, doch sexuelle Belästigung ist ihrer Ansicht nach ein eigenstän- diges Phänomen, das der Aufrechterhaltung bestehender patriarchalischer Machtver- hältnisse zwischen den Geschlechtern diene. (a.a.O. 42) Niedl (1995) betont gleichfalls, dass sexistische Angriffe als Mobbinghandlungen zu finden sind, aber nur, wenn sie wiederholt und relativ häufig auftreten. Sexuelle Belästigung ist im Gegensatz zu Mobbing auch dann gegeben, wenn es sich um einen Singulärakt handelt, der nicht einer mobbingtypischen eskalierenden Dyna- mik unterliegt. (a.a.O. 26) Sowohl Mobbing als auch sexuelle Belästigung haben das Ziel, den anderen zu er- niedrigen, doch Mobbing zeichnet sich nicht durch bestimmte Handlungsinhalte aus, sondern dadurch, dass es eine Strategie ist, während die sexuelle Belästigung per de- finitionem nur bestimmte Handlungen fokussiert. (vgl. Diergarten 1994; Niedl 1995)
  • 20. 20 2.3.2 Diskriminierung In den meisten Industrienationen gibt es juristische Sanktionen gegen Diskriminierungen am Arbeitsplatz – Sanktionen, die auch in betrieblichen Mobbing- bestimmungen Eingang finden. Dennoch sind die beiden Begriffe voneinander zu unterscheiden. Mobbing kann jeden treffen, unabhängig von bestimmten Merkmalen wie Ge- schlecht, Ethnie etc. (Niedl 1995, 26) Empirische Ergebnisse zeigen (vgl. Meschkutat et al. 2002) die relativ geringe Be- deutung individueller Eigenschaften bei der Genese von Mobbing. Niedl (1995, 27) zitiert Markefka (1984) und konstatiert, dass soziale Diskriminierung jede Form von Ungleichbehandlung umfasst, die durch die vermeintliche oder tatsächliche Zugehörigkeit des Diskriminierten zu einer Gruppe mit bestimmten, dem herrschenden Wertesystem konterkarierenden, Merkmalen ge- rechtfertigt wird. 2.3.3 Gewalt Gewalt ist ein „zwangsweises Einwirken auf den Willen des Opfers“ (Microsoft En- carta Enzyklopädie 1999) und schließt in dieser sehr weit gefassten Bedeutung auch Mobbing mit ein. (vgl. Niedl 1995) Im engeren Sinne unterscheiden sich Mobbing und Gewalt durch spezifische Ausprä- gungen im Laufe des Mobbingprozesses wie die Beschränkung auf arbeitsplatzinter- ne Beziehungen (Gewalt umfasst auch Konflikte zwischen Abteilungen innerhalb eines Betriebs, zwischen Unternehmen und Kunden etc.) und die in der Mobbingde- finition explizierten Dauerhaftigkeit und Wiederholung von Angriffen. Wie die sexu- elle Belästigung kann eine einzelne Handlung als Gewalteinwirkung gesehen werden, nicht jedoch als Mobbing Zudem zeigen empirisch fundierte Ergebnisse, dass Mobbing mit bestimmten Formen von Gewalt zu tun hat und dass z.B. physische Gewalt in der Mobbingstrate- gie nahezu unbedeutend ist. (vgl. Meschkutat et al 2002; Kholodej 1999).5 5 Im empirischen Teil dieser Arbeit, der die Wahl der Mobbinghandlungen untersucht, gehe ich auf diesen Aspekt genauer ein.
  • 21. 21 2.3.3 Konflikt Mobbing entsteht, wenn Konflikte ungelöst bleiben und eskalieren, somit ist Mob- bing das Produkt und die Folge eines fehlgeschlagenen Konfliktmanagements. (Neu- berger 1995, 92)6 Konflikte sind ein Begünstigungsfaktor und stehen zeitlich versetzt vor dem Mob- bing. Deshalb trennt Leymann (1993) in seinem Verlaufsmodell Konflikt und Mobbingge- schehen in zeitlich abgesetzten Phasen. (a.a.O. 59) Neben verlaufstypischen Differenzen machen die Autoren inhaltliche Unterschiede zwischen Mobbing und Konflikten aus. Nach Niedl (1995, 30) zeichnen sich manifeste Konflikte durch bewusste Kenntnis der Gegnerschaft aus, die Kontrahenten stehen sich gegenüber. Bei Mobbing ist dies nicht notwendig, vielmehr prägen in erster Linie unbewusste Feindseligkeiten das Geschehen. (a.a.O.) Konflikte erzwingen keine Asymmetrie der Gegner, zudem kann eine positive Lö- sung (Kompromiss) angestrebt werden, die Auseinandersetzung wird geführt, weil strittige Sachfragen ausgetragen werden. Bei Mobbing ist das Ziel die soziale Vernichtung des Gegenüber, der sich in einer in- ferioren Position befindet; die Auseinandersetzung geht nicht um Sachfragen, ein Kompromiss ist nicht das Ziel, das Opfer kann sich nicht mal ergeben, bis es ausge- grenzt ist und den sozialen Tod erleidet. (vgl. Neuberger 1995; Niedl 1995; Esser & Wolmerath 1998) „Mobbing dürfte damit (...) eher den chronifizierten Endzustand einer fehlgeschlagenen Kon- flikthandhabung zum Ausdruck bringen.“ (Niedl 1995, 31) 7 Esser & Wolmerath (1998) betonen, dass der wesentliche Unterschied zwischen Mobbing und Konflikten im Fokus der Auseinandersetzung liegt. In Konflikten steht ein strittiger Gegenstand im Vordergrund, bei Mobbing geht es um die Schwächung des Gegners. (a.a.O. 78) 6 vgl. S.124 in dieser Arbeit 7 Mobbing kann innerhalb von Konflikteskalationsmodellen subsumiert werden (vgl. Neuberger 1995), was ich im theoretischen Teil meiner Arbeit versuchen werde.
  • 22. 22 2.4 Leymanns 45er Liste Leymann (1993) definiert Mobbing operational über 45 Handlungen, die er in seinem Fragebogen LIPT (Leymann Inventory of Psychological Terrorization) jeweils fünf Angriffsbereichen zuordnet. Mobbing liegt dann vor, wenn mindestens einer dieser Handlungen oder mehrere über ein halbes Jahr und mindestens einmal die Woche auftreten. (a.a.O. 22) Die Handlungen sind im einzelnen: 1. Angriffe auf die Möglichkeiten, sich mitzuteilen: - Der Vorgesetzte schränkt die Möglichkeiten ein, sich zu äußern. - Man wird ständig unterbrochen. - Kollegen schränken die Möglichkeiten ein, sich zu äußern. - Anschreien oder lautes Schimpfen. - Ständige Kritik an der Arbeit. - Ständige Kritik am Privatleben. - Telefonterror - Mündliche Drohungen. - Schriftliche Drohungen. - Kontaktverweigerung durch abwertende Blicke oder Gesten. - Kontaktverweigerung durch Andeutungen, ohne dass man etwas direkt aus- - spricht. 2. Angriffe auf die sozialen Beziehungen: - Man spricht nicht mehr mit dem/der Betroffenen. - Man lässt sich nicht ansprechen. - Versetzung in einen Raum weitab von den Kollegen. - Den Arbeitskollegen/innen wird verboten, den/die Betroffene/n anzusprechen. - Man wird „wie Luft“ behandelt. 3. Auswirkungen auf das soziale Ansehen: - Hinter dem Rücken des Betroffenen wird schlecht über ihn gesprochen. - Man verbreitet Gerüchte. - Man macht jemanden lächerlich. - Man verdächtigt jemanden, psychisch krank zu sein. - Man will jemanden zu einer psychiatrischen Untersuchung zwingen.
  • 23. 23 - Man macht sich über eine Behinderung lustig. - Man imitiert den Gang, die Stimme oder Gesten, um jemanden lächerlich zu machen. - Man greift die politische oder religiöse Einstellung an. - Man macht sich über das Privatleben lustig. - Man macht sich über die Nationalität lustig. - Man zwingt jemanden, Arbeiten auszuführen, die das Selbstbewusstsein verlet- - zen. - Man beurteilt den Arbeitseinsatz in falscher und kränkender Weise. - Man stellt die Entscheidungen des/der Betroffenen in Frage. - Man ruft ihm/ihr obszöne Schimpfworte oder andere entwürdigende Ausdrücke - nach. - Sexuelle Annäherungen oder verbale sexuelle Angebote. 4. Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation: - Man weist dem Betroffenen keine Arbeitsaufgaben zu. - Man nimmt ihm jede Beschäftigung am Arbeitsplatz, so dass er sich nicht ein- - mal selbst Aufgaben ausdenken kann. - Man gibt ihm sinnlose Arbeitsaufgaben. - Man gibt ihm Aufgaben weit unter seinem eigentlichen Können. - Man gibt ihm ständig neue Aufgaben. - Man gibt ihm „kränkende“ Aufgaben. - Man gibt dem Betroffenen Arbeitsaufgaben, die seine Qualifikation überstei- - gen, um ihn zu diskreditieren. 5. Angriffe auf die Gesundheit: - Zwang zu gesundheitsschädlichen Arbeiten. - Androhung körperlicher Gewalt. - Anwendung leichter Gewalt, zum Beispiel um jemandem einen „Denkzettel“ zu - verpassen. - Körperliche Misshandlung. - Man verursacht Kosten für den/die Betroffene, um ihm/ihr zu schaden. - Man richtet physischen Schaden im Heim oder am Arbeitsplatz des/der Betrof- - fenen an. - Sexuelle Handgreiflichkeiten.
  • 24. 24 (Leymann 1993, 33f.) Der erste Angriffsbereich Angriffe auf die Möglichkeiten, sich mitzuteilen betrifft die kommunikative Ebene im menschlichen Zusammenleben und tangiert somit einen existentiellen Bereich für das Individuum. Es ist abhängig von den Austauschpro- zessen mit seiner sozialen Umwelt und läuft Gefahr physisch und psychisch zu er- kranken, wenn die Kommunikation gestört ist bzw. gestört wird. (vgl. Dunckel & Zapf 1996, 45) Kholodej (1999) betont diesen Aspekt und stellt fest, dass mangelnde Kommunikati- on am Arbeitsplatz psychische Stressreaktionen bewirkt, die die Gesundheit des Be- troffenen nachhaltig angreifen können. (a.a.O. 34) Die von Leymann aufgelisteten Handlungen bewirken eine Isolierung des Betrof- fenen. Die Weitergabe falscher Informationen und die Unterschlagung wichtiger Arbeitsmaterialien fallen auch unter diese Angriffe, sie werden von Leymann nach- träglich genannt. (vgl. Leymann 1993, 25) Angriffe auf die sozialen Beziehungen verfolgen das Ziel, den Betroffenen zu iso- lieren und ihm den Schutz und die Würde eines sozialen Wesens abzuerkennen. Hinlänglich bekannt sind die Bedeutung der sozialen Unterstützung (social support) bei der Bewältigung von Belastungen wie Stress. Angriffe auf diese ebenfalls existentielle Bereiche entmachten den Betroffenen in zweifacher Hinsicht, indem sie ihn angreifen und ihm gleichzeitig jede Wehr- und Rückzugmöglichkeit nehmen. Besteht das soziale Umfeld nicht mehr, werden betriebliche Stressoren viel schlech- ter bewältigt und der Betroffene erkrankt eher. (vgl. Kholodej 1999; Niedl 1995) Robbins (1991, 611f.) hebt diesen Aspekt hervor, wenn er ausführt: „There is increasing evidence that social support – that is, collegial relationships with co- worker or supervisors – can buffer the impact of stress. The logic underlying this moderating variable is that social support acts as a palliative, mitigating the negative effects of even high- strain jobs. For individuals whose work associates are unhelpful or even actively hostile, so- cial support may be found outside the job. Involvement with family, friends, and community can provide the support – especially for those with a high social need – that is missing at work and that can make job stressors more tolerable.” Soziale Netzwerke helfen, schwierige Situationen zu bewältigen, und je defizitärer das Netz, umso höher das Erkrankungsrisiko. (Kholodej 1999, 36)
  • 25. 25 Mobbing verfolgt das Ziel, das Opfer aus dem sozialen Gefüge auszugrenzen. Die Isolation bewirkt, dass die Betroffenen keine Möglichkeiten besitzen, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen mit denen anderer Menschen zu vergleichen und Schikane und bloße Willkür adäquat einzuordnen. (Zuschlag 1994, 80) Fehlt dem Betroffenen dann noch die Möglichkeit, sich soziale Unterstützung außerhalb der Arbeit bei der Familie und bei Freunden zu holen, so verstärken sich die physischen und psychischen Folgen der Belastungen. „Ist der Mobbingprozess weit fortgeschritten und innerhalb des Betriebes kein sozialer Rückhalt mehr möglich, so stellt das familiäre und freundschaftliche Netz den letzten Halt dar. (...) Da Mobbingprozesse meist über einen langen Zeitraum gehen, kann dies zu massiven Ehe- und Fa- milienproblemen führen.“ (Kholodej 1999, 36f.) In den Angriffen auf das soziale Ansehen erfolgt gleichzeitig ein Angriff auf die so- zialen Beziehungen, denn das Ansehen ist der unmittelbare Ausdruck der Bezie- hungen. (Kholodej 1999, 37) Ungestörte und unterstützende Kommunikation und Interaktion mit dem sozialen Umfeld sind die Basis eines positiven Selbstbildes und eines gesunden Selbstbe- wusstseins. (a.a.O.) Mobbingbetroffene zeichnen sich durch Selbstzweifel und innerer Orientierungs- losigkeit aus. Dies ist die Folge der Angriffe auf das soziale Ansehen, die einherge- hen mit der Diskriminierung bestimmter (oder vermeintlicher) persönlicher Eigen- schaften des/der Betroffenen wie politische, ethnische, geschlechtsspezifische oder körperliche Merkmale. (vgl. Kholodej 1999; Leymann 1993) Die permanenten Angriffe und Erniedrigungen z.B. durch Gerüchte oder dem Vor- wurf, psychisch krank zu sein, führen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Betroffenen und haben als letzte Konsequenz den Charakter einer sich selbst erfül- lenden Prophezeiung, denn durch die Infragestellung der Zurechnungsfähigkeit (was eine Infragestellung der Persönlichkeit ist) wird der Mensch letztlich unzurechnungs- fähig. „Die von außen gesetzten Bedingungen schließen sich zu einem Rahmen, der ihre [der Be- troffenen – eig. Anmerkung] individuelle psychische Welt vollkommen und lückenlos um- gibt.“ (Temmel 1997, 13)
  • 26. 26 Die Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation tangieren das menschliche Grundbedürfnis, durch Arbeit wirtschaftlichen Ertrag und Sinn zu ge- winnen. (Kholodej 1999, 38) Der Arbeitsplatz ist darüber hinaus außerhalb des eigenen engen sozialen Netzwerkes ein wichtiger, weiterer sozialer Raum, in dem ein beträchtlicher Teil der Lebenszeit verbracht wird und der den gesamten Tagesablauf strukturiert und dadurch den Status und die Identität des Mitarbeiters stark bestimmt, denn die Kooperation mit anderen Menschen stiftet Identität, Ordnung und Selbstwert; der Beruf vermittelt Teilhabe an Gesellschaft. (vgl. Kholodej 1999) Mobbing zerstört diese Funktionen von Arbeit. Und das hat auch außerhalb des Arbeitsplatzes gravierende Folgen, denn die gesamte Persönlichkeit ist involviert, da Mobbing am Arbeitsplatz die Existenz des Betroffenen bedroht, anders als beim Mobbing in der Freizeit (z.B. im Verein). (a.a.O. 39) Die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust, gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten, bildet ein Korsett und verhindert die rechtzeitige Flucht aus der Mobbingsituation. Sozialpsychologische Untersuchungen ergaben8, dass Arbeitslosigkeit starke psy- chische und psychosomatische Folgen zeitigt wie z.B. der Anstieg der Depressions- werte, das Absinken des Selbstwerts, vermehrte Angstzustände, Gereiztheit und Schlafstörungen. Dies veranschaulicht die Bedeutung der Arbeit für den Menschen und erklärt die verheerende Folgen von Mobbing. (vgl. Leymann 1993; Kholodej 1999) Mobbingstrategien, die den Arbeitsbereich betreffen, sind etwa die permanente Über- und Unterforderung, Eingriffe in die Arbeitsorganisation, um die Arbeit des Betrof- fenen zu erschweren, zu sabotieren oder sinnlos werden zu lassen oder unberechtigte und entwürdigende Kritik. Diese Strategien verdeutlichen die für Mobbing typische Aussichtslosigkeit des Be- troffenen, der nicht in der Lage ist, richtig zu handeln, denn alles, was er macht, misslingt, da der Mobber die Arbeitsbedingungen kontrolliert und der Betroffene sich nur in diesem Rahmen bewegen kann und darf. (Kholodej 1999, 40) In diesem Zusammenhang verweisen Neuberger (1995) und Hochstätter (1990) dar- auf, dass Mobbing auch als Instrument der Personalpolitik, als mikropolitische Strategie9, benutzt wird, so dass Bestimmungen des Kündigungsschutzes und eventu- elle Abfindungszahlungen übergangen werden können. 8 vgl. Kirchler. E. (1984): Arbeitslosigkeit und Alltagsbefinden. Eine sozialpsychologische Studie über die subjektiven Folgen von Arbeitslosigkeit. Linz 9 vgl. in dieser Arbeit S. 98
  • 27. 27 Hochstätter (1990, 98) führt dazu aus: „Häufig fehlen sachliche Gründe, die eine Kündigung rechtfertigen würden. Da liegt es nahe, einer klaren Entscheidung auszuweichen und Mittel zu wählen, die von der gezielten Demüti- gung bis zur subtilen Folter reichen.“ Der fünfte Bereich der Mobbinghandlungen umfasst die Angriffe auf die Gesundheit des Betroffenen. Dazu zählen sowohl die Androhung von physischer Gewalt als auch die direkte kör- perliche Misshandlung, die jedoch als Mobbingstrategie äußerst selten ist. (vgl. Ley- mann 1993). Wenn physische Gewalt als Mobbinghandlung gewählt wird, so geschieht dies in erster Linie gegen Ende der Eskalationsspirale. (Kholodej 1999, 41) Indirekte Methoden, die den Betroffenen subtiler zusetzen, sind häufiger, wie z.B. der Zwang zu gesundheitsschädlichen Arbeiten oder die bewusste Überforderung des Opfers. (a.a.O.) Zu den Angriffen auf die Gesundheit des Opfers zählt Leymann auch die sexuelle Belästigung. (vgl. Leymann 1993) Diese kommt im Gegensatz zu sonstigen physischen Gewalttaten relativ häufig vor. (Kholodej 1999, 41) 2.4.1 Kritik Leymanns operationale Definition von Mobbing über die 45 Handlungen wird kri- tisch gesehen. Neuberger (1995) wirft Leymann vor, mit dieser Liste nur eine Aus- wahl von möglichen Mobbinghandlungen getroffen zu haben und verweist auf Strate- gien in Fallbeispielen, die dadurch nicht erfasst werden wie z.B. exzessives und demonstratives Wartelassen, jemanden die eigenen Fehler in die Schuhe schieben, das Unterbinden von Hilfsangeboten und Solidarität dritter gegenüber dem Gemobb- ten, öffentliches Niedermachen, permanente Androhung, gekündigt zu werden, klein- liche Kontrollen oder dem Verfassen ausführlicher und despektierlicher Dossiers über den betroffenen Mitarbeiter. (Neuberger 1995, 16f.) Auch Niedl (1995, Anhang Tabelle A6.1 und A6.2) kann in seiner eigenen empi- rischen Arbeit in einem Krankenhaus und einem Forschungsinstitut Items eruieren, die nicht durch die 45er Liste abgedeckt sind, wie z.B. 'fehlendes Feedback über erle-
  • 28. 28 digte Aufgaben' oder die 'Verweigerung von Fortbildungsmaßnahmen durch den mobbenden Vorgesetzten'. Neuberger (1995) kommt zu dem Schluss, dass die Auswahl der Handlungen in der 45er Liste willkürlich und selektiv ist. Er beklagt redundante Items ('Man macht jemanden lächerlich. ', 'Man imitiert den Gang, die Stimme oder Gesten, um jemanden lächerlich zu machen' , 'Man macht sich über das Privatleben lustig. '), eine inkonsistente Kategorisierung der Items10 und das Fehlen wichtiger Informationen wie z.B. die Bedingungen, unter denen die Hand- lungen zustande kommen. (Neuberger 1995, 24) Die Inkonsistenz besteht nicht nur in der Kategorisierung, sondern auch zwischen den Items, da sie unterschiedliche Dinge auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau abfragen. Einige Aussagen sind aktionsbezogen, andere ermitteln Einstellungen. (a.a.O.) Weiterhin beklagt der Autor, dass die Gleichgewichtung der Items bei der Aus- wertung (es wird nicht differenziert nach dem Grad der Schädlichkeit) nur Auskunft gibt, ob jemand unter Mobbing leidet oder nicht, wie stark betroffen jemand ist, lässt sich so nicht ermitteln. (a.a.O.) Es fehlt die Definition eines Kontinuums zwischen den zwei Polen kein Mobbing und extremes Mobbing, abhängig von Inhalten, dem Schweregrad, Häufigkeit und Dauer der Handlungen. Zudem suggeriert die 45er Liste eine Konstanz von einzelnen Handlungen, die in der Realität so nicht vorkommen dürfte. Die Wandlung von Mobbingstrategien kann über die Abfrage der 45 Items nicht erfasst werden. (a.a.O.) Schlaugat (1999, 21) beklagt den Suggestivcharakter der Items. Insgesamt bezieht sich die Kritik auf methodische Mängel in der Generierung der Mobbingitems. Grundlage der 45er Liste als operationale Definition von Mobbing am Arbeitsplatz ist der LIPT-Fragebogen, der das am häufigsten verwendete Instru- ment bei der empirisch fundierten Untersuchung von Mobbing ist. Im folgenden soll näher ausgeführt werden, wie dieser Fragebogen konstruiert ist, gleichzeitig sollen kritische Anmerkungen zu diesem Instrument zitiert werden, Überlegungen, die auch grundsätzliche, methodenkritische Fragen im Umgang mit Mobbing berühren; im Anschluss daran möchte ich einen anderen Fragebogen vor- stellen, der auf LIPT basiert: den WHS. 10 So ist das Item 'Man zwingt jemanden, Arbeiten auszuführen, die das Selbstbewusstsein verletzen. ' unter der Kategorie Angriffe auf das soziale Ansehen sortiert, obwohl es eher in die Kategorie Angrif- fe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation und inhaltlich eher dem Item 'Man gibt ihm sinn- lose Arbeitsaufgaben' entspricht.
  • 29. 29 2.5 standardisierte Methoden zur Erfassung von Mobbing Die Ergebnisse einer Erhebung sind immer nur so gut wie die zugrunde gelegte Stichprobe. Niedl (1995) verweist auf die methodischen Schwierigkeiten im Umgang mit Mobbing und beklagt, dass viele Erhebungen, um ihre Stichprobe zusammenzu- bekommen, auf Angehörige aus Beratungsstellen zurückgreifen und deshalb nicht re- präsentativ seien. Darüber hinaus werden durch den LIPT-Fragebogen ausschließlich Querschnittsun- tersuchungen gemacht, obwohl für Mobbing mit seinem dynamischen Prozesscharak- ter Längsschnittuntersuchungen notwendig sind. (vgl. Niedl 1995; Schlaugat 1999) Der Umgang mit Konflikten am Arbeitsplatz war immer schon Forschungs- gegenstand für Arbeitswissenschaftler, Psychologen und Soziologen. In Untersu- chungen wurde Leymann auf bestimmte Muster von Konflikten aufmerksam und be- gann, den LIPT-Fragebogen zu entwickeln. 2.5.1 LIPT In ihrer explorativen Studie haben Leymann & Gustavsson (1984) in 300 Einzel- interviews mit Betroffenen und deren Angehörigen eine Liste von feindseligen Hand- lungen erfassen können, die sie in ihrer Validität und Reliabilität testen ließen, um sie schließlich als Items für einen Fragebogen zu verwenden. 2.5.1.1 Aufbau Der Fragebogen ist untergliedert in einen soziodemographischen Teil, in dem In- formationen über den Befragten und den Betrieb erhoben werden, der zweite Teil ist die 45er Liste, der dritte Teil besteht aus Fragen über den/die Gegner, in dem z.B. Anzahl, Position und Geschlecht erfragt werden, und schließlich der letzte Teil, ein Fragekomplex, der dem Befragten ermöglichen soll, über 39 vorgegebene Items Stresssymptome und körperliche Beschwerden zu benennen, um zwischen ihnen einen Zusammenhang anzunehmen. (Niedl 1995, 80) 2.5.1.2 Validität Der 45er Katalog ist durch zwei Testverfahren von Leymann geprüft worden. Zu- nächst wurde mittels einer Fallrekonstruktion im Blindverfahren die Validität des Fragebogens getestet, dann ein Vergleich zwischen Fragebogen- und Interviewergeb- nissen durchgeführt. (Niedl 1995, 81)
  • 30. 30 Die Fallrekonstruktion bezog sich auf einige Probanden, die mindestens seit drei Jah- ren unter Mobbingattacken litten. Ihre Interviewangaben wurden von einem Psycho- logen, der die LIPT-Methodik nicht kannte, untersucht, und er sollte die Fälle rekon- struieren. Er kam zu den gleichen Ergebnissen, d.h. es gab eine Deckung zwischen den Befunden des Psychologen und den durch die Interviewer erfassten Selbst- beschreibungen der Mobbingbetroffenen. (a.a.O.) Der zweite Test bestand darin, 26 Angestellten den LIPT-Fragebogen vorzusetzen und sie im Anschluss in einem Tiefeninterview zu befragen. Die LIPT – Ergebnisse deckten sich mit den Ergebnissen der intensiveren und ge- naueren Tiefeninterviews und konnten somit die Validität des Fragebogens un- termauern. (Niedl 1995, 81f.) Nach Niedl (1995) ist aus den dargestellten Beschreibungen zu entnehmen, dass in beiden Fällen eine Validierung durch ein Außenkriterium (concurrent validity) gege- ben war. (a.a.O.) 2.5.1.3 Reliabilität Niedl (1995) berichtet von einem Parallel-Test, den Leymann verwendet hat, um die Reliabilität des LIPT – Fragebogens zu untersuchen. Der Paralleltest verwendet zwei unterschiedliche, aber äquivalente Instrumente, um ein bestimmtes Objekt zu messen. Leymann verwendete die Stichprobe der oben erwähnten 26 Angestellten und verglich deren Angaben mit denen des Experten (Psychologen), der über Tiefen- interviews die verlangten Informationen erfragte. Dabei wurde festgestellt, dass insbesondere die Angaben über die Dauer und die Häufigkeit des Mobbingprozesses durch beide Methoden bestätigt worden sind, da eine stark positive Korrelation ermittelt werden konnte. (Niedl 1995, 82) 2.5.1.4 Kritik am LIPT Niedl (1995) betont, dass durch den LIPT nur ein Querschnitt ermittelt wird und dass dadurch die Dynamik von Mobbing nicht erfasst wird. „Ähnlich wie bei einigen standardisierten Verfahren zur Messung von mikropolitischen Verhaltensweisen bzw. sozialen Einflussprozesse in Unternehmen (...) fokussiert der LIPT damit auf die Perspektive der Zielperson, die zum „Opfer“ (gemacht) wird. Durch die Art der Befragung ist eine Rekonstruktion des Prozesses, der zu diesem Zustand geführt hat, nicht möglich; die Analyse über einzelne Handlungen unterbricht eine mögliche Handlungsse- quenz.“ (Niedl 1995, 83)
  • 31. 31 Schlaugat (1999, 21) gibt ebenfalls zu bedenken, dass eine retrospektive Querschnittsbetrachtung die Rekonstruktion des Mobbingprozesses erschwert, und deshalb die Ergebnisse aufgrund der Selektivität des Erinnerten verzerrt werden. (a.a.O.) Niedl (1995) kritisiert, dass durch die negative Formulierung der Items suggestiv Einfluss auf den Befragten genommen wird. (Niedl 1995, 82) Schlaugat (1999, 21) zieht die Validität des Fragebogens in Frage und verweist auf die unzureichende Überprüfung der Gütekriterien, weil z.B. die Stichprobe, mit der die Validität und die Reliabilität geprüft wurde, zu klein sei. Leymann macht keine Angaben darüber, über welche Reduktionsverfahren (z.B. Fak- toranalyse) er auf 45 Handlungen kommt und inwieweit diese in die fünf Kategorien geordnet werden. (Neuberger 1995, 19) Bei der Analyse von Mobbing ist zu beachten, dass die Konzentration auf Einzelfälle dazu führt, dass das Geschehen zu einseitig und zu sehr personenbezogen wahrge- nommen und zu wenig systematisch erfasst wird. (vgl. Neuberger 1995) 2.5.2 WHS Die Work Harassment Scale (WHS), ein von Hjelt-Bäck (1992) an der Abo-Akade- mie in Finnland konstruierter Fragebogen, orientiert sich inhaltlich stark an LIPT und bildet eine gekürzte Fassung mit weniger Redundanz in den Items. Darüber hinaus wird anhand einer fünfteiligen Likert – Skala für jede Mobbinghandlung die Häufig- keit erfragt (von nie bis sehr oft), der Mittelwert spiegelt den Grad der Mobbingbe- troffenheit wider. (Niedl 1995, 84) Nach Niedl (1995) ergaben empirische Überprüfungen eine hohe innere Konsistenz des WHS – Fragebogens. Deutlicher Unterschied ist die Likert – Skala, die beim WHS – Fragebogen eine Dimension einführt, die bei LIPT bemängelt wird. Ansonsten gelten für beide Instru- mente die bereits ausgeführten Kritikpunkte. Der LIPT-Fragebogen ist trotz methodischer Schwächen das wichtigste Instrument für die empirisch fundierte Analyse des Mobbingprozesses. Im anschließenden Kapitel sollen Ergebnisse aus der Empirie dazu beitragen, den Mobbingprozess besser zu verstehen.
  • 32. 32 3. Mobbingprozess 3.1. Leymanns 5 – Phasen – Modell Mobbing ist als dynamischer Prozess Phasen unterworfen und wird von Leymann (1995) als Eskalationsmodell beschrieben. Seine Konzept ist trotz methodischer Schwächen Grundlage fast aller empirischer Untersuchungen und theoretischer Aus- einandersetzungen und muss deshalb kritisch gewürdigt werden. Das Modell umfasst fünf Phasen11, die auf der betrieblichen Ebene mit Konflikten in der Organisation beginnen und bis zum Ausschluss aus der Gruppe und aus der Arbeitswelt in der letzten Phase reichen und gleichzeitig mit einer Phasenentwick- lung auf der persönlichen Ebene des Betroffenen korrespondieren. (vgl. Esser & Wolmerath 1998, 23) Tab.1: Leymanns Mobbingverlaufsmodell I. Konflikte, einzelne Unstimmigkeiten und Gemeinheiten II. Übergang zu Mobbing und Psychoterror III. Rechtsbrüche durch Über- und Fehlgriffe IV. Stigmatisierende Diagnosen V. Ausschluss aus der Arbeitswelt Quelle: Kholodej 1999, 98 In der ersten Phase kommt es auf betrieblicher Ebene zu Unstimmigkeiten und manifesten Konflikten, die in Angriffen auf den Betroffenen münden und in ihm Stresssymptome und unterschiedliche Anpassungsstrategien wie Versöhnungsgesten, ignorierendes und kämpferisches Verhalten hervorrufen. In der zweiten Phase treten systematische Angriffe und Schikanen auf, die Leymann in fünf Angriffsbereiche mit insgesamt 45 Handlungen zusammenfasst (sogenannte 45er-Liste) und der Leymannschen operationalen Mobbingdefinition entsprechen. 11 Ursprünglich beinhaltete das Phasenmodell von Leymann nur vier Phasen (Phase 4 "Ärztliche und therapeutische Fehldiagnosen" fehlte)(vgl. Leymann 1993; Leymann 1995; Esser & Wolmerath 1998)
  • 33. 33 Das Opfer reagiert darauf mit Angst, Verwirrung, Selbstzweifel und psychosoma- tischen Störungen und sieht sich zunehmend isoliert. (Esser & Wolmerath 1998) Die dritte Phase ist gekennzeichnet durch Fehl- und Übergriffe der Personal- verwaltung. Das Opfer sucht in der Verwaltung Unterstützung und muss erfahren, dass es weiterhin angegriffen und schikaniert wird. Angesichts der Hilflosigkeit, die sich des Opfers in der zweiten Phase bemächtigt, sind Vertrauensbrüche übergeord- neter, bisher als objektive Schlichter wahrgenommene Instanzen wie Betriebs- oder Personalrat für den Betroffenen mit verheerenden physischen und psychischen Aus- wirkungen verbunden, und er gerät dadurch in einen anomischen Zustand (vgl. Mob- bingfolgen), die betroffene Person vollzieht eine innere Kündigung, schwankt zwi- schen Rückzug und Auflehnung, zeigt verstärkte psychosomatische Störungen wie Magen- und Darmbeschwerden, Kopf- und Rückenschmerzen, Migräneanfälle. (Kho- lodej 1999, 103; Esser & Wolmerath 1998) Durch die Auswirkungen der dritten Phase gelangt der Betroffene in ärztliche und therapeutische Obhut. Die vierte Phase des Mobbing beginnt damit, dass ärztliche und therapeutische Fehldiagnosen gepaart mit vergeblichen juristischen Schritten das Opfer endgültig stigmatisieren und es keine Möglichkeiten der Intervention und des Widerstandes sieht, vielmehr erleben muss, dass alle gesellschaftlichen Kon- trollinstanzen versagen. Generelle Verunsicherung und Misstrauen, tiefe Verzweif- lung und ein posttraumatisches Stresssymptom sind mögliche Konsequenzen. In der fünften und letzten Phase erfolgt die Ausgrenzung aus der Gruppe und der Ausschluss aus der Arbeitswelt. Das Opfer wird gekündigt oder muss wegen Krank- heit seine Arbeitsstelle verlassen. Depressionen, Obsessionen, Suchtmittelmissbrauch und Persönlichkeitsstörungen bis zum Suizid sind auf persönlicher Ebene die Aus- wirkungen der letzten Phase, in der das Opfer endgültig in eine Pariasituation gerät. (Kholodej 1999, 98) 3.1.1. Kritik des Leymann – Modell Esser und Neuberger werfen Leymann vor, Mobbing als "worst-case" über das End- ergebnis her zu definieren und zu konstruieren und dadurch Angriffe, die in früheren Phasen beendet werden, nicht als Mobbing zu bewerten. (Esser & Wolmerath 1998, 24; Neuberger 1995, 59) Neuberger (1995) gibt zu bedenken, dass das Modell zu linear und stereotyp und die Stadien willkürlich gesetzt und theoretisch nicht fundiert seien. Neben der fehlenden Systematik ist auch die uneinheitliche Perspektive zwischen den Phasen augenfällig,
  • 34. 34 sie wechselt zwischen Gruppengeschehen und Organisationsgeschehen, ohne beides aufeinander zu beziehen und die Notwendigkeit dieser Phasenentwicklung zu be- legen. (vgl. Neuberger 1995, 55) So sind zahlreiche weitere Phasen und potentielle Zwischenphasen denkbar: Phase 1 > Phase 2: - Eine bestimmte Person wird zum Opfer auserkoren - Das Opfer wehrt sich und wird zum Täter - Koalitionsbildungen, Einbinden von Dritten Phase 2 > Phase 3: - offizielle Stellen reagieren richtig Phase 3 > Phase 4: - Rechtsweg bringt Klärung - Mobber wird im Betrieb isoliert und bestraft (vgl. Neuberger 1995) Abweichungen von Leymanns Verlaufsmodell zeigen auch qualitative Interviews mit 21 Gemobbten (Knorz & Zapf 1995, 14). Demnach können 20% nichts zur ersten Phase sagen und können somit keine Konflikte benennen, die zu den Mobbingatta- cken hätten führen können, 87,5% können nicht zwischen Phase 2 und Phase 3 diffe- renzieren, weil viele Angriffe von Vorgesetzten erfolgen und somit Macht- und Rechtsübergriffe höherer Instanzen schon zu Beginn des Mobbings ineinander über- gehen. 30% der Befragten erreichen die letzte Phase und verlieren den Arbeitsplatz. Die Autoren der Studie konstatieren trotz dünner Datenbasis ihrer Erhebung, dass Ley- manns Verlaufsmodell theoretisch fragwürdig und eine unidirektionale Eskalation nicht bestätigt worden ist. Insgesamt lässt sich sagen, dass sowohl das Verlaufsmodell als auch die Definition von Mobbing zu opferzentriert sind und aus methodischen Mängeln den Täter und die Interaktion zwischen ihm und dem Opfer unberücksichtigt lassen, da bisher keine systematische Erfassung aller Handlungsbeteiligten, ihrer Interaktionen und ihrer
  • 35. 35 Motive erfolgte. Die Erhebungen mit dem LIPT-Fragebogen bilden nur subjektive und retrospektive Ansichten ab. (vgl. Neuberger 1995; Niedl 1995) Prädiktive Studien und Langzeitbeobachtungen (statt der Querschnittsuntersu- chungen heute) einer Population könnten die Interaktionen erfassen und Mobbing im sozialen System mit allen Akteuren evaluieren und der Dynamik von Mobbing ge- recht werden. Die Täter-Opfer-Zuweisung ist nur im Kontext von dynamischen Entwicklungen zwischen den Interaktionspartnern zu begreifen. 3.2. Dynamik von Mobbing Der Mobbingprozess geht aus der Interaktion zwischen Tätern, Betroffenen und Mit- läufern hervor und unterliegt einer interpersonalen Dynamik. Diese bestimmt nicht nur den Mobbingverlauf, sondern ist auch Ausdruck sozialer Spannungen im sozialen Gefüge; die Akteure sind Symptomträger in einem Konflikt- system, gestützt durch Mitläufer und "Möglichmachern" (vgl. Neuberger 1995, 85; Leymann 1993, 61), alle legen ihre Verhaltensstrategien adäquat fest, d.h. erst die In- teraktion und ihre Dynamik weist den Akteuren ihre Täter- und Opferrollen zu und bestimmt die Mobbinghandlungen. (Kholodej 1999, 69ff.) Dynamik meint eine über die Summe der einzelnen Akteure und ihrer Motive, Werte und Einstellungen gehende Entwicklung eines sozialen Beziehungsgefüges in Form von Rückkoppelungsprozessen, die Interaktionen zwischen Mitgliedern einer Gruppe12 verstärken oder abschwächen und somit eskalierend oder bremsend wirken können und dadurch Handlungsmöglichkeiten begrenzen und einer "zwingenden" Logik unterwerfen. (vgl. Watzlawick 1990; Lewin 1969) Homans unterscheidet in seiner Gruppentheorie zwischen äußerem System (Bedürf- nisse und Einstellungen des einzelnen Mitglieds, die aus der Umwelt resultieren, z.B. Unterhalt sichern, Status erarbeiten etc.) und dem inneren System (Gefühle zu den anderen Mitgliedern, Interaktionen, Aktivitäten innerhalb der Gruppe) und postuliert eine Rückkoppelung zwischen beiden, indem "das innere System die Entfaltung des Gruppenverhaltens [zeigt], d.h. aus dem äußeren System geht das innere gleichzeitig mit hervor und wirkt auf dieses zurück" (Wössner 1986, 137f.) Das zeigt die Unzu- 12 Gruppenspezifische Aspekte der Dynamik, die über die Dyade "Täter/Opfer" hinausgehen, werden hier nur angeschnitten und im theoretischen Teil dieser Arbeit im Rahmen der organisationssoziolo- gischen Betrachtungen ausgeführt, wesentlicher Augenmerk soll jetzt die Dynamik im Mobbingpro- zess sein, die in der empirischen Erfassung und Analyse des sozialen Phänomens Mobbing am Arbeitsplatz wesentlich ist.
  • 36. 36 länglichkeit, sich alleine auf Persönlichkeitsmerkmale einzelner Akteure zu fixieren und dadurch den Mobbingablauf erklären zu wollen; vielmehr ist geboten Mobbing als einen sozialen Prozess zu begreifen, der durch Rückkoppelungsprozesse verstärkt wird ("Teufelskreis") und der in der schrittweisen Eskalation die Positionen zwischen den Kontrahenten bestimmt, reaktives Verhalten (Abwehr) organisiert und die Rollenzuweisung zwischen Opfer und Täter vorzeichnet; und diese Rollenzuweisung wiederum korrespondiert mit der in der Organisations- und Gruppenstruktur vorgege- benen Ausstattung der Kontrahenten an Macht und Einfluss. (vgl. Kholodej 1999, 73f.) Diese Dynamik bewirkt, dass Mobbinghandlungen den Anderen entwerten und das einzige Konstituens der Beziehung zwischen Opfer und Täter bilden. (a.a.O. 77) In Anlehnung an Leymanns Phasenmodell hat Björkqvist (1992, 15; zitiert nach Niedl 1995, 58) auf der Grundlage explorativer Interviews mit gemobbten Personen ein dynamisches und handlungsorientiertes Modell generiert. Die erste Phase be- zeichnet der Autor als "Phase der indirekten Methoden" und umfasst Handlungen wie ständiges Unterbrechen, Gerüchte verbreiten und Stigmatisierung des Betroffenen als Sündenbock. Die zweite Phase eskaliert in "direkte Aggressionen" wie Beleidi- gungen und Isolation, bis in der dritten Phase das Opfer einen "sozialen Tod" erfährt und unter psychischen und physischen Übergriffen und Misshandlungen zu leiden hat. Nach der Herleitung des Mobbingbegriffs, der Darstellung methodischer Schwierig- keiten und der Beschreibung der Phasen von Leymann und der Schilderung des Mob- bings als einen dynamischen Prozess, ist es nun an der Zeit, empirische Ergebnisse heranzuziehen und zu untersuchen, wie weit Mobbing verbreitet ist, welche Faktoren das Mobbingrisiko bestimmen, wie Mobbing sich auswirkt auf den Einzelnen, die Gruppe, die Organisation, die Gesellschaft, inwieweit Prozessverläufe verifizierbar sind, welche Bewältigungsstrategien das Opfer wählt und welche mikro- und makro- soziologischen Begünstigungsfaktoren für Mobbing ermittelt werden können. Grund- lage dieser Analyse ist die erste bundesweit durchgeführte Repräsentativstudie zu Mobbing am Arbeitsplatz. (Meschkutat & Stackelbeck & Langenhoff 2002; im Text Meschkutat et al. 2002) Die Ergebnisse aus anderen, größtenteils im skandinavischen Raum durchgeführten Untersuchungen werden zum Vergleich herangezogen.
  • 37. 37 3.3. Verbreitung von Mobbing Einheitliche Aussagen über das Ausmaß von Mobbing in einer Gesamtpopulation wie der Arbeitstätigen in Deutschland sind wegen unterschiedlicher methodischer Ansätze der Erhebungen und der zugrundegelegten Mobbingdefinitionen äußerst schwierig zu treffen. (vgl. Niedl 1995) Vergleichbarkeit ist nur auf gemeinsamer Basis (z.B. LIPT) möglich. Mobbingquote in Deutschland 12,00% 11,30% 10,00% 8,00% 5,50% 6,00% 4,00% 2,70% 2,00% 0,00% aktuelle Mobbingquote Jahresmobbingquote gesamte Mobbingquote Diagramm 1 – Mobbingquote in Deutschland, Quelle: Meschkutat et al. 2002, 23 In der ersten bundesweit repräsentativen Umfrage über Mobbing am Arbeitsplatz (Meschkutat et al. 2002) wird eine aktuelle Mobbingquote (Ende 2000) von 2,7% er- mittelt. Dies entspräche bei einer Gesamtzahl von 38,988 Mio. Erwerbstätigen 1,053 Millionen Personen, die von Mobbing betroffen sind. Werden alle Fälle des Jahres 2000 berücksichtigt, also auch die "abgeschlossenen", so beträgt der Wert 5,5%. (a.a.O. 23) Die Gesamtmobbingquote (d.h. alle Mobbingfälle, die die Befragten in ihrem ge- samten Berufsleben erlebt haben) beträgt 11,3% (a.a.O. 24) und zeigt, dass über jeder zehnte mindestens einmal in seinem Berufsdasein mit Mobbing konfrontiert wird und dass Mobbing keine Randerscheinung in Organisationen ist. (vgl. Niedl 1995) Diese Werte werden auch von Skogstad & Matthiesen & Hellsoy (1990, S. 45) bestä- tigt. So geben zum Zeitpunkt der Befragung 3,3% an, Opfer von Mobbing zu sein, zu einem früheren Zeitpunkt sind 8,4% gemobbt worden. Vartia (1991, 132) gibt als Gesamtmobbingquote 10,1% an und bestätigt somit den Wert von Meschkutat et al. (2002).
  • 38. 38 Auch der aktuelle Mobbingwert von 2,7% wird von vielen Studien bestätigt, so hat Leymann (1990, S.10) in einem Stahlwerk 3,5% Mobbingfälle ausgemacht und dieses Ergebnis später in einer landesweiten Studie in Schweden verifiziert. 3.4. Mobbingrisiko Die statistische Auswertung der Korrelation zwischen Mobbingrisiko und demogra- fischen Variablen gibt möglicherweise Auskunft über potentielle theoretische Zu- sammenhänge, dennoch muss betont werden, dass statistische Korrelationen für sich keinerlei Aussagekraft haben, wenn man ein soziales Phänomen soziologisch unter- sucht, oder wie Bourdieu (1983, 46) warnt: "Keineswegs ist mit rein statistischen Berechnungen der wechselnden Stärke der Relation zwischen diesem bestimmten Indikator und jener bestimmten Praxis schon die im strengen Verstand soziologische Berechnung der in der statistischen Relation sich offenbarenden Effekte, Auswirkungen und Einflüsse, hinfällig geworden." Vorgreifend lässt sich aus den folgenden empirischen Ergebnissen ein statistisches Profil erstellen für jene, die ein sehr hohes bzw. ein sehr niedriges Mobbingrisiko aufweisen. Mobbing findet sich überall, in allen Berufsgruppen, Alterklassen und Branchen. Das höchste statistische Risiko hat eine junge Sozialarbeiterin und das geringste ein 43- 55 jähriger männlicher Angestellter in der Landwirtschaft. (Meschkutat et al. 2002, 38) 3.4.1. Mobbingrisiko und Geschlecht Nach Meschkutat et al (2002, S. 26) liegt das Risiko für Frauen, von Mobbing betrof- fen zu sein, um 75% höher als für Männer. Zum Zeitpunkt der Befragung sind 3,5% der befragten Frauen gegenüber 2,0% der Männer Opfer von Mobbinghandlungen.
  • 39. 39 Mobbingquote und Geschlecht 14,00% 12,90% 12,00% 9,60% 10,00% 8,00% Frauen 6,00% Männer 3,50% 4,00% 2,00% 2,00% 0,00% aktuelle Mobbingquote gesamte Mobbingquote Diagramm 2 – Mobbingquote und Geschlecht, Quelle: Meschkutat et al. 2002, 26 Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist geringer, wenn die gesamte Mob- bingquote betrachtet wird. Demnach sind 12,9% der Frauen und 9,6% der Männer von Mobbing betroffen. Die Autoren sehen den Grund für die Differenz zwischen ak- tueller und gesamter Mobbingquote in den für Frauen typischen Brüchen ihrer Erwerbsbiographie mit längeren Zeiten der Erwerbslosigkeit und somit geringeren Arbeitsjahren begründet.(a.a.O. 27) Kholodej (1999, 28) sieht im höheren Mobbingrisiko für Frauen einen Ausdruck der patriarchalen Geschlechtsideologie, die sich darin zeigt, dass Männer in der Gesell- schaft immer noch die hierarchisch höhergestellten Positionen inne haben und in wirtschaftlichen Organisationen mehr innerbetriebliche Macht besitzen. In Schweden hat Leymann in seiner Repräsentativstudie (1993) keine statistisch si- gnifikanten Unterschiede zwischen Frauen (55%) und Männern (45%) gefunden. Dies könnte dadurch erklärt werden, dass in Schweden Frauen Familie und Beruf besser in Einklang bringen können. Die kulturellen Unterschiede und bessere Betreuungsangebote für Kinder mindern in Skandinavien geschlechtsspezifische Ungleichheiten und korrespondieren mit einem ähnlich hohen Mobbingrisiko für beide Geschlechter. Lindroth & Leymann (1993, 168) können zeigen, dass geschlechtsspezifische Berufe für das andere Geschlecht ein höheres Mobbingrisiko bedeuten. So sind in ihrer Erhebung in einem Kindergarten doppelt so oft männliche Erzieher von Mobbing be- troffen als ihre weiblichen Kollegen. Weitere Untersuchungen über den Zusammen- hang zwischen Berufsrolle und Geschlecht in Bezug auf Mobbing (z.B. Frauen in "typischen" männlichen technischen Berufen, s. Fallbeispiel Lena) stehen noch aus,
  • 40. 40 doch es lässt sich sagen, dass Merkmale, die sich vom Durchschnitt der Gruppe abheben und einen höheren Grad an Heterogenität schaffen, eher zu Ausgrenzung und Mobbing führen. Auf den Zusammenhang zwischen Mobbingrisiko und Persön- lichkeitsmerkmalen gehe ich später ein. 3.4.2. Mobbingrisiko und Alter Das höchste Risiko haben Berufsanfänger (<25Jahre) mit 3,7% Mobbingbetroffen- heit, gefolgt von den über 55 Jährigen mit einer Mobbingquote von 2,9%. Alle anderen Altersgruppen haben ein ähnlich hohes Risiko. (Meschkutat et al. 2002, 28) Mobbingquote und Alter 4,00% 3,70% 3,50% 2,90% 3,00% 2,60% 2,60% 2,50% 2,20% 2,00% 1,50% 1,00% 0,50% 0,00% unter 25 25 bis 34 35 bis 44 45 bis 54 55 Jahre und Jahre Jahre Jahre Jahre älter Diagramm 3 – Mobbingquote und Alter, Quelle: Meschkutat et al. 2002, 28 Einarsen & Raknes (1991, 49f.) sehen einen signifikanten Zusammenhang zwischen steigendem Alter und Mobbingrisiko und können die Ergebnisse von Meschkutat et al. hinsichtlich der Berufsanfänger und jüngeren Mitarbeitern nicht bestätigen. Björk- qvist (1992, 15) und Leymann (1991, 16) sehen überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Alter und Mobbingrisiko. Kholodej (1999, 27) sieht in den Ergebnissen von Einarsen & Raknes (1991) einen Beleg für die These, dass Mobbing ältere Mitarbeiter eher treffen kann, wenn in einer wirtschaftlich angespannten Lage oder einer Rezession ein Verdrängungswettbewerb um Arbeitsplätze ausgetragen wird. Deshalb seien auch jüngere Mitarbeiter eher be- droht. "Die bisherigen Ergebnisse lassen demnach die Tendenz erkennen, dass an den jeweiligen Randbereichen des beruflichen Werdegangs, in der Zeit nach dem Berufseinstieg oder vor dem Berufsausstieg, ein erhöhtes Mobbingrisiko besteht." (Kholodej 1999, 27)
  • 41. 41 3.4.3. Mobbingrisiko und Berufsgruppe In der deutschen Repräsentativstudie sind soziale Berufe mit dem höchsten Mob- bingrisiko (2,8-fach gegenüber Durchschnitt) behaftet, während Kaufleute im Groß- und Einzelhandel über das geringste Mobbingrisiko verfügen. (Meschkutat et al. 2002, 29ff.) Andere Studien untersuchen meist nur Branchenzugehörigkeit und differenzieren nicht nach Berufen. In einer Untersuchung an Universitätsangestellten von Björkqvist et al. (1994) werden signifikante Unterschiede zwischen den Berufen in Administra- tion und Verwaltung und der in Lehre und Forschung ermittelt. Demnach sind die Angestellten in der Bürokratie (24% Mobbingfälle) einem viel höheren Mobbingrisi- ko ausgesetzt als die Berufe in Forschung und Lehre. (Björkqvist & Österman & Hielt-Bück 1994, 7) Meschkutat et al. (2002) betonen, dass eine präzise Bestimmung von Beruf und Mob- bingrisiko nicht möglich ist aufgrund zahlreicher Einflussfaktoren wie Arbeitsbe- dingungen, hierarchische Strukturen, Konkurrenz- und Konfliktkultur, wirtschaftli- che Lage und Betriebsklima in der Organisation. Diese Faktoren haben einen wesent- lich höheren Einfluss auf die Entstehung von Mobbing. (a.a.O. 32) 3.4.4. Mobbingrisiko und Branche/Wirtschaftszweig Das höchste Risiko wird im Verlags- und im Druckgewerbe ermittelt (2,2-faches Risiko), das geringste in der Landwirtschaft und der gewerblichen Jagd (0,6-faches Risiko gegenüber Durchschnitt). (Meschkutat et al. 2002, 33ff.) Dieses Bild ist nicht stimmig mit den Ergebnissen des Berufsvergleiches, arbeiten doch gerade im Verlagsgewerbe Kaufleute. Die Autoren der deutschen Repräsenta- tivstudie erklären dies mit dem geringen Anteil dieser Berufsgruppe innerhalb einer sonst stark ausdifferenzierten Branche. (a.a.O. 35) Andere Studien vermitteln ein uneinheitliches Bild. Einarsen & Raknes (1991, 51 u. 103) können für Norwegen keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Mob- bingrisiko und Branchenzugehörigkeit eruieren. 3.4.5. Mobbingrisiko und Betriebsgröße Die Betriebsgröße steht in keinem Zusammenhang mit dem Risiko, Opfer von Mob- bing zu werden. (Meschkutat et al. 2002, 36) In der Studie werden kleine Unter- nehmen bis zu Großorganisationen mit mehr als 500 Mitarbeitern untersucht, doch die Größe scheint keinen Einfluss zu haben. Mobbing entsteht innerhalb einer
  • 42. 42 Gruppe unabhängig von der Größe einer Organisation, nicht jedoch unabhängig von der Organisationsstruktur und äußeren Umweltbedingungen wie Wirtschaftslage etc. (siehe organisatorische und gesellschaftliche Begünstigungsfaktoren für Mobbing) 3.4.6. Mobbingrisiko und Status Mobbing ist eher ein Problem für Beamte und Angestellte und weniger für Arbeiter. So beträgt die gesamte Mobbingbetroffenheit unter Arbeitern 12,3%, unter Ange- stellten 13,6% und unter Beamten 13,7%. Anders sieht es aus, wenn man die aktuelle Mobbingquote vergleicht. Da sind Arbeiter wesentlich stärker betroffen (3,3%) gegenüber Angestellten (2,9%) und Beamten (1,5%), die sogar ein unterdurchschnitt- liches Mobbingrisiko zum Zeitpunkt der Erhebung aufweisen. Tab.2: Mobbingbetroffenheit (in %) Status (aktuell) aktuell gesamt Arbeiter/innen 3,3 12,3 Angestellte 2,9 13,6 Beamt/innen 1,5 13,7 Gesamtdurchschnitt 2,7 13,4 Quelle: Meschkutat et al. 2002, 36 Den Widerspruch erklären sich die Autoren durch die in den letzten Jahren be- gonnene Privatisierungswelle im öffentlichen Dienst und den damit verbundenen Umstrukturierungen und dem Stellenabbau. Ein besonders hohes Mobbingrisiko haben Auszubildende (aktuelle Mobbingbetrof- fenheit: 4,4%), was den Zusammenhang zwischen Alter und Mobbing, der in dieser Studie ermittelt wird, untermauert. (Meschkutat et al. 2002, 36f.) 3.4.7. Mobbingrisiko und Persönlichkeitsmerkmale Die Frage nach persönlichen Merkmalen des Opfers wirft das Problem auf, dass mit einem konstatierten Zusammenhang eine Schuldzuweisung erfolgen kann. Die vor- liegenden empirischen Ergebnisse betonen den geringen Einfluss individueller Eigen- schaften, verweisen auf soziale Faktoren und bestätigen die Notwendigkeit, Mobbing als soziales Phänomen soziologisch zu betrachten und zu analysieren. (Neuberger 1995; Niedl 1995; Leymann 1994) Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit persönliche Merkmale wie der Umgang mit Konflikten und die sogenannten "soft skills" Entwicklungen begünstigen oder hemmen.
  • 43. 43 "Personen mit einer hohen sozialen Kompetenz und mit ausgeprägten Fähigkeiten zur Kon- fliktanalyse und -bewältigung haben in der Regel bessere Möglichkeiten, den Ablauf von Mobbing zu durchbrechen und das Mobbing zu stoppen." (Meschkutat et al. 2002, 120) Daraus folgt: Persönlichkeitsmerkmale bestimmen in erster Linie den Verlauf, die In- tensität und die Prägung von Mobbing, weniger die Entstehungszusammenhänge. Brodsky (1976, 94ff.) hat in frühen klinischen Analysen acht Idealtypen von gemobb- ten Personen ausgemacht: 1. "Der Uneinsichtige" Er zeichnet sich durch mangelndes Verständnis für eigenes und fremdes Handeln aus und zeigt sich enttäuscht über die unerwarteten Reaktionen seiner direkten sozialen Umwelt. 2. "Personen, die sich nicht losreißen können" Trotz Unzufriedenheit mit der Arbeit, können sie sich nicht von ihr lösen und schätzen sich und ihre Fähigkeiten falsch ein und erwarten von der Organisation für- sorgliches Verhalten. 3. "Der Paranoide" Er betrachtet seine soziale Umwelt als feindlich und wähnt sich als Opfer eines gegen ihn gerichteten kollektiven Angriffs (Verschwörungstheoretiker). 4. "Der Zwanghafte" Er kann nicht von sich abstrahieren und erwartet von seiner Umgebung so zu handeln und zu reagieren wie er. 5. "Der Manieristische" Dieser Typus glaubt von sich, besser und wertvoller zu sein als andere und zeichnet sich durch auffälliges Verhalten aus, das seine Umwelt feindselig reagieren lässt. 6. "Der Passive" Er erwartet Lob und Anerkennung aus seiner sozialen Umgebung, geschieht dies nicht, so empfindet er dies als feindselige Reaktion und als einen Angriff.
  • 44. 44 7. "Der Narr" Er ist innerhalb der Gruppe der Clown ("Klassenclown") und ist durch diese Rollenzuweisung stigmatisiert und erlebt Verhöhnung und Zurückweisung auch in konflikthaften Auseinandersetzungen mit anderen Gruppenmitgliedern. 8. "Der Hypochonder" Der Hypochonder ist nicht fähig mit Belastungen am Arbeitsplatz emotional umzuge- hen und drückt dies ersatzweise über seinen Körper und dessen Befindlichkeit aus, und er sieht sich als machloses Opfer äußerer Einflüsse und Kräfte. Einarsen & Raknes (1991, 61f., 109) ermitteln in einer norwegischen Untersuchung einen Zusammenhang zwischen 'sozialer Angst', Selbstachtung und Mobbingrisiko. Soziale Angst meint die Unfähigkeit, in der Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt Konflikte zu ertragen und adäquat darauf zu reagieren. Stattdessen hat der Betroffene eine generelle Angst vor sozialen Interaktionen. Der Zusammenhang zwischen diesen Items ist hochsignifikant. Gemobbte Personen haben einen geringeren Grad an Selbstachtung und einen höheren Grad an sozialer Angst. (a.a.O.) Unklar ist, wie der Zusammenhang kausal interpretiert werden soll. Denkbar ist bei- spielsweise, die Items 'geringe Selbstachtung' und 'soziale Angst' als Folgen des Mobbingprozesses zu sehen. "Praktisch wird keine Aussage darüber gemacht, ob die beschriebenen Persönlichkeitsfakto- ren als Effekte der Belastungssituation oder als personenimmanent anzusehen sind" (Niedl 1995, 51) Auch Leymann betont die Gefahr, Persönlichkeitsveränderungen infolge des Mob- bingprozesses als Begünstigungsfaktoren für Mobbing fehlzuinterpretieren. Er hebt hervor, dass "the individual can develop major personality changes as a symptom of a major mental disor- der due to the mobbing process. As the symptoms of this changed personality are quite typi- cal and distinct, it is understandable, but still false, that even psychiatrists lacking modern knowledge about PTSD as a typical victim disorder misunderstand the symptoms as being what the individual brought into the company in the firs place." (Leymann 1996, 178)
  • 45. 45 Die Fokussierung auf Persönlichkeitsmerkmale vernachlässigt sowohl den dyna- mischen Aspekt des Mobbings als auch seine organisatorischen und gesellschaftli- chen Faktoren. (Kholodej 1999, 28) Deutlichere Ergebnisse zeigen sich bei Randgruppen in der Gesellschaft, etwa bei Ausländern und Behinderten, die neben Diskriminierungserfahrungen in vielen Be- reichen des öffentlichen Lebens auch einem höheren Mobbingrisiko ausgesetzt sind. So zeigt eine Erhebung von Leymann (1992, 12; zitiert nach Niedl 1995), dass unter den behinderten Mitarbeitern einer Non-Profit-Organisation eine Mobbingrate von über 20% ermittelt wird gegenüber 4,4% Mobbingfällen bei nichtbehinderten Mit- arbeitern. Die Benachteiligung des anderen Geschlechts in geschlechtsspezifisch definierten Berufsbildern bestätigt den Zusammenhang zwischen der Abweichung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale der Betroffenen von gruppenhomogenen Eigenschaften und dem Risiko, dafür angefeindet zu werden und dadurch einem höheren Mobbingrisiko ausgesetzt zu sein. (vgl. Neuberger 1995, Kholodej 1999) 3.5. Mobbinghandlungen Mobbing besteht aus Handlungen. Diese sind, als Angriffe definiert und in Eska- lationsphasen gebettet, eine operationale Definition von Mobbing. In Anlehnung an Leymanns 45er Liste mit fünf Angriffsbereichen, sollen empirische Ergebnisse zeigen, ob die aufgeführten Mobbinghandlungen bei Leymann bestätigt werden können oder ob wesentliche Strategien unberücksichtigt bleiben. Kritik an Leymanns Ansatz wurde in dieser Arbeit bereits ausgeführt, jetzt geht es um eine empirisch fun- dierte Validierung der Items. Mobbingdefinitionen setzen Systematik und Zielgerichtetheit von Handlungen und Strategien voraus. In der Erhebung von Meschkutat et al. (2002) geben 83,5% der Befragten an, dass die Handlungen zielgerichtet erfolgten und 68,9% sprechen von einer erkennbaren Sys- tematik. Von einem unbewussten Vorgehen sind nur 8,2% überzeugt. (a.a.O. 48) Zapf et al (1996) bestätigen durch eine Faktorenanalyse 38 der 45 LIPT-Handlungen und ermitteln sieben Angriffsbereiche (Faktoren): 1. Angriffe auf das Opfer mit arbeitsbedingten Methoden (11 Items) 2. Angriffe auf die sozialen Beziehungen des Opfers durch Isolation (7 Items) 3. Angriffe auf das Privatleben des Opfers (7 Items)