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verteuern. Die Folge wäre ein großer Verlust Arbeitgeberverbände und Regierung feiern
an Marktanteilen. Die deutsche Wirtschaft die deutschen Exporterfolge. Sie übersehen
exportiert jährlich Waren im Wert von 100 aber in ihrer beschränkten einzel- und nati-
Mrd. Euro nach Südeuropa. Doch damit nicht onalwirtschaftlichen Sicht die gesamtwirt-
genug. Der heimische Finanzsektor müsste schaftlichen Folgen ihres Handelns für ganz
durch einen südeuropäischen Zahlungsaus- Europa. Im sogenannten „Pakt für den Euro“
fall stark bluten. gehen sie sogar so weit, den europäischen
Defizitländern zu empfehlen, der deutschen
Warum gelingt es den Eliten nicht eine Lohn- und Arbeitsmarktpolitik zu folgen. Da-
Strategie zu entwickeln, die den eigenen bei übersehen sie, dass diese Strategie die De-
Interessen dient und die Eurozone rettet? flationsgefahr auf dem alten Kontinent nur
Die Antwort ist komplex: Erstens sind die noch verschärft.
deutschen Eliten Gefangene ihres einzel-
wirtschaftlichen Denkens und Handelns Hinzu kommt, dass reine Kostensenkungs-
sowie des daraus abgeleiteten neoliberalen strategien und neoliberaler Umbau die ableh-
Politikentwurfs. Die Eliten halten an einer nende Haltung der deutschen Bevölkerung
einseitigen Exportorientierung fest und ver- gegenüber dem Euro verfestigt haben. Die
schärfen dadurch die Ungleichgewichte im Lebenswirklichkeit vieler verschlechterte sich
Euroland. Zweitens verfolgt die herrschende seitdem es den Euro gibt. Die Reallöhne sind
Politik bei der Bekämpfung der Staatsschul- gesunken. Unsichere Arbeitsverhältnisse ha-
den eine bornierte nationalstaatliche Stra- ben zugenommen. Die Mehrheit der Deut-
tegie, die den Problemen nicht gerecht wird. schen möchte die DM wieder zurück. Die Ret-
Und drittens bedient die schwarz-gelbe Re- tungspakete für Athen, Dublin und Lissabon
gierung einen Nationalpopulismus, der eine stoßen auch deshalb auf große Ablehnung.
europäische Lösung der Krise verhindert.
Erschwerend hinzu kommt eine Renais-
Doch der Reihe nach: Die wirtschaftliche sance nationalstaatlicher Politik. Merkel,
Integration Europas stärkte die Macht der Westerwelle Co verweigern sich einer eu-
Unternehmen. Im grenzenlosen Binnen- ropäischen Strategie, um die Schuldenkrise
markt konnte das Management mit dem Da- zu überwinden. Im Europäischen Haus ist
moklesschwert der Standortverlagerung die aus konservativ-liberaler Sicht jeder Nachbar
Löhne drücken, die Arbeitszeiten verlängern für sich selbst verantwortlich. Beim Aufbau
und unsichere Beschäftigungsverhältnisse der Rettungsschirme - EFSF und ESM – wur-
durchsetzen. Die Währungsunion verschärf- den die Schulden der EU-Staaten nicht zu ge-
te den Konkurrenzkampf der Unternehmen meinsamen Schulden erklärt. Anstelle dessen
um Preise und Löhne. Des Weiteren drängten wurden individuelle Kreditpakete mit spezi-
Management und Arbeitgeberverbände auf fischen Sparauflagen geschnürt. Nun können
eine Politik der Deregulierung, Privatisierung, die Finanzmärkte weiterhin gegen jeden ein-
des Sozialabbaus und der Umverteilung von zelnen Staat spekulieren. Es gibt unterschied-
unten nach oben. Die so genannten Arbeits- liche Ratings und unterschiedliche Zinssätze.
markt- und Sozialreformen schwächten die Ein gemeinsames europäisches Vorgehen
gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit. So hätte hingegen die Zinslast der Schuldner-
wurden die deutschen Lohnstückkosten an staaten deutlich senken können. Statt über
die Kette gelegt. Die Exportüberschüsse ex- eine europäische Wachstumsstrategie die
plodierten. Im Süden der Eurozone stiegen Schulden mittelfristig abzubauen, haben die
hingegen die Handels- und Leistungsbilanz- überharten nationalen Sparstrategien das
defizite.
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Wachstum abgewürgt und die Schuldenquo- gen werden jedoch die wirtschaftliche Lage
ten noch einmal deutlich erhöht. Athens verschlechtern. Die Deflationspolitik
führt in die Sackgasse. Das Wachstum ist zu
Darüber hinaus vergiften die bürgerlichen gering, die Zinsen sind zu hoch und die not-
Parteien und Medien durch einen populisti- wendigen Primärüberschüsse – Haushaltsü-
schen Nationalismus das politische Klima. Sie berschuss vor Zinszahlungen - nicht realisier-
schüren gezielt das Vorurteil vom deutschen bar. Für Tilgung und Zinsen aller regulären
Zahlmeister Europas – oder in den Worten der Kredite benötigt Griechenland im Jahr 2013
Kanzlern: „Es geht auch darum, dass man in einen Primärüberschuss von 16 Prozent. Sol-
Ländern wie Griechenland, Spanien, Portu- len auch die 110 Mrd. Euro schweren Hilfskre-
gal nicht früher in Rente gehen kann als in dite bis 2017 getilgt werden, müsste der Pri-
Deutschland, sondern dass alle sich auch ein märüberschuss sogar 30 Prozent erreichen2.
wenig gleich anstrengen - das ist wichtig“.1 Dafür bräuchte Athen aber ein nominales
Das Bild von den faulen und korrupten Grie- Wirtschaftswachstum von durchschnittlich
chen, Portugiesen und Spaniern, die angeb- 3 Prozent. Klar ist, dass solch hohe Über-
lich jahrelang über ihre Verhältnisse lebten, schüsse selbst mit den brutalsten Sparpro-
hat sich in den Köpfen festgesetzt. Die Schul- grammen und dem Verkauf des griechischen
denberge sind nach dieser Lesart das zwangs- „Tafelsilbers“ nicht machbar sind. Was für
läufige Ergebnis unsolider Haushaltsführung. Griechenland gilt, gilt auch für die anderen
Schuldnerstaaten.
Die deutschen Eliten bringen sich auf diese
Weise in eine fast aussichtlose Lage. Einer- Wenn weitere Rettungspakete politisch
seits können und wollen sie den Euro nicht nicht mehr durchsetzbar sind, könnte der
opfern. Andererseits schadet ihr konkretes Weg der Umschuldung beschritten werden.
Handeln den Schuldenländern. Anschließend Die Ökonomen unterscheiden zwischen ei-
müssen sie Hilfspakete schnüren, die sie der ner „weichen“ und „harten“ Variante. Bei
deutschen Öffentlichkeit kaum noch vermit- einer weichen Umschuldung könnte die Til-
teln können. Jedes neue Rettungspaket wird gung regulärer und internationaler Kredite
mit immer drakonischeren Sparauflagen bis 2020 respektive 2027 gestreckt werden.
gespickt. Diese ökonomisch schädlichen Zu- Eine solche weiche Umschuldung würde je-
taten sind die beste Garantie für das Schei- doch selbst bei einem fünfprozentigen no-
tern. Die Abstände zwischen den Rettungs- minalen Wachstum immer noch Primärüber-
paketen werden immer kürzer. Und mit jeder schüsse zwischen 5 und 12 Prozent erfordern.
Hilfsmaßnahme schwindet der politische Dies ist finanzpolitisch nicht darstellbar. Le-
Rückhalt hüben wie drüben. Es ist nur eine diglich in Kombination mit einer harten Um-
Frage der Zeit bis ein „Durchregieren“ nicht schuldung – in Form eines 50 prozentigen
mehr möglich ist. Schuldenerlasses –, ergeben sich realistische
Überschussziele in Höhe von 3 bis 6 Prozent.
Vier Wege, aber nur ein einziger Weg führt
nach Ithaka Ähnlich verhält es sich mit Portugal und
Irland. Auch diese Länder stecken in der
Die europäischen Staatschefs kaufen mit Schuldenfalle. Ihr Wachstum schrumpfte in
dem sich jetzt abzeichnenden Rettungspa- der Krise und wird in den nächsten Jahren
ket wieder Zeit. Die verschärften Sparaufla- kaum vom Fleck kommen. Die Zinshöhe liegt
1 „Merkel attackiert urlaubsfreudige Südeuropäer“, in: Spiegel Online Po- 2 Daten nach Heinz-Dieter Smeets: Ist Griechenland noch zu retten?, in:
litik, 7.Juni 2011-06-07 Wirtschaftsdienst, Nr. 5, 2010
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deutlich über der Wachstumsrate. Durch Austritt eines einzelnen Staates, aber auch
radikales Sparen können die notwendigen einer Staatengruppe. Positiv an diesem
Haushaltsüberschüsse nicht erzwungen Schritt wäre, dass die Staaten ihre interna-
werden. Folglich wird sich der Schuldenan- tionale Wettbewerbsfähigkeit durch eine
stieg beschleunigen. Der Ökonom Hishow Währungsabwertung verbessern könnten.
plädiert deshalb für eine EU-„Schenkung“ Diesem Vorteil stehen aber große Risiken ge-
an Lissabon, Dublin und Athen in Höhe von genüber. Zunächst droht eine massive Kapi-
209 Mrd. Euro. Nur so könne die Insolvenz talflucht. Zudem würden die Staatsschulden,
dieser Staaten vermieden werden3 . die in Euro notiert sind, abwertungsbedingt
erheblich ansteigen. Die internationalen
Die Berechnungen sind überzeugend. Kapitalmärkte würden diesen Staaten nur
Wenig befriedigend ist jedoch, dass die Fol- noch zu Wucherzinsen Kredite gewähren.
gen der Umschuldung nicht ausreichend Schon jetzt liegen die Zinsen für zweijährige
diskutiert werden. Ein großes Risiko liegt in griechische Anleihen bei mehr als 20 Pro-
der Infektionsgefahr anderer Schuldenstaa- zent - für zehnjährige Anleihen bei mehr als
ten. Darüber hinaus drohen unkalkulierbare 15 Prozent. Faktisch wäre dann der Zugang
Reaktionen der Finanzmärkte auf die durch zu den internationalen Kapitalmärkten ver-
Kapitalverluste gefährdeten Banken. Nach sperrt. Die kriselnden Staaten müssten ihre
neuesten Angaben der Bank für Internati- Zahlungsunfähigkeit erklären und ein Schul-
onalen Zahlungsausgleich waren deutsche denmoratorium verhängen.
Banken Ende 2010 mit insgesamt 34 Mrd.
Euro in Griechenland engagiert, französische Denkbar ist jedoch, dass die Schulden-
Geldhäuser gar mit 57 Mrd. Euro. staaten anschließend andere Kreditgeber
finden – beispielsweise China oder Russland.
Auch das Institut für Makroökonomie und Diese Finanziers würden aber nicht als reine
Konjunkturforschung (IMK) warnt vor den Wohltäter auftreten. Die neuen Geldgeber
unkontrollierbaren Folgen einer Umschul- müssten schließlich einkalkulieren, dass sie
dung. Vor diesem Hintergrund ist es nur ihr Kapital teilweise verlieren. Zudem wäre
allzu verständlich, dass die Troika vor einem die Kreditvergabe mit einer politischen Ein-
solchen Schritt (noch) zurückschreckt. Zu- flussnahme dieser Länder verbunden.
dem behandelt ein Schuldenschnitt nicht
die Krisenursachen. Solange der Anleihezins Die Perspektiven eines Austritts aus der
über der Wachstumsrate liegt, stecken die Eurozone sind für die Schuldenstaaten un-
Krisenstaaten in der Schuldenfalle. Ein Schul- gewiss. Kurzfristig müssten sich die Aus-
denerlass durchbricht nicht den Teufelskreis trittsländer auf eine ökonomische Verelen-
aus schrumpfendem Wachstum und hoher dung und massivste innenpolitische Kämpfe
Zinslast. einstellen. Für die restlichen Eurostaaten
wäre der Austritt mit einem Schrumpfen
Da die herrschende Politik die wirtschaft- der Exportmärkte und mit einem Verlust
liche und soziale Lage der Schuldnerländer von Marktanteilen verbunden. Das europä-
weiter verschlechtert, wird die politische ische Bankensystem würde in Lebensgefahr
Debatte in den Krisenregionen sich zuneh- schweben. Eine Rekapitalisierung mit Steu-
mend auf einen möglichen Austritt aus der ergeld wäre unumgänglich. Zudem würde
Eurozone konzentrieren. Vorstellbar ist der der europäische Integrationsprozess um
Jahrzehnte zurückgeworfen. Alles in allem
3 Ognian N. Hishow: EU-Schuldenkrise – Schuldenmanagément und die
sollte ein Austritt aus der Eurozone tunlichst
Kosten, in: Wirtschaftsdienst, Nr. 3, 2011 vermieden werden.
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Athen und den anderen Schuldenstaa- drei Prozent sinken. Nach Berechnungen des
ten hilft jetzt nur noch eine neue Wachs- IMK würde eine solche Zinssenkung die grie-
tumsstrategie im Mix mit einer neuen Zins- chische Schuldenquote bis 2015 um 40 Pro-
und Lohnpolitik. Erforderlich ist zu allererst zentpunkte auf 110 Prozent reduzieren. Die
eine europäische Strategie für qualitatives schnelle Einführung von Eurobonds würde
Wachstum und Beschäftigung. Wir brau- die Finanzierungslasten der Schuldenstaaten
chen ein Investitions- und Entwicklungspro- zusätzlich senken. Darüber hinaus brauchen
gramm für Südeuropa. wir Reformen zur Entkopplung der Staatsfi-
nanzierung von den Kapitalmärkten.
Eine solche Strategie sollte aus folgenden
drei Elementen bestehen: Schließlich braucht die Lohnpolitik der
Mitgliedsstaaten einen Paradigmenwechsel.
ò Einem europäischen New Deal zur Ver- Diese ist europäisch so zu koordinieren, dass
besserung der europäischen Infrastruk- die nationalen Lohnzuwächse im Durch-
tur und der Umwelt. Die Finanzierung schnitt den verteilungsneutralen Spielraum
könnte durch europäische Anleihen ausschöpfen. Damit würden lohnkostenbe-
organisiert werden. Dieses Programm dingte Wettbewerbsverzerrungen vermieden
soll dem Abbau des Entwicklungsgefäl- und ein Beitrag zum Ausgleich der Leistungs-
les in der EU und der Bekämpfung der bilanzen geleistet. Deutschland müsste in
Arbeitslosigkeit (vor allem der Jugend- der Anfangszeit eine stark expansive Lohn-
arbeitslosigkeit) in besonders von der politik betreiben, um die Fehler der Vergan-
Krise betroffenen Ländern dienen (Spa- genheit zu korrigieren. Der Anpassungsdruck
nien, Griechenland, Irland, Portugal, den läge also zu Beginn dieses Politikwechsels
drei baltischen Staaten, Ungarn). bei den Überschussländern und nicht bei
den Defizitländern.
ò Einer starken Stimulierung der Binnen-
nachfrage in den Überschussländern. Mit Wachstum, niedrigen Zinsen und ei-
Eine Schlüsselrolle fällt hier Deutsch- ner verbesserten außenwirtschaftlichen
land zu. Das größte Überschussland Leistungsfähigkeit können die Schulden-
kann durch eine Änderung seiner wirt- staaten aus der Schuldenfalle befreit wer-
schaftspolitischen Strategie helfen, die den. Hierfür braucht es einen politischen
Defizite der Krisenländer abzubauen. Kurswechsel. Die Irrfahrten der Berliner und
Gleichzeitig kann Deutschland einen Brüsseler Euro-Krisenpolitik haben großen
Beitrag zur Stimulierung der Konjunk- Schaden angerichtet. Das Spardiktat muss
tur in der EU leisten. Notwendig sind jetzt fallen. Wenn hierzulande aber weiter-
hierfür eine expansivere Lohnpolitik, ein hin der Stammtisch regiert, dann sind Athen,
Abbau der Schieflage auf dem Arbeits- Lissabon und Madrid bald gezwungen aus
markt und eine Stärkung öffentlicher dem Euro auszusteigen und werden ein
Investitionen. Schuldenmoratorium verkünden. Spätestens
dann wird aus der griechischen eine europä-
ò Eine Beendigung der deflatorischen ische Tragödie. ó
Austeritätspolitik in den überdurch-
schnittlich verschuldeten Ländern.
û Prof. Dr. Klaus Busch ist europapolitischer Berater der Gewerkschaft
Wachstum allein reicht jedoch nicht aus. Ver.di.
Gleichzeitig müssen die Zinsen runter. Der û Dr. Dierk Hirschel ist Bereichsleiter Wirtschaftspolitik, Europa, Inter-
Zins für den EU-Dispo sollte von fünf auf nationales der Gewerkschaft Ver.di.
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