Konzept "Medialität" aus konstruktivistischer Sicht von Dr. Leon Tsvasman
Konzept "Medialität" aus mediendidaktischer Sicht
mediendidaktik, instructional design, leon tsvasman, philosophy of mediality
1. Medialität 233
Schmitz, Münster. ZSCHABER, T. (1993): Manipulati- scheinlicher macht (Vgl. Luhmann 1996,
on und Indoktrination durch Sprache. Eine Literatur- 1997).
analyse mit einer anschließenden Untersuchung von [Definitionsdiskurs] M. kann so-
pädagogisch-psychologischen Doktrinen. Bern, Stutt- mit als potentielle Fähigkeit einer Enti-
gart, Wien. [Internetquelle] SCHMIDT, S. J. (1998): Im tät (sei sie Phänomen, Ereignis, System
Gespräch mit Wedel, C. und Ebner, F. Der Radikale oder Konstrukt) aufgefasst werden, (a)
Konstruktivismus: http://www.uni-essen.de/~bj0063/ als Kommunikationsmedium zu fun-
archiv/interview/i-schmidt.html (Stand: 20.08.2006). gieren oder (b) ihre Wesensart auf einer
medialen Grundlage zu entfalten (M. von
↑ Wissen). In dem so aufgefassten Begriff
der M. ist auch eine techn. Dimension
enthalten: M. eines Rechners etwa be-
Medialität [mediality] steht in seiner potentiellen oder aktuellen
Funktionalität, z.B. als Medium für netz-
werkgestützte Komm. (über LAN oder
[M. als interdisziplinäres Konzept] Je Internet/Intranet) genutzt zu werden. M.
mehr sich der Medienbegriff von seiner der ↑ Didaktik etwa besteht in ihrer we-
hist. Bedeutung emanzipiert, die ihn auf sentl. Abhängigkeit von der method.-me-
die techn.-apparativen Medien beschränkt, dialen Artikulation der Bildungsinhalte
desto offensichtlicher wird die transdiszi- (Ladenthin 2006).
plinäre Relevanz der medienphilos. Per- Im Grunde lässt sich M. vor allem dann
spektive, die M. als wesentl. Eigenschaft beobachten, wenn eine „intentionale
der intersubjektiven Wirklichkeit auffasst. Handlung“ (vgl. Barad 1996 oder Megg-
Der funktionelle Begriff der M. ist im in- le 1991) tatsächlich ihre intersubjektive
terdisziplinären Diskurs vor allem dafür Geltung als eine Entität der anthropoge-
geeignet, die potentielle Fähigkeit von nen Wirklichkeit erlangt. Aus epistemo-
Phänomenen oder Ereignissen [der an- logisch-systemtheoret. Sicht besteht die
thropogenen Erlebenswelt] zu beschrei- M. der Wirklichkeit als anthropogene Le-
ben, die als strukturierte oder instituti- benswelt in ihrer Eigenschaft, als Medium
onalisierte Mittler der intersubjektiven der ↑ Intersubjektivität zu agieren. Analog
Geltung agieren. lässt sich in anderen theoret. Kontexten
[Systemphilos. Medienbegriff] Der über M. der Arbeit oder der Sprache dis-
Begriff „Medium“ wird in Bezug auf kutieren. So betrachtet ↑ Habermas (1969)
M. vor allem im Sinne von Niklas ↑ Luh- aus der handlungstheoret. Perspektive die
mann als ein Mittel erfasst, mit dem Un- „kommunikative Einigung entgegenge-
wahrscheinlichkeit (des Verstehens: hier setzter Subjekte“ als Medium der Inter-
im Bezug auf Sprache als Medium) in aktion. Sprache und Arbeit bezeichnet er
Wahrscheinlichkeit transformiert werden dagegen als „Medien des Geistes“, wobei
kann, indem sie Sinn (die Einheit der sich diese nach seinem Konzept nicht
Differenz von ↑ Aktualität und Potentiali- „auf die Erfahrung der Interaktion und
tät) durch einen konventionalisierten Zei- der gegenseitigen Anerkennung“ (ebd. S.
chen- bzw. Symbolgebrauch konstituiert. 23f.) reduzieren lassen.
Durch symbolisch generalisierte Kom- Im Diskurs der philos. Bewusstseins-
munikationsmedien (Wahrheit, ↑ Liebe, forschung hängt M. mit dem Konzept
Recht) kann die „Annahme“ von Selek- von Intentionalität (im Verständnis von
tionen (Kommunikationsvorschlägen) Alfred Schütz und in der Tradition von
motiviert werden. Durch die symboli- Edmund Husserls Phänomenologie) inso-
sche Generalisierung von Medien wird fern zusammen, als sich letztere auf das
eine Selektion mit einer Motivation ver- Bewusstsein bezieht, das immer Bewusstsein
knüpft, was die Annahme (und damit die von etwas ist. Die Intentionalität einer sol-
intersubjektive Geltung) der letzten wahr- chen Einstellung (bzw. „Gerichtetheit“)
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des Bewusstseins „auf etwas“ kann die um eigenen Mitteln ausgetragen werden
intersubjektive Funktionalität der M. im können, ohne dass hierbei die Annahme
Sinne der Mittlung über Zeichen erklä- eines kontaktgebenden Ursprungsmedi-
ren. ums wichtig oder möglich ist.“ (Rajewsky
[M. und Medialisierung] Mit dem, 2002, 13). Als Beispiel wird das Auftreten
im Gegensatz zu M., prozessuell-diagnos- des gleichen inhaltlichen Musters oder
tisch angelegten Konzept der Mediali- die Umsetzung einer bestimmten Ästhe-
sierung werden „Prozesse des Übergangs tik bzw. eines bestimmten Diskurstyps in
von Formen direkter Kommunikation in unterschiedlichen Medien genannt.
Formen indirekter Kommunikation über Irina Rajewsky (2002) führt den Be-
Medien“ (Schanze 2002) fokussiert, die griff der Interm. zunächst als Oberbegriff
etwa als Entzeitlichung oder Enträumlichung für die „Gesamtheit aller Mediengrenzen
von Komm. oder als Virtualisierung überschreitenden Phänomene“, welche
der Berichterstattung beobachtet werden, „mindestens zwei konventionell als dis-
u.a. durch zunehmende Verwendung se- tinkt wahrgenommene Medien involvie-
kundärer (bereits ermittelter und damit ren“ (Rajewsky 2002: 12-13) an, wobei sie
vorstrukturierter) Inhalte bei der jour- den Begriff der Transm. davon ableitet.
nalistischen Recherche. Trotz der schwa- Auch wird die potentielle technische
chen Nachhaltigkeit einer diagnostisch Transm. einer zukünftigen, alle traditio-
motivierten Tendenzbeschreibung wird nellen Medienapparate in sich vereinen-
behauptet, dass die im Diskurs der Medi- den „Metamaschine“ diskutiert.
alisierung problematisierten Wirklichkeits- Parallel kursiert im gegenwärtigen lite-
verluste, sowie die Ungleichverteilung von ratur- bzw. kunstwissenschaftlichen Dis-
Partizipations-Chancen und pol. Interessen- kurs das Konzept der Metamedialität,
vermittlung „durch die neuere Medienent- welches eine inhaltliche Perspektive der
wicklung eher verstärkt als abgeschwächt medienübergreifenden Geltung (z.B. im
werden. Damit behält auch das Mediali- Bezug auf Allegorie als künstlerisches Aus-
sierungskonzept sein analytisches Poten- drucksmittel) anspricht.
tial.“ (vgl. Schulz 2004). [Praxiskonzept der Multim.] Praxi-
[Medienübergreifende Aspekte sorientierte Konzepte betonen eine wirt-
der M.] Die um die Kategorie der M. ent- schaftliche, pragmatische oder techn. Di-
standenen diskursbezogenen Wortschöp- mension der M. So meint Multim. vor
fungen stehen für eine Reihe systemthe- allem jene Fusion der traditionellen Tech-
oret. inspirierter Konzepte, die − oft auf niken von Text, Illustration, Audio/Video,
ältere Fragestellungen zurückblickend − Animation, Interaktion und/oder ↑ Spiel,
verstärkt seit den 1990er Jahren in der welche sich in der Digitalisierung (Um-
wissenschaftlichen Literatur in Erschei- wandlung in einen Binärcode) sowie der
nung treten und medienübergreifende multimodalen/multicodalen oder interakti-
Aspekte konzeptualisieren. Das dialekti- ven ggf. anwendergesteuerten Präsenta-
sche Begriffspaar Intermedialität (als tion des Wissens/der Inhalte äußert. Der
Konzeptansatz, der die Wechselwirkung entsprechende Sammelbegriff Multime-
zw. Medien bzw. Interferenz der Medien dia (s. ↑ Online-Medien) meint Produk-
untereinander beschreibt) und Intrame- te, Inhalte und Werke, die aus mehreren
dialität (als die Dynamiken, die zw. Me- Medien (im Sinne der technisch-stilisti-
dienprodukten innerhalb eines Mediums schen Umsetzung der Inhalte) bestehen.
beobachtbar sind) meint Wechselwirkun- P. Kneisel definiert Multimediasystem
gen innerhalb von Mediensystemen. als eine „rechnergestützte, integrierte
Das Konzept Transmedialität betont Erzeugung, Manipulation, Darstellung,
hingegen die Transformation der Medien Speicherung und Kommunikation von
oder Phänomene, die „in verschiedenen unabhängigen Informationen […], die in
Medien mit den dem jeweiligen Medi- mindestens einem kontinuierlichen und
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einem diskreten Medium kodiert ist.“ >> Intersubjektivität; Orientierung; Medien-
(Steinmetz 1999). wissenschaft; Medienkonzeption; Interaktions-
[Strategiekonzept der Crossm.] Im medien; Kommunikationspraxis; Informati-
Geltungsbereich der Medienwirtschaft onstheorie; Objektivität; Ethik; Interkulturelle
(in Bezug auf Journalismus, Public Rela- Wirtschaftskommunikation; Erlebnis; Liebe.
tions, Werbung, ↑ Medienrecht und Me-
dienethik, s. ↑ Ethik) meint der Begriff
der Crossm. jene holistische Tendenz zu Literatur: BARAD, K. (1996): Meeting the Universe
medienübergreifenden Angebotsstrategi- Halfway: Realism and Social Constructivism Without
en und PR-Maßnahmen der Unterneh- Contradiction, in: Nelson, L. H., Nelson, J. [Hrsg.]: Fe-
men, die mit der Tendenz zur Medien- minism, Science, and the Philosophy of Science, Dor-
konvergenz (der Auflösung technogener drecht. EICHER, TH., BLECKMANN, U. [Hrsg.], (1994):
Grenzen zw. verschiedenen Kommuni- Intermedialität. Vom Bild zum Text, Bielefeld. FRAAS,
kationsdiensten) in Verbindung stehen. C., BARCZOK, A., DI GAETANO, N. (2006): Intermedi-
Neuberger (2003 online) konzeptualisiert alität – Transmedialität. Weblogs im öffentlichen Dis-
Crossm. als ein über mehrere Medien kurs, in: Androutsopoulos, J., Runkehl, J. ,Schlobinski,
(↑ Fernsehsendung, ↑ Buch, Zeitschrift, P., Siever, T. [Hrsg.]: Neuere Entwicklungen in der In-
CD, Hörkassette, Video und Internet) ternetforschung. Germanistische Linguistik. Im Inter-
verteiltes Gesamtangebot, dessen Teile net: http://www.tu-chemnitz.de/phil/medkom/mk/
durch eine gemeinsame Markenidentität fraas/Fraas_Barczok_06.pdf (Stand 30.06.2006). HA-
verknüpft sind. Die entsprechenden Ver- BERMAS, J. (1969): Technik und Wissenschaft als ‚Ide-
bindungen über Mediengrenzen hinweg ologie‘. S. 9-47, Frankfurt a. M. HABERMAS, J. (1991),
bestehen dauerhaft. Auf diese Weise sol- Erkenntnis und Interesse. Mit einem neuen Nachwort,
len Rezipienten an eine Marke gebunden Frankfurt a. M. (1968). HABERMAS, J. (1995): Theorie
und von einem Medium zu einem an- des kommunikativen Handelns, 2 Bde., Frankfurt a. M.
deren „gelenkt“ werden (vgl. Neuberger LUHMANN, N. (1996): Soziale Systeme. Grundriss ei-
2003: 37-43). Als Beispiel wird „Bild“ ner allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. (1984). LUH-
als die „erfolgreichste Markenfamilie in MANN, N. (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft,
Deutschland“ angeführt, welche eine Frankfurt a. M. MEGGLE, G. (1991): Kommunikation
Boulevardzeitung, zahlreiche Publikums- und Reflexivität, in: Kienzle, B. [Hrsg.]: Dimensionen
zeitschriften, eine Sonntagszeitung und des Selbst, S. 375-404, Frankfurt a. M. MEYER, U., SI-
ein Online-Angebot einschließt. Solch MANOWSKI, R., ZELLER, CH. (2006): Transmedialität.
ein gemeinsames Crossmediakonzept re- Zur Ästhetik paraliterarischer Verfahren, Göttingen.
guliert u. a., dass die o.g. Medien kosten- MÜLLER, J. E. (1996): Intermedialität. Formen mo-
günstig angeboten werden können und derner kultureller Kommunikation, München. NEU-
inhaltlich auf ein breites Publikum ausge- BERGER, CH. (2003 online): Crossmedialität im Jour-
richtet sind (s. Neuberger 2003 online). nalismus. Einführungsvortrag, Deutsch-chinesischer
Das Konzept der M. fördert eine brei- Mediendialog http://cms.ifa.de/tagungen/dialogfo-
tere (medienphilos.-systemtheoret.) Auf- ren/tagungen-2003/workshop-china/einfuehrungs-
fassung des traditionellen Medienbegriffs vortrag-pdf/. NEUBERGER, CH. (2003): Zeitung und In-
im aktuellen medienwissenschaftlichen ternet. Über das Verhältnis zwischen einem alten und
Diskurs. Es schließt die Konzepte ein, die einem neuen Medium, in: Neuberger, Ch., Tonnema-
unterschiedliche Aspekte der medienü- cher, J. [Hrsg.]: Online − Die Zukunft der Zeitung? Das
bergreifenden Wechselwirkung zw. den Engagement deutscher Tageszeitungen im Internet,
sich hist. wandelnden Medien in ihrer S. 16-109, Wiesbaden. PRÜMM, K. (1988): Interme-
Abhängigkeit von Wirtschaft, Politik, Ge- dialität und Multimedialität. Eine Skizze medienwis-
sellschaft und anderen Faktoren anspre- senschaftlicher Forschungsfelden, in: Bohn,R., Mül-
chen. ler, E., Ruppert, R. [Hrsg.]: Ansichten einer künftigen
Medienwissenschaft, Berlin. RAJEWSKY, I. O. (2002):
Leon Tsvasman Intermedialität, Tübingen/Basel. Schiller, D. (1999):
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