1. Die UBI im Kontext der Medienkritik –
Rolle, Wahrnehmung & Vernetzung
Referat & Diskussion anlässlich der UBI-Sitzung
Donnerstag, 30. August 2012, Rathaus Appenzell
Prof. Dr. Vinzenz Wyss
Zürcher Hochschule für Angewandten Wissenschaften
IAM - Institut für Angewandte Medienwissenschaft
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4. Übersicht
• Zur Relevanz der Medienkritik
• Akteure der Medienkritik
• Empirische Evidenzen:
– Von Selbstbeobachtungsfallen und blinden Flecken
– Medienjournalismus: schwach institutionalisiert
– Medienblogs: Versammlungsöffentlichkeiten
• Zur Rolle der UBI im Kontext der Medienkritik
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5. Systemtheoretische Perspektive:
Selbstbeobachtung und Synchronisation
von Gesellschaft
Politik
Demonstration
Wirtschaft Recht
Urteil
Öffentlichkeit
Public Relations
Report
Film Journalismus Wissenschaft
Kunst
Verkündigung
Vermittlung
Religion Erziehung
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6. Zur Relevanz der Medienkritik
• Mediale Kommunikationsangebote tragen durch die
Herstellung von Öffentlichkeit zur Selbstbeobachtung und
Synchronisation der Gesellschaft bei.
• Medien verfügen über eine bedeutsame Definitionsmacht.
• Wirklichkeitsbeschreibungen sind immer nur kontingent.
Notwendig: systematische und reflexive Thematisierung von
Routineprozessen aller am ‚Medienprozess‘ Beteiligten;
Beobachtung, Beschreibung und Bewertung von
Medienleistungen.
Notwendig: Akteure der öffentlichen Wirklichkeitskonstruktion
sollen – öffentlich – an deren Verantwortung erinnert, zur
Rechenschaft gezogen und kontrolliert werden.
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7. Akteure der Medienkritik
Es braucht möglichst unabhängige Instanzen, welche die Medien
fremdbeobachten und zur öffentlichen Selbstbeobachtung
zwingen.
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9. Medienkritische Organisationen
– die „Vereinigung für kritische Mediennutzung Arbus“
(www.arbus.ch),
– die „Stiftung Wahrheit in den Medien“
(www.medienwahrheit.ch),
– die „Aktion Medienfreiheit“ (www.medienfreiheit.ch),
– der „Verein Qualität im Journalismus“(quajou.ch),
– die „Gesellschaft für Medienkritik Schweiz“ (www.gfmks.ch)
sowie
– der Verein „Medienkritik Schweiz" (medienkritik-schweiz.ch).
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10. Medienjournalismus: Erwartungen
• wirksame Medienkritik erfordert die Reflexivität zwischen
Beobachtern und Beobachteten
• wirksame Medienkritik ist nur interaktiv möglich, indem die
Medien selbst öffentlich auf Beurteilungen reagieren und
Fremdbeobachtung zur Selbstbeobachtung machen.
• Erwartung: Journalismus sollte im Sinne der
Selbstbeobachtung in der Lage sein sollte, das Mediensystem
genau so kritisch zu beobachten wie andere
Gesellschaftsbereiche auch.
Thematisierung von Strukturen, Spielregeln und
Ambivalenzen als "fünfte Gewalt", Qualitätssicherung,
Verantwortungsbewusstsein der Medien demonstrieren
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11. Wie häufig berichten Journalisten
über Medienthemen?*
sehr oft häufig selten nie
SRG
8% 30% 41% 21%
(398)
Privatrundfunk
8% 30% 46% 16%
(294)
Printmedien
5% 15% 43% 37%
(1140)
Gesamt
6% 20% 43% 31%
(2132)
*Die Daten stammen aus einer Journalistenenquête aus
dem Jahr 2008 (vgl. Keel 2011).
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13. Ausgewählte Befunde I
• nur 19% der «Medien» thematisierenden Artikel können einem
engen Kern medienkritischer Berichterstattung aus der
Schweiz zugeordnet werden (106 von 561 Artikeln).
• ein Grossteil der allgemeinen medienjournalistischen
Berichterstattung ist eher unbestimmt und nicht
kontextspezifisch ausgerichtet.
– Vgl. dazu auch Hickethier (2005: 61) für Deutschland: „der
Berichterstattung über Medien droht der kritische Fokus
verloren zu gehen und einem allgemeinen Reden über die
Medien Platz zu machen“
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14. Ausgewählte Befunde II
• medienkritische Berichterstattung korreliert mit Auflage und
spezifischer struktureller Ausstattung. Die drei Spitzenreiter
haben alle für die Medienberichterstattung eine spezifische
Ressort-/ bzw. Rubrikenstruktur ausdifferenziert.
– Tageszeitungen; NZZ mit 37%;
– Wochen- und Sonntagszeitungen: „Der Sonntag“ 46%
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16. Ausgewählte Befunde III
• Medienorganisationen werden in den medienkritischen Artikeln
zurückhaltend angesprochen.
– Die SRG SSR wird mit 23 von 106 Artikeln am häufigsten
thematisiert - private Rundfunkveranstalter kommen
zusammen auf zehn Nennungen.
– Die Kritik steht wenig in einem Zusammenhang mit dem
Service Public respektive der gesellschaftlichen Aufgabe der
Medien
– NZZ (14), Ringier (13), Tamedia (9), AZ Medien (3) und
Edipresse (1), Südostschweiz (0), andere Schweizer Medien
(16)
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17. Ausgewählte Befunde IV
• Medienkritische Berichterstattung
… ist vor allem journalistisch redaktionelle Eigenleistung.
… erweist sich als abhängig von bestimmten journalistisch
verwertbaren Ereignissen.
… ist eher am journalistischen Endprodukt interessiert,
weniger an der kritischen Darstellung von
Entstehungsbedingungen und Randbedingungen
• Strukturelle Aspekte werden eher vernachlässigt dargestellt.
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18. Ausgewählte Befunde V
• Medienkritische Berichterstattung zeigt sich hinsichtlich der
eigenen Redaktion oder des eigenen Medienhauses sehr
zurückhaltend: 28 von 106 Artikel
• Institutionen der schweizerischen Medienkritik: 28 von 106
Artikel
• Der Schweizer Presserat: 12 Artikel
• Unabhängige Beschwerdeinstanz UBI: 3 Artikel
• Institutionen der Medienpolitik – Parteien, Parlamente,
Exekutiven – werden nur in begrenztem Umfang dargestellt.
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20. Medienblogs
• Z.B. „Blick am Abend Blog“: „BlaABlog hört auf. […] Sie werden
vielleicht sagen: Was, schon?! […] Wir sagen: Dankeschön!
Und auf Wiedersehen. Die Show muss weitergehen.“
• Bei blattkritik.ch heisst es seit Mai 2011: „Leider ist blattkritik.ch
seit etwas mehr als zwei Jahren inaktiv. Alle Versuche, aus
blattkritik.ch einen breit abgestützten Medienblog mit mehreren
Autorinnen und Autoren zu machen, sind gescheitert.“
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23. Die Rolle der UBI
• Die Delegation an selbstregulierende Kräfte ist eine naive
Haltung.
• Auch die zahllosen, zersplitterten, medienkritischen
Organisationen sowie die beliebig agierenden und kaum auf
Dauer gestellten Medienblogs vermögen bis heute der
Medienkritik nicht die öffentliche Plattform zu geben, die sie
gemäss ihrer demokratietheoretischen Bedeutung benötigen
würde.
• Medienkritik sollte von Zufälligkeiten der (medien-)
journalistischen Berichterstattung ebenso befreit werden als
auch von zeit- und befindlichkeitsgebundenen Parolen
partikularer (politischer) Interessen.
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24. Die Rolle der UBI
UBI ist ein wichtiger Knotenpunkt im Netz der Medienkritik, die
besser als andere folgenden Prinzipien gerecht werden kann:
• Unabhängigkeit (keine partikulären Interessen)
• Rekursivität (Kritik bezieht sich auf transparente Kriterien)
• Partizipation (möglichst viele Stimmen sich beteiligen sich)
verstärken
• Koordination (Aktivitäten nehmen Bezug auf andere)
verstärken
• Resonanz (breite Öffentlichkeit wird erreicht)
verstärken: mediengerechte Medienmitteilung, Einsatz
von Social Media nutzen, Anschluss an Thematisierung
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Hinweis der Redaktion
Ausgangspunkt der systemtheoretischen Analyse ist die funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft in verschiedene Funktionssystem, die je auf eine spezifische Problemlösung spezialisiert sind. Die Funktionssysteme Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst, Religion und Erziehung etc. erfüllen für die Gesellschaft exklusive Funktionen und erbringen füreinander wechselseitig Leistungen. Die funktionale Ausdifferenzierung hat zu komplexen gegenseitigen Abhängigkeits- und Beeinflussungsverhältnissen geführt. In dieser Situation ist jedes System genötigt, Erwartungen über seine Umwelt auszubilden und eben die anderen Systeme kommunikativ zu beeinflussen. Dafür braucht es einer ständigen Umweltbeobachtung, mit der ein einzelnes System überfordert wäre. Deshalb – so die These – hat sich ein eigenes Funktionssystem herausgebildet. Kohring schreibt diesem System plausibel die Funktion zu: „ Die Funktion in der Generierung und Kommunikation von Beobachtungen über die Interdependenz, d.h. wechselseitige Abhängigkeits- und Ergänzungsverhältnisse einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft“ Dieses System wird Öffentlichkeit genannt und Journalismus sein zentrales Leistungssystem. .