How do Social Robots become Social - Die Technisierung des Sozialen
Andreas Bischof
Roboter können die physische Welt manipulieren und tragen damit auch das Versprechen in sich, Tätigkeiten und Lebensbereiche zu automatisieren, die der Computerisierung bislang verschlossen waren. Mit diesem (bislang antizipierten) Schritt über die Grenzen der Werkhallen und Forschungslabore hinaus geht eine Neuorientierung der Robotikforschung einher.
Zur komplexen, zeit- und kostenintensiven Aufgabe solche Maschinen überhaupt zu Konstruieren und zum Funktionieren zu bringen, tritt die Herausforderung, Wissen über soziale Welt, und Methoden ihrer habhaft zu werden, in die Forschung zu integrieren. Für die wissenschaftliche Kultur der damit befassten Forschungsfelder Human Robot-Interaction (HRI) und Sozialrobotik bedeutete das einen radikalen Wandel. Etablierte Methoden und Theorien stießen an Ihre Grenzen. Neue Formen von heterogenen Kooperationen entstanden und müssen weiterhin ausgehandelt werden. Im ohnehin interdisziplinären Feld Robotik wurden neue Abgrenzungen und Bezugnahmen etabliert. Besonders Wissensbestände aus der Entwicklungs- und Kognitionspsychologie haben diese Entwicklung prominent vorangetrieben (Breazeal 2003, Scassellati 2000).
Der Vortrag rekonstruiert (basierend auf Experteninterviews, teilnehmenden Beobachtungen und Auswertung von Forschungsliteratur aus dem Feld) die Dimension dieses Wandels und zeigt seine Implikationen. Das geschieht zum einen im Hinblick auf die Frage, was "sozial" in der Sozialrobotik eigentlich heißt. Desweiteren werden drei Strategien gezeigt, die der Herstellung wissenschaftlicher Tatsachen in der Sozialrobotik dienen. Schließlich wird der aktuelle Stand der Funktionstüchtigkeit „sozial" (agierender) Maschinen diskutiert.
1. How do Social Robots become Social?
– Coping with the Complexity of Social Situations
!
Andreas Bischof
2. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
Anekdote: Unfreiwillig erfolgreich
„a robot cutting line“ (Sabanovic 2007)
AAAI 2003 „grand challenge“ ! GRACE als Konferenzbesucher
25.06.2014
Nakauchi / Simmons
Sabanovic 2007
3. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
Was bedarf es alles, um einen Roboter sozial
adäquat agieren zu lassen?
!
Mehr als Verhaltensmodellierung!
- Spezifischer Kontext
- Konkrete (kontingente) Interaktion
- Erwartung, die gebrochen wird
- Zuschreibung durch Zuschauer
25.06.2014
4. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
Was bedarf es alles, um einen Roboter sozial
adäquat agieren zu lassen?
!
Mehr als Verhaltensmodellierung!
- Spezifischer Kontext
- Konkrete (kontingente) Interaktion
- Erwartung, die gebrochen wird
- Zuschreibung durch Zuschauer
25.06.2014
5. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
Inhalt
1. Vorstellung und Herleitung
2. Herausforderung: Mit Komplexität umgehen
3. Praktiken der Sozialrobotik
a. Sozialität Laboratisieren
b. Erwartungen schaffen & brechen
4. Ausblick: Rollen für Kommunikations- und
Medienwissenschaftler in diesem Feld
25.06.2014
6. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
1. Einleitung
25.06.2014
Leerstellen:
- Empirie zu Hardware in der
Entwicklung
- Theorie zu den vielseitigen
Vermittlungsprozessen der
Technikgenese (besonders
Handlungstheorie &
Hermeneutik)
7. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
1. Einleitung - Vorstellung
Dissertationsprojekt: Was macht soziale Roboter
sozial?
!
▪ Feldforschung in Robotiklaboratorien (EU & USA):
teilnehmende Beobachtungen,
Experteninterviews
▪ multi-sited ethnography, 7 labs, Konferenzen,
Tagungen, Literatur, Freizeit
▪ Stand: Sample gesättigt, detaillierte Auswertung
läuft
25.06.2014
8. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
1. Einleitung – Trajektorie
25.06.2014
Scan: Colleen A. Bryant / flickr
Roboter als Idee:
- älter als jede
technische
Realisierung
[Antike]
- „moderner“
Roboter als
literarische und
filmische
Reaktion auf
Technisierung
des Alltags
Photo: Mixabest - Trabajo propio
Roboter in der Realität:
- Produktion übernommen
- Mensch als a) Benchmark b)
Störfaktor oder c) Sicherheitsrisiko
[Robert Williams]
- wissenschaftlich als Verunreinigung
bzw. als abstrakte Größe
9. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
1. Einleitung - Trajektorie
25.06.2014
Photo: Thrun / Nourbahksh
Momentum
Shift:
- 1997 AAAI
Robotics
Challenge
„Hors d‘Ouvre
Anyone?“
- 1998 SAGE,
„soziales“
Interface
- „soziale“
Interaktion als
Gelingens-
bedingung
National Robotics Initiative:
- US-Forschungsprogramm seit 2011;
50 bis 70 Millionen $ / Jahr
- co-robots “robots that
cooperatively work with people”;
“understanding of the long term
social, behavioral and economic
implications of co-robots”
- vgl. Programme EU & Japan
Graphic: ArmedRobots
10. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
2. „So tun als ob“ - Sozialrobotik
„So tun als ob“ – Die Maschinen selbst sind nicht
intelligent oder sozial fähig
!
Herausforderung = Komplexität sozialer Situationen:
• Gleichzeitigkeit
• Mehrdeutigkeit
• Unabgeschlossenheit
• Indexikalität
• Medium Sinn
25.06.2014
11. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
2. „So tun als ob“ - Sozialrobotik
Verhaltensmodellierung:
technische Trivialisierung
nicht-trivialer Vorgänge
(= Komplexitätsreduktion)
!
▪ H. v. Foerster (1993):
trivial / nicht-trivial
▪ Beobachterstandpunkt:
Input – Mechanismus – Output
▪ (fast) alle Robotiksoftware
ist trivial
25.06.2014
H. v. Foerster „Wissen und Gewissen“, S. 357.
12. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
2. „So tun als ob“ - Sozialrobotik
▪ Algorithmen der Sozialrobotik
▪ Probalistik: Markov-Ketten, Bayes‘sche Netze,
machine learning techniques
!
!
!
!
▪ Was ist die Basis dieser Berechnungen?
▪ Formalisierung von Daten (Semantisierung)
▪ Woran lernt das Modell?
▪ „Abstimmung“ des Algorithmus (Parameter)
25.06.2014
Graphic: Joxemai4:
Markovkate
13. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
2. „So tun als ob“ - Sozialrobotik
coping-Strategien?
▪ Komplexität als Herausforderung jedes
Entwurfsprozesses
a) wie Alltagsmensch auch (Schütz: Handlungstheorie)
b) Herstellung eines Artefakts erfordert und ermöglicht
Komplexitätsreduktion (suspension) und
Komplexitätserweiterung (ambition) gleichermaßen
!
▪ empirisch wenden: Wie läuft das in der
Sozialrobotik?
25.06.2014
14. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
2. Herausforderung Komplexität
Exp_m_L: „it was driving around and it
did have to deal with humans aah
trying to interfere with it actually // I:
hmh // that's the exciting part right?
so it defintely had to engage social
strategy as a practical measure“
!
• „sozial“ als Prozessionslogik (Stragie),
die sich von der maschinellen
unterscheidet
• „practical measure“ – erfolgreiche
Interaktion an Effizienz gemessen
(muss gesetzt werden, da
unterbestimmt)
25.06.2014
!J. Schulte, C. Rosenberg, and S. Thrun
15. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
3. Praktiken der Sozialrobotik
„epistemische Kultur des Feldes“ (Knorr-Cetina
2002) — Wie wird wahres wissenschaftliches
Wissen erzeugt?
!
Das Labor als Ort der
- Erschaffung von Forschungsgenständen und
messbaren Effekte
- sauberen Trennung von innen und außen
25.06.2014
16. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
3. Praktiken der Sozialrobotik
Besonderheit Robotik:
Anforderungen der Plattform
„Ringlabor“ / workshop
!
!
!
• „it takes a village to construct a robot“ (Sabanovic 2007),
interdisziplinär, Zeit- & Kostenintensiv
• Folgen u.a. technische Kompromisse, Chancen-
Opportunismus, eigentlich keine Zeit für extensive
Sozialforschung
25.06.2014
robotics Lab
17. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
3. Praktiken der Sozialrobotik
25.06.2014
Robot House at University of Hertfordshire
HERB explores objectsB. Coltin: COBOT at Gates-Allen-Building
„robots in the wild“ "
künstliche Alltagswelten ! Szenario-Labor
18. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
3. Praktiken der Sozialrobotik
Aufzeichnunsgeräte
& Messbares
25.06.2014
• Kameras
• motion capturing
• Mikrofone
• Sensorik des Roboters
• automatisches Protokoll
• Beobachtungen
!
!
!
• Gesichter (FACS)
• Körperliche Interaktion (Kamera)
• (kognitive) Einstellungen (Fragebogen)
• Positionen im Raum
!
B. Heenan: Social
Greeting
19. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
3. Praktiken der Sozialrobotik
!
▪ dominierende Rolle standardisierter empirischer
Sozialforschung — „study to build or build to
study?“
▪ etablierte Reviewkriterien als Kit des
heterogenen Feldes
▪ Laboratisierung als Legitimierung der eigenen
Forschung
25.06.2014
20. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
3. Praktiken der Sozialrobotik
Rückseite
▪ Adaption psychologischer
Konzepte („Die Konzepte sind
so abstrakt!“)
▪ i.d.R. kein methodologisch
abgesicherter Rahmen für
Exploration; unsichtbares Trial
and Error
▪ Implizite Ethnographie:
Forscher fährt zwei Tage
Fahrstuhl
25.06.2014
21. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
3. Praktiken der Sozialrobotik
Expertise
25.06.2014
Bildende Kunst
Bühnenbild
Regie/Autor
Zimmermann
Architekt
Altenpflegerin
Entwicklungspsychologe
Pädagoge
Linguist
Beobachtungen:
- hoher Anteil
Forscher_innen mit
inkorporierter Expertise
in angewandten
Bereichen
22. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
3. Praktiken der Sozialrobotik
!
▪ “interactional expertise and
embodiment” (Collins & Evans 2008) anstatt
externalisierbarem Expertenwissen, “what we
know but cannot tell” (Polanyi 1962)
▪ neue Praktiken als epistemische Mittel (Knorr-
Cetina 1988): Alltagsbeobachtungen, Empathie,
inkorporiertes Wissen, Diskussionen
25.06.2014
23. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
3. Praktiken der Sozialrobotik
Sozialrobotiker sind Experten im Erzeugen von Erwartungen
und Erwartungserwartungen
!
!
!
!
!
!
!
!
!
„Wizard of Oz interfaces allow experiments to be performed
using behaviors not yet implemented”
25.06.2014
Wizard of Oz „Wizards“ control robotic mannequin
24. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
3. Praktiken der Sozialrobotik
Der Illusionist
!
„Nach wenigen Türen bittet mich Prof. Dresche in ein Büro auf der rechten
Seite. Er öffnet die Tür, bleibt aber in der Tür stehen, so als ob ich den
Raum als erstes betreten soll. […] Ich ahne, dass in diesem Zimmer der
Roboter sitzt. Dennoch fühle ich mich überrascht und unwohl, als ich den
Roboter hinter dem Schreibtisch sehe, was ich unweigerlich auch mit einer
zögernd-abwehrenden Körperhaltung und dem Ausruf „Ooooh“ zeige. Es ist
merkwürdig, dem Roboter gegenüber zu sein. Der Roboter ist Prof. Dresche
auf den ersten Blick zum Verwechseln ähnlich. Irritierend finde ich, dass er
sich in einem Modus befindet, in dem er eher unmotiviert seinen Kopf
immer wieder kreisend bewegt und blinzelt. […] Außerdem zeigt der
Roboter keinerlei Reaktion auf unseren Eintritt ins Büro, er lief offenbar
bereits in diesem Modus bevor wir eintraten. […] Prof. Dresche stellt – und
später setzt – sich so, dass er immer den Roboter und mich gleichzeitig
sehen kann. Ich befinde mich sozusagen sowohl in der Blickachse des
Roboters als auch der des Professors.“
(Beobachtungsprotokoll, November 2013)
25.06.2014
25. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
3. Praktiken der Sozialrobotik
Erwartungen an die soziale Roboter
!
!
!
!
!
▪ Diskursive und praktische Mystifizierung
▪ eigene Untersuchungsgegenstände schaffen?
25.06.2014
Wizard of Oz unangekündigte Vorführung getimtes Puppeteering
Erwartungen
erfüllen
Erwartungen
irritieren
Erwartungen erzeugen
26. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
3. Praktiken der Sozialrobotik
!
“You totally cheated! You’re not
allowed to cheat. You’re the
robot.”
“Our results point towards a
greater attribution of mental state
to a cheating robot than one that
behaves entirely as
expected” (Short, et. al. 2010)
25.06.2014
Nico
27. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
3. Praktiken der Sozialrobotik
Wrap up
!
▪ Inszenierung: Kontingenzen wieder sichtbar
machen und aktiv herstellen
▪ Kalkulieren und Erzeugen menschlicher
Erwartungen, Forscher werden selbst Teil der
Interaktion
25.06.2014
28. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
5. Ausblick
▪ als Beobachter
▪ mediale und kommunikative Praktiken an solchen
Schnittstellen untersuchen
!
▪ als Kollaborateur
▪ Methodenwissen einbringen
▪ praktisches Wissen aus angewandten Bereichen einbringen
!
▪ als aufgeklärter Mensch
▪ hingehen, verstehen
▪ Reflexion einfordern / beisteuern
25.06.2014
29. A. Bischof – How do Social Robots become Social?
References
H. Collins & R. Evans: Rethinking Expertise. Chiacoge: University of Chicago Press.
2008
H. v. Foerster: Wissen und Gewissen: Versuch einer Brücke. 7. Auflage. Suhrkamp
Verlag, Frankfurt am Main 1993.
K. Knorr-Cetina: Das naturwissenschaftliche Labor als Ort der "Verdichtung" von
Gesellschaft. in: Zeitschrift für Soziologie, 17, 2, 1988, S. 85-101
K. Knorr-Cetina: Wissenskulturen. Ein Vergleich naturwissenschaftlicher
Wissensformen, Frankfurt am Main 2002
M. Polanyi: Tacit Knowing: Its Bearing on Some Problems of Philosophy. Reviews of
Modern Physics, 34 (4) Oct. 1962, 601-616 [HTML]
S. Sabanovic: Imagine all the robots: Developing a critical practice of cultural and
disciplinary traversals in social robotics. PhD Thesis. Rensselaer Polytechnic
Institute. 2007.
E. Short, J. Hart, M. Vu, and B. Scassellati. No Fair!! An Interaction with a Cheating
Robot. In Proceedings of the 5th ACM/IEEE International Conference on Human-
Robot Interaction (HRI 2010). Osaka, Japan, March 2010. [PDF]
25.06.2014