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Volkswirtschaftliche Analyse:




„Unvermögen“ in Österreich

Erstellt für: Erste Bank & Sparkassen
Erstellt von: Mag Birgit Fischer; MMag Agnes Streissler



Datum: 23. Dezember 2011
Executive Summary                                                                  3
1. Fragestellung und Methodik                                                      7
     Fragestellung                                                                     7
     Methode                                                                           7

2. Financial Access - (Un)Vermögen an Teilhabe                                     9
     Zugangsprobleme zu Finanzdienstleistungen                                     10
     Zugang zu Finanzdienstleistungen – wachstumsstärkend und verteilungsgerecht   11
     Wie kann der Zugang zu Finanzdienstleistungen verbessert werden?              13
       Empfehlungen der Europäischen Kommission                                    13
       Verbesserungen im Umfeld der Finanzdienstleistungen                         14

3. Mikrokredite – (Un)Vermögen an Zukunftschancen                                  17
     Mikrokredite als Hilfe zur Selbsthilfe                                        18
     Wohlfahrtseffekte von Mikrokrediten                                            20
        Kurzfristige Effekte                                                        20
        Langfristige Effekte                                                        21
     Wie können Mikrokredite verbessert und erweitert werden?                      24

4. Financial Literacy – (Un)Vermögen an Wissen                                     28
     Financial Literacy als Teil der Allgemeinbildung                              29
     Mehr Wissens-Vermögen der Einzelnen nützt allen                               30
     Wie kann die Finanzielle Allgemeinbildung verbessert werden?                  32

5. Unvermögen in Österreich                                                        35
     Fragestellung                                                                 37
     Was ist Armut und wer ist in Österreich arm?                                  38
        Armutsgefährdung und Deprivation – Definitionen                             38
        Einkommensarmut in Zahlen                                                  39
     Vermögen in einkommensschwachen Gruppen                                       41
     Finanzielle Ausgrenzungsprobleme österreichischer Haushalte                   44
        Verschuldung und Überschuldung                                             44
        Ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten                                      45
        Schuldnerhaushalte in Österreich                                           47
        Wohin bei finanziellen Schwierigkeiten?                                     50
     Financial Exclusion – Unvermögen an finanzieller Teilhabe                      51
        Best Practices in Österreich im Bereich des Social Bankings                54
     Mikrokredite- (Un) Vermögen an Zukunftschancen                                55
        Best Practices in Österreich im Bereich Mikrokredite                       56
     Financial Literacy- (Un) Vermögen an Wissen                                   58
        Wie gut sind die ÖsterreicherInnen finanziell gebildet?                     58
        Best Practices in Österreich zur Steigerung der Finanzkompetenz            59

Literatur                                                                          61




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Executive Summary
Geht‘s den Schwächsten gut, geht‘s uns allen gut…

‣ Der Zugang zu Finanzdienstleistungen für alle, die Ermöglichung von Mikrokrediten für
   Unternehmensgründungen und Investitionen und die Steigerung des Finanzwissens in der
   Bevölkerung bringen einen hohen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen.

‣ Ein erfolgreicher Weg aus der Armut durch Zugang zu Basis-Finanzdienstleistungen und
   Mikrokrediten bedeutet geringere Sozialausgaben und hat positive Effekte auf den
   Arbeitsmarkt: So zeigen Evaluierungen in Österreich und der EU, dass pro
   mikrokreditfinanzierter Neugründung ca 1,3 neue Beschäftigungsverhältnisse geschaffen
   werden und dass der Wirtschaftsstandort insgesamt durch diese Betriebsgründungen und
   die daraus resultierenden Abgaben und Steuern profitiert.

Armut, Armutsgefährdung und Überschuldung in Österreich

‣ Armutsgefährdung, finanzielle Schwierigkeiten und Verschuldung belasten nicht nur die
   einzelnen Betroffenen, sondern auch den Sozialstaat, den Wirtschaftsstandort und die
   Gesellschaft als Ganzes. 12 Prozent der ÖsterreicherInnen sind armutsgefährdet, 20
   Prozent sind in ihrem Lebensstandard eingeschränkt und 29 Prozent geben an sich
   unerwartete Ausgaben nicht leisten zu können.

‣ In Österreich lassen sich sozioökonomische Risikogruppen identifizieren, die ein höheres
   Risiko von Armut, Überschuldung und finanziellen Schwierigkeiten haben: Mit einem
   statistischen Armutsrisiko von 20 Prozent gehören bildungsferne Schichten,
   AlleinerzieherInnen und Haushalte mit Migrationshintergrund zu den gefährdetsten
   Gruppen.

‣ Einkommensschwache und armutsgefährdete Gruppen haben dabei auch einen
   geringeren Zugang zu Basisfinanzdienstleistungen wie Konto oder
   Haushaltsversicherung: In Österreich haben ca zwei Prozent der Bevölkerung bzw
   150.000 Personen kein Konto.




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Der Armut aktivierend entgegenwirken – auch durch Finanzdienstleistungen

‣ Dieses Unvermögen an finanzieller bzw gesellschaftlicher Teilhabe muss in Österreich,
   einem der „reichsten“ Länder der Welt mit einem gut ausgebauten Sozialstaat, verstärkt in
   das Bewusstsein der Bevölkerung und vor allem der Entscheidungsträger (Staat,
   Finanzdienstleister und Wirtschaft) rücken. Was sind die Ursachen, was kann vor allem
   dagegen getan werden? Einer der wichtigster Ansätze ist dabei sicherlich, schon im
   Vorfeld bereits präventiv der Armut entgegen zu wirken.

‣ Ein wichtiger wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Ansatz dabei ist darauf zu achten,
   dass alle Menschen Zugang zu alltäglichen Finanzdienstleistungen haben und diese auch
   verstehen: Wer ein Konto hat, wer versichert ist, wer für Zukunftsprojekte Geld geliehen
   bekommt und wer die grundlegenden Zusammenhänge der Geldwirtschaft und ihrer
   Instrumente versteht, tut sich auch in anderen Belangen des Wirtschaftslebens leichter.

‣ Der Zugang zu Finanzdienstleistungen, wie einem Basiskonto, Versicherungsleistungen
   und Mikrokreditunterstützung, ist somit essenziell für die finanzielle Grundsicherung.

‣ Die Unterstützung einkommensschwacher oder armutsgefährdeter Personen mit
   Mikrokrediten ist eine Investition in deren Leistungsbereitschaft, verbessert die jeweilige
   Lebenssituation, schafft Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum.

‣ Besseres Finanzwissen trägt zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit Geld bei,
   verringert daher Überschuldungsdynamiken, die zu hohen sozialen Kosten führen und
   finanziellen Schaden durch Zahlungsentgang anrichten. Somit ergeben sich neben
   persönlichen, auch positive volkswirtschaftliche Effekte wie Konjunkturimpulse,
   Struktureffekte und ein generell höheres Wohlstandsniveau.

Verantwortung der Banken: Social Banking (Basisfinanzdienstleistungen) stärken
und ausbauen

‣ Banken müssen daher stärker als bisher Vertrauen auch bei der Gruppe der
   einkommensschwachen Haushalte aufbauen, am besten noch bevor diese in manifeste
   Armut hineinrutschen. Denn gerade rechtzeitige, beratende Begleitung hinaus aus der
   Verschuldungsfalle durch Überschuldung und Zahlungsrückstände könnte hier hohe
   positive Effekte erzielen.

‣ Andererseits haben meist diejenigen Haushalte, die bereits in Armut leben, gar keinen
   Zugang zu Finanzdienstleistungen (mehr) – hier braucht es seitens der Finanzinstitute
   Reaktivierungsmaßnahmen zur Wiedereingliederung in das wirtschaftliche und
   gesellschaftliche Leben. Den Überblick über die Finanzsituation zu schaffen, ein
   Kontozugang, niedrige Kosten und Beratung in finanziellen Angelegenheiten sind hier




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wichtige Aufgaben. Dies passiert in Österreich unter anderem mit dem Zweite Sparkasse
   Konto der Erste Bank und Sparkassen, oder dem Neue-Chance Konto der BAWAG.

‣ Im Bereich der Mikrokredite besteht in Österreich seitens des BMASK die Initiative
   Personen ohne Eigenkapital oder Sicherheiten finanziell zu unterstützen. Mit
   Kleinstkrediten werden Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus unterstützt,
   die aktiv Arbeitsplätze schaffen. Seit Mai 2010 wurden 105 Kredite vergeben, wobei sich
   bereits jetzt, nach eineinhalbjähriger Laufzeit zeigt, dass aufgrund eingesparten
   Arbeitslosengeldes und regelmäßiger Ratenrückzahlungen die öffentliche Förderung sich
   zu etwa der Hälfte selbst finanziert (mit laufend verbessernder Relation).

‣ Nicht übersehen werden darf, dass auch ein Teil der einkommensschwachen Haushalte,
   wenn auch in geringem Ausmaß, Vermögen (Geld, Immobilien) hat. Verantwortungsvolles,
   nachhaltiges Bankgeschäft sollte gerade diese Zielgruppe dabei unterstützen ihr weniges
   Vermögen optimal zu verwalten.

‣ Unbedingt notwendig für die Wirksamkeit der genannten Maßnahmen: die
   Zusammenarbeit von Staat, Sozialeinrichtungen und Banken. Die Banken verfügen über
   den Erfahrungsschatz hinsichtlich des Umgangs mit Geld und werden von vielen
   Menschen als Anlaufstelle genutzt.
   Sozial verantwortungsvoll agierende Banken sollen dem Sicherheitsbedürfnis ihrer
   KundInnen entgegen kommen, indem sie rechtzeitig finanzielle Schwierigkeiten bei ihren
   Kunden identifizieren, sozial verantwortungsvolle Produkte anbieten, vertrauensvoll
   beraten und ihre Arbeit transparent machen.

‣ Auch und vor allem sozial benachteiligte Personen sollen also die Chance haben
   gemeinsam mit erfahrenen Partnern wie der Bank und der Beratungsstelle ihre
   finanziellen Angelegenheiten zu organisieren und zu regeln. Armut darf keine
   unumkehrbare Einbahnstrasse sein, sondern kann durch gemeinsames Handeln
   überwunden werden.

Bewusstseinsbildung statt Stigmatisierung: Vernetzt und zielgruppengerecht

‣ Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen oder der Gang in den Sozialmarkt werden von
   den Betroffenen mit Scham und Hilflosigkeit erlebt. Das Tabuthema Armut muss daher
   einen anderen Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen und nicht ursachen-
   sondern lösungsorientiert diskutiert werden. Die Empfehlungen von OECD, EU und
   Sozialeinrichtungen hinsichtlich Social Banking, Finanzieller Partizipation und Financial
   Literacy sind in den nationalen Kontext zu stellen und daraus Maßnahmen zu entwickeln.
   Experten aus den verschiedenen Bereichen sollen ihre Erfahrungen, ihr Wissen und die
   Möglichkeiten zur Umsetzung der Maßnahmen bündeln um effektiv zu arbeiten.




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‣ Die Zusammenarbeit und Vernetzung von Beratungsstellen, Behörden und
   Finanzinstitutionen soll dazu beitragen, die von Armut bedrohten bzw in Armut lebenden
   Personen zu erreichen und ihnen die benötigten Informationen und Dienstleistungen
   zukommen zu lassen um nachhaltig einen Beitrag zur Verbesserung ihrer persönlichen
   Lebenssituation zu leisten. Dazu ist die finanzielle Grundbildung aller ein wesentlicher
   Bestandteil.

‣ Wichtig dabei: Es sind nicht nur die Einkommensschwächsten, die mangelhafte finanzielle
   Bildung haben. Gerade die Jüngeren weisen besondere Lücken in der finanziellen
   Allgemeinbildung auf (40 Prozent der Befragten der Erste Bank Studie zum Finanzwissen
   der ÖsterreicherInnen meinen, Kinder und Jugendliche würden zu wenig zum Thema
   Geld lernen). Auch hier haben die Banken eine hohe Mitverantwortung, diese
   Bildungslücken zu beseitigen. Maßnahmen wie Schulungen, Vorträge und die
   Breitstellung von Informationsmaterial sollen in Zusammenarbeit mit verschiedenen
   Bildungseinrichtungen besonders viele Menschen aus allen Bevölkerungsschichten
   erreichen. Auch dies ist ein wesentlicher Beitrag dazu, finanzielle Probleme rechtzeitig zu
   erkennen bzw von vornherein zu vermeiden.




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1. Fragestellung und Methodik

Fragestellung

‣ Unvermögen in Österreich?
Das Thema Geld ist in Österreich weitestgehend tabuisiert. Die Probleme, die aus Armut,
finanzieller Ausgrenzung, finanziellem Unwissen und einem erschwerten Zugang zu
Finanzmitteln, etwa bei Unternehmensgründungen, entstehen, bleiben damit vielfach
verschleiert – diese Probleme werden in vorliegender Studie unter dem Schlagwort des
„Unvermögens“ zusammengefasst.

‣ Social Banking / Mikrofinanzierung als eine der wichtigen Antworten darauf
Ein wichtiger Ansatz zur Verminderung dieses „Unvermögens“ liegt im social banking bzw in
einem weiter gefassten Begriff der Mikrofinanzierung. Dieses umfasst folgende Bereiche:
- Basisfinanzdienstleistungen werden allen zur Verfügung gestellt
- finanzielle Allgemeinbildung, und somit das Wissen über den Umgang mit Geld, werden
   besser vermittelt.
- Mikrokreditdarlehen geben Menschen aus prekären Existenzen die Chance aus eigener
   Anstrengung heraus wieder den Einstieg ins Erwerbsleben zu schaffen

‣ Statistische Analyse und Volkswirtschaftliche Effekte
Wer aber genau sind die Zielgruppen für derartiges social banking in Österreich, was weiß man
über ihr Finanzverhalten, ihre Zugangsmöglichkeiten, ihre finanzielle Situation? Und welche
Auswirkungen hat es eigentlich Finanzinstrumente für diese Zielgruppen auszubauen und zu
entwickeln – ist es nur eine Frage der sozialen Verantwortung oder können auch
weiterreichende volkswirtschaftliche Effekte identifiziert werden?

Diesen Fragen wird in der vorliegenden Studie systematisch auf den Grund gegangen.


Methode

‣ Literatursurvey
Im ersten Teil des Working Papers wird die internationale Literatur zu Fragen des Finanziellen
Zugangs, der Financial Literacy und der Mikrokreditfinanzierung in entwickelten Ökonomien in
ihrer Relevanz für die österreichische Fragestellung reflektiert. Besondere Betonung liegt dabei
auf der Frage, welche Bedeutung die jeweiligen Themen für die Volkswirtschaft insgesamt
haben.




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‣ Volkswirtschaftliche Effekte müssen sinnvollerweise auf Mikroebene analysiert werden
Die EZB (2009, 7) weist richtigerweise darauf hin, dass viele Fragen der wirtschaftlichen
Dynamik nur unzureichend beantwortet werden können, wenn nur volkswirtschaftliche
Aggregate analysiert werden.
So werden der private Konsum, das private Sparen und das Vermögen der Haushalte stark von
individuellen Lebenseinkommenserwartungen sowie von demographischen und
sozioökonomischen Indikatoren getrieben. Um daher ihre Entwicklungen und die Effekte von
Mikrofinanzierung auf diese volkswirtschaftlichen Gesamtgrößen richtig einzuschätzen, bedarf
es Mikrodaten über das einzelne Haushaltsverhalten.

‣ EU-SILC Sondererhebung zu Finanzverhalten
Im empirischen Teil werden daher die Österreich-Daten von EU-SILC auf die genannten
Themen hin näher analysiert. Im Jahr 2008 gab es seitens EU-SILC eine Sondererhebung zu
Verschuldung und Finanzverhalten der Haushalte. Diese wird hier genauer dargestellt – unter
der Annahme, dass sich seither an den strukturellen Fragen nichts Wesentliches geändert hat,
lassen sich daraus dann Handlungsempfehlungen ableiten.

‣ Struktur der Arbeit
Das Paper, das somit eine Vielzahl von Aspekten umfasst, wurde schlussendlich so gegliedert,
dass zunächst zu den drei Bereichen des social bankings internationale Erfahrungen,
ökonomische Analysen, und in der Literatur genannte Handlungsempfehlungen dargestellt
werden (Kapitel 2 bis 4). In Kapitel 5 wird dann für alle drei Bereiche zusammen auf die
spezifische österreichische Situation eingegangen, anhand statistischer Analysen und best
practices.




Erste Bank Unvermögen                                                 Seite 8
2. Financial Access - (Un)Vermögen an Teilhabe
In Kürze zusammengefasst…

In OECD Ländern ist die finanzielle Infrastruktur (Banken, Versicherungen, etc) im
Allgemeinen recht gut ausgebaut. Dennoch zeigt sich auch in diesen entwickelten
Ökonomien, dass einzelne soziale Gruppen, wie einkommensschwachen Personen,
AlleinerzieherInnen, MindestpensionsbezieherInnen und MigrantInnen, nur unzureichend
am Finanzalltag teilhaben können, da ihnen die Basisinstrumente wie Konto oder
Versicherung fehlen. Der Zugang zu solchen Finanzdienstleistungen ist aber notwendig für
die Teilhabe am Wirtschafts- und Gesellschaftsleben. Dennoch haben laut EU-Kommission
30 Mio EU-BürgerInnen kein Girokonto.

Wird dieser Zugang ermöglicht oder erleichtert, entstehen für die Einzelnen Vorteile – etwa
durch Entstigmatisierung bei der Arbeitsplatzsuche oder durch geringere
Geldtransferkosten. Es werden aber auch der Sozialstaat und die Volkswirtschaft entlastet,
indem finanzielle Teilhabe hilft, aus prekären Lebensumständen herauszufinden, womit
wiederum hohe Sozialleistungen eingespart werden können. Der Wirtschafts- und
Finanzstandort profitiert, indem der verantwortungsvollere Umgang jedes einzelnen mit
Geld Stabilität für alle bedeutet. Die finanzielle Teilhabe aller ist somit ein wichtiger Schritt
zur Armutsbekämpfung, wirkt wachstumsstärkend und ist verteilungsgerecht.

Nicht zu vergessen: Die flächendeckende Verbreitung von Basiskonten spart erhebliche
Transaktionskosten im Geldverkehr – laut einer aktuellen Studie könnten in der EU so 220
bis 460 Mio jährlich eingespart werden.

Um den Zugang zu Finanzdienstleistungen zu verbessern braucht es kundInnennahe und
zielgruppenspezifische Beratung (es macht jeweils einen Unterschied, ob Jugendliche, junge
Familien, Arbeitslose, GründerInnen oder andere beraten werden) – persönlich und, wo
angebracht, durch die Unterstützung neuer Medien. Es muss dabei klar sein, dass es sich
vielfach um besonders betreuungsintensive KundInnengruppen handelt.

Auch die Zusammenarbeit von Politik, Finanzdienstleister und Beratungsstellen hat einen
hohen Stellenwert.

Internationale Erfahrungen und Empfehlungskataloge weisen in die Richtung, dass das
Angebot bestmöglich flächendeckend zur Verfügung gestellt werden sollte, keine
Vorbehalte gegenüber bestimmter Gruppen bestehen sollten und sich die Finanzdienstleister
einem (meist freiwilligen) Verhaltenskodex verpflichten sollten.

Eine wesentliche Ansprechpartnerin muss dabei die Hausbank sein – hier besteht ja bereits
oft eine langjährige, vertrauensvolle Beziehung. Die rechtzeitige und umfassende
Information bei finanziellen Problemen, Diskretion und eine unkomplizierte Kooperation mit
anderen (Beratungs-) Einrichtungen sind hier wichtige Erfolgsfaktoren.




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Zugangsprobleme zu Finanzdienstleistungen

‣ Zugang zu Finanzdienstleistungen ist wesentlich für Teilhabemöglichkeiten
Der Zugang zu Finanzdienstleistungen ist notwendig für die Teilhabe am wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Leben jedes Bürgers. Der alltägliche Zahlungsverkehr sowie Lohnzahlungen
und das Sparen laufen über das Girokonto auf der Bank. Fällt der Zugang zu dieser
Dienstleistung weg, da das Konto entweder gar nicht vorhanden oder gesperrt bzw entzogen
ist, werden alle Geldgeschäfte schwer zu organisieren und erheblich verteuert.

‣ Mangelnder Zugang in Entwicklungsökonomien …
Ein erschwerter Zugang zu Finanzdienstleistungen besteht jedenfalls in Regionen mit
schwacher Finanz-Infrastruktur und in Ländern mit generell schwachen Bankensystemen.
Vielfach entstehen die Barrieren hier nicht erst aufgrund einer allfällig schwachen
sozioökonomischen Situation der KundInnen, sondern weil die Menschen schlicht und einfach
zu wenig über das Finanzsystem Bescheid wissen, und keine Finanzdienstleister in ihrer
unmittelbaren Umgebung haben.

‣ … aber auch in OECD-Ländern
Für die OECD-Staaten gelten diese schlechten Vorbedingungen nicht: Diese Staaten verfügen
über ein stabiles Bankensystem mit langer Tradition und ausreichend Erfahrung im
Finanzgeschäft, die BürgerInnen verstehen diese Institutionen auch als wichtigen Teil des
Systems.
Zugangshindernisse gibt es aber dennoch: auf Grund der sozialen Stellung und/oder der
Einkommenssituation. Finanzielle Ausgrenzung von Menschen mit niedrigen Einkommen (die
häufig auch als „Risikokunden“ bezeichnet werden), lässt sich daher auch in Ländern mit hoher
Finanzleistung und einem gut entwickelten Bankensystem identifizieren. Hier ist also der
erschwerte Zugang zu Finanzdienstleistungen für einkommensschwache oder
einkommenslose Personengruppen vor allem ein soziales Phänomen.

‣ Es geht nicht nur um Zugang, sondern auch um Nutzung
In der Fachliteratur (Claessens, 2006) wird zwischen dem Zugang und der Nutzung von
Finanzdienstleistungen unterschieden. So kann eben seitens der Anbieter scheinbar
„unerwünschten“ Kunden der Zugang zu Finanzdienstleistungen verwehrt werden. Hier liegt es
an den Finanzdienstleistern mögliche eigene Vorurteile zu überwinden und den Wert der
Bearbeitung auch dieses Geschäftsfeldes und dieses Kundenkreises zu erkennen.

Die Frage der Nutzung von Finanzdienstleistungen hingegen geht von der Sicht des
potenziellen Kunden aus: Finanzdienstleistungen werden nicht in Anspruch genommen, weil
etwa die Gebühren als zu hoch empfunden werden, weil zu wenig Auswahlmöglichkeit
zwischen einzelnen Leistungen und Dienstleistern besteht und KundInnen ein gewisses




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Misstrauen gegenüber dem Bankensystem hegen können (Claessens 2006, 214). Hier kann
seitens der Bankdienstleister aktiv gegengesteuert werden um die Nutzung zu heben.

‣ In den wenigsten Ländern gibt es Regelungen für Basisfinanzdienstleistungen und
   Mikrofinanzierung
In Österreich gibt es ebensowenig wie in Deutschland und der Mehrzahl der anderen EU-
Länder ein Gesetz, das den Zugang zu Finanzdienstleistungen garantiert bzw eine
diesbezügliche Verpflichtung der Finanzdienstleister formuliert. In etwa der Hälfte der EU-
Länder gibt es aber gesetzliche Regelungen über einen prinzipiellen Zugang zu
Finanzdienstleistungen ebenso wie Regelungen für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe, die
sorgfältige Information, Beratung und Betreuung und ausreichende Sicherheiten vorsehen.

Zu diesen Ergebnissen kommt eine von der EU Kommission beauftragte europaweit
vergleichende Studie (FES 2006). Laut dieser Studie werden die Rahmenbedingungen vor allem
in Belgien, Schweden und der Schweiz als gut beurteilt.


Zugang zu Finanzdienstleistungen – wachstumsstärkend und
verteilungsgerecht
‣ Privater und gesellschaftlicher Nutzen eines verbesserten Zugangs
Weltweit setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass ein verbesserter Zugang zu
formellen Finanzdienstleistungen sowohl den privaten als auch den gesamtgesellschaftlichen
Nutzen erhöht. Es hat sich gezeigt, dass eine Ausweitung der Zugangsmöglichkeiten das
Wirtschaftswachstum erhöht und die Einkommensverteilung ausgleicht. Gerade ärmere
Gruppen würden überproportional von derartigen Finanzmarktentwicklungen profitieren 1 , ihre
Möglichkeiten der wirtschaftlichen Teilhabe werden dadurch deutlich erhöht, was wiederum
Einkommenssteigerung und wirtschaftliches Wachstum mit sich bringt (siehe auch Yunus
2008).

Auch die Europäische Kommission betonte im Rahmen ihrer Kampagne 2010 gegen Armut die
Notwendigkeit grundlegender Dienstleistungen:

    Viele Europäer - und vor allem die von Armut betroffenen Bürger – haben derzeit keinen
    Zugang zu den grundlegenden Finanzdienstleistungen, Einlagen- und Girokonten sowie
    Spar-, Kredit-, Versicherungs- und Zahlungsleistungen. Der Zugang zu
    Finanzdienstleistungen ist für die wirtschaftliche und soziale Integration der Bürger in der
    heutigen Gesellschaft unabdingbar. Er ist eine Grundvoraussetzung für Beschäftigung,
    Wirtschaftswachstum, Abbau von Armut und soziale Eingliederung. (Europäische
    Kommission 2010b).


1 There is a growing recognition that increasing access to formal financial services has both private and social benefits.
Extending the breadth of financial service availability in a given population causes economic growth and can improve
income distribution. And the poor benefit disproportionately from financial development. (Weltbank 2005, 1)




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‣ Mangelnder Zugang erzeugt für die Einzelnen hohe Kosten ...
Armut und die daraus resultierenden Zugangsbarrieren hindern
Menschen daran, am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben voll integriert
teilzunehmen: Ohne Basiskontoleistungen sind alltägliche Geldtransaktionen teurer (World
Bank 2011, 10), da nicht nur Einkäufe, sondern beispielsweise auch Gebühren für Wasser und
Strom mit Erlagschein zu entrichten sind. Dies kostet nicht nur Zeit, sondern meist auch
zusätzlich höhere Bankgebühren.

Das Fehlen eines Gehaltskontos wiederum kann beispielsweise den Zugang zu einer
Arbeitsstelle erschweren und erzeugt Stigmatisierung, beeinträchtigt damit ebenfalls
(Wieder-)Einstieg und Teilhabe am Wirtschaftsleben.

‣ … deren Vermeidung im gesamtwirtschaftlichen Interesse ist ...
Somit können mehrere positive Effekte durch die Ermöglichung eines verbesserten Zugangs zu
Finanzdienstleistungen identifiziert werden:
- Die Bereitstellung eines Basiskontos für Menschen, denen ein „normales“ Konto verwehrt
   wird, bedeutet, sie in ihrem privaten als auch produktiven Leben zu unterstützen.
- Ein weiterer positiver Effekt der Partizipation am Finanzleben ist die Ermöglichung den
   verantwortungsvollen Umgang mit den eigenen Finanzen zu erlernen und zu verbessern.
- Zudem entspräche diese sozial verantwortliche Bereitstellung von Finanzdienstleistungen
   auch der gerade in letzter Zeit öfters formulierten Notwendigkeit der Rückbesinnung der
   Finanzdienstleister auf das traditionelle Bankgeschäft: Der Mensch und die Realwirtschaft
   stehen im Mittelpunkt, diese Strategie sichert zudem nachhaltig den Finanzstandort ab.

‣ … wie auch eine aktuelle EU-Studie zeigt
2010 wurde im Auftrag der Europäischen Kommission eine Kosten-Nutzen-Analyse eines
Basiskontos veröffentlicht (CSES 2010). Es wird dabei nach KonsumentInnen, Banken und
anderen Stakeholdern unterschieden.

Für KonsumentInnen ist das flächendeckende Angebot angesichts der eben dargestellten
Kosten jedenfalls mit hohem Nettonutzen verbunden. Die Kommission schätzt, dass dieser pro
KonsumentIn bei 315 Euro im Jahr liegt: Den Kontoführungsgebühren steht an Nutzen
gegenüber

-   keine Scheckeinlösungsgebühren,
-   keine Barüberweisungsgebühren,
-   Diskont bei elektronischer Zahlungsweise
-   und online Diskonte.

Die wichtigsten „anderen Stakeholder“ sind Staat und Versorgungsunternehmen: Da diese bei
Ein- und Auszahlungen ohnehin bereits die Infrastruktur des bargeldlosen Zahlungsverkehrs
haben, gibt es kaum mehr Grenzkosten eines zusätzlichen Kundenkontos. Hingegen ist
Barzahlung mit hohen (und aufgrund der Seltenheit steigenden) Transaktionskosten verbunden.




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In Summe wird in der CSES-Studie für die gesamte EU ein Nettonutzen von flächendeckenden
Basiskonten für die Stakeholder zwischen 226 und 463 Millionen Euro geschätzt.



Wie kann der Zugang zu Finanzdienstleistungen verbessert werden?

Empfehlungen der Europäischen Kommission

‣ Die Europäische Kommission nennt Instrumente eines verbesserten Zugangs
30 Millionen EU-BürgerInnen haben kein Girokonto. Angesichts dieser Tatsache hat die
Europäische Kommission das Projekt FES (Financial education and better access to adequate
financial services) ins Leben gerufen, im Rahmen dessen Strategien zur Verbesserung des
Zugangs zu Finanzdienstleistungen erarbeitet werden sollen (Europäische Kommission 2011).
Diese umfassen im Wesentlichen den (gesetzlich verankerten) Zugang zu einem Basiskonto
sowie die (gesetzliche) Regelung für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe und die
Ermöglichung der Verfügbarkeit von Sozialkrediten.

‣ Funktionen eines Basiskontos
Als „Basiskonto“ wird dabei ein Konto mit grundlegenden Zahlungsfunktionen verstanden. Das
heißt, es soll alle alltäglich notwendigen Dienstleistungen ermöglichen, wie kostenlose oder
kostengünstige Transaktionen und eine Bankomatkarte, jedoch ohne Überziehungsmöglichkeit.
Die Kommission beabsichtigt entsprechende Initiativen auch auf EU-Ebene zu fördern und zu
unterstützen.


Best Practice 2 : Belgien
In Belgien wird per Gesetz seit 2003 im Rahmen der Armutsprävention jeder/m BürgerIn ein
Bankkonto mit Basisfunktionen zur Verfügung gestellt.
Dieses war zunächst über einen freiwilligen Verhaltenskodex der Finanzdienstleister zu
Mindestfinanzdienstleistungen geregelt. Bald zeigte sich aber, dass von Seiten der Anbieter
offenbar zu große Vorbehalte gegenüber einkommensschwachen Personengruppen
herrschten.
Daher entschied man sich für eine verbindlichere Lösung und verabschiedete ein Gesetz über
den Zugang zu Konten mit Basisfunktion.

2005 wurde dieses evaluiert: Die Zahl der Menschen ohne Zugang zu einem Basiskonto war
um 75 Prozent gesunken – von 40.000 auf 10.000!
2007 kam es abermals zu Reformen um die Informationstätigkeit zu erweitern, die Daten
transparenter zu machen und bisher Ausgeschlossene, nämlich hoch überschuldete Personen,

2In internationalen Vergleichen werden regelmäßig auch die positiven Maßnahmen in Österreich erwähnt, die den
Zugang zu Finanzdienstleistungen für Menschen mit niedrigem Einkommen schaffen. Diese werden im Österreich-
Kapitel dieser Studie (Kapitel 5) eingehend dargestellt.




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ebenfalls in die Maßnahmen zu inkludieren.

Eine nachfolgende Evaluierung danach zeigte ein weiteres Erfolgsindiz: 93 Prozent der
Auflösungen des Basiskontos erfolgten auf Wunsch des Kunden bzw weil zwischenzeitlich ein
„normales“ Konto eröffnet werden könnte.
Das Programm ist im übrigen ohne öffentliche Zuschüsse tragfähig.


‣ Verantwortungsvolle Kreditvergabe
Laut den Empfehlungen der Europäischen Kommission geht es bei der „verantwortungsvollen
Kreditvergabe“ darum, Standards, Normen und Kosten für die Gewährung von Krediten
festzusetzen sowie neue Registrierungssysteme, die auch die Finanzdienstleister erfassen, zu
erstellen.
KonsumentInnen sollen „faire“ Finanzprodukte angeboten bekommen.
In der Folge müssen natürlich auch Sanktionsmaßnahmen bei Nichteinhaltung dieser Standards
festgelegt werden.

Finanzgeschäfte erfordern ein gewisses Maß an Vertrauen zwischen Kreditnehmern und
Finanzdienstleistern. Aus Sicht der Kommission sollte es daher Ziel sein, einen Verhaltenskodex
für beide Seiten zu erstellen, um diese Vertrauensbasis und die Geschäftsbeziehung insgesamt
positiv zu beeinflussen.

‣ Verbesserte Verfügbarkeit eines Sozialkredits
Sozialkredite, Mikrokredite, Kleinstkredite – sie alle sind Darlehen, die als Starthilfe für Personen
mit eingeschränktem Zugang zu den regulären Finanzinstrumenten dienen sollen. Begleitet von
Beratungseinrichtungen wird somit eine Hilfe zur Selbsthilfe geleistet. Notwendig dabei: die
verbesserte Information über Finanzdienstleistungen und die beratende Begleitung während
des finanzierten Projekts.
Eine genauere Analyse hierzu findet sich in Kapitel 4 – Mikrokredite.

Verbesserungen im Umfeld der Finanzdienstleistungen

‣ Nicht nur Bank-, sondern auch Versicherungsleistungen bedenken
In der Praxis zeigt sich, dass KundInnen von sozial motivierten Finanzprodukten, wie
Basiskonten und Mikrokreditfinanzierungen, häufig auch hinsichtlich ihres
Versicherungsschutzes und ihrer Versicherungsprodukte Unterstützung benötigen. So steht
den wenigsten Personen in dieser Zielgruppe eine Unfall- oder Haushaltsversicherung oder gar
eine Rechtsberatung zur Verfügung.
Eine höhere Sicherheit und besser geregelte Verhältnisse in den persönlichen
Lebensumständen stabilisieren aber auch die Finanzgebarung – und umgekehrt. Deshalb ist es
durchaus auch im Sinne des Finanzinstituts derartige Produkte in einer Basisversorgung mit
anzubieten.




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‣ Sparverhalten auch der schwächeren Einkommensgruppen fördern
Wenn Menschen mit niedrigen Einkommen zwar über kein übermäßiges Sparvolumen
verfügen, so ist es doch sinnvoll und nachhaltig einem etwaigen Sparwillen auch dieser
KundInnen entgegenzukommen und diesen zu fördern (man denke etwa an die gerade in
Österreich beliebte Form des Bausparens). Durch kundenspezifisch angepasste
Ansparmodalitäten können so auch KundInnen mit einem Basiskonto für zukünftige Projekte
Geld ansparen.

‣ Information über (soziale) Finanzdienstleistungen verbessern
Damit potenzielle KundInnen einen verbesserten Zugang zu niedrigschwelligen
Finanzprodukten bekommen bzw diese in höherem Ausmaß nutzen, brauchen sie gute,
glaubwürdige und umfassende Information.
Ein wesentlicher Ansprechpartner ist hier die Hausbank – im Idealfall bereits vor Verlust eines
Kontos. Auch regionale oder spezifische Beratungsstellen können eine wichtige Rolle spielen.
Notwendig: Alle Erstanlaufstellen und die Anbieter von Finanzdienstleistungen müssen
möglichst reibungsfrei und unkompliziert zusammenarbeiten.
Diskretion muss hier selbstverständlich, ebenso wie im konventionellen Bankgeschäft, oberste
Priorität haben: Gerade in einkommensschwächeren Gruppen kann die Auskunft über die
persönliche finanzielle Lage rasch als unangenehm empfunden werden. Es muss daher auf eine
gute Balance zwischen Vertrauen und Anonymität geachtet werden: Kundennahe
Regionalbanken können einerseits als Anlaufstelle des Vertrauens anerkannt werden, jedoch
kann es auch zu vermehrter Scheu führen, wenn KundInnen auf Grund persönlicher
Bekanntschaft ihre Anonymität nicht gewahrt sehen.

‣ Sprach- und Kulturschwellen berücksichtigen
In vielen europäischen Ländern mit großer Zuwanderungsrate, wie Spanien und Frankreich,
haben die Finanzdienstleister ihre Produkte auch auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppe
abgestimmt.
Bei einkommensschwachen Personen mit Migrationshintergrund treten zusätzliche Barrieren
auf: Unwissenheit über das ansässige Bankenwesen, Kulturunterschiede im Lebensstil und
Umgang mit Geld sowie häufige Diskriminierung erfordern einen besonders sensiblen Umgang
mit dieser Personengruppe. Das Bewusstmachen und Wissen über eventuelle spezielle
Bedürfnissen oder kulturelle Unterschieden trägt oft schon dazu bei, den Zugang zu sozial
motivierten Finanzprodukte zu erleichtern.

‣ Technologische Rahmenbedingungen schaffen
Die Nutzung elektronischer und neuer Medien ist auch im Finanzdienstleistungssektor für (vor
allem junge) KundInnen schon selbstverständlich geworden (siehe hierzu auch Streissler 2010,
26f). Das Internet bietet dem Bankinstitut die Möglichkeit sich zu präsentieren und seine
KundInnen zu informieren. Dieser Anspruch sollte auch gegenüber KundInnen eines
Basiskontos gelten.




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Dabei geht es weniger um die Kontoführung über das Internet, sondern vor allem um die
Information über das spezielle Angebot eines Basiskontos. Gerade die elektronische
Erstinformation, sofern diese nicht über eine Beratungsstelle läuft, ist für potentielle
NutzerInnen eine diskrete und einfache Möglichkeit, sich einen Überblick zu schaffen (wobei
dies stärker auf jüngere Erwachsene und Menschen mit höherem Bildungsniveau zutreffen
dürfte). Zudem hebt die Präsenz im Internet das Angebot eines Basiskontos auf eine Stufe mit
den „normalen“ BankkundInnen.

Wichtig: Auch wenn das Internet einen zunehmend wichtiger werdenden Informationskanal
darstellt, darf es keinesfalls aus einziges Kommunikationsmedium verwendet werden. Nicht alle
KundInnengruppen sind ans Internet angebunden bzw wissen es zu nutzen und gerade
„schwierige“ Zielgruppen brauchen die persönliche, vertrauensaufbauende und -pflegende
Ansprache.

‣ Vernetzung mit anderen Akteuren
Bei der Bereitstellung von Finanzdienstleistungen als Maßnahme gegen Verschuldung und
Armut sind nicht nur die Finanzinstitute gefordert. Ebenso muss es Aufgabe der Politik sein, die
notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Zivilgesellschaft mit ihren
Hilfsorganisationen spielt beratend und unterstützend eine wichtige Rolle. Und natürlich
braucht es Finanzdienstleister, die derartige niederschwellige, sozial motivierte Finanzprodukte
anbieten.
Je besser vernetzt diese Akteure zusammenarbeiten, um so höher wird auch der soziale und
wirtschaftliche Nutzen dieser Maßnahmen sein.




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3. Mikrokredite – (Un)Vermögen an
Zukunftschancen

In Kürze zusammengefasst...

Als Hilfe zur Selbsthilfe sind Mikrokredite (mit Kreditvolumen von weniger als 25.000 Euro)
zu sehen, die der Existenzgründung und -sicherung dienen. Der Zugang zu diesen sozial
motivierten Kleinstdarlehen gepaart mit der eigenen Leistungsbereitschaft ermöglicht
prekarisierten Personen einen Neustart.

Mikrokredite erzielen Wohlfahrtseffekte für die Einzelnen, wenn dadurch die
Unternehmensgründung realisiert werden kann, eine Weiterbildung finanziert wird oder eine
wichtige Anschaffung wie ein Auto gemacht werden kann. Der Sozialstaat profitiert, wenn
Menschen keine staatlichen Leistungen mehr in Anspruch nehmen müssen. Und positive
Standorteffekte für Wirtschaft und Finanz ergeben sich aus Betriebsgründungen, der daraus
folgenden Steuerleistungen und der positiven Beschäftigungsbilanz.

Fallbeispiele zeigen deutlich die positiven Auswirkungen von Mikrokrediten auf
Wirtschaftsstandort und sozialen Zusammenhalt: Die Erfolgsquote, gemessen am
dauerhaften Herauskommen aus der Arbeitslosigkeit durch das kreditfinanzierte
Unternehmen, liegt bei ca 40 bis 50 Prozent. Pro erfolgreicher Neugründung aus der
Arbeitslosigkeit entstehen zwei bis drei neue Arbeitsplätze, Mikrokredite stellen dabei
insbesondere für Frauen ein wichtiges Unterstützungsinstrument bei der Gründung dar.

Mikrokredite können durch staatliche Programme zur Verfügung gestellt werden, aber auch
durch Banken und Private, wie Organisationen und Vereine. Auch die Europäische
Kommission hat im Rahmen des EFS-Konjunkturpaktes mehrere Programme ins Leben
gerufen, die Mikrokredite in Kooperation mit Banken vergeben. Der Beitrag von social
banking zur Bekämpfung von Armut, regionaler Diskriminierung und wirtschaftlichem
Abstieg wird dabei besonders hervorgehoben.

Derartige Mikrokredite haben als Zielgruppe finanzschwache Menschen, die sonst keine
Chance auf einen regulären Kredit bei der Bank hätten. Umso mehr sind auch in diesem
Bereich die Regeln einer verantwortlichen Kreditvergabe sowie die umfassende Begleitung
und Beratung der Kreditnehmer gefragt.
Ein Kostenüberblick, ein Budgetplan sowie geringe Bearbeitungsgebühren sind Bestandteil
sozialen Mikrokreditinstrumente, die auch flexibel auf Veränderungen des Marktes, aber
auch der Kundenbedürfnissen und Rahmenbedingungen reagieren können müssen.
Und schließlich gilt es die Programme regelmäßig hinsichtlich ihrer sozialen Ausrichtung und
ihrer wirtschaftlichen Effektivität zu monitoren und evaluieren.




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Mikrokredite als Hilfe zur Selbsthilfe

‣ Was sind Mikrokredite?
Mikrokredite sind Kleinstkredite für Menschen mit niedrigem Einkommen. Sie dienen der
Existenzgründung- und Sicherung oder sollen helfen beispielsweise eine Aus- und
Weiterbildung (mit) zu finanzieren. In der EU ist der Schwellenwert des Kreditvolumens,
unterhalb dessen ein Kredit als Mikrokredit gilt, 25.000 Euro.

Niedriges Einkommen, ungesicherte Lebensverhältnisse hinsichtlich Wohnsituation oder
Aufenthaltsstatus oder auch die Tatsache, dass man von Kreditinstituten bereits negativ
registriert wurde (auf einer „Schwarzen Liste“ steht) – sie alle können dazu führen, dass der
Zugang zu „normalen“ Krediten erschwert ist. Hier gibt es also einen weiteren Bedarf nach
sozial motivierten Finanzprodukten.

‣ Hilfe zur Selbsthilfe
Mikrokredite können für die KreditnehmerInnen den Ausweg aus der prekären Lebenssituation
und einen Neustart in ein geregeltes Leben bedeuten. Sie sind als Startunterstützung, als Hilfe
zur Selbsthilfe zu sehen – letztendlich braucht es immer den eigenen Einsatz und die
persönliche Anstrengung, um den Weg beispielsweise aus der Armut wieder herauszufinden.

‣ Als Instrument der Entwicklungshilfe ausgezeichnet, trotz Probleme
Mikrokredite sind vor allem als Instrument der Entwicklungshilfe bekannt, nicht zuletzt durch
Muhammad Yunus, der für den Aufbau der Grameenbank, die Mikrokredite an Arme in
Bangladesh vergibt, den Friedensnobelpreis 2006 erhielt. Die mit der Zeit aufgetretenen und
bekannt gewordenen Probleme wie parallele Mikro-Kreditaufnahmen bei mehreren Instituten,
die Verringerung der lokalen Sparquoten und auch überhöhte Zinsen, zeigen die
Notwendigkeit, Mikrokreditprogramme und -instrumente sehr genau zu monitoren und
evaluieren.

‣ Aber auch in Europa als wichtiges Instrument vor allem für KMUs erkannt
Die Europäische Kommission hat sich zum Ziel gesetzt in allen europäischen Mitgliedstaaten
Mikrofinanzierungsinstrumente für Kleinunternehmen und Arbeitslose zu etablieren um positive
Beschäftigungseffekte zu erzielen und Arbeitsplätze zu schaffen.

Mikrokredit in Europa wird dabei vorrangig als Kleinstkredit an kleine und mittlere Unternehmen
verstanden– 99,8 Prozent aller europäischen Unternehmen sind derartige KMUs (mit weniger
als 250 Beschäftigten), 92 Prozent sind als Mikrounternehmen zu klassifizieren (mit weniger als
zehn Beschäftigten).
Insbesondere die Finanzkrise und die daraus resultierende Kreditklemmen und -verschärfungen
haben die Notwendigkeit von Mikrokrediten gerade für diese Zielgruppe der KMUs deutlich vor
Augen geführt:




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Zu den zentralen Problemen der KMU gehört ein eingeschränkter Zugang zu externen
   Finanzquellen. Dadurch sind ihre Möglichkeiten beeinträchtigt Investitionen zu
   finanzieren, Produktionskapazitäten zu erweitern sowie Produktivität und Löhne zu
   erhöhen. Der Mangel an Finanzmitteln wird häufig als Hindernis für das Wachstum von
   KMU genannt. (Brunner et al 2010, 7)

‣ Garantien und Fonds
Um die Mikrokredite zu fördern, gibt es mehrere Initiativen seitens der Europäischen
Kommission, so zB JEREMIE (Joint European Resources for Micro- to Medium Enterprises) und
JASMINE (Joint Action to Support Microfinance Institutions in Europe).

Weiters gibt es bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) im Rahmen des EFS-
Konjunkturpaketes einen Fonds, der mit 500 Mio Euro ausgestattet ist, der der finanziellen
Unterstützung zur Unternehmensgründung dienen und damit einen Beitrag zur Verbesserung
der Beschäftigungssituation leisten soll. Mikrokreditinstrumente in den verschiedenen
europäischen Ländern, so auch in Österreich, werden durch diesen Fonds unterstützt.

2011 wurde die European Progress Microfinance Facility ins Leben gerufen, wiederum mit EIB
und EIF (Europäischer Investitionsfonds), der als speziellen Fokus Personen mit
unzureichendem Zugang zu den Kreditmärkten hat. Er soll mit 100 Mio Euro dotiert werden
(davon 60 Mio EUR aus dem Programm PROGRESS und 40 Mio EUR aus den Margen des EU-
Haushaltsplans) und es wird erwartet, dass in den kommenden acht Jahren Mikrokredite an
45.000 europäische Kleinstunternehmen ausbezahlt werden (Europäische Kommission 2011a).

‣ Das European Microfinance Network - EMN
2003 wurde das European Microfinance Network (EMN) in Frankreich gegründet, das seither
die Mikrofinanzierung in der Europäischen Union durch Unterstützung bei Gründung von
Mikrounternehmen fördert. Ziel ist es einen Beitrag zum Kampf gegen Arbeitslosigkeit und
soziale Ausgrenzung zu leisten.
Finanziell und sozial ausgegrenzten Menschen soll der Zugang zu Finanzdienstleistungen
geöffnet werden um sie dabei zu unterstützen ihre Lebenssituation zu verbessern.
Zusätzlich veranstaltet das Netzwerk Lehrgänge sowie Konferenzen und informiert auf einer
umfangreichen Website (www.european-microfinance.org) über wichtige Themen des
Finanzsektors.




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Wohlfahrtseffekte von Mikrokrediten

Kurzfristige Effekte

‣ Konjunkturimpuls
Wenn über staatliche Förderung und/oder verbesserte Rahmenbedingungen zusätzliche
Kredite für neue Projekte vergeben werden, so wird dadurch zunächst einmal jedenfalls ein
Konjunkturimpuls ausgelöst, der positiv auf Konsum und Volkseinkommen wirkt (siehe zB auch
Buera et al 2011, 2): Neue Projekte und die sich daraus ergebenden Einkommen bringen eine
Erhöhung der Steuereinnahmen (Fiskalischer Effekt) und führen zu einer Stärkung der
niedrigeren Einkommen (Verteilungseffekt).

‣ Fiskalischer Effekt
Zahlt es sich also aus, öffentliche Gelder in derartige Programme zu investieren? Die
ökonomische Literatur ebenso wie die Veröffentlichungen der Europäischen Kommission
weisen eindeutig in diese Richtung.
Voraussetzung: Die Mehrzahl der Projekte ist erfolgreich, stellen also tatsächlich eine
nachhaltige Gründung aus der Arbeitslosigkeit dar.
Denn dann werden durch eine derartige Förderung gleichzeitig Kosten für den Sozialstaat
(insbesondere in der Arbeitslosenversicherung) eingespart und höhere Steuereinnahmen
erzeugt.

‣ Verteilungseffekte
Mikrokredite, die den Ausweg aus einer prekären Existenz bieten (etwa Gründungshilfen für
Arbeitslose) haben damit sowohl kurz- als auch langfristig positive Verteilungseffekte im Sinne
von vermehrter Teilhabemöglichkeiten.
Zielgruppe von Mikrokrediten sind Einkommensschwächere – die öffentliche Unterstützung
dieser Gruppe ist somit tendenziell eine Umverteilung von unten nach oben. Werden
gleichzeitig Konsummöglichkeiten (durch stabilere und höhere Einkommen) und
Produktionspotenzial (durch Aktivierung) in diesem Bereich gestärkt, so wirkt dies positiv auf
das gesamtwirtschaftliche Wohlstandsniveau.

‣ Notwendige Voraussetzung: Keine Verdrängungseffekte
Bei der Beurteilung öffentlich geförderter Projekte muss bei Mikrokrediten ebenso wie bei jeder
anderen Wirtschaftsförderung vor allem darauf geachtet werden, dass es zu keinen
Verdrängungseffekten kommt – das heißt, dass durch das neue geförderte Projekt bereits am
Markt ansässige, nicht-geförderte Unternehmen verdrängt werden. Es muss also unbedingt
vermieden werden, dass durch die Förderung bestehende Unternehmen in finanzielle
Bedrängnis kommen.

Anders als Mitnahmeeffekte (sprich: es wird etwas gefördert, was auch ohne Förderung
zustande gekommen wäre) sind Verdrängungseffekte nicht nur ineffektiv, sondern sie erzeugen




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auch eine negative Dynamik, wenn Mikrokreditprogramme zu Lasten ansässiger Unternehmen
gehen.

Langfristige Effekte

‣ Konjunktureffekte schwächen sich ab …
Mittel- und langfristig schwächen sich die Konjunkturimpulse eines
Mikrofinanzierungsprogramms ab, dennoch zeigen Buera et al (2011), dass die
Gesamtproduktivität der Wirtschaft (also quasi der nicht-erklärbare Wachstumseffekt) weiterhin
höher bleibt. Durch regionale Standortaufwertung und erhöhtes Angebot und somit
gesteigerter Nachfrage bleibt ein nachhaltiger Mehrwert erhalten.

‣ … aber es sollte wesentliche Struktureffekte geben
Vor allem aber sollten im Optimalfall Strukturveränderungen eingetreten sein.

Dies betrifft zum einen die Gründungsdynamik. Bereits 2003 stellte die Europäische
Kommission (DG Enterprise 2003) fest, dass Mikrokredite eine Marktlücke abdeckten, wo
bislang der Markt versagt hatte. So kann auch im Kleinstunternehmensbereich
unternehmerische Initiative gefördert werden.

Zum anderen wird durch mikrokreditgeförderte Unternehmen auch das Humankapital erhöht:
Auf jeden Fall bei den UnternehmerInnen selbst: Unternehmerische Kreativität ist ebenso
gefragt wie die Kompetenzen der sorgfältigen Unternehmensführung – Humankapital, das
auch in anderen Bereichen der Wirtschaft gut einsetzbar ist.

‣ Langfristige Beschäftigungseffekte
Die bislang evaluierten Fallbeispiele in Europa zeigen positive Beschäftigungseffekte (wie zB
beim Mikrofinanzierungsprojekt in Nordrhein-Westfalen, wo ca drei Vollzeitarbeitsplätze pro
Neugründung geschaffen wurden – siehe Infobox).
Über die Langfristigkeit dieser Beschäftigungsverhältnisse kann noch keine Aussage getroffen
werden, da die Programme selbst noch nicht lange laufen.
Die Bilanz ist aber positiv, da sie jedenfalls keine Arbeitsplätze vernichten (vorausgesetzt, es gab
keine Verdrängung wie oben beschrieben).

‣ Output auf höherem Niveau
Langfristig ist somit der Schluss zulässig, dass durch die allgemeine Output- und
Wachstumssteigerung im Zweit- und Drittrundeneffekt auch Löhne (und damit Preise) etwas
ansteigen werden, und dass damit das letztendliche Wohlstands-Niveau deutlich über dem
ursprünglichen liegt. Dieser Produktionsanstieg bedeutet auch, dass die Beschäftigung höher ist
und dass damit aufgrund der vermehrten und differenzierteren Beschäftigungsmöglichkeiten
auch die natürliche Arbeitslosigkeit sinkt.




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‣ Eine vorsichtige Quantifizierung volkswirtschaftlicher Effekte
Wird mit einem Mikrokredit ein Unternehmen gegründet und wird angenommen, dass dadurch
kein anderes, bereits bestehendes Unternehmen verdrängt wird, so entstehen positive Effekte
für die Volkswirtschaft. Zum einem wird dadurch in dem Kleinunternehmen selbst
Wertschöpfung und in vielen Fällen auch Beschäftigung generiert. Zum anderen gibt es auch
zusätzliche Nachfrage für die Zulieferer und im Endeffekt können aufgrund gestiegener
Einkommen zusätzliche Konsumimpulse entstehen.

Eine einfache Input-Output Schätzung für Österreich zeigt beispielsweise, dass ein
Kreditvolumen von einer Million Euro für ca 50 kleine Handelsbetriebsgründungen (also 20.000
Euro für jedes dieser Start-Ups) über diese Multiplikatoreffekte das Bruttoinlandsprodukt
mittelfristig um bis zu zwei Millionen Euro steigern würde, und somit eine Million Euro an
zusätzlicher Wertschöpfung entstünde. Zusätzlich würden 20 Arbeitsplätze in der Wirtschaft
geschaffen oder erhalten.

‣ Weitere positive Einzeleffekte: Frauen profitieren und Regionen werden gestärkt
Derartige Langfristeffekte sind aber nur sehr vage abschätzbar – es gibt zu viele unbekannte
bzw schlecht erfassbare Einflussfaktoren um empirisch tragfähige Evidenzen liefern zu können.
Dennoch finden sich zahlreiche (zum Teil nur qualitative) Belege für positive strukturelle
Effekte:
So sind etwa Mikrokredite auch in entwickelten Ländern offenbar ein Instrument um gerade für
Frauen Gründungsvorhaben zu erleichtern (siehe auch Beispiel Nordrhein-Westfalen).

Außerdem dürfte es sich in vielen Fällen um Projekte und Kleinstunternehmen mit einer hohen
regionalen Verbundenheit handeln. Gerade in strukturschwächeren Regionen können
Mikrokredite daher einen Beitrag dazu leisten, auf niedrigschwelligem Niveau wirtschaftliche
Aktivität und damit ein Aufschwungsklima zu begünstigen.

‣ Nicht nur die Volkswirtschaft, sondern auch die Gesellschaft profitiert
Neben den rein volkswirtschaftlichen Effekten wird gerade in Europa aber auch dem Thema der
„sozialen Teilhabe“ und der „fairen Verteilung“ ein relativ hoher Stellenwert eingeräumt und
wirtschaftspolitische Bedeutung beigemessen. Damit werden Mikrokredite selbst dann, wenn
sie im Einzelfall nicht den gewünschten betriebswirtschaftlichen Profit bringen, einen
gesellschaftlichen Mehrwert erzeugen:

   Microfinance targets some non-profit maximizing goals such as social inclusion, job
   creation, micro enterprises development and development of regions. (...) Microfinance
   programs in Western Europe are not and possibly will not become profitable but make
   economic sense. (...) Western European microfinance has, compared to developing and
   transitions countries, a strong focus on social inclusion and pays less attention or almost
   no attention to its profitability. (Evers et al. 2007, 10.)




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Nordrhein-Westfalen: Ein gut evaluiertes Fallbeispiel
Meyer und Biermann haben in ihrer Studie 2010 das Mikrofinanzierungsprojekt in Nordrhein-
Westfalen evaluiert. Die Evaluation zeigt die positiven Auswirkungen einer solchen Maßnahme:

Das Projekt dient zur „Ausschöpfung von Gründungspotenzialen“ und der „Unterstützung von
Investitionen in bestehende Unternehmen“.
In der Region war die Neugründungsquote, verglichen mit Gesamt- Deutschland, eher
unterentwickelt, sodass dieses Pilotprojekt als wichtiger Antrieb gesehen wurde.

   Eine ausreichende Finanzierung ermöglicht die Gründung an sich oft erst, sichert eine
   tragfähige Größe und erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit signifikant. (Meyer 2010,
   7)

Gut 22 Prozent der Gründer, die externe Mittel einsetzen, haben einen Bedarf zwischen fünf-
und zehntausend Euro, weitere elf Prozent einen Bedarf zwischen 10.000 und 25.000 Euro.
Insgesamt liegt damit der externe Finanzierungsbedarf jeder dritten Gründung im Bereich der
Mikrodarlehen.

Folgende positive Effekte konnten festgestellt werden: Durch die Mikrodarlehen konnten 203
Gründerinnen und Gründer bei ihrem Vorhaben entscheidend unterstützt werden. 102
Darlehen wurden mit dem Ziel ausgegeben, ein bestehendes junges Unternehmen zu festigen
(Meyer 2010, 34).

Der überwiegende Teil (87 Prozent) der neu gegründeten Unternehmen sind „Sologründer“.
Die restlichen 13 Prozent sind Teamgründungen oder Unternehmen, die Mitarbeiter
beschäftigen. Hier entstanden pro Neugründung ca drei neue Vollzeit-Arbeitsplätze. Das sind
somit über alle Gründungen zusammen im Durchschnitt pro Gründung 1,26 neue
Arbeitsplätze.

Bemerkenswert ist die Frauenquote: Während im konventionellen Kreditbereich 26 Prozent der
Instrumente von Frauen in Anspruch genommen werden, sind es beim Mikrokreditprogramm
40 Prozent. Dies dürfte sich auch daraus erklären, dass Gründungen von Frauen grundsätzlich
einen geringeren Finanzierungsbedarf aufweisen.

44 Prozent aller DarlehensempfängerInnen (66 Prozent bei den Neugründungen) kommen aus
der Arbeitslosigkeit. Es zeigt sich somit, dass diese benachteiligte Personengruppe als
Zielgruppe gut erfasst wird und sich die gewünschten sozialen Effekte einstellen (Meyer 2010,
36).




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Wie können Mikrokredite verbessert und erweitert werden?

‣ Banken als wesentliche und verantwortungsvolle Treiber des Mikrokreditsektors
Mikrokredite müssen ganz wesentlich von Banken getragen sein (dies wird zB auch in dem
Bericht der DG Enterprise 2010 betont): Banken sollten Mikrokredite als innovativen und
profitablen Weg sehen Wirtschaft und Gesellschaft weiterzuentwickeln. Ziel sollte ein größerer
und qualitativ besser entwickelter Mikrokreditsektor sein.

‣ Erfahrungen aus konventionellem Bank-Geschäft nützen ...
Damit solche nachhaltige Dynamik in den Bereich der Mikrofinanzierung hineinkommt, müssen
sich Banken, die dieses Geschäft traditionell beherrschen, aktiv daran beteiligen und ihre
Erfahrungen aus der konventionellen Kleinunternehmensfinanzierung einbringen:

   Der Bereich des Micro Lending spricht eine aktive Arbeitsmarktpolitik der Banken und
   Sparkassen an. Hier geht es darum, das Erlernen von Selbstständigkeit praxisorientiert zu
   begleiten, wozu die Erfahrung aus der KMU-Finanzierung eine wesentliche Grundlage
   bietet. In diesem Arbeitsbereich geht es auch darum, eine Koordination mit staatlichen
   Aktivitäten zu ermöglichen und staatliche Subventionen nicht als Ersatz sondern als
   Zugang zu wirtschaftlicher Aktivität zu nutzen. (Reifner 1997, 11)

‣ … aber zielgruppenspezifische Bewertungen vornehmen
Im Kleinkreditbereich stoßen Banken mit den standardisierten Verfahren der Bewertung der
Kreditwürdigkeit und -sicherheit rasch an Grenzen: Es fehlt an Informationen, der Aufwand des
Sicherheitenmanagements ist im Vergleich zur Kreditsumme unverhältnismäßig groß.

Daher wird es seitens der Banken notwendig sein, neben diesen standardisierten Verfahren
gerade im Mikrokreditbereich verstärkt auf qualitative Faktoren abzustellen: Es geht um die
individuelle Beurteilung der Kompetenzen der potenziellen GründerInnen, um die Einschätzung
der vorlegten Businesspläne und der Cash-Flow-Prognosen (siehe auch DG Enterprise 2010, 5).
Die Geschäftsidee soll auf Umsetzbarkeit, Erfolgschance und Langlebigkeit untersucht werden.
Hier lassen sich eventuelle Schwachstellen noch verbessern und wichtige Erfolgstipps
eingebracht werden (ASB Schuldnerberatungen 2007b).

Die Abstimmung mit Wirtschaftsförderungsstellen und KMU-Förderern kann hier zusätzlich
unterstützen (man denke etwa an das externe KMU-Ratingangebot von aws Austria).

‣ Niederschwelliger Zugang
Es ist anzunehmen, dass ein Großteil der potenziellen MikrokreditkundInnen keine sehr großen
Erfahrungswerte mit Finanzinstrumenten hat. Es müssen daher bei der Adressierung dieser
Zielgruppe all jene Empfehlungen beachtet werden, die bereits bei den Fragen des „Zugangs zu
Finanzprodukten“ (Kapitel 2) bzw die im folgenden Kapitel 4 zu „Financial Literacy“
angesprochen werden.




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Selbstverständlich müssen hier fast noch mehr als im konventionellen Bereich die Regeln der
verantwortungsvollen Kreditvergabe, Transparenz- und Informationsgebote beachtet werden.

‣ Individuell angepasste Kreditraten und eine geringe Bearbeitungsgebühr
Kredite können für die KreditnehmerInnen teuer werden, vor allem, wenn es zu
Zahlungsrückständen kommt.
Daher ist bei den Rückzahlungsmodalitäten vor allem auch eines Mikrokredits darauf zu achten,
dass der/die KreditnehmerIn einen Überblick über die monatlichen Kosten hat und diese in
einem Budgetplan übersichtlich zusammengefasst sind. Ein standardisierter Zahlungsplan, den
das Finanzinstitut zur Verfügung stellt, gibt Transparenz und hilft dem/r KundIn die
Kreditbedingungen besser zu verstehen.
Überdies wäre es auch wichtig die Bearbeitungsgebühren für die Kreditabwicklung möglichst
gering zu halten (Zdrahal-Utbanek 2007, 9.)

‣ Beratung und Begleitung bei der Projektumsetzung
Es ist sinnvoll, begleitend zu einem Mikrokreditprogramm auch Betreuung und Beratung
sowohl für die Geschäftsentwicklung selbst als auch beispielsweise für allfällige Behördenwege
anzubieten.
KreditnehmerInnen sollen nicht mit Schwierigkeiten oder Fragen allein gelassen werden – dies
ist auch im Sinne der Finanzdienstleister, hilft es doch die Nachhaltigkeit der Existenzgründung
abzusichern.

‣ Evaluation und Monitoring
Mikrofinanzprogramme sollten als dynamisches, lernendes Instrument konstruiert werden. Es
ändern sich Gegebenheiten und Marktverhältnisse. Darauf sollte flexibel reagiert werden
können. Dafür ist es aber erforderlich Mikrokredite laufend zu evaluieren: Was ist das
selbstgesteckte Ziel, wie können die Effekte auf Mikro- und auf Makroebene bewertet werden,
welche Zielgruppen, Branchen und Regionen werden erreicht, wie einfach ist der Zugang und
dgl mehr?


Best Practice 3 : Mikrokreditfonds in Deutschland
(Quellen: www.optimist-mikrokredit.de; www.mikrokreditfonds.de)

Der Mikrokreditfonds Deutschland hat ein Finanzvolumen von ca 100 Millionen Euro und läuft
bis Mitte 2017. Die Mittel stammen aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und
Haushaltsmitteln der Bundesregierung. Eigentümer des Kreditfonds sind das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie (BMWI). Es wird eine Vergabe von ca. 13.000 Krediten deutschlandweit



3   Im Kapitel 5 werden die österreichischen Best Practices im Bereich der Mikrofinanzierung vorgestellt.




Erste Bank Unvermögen                                                                      Seite 25
angestrebt – seit Anfang 2010 wurden bereits über 6.000 Kredite vergeben und damit die
ursprüngliche Planung weit übertroffen.

Mit Hilfe des Mikrokreditfonds der Bundesregierung sollen die Engpässe kleiner Unternehmen
bei der Kreditaufnahme beseitigt und der Zugang zu kleinen Unternehmenskrediten bis 20.000
Euro – bei Erstkrediten bis 10.000 Euro – bundesweit erleichtert werden. Die Zielgruppe der
Initiative sind Kleinst- und Kleinunternehmen (KKU), die über ihre Hausbanken und Sparkassen
üblicherweise keine Kredite erhalten. Junge Unternehmen sowie Unternehmen, die von Frauen
oder von Personen mit Migrationshintergrund geführt werden, genießen bei der Kreditvergabe
besondere Aufmerksamkeit.

Die persönliche, unbürokratische Betreuung der Kreditkunden steht im Mittelpunkt – nach dem
Motto „Erst der Unternehmer, dann die Zahlen".

Der nominale Zinssatz beträgt derzeit 8,5 Prozent pro Jahr, es sind Annuitätendarlehen ebenso
wie endfällige Kredite möglich, mit Laufzeiten von sechs bis 24 Monaten.

Zeitungsberichten zufolge (etwa Hamburger Abendblatt 29/09/2010 oder Spiegel online
11/11/2011) sind die Erfahrungen mit wenigen Ausnahmen sehr positiv. Und auch die
Evaluierungen des Mikrokreditfonds belegen die positiven Effekte: Die zwischen 2005 und
2009 vergebenen 500 Kredite mit einem Gesamtvolumen von drei Millionen Euro haben eine
Ausfallsquote von weniger als drei Prozent. Diese Ausfallsquote blieb auch nach der
Neuregelung und Erweiterung 2010 konstant.

Die zusammenfassende Beurteilung laut Mikrokreditfonds:

   Im Durchschnitt werden durch jeden Mikrokredit ca. 1,5 Arbeitsplätze geschaffen oder
   erhalten. Im Vergleich zu anderen Förderinstrumenten ist Mikrofinanz insofern sehr
   effektiv und fördert in besonderem Maße individuelles Engagement und
   Selbstverantwortung. (www.mikrokreditfonds.de)




Best Practice: Spanien – Mikrokredit für prekäre GründerInnen
Das Mikrokreditprogramm in Spanien steht jenen Bürgern zur Verfügung, die nicht über einen
Zugang zum Kreditvergabesystem verfügen, da sie nicht kreditwürdig sind. Um diese
Menschen nicht aus dem klassischen Finanzsystem auszuschließen, haben sich die
verschiedenen Sparkassen, private und öffentliche Kreditvergabeinstitute und soziale
Organisationen zusammengeschlossen.




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Der Kredit richtet sich an benachteiligte Personen, wie Menschen über 45 Jahre,
Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderung, AlleinerzieherInnen und MigrantInnen. Er dient
der Existenzgründung, in Form eines Kleinunternehmens, das ein sicheres Einkommen und
einen stabilen Arbeitsplatz bietet.

Der Beratung wird ein hoher Stellenwert eingeräumt, um den KreditnehmerInnen in
Finanzfragen, aber auch in unternehmerischen Problemstellungen zur Seite zu stehen.

Die Studie "El impacto de los microcréditos en la vida de las empresarias españolas", die im
Dezember 2007 von Women's World Banking durchgeführt wurde, hat festgestellt, dass jede
Kreditvergabe 2,15 Arbeitsplätze schaffe.



Best Practice: Belgien – Sozialer Konsumkredit
Das Beispiel Belgien zeigt, dass Mikrokredite nicht nur auf Unternehmensgründung selbst
beschränkt sein müssen. In zwei belgischen Regionen gibt es für
NiedrigeinkommensbezieherInnen die Möglichkeit, subventionierte Konsumkredite für vor-
definierte Vorhaben zu bekommen: Dies kann vom Führerschein (um mobiler und daher
beschäftigungsfähiger zu werden) bis hin zu einer Grundmöbelausstattung nach einer
Trennung reichen.

Das Instrument soll Überschuldung vermeiden helfen, es wird auch hier der Beratung ein
hoher Stellenwert eingeräumt und es wird jeweils auch gemeinsam nach Alternativen zu einem
Kredit für die Problemlösung gesucht. Die KreditnehmerInnen müssen aktiv beim Antrag und
bei der Erstellung eines Haushaltsplans mitarbeiten – insofern wird hier auch die Financial
Literacy gefördert.




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4. Financial Literacy – (Un)Vermögen an Wissen

In Kürze zusammengefasst...

Das eigene verantwortungsvolle Geldmanagement und Vorsorgedenken sind grundlegend
für die persönliche finanzielle Absicherung zB bei Weiterbildung, Wohnungsanschaffung und
Pensionsvorsorge und damit wiederum von hoher Relevanz für die Volkswirtschaft, den
Sozialstaat und den Finanzstandort.

Unklarheiten und Unwissen über Finanzprodukte und Zusammenhänge in der Geldwirtschaft
führen zu einer größeren Scheu gegenüber Banken und deren Dienstleistungen. Somit
werden Beratung, Hilfestellung und optimale Finanzlösungen nicht rechtzeitig oder gar nicht
in Anspruch genommen bzw kann auch nicht zwischen guter und schlechter Beratung
unterschieden werden.
Viele Finanzprodukte sind in ihrer Komplexität nur sehr schwer zu verstehen und für viele
Menschen nicht optimal auf ihre jeweilige Lebenssituation abgestimmt. Dies führt zu
Fehlentscheidungen in Finanzfragen wie Vorsorge und Sparveranlagungen ebenso wie zur
Selbstüberschätzung der eigenen Finanzkompetenz, was wiederum ein Übersehen oder
Unterschätzen eigener finanzieller Risikosituationen nach sich ziehen kann.

Finanzielle Allgemeinbildung soll dazu befähigen, Finanzentscheidungen gewissenhaft
treffen zu können um mögliche Risiken zu vermeiden. Sie soll als Teil des
KonsumentInnenschutzes verstanden werden und durch die Kooperation verschiedenster
Institutionen wie Banken, Bildungseinrichtungen und Beratungsstellen möglichst viele
Zielgruppen erreichen.

Finanzielles Wissen hat aber nicht nur Konsumentenschutzaspekte, sondern bringt
materielle Vorteile für jeden einzelnen und somit der Gesellschaft. Eine deutsche
Untersuchung zeigt, dass finanzielle Fehlentscheidungen aufgrund mangelhafter Beratung
bzw mangelhaftem eigenen Wissen jährliche Vermögensverluste von etwa einem Prozent
des Bruttoinlandsproduktes verursachen können.

Daher sollte Finanzwissen allen – und insbesondere einkommensschwachen –
Personengruppen zur Verfügung stehen und daher Programme zur Wissensvermittlung, die
die KundInnen in den Vordergrund stellen, dringend ausgebaut werden. Finanzielle
Allgemeinbildung muss als lebenslanger Lernprozess begriffen werden, da je nach
Lebenssituation andere Finanzfragen relevant sein können. Maßnahmen sollen bereits bei
Kindern beginnen, um möglichst früh einen Grundstein zum verantwortungsvollen Umgang
mit Geld zu legen. Projekte und Lehrinhalte müssen also zielgruppenspezifisch auf die
verschiedenen Interessenlagen und sozioökonomischen Hintergründe ausgerichtet sein.




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Financial Literacy als Teil der Allgemeinbildung

‣ Definition von Financial Literacy
    Beim Thema Finanzielle Allgemeinbildung, das im Englischen unter Financial Literacy
    bekannt ist, geht es um die Vermittlung von Bildung für Verbraucher, die helfen soll, das
    Finanzdienstleistungssystem funktionsgerecht und verantwortungsvoll zu nutzen.
    (FIS Money Advice 2001)

‣ Jede/r BürgerIn baucht Mindestmaß an Finanzieller Allgemeinbildung ...
Finanzwissen und Finanzkompetenz sind also nicht nur für Investoren wichtig, sondern für alle
BürgerInnen, die sich ein Eigenheim anschaffen, die Ausbildung der Kinder finanzieren oder das
alltägliche Haushaltsbudget organisieren wollen, wie auch die OECD auf ihrer Website
www.financial-education.org betont 4 : Letztendlich geht es um die Verbesserung von
finanziellem Wohlstand und finanzieller Absicherung.

Denn Finanzkompetenz schafft die Möglichkeiten, das eigene Geld sinnvoll und in jeweils
optimaler Balance von Risiko und Rendite zu verwalten.

‣ … auch als Prävention gegen Armut
Fehlt dieses Wissen, ist ein verhältnismäßiger Umgang mit den eigenen finanziellen
Möglichkeiten nicht gewährleistet. Finanzielle Schwierigkeiten, Verschuldung oder
Missmanagement können die Folge sein.
Finanzielle Allgemeinbildung ist deshalb ein wesentlicher Beitrag zur Armutsprävention.

‣ Finanzwissen wird zunehmend komplexer ...
Da die Finanzprodukte in den letzen Jahren immer komplexer und vielfältiger geworden sind,
ist es für die KonsumentInnen nicht leicht die richtigen Entscheidungen passend zu ihrer
jeweiligen Lebenssituation zu treffen.

‣ … zum Teil auch subjektiv falsch eingeschätzt
Es ist nicht einfach, sich Wissen über Finanzprodukte anzueignen, da die Komplexität der
Thematik gewisse Vorkenntnisse notwendig macht.

Hinzu kommt, dass viele Menschen ihr eigenes Finanzwissen überschätzen. So zeigt eine
deutsche Studie (Hummelsheim 2010, 5), dass nur etwa die Hälfte derer, die sich für gut
informiert halten, tatsächlich ausreichende Grundkenntnisse aufweisen. Dies zeigt sich auch in


4 Financial education is the process by which financial consumers/ investors improve their understanding of financial
products and concepts and, through information, instruction and/or objective advice, develop the skills and confidence
to become aware of (financial) risks and opportunities, to make informed choices, to know where to go for help, and to
take other effective actions to improve their financial well-being and protection. (OECD-Website: www.financial-
education.org)




Erste Bank Unvermögen                                                                  Seite 29
der OECD Survey (OECD 2005b): Befragt nach der Einschätzung ihrer eigenen finanziellem
Allgemeinbildung bezeichnen sich viele oftmals besser informiert, als es tatsächlich der Fall ist.
So zeigte etwa eine australische Erhebung, dass sich 67 Prozent der Befragten für finanziell
kompetent hielten, aber nur 28 Prozent ein entsprechendes Beispiel richtig lösen konnten.

Das erweist sich hinderlich bei der Wissensvermittlung – da ja kein Wissensdefizit
wahrgenommen wird, ist es auch schwieriger, den Menschen die eigentlich notwendige
Bildung anzubieten und zukommen zu lassen.
Ausserdem ist bei Abschluss eines Finanzgeschäfts nicht auszuschließen, dass Unklarheiten
oder Missverständnisse unentdeckt blieben.

Einkommensschwächere Gruppen haben dabei tendenziell ein noch geringeres Informations-
und Wissensniveau – dies zeigen Erhebungen aus den USA, Australien und Großbritannien
(ebenfalls dargestellt in OECD 2005b, 43).
Allerdings: Zu wenig Wissen über Finanzbegriffe und Finanzprodukte findet sich auch bei
Angehörigen höherer Bildungsschichten (etwa aufgrund mangelnden Interesses).

‣ … und über einige Jahre auch von den Banken zu wenig beachtet
Aber nicht nur die KundInnen allein haben die Verantwortung für unzureichendes Wissen über
Finanzdienstleistungen zu übernehmen. Während der Boomzeit der Finanzmärkte tendierten
zahlreiche Banken dazu, ihre Produkte immer komplexer zu gestalten und haben sich
andererseits zu wenig an der Bildung der Allgemeinheit in Sachen finanzielles Wissen beteiligt.


Mehr Wissens-Vermögen der Einzelnen nützt allen

‣ Wissen bringt mehr Sicherheit für alle
Ausreichendes Finanzwissen ist für jede/n einzelne/n notwendig, um eine sichere und
nachhaltige Gebarung der eigenen Finanzangelegenheiten zu gewährleisten.
Eine gute Finanzbildung der einzelnen trägt somit in Folge dazu bei, dass durch individuell
verantwortungsvoll geführte Finanzen auch die Realwirtschaft, der Sozialstaat und der
Finanzstandort profitieren.

‣ Finanzwissen ist gerade auch für Einkommensschwächere von Bedeutung
BezieherInnen geringerer Einkommen haben, wie dargestellt, spezielle Bedürfnisse hinsichtlich
ihrer Finanzprodukte. Gleichzeitig ist bei ihnen tendenziell das Finanzwissen geringer
ausgeprägt. Die Kombination aus geringem Wissen und geringem Einkommen kann dazu
führen, dass sie nur Zugang zu sehr standardisierten, nicht bedarfsgerechten Instrumenten
haben, und dies unter Umständen zu einem zu hohen Preis:

   Any action to tackle the lack of financial literacy needs to take account of the fact that
   financial literacy and poverty are often considered to be interdependent. This is evident
   from the fact that lower income, poorer educated customers risk to get poorer quality




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advice, they usually have access only to standardised products which do not meet their
   needs well and are likely to pay more when applying for loans. (Habschick et al 2007, 7)

Ihr Finanzwissen zu erhöhen ist dabei nicht nur aus sozialen Motiven notwendig: Ein besseres
Wissen über verschiedene Möglichkeiten und mögliche Risiken hilft, auch prekärere finanzielle
Situationen besser steuern zu können.
Weniger Menschen, die finanzielle Schwierigkeiten haben, bedeuten schlicht und einfach auch
für den Sozialstaat weniger Kosten und Aufwand. Finanzielle Allgemeinbildung und damit ein
ausreichendes finanzielles Vorsorgedenken sind somit aus individueller wie
gesamtwirtschaftlicher Perspektive wichtige Investitionen in die Zukunft.

‣ Finanzwissen vermeidet unnötige volkswirtschaftliche Verluste
Eine Studie des deutschen Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz hat ergeben, dass in Deutschland durch unsachgemäße Finanzvermittlung
jährlich mehrere Milliarden Euro verloren gehen. Der Nutzen bzw die Kosten einer finanziellen
Entscheidung wären von den meisten VerbraucherInnen kaum zu erfassen oder zu bewerten – 
man tendiert dazu, dem Berater die Entscheidung zu überlassen.

Ein unzureichendes Verständnis über Finanzgeschäfte führt zu Unsicherheiten und einem
wenig rationalen Anlageverhalten der KundInnen. Die Studie zeigt, dass der deutschen
Wirtschaft durch mangelhafte Finanzberatung ein jährlich geschätzter Vermögensschaden von
20 bis 30 Mrd Euro entsteht (Habschick et al. 2008, 10) – das wären etwa ein Prozent des
deutschen Bruttoinlandsproduktes.

‣ Vorsorge ist besser abgesichert ...
Wenn die BürgerInnen mehr Eigenverantwortung für ihre Altersvorsorge, Gesundheit,
Ausbildung übernehmen sollen, bedeutet dies vermehrt Auswirkungen auf das Risikoprofil der
privaten Haushalte und damit auch auf die Stabilität des Finanzsystems. Grundlegend für mehr
Eigenverantwortung ist die Bereitstellung von Wissen und Finanzielle Allgemeinbildung am
gesamten Bildungsweg.

   Die steigende Verschuldung von Privatpersonen, die Unfähigkeit ein ausgeglichenes
   Budget zu erstellen oder die Unkenntnis über einfache Abläufe im Finanzwesen
   verdeutlichen diese Probleme. Aber auch in Hinblick auf die Altersvorsorge gewinnt diese
   Thematik mit der steigenden Lebenserwartung an Dringlichkeit. Es wird immer wichtiger
   die eigenen Finanzen sorgfältig und vor allem langfristig zu planen, um auch im Alter
   noch über genügend finanzielle Mittel zu verfügen. (Stäheli 2008)

‣ … und unerwünschte Dynamiken können besser vermieden werden
Eine Folge von verstärkten Finanzausbildung kann auch die Forderung nach mehr Transparenz
bzw bessere Erklärungen bei Finanzbelangen sein. Diese Aufgabe muss qualitätsvoll von den
einzelnen Finanzinstituten übernommen werden, da sie sonst zu einem interessanten Geschäft




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für wenig seriöse Beratungsunternehmen wird, mit zum Teil unangenehmen
volkswirtschaftlichen Effekten:

    Wie sich die mangelnde Finanzkenntnis weiterer Teile der Bevölkerung insgesamt auf die
    Stabilität des Finanzsystems auswirkt, ist offen. Es ist jedoch zu vermuten, dass durch
    „Herdenverhalten“ spekulative Blasen verstärkt werden, deren Platzen dann zu
    gravierenden Störungen der Volkswirtschaft führen können. (Stäheli 2008)

Wie kann die Finanzielle Allgemeinbildung verbessert werden?
‣ Wissensvermittlung soll Kunden und nicht Anbieter in den Vordergrund stellen
Sowohl OECD (2005b) als auch die Europäische Kommission 5 nennen eine Anzahl von
Empfehlungen für eine verbesserte finanzielle Allgemeinbildung.

Vorrangig dabei: Die finanzielle Allgemeinbildung soll unverfälscht, ohne Eigeninteresse und gut
koordiniert sowohl von öffentlichen als auch privaten Einrichtungen, angeboten werden. Und
sie soll zielgruppenspezifisch sein, zugeschnitten auf verschiedene Personengruppen oder
unterschiedliche Lebensumstände.

‣ Wissensvermittlung sollte auch als Teil des Konsumentenschutzes verstanden werden
Die Wissensvermittlung soll kostenlos und leicht zugänglich sein. Auch die Möglichkeiten des
Internets sollten dabei ausgeschöpft werden.
Bei einem Bankgeschäft liegt es vor allem in der Verantwortung der VertriebsmitarbeiterInnen
und BankberaterInnen sich davon zu überzeugen, dass die Kundin / der Kunde die
Informationen und Geschäftsbedingungen verstanden hat. Formulierungen sollten
dementsprechend nicht zu kompliziert sein und generell sollte auf das „Kleingedruckte“
verzichtet werden (siehe auch OECD 2005b, 4).

Anstrengungen in Richtung vermehrter finanzieller Allgemeinbildung gehen daher eng einher
mit Konsumentenschutz und der Regulierung und Kontrolle der Finanzinstitutionen.

‣ Wissensvermittlung soll bereits bei Kindern starten
Wissensvermittlung über das Thema Finanzen soll so früh wie möglich, am besten bereits in der
Schule, starten. Auch Kinder und Jugendliche verfügen bereits über Taschengeld, ein Sparbuch
oder eine Bankomatkarte, die einen verantwortungsvollen Umgang erfordern.

    Financial education should start at school. People should be educated about financial
    matters as early as possible in their lives. (OECD 2005b)




5diese vor allem im Rahmen des bereits zitierten FES-Projekts „ Finanzielle Allgemeinbildung und verbesserter Zugang
zu adäquaten Finanzdienstleistungen als Beitrag zur Prävention und Bekämpfung von Überschuldung“




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‣ Wissensvermittlung kann über unterschiedliche Ansätze erfolgen
Je nach Interessenlage und Umfeld können unterschiedliche Anknüpfungspunkte gefunden
werden, über die Finanzwissen vermittelt werden soll. In der Literatur finden sich dafür
beispielsweise folgende inhaltliche und damit auch kommunikative Ansätze (Piorkowsky 2010,
9):

- Volkswirtschaftlich-makroökonomischer Ansatz: Märkte, Geld und Kredit, Institutionen der
   Marktwirtschaft, insbesondere des Finanzsektors
- Hauswirtschaftlich-mikroökonomischer Ansatz: Wirtschaften im Haushalt mit gegebenen
   Mitteln, Prävention der Verschuldung;
- Finanzwirtschaftlich-betriebswirtschaftlicher Ansatz: Geldmanagement, Vermögensaufbau,
   Risikovorsorge

‣ Evaluation und Vernetzung sind auch bei der Wissensvermittlung notwendig
Die Evaluation der Programme, ihre stetige Anpassung und Weiterentwicklung sind
notwendiger Bestandteil einer erfolgreichen Wissensvermittlung und -verbreitung, auch im
Finanzbereich.

Ebenso ist auch hier eine gut funktionierende Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure, wie
Beratungsstellen, Bildungseinrichtungen, Behörden und Finanzinstitutionen Voraussetzung des
nachhaltigen Erfolgs.




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Best Practice 6 : Frankreich
In Frankreich gibt es seit 2006 den gemeinnützigen Verein IEFP Institut pour l’éducation
financière du public (Institut für finanzielle Allgemeinbildung). Auf seiner Website „La finance
pour tous“ (Finanz für alle) informiert er über seine Bildungs- und Informationsprojekte.
Vor der Gründung wurde umfassend erhoben, wie es um die finanzielle Allgemeinbildung der
Bevölkerung steht, welche Personengruppen einen besonderen Bedarf an Finanzbildung
haben, und welche Wissensinhalte sinnvoll wären. Der Verein erarbeitet und fördert darauf
aufbauend Bildungs- und Informationsprojekte, veranstaltet Konferenzen und führt
Evaluationen durch.
Das Zusammenbringen der verschiedenen Stakeholder als Ansprechstelle ist unter anderem
auch für die Ressourcenvergabe zielführend.



Best Practice: Nordrhein-Westfalen
Das „Netzwerk Finanzkompetenz Nordrhein-Westfalen“ wurde 2006 vom
Verbraucherschutzminister ins Leben gerufen und besteht aus mehreren Arbeitsgruppen, die
für verschiedene Zielgruppen spezifische Programme entwickeln:

Allgemeinbildung für Grundschulkinder:
Das Projekt „MoKi – Money & Kids“, bei dem Kinder zwischen sechs und zehn Jahren auf
spielerische Weise den Umgang mit Geld und Konsum erlernen, erfüllt den Anspruch der
möglichst frühen Bildungsförderung.
Broschüren, Filme und Spielmaterialien zielen auf die Themen Taschengeld, Geldkreislauf,
Wünsche, Werbung und ähnliches ab.

Allgemeinbildung für junge Familien:
Besondere Bedürfnisse und Anliegen in Finanzfragen lassen sich bei jungen Familien
identifizieren. Die eigene Existenzgründung stellt diese Personengruppe vor besondere
finanzielle Herausforderungen.
Um diese Zielgruppe umfassend auch mit Finanzbildungsprogrammen zu erreichen, hat sich
die Zusammenarbeit mit Familienzentren, wo verschiedene Beratungsangebote genutzt werden
können, als sehr effektiv erwiesen.

Allgemeinbildung für BerufsanfängerInnen:
Der Start in das Erwerbsleben bedeutet oft, sich erstmals intensiver mit Finanzdienstleistungen
auseinanderzusetzen. Das Führen eines Gehaltskontos, die finanzielle Starthilfe für den
Berufseinstieg und der verantwortungsvolle Umgang mit den eigenen Finanzen stehen bei
dieser Zielgruppe daher im Fokus.


6In Kapitel 5 werden die auch häufig als best practice genannten Aktivitäten zur finanziellen Allgemeinbildung in
Österreich vorgestellt.




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5. Unvermögen in Österreich
In Kürze zusammengefasst …

Um die Themen „Finanzzugang“, „Financial Literacy“ und Mikrokredite“ für Österreich
statistisch zu analysieren wurden zunächst Daten vor allem der EU-SILC Sondererhebung zu
Verschuldung und finanzielle Ausgrenzung ausgewertet:

‣ Eine Million Menschen in Österreich ist armutsgefährdet (mit einem Einkommen von
   weniger als 950 Euro im Monat pro Person), etwa 400.000 davon dauerhaft. Jeder fünfte
   österreichische Haushalt kann sich (zumindest phasenweise) nicht ausreichend am
   wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alltag beteiligen.

‣ Wer nur mangelhaft sozial und wirtschaftlich integriert ist, gerät leichter in ernsthafte
   finanzielle Schwierigkeiten. Nicht überraschend korrelieren daher finanzielle
   Schwierigkeiten mit niedrigem Einkommen, prekärem Erwerbsstatus, niedriger Bildung
   aber auch mit Sprach- und Kulturbarrieren.

‣ Die Schuldnerlandschaft hingegen ist deutlich heterogener: Kredite sind weitverbreitet,
   auch das Konto ist in fast jedem fünften Haushalt überzogen. In den unteren
   Einkommensgruppen zeigt sich jedoch eine geringere Kreditnutzung – sei es aus dem
   Wissen über das eigene Unvermögen einer regelmäßigen Rückzahlung oder aufgrund
   restriktiver Handhabung durch die Bank.

‣ Wenngleich die meisten Menschen in Österreich ein Konto haben, gibt es doch in zwei
   Prozent der österreichischen Haushalte kein Konto und in sechs Prozent keine
   Haushaltsversicherung – ärmere, sozial schwächere Haushalte sind dabei wieder
   überrepräsentiert. Dieser mangelnde Zugang wird auch von der breiten Öffentlichkeit
   wahrgenommen. Die öffentliche Meinung ist zu fast 90 Prozent dafür, dass
   Basisfinanzdienstleistungen zum Mindeststandard gehören und und entsprechend zu
   ermögliche sind.

‣ Dennoch haben auch ärmere Haushalte Vermögen: Haushalte mit einem
   Haushaltseinkommen von weniger als 1.000 Euro im Monat haben im Schnitt 146.000
   Euro an Immobilienvermögen (mit einem großen Stadt-Land Unterschied).
   Die Hälfte der Haushalte mit einem Monatseinkommen von weniger als 750 Euro im
   Monat haben ein Nettogeldvermögen (also abzüglich Schulden) von mehr als 3.000 Euro.
   Finanzinstitute haben gegenüber dieser Gruppe eine besonders hohe Verantwortung, sie
   bei der Veranlagung und Absicherung dieser (wenn auch nur geringen) Vermögen gut und
   nachhaltig zu begleiten.




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Österreich zeichnet sich durch einige Best Practice Beispiele im Bereich des Social Bankings
aus.

‣ Zu nennen sind hier zunächst die Zweite Sparkasse bzw das Zweite Chance Konto, die die
   Basisdienstleistungen von Girokonto und Sparbuch anbieten um so auch die Rückkehr in
   den „normalen“ Finanzalltag zu erleichtern.

‣ Finanzielle Ausgrenzung besteht aber auch, wenn einkommensschwache oder
   verschuldete Personen keinen Kredit mehr bei einer Bank bekommen. Daher wurde auf
   Initiative des BMASK und in Kooperation mit der Erste Bank & Sparkassen das
   österreichische Mikrokreditprogramm ins Leben gerufen. Über 100 Kredite wurden seit
   seinem Beginn 2010 vergeben, bereits heute finanziert sich das Programm zu etwa der
   Hälfte selbst. Es werden davon ca 1,26 neue Beschäftigungsverhältnisse pro
   Gründungsprojekt erwartet.

‣ Auch Bildung bzw Mangel an derselben ist hochkorreliert mit der Armutsgefährdung. Ein
   niedrigeres Bildungsniveau erhöht das Risiko eines erschwerten Zugangs zu
   Basisfinanzdienstleistungen wie einem Kontozugang oder Versicherungen sowie
   Verschuldung und finanziellen Schwierigkeiten. Bei einem Pflichtschulabschluss liegt die
   Armutsgefährdung bei 18 Prozent, bei Universitätsabschluss „nur“ bei 3 Prozent.
   Finanzbildung korreliert stark mit dem Bildungsniveau – daher sind Programme zur
   Stärkung der finanziellen Allgemeinbildung ein wichtiger Schritt zu einem
   verantwortungsvollen Umgang mit Geld und wirken präventiv Armut entgegen.

Insgesamt gibt es also in Österreich in den Bereichen Finanzzugang, Mikrofinanzierung und
Finanzbildung bereits einige gut funktionierende Best Practice Beispiele. Es wäre aber
durchaus im Interesse aller (der KonsumentInnen, der Banken und des
Wirtschaftsstandortes) diese noch auszuweiten (regional und auf mehr Zielgruppen) und
auszubauen (mehr Anbieter und Geldmittel). Dazu zählen vor allem das Recht auf leistbare
Basisfinanzdienstleistungen, ausreichende Mikrokreditprogramme und die Vermittlung von
Finanzwissen allen zugänglich zu machen.




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Fragestellung
‣ Ein Porträt für Österreich ...
Im Folgenden sollen nun die bislang dargestellten Themen „Finanzzugang“, „Financial Literacy“
und „Mikrofinanzierung“ im österreichischen Kontext betrachtet werden. Wo zeigen sich hier
besondere Probleme, was kann als Best Practice Lösung gesehen werden, lassen sich
Zusammenhänge zwischen Deprivation 7 und mangelndem Zugang zu Finanzdienstleistungen
bzw mangelnden Finanzkenntnissen belegen?

‣ … mit folgenden Fragestellungen ...
Zunächst ist es notwendig, darzustellen, welche Personengruppen in Österreich in Armuts-
bzw Prekariatsbedingungen leben: Was ist Armut und wer ist arm?
Auch ärmere Haushalte können Geld- und/oder Immobilienvermögen besitzen – wie sieht hier
die Vermögenssituation aus?
Welche Daten gibt es zu Finanzieller Ausgrenzung und Finanzieller Allgemeinbildung,
insbesondere von ärmeren Haushalten?
Und was kann letztendlich zur Beseitigung von Unvermögen in Österreich getan werden (hier
fällt dann auch die Frage der Mikrofinanzierung hinein)?

‣ … und folgenden Quellen
Bei der statistischen Beschreibung der Fragen wurde vor allem auf EU-SILC zurückgegriffen,
eine Erhebung, durch die jährlich Informationen über die Lebensbedingungen der
Privathaushalte in der Europäischen Union gesammelt werden. Rund 4.500 Haushalte nehmen
jährlich an dieser Erhebung teil, die Statistiken sind zum einen auf Haushaltsbasis, zum anderen
auf Basis der in diesen Haushalten lebenden Personen ausgewertet.

Von besonderem Interesse für die Fragestellungen in der vorliegenden Analyse ist dabei eine
2008 durchgeführte Sondererhebung von EU-SILC über Verschuldung und finanzielle
Ausgrenzung – ihre Ergebnisse werden im Detail dargestellt um Rückschlüsse auf die
relevanten Zielgruppen von Mikrofinanzierungen ziehen zu können. Es wurde bei der Analyse
dabei besonders auf jene Gruppen fokussiert, die sich im Erwerbsalter befinden, da diese
Gruppe am ehesten von Dienstleistungen und Förderungen, die über rein sozialstaatliche
Transfers hinausgehen, profitiert (anders gesagt: Hilfe zur Selbsthilfe funktioniert für diese
Gruppen deutlich besser als für PensionistInnen).




7   Definition siehe nächste Seite.




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Was ist Armut und wer ist in Österreich arm?

Armutsgefährdung und Deprivation – Definitionen

‣ Wie wird Armutsgefährdung berechnet?
Wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen (Median-)Einkommens als laufendes
Einkommen hat, gilt in Österreich und auch nach der Definition der Europäischen Union als
armutsgefährdet.

Dabei handelt es sich nur um das laufende Einkommen; Vermögensbestände,
Vermögensauflösungen oder Schulden bleiben unberücksichtigt. Weiters wird das
Haushaltseinkommen mittels einer Äquivalenzrechnung bestimmt.

Dauerhaft armutsgefährdet sind jene Haushalte, die über die vergangenen zwei bis drei Jahre
armutsgefährdet waren.

‣ Was ist finanzielle Deprivation?
Ein etwas anderes Armutskonzept stellt die finanzielle Deprivation dar: Hierbei wird weniger auf
Einkommensarmut, sondern auf die Teilhabemöglichkeiten von Personen und Haushalten am
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Alltagsleben abgestellt. Nicht die absolute Höhe des
Einkommens steht im Vordergrund, sondern die Frage, ob bestimmte Deprivationsindikatoren
zutreffen.


Infobox „Definition Deprivation“: Mindestlebensstandard in Österreich
In Österreich 8 gilt ein Haushalt als depriviert, wenn er sich mindestens zwei der folgenden
Ausgaben nicht leisten kann:
- unerwartete Ausgaben zu tätigen,
- Freunde zum Essen einzuladen,
- jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine vergleichbare vegetarische Speise zu essen,
- neue Kleider zu kaufen,
- Zahlungen rechtzeitig zu begleichen,
- die Wohnung angemessen warm zu halten
- oder einen notwendigen Arztbesuch zu absolvieren.




8   Die österreichischen Indikatoren unterscheiden sich geringfügig von jenen des Europäischen Eingliederungszieles.




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  • 1. Volkswirtschaftliche Analyse: „Unvermögen“ in Österreich Erstellt für: Erste Bank & Sparkassen Erstellt von: Mag Birgit Fischer; MMag Agnes Streissler Datum: 23. Dezember 2011
  • 2. Executive Summary 3 1. Fragestellung und Methodik 7 Fragestellung 7 Methode 7 2. Financial Access - (Un)Vermögen an Teilhabe 9 Zugangsprobleme zu Finanzdienstleistungen 10 Zugang zu Finanzdienstleistungen – wachstumsstärkend und verteilungsgerecht 11 Wie kann der Zugang zu Finanzdienstleistungen verbessert werden? 13 Empfehlungen der Europäischen Kommission 13 Verbesserungen im Umfeld der Finanzdienstleistungen 14 3. Mikrokredite – (Un)Vermögen an Zukunftschancen 17 Mikrokredite als Hilfe zur Selbsthilfe 18 Wohlfahrtseffekte von Mikrokrediten 20 Kurzfristige Effekte 20 Langfristige Effekte 21 Wie können Mikrokredite verbessert und erweitert werden? 24 4. Financial Literacy – (Un)Vermögen an Wissen 28 Financial Literacy als Teil der Allgemeinbildung 29 Mehr Wissens-Vermögen der Einzelnen nützt allen 30 Wie kann die Finanzielle Allgemeinbildung verbessert werden? 32 5. Unvermögen in Österreich 35 Fragestellung 37 Was ist Armut und wer ist in Österreich arm? 38 Armutsgefährdung und Deprivation – Definitionen 38 Einkommensarmut in Zahlen 39 Vermögen in einkommensschwachen Gruppen 41 Finanzielle Ausgrenzungsprobleme österreichischer Haushalte 44 Verschuldung und Überschuldung 44 Ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten 45 Schuldnerhaushalte in Österreich 47 Wohin bei finanziellen Schwierigkeiten? 50 Financial Exclusion – Unvermögen an finanzieller Teilhabe 51 Best Practices in Österreich im Bereich des Social Bankings 54 Mikrokredite- (Un) Vermögen an Zukunftschancen 55 Best Practices in Österreich im Bereich Mikrokredite 56 Financial Literacy- (Un) Vermögen an Wissen 58 Wie gut sind die ÖsterreicherInnen finanziell gebildet? 58 Best Practices in Österreich zur Steigerung der Finanzkompetenz 59 Literatur 61 Erste Bank Unvermögen Seite 2
  • 3. Executive Summary Geht‘s den Schwächsten gut, geht‘s uns allen gut… ‣ Der Zugang zu Finanzdienstleistungen für alle, die Ermöglichung von Mikrokrediten für Unternehmensgründungen und Investitionen und die Steigerung des Finanzwissens in der Bevölkerung bringen einen hohen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen. ‣ Ein erfolgreicher Weg aus der Armut durch Zugang zu Basis-Finanzdienstleistungen und Mikrokrediten bedeutet geringere Sozialausgaben und hat positive Effekte auf den Arbeitsmarkt: So zeigen Evaluierungen in Österreich und der EU, dass pro mikrokreditfinanzierter Neugründung ca 1,3 neue Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden und dass der Wirtschaftsstandort insgesamt durch diese Betriebsgründungen und die daraus resultierenden Abgaben und Steuern profitiert. Armut, Armutsgefährdung und Überschuldung in Österreich ‣ Armutsgefährdung, finanzielle Schwierigkeiten und Verschuldung belasten nicht nur die einzelnen Betroffenen, sondern auch den Sozialstaat, den Wirtschaftsstandort und die Gesellschaft als Ganzes. 12 Prozent der ÖsterreicherInnen sind armutsgefährdet, 20 Prozent sind in ihrem Lebensstandard eingeschränkt und 29 Prozent geben an sich unerwartete Ausgaben nicht leisten zu können. ‣ In Österreich lassen sich sozioökonomische Risikogruppen identifizieren, die ein höheres Risiko von Armut, Überschuldung und finanziellen Schwierigkeiten haben: Mit einem statistischen Armutsrisiko von 20 Prozent gehören bildungsferne Schichten, AlleinerzieherInnen und Haushalte mit Migrationshintergrund zu den gefährdetsten Gruppen. ‣ Einkommensschwache und armutsgefährdete Gruppen haben dabei auch einen geringeren Zugang zu Basisfinanzdienstleistungen wie Konto oder Haushaltsversicherung: In Österreich haben ca zwei Prozent der Bevölkerung bzw 150.000 Personen kein Konto. Erste Bank Unvermögen Seite 3
  • 4. Der Armut aktivierend entgegenwirken – auch durch Finanzdienstleistungen ‣ Dieses Unvermögen an finanzieller bzw gesellschaftlicher Teilhabe muss in Österreich, einem der „reichsten“ Länder der Welt mit einem gut ausgebauten Sozialstaat, verstärkt in das Bewusstsein der Bevölkerung und vor allem der Entscheidungsträger (Staat, Finanzdienstleister und Wirtschaft) rücken. Was sind die Ursachen, was kann vor allem dagegen getan werden? Einer der wichtigster Ansätze ist dabei sicherlich, schon im Vorfeld bereits präventiv der Armut entgegen zu wirken. ‣ Ein wichtiger wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Ansatz dabei ist darauf zu achten, dass alle Menschen Zugang zu alltäglichen Finanzdienstleistungen haben und diese auch verstehen: Wer ein Konto hat, wer versichert ist, wer für Zukunftsprojekte Geld geliehen bekommt und wer die grundlegenden Zusammenhänge der Geldwirtschaft und ihrer Instrumente versteht, tut sich auch in anderen Belangen des Wirtschaftslebens leichter. ‣ Der Zugang zu Finanzdienstleistungen, wie einem Basiskonto, Versicherungsleistungen und Mikrokreditunterstützung, ist somit essenziell für die finanzielle Grundsicherung. ‣ Die Unterstützung einkommensschwacher oder armutsgefährdeter Personen mit Mikrokrediten ist eine Investition in deren Leistungsbereitschaft, verbessert die jeweilige Lebenssituation, schafft Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum. ‣ Besseres Finanzwissen trägt zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit Geld bei, verringert daher Überschuldungsdynamiken, die zu hohen sozialen Kosten führen und finanziellen Schaden durch Zahlungsentgang anrichten. Somit ergeben sich neben persönlichen, auch positive volkswirtschaftliche Effekte wie Konjunkturimpulse, Struktureffekte und ein generell höheres Wohlstandsniveau. Verantwortung der Banken: Social Banking (Basisfinanzdienstleistungen) stärken und ausbauen ‣ Banken müssen daher stärker als bisher Vertrauen auch bei der Gruppe der einkommensschwachen Haushalte aufbauen, am besten noch bevor diese in manifeste Armut hineinrutschen. Denn gerade rechtzeitige, beratende Begleitung hinaus aus der Verschuldungsfalle durch Überschuldung und Zahlungsrückstände könnte hier hohe positive Effekte erzielen. ‣ Andererseits haben meist diejenigen Haushalte, die bereits in Armut leben, gar keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen (mehr) – hier braucht es seitens der Finanzinstitute Reaktivierungsmaßnahmen zur Wiedereingliederung in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben. Den Überblick über die Finanzsituation zu schaffen, ein Kontozugang, niedrige Kosten und Beratung in finanziellen Angelegenheiten sind hier Erste Bank Unvermögen Seite 4
  • 5. wichtige Aufgaben. Dies passiert in Österreich unter anderem mit dem Zweite Sparkasse Konto der Erste Bank und Sparkassen, oder dem Neue-Chance Konto der BAWAG. ‣ Im Bereich der Mikrokredite besteht in Österreich seitens des BMASK die Initiative Personen ohne Eigenkapital oder Sicherheiten finanziell zu unterstützen. Mit Kleinstkrediten werden Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus unterstützt, die aktiv Arbeitsplätze schaffen. Seit Mai 2010 wurden 105 Kredite vergeben, wobei sich bereits jetzt, nach eineinhalbjähriger Laufzeit zeigt, dass aufgrund eingesparten Arbeitslosengeldes und regelmäßiger Ratenrückzahlungen die öffentliche Förderung sich zu etwa der Hälfte selbst finanziert (mit laufend verbessernder Relation). ‣ Nicht übersehen werden darf, dass auch ein Teil der einkommensschwachen Haushalte, wenn auch in geringem Ausmaß, Vermögen (Geld, Immobilien) hat. Verantwortungsvolles, nachhaltiges Bankgeschäft sollte gerade diese Zielgruppe dabei unterstützen ihr weniges Vermögen optimal zu verwalten. ‣ Unbedingt notwendig für die Wirksamkeit der genannten Maßnahmen: die Zusammenarbeit von Staat, Sozialeinrichtungen und Banken. Die Banken verfügen über den Erfahrungsschatz hinsichtlich des Umgangs mit Geld und werden von vielen Menschen als Anlaufstelle genutzt. Sozial verantwortungsvoll agierende Banken sollen dem Sicherheitsbedürfnis ihrer KundInnen entgegen kommen, indem sie rechtzeitig finanzielle Schwierigkeiten bei ihren Kunden identifizieren, sozial verantwortungsvolle Produkte anbieten, vertrauensvoll beraten und ihre Arbeit transparent machen. ‣ Auch und vor allem sozial benachteiligte Personen sollen also die Chance haben gemeinsam mit erfahrenen Partnern wie der Bank und der Beratungsstelle ihre finanziellen Angelegenheiten zu organisieren und zu regeln. Armut darf keine unumkehrbare Einbahnstrasse sein, sondern kann durch gemeinsames Handeln überwunden werden. Bewusstseinsbildung statt Stigmatisierung: Vernetzt und zielgruppengerecht ‣ Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen oder der Gang in den Sozialmarkt werden von den Betroffenen mit Scham und Hilflosigkeit erlebt. Das Tabuthema Armut muss daher einen anderen Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen und nicht ursachen- sondern lösungsorientiert diskutiert werden. Die Empfehlungen von OECD, EU und Sozialeinrichtungen hinsichtlich Social Banking, Finanzieller Partizipation und Financial Literacy sind in den nationalen Kontext zu stellen und daraus Maßnahmen zu entwickeln. Experten aus den verschiedenen Bereichen sollen ihre Erfahrungen, ihr Wissen und die Möglichkeiten zur Umsetzung der Maßnahmen bündeln um effektiv zu arbeiten. Erste Bank Unvermögen Seite 5
  • 6. ‣ Die Zusammenarbeit und Vernetzung von Beratungsstellen, Behörden und Finanzinstitutionen soll dazu beitragen, die von Armut bedrohten bzw in Armut lebenden Personen zu erreichen und ihnen die benötigten Informationen und Dienstleistungen zukommen zu lassen um nachhaltig einen Beitrag zur Verbesserung ihrer persönlichen Lebenssituation zu leisten. Dazu ist die finanzielle Grundbildung aller ein wesentlicher Bestandteil. ‣ Wichtig dabei: Es sind nicht nur die Einkommensschwächsten, die mangelhafte finanzielle Bildung haben. Gerade die Jüngeren weisen besondere Lücken in der finanziellen Allgemeinbildung auf (40 Prozent der Befragten der Erste Bank Studie zum Finanzwissen der ÖsterreicherInnen meinen, Kinder und Jugendliche würden zu wenig zum Thema Geld lernen). Auch hier haben die Banken eine hohe Mitverantwortung, diese Bildungslücken zu beseitigen. Maßnahmen wie Schulungen, Vorträge und die Breitstellung von Informationsmaterial sollen in Zusammenarbeit mit verschiedenen Bildungseinrichtungen besonders viele Menschen aus allen Bevölkerungsschichten erreichen. Auch dies ist ein wesentlicher Beitrag dazu, finanzielle Probleme rechtzeitig zu erkennen bzw von vornherein zu vermeiden. Erste Bank Unvermögen Seite 6
  • 7. 1. Fragestellung und Methodik Fragestellung ‣ Unvermögen in Österreich? Das Thema Geld ist in Österreich weitestgehend tabuisiert. Die Probleme, die aus Armut, finanzieller Ausgrenzung, finanziellem Unwissen und einem erschwerten Zugang zu Finanzmitteln, etwa bei Unternehmensgründungen, entstehen, bleiben damit vielfach verschleiert – diese Probleme werden in vorliegender Studie unter dem Schlagwort des „Unvermögens“ zusammengefasst. ‣ Social Banking / Mikrofinanzierung als eine der wichtigen Antworten darauf Ein wichtiger Ansatz zur Verminderung dieses „Unvermögens“ liegt im social banking bzw in einem weiter gefassten Begriff der Mikrofinanzierung. Dieses umfasst folgende Bereiche: - Basisfinanzdienstleistungen werden allen zur Verfügung gestellt - finanzielle Allgemeinbildung, und somit das Wissen über den Umgang mit Geld, werden besser vermittelt. - Mikrokreditdarlehen geben Menschen aus prekären Existenzen die Chance aus eigener Anstrengung heraus wieder den Einstieg ins Erwerbsleben zu schaffen ‣ Statistische Analyse und Volkswirtschaftliche Effekte Wer aber genau sind die Zielgruppen für derartiges social banking in Österreich, was weiß man über ihr Finanzverhalten, ihre Zugangsmöglichkeiten, ihre finanzielle Situation? Und welche Auswirkungen hat es eigentlich Finanzinstrumente für diese Zielgruppen auszubauen und zu entwickeln – ist es nur eine Frage der sozialen Verantwortung oder können auch weiterreichende volkswirtschaftliche Effekte identifiziert werden? Diesen Fragen wird in der vorliegenden Studie systematisch auf den Grund gegangen. Methode ‣ Literatursurvey Im ersten Teil des Working Papers wird die internationale Literatur zu Fragen des Finanziellen Zugangs, der Financial Literacy und der Mikrokreditfinanzierung in entwickelten Ökonomien in ihrer Relevanz für die österreichische Fragestellung reflektiert. Besondere Betonung liegt dabei auf der Frage, welche Bedeutung die jeweiligen Themen für die Volkswirtschaft insgesamt haben. Erste Bank Unvermögen Seite 7
  • 8. ‣ Volkswirtschaftliche Effekte müssen sinnvollerweise auf Mikroebene analysiert werden Die EZB (2009, 7) weist richtigerweise darauf hin, dass viele Fragen der wirtschaftlichen Dynamik nur unzureichend beantwortet werden können, wenn nur volkswirtschaftliche Aggregate analysiert werden. So werden der private Konsum, das private Sparen und das Vermögen der Haushalte stark von individuellen Lebenseinkommenserwartungen sowie von demographischen und sozioökonomischen Indikatoren getrieben. Um daher ihre Entwicklungen und die Effekte von Mikrofinanzierung auf diese volkswirtschaftlichen Gesamtgrößen richtig einzuschätzen, bedarf es Mikrodaten über das einzelne Haushaltsverhalten. ‣ EU-SILC Sondererhebung zu Finanzverhalten Im empirischen Teil werden daher die Österreich-Daten von EU-SILC auf die genannten Themen hin näher analysiert. Im Jahr 2008 gab es seitens EU-SILC eine Sondererhebung zu Verschuldung und Finanzverhalten der Haushalte. Diese wird hier genauer dargestellt – unter der Annahme, dass sich seither an den strukturellen Fragen nichts Wesentliches geändert hat, lassen sich daraus dann Handlungsempfehlungen ableiten. ‣ Struktur der Arbeit Das Paper, das somit eine Vielzahl von Aspekten umfasst, wurde schlussendlich so gegliedert, dass zunächst zu den drei Bereichen des social bankings internationale Erfahrungen, ökonomische Analysen, und in der Literatur genannte Handlungsempfehlungen dargestellt werden (Kapitel 2 bis 4). In Kapitel 5 wird dann für alle drei Bereiche zusammen auf die spezifische österreichische Situation eingegangen, anhand statistischer Analysen und best practices. Erste Bank Unvermögen Seite 8
  • 9. 2. Financial Access - (Un)Vermögen an Teilhabe In Kürze zusammengefasst… In OECD Ländern ist die finanzielle Infrastruktur (Banken, Versicherungen, etc) im Allgemeinen recht gut ausgebaut. Dennoch zeigt sich auch in diesen entwickelten Ökonomien, dass einzelne soziale Gruppen, wie einkommensschwachen Personen, AlleinerzieherInnen, MindestpensionsbezieherInnen und MigrantInnen, nur unzureichend am Finanzalltag teilhaben können, da ihnen die Basisinstrumente wie Konto oder Versicherung fehlen. Der Zugang zu solchen Finanzdienstleistungen ist aber notwendig für die Teilhabe am Wirtschafts- und Gesellschaftsleben. Dennoch haben laut EU-Kommission 30 Mio EU-BürgerInnen kein Girokonto. Wird dieser Zugang ermöglicht oder erleichtert, entstehen für die Einzelnen Vorteile – etwa durch Entstigmatisierung bei der Arbeitsplatzsuche oder durch geringere Geldtransferkosten. Es werden aber auch der Sozialstaat und die Volkswirtschaft entlastet, indem finanzielle Teilhabe hilft, aus prekären Lebensumständen herauszufinden, womit wiederum hohe Sozialleistungen eingespart werden können. Der Wirtschafts- und Finanzstandort profitiert, indem der verantwortungsvollere Umgang jedes einzelnen mit Geld Stabilität für alle bedeutet. Die finanzielle Teilhabe aller ist somit ein wichtiger Schritt zur Armutsbekämpfung, wirkt wachstumsstärkend und ist verteilungsgerecht. Nicht zu vergessen: Die flächendeckende Verbreitung von Basiskonten spart erhebliche Transaktionskosten im Geldverkehr – laut einer aktuellen Studie könnten in der EU so 220 bis 460 Mio jährlich eingespart werden. Um den Zugang zu Finanzdienstleistungen zu verbessern braucht es kundInnennahe und zielgruppenspezifische Beratung (es macht jeweils einen Unterschied, ob Jugendliche, junge Familien, Arbeitslose, GründerInnen oder andere beraten werden) – persönlich und, wo angebracht, durch die Unterstützung neuer Medien. Es muss dabei klar sein, dass es sich vielfach um besonders betreuungsintensive KundInnengruppen handelt. Auch die Zusammenarbeit von Politik, Finanzdienstleister und Beratungsstellen hat einen hohen Stellenwert. Internationale Erfahrungen und Empfehlungskataloge weisen in die Richtung, dass das Angebot bestmöglich flächendeckend zur Verfügung gestellt werden sollte, keine Vorbehalte gegenüber bestimmter Gruppen bestehen sollten und sich die Finanzdienstleister einem (meist freiwilligen) Verhaltenskodex verpflichten sollten. Eine wesentliche Ansprechpartnerin muss dabei die Hausbank sein – hier besteht ja bereits oft eine langjährige, vertrauensvolle Beziehung. Die rechtzeitige und umfassende Information bei finanziellen Problemen, Diskretion und eine unkomplizierte Kooperation mit anderen (Beratungs-) Einrichtungen sind hier wichtige Erfolgsfaktoren. Erste Bank Unvermögen Seite 9
  • 10. Zugangsprobleme zu Finanzdienstleistungen ‣ Zugang zu Finanzdienstleistungen ist wesentlich für Teilhabemöglichkeiten Der Zugang zu Finanzdienstleistungen ist notwendig für die Teilhabe am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben jedes Bürgers. Der alltägliche Zahlungsverkehr sowie Lohnzahlungen und das Sparen laufen über das Girokonto auf der Bank. Fällt der Zugang zu dieser Dienstleistung weg, da das Konto entweder gar nicht vorhanden oder gesperrt bzw entzogen ist, werden alle Geldgeschäfte schwer zu organisieren und erheblich verteuert. ‣ Mangelnder Zugang in Entwicklungsökonomien … Ein erschwerter Zugang zu Finanzdienstleistungen besteht jedenfalls in Regionen mit schwacher Finanz-Infrastruktur und in Ländern mit generell schwachen Bankensystemen. Vielfach entstehen die Barrieren hier nicht erst aufgrund einer allfällig schwachen sozioökonomischen Situation der KundInnen, sondern weil die Menschen schlicht und einfach zu wenig über das Finanzsystem Bescheid wissen, und keine Finanzdienstleister in ihrer unmittelbaren Umgebung haben. ‣ … aber auch in OECD-Ländern Für die OECD-Staaten gelten diese schlechten Vorbedingungen nicht: Diese Staaten verfügen über ein stabiles Bankensystem mit langer Tradition und ausreichend Erfahrung im Finanzgeschäft, die BürgerInnen verstehen diese Institutionen auch als wichtigen Teil des Systems. Zugangshindernisse gibt es aber dennoch: auf Grund der sozialen Stellung und/oder der Einkommenssituation. Finanzielle Ausgrenzung von Menschen mit niedrigen Einkommen (die häufig auch als „Risikokunden“ bezeichnet werden), lässt sich daher auch in Ländern mit hoher Finanzleistung und einem gut entwickelten Bankensystem identifizieren. Hier ist also der erschwerte Zugang zu Finanzdienstleistungen für einkommensschwache oder einkommenslose Personengruppen vor allem ein soziales Phänomen. ‣ Es geht nicht nur um Zugang, sondern auch um Nutzung In der Fachliteratur (Claessens, 2006) wird zwischen dem Zugang und der Nutzung von Finanzdienstleistungen unterschieden. So kann eben seitens der Anbieter scheinbar „unerwünschten“ Kunden der Zugang zu Finanzdienstleistungen verwehrt werden. Hier liegt es an den Finanzdienstleistern mögliche eigene Vorurteile zu überwinden und den Wert der Bearbeitung auch dieses Geschäftsfeldes und dieses Kundenkreises zu erkennen. Die Frage der Nutzung von Finanzdienstleistungen hingegen geht von der Sicht des potenziellen Kunden aus: Finanzdienstleistungen werden nicht in Anspruch genommen, weil etwa die Gebühren als zu hoch empfunden werden, weil zu wenig Auswahlmöglichkeit zwischen einzelnen Leistungen und Dienstleistern besteht und KundInnen ein gewisses Erste Bank Unvermögen Seite 10
  • 11. Misstrauen gegenüber dem Bankensystem hegen können (Claessens 2006, 214). Hier kann seitens der Bankdienstleister aktiv gegengesteuert werden um die Nutzung zu heben. ‣ In den wenigsten Ländern gibt es Regelungen für Basisfinanzdienstleistungen und Mikrofinanzierung In Österreich gibt es ebensowenig wie in Deutschland und der Mehrzahl der anderen EU- Länder ein Gesetz, das den Zugang zu Finanzdienstleistungen garantiert bzw eine diesbezügliche Verpflichtung der Finanzdienstleister formuliert. In etwa der Hälfte der EU- Länder gibt es aber gesetzliche Regelungen über einen prinzipiellen Zugang zu Finanzdienstleistungen ebenso wie Regelungen für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe, die sorgfältige Information, Beratung und Betreuung und ausreichende Sicherheiten vorsehen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine von der EU Kommission beauftragte europaweit vergleichende Studie (FES 2006). Laut dieser Studie werden die Rahmenbedingungen vor allem in Belgien, Schweden und der Schweiz als gut beurteilt. Zugang zu Finanzdienstleistungen – wachstumsstärkend und verteilungsgerecht ‣ Privater und gesellschaftlicher Nutzen eines verbesserten Zugangs Weltweit setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass ein verbesserter Zugang zu formellen Finanzdienstleistungen sowohl den privaten als auch den gesamtgesellschaftlichen Nutzen erhöht. Es hat sich gezeigt, dass eine Ausweitung der Zugangsmöglichkeiten das Wirtschaftswachstum erhöht und die Einkommensverteilung ausgleicht. Gerade ärmere Gruppen würden überproportional von derartigen Finanzmarktentwicklungen profitieren 1 , ihre Möglichkeiten der wirtschaftlichen Teilhabe werden dadurch deutlich erhöht, was wiederum Einkommenssteigerung und wirtschaftliches Wachstum mit sich bringt (siehe auch Yunus 2008). Auch die Europäische Kommission betonte im Rahmen ihrer Kampagne 2010 gegen Armut die Notwendigkeit grundlegender Dienstleistungen: Viele Europäer - und vor allem die von Armut betroffenen Bürger – haben derzeit keinen Zugang zu den grundlegenden Finanzdienstleistungen, Einlagen- und Girokonten sowie Spar-, Kredit-, Versicherungs- und Zahlungsleistungen. Der Zugang zu Finanzdienstleistungen ist für die wirtschaftliche und soziale Integration der Bürger in der heutigen Gesellschaft unabdingbar. Er ist eine Grundvoraussetzung für Beschäftigung, Wirtschaftswachstum, Abbau von Armut und soziale Eingliederung. (Europäische Kommission 2010b). 1 There is a growing recognition that increasing access to formal financial services has both private and social benefits. Extending the breadth of financial service availability in a given population causes economic growth and can improve income distribution. And the poor benefit disproportionately from financial development. (Weltbank 2005, 1) Erste Bank Unvermögen Seite 11
  • 12. ‣ Mangelnder Zugang erzeugt für die Einzelnen hohe Kosten ... Armut und die daraus resultierenden Zugangsbarrieren hindern Menschen daran, am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben voll integriert teilzunehmen: Ohne Basiskontoleistungen sind alltägliche Geldtransaktionen teurer (World Bank 2011, 10), da nicht nur Einkäufe, sondern beispielsweise auch Gebühren für Wasser und Strom mit Erlagschein zu entrichten sind. Dies kostet nicht nur Zeit, sondern meist auch zusätzlich höhere Bankgebühren. Das Fehlen eines Gehaltskontos wiederum kann beispielsweise den Zugang zu einer Arbeitsstelle erschweren und erzeugt Stigmatisierung, beeinträchtigt damit ebenfalls (Wieder-)Einstieg und Teilhabe am Wirtschaftsleben. ‣ … deren Vermeidung im gesamtwirtschaftlichen Interesse ist ... Somit können mehrere positive Effekte durch die Ermöglichung eines verbesserten Zugangs zu Finanzdienstleistungen identifiziert werden: - Die Bereitstellung eines Basiskontos für Menschen, denen ein „normales“ Konto verwehrt wird, bedeutet, sie in ihrem privaten als auch produktiven Leben zu unterstützen. - Ein weiterer positiver Effekt der Partizipation am Finanzleben ist die Ermöglichung den verantwortungsvollen Umgang mit den eigenen Finanzen zu erlernen und zu verbessern. - Zudem entspräche diese sozial verantwortliche Bereitstellung von Finanzdienstleistungen auch der gerade in letzter Zeit öfters formulierten Notwendigkeit der Rückbesinnung der Finanzdienstleister auf das traditionelle Bankgeschäft: Der Mensch und die Realwirtschaft stehen im Mittelpunkt, diese Strategie sichert zudem nachhaltig den Finanzstandort ab. ‣ … wie auch eine aktuelle EU-Studie zeigt 2010 wurde im Auftrag der Europäischen Kommission eine Kosten-Nutzen-Analyse eines Basiskontos veröffentlicht (CSES 2010). Es wird dabei nach KonsumentInnen, Banken und anderen Stakeholdern unterschieden. Für KonsumentInnen ist das flächendeckende Angebot angesichts der eben dargestellten Kosten jedenfalls mit hohem Nettonutzen verbunden. Die Kommission schätzt, dass dieser pro KonsumentIn bei 315 Euro im Jahr liegt: Den Kontoführungsgebühren steht an Nutzen gegenüber - keine Scheckeinlösungsgebühren, - keine Barüberweisungsgebühren, - Diskont bei elektronischer Zahlungsweise - und online Diskonte. Die wichtigsten „anderen Stakeholder“ sind Staat und Versorgungsunternehmen: Da diese bei Ein- und Auszahlungen ohnehin bereits die Infrastruktur des bargeldlosen Zahlungsverkehrs haben, gibt es kaum mehr Grenzkosten eines zusätzlichen Kundenkontos. Hingegen ist Barzahlung mit hohen (und aufgrund der Seltenheit steigenden) Transaktionskosten verbunden. Erste Bank Unvermögen Seite 12
  • 13. In Summe wird in der CSES-Studie für die gesamte EU ein Nettonutzen von flächendeckenden Basiskonten für die Stakeholder zwischen 226 und 463 Millionen Euro geschätzt. Wie kann der Zugang zu Finanzdienstleistungen verbessert werden? Empfehlungen der Europäischen Kommission ‣ Die Europäische Kommission nennt Instrumente eines verbesserten Zugangs 30 Millionen EU-BürgerInnen haben kein Girokonto. Angesichts dieser Tatsache hat die Europäische Kommission das Projekt FES (Financial education and better access to adequate financial services) ins Leben gerufen, im Rahmen dessen Strategien zur Verbesserung des Zugangs zu Finanzdienstleistungen erarbeitet werden sollen (Europäische Kommission 2011). Diese umfassen im Wesentlichen den (gesetzlich verankerten) Zugang zu einem Basiskonto sowie die (gesetzliche) Regelung für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe und die Ermöglichung der Verfügbarkeit von Sozialkrediten. ‣ Funktionen eines Basiskontos Als „Basiskonto“ wird dabei ein Konto mit grundlegenden Zahlungsfunktionen verstanden. Das heißt, es soll alle alltäglich notwendigen Dienstleistungen ermöglichen, wie kostenlose oder kostengünstige Transaktionen und eine Bankomatkarte, jedoch ohne Überziehungsmöglichkeit. Die Kommission beabsichtigt entsprechende Initiativen auch auf EU-Ebene zu fördern und zu unterstützen. Best Practice 2 : Belgien In Belgien wird per Gesetz seit 2003 im Rahmen der Armutsprävention jeder/m BürgerIn ein Bankkonto mit Basisfunktionen zur Verfügung gestellt. Dieses war zunächst über einen freiwilligen Verhaltenskodex der Finanzdienstleister zu Mindestfinanzdienstleistungen geregelt. Bald zeigte sich aber, dass von Seiten der Anbieter offenbar zu große Vorbehalte gegenüber einkommensschwachen Personengruppen herrschten. Daher entschied man sich für eine verbindlichere Lösung und verabschiedete ein Gesetz über den Zugang zu Konten mit Basisfunktion. 2005 wurde dieses evaluiert: Die Zahl der Menschen ohne Zugang zu einem Basiskonto war um 75 Prozent gesunken – von 40.000 auf 10.000! 2007 kam es abermals zu Reformen um die Informationstätigkeit zu erweitern, die Daten transparenter zu machen und bisher Ausgeschlossene, nämlich hoch überschuldete Personen, 2In internationalen Vergleichen werden regelmäßig auch die positiven Maßnahmen in Österreich erwähnt, die den Zugang zu Finanzdienstleistungen für Menschen mit niedrigem Einkommen schaffen. Diese werden im Österreich- Kapitel dieser Studie (Kapitel 5) eingehend dargestellt. Erste Bank Unvermögen Seite 13
  • 14. ebenfalls in die Maßnahmen zu inkludieren. Eine nachfolgende Evaluierung danach zeigte ein weiteres Erfolgsindiz: 93 Prozent der Auflösungen des Basiskontos erfolgten auf Wunsch des Kunden bzw weil zwischenzeitlich ein „normales“ Konto eröffnet werden könnte. Das Programm ist im übrigen ohne öffentliche Zuschüsse tragfähig. ‣ Verantwortungsvolle Kreditvergabe Laut den Empfehlungen der Europäischen Kommission geht es bei der „verantwortungsvollen Kreditvergabe“ darum, Standards, Normen und Kosten für die Gewährung von Krediten festzusetzen sowie neue Registrierungssysteme, die auch die Finanzdienstleister erfassen, zu erstellen. KonsumentInnen sollen „faire“ Finanzprodukte angeboten bekommen. In der Folge müssen natürlich auch Sanktionsmaßnahmen bei Nichteinhaltung dieser Standards festgelegt werden. Finanzgeschäfte erfordern ein gewisses Maß an Vertrauen zwischen Kreditnehmern und Finanzdienstleistern. Aus Sicht der Kommission sollte es daher Ziel sein, einen Verhaltenskodex für beide Seiten zu erstellen, um diese Vertrauensbasis und die Geschäftsbeziehung insgesamt positiv zu beeinflussen. ‣ Verbesserte Verfügbarkeit eines Sozialkredits Sozialkredite, Mikrokredite, Kleinstkredite – sie alle sind Darlehen, die als Starthilfe für Personen mit eingeschränktem Zugang zu den regulären Finanzinstrumenten dienen sollen. Begleitet von Beratungseinrichtungen wird somit eine Hilfe zur Selbsthilfe geleistet. Notwendig dabei: die verbesserte Information über Finanzdienstleistungen und die beratende Begleitung während des finanzierten Projekts. Eine genauere Analyse hierzu findet sich in Kapitel 4 – Mikrokredite. Verbesserungen im Umfeld der Finanzdienstleistungen ‣ Nicht nur Bank-, sondern auch Versicherungsleistungen bedenken In der Praxis zeigt sich, dass KundInnen von sozial motivierten Finanzprodukten, wie Basiskonten und Mikrokreditfinanzierungen, häufig auch hinsichtlich ihres Versicherungsschutzes und ihrer Versicherungsprodukte Unterstützung benötigen. So steht den wenigsten Personen in dieser Zielgruppe eine Unfall- oder Haushaltsversicherung oder gar eine Rechtsberatung zur Verfügung. Eine höhere Sicherheit und besser geregelte Verhältnisse in den persönlichen Lebensumständen stabilisieren aber auch die Finanzgebarung – und umgekehrt. Deshalb ist es durchaus auch im Sinne des Finanzinstituts derartige Produkte in einer Basisversorgung mit anzubieten. Erste Bank Unvermögen Seite 14
  • 15. ‣ Sparverhalten auch der schwächeren Einkommensgruppen fördern Wenn Menschen mit niedrigen Einkommen zwar über kein übermäßiges Sparvolumen verfügen, so ist es doch sinnvoll und nachhaltig einem etwaigen Sparwillen auch dieser KundInnen entgegenzukommen und diesen zu fördern (man denke etwa an die gerade in Österreich beliebte Form des Bausparens). Durch kundenspezifisch angepasste Ansparmodalitäten können so auch KundInnen mit einem Basiskonto für zukünftige Projekte Geld ansparen. ‣ Information über (soziale) Finanzdienstleistungen verbessern Damit potenzielle KundInnen einen verbesserten Zugang zu niedrigschwelligen Finanzprodukten bekommen bzw diese in höherem Ausmaß nutzen, brauchen sie gute, glaubwürdige und umfassende Information. Ein wesentlicher Ansprechpartner ist hier die Hausbank – im Idealfall bereits vor Verlust eines Kontos. Auch regionale oder spezifische Beratungsstellen können eine wichtige Rolle spielen. Notwendig: Alle Erstanlaufstellen und die Anbieter von Finanzdienstleistungen müssen möglichst reibungsfrei und unkompliziert zusammenarbeiten. Diskretion muss hier selbstverständlich, ebenso wie im konventionellen Bankgeschäft, oberste Priorität haben: Gerade in einkommensschwächeren Gruppen kann die Auskunft über die persönliche finanzielle Lage rasch als unangenehm empfunden werden. Es muss daher auf eine gute Balance zwischen Vertrauen und Anonymität geachtet werden: Kundennahe Regionalbanken können einerseits als Anlaufstelle des Vertrauens anerkannt werden, jedoch kann es auch zu vermehrter Scheu führen, wenn KundInnen auf Grund persönlicher Bekanntschaft ihre Anonymität nicht gewahrt sehen. ‣ Sprach- und Kulturschwellen berücksichtigen In vielen europäischen Ländern mit großer Zuwanderungsrate, wie Spanien und Frankreich, haben die Finanzdienstleister ihre Produkte auch auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppe abgestimmt. Bei einkommensschwachen Personen mit Migrationshintergrund treten zusätzliche Barrieren auf: Unwissenheit über das ansässige Bankenwesen, Kulturunterschiede im Lebensstil und Umgang mit Geld sowie häufige Diskriminierung erfordern einen besonders sensiblen Umgang mit dieser Personengruppe. Das Bewusstmachen und Wissen über eventuelle spezielle Bedürfnissen oder kulturelle Unterschieden trägt oft schon dazu bei, den Zugang zu sozial motivierten Finanzprodukte zu erleichtern. ‣ Technologische Rahmenbedingungen schaffen Die Nutzung elektronischer und neuer Medien ist auch im Finanzdienstleistungssektor für (vor allem junge) KundInnen schon selbstverständlich geworden (siehe hierzu auch Streissler 2010, 26f). Das Internet bietet dem Bankinstitut die Möglichkeit sich zu präsentieren und seine KundInnen zu informieren. Dieser Anspruch sollte auch gegenüber KundInnen eines Basiskontos gelten. Erste Bank Unvermögen Seite 15
  • 16. Dabei geht es weniger um die Kontoführung über das Internet, sondern vor allem um die Information über das spezielle Angebot eines Basiskontos. Gerade die elektronische Erstinformation, sofern diese nicht über eine Beratungsstelle läuft, ist für potentielle NutzerInnen eine diskrete und einfache Möglichkeit, sich einen Überblick zu schaffen (wobei dies stärker auf jüngere Erwachsene und Menschen mit höherem Bildungsniveau zutreffen dürfte). Zudem hebt die Präsenz im Internet das Angebot eines Basiskontos auf eine Stufe mit den „normalen“ BankkundInnen. Wichtig: Auch wenn das Internet einen zunehmend wichtiger werdenden Informationskanal darstellt, darf es keinesfalls aus einziges Kommunikationsmedium verwendet werden. Nicht alle KundInnengruppen sind ans Internet angebunden bzw wissen es zu nutzen und gerade „schwierige“ Zielgruppen brauchen die persönliche, vertrauensaufbauende und -pflegende Ansprache. ‣ Vernetzung mit anderen Akteuren Bei der Bereitstellung von Finanzdienstleistungen als Maßnahme gegen Verschuldung und Armut sind nicht nur die Finanzinstitute gefordert. Ebenso muss es Aufgabe der Politik sein, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Zivilgesellschaft mit ihren Hilfsorganisationen spielt beratend und unterstützend eine wichtige Rolle. Und natürlich braucht es Finanzdienstleister, die derartige niederschwellige, sozial motivierte Finanzprodukte anbieten. Je besser vernetzt diese Akteure zusammenarbeiten, um so höher wird auch der soziale und wirtschaftliche Nutzen dieser Maßnahmen sein. Erste Bank Unvermögen Seite 16
  • 17. 3. Mikrokredite – (Un)Vermögen an Zukunftschancen In Kürze zusammengefasst... Als Hilfe zur Selbsthilfe sind Mikrokredite (mit Kreditvolumen von weniger als 25.000 Euro) zu sehen, die der Existenzgründung und -sicherung dienen. Der Zugang zu diesen sozial motivierten Kleinstdarlehen gepaart mit der eigenen Leistungsbereitschaft ermöglicht prekarisierten Personen einen Neustart. Mikrokredite erzielen Wohlfahrtseffekte für die Einzelnen, wenn dadurch die Unternehmensgründung realisiert werden kann, eine Weiterbildung finanziert wird oder eine wichtige Anschaffung wie ein Auto gemacht werden kann. Der Sozialstaat profitiert, wenn Menschen keine staatlichen Leistungen mehr in Anspruch nehmen müssen. Und positive Standorteffekte für Wirtschaft und Finanz ergeben sich aus Betriebsgründungen, der daraus folgenden Steuerleistungen und der positiven Beschäftigungsbilanz. Fallbeispiele zeigen deutlich die positiven Auswirkungen von Mikrokrediten auf Wirtschaftsstandort und sozialen Zusammenhalt: Die Erfolgsquote, gemessen am dauerhaften Herauskommen aus der Arbeitslosigkeit durch das kreditfinanzierte Unternehmen, liegt bei ca 40 bis 50 Prozent. Pro erfolgreicher Neugründung aus der Arbeitslosigkeit entstehen zwei bis drei neue Arbeitsplätze, Mikrokredite stellen dabei insbesondere für Frauen ein wichtiges Unterstützungsinstrument bei der Gründung dar. Mikrokredite können durch staatliche Programme zur Verfügung gestellt werden, aber auch durch Banken und Private, wie Organisationen und Vereine. Auch die Europäische Kommission hat im Rahmen des EFS-Konjunkturpaktes mehrere Programme ins Leben gerufen, die Mikrokredite in Kooperation mit Banken vergeben. Der Beitrag von social banking zur Bekämpfung von Armut, regionaler Diskriminierung und wirtschaftlichem Abstieg wird dabei besonders hervorgehoben. Derartige Mikrokredite haben als Zielgruppe finanzschwache Menschen, die sonst keine Chance auf einen regulären Kredit bei der Bank hätten. Umso mehr sind auch in diesem Bereich die Regeln einer verantwortlichen Kreditvergabe sowie die umfassende Begleitung und Beratung der Kreditnehmer gefragt. Ein Kostenüberblick, ein Budgetplan sowie geringe Bearbeitungsgebühren sind Bestandteil sozialen Mikrokreditinstrumente, die auch flexibel auf Veränderungen des Marktes, aber auch der Kundenbedürfnissen und Rahmenbedingungen reagieren können müssen. Und schließlich gilt es die Programme regelmäßig hinsichtlich ihrer sozialen Ausrichtung und ihrer wirtschaftlichen Effektivität zu monitoren und evaluieren. Erste Bank Unvermögen Seite 17
  • 18. Mikrokredite als Hilfe zur Selbsthilfe ‣ Was sind Mikrokredite? Mikrokredite sind Kleinstkredite für Menschen mit niedrigem Einkommen. Sie dienen der Existenzgründung- und Sicherung oder sollen helfen beispielsweise eine Aus- und Weiterbildung (mit) zu finanzieren. In der EU ist der Schwellenwert des Kreditvolumens, unterhalb dessen ein Kredit als Mikrokredit gilt, 25.000 Euro. Niedriges Einkommen, ungesicherte Lebensverhältnisse hinsichtlich Wohnsituation oder Aufenthaltsstatus oder auch die Tatsache, dass man von Kreditinstituten bereits negativ registriert wurde (auf einer „Schwarzen Liste“ steht) – sie alle können dazu führen, dass der Zugang zu „normalen“ Krediten erschwert ist. Hier gibt es also einen weiteren Bedarf nach sozial motivierten Finanzprodukten. ‣ Hilfe zur Selbsthilfe Mikrokredite können für die KreditnehmerInnen den Ausweg aus der prekären Lebenssituation und einen Neustart in ein geregeltes Leben bedeuten. Sie sind als Startunterstützung, als Hilfe zur Selbsthilfe zu sehen – letztendlich braucht es immer den eigenen Einsatz und die persönliche Anstrengung, um den Weg beispielsweise aus der Armut wieder herauszufinden. ‣ Als Instrument der Entwicklungshilfe ausgezeichnet, trotz Probleme Mikrokredite sind vor allem als Instrument der Entwicklungshilfe bekannt, nicht zuletzt durch Muhammad Yunus, der für den Aufbau der Grameenbank, die Mikrokredite an Arme in Bangladesh vergibt, den Friedensnobelpreis 2006 erhielt. Die mit der Zeit aufgetretenen und bekannt gewordenen Probleme wie parallele Mikro-Kreditaufnahmen bei mehreren Instituten, die Verringerung der lokalen Sparquoten und auch überhöhte Zinsen, zeigen die Notwendigkeit, Mikrokreditprogramme und -instrumente sehr genau zu monitoren und evaluieren. ‣ Aber auch in Europa als wichtiges Instrument vor allem für KMUs erkannt Die Europäische Kommission hat sich zum Ziel gesetzt in allen europäischen Mitgliedstaaten Mikrofinanzierungsinstrumente für Kleinunternehmen und Arbeitslose zu etablieren um positive Beschäftigungseffekte zu erzielen und Arbeitsplätze zu schaffen. Mikrokredit in Europa wird dabei vorrangig als Kleinstkredit an kleine und mittlere Unternehmen verstanden– 99,8 Prozent aller europäischen Unternehmen sind derartige KMUs (mit weniger als 250 Beschäftigten), 92 Prozent sind als Mikrounternehmen zu klassifizieren (mit weniger als zehn Beschäftigten). Insbesondere die Finanzkrise und die daraus resultierende Kreditklemmen und -verschärfungen haben die Notwendigkeit von Mikrokrediten gerade für diese Zielgruppe der KMUs deutlich vor Augen geführt: Erste Bank Unvermögen Seite 18
  • 19. Zu den zentralen Problemen der KMU gehört ein eingeschränkter Zugang zu externen Finanzquellen. Dadurch sind ihre Möglichkeiten beeinträchtigt Investitionen zu finanzieren, Produktionskapazitäten zu erweitern sowie Produktivität und Löhne zu erhöhen. Der Mangel an Finanzmitteln wird häufig als Hindernis für das Wachstum von KMU genannt. (Brunner et al 2010, 7) ‣ Garantien und Fonds Um die Mikrokredite zu fördern, gibt es mehrere Initiativen seitens der Europäischen Kommission, so zB JEREMIE (Joint European Resources for Micro- to Medium Enterprises) und JASMINE (Joint Action to Support Microfinance Institutions in Europe). Weiters gibt es bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) im Rahmen des EFS- Konjunkturpaketes einen Fonds, der mit 500 Mio Euro ausgestattet ist, der der finanziellen Unterstützung zur Unternehmensgründung dienen und damit einen Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungssituation leisten soll. Mikrokreditinstrumente in den verschiedenen europäischen Ländern, so auch in Österreich, werden durch diesen Fonds unterstützt. 2011 wurde die European Progress Microfinance Facility ins Leben gerufen, wiederum mit EIB und EIF (Europäischer Investitionsfonds), der als speziellen Fokus Personen mit unzureichendem Zugang zu den Kreditmärkten hat. Er soll mit 100 Mio Euro dotiert werden (davon 60 Mio EUR aus dem Programm PROGRESS und 40 Mio EUR aus den Margen des EU- Haushaltsplans) und es wird erwartet, dass in den kommenden acht Jahren Mikrokredite an 45.000 europäische Kleinstunternehmen ausbezahlt werden (Europäische Kommission 2011a). ‣ Das European Microfinance Network - EMN 2003 wurde das European Microfinance Network (EMN) in Frankreich gegründet, das seither die Mikrofinanzierung in der Europäischen Union durch Unterstützung bei Gründung von Mikrounternehmen fördert. Ziel ist es einen Beitrag zum Kampf gegen Arbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung zu leisten. Finanziell und sozial ausgegrenzten Menschen soll der Zugang zu Finanzdienstleistungen geöffnet werden um sie dabei zu unterstützen ihre Lebenssituation zu verbessern. Zusätzlich veranstaltet das Netzwerk Lehrgänge sowie Konferenzen und informiert auf einer umfangreichen Website (www.european-microfinance.org) über wichtige Themen des Finanzsektors. Erste Bank Unvermögen Seite 19
  • 20. Wohlfahrtseffekte von Mikrokrediten Kurzfristige Effekte ‣ Konjunkturimpuls Wenn über staatliche Förderung und/oder verbesserte Rahmenbedingungen zusätzliche Kredite für neue Projekte vergeben werden, so wird dadurch zunächst einmal jedenfalls ein Konjunkturimpuls ausgelöst, der positiv auf Konsum und Volkseinkommen wirkt (siehe zB auch Buera et al 2011, 2): Neue Projekte und die sich daraus ergebenden Einkommen bringen eine Erhöhung der Steuereinnahmen (Fiskalischer Effekt) und führen zu einer Stärkung der niedrigeren Einkommen (Verteilungseffekt). ‣ Fiskalischer Effekt Zahlt es sich also aus, öffentliche Gelder in derartige Programme zu investieren? Die ökonomische Literatur ebenso wie die Veröffentlichungen der Europäischen Kommission weisen eindeutig in diese Richtung. Voraussetzung: Die Mehrzahl der Projekte ist erfolgreich, stellen also tatsächlich eine nachhaltige Gründung aus der Arbeitslosigkeit dar. Denn dann werden durch eine derartige Förderung gleichzeitig Kosten für den Sozialstaat (insbesondere in der Arbeitslosenversicherung) eingespart und höhere Steuereinnahmen erzeugt. ‣ Verteilungseffekte Mikrokredite, die den Ausweg aus einer prekären Existenz bieten (etwa Gründungshilfen für Arbeitslose) haben damit sowohl kurz- als auch langfristig positive Verteilungseffekte im Sinne von vermehrter Teilhabemöglichkeiten. Zielgruppe von Mikrokrediten sind Einkommensschwächere – die öffentliche Unterstützung dieser Gruppe ist somit tendenziell eine Umverteilung von unten nach oben. Werden gleichzeitig Konsummöglichkeiten (durch stabilere und höhere Einkommen) und Produktionspotenzial (durch Aktivierung) in diesem Bereich gestärkt, so wirkt dies positiv auf das gesamtwirtschaftliche Wohlstandsniveau. ‣ Notwendige Voraussetzung: Keine Verdrängungseffekte Bei der Beurteilung öffentlich geförderter Projekte muss bei Mikrokrediten ebenso wie bei jeder anderen Wirtschaftsförderung vor allem darauf geachtet werden, dass es zu keinen Verdrängungseffekten kommt – das heißt, dass durch das neue geförderte Projekt bereits am Markt ansässige, nicht-geförderte Unternehmen verdrängt werden. Es muss also unbedingt vermieden werden, dass durch die Förderung bestehende Unternehmen in finanzielle Bedrängnis kommen. Anders als Mitnahmeeffekte (sprich: es wird etwas gefördert, was auch ohne Förderung zustande gekommen wäre) sind Verdrängungseffekte nicht nur ineffektiv, sondern sie erzeugen Erste Bank Unvermögen Seite 20
  • 21. auch eine negative Dynamik, wenn Mikrokreditprogramme zu Lasten ansässiger Unternehmen gehen. Langfristige Effekte ‣ Konjunktureffekte schwächen sich ab … Mittel- und langfristig schwächen sich die Konjunkturimpulse eines Mikrofinanzierungsprogramms ab, dennoch zeigen Buera et al (2011), dass die Gesamtproduktivität der Wirtschaft (also quasi der nicht-erklärbare Wachstumseffekt) weiterhin höher bleibt. Durch regionale Standortaufwertung und erhöhtes Angebot und somit gesteigerter Nachfrage bleibt ein nachhaltiger Mehrwert erhalten. ‣ … aber es sollte wesentliche Struktureffekte geben Vor allem aber sollten im Optimalfall Strukturveränderungen eingetreten sein. Dies betrifft zum einen die Gründungsdynamik. Bereits 2003 stellte die Europäische Kommission (DG Enterprise 2003) fest, dass Mikrokredite eine Marktlücke abdeckten, wo bislang der Markt versagt hatte. So kann auch im Kleinstunternehmensbereich unternehmerische Initiative gefördert werden. Zum anderen wird durch mikrokreditgeförderte Unternehmen auch das Humankapital erhöht: Auf jeden Fall bei den UnternehmerInnen selbst: Unternehmerische Kreativität ist ebenso gefragt wie die Kompetenzen der sorgfältigen Unternehmensführung – Humankapital, das auch in anderen Bereichen der Wirtschaft gut einsetzbar ist. ‣ Langfristige Beschäftigungseffekte Die bislang evaluierten Fallbeispiele in Europa zeigen positive Beschäftigungseffekte (wie zB beim Mikrofinanzierungsprojekt in Nordrhein-Westfalen, wo ca drei Vollzeitarbeitsplätze pro Neugründung geschaffen wurden – siehe Infobox). Über die Langfristigkeit dieser Beschäftigungsverhältnisse kann noch keine Aussage getroffen werden, da die Programme selbst noch nicht lange laufen. Die Bilanz ist aber positiv, da sie jedenfalls keine Arbeitsplätze vernichten (vorausgesetzt, es gab keine Verdrängung wie oben beschrieben). ‣ Output auf höherem Niveau Langfristig ist somit der Schluss zulässig, dass durch die allgemeine Output- und Wachstumssteigerung im Zweit- und Drittrundeneffekt auch Löhne (und damit Preise) etwas ansteigen werden, und dass damit das letztendliche Wohlstands-Niveau deutlich über dem ursprünglichen liegt. Dieser Produktionsanstieg bedeutet auch, dass die Beschäftigung höher ist und dass damit aufgrund der vermehrten und differenzierteren Beschäftigungsmöglichkeiten auch die natürliche Arbeitslosigkeit sinkt. Erste Bank Unvermögen Seite 21
  • 22. ‣ Eine vorsichtige Quantifizierung volkswirtschaftlicher Effekte Wird mit einem Mikrokredit ein Unternehmen gegründet und wird angenommen, dass dadurch kein anderes, bereits bestehendes Unternehmen verdrängt wird, so entstehen positive Effekte für die Volkswirtschaft. Zum einem wird dadurch in dem Kleinunternehmen selbst Wertschöpfung und in vielen Fällen auch Beschäftigung generiert. Zum anderen gibt es auch zusätzliche Nachfrage für die Zulieferer und im Endeffekt können aufgrund gestiegener Einkommen zusätzliche Konsumimpulse entstehen. Eine einfache Input-Output Schätzung für Österreich zeigt beispielsweise, dass ein Kreditvolumen von einer Million Euro für ca 50 kleine Handelsbetriebsgründungen (also 20.000 Euro für jedes dieser Start-Ups) über diese Multiplikatoreffekte das Bruttoinlandsprodukt mittelfristig um bis zu zwei Millionen Euro steigern würde, und somit eine Million Euro an zusätzlicher Wertschöpfung entstünde. Zusätzlich würden 20 Arbeitsplätze in der Wirtschaft geschaffen oder erhalten. ‣ Weitere positive Einzeleffekte: Frauen profitieren und Regionen werden gestärkt Derartige Langfristeffekte sind aber nur sehr vage abschätzbar – es gibt zu viele unbekannte bzw schlecht erfassbare Einflussfaktoren um empirisch tragfähige Evidenzen liefern zu können. Dennoch finden sich zahlreiche (zum Teil nur qualitative) Belege für positive strukturelle Effekte: So sind etwa Mikrokredite auch in entwickelten Ländern offenbar ein Instrument um gerade für Frauen Gründungsvorhaben zu erleichtern (siehe auch Beispiel Nordrhein-Westfalen). Außerdem dürfte es sich in vielen Fällen um Projekte und Kleinstunternehmen mit einer hohen regionalen Verbundenheit handeln. Gerade in strukturschwächeren Regionen können Mikrokredite daher einen Beitrag dazu leisten, auf niedrigschwelligem Niveau wirtschaftliche Aktivität und damit ein Aufschwungsklima zu begünstigen. ‣ Nicht nur die Volkswirtschaft, sondern auch die Gesellschaft profitiert Neben den rein volkswirtschaftlichen Effekten wird gerade in Europa aber auch dem Thema der „sozialen Teilhabe“ und der „fairen Verteilung“ ein relativ hoher Stellenwert eingeräumt und wirtschaftspolitische Bedeutung beigemessen. Damit werden Mikrokredite selbst dann, wenn sie im Einzelfall nicht den gewünschten betriebswirtschaftlichen Profit bringen, einen gesellschaftlichen Mehrwert erzeugen: Microfinance targets some non-profit maximizing goals such as social inclusion, job creation, micro enterprises development and development of regions. (...) Microfinance programs in Western Europe are not and possibly will not become profitable but make economic sense. (...) Western European microfinance has, compared to developing and transitions countries, a strong focus on social inclusion and pays less attention or almost no attention to its profitability. (Evers et al. 2007, 10.) Erste Bank Unvermögen Seite 22
  • 23. Nordrhein-Westfalen: Ein gut evaluiertes Fallbeispiel Meyer und Biermann haben in ihrer Studie 2010 das Mikrofinanzierungsprojekt in Nordrhein- Westfalen evaluiert. Die Evaluation zeigt die positiven Auswirkungen einer solchen Maßnahme: Das Projekt dient zur „Ausschöpfung von Gründungspotenzialen“ und der „Unterstützung von Investitionen in bestehende Unternehmen“. In der Region war die Neugründungsquote, verglichen mit Gesamt- Deutschland, eher unterentwickelt, sodass dieses Pilotprojekt als wichtiger Antrieb gesehen wurde. Eine ausreichende Finanzierung ermöglicht die Gründung an sich oft erst, sichert eine tragfähige Größe und erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit signifikant. (Meyer 2010, 7) Gut 22 Prozent der Gründer, die externe Mittel einsetzen, haben einen Bedarf zwischen fünf- und zehntausend Euro, weitere elf Prozent einen Bedarf zwischen 10.000 und 25.000 Euro. Insgesamt liegt damit der externe Finanzierungsbedarf jeder dritten Gründung im Bereich der Mikrodarlehen. Folgende positive Effekte konnten festgestellt werden: Durch die Mikrodarlehen konnten 203 Gründerinnen und Gründer bei ihrem Vorhaben entscheidend unterstützt werden. 102 Darlehen wurden mit dem Ziel ausgegeben, ein bestehendes junges Unternehmen zu festigen (Meyer 2010, 34). Der überwiegende Teil (87 Prozent) der neu gegründeten Unternehmen sind „Sologründer“. Die restlichen 13 Prozent sind Teamgründungen oder Unternehmen, die Mitarbeiter beschäftigen. Hier entstanden pro Neugründung ca drei neue Vollzeit-Arbeitsplätze. Das sind somit über alle Gründungen zusammen im Durchschnitt pro Gründung 1,26 neue Arbeitsplätze. Bemerkenswert ist die Frauenquote: Während im konventionellen Kreditbereich 26 Prozent der Instrumente von Frauen in Anspruch genommen werden, sind es beim Mikrokreditprogramm 40 Prozent. Dies dürfte sich auch daraus erklären, dass Gründungen von Frauen grundsätzlich einen geringeren Finanzierungsbedarf aufweisen. 44 Prozent aller DarlehensempfängerInnen (66 Prozent bei den Neugründungen) kommen aus der Arbeitslosigkeit. Es zeigt sich somit, dass diese benachteiligte Personengruppe als Zielgruppe gut erfasst wird und sich die gewünschten sozialen Effekte einstellen (Meyer 2010, 36). Erste Bank Unvermögen Seite 23
  • 24. Wie können Mikrokredite verbessert und erweitert werden? ‣ Banken als wesentliche und verantwortungsvolle Treiber des Mikrokreditsektors Mikrokredite müssen ganz wesentlich von Banken getragen sein (dies wird zB auch in dem Bericht der DG Enterprise 2010 betont): Banken sollten Mikrokredite als innovativen und profitablen Weg sehen Wirtschaft und Gesellschaft weiterzuentwickeln. Ziel sollte ein größerer und qualitativ besser entwickelter Mikrokreditsektor sein. ‣ Erfahrungen aus konventionellem Bank-Geschäft nützen ... Damit solche nachhaltige Dynamik in den Bereich der Mikrofinanzierung hineinkommt, müssen sich Banken, die dieses Geschäft traditionell beherrschen, aktiv daran beteiligen und ihre Erfahrungen aus der konventionellen Kleinunternehmensfinanzierung einbringen: Der Bereich des Micro Lending spricht eine aktive Arbeitsmarktpolitik der Banken und Sparkassen an. Hier geht es darum, das Erlernen von Selbstständigkeit praxisorientiert zu begleiten, wozu die Erfahrung aus der KMU-Finanzierung eine wesentliche Grundlage bietet. In diesem Arbeitsbereich geht es auch darum, eine Koordination mit staatlichen Aktivitäten zu ermöglichen und staatliche Subventionen nicht als Ersatz sondern als Zugang zu wirtschaftlicher Aktivität zu nutzen. (Reifner 1997, 11) ‣ … aber zielgruppenspezifische Bewertungen vornehmen Im Kleinkreditbereich stoßen Banken mit den standardisierten Verfahren der Bewertung der Kreditwürdigkeit und -sicherheit rasch an Grenzen: Es fehlt an Informationen, der Aufwand des Sicherheitenmanagements ist im Vergleich zur Kreditsumme unverhältnismäßig groß. Daher wird es seitens der Banken notwendig sein, neben diesen standardisierten Verfahren gerade im Mikrokreditbereich verstärkt auf qualitative Faktoren abzustellen: Es geht um die individuelle Beurteilung der Kompetenzen der potenziellen GründerInnen, um die Einschätzung der vorlegten Businesspläne und der Cash-Flow-Prognosen (siehe auch DG Enterprise 2010, 5). Die Geschäftsidee soll auf Umsetzbarkeit, Erfolgschance und Langlebigkeit untersucht werden. Hier lassen sich eventuelle Schwachstellen noch verbessern und wichtige Erfolgstipps eingebracht werden (ASB Schuldnerberatungen 2007b). Die Abstimmung mit Wirtschaftsförderungsstellen und KMU-Förderern kann hier zusätzlich unterstützen (man denke etwa an das externe KMU-Ratingangebot von aws Austria). ‣ Niederschwelliger Zugang Es ist anzunehmen, dass ein Großteil der potenziellen MikrokreditkundInnen keine sehr großen Erfahrungswerte mit Finanzinstrumenten hat. Es müssen daher bei der Adressierung dieser Zielgruppe all jene Empfehlungen beachtet werden, die bereits bei den Fragen des „Zugangs zu Finanzprodukten“ (Kapitel 2) bzw die im folgenden Kapitel 4 zu „Financial Literacy“ angesprochen werden. Erste Bank Unvermögen Seite 24
  • 25. Selbstverständlich müssen hier fast noch mehr als im konventionellen Bereich die Regeln der verantwortungsvollen Kreditvergabe, Transparenz- und Informationsgebote beachtet werden. ‣ Individuell angepasste Kreditraten und eine geringe Bearbeitungsgebühr Kredite können für die KreditnehmerInnen teuer werden, vor allem, wenn es zu Zahlungsrückständen kommt. Daher ist bei den Rückzahlungsmodalitäten vor allem auch eines Mikrokredits darauf zu achten, dass der/die KreditnehmerIn einen Überblick über die monatlichen Kosten hat und diese in einem Budgetplan übersichtlich zusammengefasst sind. Ein standardisierter Zahlungsplan, den das Finanzinstitut zur Verfügung stellt, gibt Transparenz und hilft dem/r KundIn die Kreditbedingungen besser zu verstehen. Überdies wäre es auch wichtig die Bearbeitungsgebühren für die Kreditabwicklung möglichst gering zu halten (Zdrahal-Utbanek 2007, 9.) ‣ Beratung und Begleitung bei der Projektumsetzung Es ist sinnvoll, begleitend zu einem Mikrokreditprogramm auch Betreuung und Beratung sowohl für die Geschäftsentwicklung selbst als auch beispielsweise für allfällige Behördenwege anzubieten. KreditnehmerInnen sollen nicht mit Schwierigkeiten oder Fragen allein gelassen werden – dies ist auch im Sinne der Finanzdienstleister, hilft es doch die Nachhaltigkeit der Existenzgründung abzusichern. ‣ Evaluation und Monitoring Mikrofinanzprogramme sollten als dynamisches, lernendes Instrument konstruiert werden. Es ändern sich Gegebenheiten und Marktverhältnisse. Darauf sollte flexibel reagiert werden können. Dafür ist es aber erforderlich Mikrokredite laufend zu evaluieren: Was ist das selbstgesteckte Ziel, wie können die Effekte auf Mikro- und auf Makroebene bewertet werden, welche Zielgruppen, Branchen und Regionen werden erreicht, wie einfach ist der Zugang und dgl mehr? Best Practice 3 : Mikrokreditfonds in Deutschland (Quellen: www.optimist-mikrokredit.de; www.mikrokreditfonds.de) Der Mikrokreditfonds Deutschland hat ein Finanzvolumen von ca 100 Millionen Euro und läuft bis Mitte 2017. Die Mittel stammen aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und Haushaltsmitteln der Bundesregierung. Eigentümer des Kreditfonds sind das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWI). Es wird eine Vergabe von ca. 13.000 Krediten deutschlandweit 3 Im Kapitel 5 werden die österreichischen Best Practices im Bereich der Mikrofinanzierung vorgestellt. Erste Bank Unvermögen Seite 25
  • 26. angestrebt – seit Anfang 2010 wurden bereits über 6.000 Kredite vergeben und damit die ursprüngliche Planung weit übertroffen. Mit Hilfe des Mikrokreditfonds der Bundesregierung sollen die Engpässe kleiner Unternehmen bei der Kreditaufnahme beseitigt und der Zugang zu kleinen Unternehmenskrediten bis 20.000 Euro – bei Erstkrediten bis 10.000 Euro – bundesweit erleichtert werden. Die Zielgruppe der Initiative sind Kleinst- und Kleinunternehmen (KKU), die über ihre Hausbanken und Sparkassen üblicherweise keine Kredite erhalten. Junge Unternehmen sowie Unternehmen, die von Frauen oder von Personen mit Migrationshintergrund geführt werden, genießen bei der Kreditvergabe besondere Aufmerksamkeit. Die persönliche, unbürokratische Betreuung der Kreditkunden steht im Mittelpunkt – nach dem Motto „Erst der Unternehmer, dann die Zahlen". Der nominale Zinssatz beträgt derzeit 8,5 Prozent pro Jahr, es sind Annuitätendarlehen ebenso wie endfällige Kredite möglich, mit Laufzeiten von sechs bis 24 Monaten. Zeitungsberichten zufolge (etwa Hamburger Abendblatt 29/09/2010 oder Spiegel online 11/11/2011) sind die Erfahrungen mit wenigen Ausnahmen sehr positiv. Und auch die Evaluierungen des Mikrokreditfonds belegen die positiven Effekte: Die zwischen 2005 und 2009 vergebenen 500 Kredite mit einem Gesamtvolumen von drei Millionen Euro haben eine Ausfallsquote von weniger als drei Prozent. Diese Ausfallsquote blieb auch nach der Neuregelung und Erweiterung 2010 konstant. Die zusammenfassende Beurteilung laut Mikrokreditfonds: Im Durchschnitt werden durch jeden Mikrokredit ca. 1,5 Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten. Im Vergleich zu anderen Förderinstrumenten ist Mikrofinanz insofern sehr effektiv und fördert in besonderem Maße individuelles Engagement und Selbstverantwortung. (www.mikrokreditfonds.de) Best Practice: Spanien – Mikrokredit für prekäre GründerInnen Das Mikrokreditprogramm in Spanien steht jenen Bürgern zur Verfügung, die nicht über einen Zugang zum Kreditvergabesystem verfügen, da sie nicht kreditwürdig sind. Um diese Menschen nicht aus dem klassischen Finanzsystem auszuschließen, haben sich die verschiedenen Sparkassen, private und öffentliche Kreditvergabeinstitute und soziale Organisationen zusammengeschlossen. Erste Bank Unvermögen Seite 26
  • 27. Der Kredit richtet sich an benachteiligte Personen, wie Menschen über 45 Jahre, Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderung, AlleinerzieherInnen und MigrantInnen. Er dient der Existenzgründung, in Form eines Kleinunternehmens, das ein sicheres Einkommen und einen stabilen Arbeitsplatz bietet. Der Beratung wird ein hoher Stellenwert eingeräumt, um den KreditnehmerInnen in Finanzfragen, aber auch in unternehmerischen Problemstellungen zur Seite zu stehen. Die Studie "El impacto de los microcréditos en la vida de las empresarias españolas", die im Dezember 2007 von Women's World Banking durchgeführt wurde, hat festgestellt, dass jede Kreditvergabe 2,15 Arbeitsplätze schaffe. Best Practice: Belgien – Sozialer Konsumkredit Das Beispiel Belgien zeigt, dass Mikrokredite nicht nur auf Unternehmensgründung selbst beschränkt sein müssen. In zwei belgischen Regionen gibt es für NiedrigeinkommensbezieherInnen die Möglichkeit, subventionierte Konsumkredite für vor- definierte Vorhaben zu bekommen: Dies kann vom Führerschein (um mobiler und daher beschäftigungsfähiger zu werden) bis hin zu einer Grundmöbelausstattung nach einer Trennung reichen. Das Instrument soll Überschuldung vermeiden helfen, es wird auch hier der Beratung ein hoher Stellenwert eingeräumt und es wird jeweils auch gemeinsam nach Alternativen zu einem Kredit für die Problemlösung gesucht. Die KreditnehmerInnen müssen aktiv beim Antrag und bei der Erstellung eines Haushaltsplans mitarbeiten – insofern wird hier auch die Financial Literacy gefördert. Erste Bank Unvermögen Seite 27
  • 28. 4. Financial Literacy – (Un)Vermögen an Wissen In Kürze zusammengefasst... Das eigene verantwortungsvolle Geldmanagement und Vorsorgedenken sind grundlegend für die persönliche finanzielle Absicherung zB bei Weiterbildung, Wohnungsanschaffung und Pensionsvorsorge und damit wiederum von hoher Relevanz für die Volkswirtschaft, den Sozialstaat und den Finanzstandort. Unklarheiten und Unwissen über Finanzprodukte und Zusammenhänge in der Geldwirtschaft führen zu einer größeren Scheu gegenüber Banken und deren Dienstleistungen. Somit werden Beratung, Hilfestellung und optimale Finanzlösungen nicht rechtzeitig oder gar nicht in Anspruch genommen bzw kann auch nicht zwischen guter und schlechter Beratung unterschieden werden. Viele Finanzprodukte sind in ihrer Komplexität nur sehr schwer zu verstehen und für viele Menschen nicht optimal auf ihre jeweilige Lebenssituation abgestimmt. Dies führt zu Fehlentscheidungen in Finanzfragen wie Vorsorge und Sparveranlagungen ebenso wie zur Selbstüberschätzung der eigenen Finanzkompetenz, was wiederum ein Übersehen oder Unterschätzen eigener finanzieller Risikosituationen nach sich ziehen kann. Finanzielle Allgemeinbildung soll dazu befähigen, Finanzentscheidungen gewissenhaft treffen zu können um mögliche Risiken zu vermeiden. Sie soll als Teil des KonsumentInnenschutzes verstanden werden und durch die Kooperation verschiedenster Institutionen wie Banken, Bildungseinrichtungen und Beratungsstellen möglichst viele Zielgruppen erreichen. Finanzielles Wissen hat aber nicht nur Konsumentenschutzaspekte, sondern bringt materielle Vorteile für jeden einzelnen und somit der Gesellschaft. Eine deutsche Untersuchung zeigt, dass finanzielle Fehlentscheidungen aufgrund mangelhafter Beratung bzw mangelhaftem eigenen Wissen jährliche Vermögensverluste von etwa einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes verursachen können. Daher sollte Finanzwissen allen – und insbesondere einkommensschwachen – Personengruppen zur Verfügung stehen und daher Programme zur Wissensvermittlung, die die KundInnen in den Vordergrund stellen, dringend ausgebaut werden. Finanzielle Allgemeinbildung muss als lebenslanger Lernprozess begriffen werden, da je nach Lebenssituation andere Finanzfragen relevant sein können. Maßnahmen sollen bereits bei Kindern beginnen, um möglichst früh einen Grundstein zum verantwortungsvollen Umgang mit Geld zu legen. Projekte und Lehrinhalte müssen also zielgruppenspezifisch auf die verschiedenen Interessenlagen und sozioökonomischen Hintergründe ausgerichtet sein. Erste Bank Unvermögen Seite 28
  • 29. Financial Literacy als Teil der Allgemeinbildung ‣ Definition von Financial Literacy Beim Thema Finanzielle Allgemeinbildung, das im Englischen unter Financial Literacy bekannt ist, geht es um die Vermittlung von Bildung für Verbraucher, die helfen soll, das Finanzdienstleistungssystem funktionsgerecht und verantwortungsvoll zu nutzen. (FIS Money Advice 2001) ‣ Jede/r BürgerIn baucht Mindestmaß an Finanzieller Allgemeinbildung ... Finanzwissen und Finanzkompetenz sind also nicht nur für Investoren wichtig, sondern für alle BürgerInnen, die sich ein Eigenheim anschaffen, die Ausbildung der Kinder finanzieren oder das alltägliche Haushaltsbudget organisieren wollen, wie auch die OECD auf ihrer Website www.financial-education.org betont 4 : Letztendlich geht es um die Verbesserung von finanziellem Wohlstand und finanzieller Absicherung. Denn Finanzkompetenz schafft die Möglichkeiten, das eigene Geld sinnvoll und in jeweils optimaler Balance von Risiko und Rendite zu verwalten. ‣ … auch als Prävention gegen Armut Fehlt dieses Wissen, ist ein verhältnismäßiger Umgang mit den eigenen finanziellen Möglichkeiten nicht gewährleistet. Finanzielle Schwierigkeiten, Verschuldung oder Missmanagement können die Folge sein. Finanzielle Allgemeinbildung ist deshalb ein wesentlicher Beitrag zur Armutsprävention. ‣ Finanzwissen wird zunehmend komplexer ... Da die Finanzprodukte in den letzen Jahren immer komplexer und vielfältiger geworden sind, ist es für die KonsumentInnen nicht leicht die richtigen Entscheidungen passend zu ihrer jeweiligen Lebenssituation zu treffen. ‣ … zum Teil auch subjektiv falsch eingeschätzt Es ist nicht einfach, sich Wissen über Finanzprodukte anzueignen, da die Komplexität der Thematik gewisse Vorkenntnisse notwendig macht. Hinzu kommt, dass viele Menschen ihr eigenes Finanzwissen überschätzen. So zeigt eine deutsche Studie (Hummelsheim 2010, 5), dass nur etwa die Hälfte derer, die sich für gut informiert halten, tatsächlich ausreichende Grundkenntnisse aufweisen. Dies zeigt sich auch in 4 Financial education is the process by which financial consumers/ investors improve their understanding of financial products and concepts and, through information, instruction and/or objective advice, develop the skills and confidence to become aware of (financial) risks and opportunities, to make informed choices, to know where to go for help, and to take other effective actions to improve their financial well-being and protection. (OECD-Website: www.financial- education.org) Erste Bank Unvermögen Seite 29
  • 30. der OECD Survey (OECD 2005b): Befragt nach der Einschätzung ihrer eigenen finanziellem Allgemeinbildung bezeichnen sich viele oftmals besser informiert, als es tatsächlich der Fall ist. So zeigte etwa eine australische Erhebung, dass sich 67 Prozent der Befragten für finanziell kompetent hielten, aber nur 28 Prozent ein entsprechendes Beispiel richtig lösen konnten. Das erweist sich hinderlich bei der Wissensvermittlung – da ja kein Wissensdefizit wahrgenommen wird, ist es auch schwieriger, den Menschen die eigentlich notwendige Bildung anzubieten und zukommen zu lassen. Ausserdem ist bei Abschluss eines Finanzgeschäfts nicht auszuschließen, dass Unklarheiten oder Missverständnisse unentdeckt blieben. Einkommensschwächere Gruppen haben dabei tendenziell ein noch geringeres Informations- und Wissensniveau – dies zeigen Erhebungen aus den USA, Australien und Großbritannien (ebenfalls dargestellt in OECD 2005b, 43). Allerdings: Zu wenig Wissen über Finanzbegriffe und Finanzprodukte findet sich auch bei Angehörigen höherer Bildungsschichten (etwa aufgrund mangelnden Interesses). ‣ … und über einige Jahre auch von den Banken zu wenig beachtet Aber nicht nur die KundInnen allein haben die Verantwortung für unzureichendes Wissen über Finanzdienstleistungen zu übernehmen. Während der Boomzeit der Finanzmärkte tendierten zahlreiche Banken dazu, ihre Produkte immer komplexer zu gestalten und haben sich andererseits zu wenig an der Bildung der Allgemeinheit in Sachen finanzielles Wissen beteiligt. Mehr Wissens-Vermögen der Einzelnen nützt allen ‣ Wissen bringt mehr Sicherheit für alle Ausreichendes Finanzwissen ist für jede/n einzelne/n notwendig, um eine sichere und nachhaltige Gebarung der eigenen Finanzangelegenheiten zu gewährleisten. Eine gute Finanzbildung der einzelnen trägt somit in Folge dazu bei, dass durch individuell verantwortungsvoll geführte Finanzen auch die Realwirtschaft, der Sozialstaat und der Finanzstandort profitieren. ‣ Finanzwissen ist gerade auch für Einkommensschwächere von Bedeutung BezieherInnen geringerer Einkommen haben, wie dargestellt, spezielle Bedürfnisse hinsichtlich ihrer Finanzprodukte. Gleichzeitig ist bei ihnen tendenziell das Finanzwissen geringer ausgeprägt. Die Kombination aus geringem Wissen und geringem Einkommen kann dazu führen, dass sie nur Zugang zu sehr standardisierten, nicht bedarfsgerechten Instrumenten haben, und dies unter Umständen zu einem zu hohen Preis: Any action to tackle the lack of financial literacy needs to take account of the fact that financial literacy and poverty are often considered to be interdependent. This is evident from the fact that lower income, poorer educated customers risk to get poorer quality Erste Bank Unvermögen Seite 30
  • 31. advice, they usually have access only to standardised products which do not meet their needs well and are likely to pay more when applying for loans. (Habschick et al 2007, 7) Ihr Finanzwissen zu erhöhen ist dabei nicht nur aus sozialen Motiven notwendig: Ein besseres Wissen über verschiedene Möglichkeiten und mögliche Risiken hilft, auch prekärere finanzielle Situationen besser steuern zu können. Weniger Menschen, die finanzielle Schwierigkeiten haben, bedeuten schlicht und einfach auch für den Sozialstaat weniger Kosten und Aufwand. Finanzielle Allgemeinbildung und damit ein ausreichendes finanzielles Vorsorgedenken sind somit aus individueller wie gesamtwirtschaftlicher Perspektive wichtige Investitionen in die Zukunft. ‣ Finanzwissen vermeidet unnötige volkswirtschaftliche Verluste Eine Studie des deutschen Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat ergeben, dass in Deutschland durch unsachgemäße Finanzvermittlung jährlich mehrere Milliarden Euro verloren gehen. Der Nutzen bzw die Kosten einer finanziellen Entscheidung wären von den meisten VerbraucherInnen kaum zu erfassen oder zu bewerten –  man tendiert dazu, dem Berater die Entscheidung zu überlassen. Ein unzureichendes Verständnis über Finanzgeschäfte führt zu Unsicherheiten und einem wenig rationalen Anlageverhalten der KundInnen. Die Studie zeigt, dass der deutschen Wirtschaft durch mangelhafte Finanzberatung ein jährlich geschätzter Vermögensschaden von 20 bis 30 Mrd Euro entsteht (Habschick et al. 2008, 10) – das wären etwa ein Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes. ‣ Vorsorge ist besser abgesichert ... Wenn die BürgerInnen mehr Eigenverantwortung für ihre Altersvorsorge, Gesundheit, Ausbildung übernehmen sollen, bedeutet dies vermehrt Auswirkungen auf das Risikoprofil der privaten Haushalte und damit auch auf die Stabilität des Finanzsystems. Grundlegend für mehr Eigenverantwortung ist die Bereitstellung von Wissen und Finanzielle Allgemeinbildung am gesamten Bildungsweg. Die steigende Verschuldung von Privatpersonen, die Unfähigkeit ein ausgeglichenes Budget zu erstellen oder die Unkenntnis über einfache Abläufe im Finanzwesen verdeutlichen diese Probleme. Aber auch in Hinblick auf die Altersvorsorge gewinnt diese Thematik mit der steigenden Lebenserwartung an Dringlichkeit. Es wird immer wichtiger die eigenen Finanzen sorgfältig und vor allem langfristig zu planen, um auch im Alter noch über genügend finanzielle Mittel zu verfügen. (Stäheli 2008) ‣ … und unerwünschte Dynamiken können besser vermieden werden Eine Folge von verstärkten Finanzausbildung kann auch die Forderung nach mehr Transparenz bzw bessere Erklärungen bei Finanzbelangen sein. Diese Aufgabe muss qualitätsvoll von den einzelnen Finanzinstituten übernommen werden, da sie sonst zu einem interessanten Geschäft Erste Bank Unvermögen Seite 31
  • 32. für wenig seriöse Beratungsunternehmen wird, mit zum Teil unangenehmen volkswirtschaftlichen Effekten: Wie sich die mangelnde Finanzkenntnis weiterer Teile der Bevölkerung insgesamt auf die Stabilität des Finanzsystems auswirkt, ist offen. Es ist jedoch zu vermuten, dass durch „Herdenverhalten“ spekulative Blasen verstärkt werden, deren Platzen dann zu gravierenden Störungen der Volkswirtschaft führen können. (Stäheli 2008) Wie kann die Finanzielle Allgemeinbildung verbessert werden? ‣ Wissensvermittlung soll Kunden und nicht Anbieter in den Vordergrund stellen Sowohl OECD (2005b) als auch die Europäische Kommission 5 nennen eine Anzahl von Empfehlungen für eine verbesserte finanzielle Allgemeinbildung. Vorrangig dabei: Die finanzielle Allgemeinbildung soll unverfälscht, ohne Eigeninteresse und gut koordiniert sowohl von öffentlichen als auch privaten Einrichtungen, angeboten werden. Und sie soll zielgruppenspezifisch sein, zugeschnitten auf verschiedene Personengruppen oder unterschiedliche Lebensumstände. ‣ Wissensvermittlung sollte auch als Teil des Konsumentenschutzes verstanden werden Die Wissensvermittlung soll kostenlos und leicht zugänglich sein. Auch die Möglichkeiten des Internets sollten dabei ausgeschöpft werden. Bei einem Bankgeschäft liegt es vor allem in der Verantwortung der VertriebsmitarbeiterInnen und BankberaterInnen sich davon zu überzeugen, dass die Kundin / der Kunde die Informationen und Geschäftsbedingungen verstanden hat. Formulierungen sollten dementsprechend nicht zu kompliziert sein und generell sollte auf das „Kleingedruckte“ verzichtet werden (siehe auch OECD 2005b, 4). Anstrengungen in Richtung vermehrter finanzieller Allgemeinbildung gehen daher eng einher mit Konsumentenschutz und der Regulierung und Kontrolle der Finanzinstitutionen. ‣ Wissensvermittlung soll bereits bei Kindern starten Wissensvermittlung über das Thema Finanzen soll so früh wie möglich, am besten bereits in der Schule, starten. Auch Kinder und Jugendliche verfügen bereits über Taschengeld, ein Sparbuch oder eine Bankomatkarte, die einen verantwortungsvollen Umgang erfordern. Financial education should start at school. People should be educated about financial matters as early as possible in their lives. (OECD 2005b) 5diese vor allem im Rahmen des bereits zitierten FES-Projekts „ Finanzielle Allgemeinbildung und verbesserter Zugang zu adäquaten Finanzdienstleistungen als Beitrag zur Prävention und Bekämpfung von Überschuldung“ Erste Bank Unvermögen Seite 32
  • 33. ‣ Wissensvermittlung kann über unterschiedliche Ansätze erfolgen Je nach Interessenlage und Umfeld können unterschiedliche Anknüpfungspunkte gefunden werden, über die Finanzwissen vermittelt werden soll. In der Literatur finden sich dafür beispielsweise folgende inhaltliche und damit auch kommunikative Ansätze (Piorkowsky 2010, 9): - Volkswirtschaftlich-makroökonomischer Ansatz: Märkte, Geld und Kredit, Institutionen der Marktwirtschaft, insbesondere des Finanzsektors - Hauswirtschaftlich-mikroökonomischer Ansatz: Wirtschaften im Haushalt mit gegebenen Mitteln, Prävention der Verschuldung; - Finanzwirtschaftlich-betriebswirtschaftlicher Ansatz: Geldmanagement, Vermögensaufbau, Risikovorsorge ‣ Evaluation und Vernetzung sind auch bei der Wissensvermittlung notwendig Die Evaluation der Programme, ihre stetige Anpassung und Weiterentwicklung sind notwendiger Bestandteil einer erfolgreichen Wissensvermittlung und -verbreitung, auch im Finanzbereich. Ebenso ist auch hier eine gut funktionierende Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure, wie Beratungsstellen, Bildungseinrichtungen, Behörden und Finanzinstitutionen Voraussetzung des nachhaltigen Erfolgs. Erste Bank Unvermögen Seite 33
  • 34. Best Practice 6 : Frankreich In Frankreich gibt es seit 2006 den gemeinnützigen Verein IEFP Institut pour l’éducation financière du public (Institut für finanzielle Allgemeinbildung). Auf seiner Website „La finance pour tous“ (Finanz für alle) informiert er über seine Bildungs- und Informationsprojekte. Vor der Gründung wurde umfassend erhoben, wie es um die finanzielle Allgemeinbildung der Bevölkerung steht, welche Personengruppen einen besonderen Bedarf an Finanzbildung haben, und welche Wissensinhalte sinnvoll wären. Der Verein erarbeitet und fördert darauf aufbauend Bildungs- und Informationsprojekte, veranstaltet Konferenzen und führt Evaluationen durch. Das Zusammenbringen der verschiedenen Stakeholder als Ansprechstelle ist unter anderem auch für die Ressourcenvergabe zielführend. Best Practice: Nordrhein-Westfalen Das „Netzwerk Finanzkompetenz Nordrhein-Westfalen“ wurde 2006 vom Verbraucherschutzminister ins Leben gerufen und besteht aus mehreren Arbeitsgruppen, die für verschiedene Zielgruppen spezifische Programme entwickeln: Allgemeinbildung für Grundschulkinder: Das Projekt „MoKi – Money & Kids“, bei dem Kinder zwischen sechs und zehn Jahren auf spielerische Weise den Umgang mit Geld und Konsum erlernen, erfüllt den Anspruch der möglichst frühen Bildungsförderung. Broschüren, Filme und Spielmaterialien zielen auf die Themen Taschengeld, Geldkreislauf, Wünsche, Werbung und ähnliches ab. Allgemeinbildung für junge Familien: Besondere Bedürfnisse und Anliegen in Finanzfragen lassen sich bei jungen Familien identifizieren. Die eigene Existenzgründung stellt diese Personengruppe vor besondere finanzielle Herausforderungen. Um diese Zielgruppe umfassend auch mit Finanzbildungsprogrammen zu erreichen, hat sich die Zusammenarbeit mit Familienzentren, wo verschiedene Beratungsangebote genutzt werden können, als sehr effektiv erwiesen. Allgemeinbildung für BerufsanfängerInnen: Der Start in das Erwerbsleben bedeutet oft, sich erstmals intensiver mit Finanzdienstleistungen auseinanderzusetzen. Das Führen eines Gehaltskontos, die finanzielle Starthilfe für den Berufseinstieg und der verantwortungsvolle Umgang mit den eigenen Finanzen stehen bei dieser Zielgruppe daher im Fokus. 6In Kapitel 5 werden die auch häufig als best practice genannten Aktivitäten zur finanziellen Allgemeinbildung in Österreich vorgestellt. Erste Bank Unvermögen Seite 34
  • 35. 5. Unvermögen in Österreich In Kürze zusammengefasst … Um die Themen „Finanzzugang“, „Financial Literacy“ und Mikrokredite“ für Österreich statistisch zu analysieren wurden zunächst Daten vor allem der EU-SILC Sondererhebung zu Verschuldung und finanzielle Ausgrenzung ausgewertet: ‣ Eine Million Menschen in Österreich ist armutsgefährdet (mit einem Einkommen von weniger als 950 Euro im Monat pro Person), etwa 400.000 davon dauerhaft. Jeder fünfte österreichische Haushalt kann sich (zumindest phasenweise) nicht ausreichend am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alltag beteiligen. ‣ Wer nur mangelhaft sozial und wirtschaftlich integriert ist, gerät leichter in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten. Nicht überraschend korrelieren daher finanzielle Schwierigkeiten mit niedrigem Einkommen, prekärem Erwerbsstatus, niedriger Bildung aber auch mit Sprach- und Kulturbarrieren. ‣ Die Schuldnerlandschaft hingegen ist deutlich heterogener: Kredite sind weitverbreitet, auch das Konto ist in fast jedem fünften Haushalt überzogen. In den unteren Einkommensgruppen zeigt sich jedoch eine geringere Kreditnutzung – sei es aus dem Wissen über das eigene Unvermögen einer regelmäßigen Rückzahlung oder aufgrund restriktiver Handhabung durch die Bank. ‣ Wenngleich die meisten Menschen in Österreich ein Konto haben, gibt es doch in zwei Prozent der österreichischen Haushalte kein Konto und in sechs Prozent keine Haushaltsversicherung – ärmere, sozial schwächere Haushalte sind dabei wieder überrepräsentiert. Dieser mangelnde Zugang wird auch von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Die öffentliche Meinung ist zu fast 90 Prozent dafür, dass Basisfinanzdienstleistungen zum Mindeststandard gehören und und entsprechend zu ermögliche sind. ‣ Dennoch haben auch ärmere Haushalte Vermögen: Haushalte mit einem Haushaltseinkommen von weniger als 1.000 Euro im Monat haben im Schnitt 146.000 Euro an Immobilienvermögen (mit einem großen Stadt-Land Unterschied). Die Hälfte der Haushalte mit einem Monatseinkommen von weniger als 750 Euro im Monat haben ein Nettogeldvermögen (also abzüglich Schulden) von mehr als 3.000 Euro. Finanzinstitute haben gegenüber dieser Gruppe eine besonders hohe Verantwortung, sie bei der Veranlagung und Absicherung dieser (wenn auch nur geringen) Vermögen gut und nachhaltig zu begleiten. Erste Bank Unvermögen Seite 35
  • 36. Österreich zeichnet sich durch einige Best Practice Beispiele im Bereich des Social Bankings aus. ‣ Zu nennen sind hier zunächst die Zweite Sparkasse bzw das Zweite Chance Konto, die die Basisdienstleistungen von Girokonto und Sparbuch anbieten um so auch die Rückkehr in den „normalen“ Finanzalltag zu erleichtern. ‣ Finanzielle Ausgrenzung besteht aber auch, wenn einkommensschwache oder verschuldete Personen keinen Kredit mehr bei einer Bank bekommen. Daher wurde auf Initiative des BMASK und in Kooperation mit der Erste Bank & Sparkassen das österreichische Mikrokreditprogramm ins Leben gerufen. Über 100 Kredite wurden seit seinem Beginn 2010 vergeben, bereits heute finanziert sich das Programm zu etwa der Hälfte selbst. Es werden davon ca 1,26 neue Beschäftigungsverhältnisse pro Gründungsprojekt erwartet. ‣ Auch Bildung bzw Mangel an derselben ist hochkorreliert mit der Armutsgefährdung. Ein niedrigeres Bildungsniveau erhöht das Risiko eines erschwerten Zugangs zu Basisfinanzdienstleistungen wie einem Kontozugang oder Versicherungen sowie Verschuldung und finanziellen Schwierigkeiten. Bei einem Pflichtschulabschluss liegt die Armutsgefährdung bei 18 Prozent, bei Universitätsabschluss „nur“ bei 3 Prozent. Finanzbildung korreliert stark mit dem Bildungsniveau – daher sind Programme zur Stärkung der finanziellen Allgemeinbildung ein wichtiger Schritt zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Geld und wirken präventiv Armut entgegen. Insgesamt gibt es also in Österreich in den Bereichen Finanzzugang, Mikrofinanzierung und Finanzbildung bereits einige gut funktionierende Best Practice Beispiele. Es wäre aber durchaus im Interesse aller (der KonsumentInnen, der Banken und des Wirtschaftsstandortes) diese noch auszuweiten (regional und auf mehr Zielgruppen) und auszubauen (mehr Anbieter und Geldmittel). Dazu zählen vor allem das Recht auf leistbare Basisfinanzdienstleistungen, ausreichende Mikrokreditprogramme und die Vermittlung von Finanzwissen allen zugänglich zu machen. Erste Bank Unvermögen Seite 36
  • 37. Fragestellung ‣ Ein Porträt für Österreich ... Im Folgenden sollen nun die bislang dargestellten Themen „Finanzzugang“, „Financial Literacy“ und „Mikrofinanzierung“ im österreichischen Kontext betrachtet werden. Wo zeigen sich hier besondere Probleme, was kann als Best Practice Lösung gesehen werden, lassen sich Zusammenhänge zwischen Deprivation 7 und mangelndem Zugang zu Finanzdienstleistungen bzw mangelnden Finanzkenntnissen belegen? ‣ … mit folgenden Fragestellungen ... Zunächst ist es notwendig, darzustellen, welche Personengruppen in Österreich in Armuts- bzw Prekariatsbedingungen leben: Was ist Armut und wer ist arm? Auch ärmere Haushalte können Geld- und/oder Immobilienvermögen besitzen – wie sieht hier die Vermögenssituation aus? Welche Daten gibt es zu Finanzieller Ausgrenzung und Finanzieller Allgemeinbildung, insbesondere von ärmeren Haushalten? Und was kann letztendlich zur Beseitigung von Unvermögen in Österreich getan werden (hier fällt dann auch die Frage der Mikrofinanzierung hinein)? ‣ … und folgenden Quellen Bei der statistischen Beschreibung der Fragen wurde vor allem auf EU-SILC zurückgegriffen, eine Erhebung, durch die jährlich Informationen über die Lebensbedingungen der Privathaushalte in der Europäischen Union gesammelt werden. Rund 4.500 Haushalte nehmen jährlich an dieser Erhebung teil, die Statistiken sind zum einen auf Haushaltsbasis, zum anderen auf Basis der in diesen Haushalten lebenden Personen ausgewertet. Von besonderem Interesse für die Fragestellungen in der vorliegenden Analyse ist dabei eine 2008 durchgeführte Sondererhebung von EU-SILC über Verschuldung und finanzielle Ausgrenzung – ihre Ergebnisse werden im Detail dargestellt um Rückschlüsse auf die relevanten Zielgruppen von Mikrofinanzierungen ziehen zu können. Es wurde bei der Analyse dabei besonders auf jene Gruppen fokussiert, die sich im Erwerbsalter befinden, da diese Gruppe am ehesten von Dienstleistungen und Förderungen, die über rein sozialstaatliche Transfers hinausgehen, profitiert (anders gesagt: Hilfe zur Selbsthilfe funktioniert für diese Gruppen deutlich besser als für PensionistInnen). 7 Definition siehe nächste Seite. Erste Bank Unvermögen Seite 37
  • 38. Was ist Armut und wer ist in Österreich arm? Armutsgefährdung und Deprivation – Definitionen ‣ Wie wird Armutsgefährdung berechnet? Wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen (Median-)Einkommens als laufendes Einkommen hat, gilt in Österreich und auch nach der Definition der Europäischen Union als armutsgefährdet. Dabei handelt es sich nur um das laufende Einkommen; Vermögensbestände, Vermögensauflösungen oder Schulden bleiben unberücksichtigt. Weiters wird das Haushaltseinkommen mittels einer Äquivalenzrechnung bestimmt. Dauerhaft armutsgefährdet sind jene Haushalte, die über die vergangenen zwei bis drei Jahre armutsgefährdet waren. ‣ Was ist finanzielle Deprivation? Ein etwas anderes Armutskonzept stellt die finanzielle Deprivation dar: Hierbei wird weniger auf Einkommensarmut, sondern auf die Teilhabemöglichkeiten von Personen und Haushalten am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Alltagsleben abgestellt. Nicht die absolute Höhe des Einkommens steht im Vordergrund, sondern die Frage, ob bestimmte Deprivationsindikatoren zutreffen. Infobox „Definition Deprivation“: Mindestlebensstandard in Österreich In Österreich 8 gilt ein Haushalt als depriviert, wenn er sich mindestens zwei der folgenden Ausgaben nicht leisten kann: - unerwartete Ausgaben zu tätigen, - Freunde zum Essen einzuladen, - jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine vergleichbare vegetarische Speise zu essen, - neue Kleider zu kaufen, - Zahlungen rechtzeitig zu begleichen, - die Wohnung angemessen warm zu halten - oder einen notwendigen Arztbesuch zu absolvieren. 8 Die österreichischen Indikatoren unterscheiden sich geringfügig von jenen des Europäischen Eingliederungszieles. Erste Bank Unvermögen Seite 38