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4.Advent 08/Maria pilgert

Ab Anfang September, liebe Gemeinde, war ich mal weg. Ich
war mit anderen auf einem uralten Pilgerweg, auf dem spanischen
Jakobsweg, der von der französischen Grenze sich durch die
Pyrenäen bis hin nach St.-Jago-di-Compostella erstreckt. Sie
kennen vielleicht das Buch Dann bin ich mal weg, den Bestseller
des Komödianten Harpe Kerkeling, oder sie haben zumindestens
davon gehört. Ein Buch, das sich nicht nur gut verkauft hat,
sondern auch viele Menschen dazu gebracht hat, diesen Weg zu
pilgern. Auch viele Menschen wie mich, die nun nicht gerade mit
der urkatholischen Tradition der Wallfahrt oder Pilgerschaft
aufgewachsen oder großgeworden sind.
Einer der ersten Menschen, die ich traf und sprach, gleich auf der
ersten Etappe, dem langen kräfteraubenden Anstieg in die
Pyrenäen, war ein sportlicher, älterer Mann aus Bayern. 15,
vielleicht 20 Jahre älter als ich. Kilometer lang ging er den Pfad
vor mir her in ruhigen, festen Schritten. Ich hatte Mühe ihm zu
folgen, aber der Ehrgeiz hatte mich auch. Der Ehrgeiz ist
übrigens einer der ersten Dämonen, die dort am Wegesrand
lauern. Jedenfalls: bei seiner ersten Rast setzte ich mich etwas
atemlos und abgekämpft neben ihn und seinen Rucksack, auf
dem außer der Jakobsmuschel ein Marienbild zu sehen war.
Nachdem ich ihm ein Salamibrot angeboten hatte und er mir
Salbe für meine wunden Füße, fragte ich ihn, den strenggläubigen
Katholiken, was genau „Pilgern“ sei ? Seine Antwort: Es ist
gleichzeitiges Beten und Laufen. Das habe ich mir gemerkt. Meiner
Entgegnung, ich hätte statt mit Beten mehr zu tun mit jenen
elenden Dämonen wie Mutlosigkeit, Ehrgeiz und Erschöpfung,
hielt er entgegen: auch das sei beten. Dann habe ich diesen fitten
Bayern mit der Jakobsmuschel und dem Marienbild auch bald aus
den Augen verloren. Wie dem auch sei... mehr als diesen einen
Satz Pilgern ist gleichzeitiges Beten und Laufen konnte ich mir nicht
merken auf den nächsten 12 Kilometer bis zur 1. Pilgerherberge.
Pilgern ist Beten und Laufen.
Apropos, Marienbild. Auch wir hier haben heute eines mit
Worten gemalt bekommen - ein Marienbild, gemalt in klaren,
knappen Strichen: wie die junge Maria, dazu noch schwanger,
übers Gebirge wandert und dabei ihren berühmten Lobgesang
anstimmt; nach der lateinischen Form das sog. Magnificat genannt.
Bach, Haydn, Mozart - alle haben sie ihr Magnificat komponiert.
Hätte sie ( die Maria ) das gewußt, wie hätte sich jene junge Frau
gwundert. Sie, die Arme und Unbedeutende sollte die Worte
liefern für das vielleicht am häufigsten vorkommende Stück der
Musikgeschichte.
Es gibt noch andere wie das Lied „Übers Gebirg Maria geht“. Die
Kantorei hat es manchmal gesungen in der Christfesper.
Ich selber bin ja auch über ein Gebirge gegangen, ganz ähnlich
wie sie, und ich kann mir jetzt besser ausmalen, was das bedeutet
und wie so etwas zugeht. Zunächst einmal:
Was die Bibel wie im Zeitraffer erzählt, brauchte Zeit. Dieser
Weg von Nazareth aus brauchte mindestens 4 Tage Zeit. 4 bis 6
Tage braucht man, je nach Kondition, um nach Jerusalem zu
wandern, wo ja Elisabeth und Joachim, die künftigen Eltern von
Johannes dem Täufer, ihr Zuhause haben.
Maria wird sich vorher erkundigt haben, so wie ich vor meiner
Pilgertour: wieviel schafft man an einem Tag ? Wie sind jeweils
Steigung und Gefälle ? Wo kann man Wasser nachfüllen an
welchem Brunnen ? Wo gibt es Brot in welchem Dorf ? Nur ein
Anfänger wie ich schleppt 2 oder 3 schwere Tagesrationen über
die Berge. Besser nur einen Tag nach dem anderen. Besser ist das
täglich Brot, das zu finden 3 Jahrzehnte später Jesus von Nazareth
uns zu beten lehrte. Und auch die Frage, wo sie denn jeweils
Unterkunft und Aufnahme finden könnte, mußte sich Maria
vorher stellen.
Für die kleinen Leute, die damals reisten, gab es natürlich keine
Hotels. Bestenfalls eine Herberge. Wer nichts bezahlen konnte,
der mußte mit Höhlen oder mit Scheunen Vorlieb nehmen. Ab
und zu habe ich das auch gemacht. So wurde für Maria diese
Wanderung auch in dieser Hinsicht zu so etwas wie einer
Generalprobe. Denn die Geburt ihres Sohne begab sich ja dann
in eben einer solchen Notunterkunft; einer Scheune bzw. einem
Stall.
Doch halt ! Jetzt dürfte ich nicht mehr von Marias Wanderung
sprechen, denn wandern wäre zuwenig. Pilgern ( wir hörten es )
ist mehr als wandern... ist übrigens auch mehr als viele
fitnessorientierte und atheistisch angehauchten Menschen, die
man auf dem Jakobsweg manchmal trifft, allgemein meinen. Ich
sage es vorweg und im Namen unserer biblischen Maria: Nicht
Selbstfindung, Selbsttranszendierung oder Selbstverwirklichung
ist das erste Ziel, sondern es ist das, was sozusagen „jenseits von
uns“ erst beginnt; was wir also ... „Gott“ nennen.
Pilgern ist wie das Wandern natürlich ein zuerst körperlich
beanspruchendes Erlebnis. Insofern war, für mich jedenfalls,
„Selbsterfahrung“/ leidvolle Selbsterfahrung, schon das erste
Erlebnis. Später dann auch die Naturverbundenheit, der Wechsel
der Landschaften zwischen üppigem Grün und kargem
Hochgebirge, ... später dann auch das Singen-Können, was ja
auch schon in die Sphäre des Geistigen hinübergeht und was
zeigt, dass pilgern letztendlich glücklich macht; sehr glücklich.
Aber, daran war an den ersten Tagen nicht zu denken. Denn,
anders als jenem älteren Bajuwaren oder Maria, mangelte es mir,
der ich schon zum Brötchen-Holen mit dem Auto fahre, anfangs
an Kraft und Ausdauer. Insofern ist das Pilgern zugleich ein
zutiefst körperlicher wie auch ein zuhöchst geistiger Vorgang.
Man könnte ihn bestimmt nicht sinnvoll in klimatisierten
Reisebussen mit Minibar nachvollziehen.
Also noch einmal: Pilgern ist mehr als Wandern ! Wandern
bedeutet vor allem ruhiges Vorankommen; Pilgern dagegen ist
ein bewegtes Innehalten. Oder anders ausgedrückt: man wandert
mit den Füßen und pilgert mit dem Herzen !
Auf einer Wanderung kann man sich den Fuß verstauchen - auf
einer Pigerreise sind es eher die inneren Hindernisse und
Stolpersteine, die einem zuschaffen machen.
Noch einmal: Pilgern ist neue Suche nach Gott, dem lebendigen
Gott. Und wer nach Gott sucht, der wird natürlich unweigerlich
über das eigene Ich stolpern. So klein der Rucksack auch sein
mag, das inneren Marschgepäck ist das, was ungleich mehr auf
einem lastet: die kleinen Macken und Fehlerchen, die wir daheim
über Jahre so sorgsam hegen und pflegen durften und die wir
sogar schon zum unveränderlichen Bestandteil unseres
Charakters erklärt haben, sodass sich die lieben Verwandten und
verständnisvollen Freunde gezwungenermaßen an sie gewöhnt
haben ( Nach dem Motto: so isser nun mal !“ ) , all diese
Webfehler, sie verwandeln sich im Laufe der Pilgerreise zu
kleinen, fiesen Kieselsteinchen in unseren neugekauften
Laufschuhen.
Ich will noch ein anderes Bild wagen, auch wenn es Sie villeicht
erschreckt oder stört: Der Pilgerweg ist so etwas wie ein radikaler
und gottesfürchtiger Sozialist, denn er macht die Menschen
wirklich gleich. Alle laufen schwitzend und schaufend den
gleichen Weg, schleppen ihr Päckchen, haben Durst und Hunger
und wunde Füße, ertragen zwischendurch sich selbst und andere
kaum noch und sind dann früher oder später auf die Hilfe oder
die Freundlichkeit der Mitmenschen angewiesen. Die üblichen
Ersatzhelferlinge - das Sich-leer-quatschen am Telefon, der
Fernsehapparat oder die Eckkneipe - sie stehen im Gebirge der
Pilgerschaft alle nicht zur Verfügung.
Was hilft ? Was sind die echten Helfer ? Ich kann das nur für
mich sagen. Es ist erst mal das Weglassen: Zuviele Gedanken,
zuviele Sorgen, zuviel Hektik, zuviel Gepäck und zuviel Essen. Es
geht auch um ein Leer-werden. Unser täglich Brot gib uns heute, oder
Dein Wille geschehe, bestimmte Stoßseufzer und Stoßgebete, oder
bestimmte Lieder sind z.B.sehr hilfreich beim Leer-werden. Sie
sind ein Marschgepäck, dass nicht drückt sondern im Gegenteil
leichter macht. Sie sind die beste Marsch-verpflegungen in den
langen Stunden der Wanderschaft.
Liebe Gemeinde !
Im Getriebe gerade dieser Tage ist es ungemein schwer, das eine
Wort unter all dem Weihnachtsgedröhne herauszuhören. Es ist
dazu eine Art „Aufmerksamkeit“ und innere Haltung nötig, die
wir immer wieder an einzelnen Gestalten des Evangeliums lernen
können. Z.B. von der Maria, die durchs Gebirge ging, pilgernd,
und von der es heißt: sie bewegte all diese Worte in ihrem Inneren...
aber auch z.B. von so einem wie dem Hauptmann von
Kapernaum, der mitten im Getriebe und in seinem sicherlich
schwierigen Alltag zu Jesus sagen kann: Ich bin nicht würdig, dass
Du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine
Seele gesund.
In unseren so banalisierten Kultur werden uns zuviele belanglose
Worte angeboten. Sie sind so wie die Pappbrötchen in den
Hamburger-Bratereien von MacDonnalds und BurgerKing.
Nichts, von dem wir wirklich leben könnten. Sie sind eigentlich
ohne jeden Nährwert.
Das Brot aber, um das wir Gott nachher aufmerksam und
demütig bitten wollen im Vater Unser, das tägliche Brot, das
Wesentliche, dass wir wirklich brauchen für unseren äußeren und
inneren Menschen, das ist eher wie Schwarzbrot.
Schwarzbrot ist nicht immer leicht zu schlucken. Am Gottesbrot
hat man oft lange zu kauen. Aber, davon kann man gut abgeben,
ohne das es weniger würde.
Es laufen ja schon zuviele spirituell unterernährte Menschen in
der Gegend herum. Wir brauchen dabei gar nicht so klug oder
wortgewaltig zu tun. Es reicht vielleicht ein Wort, das wir wirklich
in uns aufgenommen haben und in unserem Herzen bewegt
haben und das wir wirklich von Herzen sprechen.
Ich habe z.B. Glück mit meinem Konfirmationsspruch, mit dem
ich enden will. Ich sage ihn mir manchmal und singe ihn auch
und habe das auch getan auf dem Jakobsweg:
Herr, Dein Wort ist meines Fusses Leuchte und ein Licht auf meinem
Wege. Dem Pilgerweg meines Lebens. AMEN
4.Advent 08 Maria

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4.Advent 08 Maria

  • 1. 4.Advent 08/Maria pilgert Ab Anfang September, liebe Gemeinde, war ich mal weg. Ich war mit anderen auf einem uralten Pilgerweg, auf dem spanischen Jakobsweg, der von der französischen Grenze sich durch die Pyrenäen bis hin nach St.-Jago-di-Compostella erstreckt. Sie kennen vielleicht das Buch Dann bin ich mal weg, den Bestseller des Komödianten Harpe Kerkeling, oder sie haben zumindestens davon gehört. Ein Buch, das sich nicht nur gut verkauft hat, sondern auch viele Menschen dazu gebracht hat, diesen Weg zu pilgern. Auch viele Menschen wie mich, die nun nicht gerade mit der urkatholischen Tradition der Wallfahrt oder Pilgerschaft aufgewachsen oder großgeworden sind. Einer der ersten Menschen, die ich traf und sprach, gleich auf der ersten Etappe, dem langen kräfteraubenden Anstieg in die Pyrenäen, war ein sportlicher, älterer Mann aus Bayern. 15, vielleicht 20 Jahre älter als ich. Kilometer lang ging er den Pfad vor mir her in ruhigen, festen Schritten. Ich hatte Mühe ihm zu folgen, aber der Ehrgeiz hatte mich auch. Der Ehrgeiz ist übrigens einer der ersten Dämonen, die dort am Wegesrand lauern. Jedenfalls: bei seiner ersten Rast setzte ich mich etwas atemlos und abgekämpft neben ihn und seinen Rucksack, auf dem außer der Jakobsmuschel ein Marienbild zu sehen war. Nachdem ich ihm ein Salamibrot angeboten hatte und er mir Salbe für meine wunden Füße, fragte ich ihn, den strenggläubigen Katholiken, was genau „Pilgern“ sei ? Seine Antwort: Es ist gleichzeitiges Beten und Laufen. Das habe ich mir gemerkt. Meiner Entgegnung, ich hätte statt mit Beten mehr zu tun mit jenen elenden Dämonen wie Mutlosigkeit, Ehrgeiz und Erschöpfung, hielt er entgegen: auch das sei beten. Dann habe ich diesen fitten Bayern mit der Jakobsmuschel und dem Marienbild auch bald aus den Augen verloren. Wie dem auch sei... mehr als diesen einen Satz Pilgern ist gleichzeitiges Beten und Laufen konnte ich mir nicht merken auf den nächsten 12 Kilometer bis zur 1. Pilgerherberge. Pilgern ist Beten und Laufen.
  • 2. Apropos, Marienbild. Auch wir hier haben heute eines mit Worten gemalt bekommen - ein Marienbild, gemalt in klaren, knappen Strichen: wie die junge Maria, dazu noch schwanger, übers Gebirge wandert und dabei ihren berühmten Lobgesang anstimmt; nach der lateinischen Form das sog. Magnificat genannt. Bach, Haydn, Mozart - alle haben sie ihr Magnificat komponiert. Hätte sie ( die Maria ) das gewußt, wie hätte sich jene junge Frau gwundert. Sie, die Arme und Unbedeutende sollte die Worte liefern für das vielleicht am häufigsten vorkommende Stück der Musikgeschichte. Es gibt noch andere wie das Lied „Übers Gebirg Maria geht“. Die Kantorei hat es manchmal gesungen in der Christfesper. Ich selber bin ja auch über ein Gebirge gegangen, ganz ähnlich wie sie, und ich kann mir jetzt besser ausmalen, was das bedeutet und wie so etwas zugeht. Zunächst einmal: Was die Bibel wie im Zeitraffer erzählt, brauchte Zeit. Dieser Weg von Nazareth aus brauchte mindestens 4 Tage Zeit. 4 bis 6 Tage braucht man, je nach Kondition, um nach Jerusalem zu wandern, wo ja Elisabeth und Joachim, die künftigen Eltern von Johannes dem Täufer, ihr Zuhause haben. Maria wird sich vorher erkundigt haben, so wie ich vor meiner Pilgertour: wieviel schafft man an einem Tag ? Wie sind jeweils Steigung und Gefälle ? Wo kann man Wasser nachfüllen an welchem Brunnen ? Wo gibt es Brot in welchem Dorf ? Nur ein Anfänger wie ich schleppt 2 oder 3 schwere Tagesrationen über die Berge. Besser nur einen Tag nach dem anderen. Besser ist das täglich Brot, das zu finden 3 Jahrzehnte später Jesus von Nazareth uns zu beten lehrte. Und auch die Frage, wo sie denn jeweils Unterkunft und Aufnahme finden könnte, mußte sich Maria vorher stellen. Für die kleinen Leute, die damals reisten, gab es natürlich keine Hotels. Bestenfalls eine Herberge. Wer nichts bezahlen konnte, der mußte mit Höhlen oder mit Scheunen Vorlieb nehmen. Ab und zu habe ich das auch gemacht. So wurde für Maria diese Wanderung auch in dieser Hinsicht zu so etwas wie einer
  • 3. Generalprobe. Denn die Geburt ihres Sohne begab sich ja dann in eben einer solchen Notunterkunft; einer Scheune bzw. einem Stall. Doch halt ! Jetzt dürfte ich nicht mehr von Marias Wanderung sprechen, denn wandern wäre zuwenig. Pilgern ( wir hörten es ) ist mehr als wandern... ist übrigens auch mehr als viele fitnessorientierte und atheistisch angehauchten Menschen, die man auf dem Jakobsweg manchmal trifft, allgemein meinen. Ich sage es vorweg und im Namen unserer biblischen Maria: Nicht Selbstfindung, Selbsttranszendierung oder Selbstverwirklichung ist das erste Ziel, sondern es ist das, was sozusagen „jenseits von uns“ erst beginnt; was wir also ... „Gott“ nennen. Pilgern ist wie das Wandern natürlich ein zuerst körperlich beanspruchendes Erlebnis. Insofern war, für mich jedenfalls, „Selbsterfahrung“/ leidvolle Selbsterfahrung, schon das erste Erlebnis. Später dann auch die Naturverbundenheit, der Wechsel der Landschaften zwischen üppigem Grün und kargem Hochgebirge, ... später dann auch das Singen-Können, was ja auch schon in die Sphäre des Geistigen hinübergeht und was zeigt, dass pilgern letztendlich glücklich macht; sehr glücklich. Aber, daran war an den ersten Tagen nicht zu denken. Denn, anders als jenem älteren Bajuwaren oder Maria, mangelte es mir, der ich schon zum Brötchen-Holen mit dem Auto fahre, anfangs an Kraft und Ausdauer. Insofern ist das Pilgern zugleich ein zutiefst körperlicher wie auch ein zuhöchst geistiger Vorgang. Man könnte ihn bestimmt nicht sinnvoll in klimatisierten Reisebussen mit Minibar nachvollziehen. Also noch einmal: Pilgern ist mehr als Wandern ! Wandern bedeutet vor allem ruhiges Vorankommen; Pilgern dagegen ist ein bewegtes Innehalten. Oder anders ausgedrückt: man wandert mit den Füßen und pilgert mit dem Herzen ! Auf einer Wanderung kann man sich den Fuß verstauchen - auf einer Pigerreise sind es eher die inneren Hindernisse und Stolpersteine, die einem zuschaffen machen.
  • 4. Noch einmal: Pilgern ist neue Suche nach Gott, dem lebendigen Gott. Und wer nach Gott sucht, der wird natürlich unweigerlich über das eigene Ich stolpern. So klein der Rucksack auch sein mag, das inneren Marschgepäck ist das, was ungleich mehr auf einem lastet: die kleinen Macken und Fehlerchen, die wir daheim über Jahre so sorgsam hegen und pflegen durften und die wir sogar schon zum unveränderlichen Bestandteil unseres Charakters erklärt haben, sodass sich die lieben Verwandten und verständnisvollen Freunde gezwungenermaßen an sie gewöhnt haben ( Nach dem Motto: so isser nun mal !“ ) , all diese Webfehler, sie verwandeln sich im Laufe der Pilgerreise zu kleinen, fiesen Kieselsteinchen in unseren neugekauften Laufschuhen. Ich will noch ein anderes Bild wagen, auch wenn es Sie villeicht erschreckt oder stört: Der Pilgerweg ist so etwas wie ein radikaler und gottesfürchtiger Sozialist, denn er macht die Menschen wirklich gleich. Alle laufen schwitzend und schaufend den gleichen Weg, schleppen ihr Päckchen, haben Durst und Hunger und wunde Füße, ertragen zwischendurch sich selbst und andere kaum noch und sind dann früher oder später auf die Hilfe oder die Freundlichkeit der Mitmenschen angewiesen. Die üblichen Ersatzhelferlinge - das Sich-leer-quatschen am Telefon, der Fernsehapparat oder die Eckkneipe - sie stehen im Gebirge der Pilgerschaft alle nicht zur Verfügung. Was hilft ? Was sind die echten Helfer ? Ich kann das nur für mich sagen. Es ist erst mal das Weglassen: Zuviele Gedanken, zuviele Sorgen, zuviel Hektik, zuviel Gepäck und zuviel Essen. Es geht auch um ein Leer-werden. Unser täglich Brot gib uns heute, oder Dein Wille geschehe, bestimmte Stoßseufzer und Stoßgebete, oder bestimmte Lieder sind z.B.sehr hilfreich beim Leer-werden. Sie sind ein Marschgepäck, dass nicht drückt sondern im Gegenteil leichter macht. Sie sind die beste Marsch-verpflegungen in den langen Stunden der Wanderschaft. Liebe Gemeinde !
  • 5. Im Getriebe gerade dieser Tage ist es ungemein schwer, das eine Wort unter all dem Weihnachtsgedröhne herauszuhören. Es ist dazu eine Art „Aufmerksamkeit“ und innere Haltung nötig, die wir immer wieder an einzelnen Gestalten des Evangeliums lernen können. Z.B. von der Maria, die durchs Gebirge ging, pilgernd, und von der es heißt: sie bewegte all diese Worte in ihrem Inneren... aber auch z.B. von so einem wie dem Hauptmann von Kapernaum, der mitten im Getriebe und in seinem sicherlich schwierigen Alltag zu Jesus sagen kann: Ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund. In unseren so banalisierten Kultur werden uns zuviele belanglose Worte angeboten. Sie sind so wie die Pappbrötchen in den Hamburger-Bratereien von MacDonnalds und BurgerKing. Nichts, von dem wir wirklich leben könnten. Sie sind eigentlich ohne jeden Nährwert. Das Brot aber, um das wir Gott nachher aufmerksam und demütig bitten wollen im Vater Unser, das tägliche Brot, das Wesentliche, dass wir wirklich brauchen für unseren äußeren und inneren Menschen, das ist eher wie Schwarzbrot. Schwarzbrot ist nicht immer leicht zu schlucken. Am Gottesbrot hat man oft lange zu kauen. Aber, davon kann man gut abgeben, ohne das es weniger würde. Es laufen ja schon zuviele spirituell unterernährte Menschen in der Gegend herum. Wir brauchen dabei gar nicht so klug oder wortgewaltig zu tun. Es reicht vielleicht ein Wort, das wir wirklich in uns aufgenommen haben und in unserem Herzen bewegt haben und das wir wirklich von Herzen sprechen. Ich habe z.B. Glück mit meinem Konfirmationsspruch, mit dem ich enden will. Ich sage ihn mir manchmal und singe ihn auch und habe das auch getan auf dem Jakobsweg: Herr, Dein Wort ist meines Fusses Leuchte und ein Licht auf meinem Wege. Dem Pilgerweg meines Lebens. AMEN