SlideShare una empresa de Scribd logo
1 de 5
Descargar para leer sin conexión
Änderungskündigung
Druckmittel mit Tücken:
Welche Risiken eine Änderungs-
kündigung mit sich bringt. S. 10
Familienzulagen
Kinder mit Ansprüchen:
Was es im Umgang mit Familien-
zulagen alles zu beachten gilt. S. 14
Recrutainment
Assessment mit Spassfaktor:
Wie sich Kompetenzen auf spiele-
rische Weise testen lassen. S. 20
Ausgabe 4 / Juni 2013 / CHF 14.—
«Wir brauchen
besseren Content»
Jörg Buckmann,
Leiter Personalmanagement der VBZ,
über die aktuellen Herausforderungen
im Recruiting. S. 6
Experten-Interview
6 personalSCHWEIZ Juni 2013
Experten-Interview
personalSCHWEIZ: Herr Buckmann,
die VBZ setzen in der Rekrutierung
auf innovative Strategien. Weshalb
sind die gängigen Konzepte überholt?
Jörg Buckmann: Der Hauptgrund ist
folgender: Neben dem Fachkräftemangel
bei den klassischen High Potentials wird
es auch in Berufen wie Bauingenieur, Bus-
fahrer, Automatiker oder Lackierer immer
schwieriger, gute Mitarbeitende zu fin-
den. Wenn wir einmal vom Hochschul-
marketing und von den Bewerbungsmes-
sen absehen, ist die Personalwerbung in
den letzten 40 oder 50 Jahren mehr oder
weniger stehen geblieben. Man nutzt
heute immer noch Stelleninserate, die
vom Aufbau und vom Inhalt her die glei-
chen sind wie vor Jahrzehnten. Für viele
Unternehmen scheint mir hier die grösste
Veränderung zu sein, dass sie die Stellen-
anzeigen nun in Form eines PDF auf die
bekannten Online-Portale stellen – das
kann aber doch nicht alles sein! Wenn
Sie sich die Werbekampagnen für Kon-
sumgüter anschauen, dann liegen Welten
zwischen dieser Art von Werbung und der
Personalwerbung, wo es ja um die Zu-
kunft von einzelnen Menschen, Familien
und Unternehmen geht. Weitere Gründe
sind, dass sich die Anspruchshaltungen
und die Kommunikationsgewohnheiten
der Stellensuchenden verändert haben.
Noch vor wenigen Jahren gab es für Stel-
leninserate nur die Zeitungen und einige
Internetstellenbörsen. Mit dem Web 2.0
– dem «Mitmach-Web» – hat sich bezüg-
lich der Kommunikation eine Revolution
vollzogen.Undwirversuchendortpräsent
zu sein, wo sich die spannenden Zielgrup-
pen aufhalten und sich informieren. Ein
letzter, eher VBZ-interner Grund ist, dass
wir noch vor wenigen Jahren permanent
mehr Geld für teure Printinserate ausge-
ben mussten, um unsere jährlich rund 200
offenen Stellen besetzen zu können.
Können Sie uns einen kurzen Über-
blick über die verschiedenen neuar-
tigen Ansätze der VBZ in der Rekru-
tierung geben?
Dafür muss ich zwischen zwei Arten von
Stellen unterscheiden: Einzel- und Mas-
senstellen. Bei den Einzelstellen setzen wir
darauf, dass die zukünftigen Vorgesetz-
ten sich mit einem Jobvideo persönlich
bei der stellensuchenden Person bewer-
ben. Dies ist vom Prozess her also genau
umgekehrt wie bisher üblich. Bei den
Massenstellen in den Bereichen Tram und
Bus sind wir mit unseren freien Stellen auf
den einschlägigen Online-Stellenplattfor-
men ständig präsent. Zudem kommen
hier auch Kampagnen zum Einsatz, von
der Radio- und der Kinowerbung – zwei
Kanäle, die übrigens erstaunlich günstig
sind – bis hin zur Plakatwerbung. Mittel-
punkt dieser Kampagnen ist immer unse-
re Internetpräsenz. Nur auf vbz.ch finden
Stelleninteressierte alle Informationen zur
ausgeschriebenen Stelle, insbesondere
das Herzstück unseres Auftritts auf dem
Personalmarkt – das Jobvideo.
Ihre Kampagne «Wir bewerben uns»
hat in der HR-Welt Aufsehen erregt.
Welches waren die Beweggründe
dahinter?
Einer der Gründe ist, dass wir eine neue
Situation auf dem Arbeitsmarkt haben,
nämlich die Wandlung hin zu einem Ar-
beitnehmermarkt für fast alle Funktionen.
Wenn man dann aber schaut, wie um die-
Recruiting 2.0
«Wir brauchen besseren Content»
Herkömmliche Stelleninserate reichen heute bei Weitem nicht mehr aus, um gute Mitarbeitende
zu gewinnen. Welche neuen Kanäle und Inhalte im Recruiting relevant sind, erläutert Jörg Buck-
mann, Leiter Personalmanagement der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ).
Interview geführt von Wolf-Dietrich Zumach
Jörg Buckmann möchte dort präsent sein, wo sich die Zielgruppen aufhalten – vor allem auch im Web.
Experten-Interview
7personalSCHWEIZ Juni 2013
Experten-Interview
se «Kunden» geworben wird, dann sind
die Bewerberinnen und Bewerber noch
sehr oft in der Rolle des Bittstellers. Klas-
sische Stelleninserate sind häufig völlig
emotionslos, weisen nur wenige konkrete
Informationen auf und sagen meist nichts
über relevante Aspekte, wie etwa den zu-
künftigen Chef, das Stellenumfeld oder
die zukünftigen Arbeitskollegen aus. Auf
der einen Seite werden also von den Un-
ternehmen lieblose, emotionslose und in-
haltlich mangelhafte Stelleninserate pub-
liziert und auf der anderen Seite erwarten
wir Personaler wunderbare, komplette Be-
werbungsdossiers mit Foto, fehlerlosem
Anschreiben und Gehaltsvorstellungen.
Hier haben wir also völlig unterschiedlich
lange Spiesse und eine riesige Diskrepanz
im Informationsgehalt. Mit der Kampagne
«Wir bewerben uns» möchten wir diese
Diskrepanz ausgleichen, indem sich jede
Führungskraft persönlich bei den Stellen-
suchenden mit einem Jobvideo bewirbt,
das den Vorgesetzten selbst, die Stelle und
das Umfeld beschreibt.
Diese Idee hört sich erst einmal sehr
simpel an. Sicherlich gab es aber zu
Beginn auch interne Widerstände zu
überwinden. Wo lagen die grössten
Hürden?
Die Resonanz bei den Vorgesetzten war
erst einmal durchzogen, da sie ja nun
plötzlich aus dem Hintergrund in das
Rampenlicht «gedrängt» wurden. Die
meisten unserer Führungskräfte waren zu
Beginn eher skeptisch, einige von ihnen
haben auch aktiv dagegen opponiert.
Viele hatten bisher keine Berührungs-
punkte mit sozialen Medien. Manche
hatten deshalb Befürchtungen, dass sie
auf YouTube in einem schmuddeligen
Umfeld auftauchen könnten oder dass
ihr Video verhunzt werden könnte. Hier
mussten wir viel Überzeugungsarbeit leis-
ten. Zudem ist die Produktion des Videos
aus Sicht der Führungskräfte ja auch ein
Zusatzaufwand. Wir haben daher sehr
viel Herzblut in die interne Kommuni-
kation investiert. Wir haben mit zwei
im Unternehmen bekannten Führungs-
kräften Mustervideos produziert, die wir
an internen Informationsveranstaltungen
gezeigt haben. So konnten wir eine breite
Basis an Zustimmung dafür schaffen, dass
diese Jobvideos eine bessere Sache sind
als gängige Stellenanzeigen. Dann war da
aber auch noch die Angst vor der Kame-
ra. Viele Vorgesetzte sagten nach diesen
Informationsveranstaltungen: «Finde ich
zwar eine gute Sache, aber ich glaube, ich
kann das nicht.» Wir haben dann auf frei-
williger Basis Vorgesetzte eingeladen, die
von einem ehemaligen Fernsehunterhal-
tungschef Tipps und Tricks erhalten ha-
ben, worauf man vor der Kamera achten
muss. Auch die Filmproduzentin, die bis
heute unsere Jobvideos produziert, war
vor Ort und hat von jedem Teilnehmer
zwei Statements auf Video aufgezeich-
net. Diese haben wir dann zusammen
angeschaut und die beiden Fernsehprofis
haben dazu ihr Feedback gegeben. Für
viele war dies ein positives Schlüsseler-
lebnis. Wir haben unseren Vorgesetzten
dann auch versprochen, dass wir kein
Video ohne die Zustimmung des entspre-
chenden Vorgesetzten veröffentlichen.
In den ganz seltenen Fällen, in denen je-
mand partout nicht vor die Kamera will,
weichen wir jeweils auf den nächsthöhe-
ren Vorgesetzten aus.
Wie gross ist der Produktions-
aufwand für ein solches Jobvideo?
Der Marktpreis für ein Jobvideo beträgt
rund 5000 Franken. Mit unseren Erfah-
rungen und den inzwischen eingespielten
Prozessen kostet uns ein Video heute je-
doch nur noch zwischen 3000 und 4000
Franken. Inzwischen haben wir auch ein
Archiv mit mehreren Terabyte Filmmate-
rial. So kann die Produzentin auf gewis-
se Szenen zurückgreifen, die wir immer
wieder benötigen. Der zeitliche Aufwand
für die komplette Erstellung eines Job-
videos beträgt inklusive Vorbereitung in
der Regel eine Woche. Da alle Vorgesetz-
ten ihre Texte selbstständig schreiben,
variiert die Vorbereitungszeit jedoch. Als
Hilfestellung erhalten sie von uns ein gut
strukturiertes leeres Drehbuch als eine Art
Template. Was den Vorgesetzten inhalt-
lich wichtig ist, was sie vom Arbeitsplatz
zeigen wollen und ob sie noch andere
Teammitglieder vorstellen wollen, ist
dann ihnen überlassen. Darauf folgt noch
ein Vorgespräch mit der Produzentin, in
dem die Texte noch etwas präzisiert und
«entfloskelt» werden – und dann kann
der Dreh auch schon losgehen. Dieser
dauert dann nur etwa einen halben Tag.
24 Stunden später – nach Vertonung und
Schnitt – ist das Video komplett fertig.
Welches Fazit ziehen Sie aus diesem
Projekt?
In vielerlei Hinsicht ein überaus positives.
Erstens konnten wir die quantitative Ge-
samtzahl an Bewerbungen auf hohem
«Die Personalwerbung ist in den letzten
40 oder 50 Jahren mehr oder weniger stehen
geblieben. Man nutzt immer noch Stelleninserate,
die vom Aufbau und vom Inhalt her die gleichen
sind wie vor Jahrzehnten.»
«Auf der einen Seite werden von den
Unternehmen lieblose, emotionslose und inhaltlich
mangelhafte Stelleninserate publiziert und
auf der anderen Seite erwarten wir Personaler
wunderbare, komplette Bewerbungsdossiers.
Hier haben wir also eine riesige Diskrepanz
im Informationsgehalt.»
Experten-Interview
8 personalSCHWEIZ Juni 2013
Experten-Interview
Niveau halten. Wir wollten diese auch
nie steigern, sondern möglichst passen-
de Bewerbungen erhalten. Wir sprechen
nun aber auch neue Zielgruppen an, für
die wir bisher keine Alternative als Ar-
beitgeber waren. Zudem werden wir als
pfiffiger und dynamischer Arbeitgeber
wahrgenommen, was früher nicht so der
Fall war. Die Leidenschaft und die Emo-
tionen, die unsere Vorgesetzten in den
Jobvideos zeigen, kommen bei den Stel-
lensuchenden enorm gut an. Zweitens
konnten wir mit unseren Jobvideos sehr
viel mediale Aufmerksamkeit generieren.
Dies wiederum hatte zur Folge, dass die
VBZ auch bei nicht aktiv eine Stelle Su-
chenden mehr im Gespräch sind. Drittens
sind wir in der deutschsprachigen HR-
Welt mit dieser ungewöhnlichen Art der
Personalwerbung in aller Munde und sind
auch schon mehrfach prämiert worden.
Dies bringt uns zwar direkt keine Bewer-
bungen, gibt aber mir persönlich – und
ich will das nicht verhehlen – viel Energie,
Motivation und Befriedigung.
Um den Frauenanteil in typischen
Männerberufen zu erhöhen, haben
Sie 2012 eine Kampagne mit dem
Slogan «Frauen gehören ganz nach
vorne» gestartet. Welche Motive ste-
cken hinter dieser Kampagne?
Die VBZ haben als öffentliches Trans-
portunternehmen ein branchentypisches
Problem geschichtlicher Natur: Viele Be-
rufsfelder bei uns sind seit jeher typische
Männerberufe. Dies betrifft die Beru-
fe rund um die Infrastruktur, wie etwa
die Gleisbauer, die Berufe rund um die
Fahrzeuge, wie die Mechaniker und die
Lackierer, und vor allem natürlich die
1300 Chauffeur-Stellen. Obwohl sich die
ganze Berufswelt gewandelt hat, ist das
Bild eines männlichen Chauffeurs heute
immer noch tief in den Köpfen verankert.
Bis in die 70er-Jahre war das Chauffie-
ren von Trams ausschliesslich Männern
vorbehalten und die Gewerkschaften
bekämpften sogar den Einzug von Frau-
en. Mittlerweile ist der Frauenanteil in
den gesamten VBZ bei 17 Prozent, beim
Tram haben wir sogar einen etwas hö-
heren Frauenanteil von 21 Prozent. Bei
den Bewerbungen war diese Quote aber
noch viel tiefer; nur 16 Prozent aller Be-
werbungen kamen von Frauen. Deshalb
haben wir uns gesagt, wir müssen dafür
sorgen, dass Frauen unsere Berufe in den
Tramcockpits nicht mehr übersehen. Wir
haben darauf eine Kampagne gestartet,
bei der wir in Print- und Onlinemedien
und auf Plakaten ganz grosse Anzeigen
nur für Frauen und bedeutend kleinere
Anzeigen nur für Männer geschaltet ha-
ben. So haben wir auf eine witzige und
unverkrampfte Art darauf hingewiesen,
dass Frauen unsere Stellen nicht mehr
übersehen sollten.
Und hatte diese Kampagne die
gewünschte Wirkung?
Diese Kampagne hat unsere Erwartungen
massiv übertroffen. Sie hat uns einerseits
sehr viel Goodwill in der Öffentlichkeit ge-
bracht, andererseits auch deutlich mehr
Bewerbungen: Im ersten Quartal nach
dieser Kampagne haben wir rund 1000
Bewerbungen erhalten – das sind doppelt
so viele wie üblich. Und wir hatten bei den
Bewerbungen auch einen fast doppelt so
hohen Frauenanteil: statt 16 waren es
nun 31 Prozent. Im Nachgang konnten
wir letztes Jahr fast 40 Prozent aller frei-
en Stellen im Tramchauffeurbereich mit
Frauen besetzen. Das ist die Erfolgstory –
doch unsere Erfahrung zeigt: Sobald wir
erneut die übliche geschlechterneutrale
Werbung schalten, sinkt der Frauenanteil
wieder. Die Erhöhung des Frauenanteils
funktioniert also nicht über einzelne Kam-
pagnen, sondern ist quasi ein Marathon-
lauf. Wir müssen an diesem Thema stän-
dig dranbleiben und deshalb werden wir
auch dieses Jahr wieder eine Kampagne
starten, die sich explizit an Frauen richtet.
Sie haben das Thema Social Media
bereits mehrfach angesprochen.
Welche Kanäle nutzen die VBZ hier?
Wir sind im Social-Media-Bereich gleich
vierfach präsent. Zum einen haben wir
eine eigene Facebook-Jobseite, zum
Zweiten haben wir ein Unternehmens-
profil auf XING. Wir werden dieses Jahr
auf XING mit der Direktansprache – dem
sogenannten Active Sourcing – in sehr
schwierig zu besetzenden Berufsgruppen
beginnen. Drittens sind wir auf Kununu
aktiv. Hier stehen wir vor allem im Dia-
log mit ehemaligen Mitarbeitenden, die
mit uns als Arbeitgeber vielleicht nicht
ganz so zufrieden waren. Beim vierten
Social-Media-Kanal handelt es sich um
verschiedenste Online-Foren. Mit gratis
erhältlichen Google-Tools machen wir im
Internet ein Monitoring und können dann
überall dort, wo über die VBZ als Arbeit-
geber gesprochen wird, eingreifen und
mitdiskutieren. Ich will Ihnen ein Beispiel
geben: Aufgrund unserer Google-Tools
haben wir mitbekommen, dass im Forum
«Wir Eltern» die Frage aufgekommen ist,
wie es bei den VBZ um die Arbeitszeiten
steht. Wir haben dann erzählt, was Sache
ist. Die Verblüffung im Forum war enorm
und hat uns bei den Usern sehr viel Sym-
pathie eingebracht.
Ein weiteres innovatives Projekt
der VBZ sind die sogenannten
Social-Media-Ambassadoren.
Was steckt hier dahinter?
Ausgangspunkt ist die uralte Marketing-
idee «Mitarbeiter werben Mitarbeiter»,
ein Rekrutierungskanal, den wir übri-
gens schon seit Jahren pflegen. Über
20 Prozent aller Anstellungen generieren
wir über Mitarbeiterempfehlungen. Die
Mund-zu-Mund-Propaganda im persön-
lichen Umfeld findet heutzutage aber
eben immer stärker über die Vernetzung
in sozialen Medien statt. Wir haben des-
halb einige Mitarbeitende gefragt, ob sie
bereit wären, regelmässig unsere Online-
Stellenanzeigen in ihren Profilen auf
XING, LinkedIn oder Facebook zu pos-
ten. Das funktioniert bei uns technisch
mit einem einfachen Mausklick. Für die
rund 35 Mitarbeitenden, die sich freiwillig
daran beteiligten, ist das ein Aufwand na-
«Unsere Erfahrung zeigt: Sobald wir erneut die üb-
liche geschlechterneutrale Werbung schalten, sinkt
der Frauenanteil wieder. Die Erhöhung des Frauen-
anteils funktioniert also nicht über einzelne Kam-
pagnen, sondern ist quasi ein Marathonlauf.»
Experten-Interview
9personalSCHWEIZ Juni 2013
Experten-Interview
he null, wir verrechnen hierfür auch keine
Arbeitszeit. Aber wir bezahlen bei Erfolg
eine Vermittlungsprämie und veranstal-
ten für unsere Social-Media-Ambassado-
ren jedes Jahr einen Event, zu dem wir un-
ter anderem auch Referenten zum Thema
Social Media einladen.
Wie beurteilen Sie die Chancen des
sogenannten Mobile Recruiting, also
der Rekrutierung mittels Content und
Apps auf Smartphones oder Tablets?
Das ist ein spannendes Thema, das zurzeit
in aller Munde ist. Unsere Online-Stellen-
anzeigen sind bereits für mobile Geräte
optimiert und demnächst werden auch
unsere Karriereseiten so weit sein. Das ist
aber eine Selbstverständlichkeit, weil mo-
bile Anwendungen heute eine dermassen
grosse Bedeutung haben. Ich finde, im HR
hat man da keine Wahl. Bereits heute ha-
ben wir auf den einschlägigen Webseiten
rund 20 Prozent Zugriffe von Smartpho-
nes, eine Zahl, die ständig wächst. Für das
weitere E-Recruiting, also das möglichst
hürdenlose Sich-Bewerben auf eine Stel-
lenanzeige mit ein oder zwei Mausklicks
mittels des eigenen XING-Profils, braucht
es meiner Meinung nach noch Zeit. Ich
bin da für die nächsten Jahre eher skep-
tisch und kann mir das eigentlich auch
nicht für alle unsere Stellenprofile vorstel-
len – die Masse an Bewerbungen wäre
schlicht nicht mehr zu bewältigen. Für
sehr gesuchte offene Positionen wie Bau-
ingenieure kann ich mir das vorstellen,
aber weniger als Bewerbung, sondern
eher als Interessensbekundung und Kon-
taktanbahnung.
Lassen Sie uns einen Blick in die Zu-
kunft werfen: Welches sind Ihrer Mei-
nung nach die wichtigsten Recruiting-
Trends der nächsten zehn Jahre?
Genau kann das niemand wissen, aber es
zeichnen sich hier vier starke Entwicklun-
gen ab. Der erste Trend – heute eigentlich
schon eher Fakt – ist die Verlagerung des
Recruiting in die elektronischen Medien,
vornehmlich ins Internet. Als Konsequenz
stellen sich hier für die HR-Welt im Web
2.0 ganz neue Herausforderungen: Die
Veränderung von der Einwegkommu-
nikation hin zum Dialog erfordert neue
kommunikative Kompetenzen und auch
ein neues Marketingverständnis für die
einzelnen Rekrutierungskanäle. Dazu ge-
hört auch die Fähigkeit zum Storytelling:
WirmüssenindieserreizüberflutetenWelt
fähig sein, spannende und emotionsgela-
dene Geschichten über das Arbeiten bei
unserem Unternehmen erzählen zu kön-
nen, um als Arbeitgeber aufzufallen. Der
zweite Trend ist die Zunahme der Direkt-
ansprache für sehr gesuchte Funktionen.
Die teure Variante ist hier die Vergabe von
Jörg Buckmann ist seit 2007 Leiter
Personalmanagement bei den Verkehrs-
betrieben Zürich (VBZ). Zuvor war er
mehrere Jahre als Leiter Personalpolitik
der SBB im Bereich Personenverkehr be-
schäftigt. Zudem ist er seit vielen Jahren
als Dozent im Bereich Personalmanage-
ment für diverse private und öffentliche-
rechtliche Institutionen tätig, wie z.B.
die ZHAW, die HWZ, die Hochschule Lu-
zern oder die KV Zurich Business School.
Seine innovativen Projekte und frischen
Ideen rund um Personalgewinnung, Per-
sonalmarketing und Employer Branding
haben ihn und die VBZ nicht nur in der
Schweiz, sondern auch im deutschspra-
chigen Ausland bekannt gemacht. So
wurden die VBZ schon mit mehreren
HR-Auszeichnungen im Ausland geehrt,
u.a. 2011 als Gewinner HRM-Contest
der Deutschen Gesellschaft für Perso-
nalführung (DGFP), im selben Jahr auch
für die Beste Recruiting-Kampagne von
queb.org, einem Kompetenznetzwerk
für innovatives Employer Branding, und
2012 mit je einem HR Excellence Award
für die beste Stellenanzeige sowie für
Diversity. Buckmann gilt als ausgewie-
sener Social-Media-Experte und betreibt
auch einen eigenen Blog zum Thema
Personalgewinnung:
blog.buckmanngewinnt.ch
Zur Person
Mandaten an Headhunter, die günstigere
und spannendere Variante ist, dass man
dies selber macht. Drittens der Trend hin
zu mobilen Anwendungen. Und der vier-
te Trend ist: Wir brauchen besseren Con-
tent in der Personalwerbung. Dies hat mit
den gestiegenen Ansprüchen der heuti-
gen jungen Generationen zu tun. Auch
hierfür brauchen die HR-Abteilungen für
die Zukunft verbesserte Kompetenzen,
mehr Vertrauen und Autonomie.
«Wir müssen in dieser reizüberfluteten Welt
fähig sein, spannende und emotionsgeladene
Geschichten über das Arbeiten bei
unserem Unternehmen erzählen zu können,
um als Arbeitgeber aufzufallen.»
«Unsere Online-Stellenanzeigen sind bereits
für mobile Geräte optimiert und demnächst
werden auch unsere Karriereseiten so weit sein.
Das ist aber eine Selbstverständlichkeit, weil
mobile Anwendungen heute eine dermassen
grosse Bedeutung haben.»

Más contenido relacionado

Más de Jörg Buckmann

Hereinspaziert, hereinspaziert!
Hereinspaziert, hereinspaziert!Hereinspaziert, hereinspaziert!
Hereinspaziert, hereinspaziert!Jörg Buckmann
 
Die goldene Regel im Personalmarketing
Die goldene Regel im PersonalmarketingDie goldene Regel im Personalmarketing
Die goldene Regel im PersonalmarketingJörg Buckmann
 
Mitarbeiterbeurteilungen: Zurück in die Zukunft
Mitarbeiterbeurteilungen: Zurück in die ZukunftMitarbeiterbeurteilungen: Zurück in die Zukunft
Mitarbeiterbeurteilungen: Zurück in die ZukunftJörg Buckmann
 
Fotos und Videos für die Personalwerbung
Fotos und Videos für die PersonalwerbungFotos und Videos für die Personalwerbung
Fotos und Videos für die PersonalwerbungJörg Buckmann
 
Initiative für mehr Text-Charme
Initiative für mehr Text-Charme Initiative für mehr Text-Charme
Initiative für mehr Text-Charme Jörg Buckmann
 
Selbstversorgungsinitiative für authentische Bilder
Selbstversorgungsinitiative für authentische BilderSelbstversorgungsinitiative für authentische Bilder
Selbstversorgungsinitiative für authentische BilderJörg Buckmann
 
Initiative für bessere Stelleninserate
Initiative für bessere StelleninserateInitiative für bessere Stelleninserate
Initiative für bessere StelleninserateJörg Buckmann
 
Initiative für mehr Text-Charme
Initiative für mehr Text-CharmeInitiative für mehr Text-Charme
Initiative für mehr Text-CharmeJörg Buckmann
 
Employer Branding selbst gemacht
Employer Branding selbst gemachtEmployer Branding selbst gemacht
Employer Branding selbst gemachtJörg Buckmann
 
Frechmut heisst entscheiden
Frechmut heisst entscheidenFrechmut heisst entscheiden
Frechmut heisst entscheidenJörg Buckmann
 
Überzeugen statt granteln
Überzeugen statt grantelnÜberzeugen statt granteln
Überzeugen statt grantelnJörg Buckmann
 
Personalmarketing to go Kapitel 10
Personalmarketing to go Kapitel 10Personalmarketing to go Kapitel 10
Personalmarketing to go Kapitel 10Jörg Buckmann
 
Foto und Video selbst gemacht.
Foto und Video selbst gemacht. Foto und Video selbst gemacht.
Foto und Video selbst gemacht. Jörg Buckmann
 
Personal Schweiz: Mit Kunst Fachkräfte anlocken
Personal Schweiz: Mit Kunst Fachkräfte anlockenPersonal Schweiz: Mit Kunst Fachkräfte anlocken
Personal Schweiz: Mit Kunst Fachkräfte anlockenJörg Buckmann
 
Video: Menschen zu Menschen sprechen lassen.
Video: Menschen zu Menschen sprechen lassen.Video: Menschen zu Menschen sprechen lassen.
Video: Menschen zu Menschen sprechen lassen.Jörg Buckmann
 
Auffallen oder untergehen. Mehr Frechmut!
Auffallen oder untergehen. Mehr Frechmut!Auffallen oder untergehen. Mehr Frechmut!
Auffallen oder untergehen. Mehr Frechmut!Jörg Buckmann
 
Employer Brandung: Gemeinsam statt einsam.
Employer Brandung: Gemeinsam statt einsam.Employer Brandung: Gemeinsam statt einsam.
Employer Brandung: Gemeinsam statt einsam.Jörg Buckmann
 

Más de Jörg Buckmann (20)

Stopp dem Lohnpoker
Stopp dem LohnpokerStopp dem Lohnpoker
Stopp dem Lohnpoker
 
Hereinspaziert, hereinspaziert!
Hereinspaziert, hereinspaziert!Hereinspaziert, hereinspaziert!
Hereinspaziert, hereinspaziert!
 
Die goldene Regel im Personalmarketing
Die goldene Regel im PersonalmarketingDie goldene Regel im Personalmarketing
Die goldene Regel im Personalmarketing
 
Mitarbeiterbeurteilungen: Zurück in die Zukunft
Mitarbeiterbeurteilungen: Zurück in die ZukunftMitarbeiterbeurteilungen: Zurück in die Zukunft
Mitarbeiterbeurteilungen: Zurück in die Zukunft
 
Fotos und Videos für die Personalwerbung
Fotos und Videos für die PersonalwerbungFotos und Videos für die Personalwerbung
Fotos und Videos für die Personalwerbung
 
Initiative für mehr Text-Charme
Initiative für mehr Text-Charme Initiative für mehr Text-Charme
Initiative für mehr Text-Charme
 
Selbstversorgungsinitiative für authentische Bilder
Selbstversorgungsinitiative für authentische BilderSelbstversorgungsinitiative für authentische Bilder
Selbstversorgungsinitiative für authentische Bilder
 
Initiative für bessere Stelleninserate
Initiative für bessere StelleninserateInitiative für bessere Stelleninserate
Initiative für bessere Stelleninserate
 
Initiative für mehr Text-Charme
Initiative für mehr Text-CharmeInitiative für mehr Text-Charme
Initiative für mehr Text-Charme
 
Gute Arbeit (-geber)
Gute Arbeit (-geber)Gute Arbeit (-geber)
Gute Arbeit (-geber)
 
Employer Branding selbst gemacht
Employer Branding selbst gemachtEmployer Branding selbst gemacht
Employer Branding selbst gemacht
 
Frechmut heisst entscheiden
Frechmut heisst entscheidenFrechmut heisst entscheiden
Frechmut heisst entscheiden
 
Überzeugen statt granteln
Überzeugen statt grantelnÜberzeugen statt granteln
Überzeugen statt granteln
 
Personalmarketing to go Kapitel 10
Personalmarketing to go Kapitel 10Personalmarketing to go Kapitel 10
Personalmarketing to go Kapitel 10
 
Foto und Video selbst gemacht.
Foto und Video selbst gemacht. Foto und Video selbst gemacht.
Foto und Video selbst gemacht.
 
Personal Schweiz: Mit Kunst Fachkräfte anlocken
Personal Schweiz: Mit Kunst Fachkräfte anlockenPersonal Schweiz: Mit Kunst Fachkräfte anlocken
Personal Schweiz: Mit Kunst Fachkräfte anlocken
 
Video: Menschen zu Menschen sprechen lassen.
Video: Menschen zu Menschen sprechen lassen.Video: Menschen zu Menschen sprechen lassen.
Video: Menschen zu Menschen sprechen lassen.
 
Auffallen oder untergehen. Mehr Frechmut!
Auffallen oder untergehen. Mehr Frechmut!Auffallen oder untergehen. Mehr Frechmut!
Auffallen oder untergehen. Mehr Frechmut!
 
Stelleninserate
StelleninserateStelleninserate
Stelleninserate
 
Employer Brandung: Gemeinsam statt einsam.
Employer Brandung: Gemeinsam statt einsam.Employer Brandung: Gemeinsam statt einsam.
Employer Brandung: Gemeinsam statt einsam.
 

Interview im Personal Schweiz über das Personalmarketing der VBZ

  • 1. Änderungskündigung Druckmittel mit Tücken: Welche Risiken eine Änderungs- kündigung mit sich bringt. S. 10 Familienzulagen Kinder mit Ansprüchen: Was es im Umgang mit Familien- zulagen alles zu beachten gilt. S. 14 Recrutainment Assessment mit Spassfaktor: Wie sich Kompetenzen auf spiele- rische Weise testen lassen. S. 20 Ausgabe 4 / Juni 2013 / CHF 14.— «Wir brauchen besseren Content» Jörg Buckmann, Leiter Personalmanagement der VBZ, über die aktuellen Herausforderungen im Recruiting. S. 6
  • 2. Experten-Interview 6 personalSCHWEIZ Juni 2013 Experten-Interview personalSCHWEIZ: Herr Buckmann, die VBZ setzen in der Rekrutierung auf innovative Strategien. Weshalb sind die gängigen Konzepte überholt? Jörg Buckmann: Der Hauptgrund ist folgender: Neben dem Fachkräftemangel bei den klassischen High Potentials wird es auch in Berufen wie Bauingenieur, Bus- fahrer, Automatiker oder Lackierer immer schwieriger, gute Mitarbeitende zu fin- den. Wenn wir einmal vom Hochschul- marketing und von den Bewerbungsmes- sen absehen, ist die Personalwerbung in den letzten 40 oder 50 Jahren mehr oder weniger stehen geblieben. Man nutzt heute immer noch Stelleninserate, die vom Aufbau und vom Inhalt her die glei- chen sind wie vor Jahrzehnten. Für viele Unternehmen scheint mir hier die grösste Veränderung zu sein, dass sie die Stellen- anzeigen nun in Form eines PDF auf die bekannten Online-Portale stellen – das kann aber doch nicht alles sein! Wenn Sie sich die Werbekampagnen für Kon- sumgüter anschauen, dann liegen Welten zwischen dieser Art von Werbung und der Personalwerbung, wo es ja um die Zu- kunft von einzelnen Menschen, Familien und Unternehmen geht. Weitere Gründe sind, dass sich die Anspruchshaltungen und die Kommunikationsgewohnheiten der Stellensuchenden verändert haben. Noch vor wenigen Jahren gab es für Stel- leninserate nur die Zeitungen und einige Internetstellenbörsen. Mit dem Web 2.0 – dem «Mitmach-Web» – hat sich bezüg- lich der Kommunikation eine Revolution vollzogen.Undwirversuchendortpräsent zu sein, wo sich die spannenden Zielgrup- pen aufhalten und sich informieren. Ein letzter, eher VBZ-interner Grund ist, dass wir noch vor wenigen Jahren permanent mehr Geld für teure Printinserate ausge- ben mussten, um unsere jährlich rund 200 offenen Stellen besetzen zu können. Können Sie uns einen kurzen Über- blick über die verschiedenen neuar- tigen Ansätze der VBZ in der Rekru- tierung geben? Dafür muss ich zwischen zwei Arten von Stellen unterscheiden: Einzel- und Mas- senstellen. Bei den Einzelstellen setzen wir darauf, dass die zukünftigen Vorgesetz- ten sich mit einem Jobvideo persönlich bei der stellensuchenden Person bewer- ben. Dies ist vom Prozess her also genau umgekehrt wie bisher üblich. Bei den Massenstellen in den Bereichen Tram und Bus sind wir mit unseren freien Stellen auf den einschlägigen Online-Stellenplattfor- men ständig präsent. Zudem kommen hier auch Kampagnen zum Einsatz, von der Radio- und der Kinowerbung – zwei Kanäle, die übrigens erstaunlich günstig sind – bis hin zur Plakatwerbung. Mittel- punkt dieser Kampagnen ist immer unse- re Internetpräsenz. Nur auf vbz.ch finden Stelleninteressierte alle Informationen zur ausgeschriebenen Stelle, insbesondere das Herzstück unseres Auftritts auf dem Personalmarkt – das Jobvideo. Ihre Kampagne «Wir bewerben uns» hat in der HR-Welt Aufsehen erregt. Welches waren die Beweggründe dahinter? Einer der Gründe ist, dass wir eine neue Situation auf dem Arbeitsmarkt haben, nämlich die Wandlung hin zu einem Ar- beitnehmermarkt für fast alle Funktionen. Wenn man dann aber schaut, wie um die- Recruiting 2.0 «Wir brauchen besseren Content» Herkömmliche Stelleninserate reichen heute bei Weitem nicht mehr aus, um gute Mitarbeitende zu gewinnen. Welche neuen Kanäle und Inhalte im Recruiting relevant sind, erläutert Jörg Buck- mann, Leiter Personalmanagement der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ). Interview geführt von Wolf-Dietrich Zumach Jörg Buckmann möchte dort präsent sein, wo sich die Zielgruppen aufhalten – vor allem auch im Web.
  • 3. Experten-Interview 7personalSCHWEIZ Juni 2013 Experten-Interview se «Kunden» geworben wird, dann sind die Bewerberinnen und Bewerber noch sehr oft in der Rolle des Bittstellers. Klas- sische Stelleninserate sind häufig völlig emotionslos, weisen nur wenige konkrete Informationen auf und sagen meist nichts über relevante Aspekte, wie etwa den zu- künftigen Chef, das Stellenumfeld oder die zukünftigen Arbeitskollegen aus. Auf der einen Seite werden also von den Un- ternehmen lieblose, emotionslose und in- haltlich mangelhafte Stelleninserate pub- liziert und auf der anderen Seite erwarten wir Personaler wunderbare, komplette Be- werbungsdossiers mit Foto, fehlerlosem Anschreiben und Gehaltsvorstellungen. Hier haben wir also völlig unterschiedlich lange Spiesse und eine riesige Diskrepanz im Informationsgehalt. Mit der Kampagne «Wir bewerben uns» möchten wir diese Diskrepanz ausgleichen, indem sich jede Führungskraft persönlich bei den Stellen- suchenden mit einem Jobvideo bewirbt, das den Vorgesetzten selbst, die Stelle und das Umfeld beschreibt. Diese Idee hört sich erst einmal sehr simpel an. Sicherlich gab es aber zu Beginn auch interne Widerstände zu überwinden. Wo lagen die grössten Hürden? Die Resonanz bei den Vorgesetzten war erst einmal durchzogen, da sie ja nun plötzlich aus dem Hintergrund in das Rampenlicht «gedrängt» wurden. Die meisten unserer Führungskräfte waren zu Beginn eher skeptisch, einige von ihnen haben auch aktiv dagegen opponiert. Viele hatten bisher keine Berührungs- punkte mit sozialen Medien. Manche hatten deshalb Befürchtungen, dass sie auf YouTube in einem schmuddeligen Umfeld auftauchen könnten oder dass ihr Video verhunzt werden könnte. Hier mussten wir viel Überzeugungsarbeit leis- ten. Zudem ist die Produktion des Videos aus Sicht der Führungskräfte ja auch ein Zusatzaufwand. Wir haben daher sehr viel Herzblut in die interne Kommuni- kation investiert. Wir haben mit zwei im Unternehmen bekannten Führungs- kräften Mustervideos produziert, die wir an internen Informationsveranstaltungen gezeigt haben. So konnten wir eine breite Basis an Zustimmung dafür schaffen, dass diese Jobvideos eine bessere Sache sind als gängige Stellenanzeigen. Dann war da aber auch noch die Angst vor der Kame- ra. Viele Vorgesetzte sagten nach diesen Informationsveranstaltungen: «Finde ich zwar eine gute Sache, aber ich glaube, ich kann das nicht.» Wir haben dann auf frei- williger Basis Vorgesetzte eingeladen, die von einem ehemaligen Fernsehunterhal- tungschef Tipps und Tricks erhalten ha- ben, worauf man vor der Kamera achten muss. Auch die Filmproduzentin, die bis heute unsere Jobvideos produziert, war vor Ort und hat von jedem Teilnehmer zwei Statements auf Video aufgezeich- net. Diese haben wir dann zusammen angeschaut und die beiden Fernsehprofis haben dazu ihr Feedback gegeben. Für viele war dies ein positives Schlüsseler- lebnis. Wir haben unseren Vorgesetzten dann auch versprochen, dass wir kein Video ohne die Zustimmung des entspre- chenden Vorgesetzten veröffentlichen. In den ganz seltenen Fällen, in denen je- mand partout nicht vor die Kamera will, weichen wir jeweils auf den nächsthöhe- ren Vorgesetzten aus. Wie gross ist der Produktions- aufwand für ein solches Jobvideo? Der Marktpreis für ein Jobvideo beträgt rund 5000 Franken. Mit unseren Erfah- rungen und den inzwischen eingespielten Prozessen kostet uns ein Video heute je- doch nur noch zwischen 3000 und 4000 Franken. Inzwischen haben wir auch ein Archiv mit mehreren Terabyte Filmmate- rial. So kann die Produzentin auf gewis- se Szenen zurückgreifen, die wir immer wieder benötigen. Der zeitliche Aufwand für die komplette Erstellung eines Job- videos beträgt inklusive Vorbereitung in der Regel eine Woche. Da alle Vorgesetz- ten ihre Texte selbstständig schreiben, variiert die Vorbereitungszeit jedoch. Als Hilfestellung erhalten sie von uns ein gut strukturiertes leeres Drehbuch als eine Art Template. Was den Vorgesetzten inhalt- lich wichtig ist, was sie vom Arbeitsplatz zeigen wollen und ob sie noch andere Teammitglieder vorstellen wollen, ist dann ihnen überlassen. Darauf folgt noch ein Vorgespräch mit der Produzentin, in dem die Texte noch etwas präzisiert und «entfloskelt» werden – und dann kann der Dreh auch schon losgehen. Dieser dauert dann nur etwa einen halben Tag. 24 Stunden später – nach Vertonung und Schnitt – ist das Video komplett fertig. Welches Fazit ziehen Sie aus diesem Projekt? In vielerlei Hinsicht ein überaus positives. Erstens konnten wir die quantitative Ge- samtzahl an Bewerbungen auf hohem «Die Personalwerbung ist in den letzten 40 oder 50 Jahren mehr oder weniger stehen geblieben. Man nutzt immer noch Stelleninserate, die vom Aufbau und vom Inhalt her die gleichen sind wie vor Jahrzehnten.» «Auf der einen Seite werden von den Unternehmen lieblose, emotionslose und inhaltlich mangelhafte Stelleninserate publiziert und auf der anderen Seite erwarten wir Personaler wunderbare, komplette Bewerbungsdossiers. Hier haben wir also eine riesige Diskrepanz im Informationsgehalt.»
  • 4. Experten-Interview 8 personalSCHWEIZ Juni 2013 Experten-Interview Niveau halten. Wir wollten diese auch nie steigern, sondern möglichst passen- de Bewerbungen erhalten. Wir sprechen nun aber auch neue Zielgruppen an, für die wir bisher keine Alternative als Ar- beitgeber waren. Zudem werden wir als pfiffiger und dynamischer Arbeitgeber wahrgenommen, was früher nicht so der Fall war. Die Leidenschaft und die Emo- tionen, die unsere Vorgesetzten in den Jobvideos zeigen, kommen bei den Stel- lensuchenden enorm gut an. Zweitens konnten wir mit unseren Jobvideos sehr viel mediale Aufmerksamkeit generieren. Dies wiederum hatte zur Folge, dass die VBZ auch bei nicht aktiv eine Stelle Su- chenden mehr im Gespräch sind. Drittens sind wir in der deutschsprachigen HR- Welt mit dieser ungewöhnlichen Art der Personalwerbung in aller Munde und sind auch schon mehrfach prämiert worden. Dies bringt uns zwar direkt keine Bewer- bungen, gibt aber mir persönlich – und ich will das nicht verhehlen – viel Energie, Motivation und Befriedigung. Um den Frauenanteil in typischen Männerberufen zu erhöhen, haben Sie 2012 eine Kampagne mit dem Slogan «Frauen gehören ganz nach vorne» gestartet. Welche Motive ste- cken hinter dieser Kampagne? Die VBZ haben als öffentliches Trans- portunternehmen ein branchentypisches Problem geschichtlicher Natur: Viele Be- rufsfelder bei uns sind seit jeher typische Männerberufe. Dies betrifft die Beru- fe rund um die Infrastruktur, wie etwa die Gleisbauer, die Berufe rund um die Fahrzeuge, wie die Mechaniker und die Lackierer, und vor allem natürlich die 1300 Chauffeur-Stellen. Obwohl sich die ganze Berufswelt gewandelt hat, ist das Bild eines männlichen Chauffeurs heute immer noch tief in den Köpfen verankert. Bis in die 70er-Jahre war das Chauffie- ren von Trams ausschliesslich Männern vorbehalten und die Gewerkschaften bekämpften sogar den Einzug von Frau- en. Mittlerweile ist der Frauenanteil in den gesamten VBZ bei 17 Prozent, beim Tram haben wir sogar einen etwas hö- heren Frauenanteil von 21 Prozent. Bei den Bewerbungen war diese Quote aber noch viel tiefer; nur 16 Prozent aller Be- werbungen kamen von Frauen. Deshalb haben wir uns gesagt, wir müssen dafür sorgen, dass Frauen unsere Berufe in den Tramcockpits nicht mehr übersehen. Wir haben darauf eine Kampagne gestartet, bei der wir in Print- und Onlinemedien und auf Plakaten ganz grosse Anzeigen nur für Frauen und bedeutend kleinere Anzeigen nur für Männer geschaltet ha- ben. So haben wir auf eine witzige und unverkrampfte Art darauf hingewiesen, dass Frauen unsere Stellen nicht mehr übersehen sollten. Und hatte diese Kampagne die gewünschte Wirkung? Diese Kampagne hat unsere Erwartungen massiv übertroffen. Sie hat uns einerseits sehr viel Goodwill in der Öffentlichkeit ge- bracht, andererseits auch deutlich mehr Bewerbungen: Im ersten Quartal nach dieser Kampagne haben wir rund 1000 Bewerbungen erhalten – das sind doppelt so viele wie üblich. Und wir hatten bei den Bewerbungen auch einen fast doppelt so hohen Frauenanteil: statt 16 waren es nun 31 Prozent. Im Nachgang konnten wir letztes Jahr fast 40 Prozent aller frei- en Stellen im Tramchauffeurbereich mit Frauen besetzen. Das ist die Erfolgstory – doch unsere Erfahrung zeigt: Sobald wir erneut die übliche geschlechterneutrale Werbung schalten, sinkt der Frauenanteil wieder. Die Erhöhung des Frauenanteils funktioniert also nicht über einzelne Kam- pagnen, sondern ist quasi ein Marathon- lauf. Wir müssen an diesem Thema stän- dig dranbleiben und deshalb werden wir auch dieses Jahr wieder eine Kampagne starten, die sich explizit an Frauen richtet. Sie haben das Thema Social Media bereits mehrfach angesprochen. Welche Kanäle nutzen die VBZ hier? Wir sind im Social-Media-Bereich gleich vierfach präsent. Zum einen haben wir eine eigene Facebook-Jobseite, zum Zweiten haben wir ein Unternehmens- profil auf XING. Wir werden dieses Jahr auf XING mit der Direktansprache – dem sogenannten Active Sourcing – in sehr schwierig zu besetzenden Berufsgruppen beginnen. Drittens sind wir auf Kununu aktiv. Hier stehen wir vor allem im Dia- log mit ehemaligen Mitarbeitenden, die mit uns als Arbeitgeber vielleicht nicht ganz so zufrieden waren. Beim vierten Social-Media-Kanal handelt es sich um verschiedenste Online-Foren. Mit gratis erhältlichen Google-Tools machen wir im Internet ein Monitoring und können dann überall dort, wo über die VBZ als Arbeit- geber gesprochen wird, eingreifen und mitdiskutieren. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Aufgrund unserer Google-Tools haben wir mitbekommen, dass im Forum «Wir Eltern» die Frage aufgekommen ist, wie es bei den VBZ um die Arbeitszeiten steht. Wir haben dann erzählt, was Sache ist. Die Verblüffung im Forum war enorm und hat uns bei den Usern sehr viel Sym- pathie eingebracht. Ein weiteres innovatives Projekt der VBZ sind die sogenannten Social-Media-Ambassadoren. Was steckt hier dahinter? Ausgangspunkt ist die uralte Marketing- idee «Mitarbeiter werben Mitarbeiter», ein Rekrutierungskanal, den wir übri- gens schon seit Jahren pflegen. Über 20 Prozent aller Anstellungen generieren wir über Mitarbeiterempfehlungen. Die Mund-zu-Mund-Propaganda im persön- lichen Umfeld findet heutzutage aber eben immer stärker über die Vernetzung in sozialen Medien statt. Wir haben des- halb einige Mitarbeitende gefragt, ob sie bereit wären, regelmässig unsere Online- Stellenanzeigen in ihren Profilen auf XING, LinkedIn oder Facebook zu pos- ten. Das funktioniert bei uns technisch mit einem einfachen Mausklick. Für die rund 35 Mitarbeitenden, die sich freiwillig daran beteiligten, ist das ein Aufwand na- «Unsere Erfahrung zeigt: Sobald wir erneut die üb- liche geschlechterneutrale Werbung schalten, sinkt der Frauenanteil wieder. Die Erhöhung des Frauen- anteils funktioniert also nicht über einzelne Kam- pagnen, sondern ist quasi ein Marathonlauf.»
  • 5. Experten-Interview 9personalSCHWEIZ Juni 2013 Experten-Interview he null, wir verrechnen hierfür auch keine Arbeitszeit. Aber wir bezahlen bei Erfolg eine Vermittlungsprämie und veranstal- ten für unsere Social-Media-Ambassado- ren jedes Jahr einen Event, zu dem wir un- ter anderem auch Referenten zum Thema Social Media einladen. Wie beurteilen Sie die Chancen des sogenannten Mobile Recruiting, also der Rekrutierung mittels Content und Apps auf Smartphones oder Tablets? Das ist ein spannendes Thema, das zurzeit in aller Munde ist. Unsere Online-Stellen- anzeigen sind bereits für mobile Geräte optimiert und demnächst werden auch unsere Karriereseiten so weit sein. Das ist aber eine Selbstverständlichkeit, weil mo- bile Anwendungen heute eine dermassen grosse Bedeutung haben. Ich finde, im HR hat man da keine Wahl. Bereits heute ha- ben wir auf den einschlägigen Webseiten rund 20 Prozent Zugriffe von Smartpho- nes, eine Zahl, die ständig wächst. Für das weitere E-Recruiting, also das möglichst hürdenlose Sich-Bewerben auf eine Stel- lenanzeige mit ein oder zwei Mausklicks mittels des eigenen XING-Profils, braucht es meiner Meinung nach noch Zeit. Ich bin da für die nächsten Jahre eher skep- tisch und kann mir das eigentlich auch nicht für alle unsere Stellenprofile vorstel- len – die Masse an Bewerbungen wäre schlicht nicht mehr zu bewältigen. Für sehr gesuchte offene Positionen wie Bau- ingenieure kann ich mir das vorstellen, aber weniger als Bewerbung, sondern eher als Interessensbekundung und Kon- taktanbahnung. Lassen Sie uns einen Blick in die Zu- kunft werfen: Welches sind Ihrer Mei- nung nach die wichtigsten Recruiting- Trends der nächsten zehn Jahre? Genau kann das niemand wissen, aber es zeichnen sich hier vier starke Entwicklun- gen ab. Der erste Trend – heute eigentlich schon eher Fakt – ist die Verlagerung des Recruiting in die elektronischen Medien, vornehmlich ins Internet. Als Konsequenz stellen sich hier für die HR-Welt im Web 2.0 ganz neue Herausforderungen: Die Veränderung von der Einwegkommu- nikation hin zum Dialog erfordert neue kommunikative Kompetenzen und auch ein neues Marketingverständnis für die einzelnen Rekrutierungskanäle. Dazu ge- hört auch die Fähigkeit zum Storytelling: WirmüssenindieserreizüberflutetenWelt fähig sein, spannende und emotionsgela- dene Geschichten über das Arbeiten bei unserem Unternehmen erzählen zu kön- nen, um als Arbeitgeber aufzufallen. Der zweite Trend ist die Zunahme der Direkt- ansprache für sehr gesuchte Funktionen. Die teure Variante ist hier die Vergabe von Jörg Buckmann ist seit 2007 Leiter Personalmanagement bei den Verkehrs- betrieben Zürich (VBZ). Zuvor war er mehrere Jahre als Leiter Personalpolitik der SBB im Bereich Personenverkehr be- schäftigt. Zudem ist er seit vielen Jahren als Dozent im Bereich Personalmanage- ment für diverse private und öffentliche- rechtliche Institutionen tätig, wie z.B. die ZHAW, die HWZ, die Hochschule Lu- zern oder die KV Zurich Business School. Seine innovativen Projekte und frischen Ideen rund um Personalgewinnung, Per- sonalmarketing und Employer Branding haben ihn und die VBZ nicht nur in der Schweiz, sondern auch im deutschspra- chigen Ausland bekannt gemacht. So wurden die VBZ schon mit mehreren HR-Auszeichnungen im Ausland geehrt, u.a. 2011 als Gewinner HRM-Contest der Deutschen Gesellschaft für Perso- nalführung (DGFP), im selben Jahr auch für die Beste Recruiting-Kampagne von queb.org, einem Kompetenznetzwerk für innovatives Employer Branding, und 2012 mit je einem HR Excellence Award für die beste Stellenanzeige sowie für Diversity. Buckmann gilt als ausgewie- sener Social-Media-Experte und betreibt auch einen eigenen Blog zum Thema Personalgewinnung: blog.buckmanngewinnt.ch Zur Person Mandaten an Headhunter, die günstigere und spannendere Variante ist, dass man dies selber macht. Drittens der Trend hin zu mobilen Anwendungen. Und der vier- te Trend ist: Wir brauchen besseren Con- tent in der Personalwerbung. Dies hat mit den gestiegenen Ansprüchen der heuti- gen jungen Generationen zu tun. Auch hierfür brauchen die HR-Abteilungen für die Zukunft verbesserte Kompetenzen, mehr Vertrauen und Autonomie. «Wir müssen in dieser reizüberfluteten Welt fähig sein, spannende und emotionsgeladene Geschichten über das Arbeiten bei unserem Unternehmen erzählen zu können, um als Arbeitgeber aufzufallen.» «Unsere Online-Stellenanzeigen sind bereits für mobile Geräte optimiert und demnächst werden auch unsere Karriereseiten so weit sein. Das ist aber eine Selbstverständlichkeit, weil mobile Anwendungen heute eine dermassen grosse Bedeutung haben.»