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Rhetorik und Poetik: Grundlagen der westlichen
                      Schriftkultur

I. Rhetorik - Die klassische Rhetorik ........................................................................... 3


  A. Rhetorik - System der klassischen Rhetorik ................................................................... 3
    1. Die 3 Redegattungen (genera dicendi) ............................................................................... 4
    2. Die 5 Bearbeitungsstadien (officia oratoris) ...................................................................... 5
    3. Die 4 Redeteile (partes orationis) ....................................................................................... 7
    4. Die 4 Stilideale der elocutio (virtutes elocutionis) ............................................................ 9
    5. Die 3 Stile (genera dicendi) und der Redeschmuck (ornatus) ....................................... 11

  B. Rhetorik - Geschichte der klassischen Rhetorik ........................................................... 14
     1. Der Ursprung der Rhetorik im antiken Griechenland ca. 500 v. Chr. ........................... 14
     2. Gorgias und die sophistische Rhetorik ca. 400 v. Chr. ................................................... 14
     3. Platons Kritik an der Rhetorik ca. 350 v. Chr. .................................................................. 14
     4. Aristoteles: Téchné Rhétoriké (Rhetorik, ca. 330 v. Chr.) .............................................. 15
     5. Cicero: De Oratore (Über den Redner, 91 v. Chr.) .......................................................... 16
     6. Quintilian: Institutio oratoria (Unterweisung in der Redekunst, 90 n. Chr.) ............... 16
     7. Ausblick: Rhetorik im christlichen Mittelalter - Augustinus: De doctrina christiana
     (Von der christlichen Lehre, 397 n. Chr.) .............................................................................. 17

II. Poetik - Geschichte der Poetik ............................................................................. 18


  A. Aristoteles: Poetik (Peri poietikés) ............................................................................... 19
  B. Horaz: Dichtkunst (Ars Poetica) .................................................................................... 20
  C. Pseudo-Longin: Über das Erhabene (Peri hýpsous) ...................................................... 21
  D. Mittelalter und antike Poetik........................................................................................ 22
  E. Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey ......................................................... 23
  F. Shaftesbury: Letter concerning Enthusiasm ................................................................. 25
  G. Johann Jacob Bodmer/Johann Jacob Breitinger: bspw. Von dem Einfluss und
  Gebrauche der Einbildungskraft ........................................................................................ 25
  H. Johann Christoph Gottsched: Versuch einer kritischen Dichtkunst ............................ 26
  I. William Shakespeare: Die Dramen ................................................................................. 27
  J. Johann Gottfried Herder: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der
  Menschheit ......................................................................................................................... 28
Rhetorik und Poetik : Grundlagen der westlichen Schriftkultur

1. Zum Thema

'Rhetorik', die Theorie und Praxis der Redekunst und 'Poetik', das Regelwerk nach dem sich Dichtung
gestaltet, gehören thematisch eng zusammen. Beide stellen die Grundlagen der westlichen Textproduktion
dar.

Während die Rhetorik ihr Augenmerk ursprünglich auf die Produktion überzeugender Rede ('persuasio')
richtete, erstellte die Poetik anfänglich Anleitungen, wie die Nachahmung des Wirklichen ('mimesis') zu
gestalten sei.

Im Laufe der kulturgeschichtlichen Entwicklung kam es immer wieder zu Überschneidungen, aber auch zu
Gegensätzlichkeiten zwischen den in der Rhetorik ausgebildeten Ideen und den in der Poetik vertretenen
Ansichten.

2. Zu dieser Seite

Auf den folgenden Seiten werden beide Systeme, ihre geschichtliche Entwicklung und wichtigsten Vertreter
vorgestellt. Sie sind über die Reiter oben links auf dieser Seite zu erreichen. Rhetorikbezogene
Informationen erscheinen dabei rot eingefasst, auf die Poetik bezogene Informationen grün. Da die
'Poetik' gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Zuge eines Wechsels von Produktions- zu Rezeptionsästhetik
zur 'Ästhetik' wird, ist sie im Glossar unter diesem Begriff aufgeführt.

Zur besseren Orientierung über die Abfolge der Entwicklungen: hier eine Zeitleiste (-> rechte Mousetaste,
'Ziel speichern unter') zu den Gebieten Rhetorik und Poetik.

Relevante Lexikonartikel sind den jeweiligen Unterseiten zugeordnet. Alle Teile des Glossars gibt es
untenstehend als Karteikarten, diese Seite beschäftigt sich speziell mit den Kapiteln 3 und 4.

1. Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe (-> rechte Mousetaste, 'Ziel speichern unter')
2. Edition (-> rechte Mousetaste, 'Ziel speichern unter')
3. + 4. Karteikarten Aesthetik und Rhetorik (-> rechte Mousetaste, 'Ziel speichern unter')
5. Erzählanalyse (-> rechte Mousetaste, 'Ziel speichern unter')

Wer will kann diese Karten ausdrucken, zusammenkleben und dann die Begrifflichkeiten (hoffentlich)
leichter lernen.




(Die Kärtchen wurden übrigens mit Hilfe der Seite www.cobocards.com erstellt. Eine spannende Sache, da
es dort mehrere Möglichkeit gibt, mit Hilfe des Internets zu lernen, beispielsweise sich gegenseitig über das
Netz abzufragen. Gerne eröffne ich Interessenten den Zugang zu den von mir erstellten Kärtchen, kurze
mail an mich genügt.)
I. Rhetorik - Die klassische Rhetorik




Rhetorik, von gr. 'techné rhetoriké', das ist die Kunst der Rede, die Kunst des wirkungsvollen Sprechens,
das ist die 'ars bene dicendi'.

Bis ein überzeugender Vortrag bereit für die exclamatorische Praxis ist, bedarf es jedoch eines langen
Vorlaufes.

Hier hilft die Rhetorik als Theorie und gibt dem Redner Regeln und Arbeitsschritte an die Hand, an denen
er sich im Dickicht der Argumentationsmöglichkeiten orientieren kann.

Rhetorik ist also einerseits die Praxis guter Rede, andererseits ein bereits in der Antike ausgefeiltes
theoretisches Lehrgebäude. Als solches kann es auf eine lange Geschichte und viele unterschiedliche
Bewohner zurückblicken.

Die folgenden Seiten beschäftigen sich mit Geschichte, Theorie und Persönlichkeiten der klassischen
Rhetorik, also von Gorgias (5. Jh. v Chr.) bis Quintilian (1. Jh. n. Chr.). Ein Ausblick auf das christliche
Mittelalter schließt das Projekt ab.

Auf dem Gemälde von Jean Lecomte du Noüy (1842 - 1923) übt sich der Grieche Demosthenes ( 384 v. Chr.
- 322 v. Chr.), einer der frühen großen Redner, gerade im wirkungsvollen Vortrag.



A. Rhetorik - System der klassischen Rhetorik

... beschreibt Regeln und Arbeitschritte, nach und mit denen sich der Redner eine überzeugende Rede
erarbeiten, einprägen und schließlich halten kann.

Die Schaubilder der folgenden Seiten hier als .rar-Datei zum Runterladen (-> rechte Mousetaste, 'Ziel
speichern unter', entpacken).

RLW Rhetorik.doc
MLS Rhetorik.doc
1. Die 3 Redegattungen (genera dicendi)

Lange vor der Entstehung der Rhetorik, schon bei Homer etwa, gab es Formen der kunstvollen
Beredsamkeit. Doch erst vor dem historischen Hintergrund der Entstehung der attischen Demokratie, in der
der Beredsamkeit eine zentrale Rolle zukam, wird die Ausbildung eines Systems der Rhetorik und darin der
Ausbildung einer Trias aus Redegattungen verständlich. "Die Unterscheidung der drei Redegattungen (...)
geht auf früheste Überlegungen zurück und fand durch Aristoteles ihre Kanonisierung.“ (Göttert, Karl-
Heinz: Einführung in die Rhetorik. Grundbegriffe-Geschichte-Rezeption. 3. Auflage. München 1991. S. 17.)
Aristoteles unterschied zwischen den Redegattungen ('genera dicendi') der Gerichts-, der Beratungs- und
der Lobrede.

Diese drei Formen der Rede unterscheiden sich nach den möglichen Wirkungen beim Zuhörer: Die Gattung
der Lobrede ('genus demonstrativum') dient dem Genuß, die der Beratungsrede ('genus deliberativum')
und Gerichtsrede ('genus iudiciale') wird in der Versammlung bzw. im Gerichtssaal gehalten, um eine
Entscheidung fällen zu können. Zeitlich zielen die Redegattungen auf unterschiedliche Ebenen: Die
Beratungsrede auf zukünftiges Handeln, die Gerichtsrede betrachtet vergangenes Handeln und als Ziel der
Lobrede kann das gegenwärtiges Handeln aufgefasst werden.

Zur Veranschaulichung ein Schema:




(Im Normalfall erscheinen in einer Rede Elemente aus verschiedenen Gattungen. In einer
Verteidigungsschrift werden sich wahrscheinlich neben iudicialen Elementen auch Teile finden, die dem
genus demonstrativum zu zuordnen sind, wenn zum Beispiel von der Rechtschaffenheit des Angeklagten
die Rede ist.)
2. Die 5 Bearbeitungsstadien (officia oratoris) der klassische Rede

Um den Redner bei der Erstellung und dem späteren Halten seines Vortrags zu unterstützen, gibt ihm das
System der Rhetorik 5 idealtypische Arbeitsschritte (officia oratoris) vor. Sie führen ihn von der rohen
‚materia‘ zum fertigen Werk (opus), das seine Bestimmung dann im Vortrag der Rede findet.

In der ersten Phase der 'inventio' sammelt der Redner die zum Redeanlass passenden Gedanken. Um die
wichtigen Aspekte eines Themas zu erkennen, kann er sich der Fragemethode der Topik bedienen. Das
systematisierte Frageraster der Topik ähnelt, grob gesagt, den 6 W-Fragen (Wer, wie, wo, was, warum,
wann). An diesen ‚Fundorten‘ sammelt der Redner zunächst sog. 'Allgemeinplätze' (gr.: 'topoi'; lat.: 'loci').

Im zweiten Schritt der Redeerstellung, der dispositio, werden die gefundenen Argumente in eine sinnvolle
Reihenfolge gebracht.

Als erste Orientierung dient hier die Regel der vier Redeteile ('partes orationis'): Auf die Einleitung
('exordium'), die die Aufmerksamkeit der Zuhörer und deren Wohlwollen erwecken soll, folgt der Hauptteil
der sich aus der Darlegung des Sachverhalts ('narratio') und der Erörterung des für und wider
('argumentatio') bildet. Den vierten und letzten Teil der Rede bildet die 'peroratio'. Hier fasst der Redner
noch einmal kurz die wichtigsten Punkte zusammen und versucht dabei das Publikum durch Einsatz von
'pathos' von dem ihm vertretenen Standpunkt schlussendlich zu überzeugen. Dieses grobe Raster hat der
Redner im Kopf und ordnet die Argumente danach.

Dann geht es an die sprachliche Ausformulierung, an die 'elocutio'. In diesem dritten Schritt dreht sich
alles um den passenden Stil ('aptum'). Welchen und wie viel Redeschmuck verwende ich? In welcher
Stilebene möchte ich sprechen, welche passt zu meinem Publikum und zum Thema meines Textes? Diese
Fragen stellt sich der Redner. Er kann sich wiederum an bestimmten Regeln orientieren, die bestimmen,
welches Stil der angemessene ist.

Hat der Redner diese Arbeit bewältigt, so wartet als vierter Schritt das Auswendiglernen (‚memoria‘) des
Textes auf ihn. Empfohlen wird hierfür die Kombination zweier Techniken. "des disponierenden Hilfsmittels
der loci und des intensivierenden Hilfsmittels der imagines." (Lausberg, Heinrich: Handbuch der
literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Wissenschaft. 3. Aufl., Stuttgart 1990, S. 526.) Bei den loci
handelt es sich um imaginierte Räume, in einem nach dem Fünferschema aufgebauten Haus
beispielsweise. Dieses wird dann in Gedanken abgeschritten, zuvor schon wurden die Merkgegenstände der
konkreten Rede darin abgelegt. Die Bilder der Merkgegenstände ('imagines') sollten außergewöhnlich und
affektintensiv sein, um sie gut memorieren zu können.

Die 'actio' oder 'pronuntiatio', das Präsentieren der Rede vor Publikum, bildete bei all diesen Schritten das
eigentliche Ziel des Redners. In diesem fünften Schritt spricht dabei nicht nur mit der Stimme, die er laut,
leise, schnell, langsam, den Umständen angemessen, zu gebrauchen weiß, auch die nonverbale Seite der
Kommunikation mit dem Publikum ist in die Kunst des Vortrags mit einbezogen. Dazu zählen beispielsweise
die Körpersprache, aber auch das Zeigen von Bildmaterial und das Präsentieren von Zeugen.
Die 5 Produktionsschritte einer klassischen Rede
3. Die 4 Redeteile (partes orationis) der klassischen Rede

Die einzelnen Teile einer Rede verfolgen bestimmte Ziele, die mit Hilfe der Rhetorik benannt werden
können und zu deren Erlangung sie ein Repertoire an Vorschlägen bereitstellt.

1. Einleitung (exordium)
Im ersten Teil der Rede, dem ('exordium'), soll zunächst die Aufmerksamkeit der Zuhörer und deren
Wohlwollen erweckt werden (‚attentum parare‘ und ‚capatio benevolentiae‘). Zugleich ist das exordium
„eine Äußerung, die den Geist des Hörers in geeigneter Weise auf den restlichen Vortrag vorbereitet.“
(Cicero in: De Oratore, 2, 318). Dies kann durch einen direkten Einstieg (‚principum‘) oder, wenn die
Thematik brisant ist, durch einen indirekten Einstieg in die Rede (‚insinuatio‘) geschehen. Obwohl sie am
Anfang der Rede steht, wird empfohlen, die Einleitung als letzte zu formulieren, um das Publikum
bestmöglich auf den späteren Inhalt vorbereiten zu können.

2. Darlegung des Sachverhalts (narratio)
Im zweiten Teil der Rede, der Darlegung des Sacherverhaltes (‚narratio‘), kommt dem Redner die Aufgabe
zu, die Sachlage zu erörtern, wobei bereits hier die eigene Partei in ein möglichst gutes Licht gerückt
werden sollte. Um der Gefahr, Langeweile (‚taedium‘) beim Publikum hervorzurufen, zu entgehen, soll sich
die narratio durch Kürze (‚brevitas‘) und Klarheit (‚perspicuitas‘) auszeichnen.

3. Beweisführung (argumentatio)
Der dritte Teil einer Rede, in der die Erörterung des für und wider einer Thematik geleistet wird, ist der
wichtigste. Ziel der argumentatio ist es, die Streitfrage zu beantworten und dabei das Publikum gemäß den
eigenen Interessen zu überzeugen. Hierfür können verschiedene Beweisarten, Hinweise, Zeugen und
Beispiele etwa, angewandt werden. Die eigene Sache wird dabei bekräftigt (‚probatio‘), es können aber
auch die Argumente der Gegenseite zurückgeweisen werden (‚refutatio‘). Um zu entscheiden, ob dieses
Ziel mit Sachlichkeit (‚ethos‘) oder mit emotionaler Beeinflussung (‚pathos‘) erreicht werden kann, ist auch
hier die Lehre von der Angemessenheit, das aptum, zu beachten.

4. Redeschluss (peroratio)
Der Redeschluss verfolgt zwei Ziele: einerseits sollen die wichtigsten Punkte der Rede aufgezählt werden
(‚recapitulatio'), andererseits soll mit einer affektiven Zuspitzung (‚affectus‘) das Publikum vollends für
die vertretene Seite gewonnen werden. „Der Abschluss aber sollte meist in einer Steigerung bestehen, sei
es, um den Richter zu entflammen, sei es, um ihn zu besänftigen.“ (Cicero in De Oratore, 2, 332) Um den
Schluss eindrucksvoll zu gestalten, kann sich der Redner kann sich in diesem Teil der Rede aller verfügbaren
Mittel, Emotionen zu erzeugen, bedienen.
Die 4 Redeteile einer klassischen Rede
4. Die 4 Stilideale der elocutio (virtutes        elocutionis)

Wie der Name schon andeutet, wird die Tugend des passenden Stils im Arbeitsschritt der ‚elocutio‘
angewandt. Hier vollbringt der Redner die sprachlichen Realisierung der zuvor in der ‚inventio‘ gefundenen
und in der ‚dispositio‘ geordneten Gedanken. Zwar lässt das Erfinden und sorgfältige Anordnen des Inhalts
schon eine Fülle von Worten hervortreten, doch „die Lehre der elocutio bezweckt die Vollkommenheit der
Formulierung.“ (Lausberg, S. 249). Wichtig hierfür ist das Befolgen der sprachlichen Tugenden ('virtus
dicendi') Sprachrichtigkeit ('latinitas'),   Klarheit ('perspicuitas'), Angemessenheit ('aptum') und
Redeschmuck ('ornatus') beim ‚Einkleiden‘ (vestire) der Gedanken.

1. Angemessenheit (aptum)
Eine zentrale Rolle spielt die Tugend der Angemessenheit. „Ob es um die richtige Frageweise oder die
zutreffende Aufgabe des Redners, um die sinnvolle Auswahl der einzelnen Gedanken oder um ihre
Anordnung, um ihre korrekte, klare und schmuckvolle Ausformung oder ihre sprachrhythmische
Gestaltung: jede Wahl muss angemessen sein.“ (Göttert, S. 65) Eine gute Rede muss sowohl in ihrem
Aufbau ('inneres aptum') als auch in den Beziehungen Stil-Autor, Stil-Publikum und Stil-Stoff ('äußeres
aptum') ausgewogen sein.

2.Grammatische Korrektheit (puritas/latinitas)
Die Korrektheit der Idiomatik bildet die Grundtugend für eine verständliche Rede. Sie setzt sich aus vier
Richtlinien zusammen: dem Sprachgesetz (‚ratio‘), der Überlieferung bzw. Verbürgtheit (‚vetutas‘), dem
Sprachgebrauch von Autoritäten (‚auctoritas‘) und dem gegenwärtigen Sprachgebrauch ('consetuedo').

3. Klarheit (perspicuitas)
Die Tugend der Klarheit dient dem ebenfalls dem bestmöglichen Verständnis der Rede. Sie bezieht sich
sowohl auf den Text als auch auf dessen Aussprache. Das Gegenteil der perspicuitas ist die Dunkelheit
('obscuritas'). Ein solcher Text lässt nicht nur eine, sondern mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu. Dies kann
jedoch auch als schmückendes Stilmittel verwendet werden. „Cicero und Quintilian rechtfertigen in diesem
Sinne den Schmuck der Rede ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt des Anreizes: allzu verständliche Rede
wird aufgrund der Langeweile unverständlich.“ Göttert, S. 43.

4. Redeschmuck (ornatus)
Eine weitere Forderung, die das System Rhetorik an den Redner stellt, ist die nach Redeschmuck
(‚ornatus‘). Durch die bewusste Abweichung (‚ars‘) von der gedachten sprachlichen Norm (‚natura‘) bleibt
der Text für das Publikum interessant. Der Redeschmuck zerfällt in zwei Hauptklassen: die der Wort- und
Gedankenfiguren (figurae), und der Gedankenbilder, der sogenannten ‚Tropen‘ (‚tropoi‘). Mehr zum
Redeschmuck unter 'Die 3 Stile'. Hier zunächst ein Überblick über
Die 4 Stilideale (virtutes elocutionis)
5. Die 3 Stile (genera dicendi) und der Redeschmuck (ornatus)


A. Die traditionelle rhetorische Stilistik unterscheidet drei Stilebenen (‚genera dicendi‘), den niederen Stil
‚genus humile‘, den mittleren Stil ‚genus mediocre‘ und den hohen Stil ‚genus grande‘. Die Wahl des
Stilniveaus richtet sich nach den Äußerungsabsichten des Redners (‚officia oratoris‘). Soll die Rede erfreuen
‚delectare‘), belehren (‚docere‘) oder bewegen (‚movere‘)? Ausschlaggebend für die jeweilige
Entscheidung ist das Ziel der Rede bzw. der Redeteile, die Meinung und Gesinnung des Publikums in die
gewünschte Bahn zu lenken.

Belehren (‚docere‘)
Die Belehrung zielt auf den Intellekt ab und „intendiert die emotionsfreie Unterrichtung des Hörers über
eine bestimmte Sachlage (‚res‘).“ (Plett, Heinrich F.: Einführung in die systematische Textanalyse. Essen
1978, S. 5.) Der Stil ist sachlich, so dass er häufig für den berichtenden Teil (‚narratio‘) einer Rede
verwendet wird, aber auch in wissenschaftlichen Darstellungen seinen Platz findet. Im beweisenden Teil
der Rede findet sich häufig das argumentative Glaubhaftmachen (‚probare‘). Den Übergang in den
emotionalen Wirkbereich bildet der Appell an die Vernunft (‚monere‘), der gerne in politischen Reden an
die Zuhörer gerichtet wird. Bevorzugte Stilart um zu belehren ist die schlichte, auf Schmuck (‚ornatus‘)
weitgehend verzichtende Stilart (‚genus humile‘).

Erfreuen (‚delectare‘)
Das Erfreuen durch eine Rede verfolgt das Erregen sanfter Gemütszustände wie Vergnügen und
Wohlwollen. Hierbei steht nicht allein der Text im Mittelpunkt. Auch der Redner sollte, um besänftigend
wirken zu können, eine untadelige Person, ein Vorbild sein. Die Wirkungsfunktion des delectare besteht
darin, zu entspannen und dabei die Aufmerksamkeit erneuern zu können. Der Einsatz von Schmuck hält
sich in Grenzen. „Der genus medium ist die Stilart, die für die Unterhaltung und Gewinnung der Zuhörer
am besten geeignet ist.“ (Ueding, Gert; Steinbrink, Bernd: Grundriß der Rhetorik. Geschichte – Technik –
Methode. 4. Aufl., Stuttgart 2005, S. 213.)

Bewegen (‚movere‘)
Mit ‚pathos‘ wird die Erregung von heftigen Effekten bezeichnet, wenn das Publikum mitgerissen werden
soll. „Die Schilderung von Ausnahmesituationen, von schrecklichen Bedrängnissen, von aufgezwungenen
Entscheidungen, von schrecklichen Bedrängnissen (...) all dies stachelt die Leidenschaft des Zuhörers an.“
(Göttert, Karl-Heinz: Einführung in die Rhetorik - Grundbegriffe - Geschichte - Rezeption. Hildesheim 1985,
S. 23.) Oft wird pathos mit viel Redeschmuck am Schluß einer Rede benutzt, um mit drastischer
Darstellungsweise das Publikum auf seine Seite zu bringen oder es direkt zu einer Handlung aufzurufen. Der
zugeordnete Stil ist der genus grande.

Weitere Faktoren stellen Redeanlaß, Thematik und Publikum dar. Im Allgemeinen kommt es innerhalb
einer Rede zu Wechseln zwischen den verschiedenen Stilebenen, je nach der in der zugehörigen
Textpassage verfolgen Absicht. Um den jeweils passenden Stil zu finden, hat die Rhetorik die Lehre von der
Angemessenheit des sprachlichen Ausdrucks (‚aptum‘) entwickelt. Diese bestimmt, in welchen Fällen von
der üblichen Sprachnorm (‚natura‘) abgewichen und kunstvoll (‚ars') arrangiert werden soll. Den
unterschiedlichen Redearten verlangen dabei nach unterschiedlich viel Redeschmuck ('ornatus').
Der Redeschmuck (ornatus)
Der Redeschmuck selbst teilt sich in Tropen (‚tropoi‘) und Figuren (‚figurae‘) auf. Die Zuordnung lässt sich
nach der spezifischen Form der Abweichung von der Sprachnorm herleiten: Handelt es sich um eine
Abweichung, die die Bedeutung des Wortes, seine Semantik, betrifft, so ist der Redeschmuck den Tropen
zuzuordnen. Der eigentliche Begriff wird durch einen uneigentlichen ersetzt. Beispiele hierfür wären
Metapher, Metonymie, Synekdoche.
Weicht die Sprachverwendung auf der Ebene des Satzbaus, der Syntax, ab, so gehört diese Art des
Redeschmucks zu den Figuren. Beispiele hierfür wären Alliteration, Anapher und Hyperbaton. Das
Schaubild verdeutlicht den
Zusammenhang zwischen Anlass, Redestil und Redeschmuck
B. Rhetorik - Geschichte der klassischen Rhetorik

1. Der Ursprung der Rhetorik im antiken Griechenland ca. 500 v. Chr.




... liegt im antiken Griechenland des 5. Jahrhundert v. Christus. In Syrakus und Athen war es nach der
Beseitigung der Tyrannenherrschaft möglich geworden, Interessengegensätze über wirtschaftliche,
politische und rechtliche Rahmenbedingungen zwischen den Bewohnern der ‚polis‘ öffentlich auszutragen.
Im Zuge dieser Entwicklung fiel der Sprache, derer sich als Verständigungsmittel bedient wurde, eine
gewichtige Rolle zu.

2. Gorgias und die sophistische Rhetorik ca. 400 v. Chr.




Der sophistische Philosoph Gorgias (480 v. Chr. – 380 v. Chr. ) gehörte zu den ersten, die rational über die
menschliche Rede als ein Instrument gesellschaftlichen Lebens nachdachten. Er befürwortete die Rhetorik
als die notwendige Kunst, einen Gesprächspartner gewaltlos überreden zu können.

3. Platons Kritik an der Rhetorik ca. 350 v. Chr.




Die sophistische Rhetorik verurteilte Platon (427 v. Chr. - 347 v. Chr.) in seinem Dialog ‚Gorgias‘ als
"Scheinkunst" und "Schmeichelei“. Dass die Rhetorik zwar zu allem überreden, aber nicht zur Findung der
Wahrheit diene, war dabei sein zentraler Kritikpunkt. Dem manipulativen Wirkungspotential der Rhetorik
ist daher immer die Frage der Moralität inhärent. Sie betrifft aber nicht die Rhetorik als Technik, sondern
das ethische Bewusstsein dessen, der sie anwendet, des Redners. "Platons idealer Redner ist ein Dialektiker
(...) auf der Grundlage und im Sinne seiner Philosophie wird die Erkenntnis der Wahrheit zur conditio sine
qua non der Redekunst erhoben." ( Ueding, Gert; Steinbrink, Bernd: Grundriß der Rhetorik. Geschichte,
Technik, Methode. 4. Akt. Aufl. Stuttgart 2005, S. 21.)
4. Aristoteles: Téchné Rhétoriké (Rhetorik, ca. 330 v. Chr.)




Eine einflussreiche Systematisierung erfuhr die Redekunst dann bei Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.).
In dessen dreibändigem Werk ‚téchnē rhētorikē‘ definiert er die Rhetorik als die Fähigkeit, "das
Überzeugende, das jeder Sache innewohnt, zu erkennen" (I,2) und als das Vermögen, die "Wahrheit und
der Wahrheit Nahekommendes" zu jedem beliebigen Gegenstand aufzufinden (heuresis), zu ordnen und
sprachlich geschickt zu gestalten.

Rhetorik ist nun also nicht mehr die Kunst der Überredung, sondern die der Überzeugung durch
Glaubwürdigkeit - sowohl des Redners als auch der Argumentation. Neben psychologischem
Einfühlungsvermögen rückt bei Aristoteles auch die technische Seite der rhetorischen Beweisführung in
den Mittelpunkt. Überlegungen sollten durch schlagende Beispiele, logische Schlussfolgerungen und
einleuchtende Indizien flankiert werden. Zentrale Argumentationsform hierfür bildetet das ‚Enthymem‘,
eine Art verkürzter Syllogismus.

Hier ein bekanntes Beispiel für einen Syllogismus (Quelle: Wikipedia):




Das Enthymem hieraus würde lauten:
Alle Menschen sind sterblich - Plato ist sterblich
5. Cicero: De Oratore (Über den Redner, 91 v. Chr.)




Der Niedergang der griechischen Stadtstaaten und der Aufstieg Alexanders des Großen hatte auch Folgen
für die rhetorische Tradition: „Der Vortrag früherer Reden, die wichtigen Entscheidungen in den
Volksvertretungen bewirkt hatten, wurde hier – unter der Herrschaft von Monarchen – zur Farce. In dieser
Zeit des Hellenismus ging die Beschäftigung mit der Rhetorik zu den Schulen über. (…) Die Rhetorik aber
erstarrte zu einem formalen, trockenen und technischen System.“ (Ueding, Gert; Steinbring, Bernd:
Grundriß der Rhetorik. Geschichte - Technik - Methode. 4. Aufl., Stuttgart 2005, S. 29.) Die
Wiederaufnahme der Lehre der Beredsamkeit geschah dann durch gebildete römische Familien.

Im antiken Rom wurde die Rhetorik dann zu dem neben der Philosophie wirkungsmächtigsten
Bildungssystem der europäischen Geschichte umgestaltet. Das älteste erhaltene Lehrbuch in lateinischer
Sprache ist die anonym überlieferte ‚Rhetorik an Herennius‘ (‚Rhetorica ad Herennium‘, ca. 82 v. Chr.), die
lange Zeit fälschlicherweise Cicero zugeschrieben wurde. Darin beschränkt sich der Autor auf praktisch
anwendbare Vorschriften.

Cicero ging in seinen rhetorischen Lehrschriften ('De oratore', 'Orator') von einem wesentlich weiteren
Rhetorikbegriff aus. Er schuf die Grundlage für ein umfassendes Lehrgebäude, in dem Erziehung, Politik,
Recht, Gesellschaftstheorie und Ethik zusammengeführt wurden. Er beschrieb das nie erreichbare Ideal des
‚perfectus orator‘, eines Redners, der seine Kunst auf die Grundlage einer umfassenden Allgemeinbildung
gestellt hat und mit moralischem Verantwortungsbewußtsein ausübt. Dieses Vorbild nennt er den ‚guten
Menschen‘, den ‚vir bonus‘. Berühmt geworden ist seine Redewucht auch durch die Reden, die er gegen
den Verschwörer Catilina richtete. Hier als Bild inszeniert von Cesare Maccari, 1888.


6. Quintilian: Institutio oratoria (Unterweisung in der Redekunst, 90 n. Chr.)




Mit Marcus Fabius Quintilianus (‘Quintilian‘, ca. 40 -96 n. Chr.) Lehrbuch ‚Die Ausbildung des Redners‘
(‚Institutio oratoria‘), erreicht die klassische Redekunst ihren Höhepunkt. Die zwölf Bände stellen noch
heute das maßgebende Standardwerk der europäischen Rhetorik dar. In der ‚institutio‘, beschreibt
Quintilian die Rhetorik als die höchste aller Künste und Wissenschaften. Er fasst noch einmal das
rhetorische Wissen der Antike zusammen und pocht auf die moralische Integrität des Redners, der durch
natürliche Anlage (‚natura‘), die Regeln der rhetorischen Theorie (‚ars), Fleiß (‚studium‘), Übung
(‚exercitatio‘) und Nachahmung (‚imitatio‘) anerkannter Vorbilder zu einem entwickelten Urteilsvermögen
und rhetorischem Erfolg findet.
7. Ausblick: Rhetorik im christlichen Mittelalter  - Augustinus: De doctrina
             christiana (Von der christlichen Lehre, 397 n. Chr.)




Mit dem Einsetzen der Kaiserzeit schwindet in Rom der Einfluss der öffentlichen Rede – ähnlich wie
Jahrhunderte zuvor in Griechenland. Erst der Kirchenvater Aurelius Augustinus (354-430 n. Chr.) arbeitet
die klassische Rhetorik auf und verwendet sie in seinem vierbändigen Werk ‚Von der christlichen Lehre‘
(‚De doctrina christiana‘, 397-426) unter anderem als Predigtlehre und im Rahmen der Bibelauslegung.
„Wenn Augustinus dem weisen christlichen Redner die Beschäftigung mit den heidnischen Wissenschaften
nahelegt, so sind damit jene Disziplinen gemeint, die als ‚artes liberales‘, als Freie Künste, das
Bildungssystem und den Unterricht des Mittelalters prägten und mit denen die Rhetorik tradiert wurde.“
(Ueding/Steinbrink, S. 55).

Hier im Bild: Das früheste Gemälde Augustins (um 600 n. Chr.) in der Laterankirche, Rom.
II. Poetik - Geschichte der Poetik

Dem Wort 'Poetik' kommen mehrere Bedeutungen zu:

1. Der Ausdruck 'Poetik' kann ‚deskriptiv‘, im Sinne 'Dichtungstheorie' verwendet werden. Dann werden
damit bereits vorliegende Texte auf gemeinsame Merkmalen hin analysiert und kategorisiert. Diese
theoretische Auseinandersetzung mit dem Wesen der Dichtung und ihren spezifischen Ausdrucksmitteln
kann zum Beispiel zur (rückblickenden) Konstruktion und Abgrenzung literarischer Epochen verwendet
werden.

2. Eine Unterart der deskriptiven Poetik stellt die 'implizite' oder 'immanente Poetik' dar. Hier wird
versucht, Regeln aus Texten und Textgruppen, die nicht ausdrücklich genannt wurden, aus den Schriften
'herauszulesen'.

3. Als praktische Anweisung, wie 'richtige' Dichtung geschrieben werden soll, oder nach welchen
Maßstäben Dichtung zu bewerten sei, erscheint die 'normative Poetik'.

Auf den folgenden Seite wird eine kleine Geschichte der Poetik von Aristoteles (ca. 350 v. Chr.) bis Johann
Gottfried Herder (1774) ausgebreitet - ein Streifzug von den Dichtungsauffassungen der griechischen
Antike, die der feudalen Neuzeit bis zur Epoche des Sturm und Drang. In dieser Zeit schließlich wird
Abschied vom Konzept einer normativ-regulierenden Poetik genommen. Der Gedanke vom autonomen
Kunstwerk, dem sich unser Kunstempfinden heute noch größtenteils verpflichtet fühlt, entsteht hier.

Zum Bild: Seit der Antike erscheint der Schwan als Sinnbild des Dichters. Im untenstehenden Bild von
Reinier van Persijn wird auf diese Tradition Bezug genommen. Dazu gesellen sich der Lorbeerkranz und die
Leiher, also die Lyra, von der sich das Wort ‚Lyrik‘ ableitet. Die metaphorische Gleichsetzung Dichter-
Schwan leitet sich vom Gesang des Singschwans ab. - Erstaunlich, wenn man das Klangbeispiel anhört... . :-)

Singschwan.mp3




LDW Killy Poetik.doc
RLW Poetik.doc
A. Aristoteles: Poetik (Peri poietikés)




Die erste Poetik des Abendlandes, die 'Poetik' des Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) versteht sich als Antwort
auf die Kritik an der Dichtkunst, die Platon in seiner 'Politeia' geübt hatte.

Die zentralen Begriffe:
Mimesis ~ Nachahmung/Darstellung, so Aristoteles, sei als Vergnügen an schöpferischer Produktion und
ästhetischer Rezeption eine anthropologische Konstante.

Die Fiktionalität des Gezeigten werde mit spezifischen Mitteln erzeugt: Wort, Rhythmus, Musik. Der
Dichter stelle somit keine reine 'Widerspiegelung', sondern etwas, das geschehen könnte, dar. Damit solle
er im Gegensatz zum Geschichtsschreiber, der darstellt, was geschehen ist, stehen.

Ständeklausel: Aristoteles differenziert zwischen der Tragödie, für die er als Kriterium ein 'hohes' Personal
fordert, und der Komödie die mit 'niederem' Personal spiele.

Drei-Einheiten-Lehre: Zeit, Raum und Handlung eines Dramas sollten einheitlich bleiben, d. h: keine
Zeitsprünge, Ortsveränderungen und Nebenhandlungen.

Auf der Rezeptionsseite schreibt Aristoteles der Tragödie eine Affektwirkung zu, die bei den Zuschauern
'Jammern' (éleos) und 'Schaudern (phóbos) auslöse und die so zu einer reinigenden Erregung und
Befreiung von diesen Affekten, also zu einer 'Katharsis' führe.

Er kommt zu folgender Definition der Tragödie: Sie ist: Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen
ganzen Handlung von bestimmter Größe, in anziehend geformter Sprache, wobei diese formenden Mittel in
den einzelnen Abschnitten je verschieden angewandt werden, Nachahmung von Handelnden und nicht
durch Bericht, die Jammer und Schaudern hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen
Erregungszuständen bewirkt. (Aristoteles: Poetik. Hgg. von Manfred Fuhrmann. Stuttgart 1982, S.19).
Bild: Das Theater in Epidauros (Griechenland), einst eine bedeutende Kultstätte.




RLW Mimesis.doc
RLW Katharsis.doc
RLW Drei-Einheiten-Lehre.doc
RLW Ständeklausel.doc
B. Horaz: Dichtkunst (Ars Poetica)




                                 Die ‚Ars poetica‘ des Horaz
Die ‚Ars poetica‘ des Horaz (65 – 8 v. Chr.) ist kein strenges System, sondern ein in Hexametern gehaltener
Lehrbrief.

Ähnlich wie Aristoteles fordert Horaz für das Drama Einheitlichkeit, erstmals erscheint bei ihm dann die
Forderung nach einer fünfaktigen Struktur: "Ein Stück bleibe nicht unter dem fünften Akt noch gehe
darüber, welches verlangt, daß man es zu sehen begehrt und wiederaufführt." (S. 17)

In der Literaturwissenschaft wird angenommen, dass die lange Zeit unbekannte aristotelische Poetik (erste
dt. Übersetzung 1753) indirekt durch Horaz gewirkt habe.

Horaz bestimmt für die Dichtung einen doppelten Zweck: 'prodesse et delectare': "Die Dichter wollen
entweder nützen (prodesse) oder erfreuen (delectare) oder zugleich Erfreuendes und Nützliches über das
Leben sagen."

Aus der Ars Poetica stammt eine weitere Formel, die prägenden Einfluss auf die Poetiken des Mittelalters,
der Renaissance und des Klassizismus hatte: "eine Dichtung ist wie ein Gemälde" ('ut pictura poeisis'). Die
Anschaulichkeit und ästhetische Qualität des Textes solle so sinnlich sein, dass sei eine Illusion erzeugen
könne, wobei jedoch die Sprache als Zeichensystem über ganz andere Qualität verfügt als die Malerei, die
ihre Gegenstände unmittelbar vor Augen führen kann. (Horaz: Ars Poetica. Die Dichtkunst. Hgg. von Eckart
Schäfer. Stuttgart 1997. Vgl. dazu Lessings Laokoon-Aufsatz von 1766).

RLW Ut pictura poesis.doc
C. Pseudo-Longin: Über das Erhabene (Peri hýpsous)




In Pseudo-Longins Schrift 'Über das Erhabene' (ca. 50 n. Chr.) ist ist die Erörterung der Frage, wie
dichterische Rede wirkt, zentral. Auf der Affektwirkung von Kunst aufbauend wird das Konzept des
‚Erhabenen‘ entwickelt. Dichterische Werke sollten eine plötzliche Erschütterung bzw. Verzückung der
Rezipienten, die zu einer seelischen Erhebung führe, auslösen.

Der Dichtkunst wird somit eine Überwältigungsfunktion zugewiesen, die das Pathos und den Enthusiasmus
des Dichters auf den Leser bzw. den Zuschauer übertragen sollte: „Das Großartige nämlich überzeugt die
Hörer nicht, sondern verzückt sie; immer und überall wirkt ja das Erstaunliche mit seiner erschütternden
Kraft mächtiger als das, was nur überredet oder gefällt, (…) auch sehen wir die Kunst der Erfindung und die
kluge Ordnung des Stoffes nicht an einer oder zwei Stellen, sondern im ganzen Gewebe der Rede kaum
eben hervorschimmern, während das Erhabene, wo es am rechten Ort hervorbricht, den ganzen Stoff wie
ein plötzlich zuckender Blitz zerteilt und schlagartig die geballte Kraft des Redners offenbart.“ (Longinus:
Vom Erhabenen. Griechisch/Deutsch. Hgg. von Otto Schönberger. Stuttgart 1997, S. 6/7 – Kapitel 1, 4)

Hauptsächlich wurde diese Wirkung jedoch nicht dem Schönen sondern dem Gräßlichen zugeschrieben.
Die Schrift wurde erst im 17. Jahrhundert wiederentdeckt und ist seitdem zu einem der wichtigsten
Bezugspunkte für die Diskussion über die Aufgaben des Hässlichen und Schrecklichen in der Dichtkunst
und ihre Wirkungen auf Verstand und Gemüt geworden.

Im Bild: Der Mensch im Angesicht der Natur. 'Mönch am Meer' von Caspar David Friedrich, um 1808.


RLW Erhaben.doc
D. Mittelalter und antike Poetik




Im Mittelalter wurde die antike Poetik nur im Rahmen der septem artes liberales, und
darin im Lehrsystem der Rhetorik gelehrt. Es gab sehr verschiedene Zweckbestimmungen
von Dichtkunst, häufig stand sie im theologischen Dienst als Medium des Lobs und der
Ehre Gottes. In diesem Sinn wurde versucht, mit die Harmonie des Kosmos und die
Vollkommenheit der göttlichen Schöpfung zu repräsentieren.

Erst im 16. Jahrhundert, also im Zeitalter der Renaissance und des Humanismus, wurden
die antiken Texten als Editionen wieder verfügbar. Es begann eine europaweite, in der
Wissenschaftssprache Latein geführte Diskussion um Poetik. Die ‚res publica literaria‘
nahm dabei aber keinen Bezug auf einzelne Nationalliteraturen.

Im Bild: Die septem artes liberales aus "Hortus Deliciarum" der Herrad von Landsberg (um 1180)
E. Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey




Martin Opitz (1597 - 1639) schrieb 1624 die erste deutschsprachige Poetik. Sein Ziel war es, die deutsche
Sprache gleichberechtigt neben dem bisher vorherrschenden Latein, Französisch und Italienisch, als
Kunstsprache zu etablieren.

Er orientiert sich dafür an den Renaissance-Poetiken von Scaliger (I), Ronsard (F) und Heinsius (NL). Im
Unterschied zum quantisierenden Prinzip der romanischen Sprachen fordert und etabliert er für die
deutschsprachige Lyrik ein akzentuierendes und alternierendes Prinzip.

Lediglich Jambus und Trochäus dürfen verwendet werden, die antiken Versfüße Anapäst und Daktyles seien
zu vermeiden. Unter seine grundlegenden Gesetze für die Dichtung fallen auch die Empfehlung des
Alexandriners, eines fünf- bzw. Sechshebigen Jambus, sowie die Ablehnung reiner Reime.

Opitz` Schrift ist die einflussreichste Poetik des 17. Jahrhunderts. Zentral ist der Gedanke, dass Dichtung
lehr- und somit lernbar sei. Dieses vormoderne Kunstverständnis beruft sich auf Nachahmung der Vorbilder
und geistreiche Variation, ohne die engen Regeln zu verletzen.

Die imitatio des literarischen Vorbilds wird im Sinn einer aemulatio, einer wetteifernder Nachahmung,
möglichst besser nachgebildet. Hierfür sind genaue Kenntnisse des Regelwerkes notwendig, der Dichter
versteht sich als ‚poeta doctus‘, als gelehrter Dichter.
RLW Imitatio.doc
RLW Querelle.doc
F. Shaftesbury: ‚A Letter concerning Enthusiasm‘




Shaftesbury (1671- 1713) schreibt in seinem ‚Letter concerning Enthusiasm‘ den Poeten die Gabe einer
götterähnlichen Begeisterung zu und beschreibt die Dichter als ‚second maker‘. Natur wird jetzt nicht mehr
in ihren Erscheinungen als imitatio, sondern in ihrer produktiven Art als schöpfendes Prinzip nachgeahmt.

Der Dichter ist nun Genie, er gebiert mit Authentizität und Originalität Neues aus sich heraus und lässt die
strikten Reglements normativer Poetiken hinter sich, der Gedanke von der Autonomie des Kunstwerks
entsteht in der Epoche des ‚Sturm und Drang‘ und bestimmt noch heute unsere Einstellung zur Kunst. In
seiner ‚Rede zum Schäkespeare Tag‘ vergleicht Goethe Shakespeare mit dem mythischen
Menschenschöpfer Prometheus, dem ‚second maker‘, wie Shaftesbury den Urkünstler Prometheus schon
im Jahre 1710 genannt hat.




G. Johann Jacob Bodmer/Johann Jacob Breitinger: bspw. Von dem Einfluss und
        Gebrauche der Einbildungskraft




Im sogenannten ‚Zürcher Literaturstreit‘, der von den beiden Schweizern Johann Jakob Bodmer und
Johann Jakob Breitinger gegen Gottsched geführt wurde, zeichnet sich die erste Abkehr von den antiken
Poetik-Autoritäten ab.
Im Gegensatz zu Gottsched orientierten sich Bodmer und Breitinger nicht am französischen Klassizismus (
Corneille, Racine, Molière), sondern am englischen Sensualismus. Gottsched lehnte diesen, sowie auch
religiöse Themen, deren literarisches Paradigma in der zeitgenössischen Diskussion John Miltons religiöses
Epos Paradise Lost war, als Gegenstand der Literatur ab.

Der 'Einbildungskraft' des schöpferischen Individuums, dem Fiktionalen und Erhabenen billigten Bodmer
und Breitinger einen größeren Spielraum als Gottsched zu.
Im Bild links: Bodmer, rechts: Breitinger
H. Johann Christoph Gottsched: Versuch einer kritischen Dichtkunst




In der ‚Critischen Dichtkunst‘, der letzten normativen Poetik im deutschsprachigen Raum, argumentierte
Johann Christoph Gottsched für eine streng rationalistische Dichtungsauffassung: Poesie habe genaue
Regeln zu befolgen, welche sich mit den Mitteln der Vernunft begründen lassen. Fantasie und auch das
Wunderbare wurde durch die Forderung nach logisch ableitbarer Wahrscheinlichkeit des durch
Einbildungskraft Erzählten eng begrenzt.
Aus diesen Vorgaben ergab sich Gottscheds ablehnende Haltung zur Darstellung übernatürlicher und
religiöser Erscheinungen.

Die Funktion, die Gottsched der Dichtung zuschrieb, beschränkte sich auf die moralisch-didaktische
Illustration von Verhaltensleitsätzen: "Zuallererst wähle man sich einen moralischen Satz, der in dem
ganzen Gedichte zum Grunde liegen soll, nach Beschaffenheit der Absichten, die man sich zu erlangen
vorgenommen. Hierzu ersinne man sich eine ganz allgemeine Begebenheit, worin eine Handlung
vorkommt, daran dieser erwählte Lehrsatz sehr augenscheinlich in die Sinne fällt."
(Johann Christoph Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen, in: ders. Schriften zur
Literatur, hg. v. Horst Steinmetz, Stuttgart: 1972, S. 96f.)

Im Bild: Das Frontispitz und das Titelblatt. Die Berufung auf Horaz macht deutlich: Dichtung soll ‚prodesse
et delectare‘.
I. William Shakespeare: Die Dramen




Gegen die strengen Regeln der klassizistischen Dramatik für die vorwiegend das zeitgenössische
französische Theater stand, stellte sich William Shakespeare (1564 - 1616). In seinen Stücken verstieß er
gegen die Regeln der Einheit von Raum, Zeit und Handlung, sowie gegen die Ständeklausel.

Er bezog die gesamte Natur in das Geschehen oder fügte Burlesken, komische Szenen, in Tragödien mit ein.
Die von Martin Wieland (1733-1813) besorgte Übersetzung seiner Werke löste eine Welle von
Shakespeare-Begeisterung in Deutschland aus (im Übrigen verdanken wir ihm Wörter wie "Steckenpferd",
"Kriegserklärung" oder "Milchmädchen"). Wieland, der zwei Jahre bei Bodmer gastierte, förderte durch
seine Übersetzungen nicht nur die Bekanntheit von Shakespeares Werken, sondern beeinflusste auch die
Aufführungen im deutschen Theater maßgeblich.

Das hier verwendete Porträt, das sogenannte 'Chandos'-Porträt, könnte Shakespeare abbilden, gesicherte
Erkenntnisse über die Authenzität vpn Shkakespeare-Darstellungen gibt es aber nicht.
J. Johann Gottfried Herder: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der
        Menschheit




Statt eines heilsgeschichtlich-teleologisch ausgerichteten Weltbildes wird im Zuge der Säkularisierung
‚Geschichte‘ als Ablauf unterschiedlicher Epochen verstanden. Eine historisierende Geschichtsvorstellung,
die in großen Teilen von Johann Gottfried Herder initiiert wurde. Die Regulierungen der Antike erscheinen
somit als historisch-relative ohne zwingenden Vorbildcharakter.

Der radikale Bruch mit den bisher vorherrschenden normativen Regelpoetiken erfolgt in der Zeit zwischen
1770 und 1800. In dieser ‚Sattelzeit‘ (Kosseleck, Reinhart) kommt es zu einer Neukonzeption der Literatur.
Statt der antiken Vorgaben und den rationalen Forderungen der Aufklärung bildet die Empfindsamkeit
zunehmend den Mittelpunkt dichterischen Denkens. Für das durch die Reformation und die religiöse
Strömung des Pietismus neu entdeckte Individuum werden sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten gesucht,
um die ihm nun eigenen Gefühlen von Liebe und Zuneigung auszudrücken.

Im Bild: 'Vorlesung aus Goethes Werther' (Wilhelm Amberg, 1870).




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Material zum Fernuni Hagen Kurs "Rhetorik, Poetik, Edition"

  • 1. Rhetorik und Poetik: Grundlagen der westlichen Schriftkultur I. Rhetorik - Die klassische Rhetorik ........................................................................... 3 A. Rhetorik - System der klassischen Rhetorik ................................................................... 3 1. Die 3 Redegattungen (genera dicendi) ............................................................................... 4 2. Die 5 Bearbeitungsstadien (officia oratoris) ...................................................................... 5 3. Die 4 Redeteile (partes orationis) ....................................................................................... 7 4. Die 4 Stilideale der elocutio (virtutes elocutionis) ............................................................ 9 5. Die 3 Stile (genera dicendi) und der Redeschmuck (ornatus) ....................................... 11 B. Rhetorik - Geschichte der klassischen Rhetorik ........................................................... 14 1. Der Ursprung der Rhetorik im antiken Griechenland ca. 500 v. Chr. ........................... 14 2. Gorgias und die sophistische Rhetorik ca. 400 v. Chr. ................................................... 14 3. Platons Kritik an der Rhetorik ca. 350 v. Chr. .................................................................. 14 4. Aristoteles: Téchné Rhétoriké (Rhetorik, ca. 330 v. Chr.) .............................................. 15 5. Cicero: De Oratore (Über den Redner, 91 v. Chr.) .......................................................... 16 6. Quintilian: Institutio oratoria (Unterweisung in der Redekunst, 90 n. Chr.) ............... 16 7. Ausblick: Rhetorik im christlichen Mittelalter - Augustinus: De doctrina christiana (Von der christlichen Lehre, 397 n. Chr.) .............................................................................. 17 II. Poetik - Geschichte der Poetik ............................................................................. 18 A. Aristoteles: Poetik (Peri poietikés) ............................................................................... 19 B. Horaz: Dichtkunst (Ars Poetica) .................................................................................... 20 C. Pseudo-Longin: Über das Erhabene (Peri hýpsous) ...................................................... 21 D. Mittelalter und antike Poetik........................................................................................ 22 E. Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey ......................................................... 23 F. Shaftesbury: Letter concerning Enthusiasm ................................................................. 25 G. Johann Jacob Bodmer/Johann Jacob Breitinger: bspw. Von dem Einfluss und Gebrauche der Einbildungskraft ........................................................................................ 25 H. Johann Christoph Gottsched: Versuch einer kritischen Dichtkunst ............................ 26 I. William Shakespeare: Die Dramen ................................................................................. 27 J. Johann Gottfried Herder: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit ......................................................................................................................... 28
  • 2. Rhetorik und Poetik : Grundlagen der westlichen Schriftkultur 1. Zum Thema 'Rhetorik', die Theorie und Praxis der Redekunst und 'Poetik', das Regelwerk nach dem sich Dichtung gestaltet, gehören thematisch eng zusammen. Beide stellen die Grundlagen der westlichen Textproduktion dar. Während die Rhetorik ihr Augenmerk ursprünglich auf die Produktion überzeugender Rede ('persuasio') richtete, erstellte die Poetik anfänglich Anleitungen, wie die Nachahmung des Wirklichen ('mimesis') zu gestalten sei. Im Laufe der kulturgeschichtlichen Entwicklung kam es immer wieder zu Überschneidungen, aber auch zu Gegensätzlichkeiten zwischen den in der Rhetorik ausgebildeten Ideen und den in der Poetik vertretenen Ansichten. 2. Zu dieser Seite Auf den folgenden Seiten werden beide Systeme, ihre geschichtliche Entwicklung und wichtigsten Vertreter vorgestellt. Sie sind über die Reiter oben links auf dieser Seite zu erreichen. Rhetorikbezogene Informationen erscheinen dabei rot eingefasst, auf die Poetik bezogene Informationen grün. Da die 'Poetik' gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Zuge eines Wechsels von Produktions- zu Rezeptionsästhetik zur 'Ästhetik' wird, ist sie im Glossar unter diesem Begriff aufgeführt. Zur besseren Orientierung über die Abfolge der Entwicklungen: hier eine Zeitleiste (-> rechte Mousetaste, 'Ziel speichern unter') zu den Gebieten Rhetorik und Poetik. Relevante Lexikonartikel sind den jeweiligen Unterseiten zugeordnet. Alle Teile des Glossars gibt es untenstehend als Karteikarten, diese Seite beschäftigt sich speziell mit den Kapiteln 3 und 4. 1. Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe (-> rechte Mousetaste, 'Ziel speichern unter') 2. Edition (-> rechte Mousetaste, 'Ziel speichern unter') 3. + 4. Karteikarten Aesthetik und Rhetorik (-> rechte Mousetaste, 'Ziel speichern unter') 5. Erzählanalyse (-> rechte Mousetaste, 'Ziel speichern unter') Wer will kann diese Karten ausdrucken, zusammenkleben und dann die Begrifflichkeiten (hoffentlich) leichter lernen. (Die Kärtchen wurden übrigens mit Hilfe der Seite www.cobocards.com erstellt. Eine spannende Sache, da es dort mehrere Möglichkeit gibt, mit Hilfe des Internets zu lernen, beispielsweise sich gegenseitig über das Netz abzufragen. Gerne eröffne ich Interessenten den Zugang zu den von mir erstellten Kärtchen, kurze mail an mich genügt.)
  • 3. I. Rhetorik - Die klassische Rhetorik Rhetorik, von gr. 'techné rhetoriké', das ist die Kunst der Rede, die Kunst des wirkungsvollen Sprechens, das ist die 'ars bene dicendi'. Bis ein überzeugender Vortrag bereit für die exclamatorische Praxis ist, bedarf es jedoch eines langen Vorlaufes. Hier hilft die Rhetorik als Theorie und gibt dem Redner Regeln und Arbeitsschritte an die Hand, an denen er sich im Dickicht der Argumentationsmöglichkeiten orientieren kann. Rhetorik ist also einerseits die Praxis guter Rede, andererseits ein bereits in der Antike ausgefeiltes theoretisches Lehrgebäude. Als solches kann es auf eine lange Geschichte und viele unterschiedliche Bewohner zurückblicken. Die folgenden Seiten beschäftigen sich mit Geschichte, Theorie und Persönlichkeiten der klassischen Rhetorik, also von Gorgias (5. Jh. v Chr.) bis Quintilian (1. Jh. n. Chr.). Ein Ausblick auf das christliche Mittelalter schließt das Projekt ab. Auf dem Gemälde von Jean Lecomte du Noüy (1842 - 1923) übt sich der Grieche Demosthenes ( 384 v. Chr. - 322 v. Chr.), einer der frühen großen Redner, gerade im wirkungsvollen Vortrag. A. Rhetorik - System der klassischen Rhetorik ... beschreibt Regeln und Arbeitschritte, nach und mit denen sich der Redner eine überzeugende Rede erarbeiten, einprägen und schließlich halten kann. Die Schaubilder der folgenden Seiten hier als .rar-Datei zum Runterladen (-> rechte Mousetaste, 'Ziel speichern unter', entpacken). RLW Rhetorik.doc MLS Rhetorik.doc
  • 4. 1. Die 3 Redegattungen (genera dicendi) Lange vor der Entstehung der Rhetorik, schon bei Homer etwa, gab es Formen der kunstvollen Beredsamkeit. Doch erst vor dem historischen Hintergrund der Entstehung der attischen Demokratie, in der der Beredsamkeit eine zentrale Rolle zukam, wird die Ausbildung eines Systems der Rhetorik und darin der Ausbildung einer Trias aus Redegattungen verständlich. "Die Unterscheidung der drei Redegattungen (...) geht auf früheste Überlegungen zurück und fand durch Aristoteles ihre Kanonisierung.“ (Göttert, Karl- Heinz: Einführung in die Rhetorik. Grundbegriffe-Geschichte-Rezeption. 3. Auflage. München 1991. S. 17.) Aristoteles unterschied zwischen den Redegattungen ('genera dicendi') der Gerichts-, der Beratungs- und der Lobrede. Diese drei Formen der Rede unterscheiden sich nach den möglichen Wirkungen beim Zuhörer: Die Gattung der Lobrede ('genus demonstrativum') dient dem Genuß, die der Beratungsrede ('genus deliberativum') und Gerichtsrede ('genus iudiciale') wird in der Versammlung bzw. im Gerichtssaal gehalten, um eine Entscheidung fällen zu können. Zeitlich zielen die Redegattungen auf unterschiedliche Ebenen: Die Beratungsrede auf zukünftiges Handeln, die Gerichtsrede betrachtet vergangenes Handeln und als Ziel der Lobrede kann das gegenwärtiges Handeln aufgefasst werden. Zur Veranschaulichung ein Schema: (Im Normalfall erscheinen in einer Rede Elemente aus verschiedenen Gattungen. In einer Verteidigungsschrift werden sich wahrscheinlich neben iudicialen Elementen auch Teile finden, die dem genus demonstrativum zu zuordnen sind, wenn zum Beispiel von der Rechtschaffenheit des Angeklagten die Rede ist.)
  • 5. 2. Die 5 Bearbeitungsstadien (officia oratoris) der klassische Rede Um den Redner bei der Erstellung und dem späteren Halten seines Vortrags zu unterstützen, gibt ihm das System der Rhetorik 5 idealtypische Arbeitsschritte (officia oratoris) vor. Sie führen ihn von der rohen ‚materia‘ zum fertigen Werk (opus), das seine Bestimmung dann im Vortrag der Rede findet. In der ersten Phase der 'inventio' sammelt der Redner die zum Redeanlass passenden Gedanken. Um die wichtigen Aspekte eines Themas zu erkennen, kann er sich der Fragemethode der Topik bedienen. Das systematisierte Frageraster der Topik ähnelt, grob gesagt, den 6 W-Fragen (Wer, wie, wo, was, warum, wann). An diesen ‚Fundorten‘ sammelt der Redner zunächst sog. 'Allgemeinplätze' (gr.: 'topoi'; lat.: 'loci'). Im zweiten Schritt der Redeerstellung, der dispositio, werden die gefundenen Argumente in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht. Als erste Orientierung dient hier die Regel der vier Redeteile ('partes orationis'): Auf die Einleitung ('exordium'), die die Aufmerksamkeit der Zuhörer und deren Wohlwollen erwecken soll, folgt der Hauptteil der sich aus der Darlegung des Sachverhalts ('narratio') und der Erörterung des für und wider ('argumentatio') bildet. Den vierten und letzten Teil der Rede bildet die 'peroratio'. Hier fasst der Redner noch einmal kurz die wichtigsten Punkte zusammen und versucht dabei das Publikum durch Einsatz von 'pathos' von dem ihm vertretenen Standpunkt schlussendlich zu überzeugen. Dieses grobe Raster hat der Redner im Kopf und ordnet die Argumente danach. Dann geht es an die sprachliche Ausformulierung, an die 'elocutio'. In diesem dritten Schritt dreht sich alles um den passenden Stil ('aptum'). Welchen und wie viel Redeschmuck verwende ich? In welcher Stilebene möchte ich sprechen, welche passt zu meinem Publikum und zum Thema meines Textes? Diese Fragen stellt sich der Redner. Er kann sich wiederum an bestimmten Regeln orientieren, die bestimmen, welches Stil der angemessene ist. Hat der Redner diese Arbeit bewältigt, so wartet als vierter Schritt das Auswendiglernen (‚memoria‘) des Textes auf ihn. Empfohlen wird hierfür die Kombination zweier Techniken. "des disponierenden Hilfsmittels der loci und des intensivierenden Hilfsmittels der imagines." (Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Wissenschaft. 3. Aufl., Stuttgart 1990, S. 526.) Bei den loci handelt es sich um imaginierte Räume, in einem nach dem Fünferschema aufgebauten Haus beispielsweise. Dieses wird dann in Gedanken abgeschritten, zuvor schon wurden die Merkgegenstände der konkreten Rede darin abgelegt. Die Bilder der Merkgegenstände ('imagines') sollten außergewöhnlich und affektintensiv sein, um sie gut memorieren zu können. Die 'actio' oder 'pronuntiatio', das Präsentieren der Rede vor Publikum, bildete bei all diesen Schritten das eigentliche Ziel des Redners. In diesem fünften Schritt spricht dabei nicht nur mit der Stimme, die er laut, leise, schnell, langsam, den Umständen angemessen, zu gebrauchen weiß, auch die nonverbale Seite der Kommunikation mit dem Publikum ist in die Kunst des Vortrags mit einbezogen. Dazu zählen beispielsweise die Körpersprache, aber auch das Zeigen von Bildmaterial und das Präsentieren von Zeugen.
  • 6. Die 5 Produktionsschritte einer klassischen Rede
  • 7. 3. Die 4 Redeteile (partes orationis) der klassischen Rede Die einzelnen Teile einer Rede verfolgen bestimmte Ziele, die mit Hilfe der Rhetorik benannt werden können und zu deren Erlangung sie ein Repertoire an Vorschlägen bereitstellt. 1. Einleitung (exordium) Im ersten Teil der Rede, dem ('exordium'), soll zunächst die Aufmerksamkeit der Zuhörer und deren Wohlwollen erweckt werden (‚attentum parare‘ und ‚capatio benevolentiae‘). Zugleich ist das exordium „eine Äußerung, die den Geist des Hörers in geeigneter Weise auf den restlichen Vortrag vorbereitet.“ (Cicero in: De Oratore, 2, 318). Dies kann durch einen direkten Einstieg (‚principum‘) oder, wenn die Thematik brisant ist, durch einen indirekten Einstieg in die Rede (‚insinuatio‘) geschehen. Obwohl sie am Anfang der Rede steht, wird empfohlen, die Einleitung als letzte zu formulieren, um das Publikum bestmöglich auf den späteren Inhalt vorbereiten zu können. 2. Darlegung des Sachverhalts (narratio) Im zweiten Teil der Rede, der Darlegung des Sacherverhaltes (‚narratio‘), kommt dem Redner die Aufgabe zu, die Sachlage zu erörtern, wobei bereits hier die eigene Partei in ein möglichst gutes Licht gerückt werden sollte. Um der Gefahr, Langeweile (‚taedium‘) beim Publikum hervorzurufen, zu entgehen, soll sich die narratio durch Kürze (‚brevitas‘) und Klarheit (‚perspicuitas‘) auszeichnen. 3. Beweisführung (argumentatio) Der dritte Teil einer Rede, in der die Erörterung des für und wider einer Thematik geleistet wird, ist der wichtigste. Ziel der argumentatio ist es, die Streitfrage zu beantworten und dabei das Publikum gemäß den eigenen Interessen zu überzeugen. Hierfür können verschiedene Beweisarten, Hinweise, Zeugen und Beispiele etwa, angewandt werden. Die eigene Sache wird dabei bekräftigt (‚probatio‘), es können aber auch die Argumente der Gegenseite zurückgeweisen werden (‚refutatio‘). Um zu entscheiden, ob dieses Ziel mit Sachlichkeit (‚ethos‘) oder mit emotionaler Beeinflussung (‚pathos‘) erreicht werden kann, ist auch hier die Lehre von der Angemessenheit, das aptum, zu beachten. 4. Redeschluss (peroratio) Der Redeschluss verfolgt zwei Ziele: einerseits sollen die wichtigsten Punkte der Rede aufgezählt werden (‚recapitulatio'), andererseits soll mit einer affektiven Zuspitzung (‚affectus‘) das Publikum vollends für die vertretene Seite gewonnen werden. „Der Abschluss aber sollte meist in einer Steigerung bestehen, sei es, um den Richter zu entflammen, sei es, um ihn zu besänftigen.“ (Cicero in De Oratore, 2, 332) Um den Schluss eindrucksvoll zu gestalten, kann sich der Redner kann sich in diesem Teil der Rede aller verfügbaren Mittel, Emotionen zu erzeugen, bedienen.
  • 8. Die 4 Redeteile einer klassischen Rede
  • 9. 4. Die 4 Stilideale der elocutio (virtutes elocutionis) Wie der Name schon andeutet, wird die Tugend des passenden Stils im Arbeitsschritt der ‚elocutio‘ angewandt. Hier vollbringt der Redner die sprachlichen Realisierung der zuvor in der ‚inventio‘ gefundenen und in der ‚dispositio‘ geordneten Gedanken. Zwar lässt das Erfinden und sorgfältige Anordnen des Inhalts schon eine Fülle von Worten hervortreten, doch „die Lehre der elocutio bezweckt die Vollkommenheit der Formulierung.“ (Lausberg, S. 249). Wichtig hierfür ist das Befolgen der sprachlichen Tugenden ('virtus dicendi') Sprachrichtigkeit ('latinitas'), Klarheit ('perspicuitas'), Angemessenheit ('aptum') und Redeschmuck ('ornatus') beim ‚Einkleiden‘ (vestire) der Gedanken. 1. Angemessenheit (aptum) Eine zentrale Rolle spielt die Tugend der Angemessenheit. „Ob es um die richtige Frageweise oder die zutreffende Aufgabe des Redners, um die sinnvolle Auswahl der einzelnen Gedanken oder um ihre Anordnung, um ihre korrekte, klare und schmuckvolle Ausformung oder ihre sprachrhythmische Gestaltung: jede Wahl muss angemessen sein.“ (Göttert, S. 65) Eine gute Rede muss sowohl in ihrem Aufbau ('inneres aptum') als auch in den Beziehungen Stil-Autor, Stil-Publikum und Stil-Stoff ('äußeres aptum') ausgewogen sein. 2.Grammatische Korrektheit (puritas/latinitas) Die Korrektheit der Idiomatik bildet die Grundtugend für eine verständliche Rede. Sie setzt sich aus vier Richtlinien zusammen: dem Sprachgesetz (‚ratio‘), der Überlieferung bzw. Verbürgtheit (‚vetutas‘), dem Sprachgebrauch von Autoritäten (‚auctoritas‘) und dem gegenwärtigen Sprachgebrauch ('consetuedo'). 3. Klarheit (perspicuitas) Die Tugend der Klarheit dient dem ebenfalls dem bestmöglichen Verständnis der Rede. Sie bezieht sich sowohl auf den Text als auch auf dessen Aussprache. Das Gegenteil der perspicuitas ist die Dunkelheit ('obscuritas'). Ein solcher Text lässt nicht nur eine, sondern mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu. Dies kann jedoch auch als schmückendes Stilmittel verwendet werden. „Cicero und Quintilian rechtfertigen in diesem Sinne den Schmuck der Rede ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt des Anreizes: allzu verständliche Rede wird aufgrund der Langeweile unverständlich.“ Göttert, S. 43. 4. Redeschmuck (ornatus) Eine weitere Forderung, die das System Rhetorik an den Redner stellt, ist die nach Redeschmuck (‚ornatus‘). Durch die bewusste Abweichung (‚ars‘) von der gedachten sprachlichen Norm (‚natura‘) bleibt der Text für das Publikum interessant. Der Redeschmuck zerfällt in zwei Hauptklassen: die der Wort- und Gedankenfiguren (figurae), und der Gedankenbilder, der sogenannten ‚Tropen‘ (‚tropoi‘). Mehr zum Redeschmuck unter 'Die 3 Stile'. Hier zunächst ein Überblick über
  • 10. Die 4 Stilideale (virtutes elocutionis)
  • 11. 5. Die 3 Stile (genera dicendi) und der Redeschmuck (ornatus) A. Die traditionelle rhetorische Stilistik unterscheidet drei Stilebenen (‚genera dicendi‘), den niederen Stil ‚genus humile‘, den mittleren Stil ‚genus mediocre‘ und den hohen Stil ‚genus grande‘. Die Wahl des Stilniveaus richtet sich nach den Äußerungsabsichten des Redners (‚officia oratoris‘). Soll die Rede erfreuen ‚delectare‘), belehren (‚docere‘) oder bewegen (‚movere‘)? Ausschlaggebend für die jeweilige Entscheidung ist das Ziel der Rede bzw. der Redeteile, die Meinung und Gesinnung des Publikums in die gewünschte Bahn zu lenken. Belehren (‚docere‘) Die Belehrung zielt auf den Intellekt ab und „intendiert die emotionsfreie Unterrichtung des Hörers über eine bestimmte Sachlage (‚res‘).“ (Plett, Heinrich F.: Einführung in die systematische Textanalyse. Essen 1978, S. 5.) Der Stil ist sachlich, so dass er häufig für den berichtenden Teil (‚narratio‘) einer Rede verwendet wird, aber auch in wissenschaftlichen Darstellungen seinen Platz findet. Im beweisenden Teil der Rede findet sich häufig das argumentative Glaubhaftmachen (‚probare‘). Den Übergang in den emotionalen Wirkbereich bildet der Appell an die Vernunft (‚monere‘), der gerne in politischen Reden an die Zuhörer gerichtet wird. Bevorzugte Stilart um zu belehren ist die schlichte, auf Schmuck (‚ornatus‘) weitgehend verzichtende Stilart (‚genus humile‘). Erfreuen (‚delectare‘) Das Erfreuen durch eine Rede verfolgt das Erregen sanfter Gemütszustände wie Vergnügen und Wohlwollen. Hierbei steht nicht allein der Text im Mittelpunkt. Auch der Redner sollte, um besänftigend wirken zu können, eine untadelige Person, ein Vorbild sein. Die Wirkungsfunktion des delectare besteht darin, zu entspannen und dabei die Aufmerksamkeit erneuern zu können. Der Einsatz von Schmuck hält sich in Grenzen. „Der genus medium ist die Stilart, die für die Unterhaltung und Gewinnung der Zuhörer am besten geeignet ist.“ (Ueding, Gert; Steinbrink, Bernd: Grundriß der Rhetorik. Geschichte – Technik – Methode. 4. Aufl., Stuttgart 2005, S. 213.) Bewegen (‚movere‘) Mit ‚pathos‘ wird die Erregung von heftigen Effekten bezeichnet, wenn das Publikum mitgerissen werden soll. „Die Schilderung von Ausnahmesituationen, von schrecklichen Bedrängnissen, von aufgezwungenen Entscheidungen, von schrecklichen Bedrängnissen (...) all dies stachelt die Leidenschaft des Zuhörers an.“ (Göttert, Karl-Heinz: Einführung in die Rhetorik - Grundbegriffe - Geschichte - Rezeption. Hildesheim 1985, S. 23.) Oft wird pathos mit viel Redeschmuck am Schluß einer Rede benutzt, um mit drastischer Darstellungsweise das Publikum auf seine Seite zu bringen oder es direkt zu einer Handlung aufzurufen. Der zugeordnete Stil ist der genus grande. Weitere Faktoren stellen Redeanlaß, Thematik und Publikum dar. Im Allgemeinen kommt es innerhalb einer Rede zu Wechseln zwischen den verschiedenen Stilebenen, je nach der in der zugehörigen Textpassage verfolgen Absicht. Um den jeweils passenden Stil zu finden, hat die Rhetorik die Lehre von der Angemessenheit des sprachlichen Ausdrucks (‚aptum‘) entwickelt. Diese bestimmt, in welchen Fällen von der üblichen Sprachnorm (‚natura‘) abgewichen und kunstvoll (‚ars') arrangiert werden soll. Den unterschiedlichen Redearten verlangen dabei nach unterschiedlich viel Redeschmuck ('ornatus').
  • 12. Der Redeschmuck (ornatus) Der Redeschmuck selbst teilt sich in Tropen (‚tropoi‘) und Figuren (‚figurae‘) auf. Die Zuordnung lässt sich nach der spezifischen Form der Abweichung von der Sprachnorm herleiten: Handelt es sich um eine Abweichung, die die Bedeutung des Wortes, seine Semantik, betrifft, so ist der Redeschmuck den Tropen zuzuordnen. Der eigentliche Begriff wird durch einen uneigentlichen ersetzt. Beispiele hierfür wären Metapher, Metonymie, Synekdoche. Weicht die Sprachverwendung auf der Ebene des Satzbaus, der Syntax, ab, so gehört diese Art des Redeschmucks zu den Figuren. Beispiele hierfür wären Alliteration, Anapher und Hyperbaton. Das Schaubild verdeutlicht den
  • 13. Zusammenhang zwischen Anlass, Redestil und Redeschmuck
  • 14. B. Rhetorik - Geschichte der klassischen Rhetorik 1. Der Ursprung der Rhetorik im antiken Griechenland ca. 500 v. Chr. ... liegt im antiken Griechenland des 5. Jahrhundert v. Christus. In Syrakus und Athen war es nach der Beseitigung der Tyrannenherrschaft möglich geworden, Interessengegensätze über wirtschaftliche, politische und rechtliche Rahmenbedingungen zwischen den Bewohnern der ‚polis‘ öffentlich auszutragen. Im Zuge dieser Entwicklung fiel der Sprache, derer sich als Verständigungsmittel bedient wurde, eine gewichtige Rolle zu. 2. Gorgias und die sophistische Rhetorik ca. 400 v. Chr. Der sophistische Philosoph Gorgias (480 v. Chr. – 380 v. Chr. ) gehörte zu den ersten, die rational über die menschliche Rede als ein Instrument gesellschaftlichen Lebens nachdachten. Er befürwortete die Rhetorik als die notwendige Kunst, einen Gesprächspartner gewaltlos überreden zu können. 3. Platons Kritik an der Rhetorik ca. 350 v. Chr. Die sophistische Rhetorik verurteilte Platon (427 v. Chr. - 347 v. Chr.) in seinem Dialog ‚Gorgias‘ als "Scheinkunst" und "Schmeichelei“. Dass die Rhetorik zwar zu allem überreden, aber nicht zur Findung der Wahrheit diene, war dabei sein zentraler Kritikpunkt. Dem manipulativen Wirkungspotential der Rhetorik ist daher immer die Frage der Moralität inhärent. Sie betrifft aber nicht die Rhetorik als Technik, sondern das ethische Bewusstsein dessen, der sie anwendet, des Redners. "Platons idealer Redner ist ein Dialektiker (...) auf der Grundlage und im Sinne seiner Philosophie wird die Erkenntnis der Wahrheit zur conditio sine qua non der Redekunst erhoben." ( Ueding, Gert; Steinbrink, Bernd: Grundriß der Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode. 4. Akt. Aufl. Stuttgart 2005, S. 21.)
  • 15. 4. Aristoteles: Téchné Rhétoriké (Rhetorik, ca. 330 v. Chr.) Eine einflussreiche Systematisierung erfuhr die Redekunst dann bei Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.). In dessen dreibändigem Werk ‚téchnē rhētorikē‘ definiert er die Rhetorik als die Fähigkeit, "das Überzeugende, das jeder Sache innewohnt, zu erkennen" (I,2) und als das Vermögen, die "Wahrheit und der Wahrheit Nahekommendes" zu jedem beliebigen Gegenstand aufzufinden (heuresis), zu ordnen und sprachlich geschickt zu gestalten. Rhetorik ist nun also nicht mehr die Kunst der Überredung, sondern die der Überzeugung durch Glaubwürdigkeit - sowohl des Redners als auch der Argumentation. Neben psychologischem Einfühlungsvermögen rückt bei Aristoteles auch die technische Seite der rhetorischen Beweisführung in den Mittelpunkt. Überlegungen sollten durch schlagende Beispiele, logische Schlussfolgerungen und einleuchtende Indizien flankiert werden. Zentrale Argumentationsform hierfür bildetet das ‚Enthymem‘, eine Art verkürzter Syllogismus. Hier ein bekanntes Beispiel für einen Syllogismus (Quelle: Wikipedia): Das Enthymem hieraus würde lauten: Alle Menschen sind sterblich - Plato ist sterblich
  • 16. 5. Cicero: De Oratore (Über den Redner, 91 v. Chr.) Der Niedergang der griechischen Stadtstaaten und der Aufstieg Alexanders des Großen hatte auch Folgen für die rhetorische Tradition: „Der Vortrag früherer Reden, die wichtigen Entscheidungen in den Volksvertretungen bewirkt hatten, wurde hier – unter der Herrschaft von Monarchen – zur Farce. In dieser Zeit des Hellenismus ging die Beschäftigung mit der Rhetorik zu den Schulen über. (…) Die Rhetorik aber erstarrte zu einem formalen, trockenen und technischen System.“ (Ueding, Gert; Steinbring, Bernd: Grundriß der Rhetorik. Geschichte - Technik - Methode. 4. Aufl., Stuttgart 2005, S. 29.) Die Wiederaufnahme der Lehre der Beredsamkeit geschah dann durch gebildete römische Familien. Im antiken Rom wurde die Rhetorik dann zu dem neben der Philosophie wirkungsmächtigsten Bildungssystem der europäischen Geschichte umgestaltet. Das älteste erhaltene Lehrbuch in lateinischer Sprache ist die anonym überlieferte ‚Rhetorik an Herennius‘ (‚Rhetorica ad Herennium‘, ca. 82 v. Chr.), die lange Zeit fälschlicherweise Cicero zugeschrieben wurde. Darin beschränkt sich der Autor auf praktisch anwendbare Vorschriften. Cicero ging in seinen rhetorischen Lehrschriften ('De oratore', 'Orator') von einem wesentlich weiteren Rhetorikbegriff aus. Er schuf die Grundlage für ein umfassendes Lehrgebäude, in dem Erziehung, Politik, Recht, Gesellschaftstheorie und Ethik zusammengeführt wurden. Er beschrieb das nie erreichbare Ideal des ‚perfectus orator‘, eines Redners, der seine Kunst auf die Grundlage einer umfassenden Allgemeinbildung gestellt hat und mit moralischem Verantwortungsbewußtsein ausübt. Dieses Vorbild nennt er den ‚guten Menschen‘, den ‚vir bonus‘. Berühmt geworden ist seine Redewucht auch durch die Reden, die er gegen den Verschwörer Catilina richtete. Hier als Bild inszeniert von Cesare Maccari, 1888. 6. Quintilian: Institutio oratoria (Unterweisung in der Redekunst, 90 n. Chr.) Mit Marcus Fabius Quintilianus (‘Quintilian‘, ca. 40 -96 n. Chr.) Lehrbuch ‚Die Ausbildung des Redners‘ (‚Institutio oratoria‘), erreicht die klassische Redekunst ihren Höhepunkt. Die zwölf Bände stellen noch heute das maßgebende Standardwerk der europäischen Rhetorik dar. In der ‚institutio‘, beschreibt Quintilian die Rhetorik als die höchste aller Künste und Wissenschaften. Er fasst noch einmal das rhetorische Wissen der Antike zusammen und pocht auf die moralische Integrität des Redners, der durch natürliche Anlage (‚natura‘), die Regeln der rhetorischen Theorie (‚ars), Fleiß (‚studium‘), Übung (‚exercitatio‘) und Nachahmung (‚imitatio‘) anerkannter Vorbilder zu einem entwickelten Urteilsvermögen und rhetorischem Erfolg findet.
  • 17. 7. Ausblick: Rhetorik im christlichen Mittelalter - Augustinus: De doctrina christiana (Von der christlichen Lehre, 397 n. Chr.) Mit dem Einsetzen der Kaiserzeit schwindet in Rom der Einfluss der öffentlichen Rede – ähnlich wie Jahrhunderte zuvor in Griechenland. Erst der Kirchenvater Aurelius Augustinus (354-430 n. Chr.) arbeitet die klassische Rhetorik auf und verwendet sie in seinem vierbändigen Werk ‚Von der christlichen Lehre‘ (‚De doctrina christiana‘, 397-426) unter anderem als Predigtlehre und im Rahmen der Bibelauslegung. „Wenn Augustinus dem weisen christlichen Redner die Beschäftigung mit den heidnischen Wissenschaften nahelegt, so sind damit jene Disziplinen gemeint, die als ‚artes liberales‘, als Freie Künste, das Bildungssystem und den Unterricht des Mittelalters prägten und mit denen die Rhetorik tradiert wurde.“ (Ueding/Steinbrink, S. 55). Hier im Bild: Das früheste Gemälde Augustins (um 600 n. Chr.) in der Laterankirche, Rom.
  • 18. II. Poetik - Geschichte der Poetik Dem Wort 'Poetik' kommen mehrere Bedeutungen zu: 1. Der Ausdruck 'Poetik' kann ‚deskriptiv‘, im Sinne 'Dichtungstheorie' verwendet werden. Dann werden damit bereits vorliegende Texte auf gemeinsame Merkmalen hin analysiert und kategorisiert. Diese theoretische Auseinandersetzung mit dem Wesen der Dichtung und ihren spezifischen Ausdrucksmitteln kann zum Beispiel zur (rückblickenden) Konstruktion und Abgrenzung literarischer Epochen verwendet werden. 2. Eine Unterart der deskriptiven Poetik stellt die 'implizite' oder 'immanente Poetik' dar. Hier wird versucht, Regeln aus Texten und Textgruppen, die nicht ausdrücklich genannt wurden, aus den Schriften 'herauszulesen'. 3. Als praktische Anweisung, wie 'richtige' Dichtung geschrieben werden soll, oder nach welchen Maßstäben Dichtung zu bewerten sei, erscheint die 'normative Poetik'. Auf den folgenden Seite wird eine kleine Geschichte der Poetik von Aristoteles (ca. 350 v. Chr.) bis Johann Gottfried Herder (1774) ausgebreitet - ein Streifzug von den Dichtungsauffassungen der griechischen Antike, die der feudalen Neuzeit bis zur Epoche des Sturm und Drang. In dieser Zeit schließlich wird Abschied vom Konzept einer normativ-regulierenden Poetik genommen. Der Gedanke vom autonomen Kunstwerk, dem sich unser Kunstempfinden heute noch größtenteils verpflichtet fühlt, entsteht hier. Zum Bild: Seit der Antike erscheint der Schwan als Sinnbild des Dichters. Im untenstehenden Bild von Reinier van Persijn wird auf diese Tradition Bezug genommen. Dazu gesellen sich der Lorbeerkranz und die Leiher, also die Lyra, von der sich das Wort ‚Lyrik‘ ableitet. Die metaphorische Gleichsetzung Dichter- Schwan leitet sich vom Gesang des Singschwans ab. - Erstaunlich, wenn man das Klangbeispiel anhört... . :-) Singschwan.mp3 LDW Killy Poetik.doc RLW Poetik.doc
  • 19. A. Aristoteles: Poetik (Peri poietikés) Die erste Poetik des Abendlandes, die 'Poetik' des Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) versteht sich als Antwort auf die Kritik an der Dichtkunst, die Platon in seiner 'Politeia' geübt hatte. Die zentralen Begriffe: Mimesis ~ Nachahmung/Darstellung, so Aristoteles, sei als Vergnügen an schöpferischer Produktion und ästhetischer Rezeption eine anthropologische Konstante. Die Fiktionalität des Gezeigten werde mit spezifischen Mitteln erzeugt: Wort, Rhythmus, Musik. Der Dichter stelle somit keine reine 'Widerspiegelung', sondern etwas, das geschehen könnte, dar. Damit solle er im Gegensatz zum Geschichtsschreiber, der darstellt, was geschehen ist, stehen. Ständeklausel: Aristoteles differenziert zwischen der Tragödie, für die er als Kriterium ein 'hohes' Personal fordert, und der Komödie die mit 'niederem' Personal spiele. Drei-Einheiten-Lehre: Zeit, Raum und Handlung eines Dramas sollten einheitlich bleiben, d. h: keine Zeitsprünge, Ortsveränderungen und Nebenhandlungen. Auf der Rezeptionsseite schreibt Aristoteles der Tragödie eine Affektwirkung zu, die bei den Zuschauern 'Jammern' (éleos) und 'Schaudern (phóbos) auslöse und die so zu einer reinigenden Erregung und Befreiung von diesen Affekten, also zu einer 'Katharsis' führe. Er kommt zu folgender Definition der Tragödie: Sie ist: Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen ganzen Handlung von bestimmter Größe, in anziehend geformter Sprache, wobei diese formenden Mittel in den einzelnen Abschnitten je verschieden angewandt werden, Nachahmung von Handelnden und nicht durch Bericht, die Jammer und Schaudern hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt. (Aristoteles: Poetik. Hgg. von Manfred Fuhrmann. Stuttgart 1982, S.19). Bild: Das Theater in Epidauros (Griechenland), einst eine bedeutende Kultstätte. RLW Mimesis.doc RLW Katharsis.doc RLW Drei-Einheiten-Lehre.doc RLW Ständeklausel.doc
  • 20. B. Horaz: Dichtkunst (Ars Poetica) Die ‚Ars poetica‘ des Horaz Die ‚Ars poetica‘ des Horaz (65 – 8 v. Chr.) ist kein strenges System, sondern ein in Hexametern gehaltener Lehrbrief. Ähnlich wie Aristoteles fordert Horaz für das Drama Einheitlichkeit, erstmals erscheint bei ihm dann die Forderung nach einer fünfaktigen Struktur: "Ein Stück bleibe nicht unter dem fünften Akt noch gehe darüber, welches verlangt, daß man es zu sehen begehrt und wiederaufführt." (S. 17) In der Literaturwissenschaft wird angenommen, dass die lange Zeit unbekannte aristotelische Poetik (erste dt. Übersetzung 1753) indirekt durch Horaz gewirkt habe. Horaz bestimmt für die Dichtung einen doppelten Zweck: 'prodesse et delectare': "Die Dichter wollen entweder nützen (prodesse) oder erfreuen (delectare) oder zugleich Erfreuendes und Nützliches über das Leben sagen." Aus der Ars Poetica stammt eine weitere Formel, die prägenden Einfluss auf die Poetiken des Mittelalters, der Renaissance und des Klassizismus hatte: "eine Dichtung ist wie ein Gemälde" ('ut pictura poeisis'). Die Anschaulichkeit und ästhetische Qualität des Textes solle so sinnlich sein, dass sei eine Illusion erzeugen könne, wobei jedoch die Sprache als Zeichensystem über ganz andere Qualität verfügt als die Malerei, die ihre Gegenstände unmittelbar vor Augen führen kann. (Horaz: Ars Poetica. Die Dichtkunst. Hgg. von Eckart Schäfer. Stuttgart 1997. Vgl. dazu Lessings Laokoon-Aufsatz von 1766). RLW Ut pictura poesis.doc
  • 21. C. Pseudo-Longin: Über das Erhabene (Peri hýpsous) In Pseudo-Longins Schrift 'Über das Erhabene' (ca. 50 n. Chr.) ist ist die Erörterung der Frage, wie dichterische Rede wirkt, zentral. Auf der Affektwirkung von Kunst aufbauend wird das Konzept des ‚Erhabenen‘ entwickelt. Dichterische Werke sollten eine plötzliche Erschütterung bzw. Verzückung der Rezipienten, die zu einer seelischen Erhebung führe, auslösen. Der Dichtkunst wird somit eine Überwältigungsfunktion zugewiesen, die das Pathos und den Enthusiasmus des Dichters auf den Leser bzw. den Zuschauer übertragen sollte: „Das Großartige nämlich überzeugt die Hörer nicht, sondern verzückt sie; immer und überall wirkt ja das Erstaunliche mit seiner erschütternden Kraft mächtiger als das, was nur überredet oder gefällt, (…) auch sehen wir die Kunst der Erfindung und die kluge Ordnung des Stoffes nicht an einer oder zwei Stellen, sondern im ganzen Gewebe der Rede kaum eben hervorschimmern, während das Erhabene, wo es am rechten Ort hervorbricht, den ganzen Stoff wie ein plötzlich zuckender Blitz zerteilt und schlagartig die geballte Kraft des Redners offenbart.“ (Longinus: Vom Erhabenen. Griechisch/Deutsch. Hgg. von Otto Schönberger. Stuttgart 1997, S. 6/7 – Kapitel 1, 4) Hauptsächlich wurde diese Wirkung jedoch nicht dem Schönen sondern dem Gräßlichen zugeschrieben. Die Schrift wurde erst im 17. Jahrhundert wiederentdeckt und ist seitdem zu einem der wichtigsten Bezugspunkte für die Diskussion über die Aufgaben des Hässlichen und Schrecklichen in der Dichtkunst und ihre Wirkungen auf Verstand und Gemüt geworden. Im Bild: Der Mensch im Angesicht der Natur. 'Mönch am Meer' von Caspar David Friedrich, um 1808. RLW Erhaben.doc
  • 22. D. Mittelalter und antike Poetik Im Mittelalter wurde die antike Poetik nur im Rahmen der septem artes liberales, und darin im Lehrsystem der Rhetorik gelehrt. Es gab sehr verschiedene Zweckbestimmungen von Dichtkunst, häufig stand sie im theologischen Dienst als Medium des Lobs und der Ehre Gottes. In diesem Sinn wurde versucht, mit die Harmonie des Kosmos und die Vollkommenheit der göttlichen Schöpfung zu repräsentieren. Erst im 16. Jahrhundert, also im Zeitalter der Renaissance und des Humanismus, wurden die antiken Texten als Editionen wieder verfügbar. Es begann eine europaweite, in der Wissenschaftssprache Latein geführte Diskussion um Poetik. Die ‚res publica literaria‘ nahm dabei aber keinen Bezug auf einzelne Nationalliteraturen. Im Bild: Die septem artes liberales aus "Hortus Deliciarum" der Herrad von Landsberg (um 1180)
  • 23. E. Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey Martin Opitz (1597 - 1639) schrieb 1624 die erste deutschsprachige Poetik. Sein Ziel war es, die deutsche Sprache gleichberechtigt neben dem bisher vorherrschenden Latein, Französisch und Italienisch, als Kunstsprache zu etablieren. Er orientiert sich dafür an den Renaissance-Poetiken von Scaliger (I), Ronsard (F) und Heinsius (NL). Im Unterschied zum quantisierenden Prinzip der romanischen Sprachen fordert und etabliert er für die deutschsprachige Lyrik ein akzentuierendes und alternierendes Prinzip. Lediglich Jambus und Trochäus dürfen verwendet werden, die antiken Versfüße Anapäst und Daktyles seien zu vermeiden. Unter seine grundlegenden Gesetze für die Dichtung fallen auch die Empfehlung des Alexandriners, eines fünf- bzw. Sechshebigen Jambus, sowie die Ablehnung reiner Reime. Opitz` Schrift ist die einflussreichste Poetik des 17. Jahrhunderts. Zentral ist der Gedanke, dass Dichtung lehr- und somit lernbar sei. Dieses vormoderne Kunstverständnis beruft sich auf Nachahmung der Vorbilder und geistreiche Variation, ohne die engen Regeln zu verletzen. Die imitatio des literarischen Vorbilds wird im Sinn einer aemulatio, einer wetteifernder Nachahmung, möglichst besser nachgebildet. Hierfür sind genaue Kenntnisse des Regelwerkes notwendig, der Dichter versteht sich als ‚poeta doctus‘, als gelehrter Dichter.
  • 25. F. Shaftesbury: ‚A Letter concerning Enthusiasm‘ Shaftesbury (1671- 1713) schreibt in seinem ‚Letter concerning Enthusiasm‘ den Poeten die Gabe einer götterähnlichen Begeisterung zu und beschreibt die Dichter als ‚second maker‘. Natur wird jetzt nicht mehr in ihren Erscheinungen als imitatio, sondern in ihrer produktiven Art als schöpfendes Prinzip nachgeahmt. Der Dichter ist nun Genie, er gebiert mit Authentizität und Originalität Neues aus sich heraus und lässt die strikten Reglements normativer Poetiken hinter sich, der Gedanke von der Autonomie des Kunstwerks entsteht in der Epoche des ‚Sturm und Drang‘ und bestimmt noch heute unsere Einstellung zur Kunst. In seiner ‚Rede zum Schäkespeare Tag‘ vergleicht Goethe Shakespeare mit dem mythischen Menschenschöpfer Prometheus, dem ‚second maker‘, wie Shaftesbury den Urkünstler Prometheus schon im Jahre 1710 genannt hat. G. Johann Jacob Bodmer/Johann Jacob Breitinger: bspw. Von dem Einfluss und Gebrauche der Einbildungskraft Im sogenannten ‚Zürcher Literaturstreit‘, der von den beiden Schweizern Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger gegen Gottsched geführt wurde, zeichnet sich die erste Abkehr von den antiken Poetik-Autoritäten ab. Im Gegensatz zu Gottsched orientierten sich Bodmer und Breitinger nicht am französischen Klassizismus ( Corneille, Racine, Molière), sondern am englischen Sensualismus. Gottsched lehnte diesen, sowie auch religiöse Themen, deren literarisches Paradigma in der zeitgenössischen Diskussion John Miltons religiöses Epos Paradise Lost war, als Gegenstand der Literatur ab. Der 'Einbildungskraft' des schöpferischen Individuums, dem Fiktionalen und Erhabenen billigten Bodmer und Breitinger einen größeren Spielraum als Gottsched zu. Im Bild links: Bodmer, rechts: Breitinger
  • 26. H. Johann Christoph Gottsched: Versuch einer kritischen Dichtkunst In der ‚Critischen Dichtkunst‘, der letzten normativen Poetik im deutschsprachigen Raum, argumentierte Johann Christoph Gottsched für eine streng rationalistische Dichtungsauffassung: Poesie habe genaue Regeln zu befolgen, welche sich mit den Mitteln der Vernunft begründen lassen. Fantasie und auch das Wunderbare wurde durch die Forderung nach logisch ableitbarer Wahrscheinlichkeit des durch Einbildungskraft Erzählten eng begrenzt. Aus diesen Vorgaben ergab sich Gottscheds ablehnende Haltung zur Darstellung übernatürlicher und religiöser Erscheinungen. Die Funktion, die Gottsched der Dichtung zuschrieb, beschränkte sich auf die moralisch-didaktische Illustration von Verhaltensleitsätzen: "Zuallererst wähle man sich einen moralischen Satz, der in dem ganzen Gedichte zum Grunde liegen soll, nach Beschaffenheit der Absichten, die man sich zu erlangen vorgenommen. Hierzu ersinne man sich eine ganz allgemeine Begebenheit, worin eine Handlung vorkommt, daran dieser erwählte Lehrsatz sehr augenscheinlich in die Sinne fällt." (Johann Christoph Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen, in: ders. Schriften zur Literatur, hg. v. Horst Steinmetz, Stuttgart: 1972, S. 96f.) Im Bild: Das Frontispitz und das Titelblatt. Die Berufung auf Horaz macht deutlich: Dichtung soll ‚prodesse et delectare‘.
  • 27. I. William Shakespeare: Die Dramen Gegen die strengen Regeln der klassizistischen Dramatik für die vorwiegend das zeitgenössische französische Theater stand, stellte sich William Shakespeare (1564 - 1616). In seinen Stücken verstieß er gegen die Regeln der Einheit von Raum, Zeit und Handlung, sowie gegen die Ständeklausel. Er bezog die gesamte Natur in das Geschehen oder fügte Burlesken, komische Szenen, in Tragödien mit ein. Die von Martin Wieland (1733-1813) besorgte Übersetzung seiner Werke löste eine Welle von Shakespeare-Begeisterung in Deutschland aus (im Übrigen verdanken wir ihm Wörter wie "Steckenpferd", "Kriegserklärung" oder "Milchmädchen"). Wieland, der zwei Jahre bei Bodmer gastierte, förderte durch seine Übersetzungen nicht nur die Bekanntheit von Shakespeares Werken, sondern beeinflusste auch die Aufführungen im deutschen Theater maßgeblich. Das hier verwendete Porträt, das sogenannte 'Chandos'-Porträt, könnte Shakespeare abbilden, gesicherte Erkenntnisse über die Authenzität vpn Shkakespeare-Darstellungen gibt es aber nicht.
  • 28. J. Johann Gottfried Herder: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit Statt eines heilsgeschichtlich-teleologisch ausgerichteten Weltbildes wird im Zuge der Säkularisierung ‚Geschichte‘ als Ablauf unterschiedlicher Epochen verstanden. Eine historisierende Geschichtsvorstellung, die in großen Teilen von Johann Gottfried Herder initiiert wurde. Die Regulierungen der Antike erscheinen somit als historisch-relative ohne zwingenden Vorbildcharakter. Der radikale Bruch mit den bisher vorherrschenden normativen Regelpoetiken erfolgt in der Zeit zwischen 1770 und 1800. In dieser ‚Sattelzeit‘ (Kosseleck, Reinhart) kommt es zu einer Neukonzeption der Literatur. Statt der antiken Vorgaben und den rationalen Forderungen der Aufklärung bildet die Empfindsamkeit zunehmend den Mittelpunkt dichterischen Denkens. Für das durch die Reformation und die religiöse Strömung des Pietismus neu entdeckte Individuum werden sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten gesucht, um die ihm nun eigenen Gefühlen von Liebe und Zuneigung auszudrücken. Im Bild: 'Vorlesung aus Goethes Werther' (Wilhelm Amberg, 1870). RLW Autonomie.doc