1. Web2.0 verändert die Welt
Christian H. Leeb
holistic business development
cleeb@web.de, +43 676 7581375
Ouvertüre
Wir sind über Jahrzehnte gewohnt, die Welt aus lauter Objekten
bestehend zu betrachten. Wir teilen sie ein und auf: in Atome und
Moleküle, in Lebewesen und Gegenstände, in Körper und Geist, in Kunden
und Lieferanten, in Abteilungen, in Stellen und Rollen.
Diese Abgrenzungen haben sich ja auch jahrelang bewährt, weil es so
etwas wie ein riesengroßes Schubladensystem ergibt und Ordnung
generiert. Und diese Art von Ordnung gibt vielen Menschen auch heute
noch Anhaltspunkt und Sicherheit.
Auch unsere Sprache ist so aufgebaut, z.B. das Wort „Gegen-Stand“ zeigt,
dass etwas mir entgegensteht, also etwas anderes ist als ich – oder das
Wort „Abteilung“ bedeutet ja, dass wir die Firma abgeteilt haben.
Aus dieser Perspektive haben wir auch ein
Kommunikationsmodell, das aus Sender und
Empfänger, Kanal und Nachricht besteht. Wenn wir
nun beide Sichten verbinden, ist es klar, dass
Informationen über unser Unternehmen und unsere
Produkte von uns konzipiert und geschrieben werden
und dann über unterschiedliche Kanäle an den
Kunden herangetragen werden.
Sales-Leute suchen das persönliche Gespräch in
Telefonaten und Meetings, Marketing-Leute nutzen
Briefe, E-Mails, TV- und Radiospots, um möglichst
kostengünstig möglichst viele potentielle Kunden zu
erreichen.
Und in derselben Logik versuchen wir die Kunden in
Zielgruppen aufzuteilen und jeder Zielgruppe die
unserer Meinung nach am besten geeignete
Information zukommen zu lassen.
Aus Sicht des Kunden stellt sich dies aber ganz anders dar. Er wird fast
überall mit Werbung bombardiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde
genau zur Zielgruppe gehört und gleichzeitig aufmerksam ist und
gleichzeitig auch aufnahmefähig und –willig ist, ist denkbar gering und
fast schon Zufall. Auch wenn wir dem Kunden die Möglichkeit geben, mit
uns in Dialog zu treten, dann sind es unsere Spielregeln und unsere
Kanäle, die wir ihm freigeben.
Neue Ideen und Innovationen werden klassischerweise in unseren Firmen
ohne viel Wirkung von außen gemanagt. Sie sollen ja irgendwie und
2. irgendwann in neue Produkte münden. Der potentielle Kunde kommt in
dem ganzen Spiel sehr sehr spät zum Zug, meistens erst, wenn das
Produkt bereits fertig ist und die Marketing- und Sales-Lawine rollt.
Die MitarbeiterInnen erfüllen ihre Aufgaben gemäß ihrer
Stellenbeschreibungen, ihrer definierten Rollen im Ablauf der
Businessprozesse des Unternehmens. Änderungen des Marktes werden
verspätet im Unternehmen reflektiert. Oft bleiben da nur mehr
Massenentlassungen, um eine kurze Zeit etwas Luft zu bekommen.
Nachhaltig ist dies jedoch nicht.
Menuett
Schauen wir uns kurz an, was im Internet derzeit
passiert und seit einiger Zeit Web2.0 genannt wird.
Für mich persönlich ist interessant, dass sich nun
Menschen untereinander im Internet vernetzen und
gemeinsame Sache machen. Dies kann ganz
unterschiedliche Schwerpunkte und Ausprägungen haben.
Sie speichern Fotos auf www.flickr.com und Videos auf www.youtube.com,
sie haben ihre Powerpoint-Vorträge auf www.slideshare.net, sie machen
gemeinsame Mindmaps mit www.mindmeister.com, sie sagen, welche
Bücher sie lesen und welche sie wie gut finden auf www.goodreads.com,
sie bewerten Restaurants und Locations auf www.qype.com, sie speichern
ihre bookmarks auf http://del.icio.us, sie bloggen, was das Zeug hält, wie
man sich unschwer auf www.technorati.com, der Blogsuchmaschine,
überzeugen kann.
Jeder, der will, kann mit fast keinen Kosten, eigentlich nur mit seiner
persönlichen Zeit, die er investiert, etwas von sich preisgeben.
Warum machen so viele Menschen das bloß?
Weil Menschen eben so sind. Wenn wir uns kurz das Internet wegdenken,
dann machen sie es ja so auch. Sie treffen sich mit ihren Freunden, sie
tauschen sich aus, erzählen von Erlebnissen, schauen sich Fotos und Filme
an, diskutieren, bewerten, haben Spaß, singen, tanzen und gehen ihren
Hobbys nach.
Warum soll das im Internet nicht oder ganz anders sein? Wäre eigentlich
unlogisch.
Jetzt kommt aber der springende Punkt, das Neue, der „Community-
Effekt“, wie ich ihn zu nennen pflege.
Wenn nun viele Menschen etwas von sich gegeben haben, dann kann das
Internet einfach nachsehen, welche Menschen ähnliche Dinge tun und
versuchen diese Menschen gegenseitig vorzustellen. Aus Benutzersicht
hab ich die Chance durch die Preisgabe meiner Interessen neue Freunde
3. zu finden. Ich nenne das „passives Kontaktieren“. Wie hätten wir das ohne
Internet machen können? Gar nicht oder mit einem enormen Aufwand.
Und auch hier gibt es keine Grenzen an Einfallsreichtum. www.weblin.com
verbindet die Menschen, die zufällig gerade dieselbe Website ansurfen. Auf
www.twitter.com sagen die Menschen freiwillig was sie gerade machen
und andere können das Buchen wie einen Newsletter, auf
www.couchsurfing.org bieten Menschen anderen ihre Gästebetten zum
Übernachten an. Klarerweise lernt man so viel besser eine fremde Stadt
kennen, weil sich der Gastgeber meistens auch um einen kümmert.
Mit dem Handy in der Hand werden auch die momentanen Positionen auf
www.aka-aki.com, www.brightkite.com oder www.foursquare.com geteilt.
Sie sehen dann, welche Person sich zufällig in Ihrer Nähe aufhält und
können Kontakt aufnehmen.
Und dann gibt es noch das „aktive
Kontaktieren“ auf „social networks“.
Ich melde mich an, gebe die E-Mails
von Menschen an, die ich bereits
kenne und lade sie über das System
ein. Wer will, nimmt diese Einladung
an und ist dann mit mir verbunden.
Interessant ist, dass die Anzahl der
Kontakte exponentiell wächst, d.h.
wenn alle meine Kontakte wiederum
ihrerseits Kontakte einladen, dann
sind die Kontakte meiner Kontakte
schon sehr sehr viele, die Kontakte
meiner Kontakte meiner Kontakte
noch sehr viel mehr, usw.
Sie können sich davon auch selbst überzeugen. Gehen Sie auf
www.xing.com oder www.linkedin.com, auf www.myspace.com oder
www.facebook.com oder andere social networks. Suchen sie mich und
schauen Sie sich meine Kontakte an. Am besten Sie steigen über einen
Aggregator ein: http://eee.am/cleeb
Diese exponentielle Kurve bedeutet, dass ich von jedem beliebigen
anderen Menschen auf dieser Welt nur durch maximal sechs Menschen
dazwischen getrennt bin („six degrees of seperation“)
Stellen Sie sich das vor! Sie können jeden Menschen erreichen in dem sie
ihre Kontakte ersuchen, den Kontaktwunsch weiterzureichen. Und nach
nur sechs Stufen sind sie am Ziel!
4. Finale Furioso
Was bedeutet das nun für Marketing und Sales, für unsere Ideen und
Innovationen, für MitarbeiterInnen in ihren Funktionen? Können wir nun in
diesen Communities einfach unser in der Ouvertüre beschriebenes Modell
anwenden? Können wir Community als neuen Kanal verwenden? Können
wir unsere Organisationsentwicklung so weiter machen wie bisher?
Natürlich nicht. Wenn Sie das versuchen,
wird Sie die Community sehr schnell
rauswerfen. Und zwar nicht der Betreiber
der Community, sondern die Menschen, die
Sie mit Ihrer Art Werbeinhalte zu pushen
oder Ideen ohne Danke und Anerkennung
abzusaugen, verärgern. Sie löschen einfach
ihre Verbindung zu Ihnen. Und innovative,
unternehmerisch denkende und agierende
MitarbeiterInnen bekommen sie erst gar
nicht; und die wenigen, die Sie derzeit noch
haben, aktivieren schon ihr persönliches
social network um neue Herausforderungen
anzunehmen.
Klar ist, dass jede Firma natürlich Ideen und Informationen sowohl
sammeln als auch von sich preisgeben muss. Diese Informationen müssen
aber sehr authentisch sein, der Wahrheit entsprechen. Und jede Firma
muss sich bemühen, dass ihr Produkt das Leistungsversprechen nicht nur
erfüllt, sondern die Kunden so richtig begeistert. Ist dies der Fall, fängt die
Community an, darüber zu berichten: in Blogs, in votings, in Chats, egal
wo. Und wenn die Community irgendwo anfängt zu reden, dann breitet
sich diese Information ebenfalls exponentiell aus.
Wenn ich das nun bis zum Ende denke, dann behaupte ich, dass es dann
Marketing in der uns heute bekannten Form nicht mehr geben wird.
Die Meinungsforschung ist immer im Netz. Ich muss nur zuhören. Hier
sind die Ideen und Innovationen. Und nicht mehr (nur) in meiner Firma.
Public Relations ist gar nicht mehr notwendig. Die Leute reden sowieso.
Und wenn sie es nicht tun, dann kann ich auch mit enormem Aufwand sie
nicht dazu bringen. Im Gegenteil. Meine potentiellen Kunden fühlen sich
gestört und wenden sich ab. Im schlimmsten Fall warnen sie ihre Freunde
im Netz sogar vor Ihrer Firma.
Firmen-Homepages werden anders sein müssen. Sie müssen
Informationen bieten, Self-Service ermöglichen, wirkliche Menschen der
Firma erreichbar machen, usw. Der alte Weg, sich selbst darzustellen und
dann die Webadresse zu pushen, ist nicht zielführend.
5. Weil sich Inhalte und Aufgaben von Marketing und Business Development
so sehr und rapide ändern, wird es sinnvoll sein, einen neuen Begriff dafür
zu wählen. Marketing, wie wir es heute verstehen, hat keine
Überlebenschance und den alten Begriff mit den vielen neuen Inhalten
aufzuladen, wird schwer sein.
Ideen- und Innovationsmanagement in der heutigen Form wird nicht
funktionieren. Wie wollen sie die vielen Menschen mit ihren Ideen und
Innovationen in den Communities denn managen oder kontrollieren? Sie
lassen das gar nicht zu und nehmen Dinge selbst in die Hand.
Wenn Banken nur dann Kredite vergeben, wenn sie Sicherheiten in
mindestens derselben Höhe bekommen, wird die Community es lösen,
weil Bank sein heißt, dass der eine Geld braucht, und ein anderer Geld hat
und herborgt und die Bank dazwischen vermittelt.
Wenn Versicherungen Schäden nicht mehr versichern oder die
Versicherungssummen raufschrauben, dann wird die Community dies in
Eigenregie ohne viele Mitarbeiter und Glaspaläste tun, denn Versicherung
sein heißt, dass die Gemeinschaft zahlt, wenn einem einzelnen etwas
Außergewöhnliches zustößt.
Wenn Zeitungen den Geschmack der Leser nicht treffen, dann macht die
Community die Zeitung, weil Zeitung machen heißt, Informationen über
Ereignisse zeitnahe zu berichten. Und irgendwer aus der Community ist
mit Handykamera sicher in der Nähe eines Ereignisses; und durch
Abstimmen in der Community bestimmt diese selbst die Schlagzeilen.
Wenn Menschen meinen, dass sie etwas gerne hätten, dann werden sie es
gemeinsam erfinden. Wir werden begriffe wie „social brainstorming“ oder
„social innovation“ lernen müssen. Wir müssen eintauchen in die Weiten
des Netzes mit seinen vielen Menschen drin. Und dieses Netz umfasst
nicht nur die MitarbeiterInnen in unserem Unternehmen und in den
Unternehmen der Kunden, Lieferanten und Partner, sondern auch in
denen der Kunden der Kunden, der Lieferanten der Lieferanten und der
Partner der Partner.
Die Unternehmensgrenzen verschwimmen zunehmend, die Trennlinie
zwischen Arbeit und Freizeit ist fast nicht mehr ausfindig zu machen.
Unternehmen wie wir sie heute kennen, werden
so nicht mehr funktionieren.
Nur weil Sie bisher keinen schwarzen Schwan
gesehen haben, heißt das nicht, dass alle
Schwäne weiß sind!
Was das alles für Sie und Ihr Unternehmen im
Ecosystem der Zukunft bedeuten kann, das soll
Thema der Live-Präsentation und der
anschließenden Diskussion sein!