1. 1. Aufbau und Funktion
1. FUNKTIONSBESCHREIBUNG
o wie in Deutschland der Motor ei- bestehen blieb, zum Freizeitfahrzeug.
S nes „großen Motorrades“ ein Zwei-
zylinder Boxermotor war, wie er in der
Hier kam es weniger auf Langlebigkeit
und Zuverlässigkeit an als auf Leistung
KS 601, dem „grünen Elefanten“ von und technische Raffinessen, mit denen
Zündapp bekannt und von BMW in vie- man vor seinen Freunden Eindruck ma-
len Modellvarianten gebaut wurde, war chen konnte. Vier Zylinder mit ebenso
dieses in England, dem Land mit der vielen Auspuffrohren waren Standard.
führenden Motorradindustrie in den Die Verkehrsdichte war noch nicht so
sechziger Jahren, der Paralleltwin. Er hoch wie heute und es gab keine allge-
wurde von den drei großen Marken Tri- meinen Geschwindigkeitsbeschränkun-
umph, BSA und Norton, aber auch von gen auf Landstraßen, so dass man die
einigen hier in Deutschland weniger be- vorhandene Leistung durchaus einset-
kannten, wie z.B. Royal Enfield, gebaut. zen konnte.
Ein Paralleltwin ist, wie der Name be- Die XS 650 oder XS 1 und XS 2, wie die
sagt, ein Zweizylindermotor, dessen ersten Modelle genannt wurden, ten-
Kolben sich gleichzeitig auf und ab be- dierte noch mehr in Richtung Gebrauchs-
wegen. Dieses hat den Vorteil eines fahrzeug. Der Motor war bewusst ein-
hohen Drehmoments bei niedrigen fach gehalten, ohne Ausgleichswellen,
Drehzahlen, der mit dem Nachteil von bei der ersten Modellserie sogar ohne
starken Vibrationen über den gesamten Anlasser.
Drehzahlbereich erkauft wird. Von aussen war es der klassische eng-
Bei niedrigen Drehzahlen werden diese lische Motorradmotor, im Inneren
Vibrationen von manchen Fahrern noch gab es jedoch deutliche Unterschiede:
als „kernig“ empfunden, während sie in Motor und Getriebe sind in einem ge-
höheren Drehzahlbereichen durchaus meinsamen Gehäuse untergebracht,
störend wirken können. Andere Paral- dass im Gegensatz zu den englischen Pa-
leltwins, z.B. die Kawasaki Z 750, hatten ralleltwins horizontal geteilt ist. Diese
daher Ausgleichswellen, um die Vibrati- Bauweise sorgt dafür, dass die Motoren
onen auf ein akzeptables Maß zu redu- zumindestens im Stand einigermaßen
zieren. öldicht sind. Die obenliegende Nocken-
In den sechziger Jahren vollzog sich der welle wird durch eine Rollenkette ange-
Wandel des Motorrades vom Gebrauchs- trieben, das Hub-/ Bohrungsverhältnis
fahrzeug, wie es nur bei Polizeibehörden ist mit 74/75 nicht mehr ausgesprochen
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2. 1. Aufbau und Funktion
langhubig. Gegenüber beispielsweise samen Gehäuse. Solche Gehäuse sind
der Triumph Bonneville wird hierdurch zumeist horizontal geteilt, wobei sich
etwas an Drehmoment eingebüßt, was die Kurbelwelle und die Getriebewellen
jedoch der Langlebigkeit des Motors zu- in der Trennfuge zwischen den beiden
gute kommt. Gehäusehälften befindet.
Fahrzeugantriebe bestehen aus folgen- Abbildung 1-2 zeigt in einer schemati-
den Funktionsgruppen: dem Antriebs- schen Darstellung die Baugruppen des
motor, der Verbindung zwischen dem XS 650 Motors. Im Folgenden wird er
Motor und dem Getriebe (Primärtrieb Begriff „Motor“ sowohl für die gesamte
Abb. 1-1: Schnittmodell des Motors
und Kupplung), dem Getriebe zur Anpas- Einheit wie auch für die aus Kurbel- und
sung der Motordrehzahl an die Fahrge- Nockenwelle, den Kolben und dem Ven-
schwindigkeit und die Fahrwiderstände, tiltrieb bestehende Einheit verwendet.
sowie dem Sekundärtrieb. Der eigentliche Motor, ist durch eine
Bei Pkw- und Lkw-Antrieben handelt es blaue Farbmarkierung gekennzeichnet.
sich hierbei um voneinander getrennte Das Getriebe und der Schaltmechanis-
Baugruppen, die häufig als eigenständige mus sind durch eine grüne Farbmarkie-
Aggregate von verschiedenen Zulieferern rung hervorgehoben.
bezogen werden. Der XS 650 Motor ist ein im Grunde sehr
Bei modernen Motorradantrieben – und einfach aufgebauter und – mit Ausnah-
dazu zählt in diesem Sinne auch der Mo- me des Anlassers – auf das Notwendige
tor der XS 650 – befinden sich alle Kom- reduzierter Motor. So ist z.B. keine Aus-
ponenten des Antriebs in einem gemein- gleichswelle vorhanden, um die unver-
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3. 1. Aufbau und Funktion
Kipphebel Nockenwelle
Vergaser
Ventile
Drosselklappe
Schaltwalze
Kolben
Schaltgabeln
Getriebe
Pleuel
Ausgangswelle
Eingangswelle
Kurbelwelle
Schaltwelle
Ölfilter Anlassergetriebe
Abb. 1-2: Schematische Darstellung der Baugruppen des Motors
meidbaren Vibrationen eines Parallelt- Während die gesamte Konstruktion des
wins zu mildern. Motors auf Langlebigkeit und Reparatur-
Entgegen der Mode in den 70er Jah- freundlichkeit ausgelegt ist, verschlei-
ren gibt es auch nur eine obenliegende ßen die Übertragungsteile des Anlassers
Nockenwelle. Als Konzession an den sehr schnell und ziehen durch die dabei
Zeitgeschmack wurde nachträglich ein entstehenden Späne auch noch andere
Anlasser hineinkonstruiert, der mit der Bauteile in Mitleidenschaft.
aufwändigen Ausführung seiner Über- Was die Langlebigkeit und Reparatur-
tragungsteile im Widerspruch zur sonst möglichkeiten angeht, ist der XS 650 Mo-
klaren und zweckgebundenen Konstruk- tor sehr aufwändig konstruiert. So sind
tion des Motors steht. alle sich drehenden Teile, mit Ausnah-
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4. 1. Aufbau und Funktion
Primärtrieb Kupplung
Kurbelwelle
mit Pleuelstangen
Schaltwalze
Kettenritzel für
die Steuerkette Schaltgabeln
Getriebe-
ausgangswelle
Kurbelwellenlager
Getriebelager
Kegelstumpf zur Getriebe- Kupplungs- Schaltwelle
Aufnahme des Rotors eingangswelle druckstange
Abb. 1-3: Kurbelwelle, Primärtrieb, Kupplung, Schaltmechanismus und Getriebe
me der Kickstarterwelle, in Wälzlagern Die Kurbelwelle mit insgesamt vier
gelagert. Laufleistungen von 200.000 Hauptlagern befindet sich in einer Linie
km ohne tiefgreifende Reparaturen sind mit den beiden Getriebewellen, mit je ei-
bei regelmäßiger Wartung möglich und nem Fest- und einem Loslager.
eine eventuelle Überholung des Motors Der Primärtrieb und die Kupplung sowie
in jedem Fall lohnend, weil alle einem die Ölpumpe sind auf der rechten Mo-
Verschleiß unterliegenden Teile ausge- torseite angeordnet. Das Ende der Schalt-
tauscht werden können und danach ein welle, welches den Schalthebel trägt,
neuwertiger Zustand wiederhergestellt ist – anders als bei englischen Motorrä-
ist. dern – auf der linken Motorseite ange-
Die Abbildung 1-3 zeigt die Kurbelwelle, ordnet, während sich der eigentliche
den Primärtrieb mit der Kupplung, sowie Schaltmechanismus auf der rechten Mo-
das Getriebe mit dem Schaltmechanis- torseite befindet. Mittig oberhalb der Ge-
mus bei abgenommenem oberen Teil des triebewellen ist die Schaltwelle mit den
Motorgehäuses. Schaltgabeln in einem Nadellager auf der
linken Motorseite und einem Kugellager
auf der rechten Motorseite im oberen
Motorgehäuseteil gelagert.
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5. 1. Aufbau und Funktion
dargestellt. Ein Zerlegen und erneutes
1.1 MOTOR Zusammenbauen der Kurbelwelle ist
nur mit einer Presse möglich, wie sie in
Im Folgenden sind die einzelnen Bau- Motoreninstandsetzungsbetrieben zur
gruppen des Motors, deren Aufbau und Verfügung steht. Da das Zerlegen und
Funktionsweise detailliert beschrieben. Zusammenbauen mit den in einer übli-
Bauteile des „Motors“ sind die Kurbel- chen KFZ-Werkstatt zur Verfügung ste-
welle mit den vier Hauptlagern, den henden Mitteln nicht möglich ist, gehe
Pleuelstangen und den Kolben, den Ven- ich hier nicht näher darauf ein. Informa-
tilen und dem Ventiltrieb (Abb. 1-4). tionen über die Kurbelwelle findet man
im originalen Werkstatthandbuch ab Sei-
te 154.
1.1.1 KURBELWELLE, Die Kurbelwelle ist in vier Hauptlagern
KOLBEN gelagert, von denen das rechte, abtriebs-
seitige Lager ein mit einem Sicherungs-
Die Kurbelwelle ist eine sogenannte ring axial im Gehäuse gesichertes Kugel-
„gebaute“, aus Einzelteilen bestehende, lager ist. Die anderen drei Hauptlager
zerlegbare Kurbelwelle. Auf den Abbil- sind axial verschiebliche Rollenlager,
dungen 1-5 und 1-6 auf den folgenden deren Außenringe durch Zapfen ledig-
Seiten ist die Kurbelwelle in Einzelteilen lich so positioniert werden, dass die Öl-
anhand einer Explosionszeichnung aus bohrungen der Lageraußenringe mit den
der Ersatzteilliste und in zusammen- Ölbohrungen im unteren Gehäuseteil
gebautem Zustand anhand eines Fotos fluchten.
Abb. 1-4: Kurbelwelle mit Pleuel und Kolben, Kipphebel und rechtes Einlassventil
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6. 1. Aufbau und Funktion
Die Abbildungen 1-7 und 1-8 auf den Mitte. Die Rollen sind in Käfigen geführt
nächsten Seiten zeigen die beiden mitt- und gegenüber den Innenringen der La-
leren Hauptlager der Kurbelwelle mit ger in axialer Richtung nicht verschieb-
dem Antriebsritzel der Steuerkette in der lich, während die Außenringe auf den
Abb. 1-5: Kurbelwelle und Kolben
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7. 1. Aufbau und Funktion
Hauptlager der Kurbelwelle, Loslager
Hauptlager der Kurbelwelle, Festlager Kettenritzel der Steuerkette
Abb. 1-6: Kurbelwelle
Rollen in axialer Richtung zu verschie- fixiert. Weiterhin ist auf der Abbildung
ben sind, um die Wärmedehnung der 1-9 der eingepresste Hubzapfen des lin-
Kurbelwelle auszugleichen. ken Pleuels zu sehen, sowie zwei Erleich-
Auf der Abbildung 1-9 ist das linke terungsbohrungen, welche die durch das
Hauptlager der Kurbelwelle mit abge- Gewicht des Hubzapfens verursachte
nommenem Außenring und einem Teil Unwucht ausgleichen.
des kegeligen Kurbelwellenstumpfes zur Die beiden Abbildungen 1-10 und 1-11
Aufnahme des Lichtmaschinenrotors zu zeigen die Abtriebsseite der Kurbelwelle
sehen. Der Innenring des Lagers ist in mit dem Zahnrad des Anlassergetriebes
axialer Richtung durch einen Seegerring (Pos. 1 auf Abb. 1-11). Deutlich zu sehen
Loslager
Abb. 1-7: Mittlere Lager der KW mit Abb. 1-8: Mittlere Lager der KW mit
Antriebsritzel der Steuerkette verschobenem Außenring des rechten Lagers
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8. 1. Aufbau und Funktion
Loslager Erleichterungsbohrungen
Abb. 1-9: Lichtmaschinenseite der Kurbelwelle
ist hier bereits der durch das Einspuren Die Pleuellager (Abb. 1-12 und die Pos.
des Ritzels beim Anlassvorgang verur- 7 und 8 auf der Abb. 1-5) sind als Na-
sachte Verschleiß an den vorderen Kan- dellager mit Anlaufscheiben zwischen
ten der Zähne. Mit der Position 2 ist auf den Seitenflächen der Pleuel und den
der Abbildung 1-11 das Ritzel des Primär- Schwungmassen ausgeführt. Im Pleuel-
triebs und mit der Pos. 3 das Antriebsrit- auge (Abb. 1-13) befindet sich kein se-
zel der Ölpumpe aufgezeigt. Abbildung parates Lager d.h. der Kolbenbolzen ist
1-10 zeigt das als Kugellager ausgeführte direkt im Pleuelauge gelagert.
rechte Hauptlager der Kurbelwelle mit Weitere Ausführungen zur Kurbelwelle
einem Sicherungsring zur axialen Fixie- und Verschleißmaße, sowie die Beschrei-
rung im Gehäuse (Pos. 4). bung der Messung, findet man auf den
Pos. 4 Pos. 1
Pos. 4
Festlager Pos. 3 Pos. 2
Abb. 1-10: Abtriebsseite der Kurbelwelle Abb. 1-11: Abtriebsseite der Kurbelwelle mit Primärtrieb
mit rechtem Hauptlager
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9. 1. Aufbau und Funktion
Abb. 1-12: Pleuellager Abb. 1-13: Pleuelauge
Seiten 153 bis 156 im originalen Werk- darf ein auf der Seite 139 des originalen
statthandbuch. Werkstatthandbuchs näher beschriebe-
Auf der Abbildung 1-14 sind die Kolben nes Maß nicht überschreiten. Wird ein
mit zwei Kompressionsringen und ei- zu großes Maß festgestellt, so müssen
nem Ölabstreifring zu sehen. Abb. 1-15 die Kolben und Laufbuchsen, wie im ori-
zeigt die ausgebauten Kolbenringe (Kom- ginalen Werkstatthandbuch beschrieben,
pressions-, Mittel- und Ölabstreifring). vermessen und bei übermäßigem Ver-
schleiß überarbeitet werden. Der Durch-
Die Zylinder bestehen aus einem Alu-
messer der Laufbuchsen wird dann in ei-
miniumgehäuse, in das Graugusslauf-
nem Motoreninstandsetzungsbetrieb auf
buchsen eingepresst sind. Auf der Ab-
das nächstgrößere Schleifmaß vergrößert
bildung 1-18 rechts ist ein Kolbenring
und größere Kolben mit neuen, dazu pas-
in eine Laufbuchse eingelegt. Der durch
senden Kolbenringen eingebaut.
eine Pfeilmarkierung aufgezeigte Spalt
Bei der Demontage der
Kolben muss nur der je-
weils äußere Sicherungs-
ring entfernt werden um
die Kolbenbolzen zu zie-
hen. Ein Sicherungsring,
der schon einmal mon-
tiert war sollte nach Mög-
lichkeit ersetzt werden.
Abb. 1-14: Kolben mit eingesetztem Kolbenbolzen und Sicherungsring
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