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Ingrid Scheurmann
Denkmalpflege und Denkmalvermittlung
- eine Parallelgeschichte




                                                  quo-vadis-dresden.de


                                                                         media07.kanal8.de/
                                       Ingrid Scheurmann
Der Beginn des fachlichen Nachdenkens über Denkmalvermittlung im
Zuge der Verwissenschaftlichung der Denkmalpflege in der Zeit um 1900
▶ Im Zuge der Diskussionen um ein Denkmalschutzgesetz wird Denkmalpflege um 1900 zwar als
öffentliches Interesse apostrophiert, den Protagonisten des Faches war die Diskrepanz zum Interesse
der Öffentlichkeit allerdings bereits deutlich. Vermittlung wird als wichtige Aufgabe der Denkmalpflege
betrachtet; dies zunächst und vornehmlich als Programm zur Denkmalbildung (v.a. Georg Dehio,
Adolph von Oechelhäuser u.a.)

▶ In seinem modernen Denkmalkultus von 1903 definiert Alois Riegl das öffentliche Interesse an
Denkmalpflege als Interesse eines jeden Einzelnen und begründet den Allen zugänglichen Alterswert
als zentralen Denkmalwert des 20. Jh.; Bildungswerten hingegen attestiert er elitären Charakter


▶ Paul Clemen, einer der Protagonisten der Denkmaldebatte um 1900, sucht in den 1920er Jahren an
die lebendige und warme, in der Gesellschaft breit verankerte Denkmalpflege des 19. Jh. anzuknüpfen
und fokussiert in seinen Überlegungen auf symbolische und mythische Denkmalwerte für Alle

▶ Bereits in der Zeit um 1900 gibt es ein Einverständnis über die Notwendigkeit von
Denkmalvermittlung, die vorgeschlagenen Konzepte unterscheiden sich allerdings im Grundsatz: Dem
Konzept der Denkmalbildung als Volkserziehung stehen Überlegungen zur Fundierung der
Denkmalpflege im Interesse der Öffentlichkeit entgegen

▶ Die Diskrepanz zwischen kognitiven und    emotionalen Zugängen zum Denkmal wurzelt im Prozess
der Verwissenschaftlichung um 1900




                                                                                           Ingrid Scheurmann
Die wissenschaftliche Denkmalpflege sucht ihr
                                         Um 1900                        Verhältnis zur Öffentlichkeit zu definieren




                                                                                                                                                            Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Archiv
                                         Wenn es uns nicht gelingt, „unsere Grundsätze und
                                         Anschauungen ins Volk hineinzutragen, sie zum Gemeingut
                                         […] breiter Schichten des Volkes zu machen, so ist trotz
                                         aller Gesetzgebung und Polizeivorschriften, unser Mühen
                                         auf Dauer umsonst.“
                                         Adolf von Oechelhäuser, in: Gemeinsame Tagung für Denkmalpflege und
                                         Heimatschutz, Salzburg 1911.
LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland




                                                               „Der Unterricht, zumal in den drei Fächern Geschichte,
                                                               Religion, Deutsch [...], wird durch den fortgesetzten Hinweis
                                                               auf diese sichtbare Welt überall Stütze und Beflügelung
                                                               finden. Das wird zugleich die jungen Menschen stärker zur
                                                               Augensinnlichkeit zu erziehen helfen.“
                                                               Paul Clemen: Die deutsche Kunst und die Denkmalpflege. Ein Bekenntnis, Berlin 1933, S. 23.




                                                                                                                                         Ingrid Scheurmann
Die institutionalisierte Denkmalpflege zwischen
                                    Um 1919   Amtlichkeit und Öffentlichkeit

                                                        „Das Landesamt für Denkmalpflege ist
                                                        dagegen in weiteren Volkskreisen kaum
                                                        bekannt, die Presse beschäftigt sich selten
                                                        mit seinem Tun, das sich Angriffen
                                                        auszusetzen ängstlich vermeidet. Der
Universitätsarchiv der TU Dresden




                                                        Vergleich (mit dem Heimatschutz, I.S.)
                                                        zeigt deutlich, wie viel wirkungsvoller die
                                                        auf breiter Oeffentlichkeit gestützte
                                                        Anordnung ist als die innerhalb von
                                                        Amtsräumen sich vollziehende
                                                        bureaukratische. Und dies trotz des
                                                        Umstandes, daß die Denkmalpflege in den
                                                        Alterthumsvereinen Organe genug besaß,
                                                        um sich Freunde und weitgehenden
                                                        Einfluß im Lande zu schaffen.“
                                                        Gurlitt, Cornelius: Sächsische Denkmalpflege. Erinnerungen und
                                                        Erfahrungen, Dresden 1919, S. 23.




                                                                                                              Ingrid Scheurmann
Um 1800   Rückblick auf die Wurzeln des modernen
                                            Denkmaldenkens: Erhaltung als Menschheitsaufgabe


                                                     „Alle Kunstwerke gehören als solche
                                                     der gesamten gebildeten Menschheit
                                                     an, und der Besitz derselben ist mit
                                                     der Pflicht verbunden, Sorge für ihre
                                                     Erhaltung zu tragen. Wer diese Pflicht
                                                     vernachlässigt, wer mittelbar oder
                                                     unmittelbar zum Schaden oder zum
                                                     Ruin derselben beiträgt, ladet den
                                                     Vorwurf der Barbarei auf sich, und die
                                                     Verachtung aller gebildeten jetzigen
                                                     und zukünftigen Zeiten wird seine
Pierers Universal-Lexikon, 1891




                                                     Strafe sein.“
                                                     Johann Wolfgang von Goethe, Über Restauration von
                                                     Kunstwerken, in: Propyläen. Eine periodische Schrift, Bd.
                                                     2, Sp. 1, Tübingen 1799, S. 119f.




                                                                                                       Ingrid Scheurmann
Universitätsarchiv der TU Dresden
                                      Um 1900                            Denkmalpflege und Volkserziehung


                                                          „Dient somit in erster Linie die Inventarisation den Behörden, so
                                                          ist sie zweitens bestimmt für die Besitzer der Denkmäler, auf
                                                          deren Belehrung es ankommt; die Inventarisation hat eine
                                                          erzieherische Aufgabe.“
                                                          Cornelius Gurlitt auf dem 1. Tag für Denkmalpflege in Dresden 1900, Stenographische Berichte,
                                                          Berlin 1900 S. 25.



                                    „Mit Polizei- und Zwangsmaßregeln allein ist ja eine




                                                                                                                                                          Karlsruher Institut für Technologie (KIT),
                                    gesunde und umfassende Denkmalpflege nie und nirgends
                                    durchzuführen. Verständnisvolle Mitarbeit des Volkes,
                                    Heimatliebe und Heimatstolz müssen hinzukommen, sonst
                                    nützt die beste Gesetzgebung nichts, […] Die Erziehung
                                    des Volkes nach dieser Richtung liegt aber zum größten
                                    Teil außerhalb des staatlichen Machtbereichs.“




                                                                                                                                                          Archiv
                                    Adolf von Oechelhaeuser: Wege, Ziele und Gefahren der Denkmalpflege, Karlsruhe
                                    1909,S. 24.




                                                                                                                                        Ingrid Scheurmann
Um 1900   Verortung und Entschleunigung:
                                     Denkmalfreundschaft und Heimatgefühl

                                         „Unsere ruhelose Zeit hat nichts nötiger, als
                                         dass der Jugend ein örtliches Heimatgefühl
                                         in klaren, unvergesslichen Bildern ins Leben
                                         mitgegeben werde, zumal in den höheren
                                         Ständen, deren Leben nichts als ein ewiger
                                         Ortswechsel ist. Ich denke endlich an
Georg Dehio, Reppenstedt




                                         Erziehung zur Denkmalsfreundschaft mit
                                         allen Mitteln von Wort, Schrift und Bilddruck,
                                         die uns heute in so mannigfaltiger
                                         Anwendbarkeit zur Verfügung stehen.“
                                         Georg Dehio: Denkmalschutz und Denkmalpflege im 19.
                                         Jahrhundert, In: Wohlleben, Marion (Hg.): Georg Dehio - Alois
                                         Riegl. Konservieren, nicht restaurieren. Streitschriften zur
                                         Denkmalpflege um 1900, Braunschweig 1988, S. 96f.




                                                                                               Ingrid Scheurmann
Um 1900   Selbstbild Wissenschaft: Erhalten, nicht kreieren



                                      „Die Denkmalpflege gehört deshalb
                                      nicht zur Kunst, weil sie nichts neues
                                      zu schaffen hat, sondern nur altes zu
                                      begreifen, zu erhalten und
                                      nötigenfalls zu ergänzen. Der
idestroem.de




                                      Architekt als solcher kommt für sie
                                      nur als technischer Gehilfe in
                                      Betracht.“
                                      Georg Dehio: Vorbildung zur Denkmalpflege, Vortrag
                                      auf dem 4. Tag für Denkmalpflege, Erfurt 1903,
                                      Stenographischer Bericht, S. 138.




                                                                                  Ingrid Scheurmann
Die Denkmalpflege 1, 1899




                                                                 Denkmaldidaktik
                                                                                                 1900 / 1975
                                                                 Bildstrategien als Mittel der




                     Rückseite des Kataloges „Eine Zukunft für
                     unsere Vergangenheit“, München 1975
Ingrid Scheurmann
1903   Öffentliches Interesse als Interesse des Einzelnen

                                       „‘Öffentliches Interesse‘ soll wohl nichts
                                       anders heißen, als úInteresse des Einzelnen‘,
                                       und zwar des Einzelnen nicht in seiner
                                       Eigenschaft als Angehöriger eines Staates
                                       oder eines Volksstammes, sondern als
                                       Privatperson. Nicht weil das Denkmal dem
Bundesdenkmalamt Wien




                                       Staate oder einem seiner Volksstämme ú‘zu
                                       Ruhm und Zierde gereicht‘, sondern weil
                                       jeder Einzelne sein subjektives ästhetisches
                                       Bedürfnis daran zu stillen vermag, muß das
                                       Denkmal davor geschützt werden, die
                                       Fähigkeit zu dieser Dienstleistung
                                       einzubüßen.“

                                       Alois Riegl: Wesen und Entstehung des modernen Denkmalkultus in:
                                       Bacher, Ernst (Hg.): Kunstwerk oder Denkmal? Alois Riegls
                                       Schriften zur Denkmalpflege, Wien 1995, S. 103.




                                                                                              Ingrid Scheurmann
1903              Der Alterswert als Denkmalwert für Alle


                                                                              „Auch der Widerstreit der Urteile […]
                                                                              darf uns nicht allein nicht stören,
                                                                              sondern er muß sogar begrüßt werden;
                                                                              denn gerade in dieser erweckten Lust
                                                                              aller, in den Denkmalkultus
                                                                              dreinzureden, haben wir das sicherste
                                                                              Symptom dafür zu erblicken, daß nun
                                                                              der Denkmalkultus auch bei uns
                                                                              dasjenige zu werden sich anschickt,
                                                                              was einer freudigen und
Österreichische Kunsttopografie Bd. 1, 1907




                                                                              selbstbewußten Denkmalpflege erst
                                                                              den richtigen Rückhalt gibt: eine
                                                                              gemeinsame Gefühlssache für alle.“
                                                                              Alois Riegl: Wesen und Entstehung des modernen
                                                                              Denkmalkultus in: Bacher, Ernst (Hg.): Kunstwerk oder
                                                                              Denkmal? Alois Riegls Schriften zur Denkmalpflege, Wien
                                                                              1995, S. 144.



                                                Weißenkirchen in der Wachau




                                                                                                                            Ingrid Scheurmann
1914-1918                                      Volkserziehung und Propaganda


                                                                                                                                     „Und wenn wir diesen gesegneten und
                                                                                                                                     heilsamen militärischen Militarismus nicht
                                                                                                                                     hätten, wir müßten uns einen Zivil-
                                                                                                                                     Militarismus erfinden und konstruieren als
Abb. in: Paul Clemen: Protection of Art during War, Leipzig 1919, S. 55




                                                                                                                                     eiserne Schule der Volkserziehung, als
                                                                                                                                     Zucht zur Unterordnung, zum stillen
                                                                                                                                     Pflichtgefühl, zu dem, was ich das
                                                                                                                                     Marschieren in der Kolonne nennen
                                                                                                                                     möchte, zur Disziplin. [...] Nein, der ganz
                                                                                                                                     deutsche Geist ist in diesem Kriege
                                                                                                                                     aufgestanden.“
                                                                                                                                     Paul Clemen: Der Krieg und der Zustand der Kunstdenkmäler
                                                                                                                                     auf dem westlichen Kriegsschauplatz, in: Kriegstagung für
                                                                                                                                     Denkmalpflege, Brüssel 1915, Stenographischer Bericht, S. 14.




                                                                          Das Innere der Kathedrale von St. Quentin, Frühjahr 1918



                                                                                                                                                                                    Ingrid Scheurmann
1916-1975ff                                Vermittlung zur Überwindung von Widerständen
                                                                                                                 gegen Denkmalpflege


                                                                                                                       „Auch Max Dvorak stellt nicht
                                                                                                                       Gleichgültigkeit und Richtigkeit des
                                                                                                                       Begriffsinhaltes úDenkmal‘ als Ursache
                                                                                                                       für dessen geringe Wirksamkeit zur
in: „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“, München 1975, Abb. 18.




                                                                                                                       Diskussion und scheint damit zu
                                                                                                                       bestätigen, dass gerade und nahezu
                                                                                                                       ausschließlich Widerstände und
                                                                                                                       Gesinnungen innerhalb der Gesellschaft
                                                                                                                       es sind, die das Denkmal bedrohen ...“

                                                                                                                       Erwin Thalhammer, Brachte das Jahr des Denkmalschutzes
                                                                                                                       1975 einen neuen Denkmalbegriff?, in: ÖZKD, Nr. 1-3, 1976,
                                                                                                                       S. 2-5, S. 4.




                                                                          Erste und zweite Gründerzeit (Essen)




                                                                                                                                                                     Ingrid Scheurmann
Fazit:
1. Das gesetzlich festgeschriebene "öffentliche Interesse" am Denkmalerhalt
bedarf der Legitimation durch das Interesse der Öffentlichkeit.

2. Das Verhältnis von fachlichen und emotionalen Werten, von Wissen und
Wahrnehmung, Geschichte und Erinnerung ist neu zu gewichten.

3. Fachlichkeit bedarf einer sozial relevanten Vermittlung.

4. Die Verpflichtung der deutschen Denkmalpflege auf Nation und Volk hat
im 20. Jh. zu einer politischen Funktionalisierung des Faches geführt, die
kritisch vermittelt werden muss.

5. Neue "Leitbilder" fokussieren auf Identitätsstiftung als Referenz aktueller
Denkmalwerte. Die meisten Denkmale offerieren aber auch Differenz und
Vielfalt und bieten Ansatzpunkte für unterschiedliche Narrative.

6. Das öffentliche Interesse an der Bewahrung von Denkmalen bedarf einer
gesellschaftlichen Wertlegitimierung, der um 1900 Pietät und Ehrfurcht als
Haltung korrespondierten. In der pluralistischen Gegenwartsgesellschaft
könnten Interaktion und Offenheit an deren Stelle treten.


                                                                          Ingrid Scheurmann
7. Denkmalvermittlung konkretisiert sich traditionell in Veröffentlichungen,
die ihre Bildungsinhalte textlich transportieren und die emotionalen
Komponenten auf der Bildebene vermitteln. Die Komplexität aktueller
vorwiegend bildorientierter Sehgewohnheiten des Publikums verlangt neue
Strategien.

8. Die web-basierten sozialen Netzwerke ermöglichen unmittelbare
Formen des Austausches und temporäre Formen der Organisation. Die
Denkmalpflege muss deren Potentiale abwägen und mit ihrer jungen
Klientel in auch deren Medium in Kontakt treten.

9. Denkmalvermittlung erfordert Neugier, Professionalität, Nachhaltigkeit
und Kontinuität.

10. Das Kommunizieren und Partizipieren ist auch als Aufforderung an die
Denkmalpflege zu verstehen, über die innenfachlichen Grenzen hinweg
miteinander zu reden.




                                                                       Ingrid Scheurmann

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Ingrid Scheurmann Zur Geschichte der Denkmalvermittlung

  • 1. Ingrid Scheurmann Denkmalpflege und Denkmalvermittlung - eine Parallelgeschichte quo-vadis-dresden.de media07.kanal8.de/ Ingrid Scheurmann
  • 2. Der Beginn des fachlichen Nachdenkens über Denkmalvermittlung im Zuge der Verwissenschaftlichung der Denkmalpflege in der Zeit um 1900 ▶ Im Zuge der Diskussionen um ein Denkmalschutzgesetz wird Denkmalpflege um 1900 zwar als öffentliches Interesse apostrophiert, den Protagonisten des Faches war die Diskrepanz zum Interesse der Öffentlichkeit allerdings bereits deutlich. Vermittlung wird als wichtige Aufgabe der Denkmalpflege betrachtet; dies zunächst und vornehmlich als Programm zur Denkmalbildung (v.a. Georg Dehio, Adolph von Oechelhäuser u.a.) ▶ In seinem modernen Denkmalkultus von 1903 definiert Alois Riegl das öffentliche Interesse an Denkmalpflege als Interesse eines jeden Einzelnen und begründet den Allen zugänglichen Alterswert als zentralen Denkmalwert des 20. Jh.; Bildungswerten hingegen attestiert er elitären Charakter ▶ Paul Clemen, einer der Protagonisten der Denkmaldebatte um 1900, sucht in den 1920er Jahren an die lebendige und warme, in der Gesellschaft breit verankerte Denkmalpflege des 19. Jh. anzuknüpfen und fokussiert in seinen Überlegungen auf symbolische und mythische Denkmalwerte für Alle ▶ Bereits in der Zeit um 1900 gibt es ein Einverständnis über die Notwendigkeit von Denkmalvermittlung, die vorgeschlagenen Konzepte unterscheiden sich allerdings im Grundsatz: Dem Konzept der Denkmalbildung als Volkserziehung stehen Überlegungen zur Fundierung der Denkmalpflege im Interesse der Öffentlichkeit entgegen ▶ Die Diskrepanz zwischen kognitiven und emotionalen Zugängen zum Denkmal wurzelt im Prozess der Verwissenschaftlichung um 1900 Ingrid Scheurmann
  • 3. Die wissenschaftliche Denkmalpflege sucht ihr Um 1900 Verhältnis zur Öffentlichkeit zu definieren Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Archiv Wenn es uns nicht gelingt, „unsere Grundsätze und Anschauungen ins Volk hineinzutragen, sie zum Gemeingut […] breiter Schichten des Volkes zu machen, so ist trotz aller Gesetzgebung und Polizeivorschriften, unser Mühen auf Dauer umsonst.“ Adolf von Oechelhäuser, in: Gemeinsame Tagung für Denkmalpflege und Heimatschutz, Salzburg 1911. LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland „Der Unterricht, zumal in den drei Fächern Geschichte, Religion, Deutsch [...], wird durch den fortgesetzten Hinweis auf diese sichtbare Welt überall Stütze und Beflügelung finden. Das wird zugleich die jungen Menschen stärker zur Augensinnlichkeit zu erziehen helfen.“ Paul Clemen: Die deutsche Kunst und die Denkmalpflege. Ein Bekenntnis, Berlin 1933, S. 23. Ingrid Scheurmann
  • 4. Die institutionalisierte Denkmalpflege zwischen Um 1919 Amtlichkeit und Öffentlichkeit „Das Landesamt für Denkmalpflege ist dagegen in weiteren Volkskreisen kaum bekannt, die Presse beschäftigt sich selten mit seinem Tun, das sich Angriffen auszusetzen ängstlich vermeidet. Der Universitätsarchiv der TU Dresden Vergleich (mit dem Heimatschutz, I.S.) zeigt deutlich, wie viel wirkungsvoller die auf breiter Oeffentlichkeit gestützte Anordnung ist als die innerhalb von Amtsräumen sich vollziehende bureaukratische. Und dies trotz des Umstandes, daß die Denkmalpflege in den Alterthumsvereinen Organe genug besaß, um sich Freunde und weitgehenden Einfluß im Lande zu schaffen.“ Gurlitt, Cornelius: Sächsische Denkmalpflege. Erinnerungen und Erfahrungen, Dresden 1919, S. 23. Ingrid Scheurmann
  • 5. Um 1800 Rückblick auf die Wurzeln des modernen Denkmaldenkens: Erhaltung als Menschheitsaufgabe „Alle Kunstwerke gehören als solche der gesamten gebildeten Menschheit an, und der Besitz derselben ist mit der Pflicht verbunden, Sorge für ihre Erhaltung zu tragen. Wer diese Pflicht vernachlässigt, wer mittelbar oder unmittelbar zum Schaden oder zum Ruin derselben beiträgt, ladet den Vorwurf der Barbarei auf sich, und die Verachtung aller gebildeten jetzigen und zukünftigen Zeiten wird seine Pierers Universal-Lexikon, 1891 Strafe sein.“ Johann Wolfgang von Goethe, Über Restauration von Kunstwerken, in: Propyläen. Eine periodische Schrift, Bd. 2, Sp. 1, Tübingen 1799, S. 119f. Ingrid Scheurmann
  • 6. Universitätsarchiv der TU Dresden Um 1900 Denkmalpflege und Volkserziehung „Dient somit in erster Linie die Inventarisation den Behörden, so ist sie zweitens bestimmt für die Besitzer der Denkmäler, auf deren Belehrung es ankommt; die Inventarisation hat eine erzieherische Aufgabe.“ Cornelius Gurlitt auf dem 1. Tag für Denkmalpflege in Dresden 1900, Stenographische Berichte, Berlin 1900 S. 25. „Mit Polizei- und Zwangsmaßregeln allein ist ja eine Karlsruher Institut für Technologie (KIT), gesunde und umfassende Denkmalpflege nie und nirgends durchzuführen. Verständnisvolle Mitarbeit des Volkes, Heimatliebe und Heimatstolz müssen hinzukommen, sonst nützt die beste Gesetzgebung nichts, […] Die Erziehung des Volkes nach dieser Richtung liegt aber zum größten Teil außerhalb des staatlichen Machtbereichs.“ Archiv Adolf von Oechelhaeuser: Wege, Ziele und Gefahren der Denkmalpflege, Karlsruhe 1909,S. 24. Ingrid Scheurmann
  • 7. Um 1900 Verortung und Entschleunigung: Denkmalfreundschaft und Heimatgefühl „Unsere ruhelose Zeit hat nichts nötiger, als dass der Jugend ein örtliches Heimatgefühl in klaren, unvergesslichen Bildern ins Leben mitgegeben werde, zumal in den höheren Ständen, deren Leben nichts als ein ewiger Ortswechsel ist. Ich denke endlich an Georg Dehio, Reppenstedt Erziehung zur Denkmalsfreundschaft mit allen Mitteln von Wort, Schrift und Bilddruck, die uns heute in so mannigfaltiger Anwendbarkeit zur Verfügung stehen.“ Georg Dehio: Denkmalschutz und Denkmalpflege im 19. Jahrhundert, In: Wohlleben, Marion (Hg.): Georg Dehio - Alois Riegl. Konservieren, nicht restaurieren. Streitschriften zur Denkmalpflege um 1900, Braunschweig 1988, S. 96f. Ingrid Scheurmann
  • 8. Um 1900 Selbstbild Wissenschaft: Erhalten, nicht kreieren „Die Denkmalpflege gehört deshalb nicht zur Kunst, weil sie nichts neues zu schaffen hat, sondern nur altes zu begreifen, zu erhalten und nötigenfalls zu ergänzen. Der idestroem.de Architekt als solcher kommt für sie nur als technischer Gehilfe in Betracht.“ Georg Dehio: Vorbildung zur Denkmalpflege, Vortrag auf dem 4. Tag für Denkmalpflege, Erfurt 1903, Stenographischer Bericht, S. 138. Ingrid Scheurmann
  • 9. Die Denkmalpflege 1, 1899 Denkmaldidaktik 1900 / 1975 Bildstrategien als Mittel der Rückseite des Kataloges „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“, München 1975 Ingrid Scheurmann
  • 10. 1903 Öffentliches Interesse als Interesse des Einzelnen „‘Öffentliches Interesse‘ soll wohl nichts anders heißen, als úInteresse des Einzelnen‘, und zwar des Einzelnen nicht in seiner Eigenschaft als Angehöriger eines Staates oder eines Volksstammes, sondern als Privatperson. Nicht weil das Denkmal dem Bundesdenkmalamt Wien Staate oder einem seiner Volksstämme ú‘zu Ruhm und Zierde gereicht‘, sondern weil jeder Einzelne sein subjektives ästhetisches Bedürfnis daran zu stillen vermag, muß das Denkmal davor geschützt werden, die Fähigkeit zu dieser Dienstleistung einzubüßen.“ Alois Riegl: Wesen und Entstehung des modernen Denkmalkultus in: Bacher, Ernst (Hg.): Kunstwerk oder Denkmal? Alois Riegls Schriften zur Denkmalpflege, Wien 1995, S. 103. Ingrid Scheurmann
  • 11. 1903 Der Alterswert als Denkmalwert für Alle „Auch der Widerstreit der Urteile […] darf uns nicht allein nicht stören, sondern er muß sogar begrüßt werden; denn gerade in dieser erweckten Lust aller, in den Denkmalkultus dreinzureden, haben wir das sicherste Symptom dafür zu erblicken, daß nun der Denkmalkultus auch bei uns dasjenige zu werden sich anschickt, was einer freudigen und Österreichische Kunsttopografie Bd. 1, 1907 selbstbewußten Denkmalpflege erst den richtigen Rückhalt gibt: eine gemeinsame Gefühlssache für alle.“ Alois Riegl: Wesen und Entstehung des modernen Denkmalkultus in: Bacher, Ernst (Hg.): Kunstwerk oder Denkmal? Alois Riegls Schriften zur Denkmalpflege, Wien 1995, S. 144. Weißenkirchen in der Wachau Ingrid Scheurmann
  • 12. 1914-1918 Volkserziehung und Propaganda „Und wenn wir diesen gesegneten und heilsamen militärischen Militarismus nicht hätten, wir müßten uns einen Zivil- Militarismus erfinden und konstruieren als Abb. in: Paul Clemen: Protection of Art during War, Leipzig 1919, S. 55 eiserne Schule der Volkserziehung, als Zucht zur Unterordnung, zum stillen Pflichtgefühl, zu dem, was ich das Marschieren in der Kolonne nennen möchte, zur Disziplin. [...] Nein, der ganz deutsche Geist ist in diesem Kriege aufgestanden.“ Paul Clemen: Der Krieg und der Zustand der Kunstdenkmäler auf dem westlichen Kriegsschauplatz, in: Kriegstagung für Denkmalpflege, Brüssel 1915, Stenographischer Bericht, S. 14. Das Innere der Kathedrale von St. Quentin, Frühjahr 1918 Ingrid Scheurmann
  • 13. 1916-1975ff Vermittlung zur Überwindung von Widerständen gegen Denkmalpflege „Auch Max Dvorak stellt nicht Gleichgültigkeit und Richtigkeit des Begriffsinhaltes úDenkmal‘ als Ursache für dessen geringe Wirksamkeit zur in: „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“, München 1975, Abb. 18. Diskussion und scheint damit zu bestätigen, dass gerade und nahezu ausschließlich Widerstände und Gesinnungen innerhalb der Gesellschaft es sind, die das Denkmal bedrohen ...“ Erwin Thalhammer, Brachte das Jahr des Denkmalschutzes 1975 einen neuen Denkmalbegriff?, in: ÖZKD, Nr. 1-3, 1976, S. 2-5, S. 4. Erste und zweite Gründerzeit (Essen) Ingrid Scheurmann
  • 14. Fazit: 1. Das gesetzlich festgeschriebene "öffentliche Interesse" am Denkmalerhalt bedarf der Legitimation durch das Interesse der Öffentlichkeit. 2. Das Verhältnis von fachlichen und emotionalen Werten, von Wissen und Wahrnehmung, Geschichte und Erinnerung ist neu zu gewichten. 3. Fachlichkeit bedarf einer sozial relevanten Vermittlung. 4. Die Verpflichtung der deutschen Denkmalpflege auf Nation und Volk hat im 20. Jh. zu einer politischen Funktionalisierung des Faches geführt, die kritisch vermittelt werden muss. 5. Neue "Leitbilder" fokussieren auf Identitätsstiftung als Referenz aktueller Denkmalwerte. Die meisten Denkmale offerieren aber auch Differenz und Vielfalt und bieten Ansatzpunkte für unterschiedliche Narrative. 6. Das öffentliche Interesse an der Bewahrung von Denkmalen bedarf einer gesellschaftlichen Wertlegitimierung, der um 1900 Pietät und Ehrfurcht als Haltung korrespondierten. In der pluralistischen Gegenwartsgesellschaft könnten Interaktion und Offenheit an deren Stelle treten. Ingrid Scheurmann
  • 15. 7. Denkmalvermittlung konkretisiert sich traditionell in Veröffentlichungen, die ihre Bildungsinhalte textlich transportieren und die emotionalen Komponenten auf der Bildebene vermitteln. Die Komplexität aktueller vorwiegend bildorientierter Sehgewohnheiten des Publikums verlangt neue Strategien. 8. Die web-basierten sozialen Netzwerke ermöglichen unmittelbare Formen des Austausches und temporäre Formen der Organisation. Die Denkmalpflege muss deren Potentiale abwägen und mit ihrer jungen Klientel in auch deren Medium in Kontakt treten. 9. Denkmalvermittlung erfordert Neugier, Professionalität, Nachhaltigkeit und Kontinuität. 10. Das Kommunizieren und Partizipieren ist auch als Aufforderung an die Denkmalpflege zu verstehen, über die innenfachlichen Grenzen hinweg miteinander zu reden. Ingrid Scheurmann