1. UNTERNEHMENSFÜHRUNG
Ü
ber das Für und Wider elektronischer
Hilfen wird immer noch sehr gerne EDV
diskutiert – aber: Die überwiegende
Mehrheit der Fachhändler weiß, dass sie das
Herzlich will kommen
Personal in der Buchhaltung der 1970/80er
heute schlicht nicht mehr finanzieren könnte,
genauso wenig wie die damaligen Lagerbe-
in Babel!
stände. Und die Mehrheit im Fachhandel weiß
auch, dass sie an der immer weiter und vor
allem tiefer gehenden Entwicklung im EDV-
Bereich nicht vorbeikommen wird.
Namentlich die Integration der EDV zwi-
schen Herstellern und Fachhandel ist seit den
1990er Jahren eine ernsthafte und heute pri-
• • • Etwa Mitte der 1980er JahreFaktura die ersten Hersteller / Importeure ihre
märe Herausforderung: Nach einem Viertel-
jahrhundert der Entwicklung knirscht es hier haben
deutlich vernehmbar im Gebälk. Viele der glo-
balen Lösungsansätze sind längst wieder ver-
Warenwirtschaft, Buchhaltung und auf Elektronische Datenverarbeitung
schwunden und die Kostenbelastung, speziell (EDV) umgestellt. Spätestens in den 1990er Jahren folgte der gesamte Fachhandel.
auf Seiten des Fachhandels, erreicht unbekann- Ähnlich, wenn auch teilweise etwas früher, verlief die Entwicklung auf Seiten der
te, geradezu unvorstellbare Dimensionen.
War in den 1980er Jahren vor allem die Hersteller und Importeure: Wer heute noch primär auf Papier arbeitet, ist in der
Hardware einer der Kostentreiber, ist es heute Gartentechnikbranche jedenfalls eine einsame, die Regel bestätigende Ausnahme-
die Software – und zwar nicht etwa das Waren-
erscheinung. Zeit also für eine Gesamtbetrachtung, die leider nicht positiv für den
•••
wirtschaftssystem (WWS), sondern vielmehr
die schier unglaubliche Vielzahl an Schnitt- Handel ausfällt.
stellen, Onlineanwendungen und lokalen An-
wendungen von und zu sämtlichen Herstel-
lern. Alle Oberflächen und Prozesse muss ein
Händler – und natürlich sämtliche Mitarbeiter
in Werkstatt und Verkauf – beherrschen, um Strom aus der Steckdose wäre als Energie- Lieferanten unterscheiden sich eben auch,
schlicht einen Rasenmäher, ein Messer oder versorgung unzuverlässig, instabil und damit heute vielleicht sogar primär, durch Einkaufs-
eine Schraube fehlerfrei heraussuchen und keine Geschäftsgrundlage. konditionen, ihr individuelles Verhalten bei
bestellen zu können. Das ist Babel in Rein- Garantiefällen, Rückläufern und ähnlichen
kultur! DATENSTRÖME Prozessen. Darauf zu hoffen, dass sich alle
Hersteller an einen Tisch setzen und sich auf
EIN GEDANKENEXPERIMENT Bei der Betrachtung der enormen Heraus- gleiche Abläufe oder gar Konditionen einigen,
forderungen hinsichtlich der Integration von ist völlig illusorisch und marktfremd. Diese
Stellen Sie sich einmal vor, jedes einzelne EDV innerhalb der Gartentechnikbranche Idee ist planwirtschaftlich und funktionsstö-
elektrische Gerät in Ihrem Haushalt würde müssen zwei sehr unterschiedliche Wege für rend. Sie lässt sich folglich auch nicht sinnvoll
über einen anderen Anschluss verfügen – und Datenströme und deren unterschiedliche In- auf digitale Prozesse und konkrete Schnittstel-
zwar nicht nur über einen anderen als den halte getrennt und einzeln bewertet werden: len übertragen.
genormten Konturenstecker, sondern selbst- 1. Datenströme, die ausschließlich vom
verständlich mit Strombedarf in unterschied- Hersteller zum Händler oder andersherum
lichen statt der einheitlichen, weil heute euro- fließen, ohne inhaltlich vom Empfänger ver-
paweit festgelegten Frequenz und Spannung. ändert werden zu dürfen, und Paul Herwarth von Bittenfeld,
Obendrein würden auch die Stromversor- 2. Datenströme, bei denen Kommunikation Geschäftsführer von Gartentech-
ger den Strom in unterschiedlichen Frequen- und häufige Veränderung stattfindet, in der nik.com:
zen und Spannungen anliefern. Und um die Konsequenz also individuelle, nicht-standardi- „Der Aufwand der Datenintegration und bei
Welt noch etwas komplizierter zu machen: sierbare Inhalte transportiert und nicht-stan- der Etablierung und dem Aufrechterhalten
Alle 6 bis 18 Monate würden sie Frequenz dardisierbare Prozesse abgebildet werden. von Schnittstellen ist immens. Dieser Fak-
oder Spannung verändern, häufig ohne er- Letztere, etwa schon der Bestellprozess mit tor wird immer wieder unterschätzt. Stan-
kennbaren Grund, häufig spontan und ohne seinen unterschiedlichen und flexiblen Kon- dardformate für Artikelstammdaten, etwa
vorherige Ankündigung. ditionssystemen, entziehen sich regelmäßig BMEcat, sind in der Branche weitgehend
Hätten sich Stromversorger und Geräte- einer allgemeinen Standardisierung. Natürlich unbekannt. Word- oder Excel-Dokumente
hersteller im letzten Jahrhundert nicht auf wäre es äußerst hilfreich, wenn hier zumindest und Bilder in Verzeichnisstrukturen sind die
einen Standard geeinigt oder diesen jeweils grundlegend eine Normung etwa von Schnitt- Regel, nicht die Ausnahme. Im Verhältnis zur
übernommen, würde es die gesamte Industrie stellen oder Datenstrukturen stattfinden wür- Automobilindustrie, selbst zur Sanitär- oder
nicht in ihrer heutigen Dimension geben. Sie de. Alles darüber hinaus entbehrt aber, und Heizungsbranche, lebt die Gartentechnik-
wäre zersplittert und aus Kundenperspektive dessen sind sich sowohl Industrie als auch branche insofern in der digitalen Steinzeit.“
unattraktiv. Handel bewusst, jeglicher Grundlage.
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2. UNTERNEHMENSFÜHRUNG
Insgesamt entstehen somit zwei ernsthafte
Markus Walter, Chefentwickler Fehlerquellen und erheblicher, fortlaufender Walter Schwob, After Sales Service
bei Sewiga: Schulungsaufwand für Fachhändler und ihre Manager bei Honda:
„Heute arbeiten wir für unsere 750 Kunden Mitarbeiter: Das Problem sind aufgrund feh- „Preisdaten werden unseren Fachhandels-
mit über 120 unterschiedlichen Schnittstel- lender technischer Schnittstellen nicht nur die partnern zweimal im Jahr kostenlos zur
len zu Herstellern. Bei Preisdaten sogar mit händischen Übertragungen, sondern auch das Verfügung gestellt, selbstverständlich auch
über 400, da regelmäßig auf Herstellerseite Erfordernis, zwei, bei allen Herstellern äußerst zum Download direkt aus dem Honda Ex-
noch einmal unterschiedliche Systeme zum unterschiedliche Prozesse zu erlernen und die- tranet. Diese Daten müssen aber noch für
Einsatz kommen. Darüber hinaus finden sich ses Wissen regelmäßig zu aktualisieren. das jeweilige WWS des Händlers aufbereitet
kaum automatisierte Prozesse. Normforma- werden.“
te für Artikelstammdaten, etwa EDIfact oder VERSUCHE DER
Datanorm, sind überhaupt nicht verbreitet. VEREINHEITLICHUNG
Hinzu kommen über 50 unterschiedliche chen sehr gut nachvollziehen: Auf eine große,
Bestellschnittstellen, soweit diese struktu- Bereits 1993 stellte Briggs & Stratton mit einheitliche Plattform zu hoffen, die von allen
rell überhaupt etabliert werden können.“ Powercom 2000 eine Branchenlösung für die genutzt wird, ist ebenso illusorisch wie die zu
Ersatzteilbeschaffung, speziell als einheitliches Beginn genannte Idee der Vereinheitlichung
Katalogsystem, vor (s. MOTORIST 5/93 S. 48 gar der Geschäftsprozesse. Das will ganz of-
UND ES GEHT DOCH, und 4/94 S. 88 ff.). fensichtlich niemand und wird daher auch
IRGENDWIE ... Die Parts-and-more e.G. startete 2002 mit niemand umsetzen.
dem Ziel der Schaffung einer Ersatzteilplatt-
Dass einheitliche und branchenweite Stan- form für alle Hersteller. Nach dem Ausschei- EINE SPRACHE FÜR MEHR
dards zumindest bei Datenstrukturen, Daten- den von Roth bündelt die Plattform heute INDIVIDUALITÄT
formaten und partiell auch Schnittstellen mög- noch die Lieferanten AS-Motor, Solo und die
lich wären, beweisen die Anbieter von Waren- Irms. Betrachtet man andere Branchen, so hat
wirtschaftssystemen (WWS) seit den 1990er Was man aus Powercom 2000 und Parts- sich ein alternativer Weg durchgesetzt, der
Jahren: Sie nutzen für ihre insgesamt etwa and-more für die Zukunft lernen kann: Mit nicht auf einheitliche Software oder Systeme
2.000 Kunden intern eine jeweils einheitliche an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abzielt, sondern auf eine einheitliche „Spra-
Struktur für Produkt- und Ersatzteildaten aller werden sich Hersteller mit ihren unterschied- che“: Statt Babel also ein einheitliches Daten-
gängigen Hersteller. Ein weiteres Beispiel ist lichen Kulturen, Prozessen und individuellen format, eine einheitliche Datenstruktur, mit
Gartentechnik.com, wo für die Websites von Anforderungen auch morgen nicht auf ein der sämtliche Systeme von Herstellern und
weit über 300 Fachhändlern ein einheitliches, System, also eine Software oder Plattform, ei- Fachhändlern Daten austauschen können, et-
detailliert strukturiertes Datenformat für die nigen. Geradezu aussichtslos ist es, Hersteller wa Artikelstammdaten. Ein Format, auf das
Produktinformationen mit B2C-Charakter zu überzeugen, die nicht nur eigene Systeme für sämtliche Systeme ausgerichtet werden und
(Handel zu Kunde) von über 150 Marken zum Deutschland anbieten, sondern vielmehr global auf das sich alle Softwareanbieter verlässlich
Einsatz kommt. einheitlich vorgehen oder in Deutschland nicht und langfristig einstellen können. Beispiele
Wie dies, trotz völliger Heterogenität am über die eingesetzten Systeme entscheiden. sind die bereits genannten: BMEcat, Data-
Markt, möglich ist? Durch sehr viel Arbeit, Dies lässt sich auch anhand anderer Bran- norm oder EDIfact.
regelmäßig auch rein händisches Abgleichen,
sogar noch von Papier.
DER FACHHÄNDLER: Händlermeinungen
DIE FEHLENDE SCHNITTSTELLE Paul Raimund, Landmaschinen-, Reifen- und Honda kostenlos, dafür aber zu langsam, zu
Motorgerätefachhändler in Meisenheim: „Je- umständlich, teilweise unlogisch in der Be-
In der praktischen Anwendung sieht der der Hersteller hat ein anderes System, jeder dienung, auf gut bayrisch, a Glump. Daneben
Bestellprozess aus Perspektive des Fachhan- mit einer anderen Oberfläche. Händler und müssen wir uns bei kleineren Lieferanten die
dels folgendermaßen aus: Zunächst werden Mitarbeiter müssen 20 bis 30 Systeme – alle Daten mühsam zusammensuchen, da es sich
Maschinen oder Ersatzteile im Onlinekatalog mit eigenem Login – beherrschen. Man muss nicht lohnt, diese einzukaufen. Selbst wenn
des Herstellers herausgesucht. Im Bestfall be- vor allem die Zeit sehen, die hier aufgebracht die Programme und Updates kostenlos wären,
steht eine technische Schnittstelle zum WWS wird. Viele Händler auf dem Land haben außer- fallen bei uns für jeden Lieferanten sehr hohe
des Händlers. Tatsächlich ist aber der Händler dem immer noch kein DSL, dort ist die Online- Kosten durch Schulungen an.“
im Regelfall selbst die Schnittstelle, muss die bestellung ein riesiges Problem.“
Daten, etwa Ersatzteilnummern, also händisch Ein Motorist, der aber nicht namentlich ge-
übertragen. Ralf Schramek, Fahrrad- und Motorgeräte- nannt werden möchte: „Heute läuft alles on-
Vom WWS geht es gebündelt weiter zur fachhändler in Weiden: „Eigentlich hat sich line. Die Problematik von 2001 hat sich aber
elektronischen Bestellung oder zur Garan- nicht viel zu 1995 [s. MOTORIST 3/95 S. 11] im Ergebnis nicht verändert: jeder Hersteller,
tieabwicklung, Abwicklung von Rückläufern verändert. Jeder Hersteller kocht sein eigenes jeder Lieferant nutzt eine andere Maske, ein
usw. Dieser Schritt erfolgt wieder regelmäßig Süppchen, nutzt sein eigenes Programm, mit anderes System. Die Systeme müssten stärker
durch händische Übertragung in lokal ins- eigenen Zugängen. Lexcom-Updates verur- vereinheitlicht werden. Das ist aber insgesamt
tallierte Lieferantensoftware oder via FTP, sachten bei uns etwa 1.500 Euro Kosten im unpassend für die heutige Zeit.“
E-Mail, Webupload oder unmittelbar im Her- Jahr, seit letztem Jahr ist der Zugang bei
stellerextranet.
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3. Aber was genau leisten derartige Normfor- Besonders angenehm ist diese Situation oder erweitert werden. Artikelstammdaten
mate? Während heute hunderte Datenstruktu- natürlich für einen Muttersprachler, denn und damit auch Preisdaten sind ganz offen-
ren von der auf Hersteller- oder Handelsseite für ihn entfällt die Übersetzung vollständig. sichtlich das elementare Teilchen, für das eine
eingesetzten Software „verstanden“ werden Dies kann für jeden Teilnehmer der logische branchenweite Struktur entwickelt werden
müssen, reduziert ein Zwischenformat den nächste Schritt sein: Statt der Konvertierung könnte und sollte.
Aufwand für alle und sorgt für verlässliche, in ein universelles Format, könnte die eigene Die Vorteile für alle Seiten sind gerade
stabile Strukturen. Software auch intern und unmittelbar auf das heute mehr als überdeutlich und die abseh-
Vereinfacht würde eine ähnliche Situation Normformat für Daten setzen. Verpflichtend bare Vertiefung der EDV-Integration wird die
eintreten, als unterhielten sich ein Deutscher oder zwangsläufig wäre dies allerdings nicht! Situation weiter verschärfen: Nichtsdestotrotz
und ein Chinese auf Englisch: Beide müssen in Und realistisch können derartige Anpassun- darf nicht verschwiegen werden, dass die Vor-
einer anderen als ihrer Muttersprache mitein- gen auch erst dann erwartet werden, wenn teile auf Seiten der Hersteller vergleichsweise
ander reden, sie müssen also von Deutsch oder sehr viele Branchenteilnehmer den Standard gering ausfallen könnten. Sie haben auf ihrer
Chinesisch auf Englisch übersetzen und zu- grundsätzlich akzeptiert hätten. Seite viele Vorteile einer vollständigen Digi-
rück. Das klingt zunächst einmal aufwändig. Dass der Weg zur Norm nicht einfach ist, talisierung in Richtung Handel bereits erzielt.
Kämen nun aber ein Franzose, ein Italiener, zeigt branchennah EDI_agrartec, ein Arbeits- Andererseits sind die Aufwände der Konver-
ein Japaner ... zum Gespräch hinzu, hätten alle kreis von DRV, H.A.G. und VDMA, das den tierung in ein Normformat vergleichsweise so
eine gemeinsame Grundlage: Sie könnten alle elektronischen Datenaustausch zwischen minimal, dass eine entsprechende Entschei-
problemlos auf Englisch kommunizieren. Landtechnik-Industrie und -Handel auf eine dung ohne viel Aufhebens getroffen werden
einheitliche Basis stellen wollte. könnte. Für die eigenen Fachhandelspartner
Die große Anzahl der mittelständischen wäre die Einsparung jedenfalls um ein sehr
Händlermeinungen zu Parts-and- Lieferanten konnte nicht einmal dazu gebracht hohes Vielfaches größer als die Investition
more: werden, auf eine Logik wie etwa EAN-Codes, ihres jeweiligen Lieferanten.
also international standardisierte Artikelnum- Insbesondere Verbände, Einkaufsgemein-
Raimund: „Parts and more ist eine interes- mern, umzusteigen. schaften und Softwareanbieter, sowohl auf
sante Idee, aber da die Hersteller nicht teil- Hersteller- als auch Fachhandelsseite, soll-
nehmen, bleibt es auch dabei.“ Ausblick und nächste ten das Thema stärker auf die Tagesordnung
Ein Händler, der nicht genannt werden schritte setzen, wenn Babel und die digitale Steinzeit
möchte: „Parts-and-more ist nicht schlecht. endlich verlassen und auch digital wieder in
Für Händler wäre es hilfreich, wenn sämt- In einem ersten, vielleicht auch schon fina- einer Sprache miteinander gesprochen werden
liche Hersteller vertreten wären. Dies wird len Schritt müsste die Vereinheitlichung von soll. – Den Kopf in den Sand zu stecken und
aber wahrscheinlich nie oder nur mit Mar- Datenformaten und Datenstrukturen inner- das Problem weiter zu ignorieren, ist jedenfalls
ken-abhängigen Zugängen eintreten, da halb der Gartentechnikbranche stehen: Hier keine Option für die Zukunft, die absehbar
die Hersteller keine Dritthändler beliefern gilt es, zumindest zu anderen Branchen auf- noch weitergehende Integrationserfordernisse
wollen.“ zuschließen. Der Vorteil: Es kann viel gelernt, zwischen Lieferanten und Fachhandel mit sich
adaptiert und – soweit erforderlich – angepasst bringen wird. ❚ Gerrit Eicker
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