SlideShare ist ein Scribd-Unternehmen logo
1 von 3
Downloaden Sie, um offline zu lesen
Ernste Rückgänge der Valuta
Krone: 1,60
Reichsmark: 5,50
czechische Krone: 5,50 Centimes
von
Professor Dr. Ludwig Mises
Wien, 27. Januar
Der seit Monaten anhaltende unaufhörliche Rückgang der Devisen der europäischen
Staaten, die am Krieg teilgenommen haben, hat gestern und heute in verschärftem Maße
seine Fortsetzung genommen. In Zürich notiert die österreichische Krone nur noch 1,60, die
deutsche Reichsmark und die czechische Krone 5,50, das Pfund 19,55, der französische Franc
42,75 und die Lira 37. Das sind Kurse, die man noch vor einem Jahre für ganz unwahr-
scheinlich gehalten hätte. Dem, der die tieferen Ursachen dieser Bewegung erkennt, ist der
neue Kurssturz freilich nicht überraschend gekommen. Solange die Inflationspolitik fort-
gesetzt wird, werden die Kurse immer tiefer und tiefer sinken, bis sie schließlich bei jenem
Punkte angelangt sein werden, über den hinaus es kein weiteres Fallen der Kurse mehr gibt,
beim Nullpunkte. Die Geschichte kennt mehrere Beispiele eines solchen vollständigen
Zusammenbruches einer Währung. Die bekanntesten sind der Zusammenbruch des soge-
nannten Kontinentalgeldes der nordamerikanischen Staaten im Jahre 1781 und der der
französischen Assignaten und Territorialmandate in Jahre 1796. Wenn die europäischen
Staaten nicht bald zu einer anderen Politik übergehen, dann werden sie eine ähnliche
Katastrophe erleben. Freilich wären die Wirkungen einer solchen Katastrophe heute weitaus
schwerer, als sie 1781 in den Vereinigten Staaten oder 1796 in Frankreich sein konnten, denn
die Vereinigten Staaten waren 1781 und Frankreich 1796 vorwiegend agrarische Länder. Die
Folgen eines Zusammenbruches müssen aber in einem industriellen Lande von einer ganz
anderen Nachwirkung sein als in einem Lande, dessen Bevölkerung zum größten Teile noch
tief in der Naturalwirtschaft steckt.
Besonders bemerkenswert ist der scharfe Rückgang des Markkurses. Die Mark steht heute
nicht mehr höher als die czechische Krone. Mehr noch als auf die schon durchgeführte
Inflation ist die ungünstige Beurteilung, welche die Reichsmark in den neutralen Ländern
erfährt, auf die Befürchtung weiterer inflationistischer Maßnahmen in Deutschland zurück-
zuführen. Seit eineinhalb Jahrzehnten wird in Deutschland die inflationistische Theorie mit
größtem Erfolge propagiert. Die Schriften von Knapp und Bendixen haben begeisterte An-
hänger gefunden; man kann heute ruhig sagen, daß die von ihnen vertretenen Anschauungen
in Deutschland in der Theorie die herrschenden sind und von allen in der Politik maßgebend-
en Praktikern geteilt werden. In der letzten Zeit hat Bendixen mit großem Eifer den Vor-
schlag propagiert, die gesamten deutschen Kriegsanleihen durch Neuausgabe von 100 Mil-
liarden Mark neuer Reichsbanknoten „einzulösen”. Dieser Vorschlag, gegen den sich in
Deutschland vorläufig nur wenig Opposition bemerkbar gemacht hat, hat im Auslande sofort
die größte Beunruhigung hervorgerufen. Auf ihn ist der scharfe Rückgang des Markkurses in
erster Linie zurückzuführen. Während des Krieges haben die neutralen Staaten für viele Mil-
liarden deutsche Marknoten in spekulativer Absicht erworben. Diese Beträge wurden auch im
Auslande trotz des für Deutschland ungünstigen Ausganges des Krieges festgehalten, da die
Besitzer immer noch die Hoffnung hatten, das Deutsche Reich würde seine Währung nun in
Ordnung bringen. Als sie sahen, daß die Vorschläge der Inflationisten in der deutschen Oef-
fentlichkeit nicht die genügende Zurückweisung fanden, begannen sie zu fürchten, daß eine
weitere Verringerung der Kaufkraft der Mark eintreten werde, und suchten sich ihres Besitzes
an Marknoten so rasch als möglich zu entledigen.
Daß die maßgebenden Kreise in Deutschland sich nicht darüber klar sind, daß die Ursache
der Geldentwertung nirgends anders zu suchen ist als in der Inflation, zeigt auch der vor
ungefähr vierzehn Tagen veröffentlichte Bericht der Valutakommission, die aus einer Anzahl
von führenden Geschäftsmännern und einigen anderen Persönlichkeiten zusammengesetzt ist.
Die Anträge, die die Kommission gestellt hat, glauben der Geldentwertung durch Verwalt-
ungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Beschränkung des Außenhandels und Verschärfung der
Devisenvorschriften, entgegentreten zu können. Auch dieser Bericht hat bei allen Kennern
der Verhältnisse im In- und Auslande recht ungünstig gewirkt.
Dazu treten noch die schädlichen Wirkungen der deutschen Steuerpolitik. An Schärfe und
Radikalismus lassen es ja die Erzbergerschen Steuergesetze durchaus nicht fehlen. Wenn sie
in der Weise, in der sie Gesetz wurden, durchgeführt werden sollten, dann bedeuten sie nichts
anders als eine Vernichtung der industriellen und kommerziellen Tätigkeit in Deutschland.
Das deutsche Volk kann nur vom Export der Industrieartikel leben. Die industrielle Produk-
tion aber wird durch die Erzbergerschen Steuergesetze vollständig gelähmt, der Kapitalszu-
fluß aus dem Ausland, den die deutsche Industrie heute dringender als alles andere benötigt,
wird unterbunden. Die Erzbergersche Finanzpolitik will sich gewaltsam der Erkenntnis
verschließen, daß eine Aenderung der ungünstigen finanziellen Lage des deutschen Reiches
nur durch eine vollkommene Aenderung der deutschen Wirtschaftspolitik herbeigeführt
werden kann. Solange das deutsche Volk für Milliardendefizite aus öffentlichen Betrieben
aller Art, Staatsbahnen, Heereswerkstätten und dergleichen, aufkommen soll, damit in diesen
Betrieben die unwirtschaftliche Arbeitsart fortgesetzt werden kann, ist an eine Wiederher-
stellung des Gleichgewichtes im Staatshaushalte nicht zu denken. Die dringendste staats-
finanzielle Frage ist heute die Abstoßung der deutschen Betriebe. Entstaatlichung und
Entkommunalisierung der Betriebe sind aber heute herzlich unpopulär.
Dazu kommt die drohende Gefahr eines inneren Umsturzes. Auf der einen Seite wird das
deutsche Volk vom Osten her durch die angekündigte bolschewistische Offensive, der der
polnische Staat wohl kaum Widerstand leisten könnte, gefährdet, auf der anderen Seite
bedrohen die Zukunft der deutschen Volkswirtschaft die grenzenlosen Forderungen, welche
die Entente, vor allem das in seiner Rachsucht verblendete Frankreich, stellt. Wenn das
deutsche Volk keine andere Aussicht mehr hat, als Jahrzehnte lang als Sklave Frankreichs zu
arbeiten, dann ist es nicht unbegreiflich, daß sich in weiten Kreisen eine Stimmung verbreitet
hat, die dem Bolschewismus kräftigsten Vorschub leistet. Ein deutscher Bolschewismus
würde aber nicht nur den Untergang Deutschlands bedeuten, er würde auch die größten
Gefahren für alle anderen europäischen Länder in sich bergen. Es ist sehr fraglich, ob
Frankreich und Belgien in der Lage wären, den Bolschewismus von ihren Grenzen fernzu-
halten, wenn er sich einmal in Deutschland eingenistet haben sollte. Sicher ist es jedoch, daß
Italien und der czecho-slovakische Staat einem deutschen Bolschewismus erliegen würden.
England und Frankreich werden erkennen müssen, daß sich das europäische Problem nicht in
so einfacher Weise lösen lässt, wie es sich ihre Vertreter bei den Verhandlungen in Versailles
und Saint-Germain vorgestellt haben. Man kann das deutsche Volk nicht in den Untergang
treiben, ohne daß man ganz Europa mit in das Verderben hineinzieht. Eine Revision der Ver-
träge von Versailles und Saint-Germain erscheint unabweislich nicht nur im Interesse des
deutschen Volkes, sondern ebenso auch im Interesse aller anderen europäischen Völker, ja
überhaupt im Interesse der Kultur der weißen Rasse.
Auch für unsere deutschösterreichische Politik stellen die Vorgänge auf dem Valutamarkte
eine ernste Warnung dar. Es ist wahr, wir sind nicht das einzige Land, dessen Geld beständig
im Werte sinkt und das Valutaproblem, an dem wir kranken, ist heute kein spezifisch öster-
reichisches, sondern ein allgemein europäisches Problem. Doch wir sind heute diejenigen, die
dem bösen Ende am nächsten stehen und darum können wir nicht warten, bis die allgemeine
Frage gelöst ist. Es könnte sonst geschehen, daß die Hilfe für uns zu spät kommt. Der erste
Schritt zur Sanierung der Verhältnisse ist die Erkenntnis, daß das Uebel einzig und allein in
der Inflation seine Ursache hat. Einstellung der Inflation verlangt aber eine vollständige
Umkehr unserer Wirtschaftspolitik. Ein wirtschaftliches System, das nur in einem Verzehren
des Kapitals, das einige Jahrzehnte freiere Wirtschaft angesammelt hat, besteht, kann sich auf
die Dauer nicht halten.
[Quelle: Neue Freie Presse (Wien) Nr. 19907, 28. Januar 1920; PDF-Version:
www.mises.de]

Weitere ähnliche Inhalte

Andere mochten auch

Folhetim do Estudante - Ano IV - Núm. 42
Folhetim do Estudante - Ano IV - Núm. 42Folhetim do Estudante - Ano IV - Núm. 42
Folhetim do Estudante - Ano IV - Núm. 42Valter Gomes
 
Mel Gallagher selected achievement highlights
Mel Gallagher selected achievement highlightsMel Gallagher selected achievement highlights
Mel Gallagher selected achievement highlightsMelissah Gallagher
 
Presentacion contornos
Presentacion contornosPresentacion contornos
Presentacion contornosisabelsua
 
La creación de dios lorenamaria
La creación de dios lorenamariaLa creación de dios lorenamaria
La creación de dios lorenamariaReliaras Club
 
A top of most expensive Hats
A top of most expensive HatsA top of most expensive Hats
A top of most expensive HatsMakala D.
 
Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 53
Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 53Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 53
Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 53Valter Gomes
 
Прогресивні технології в формуванні творчої особистості
Прогресивні технології в формуванні творчої особистостіПрогресивні технології в формуванні творчої особистості
Прогресивні технології в формуванні творчої особистостіАртём Сербинов
 
Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 52
Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 52Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 52
Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 52Valter Gomes
 
Recent Epidemic Outbreaks - Around the World
Recent Epidemic Outbreaks - Around the WorldRecent Epidemic Outbreaks - Around the World
Recent Epidemic Outbreaks - Around the WorldMaps of World
 
IOS: Konsep Dasar OAI-PMH
IOS: Konsep Dasar OAI-PMHIOS: Konsep Dasar OAI-PMH
IOS: Konsep Dasar OAI-PMHIsmail Fahmi
 
Nilpan Panetone e suas variações
Nilpan Panetone e suas variaçõesNilpan Panetone e suas variações
Nilpan Panetone e suas variaçõesAntonio Freitas
 

Andere mochten auch (15)

Folhetim do Estudante - Ano IV - Núm. 42
Folhetim do Estudante - Ano IV - Núm. 42Folhetim do Estudante - Ano IV - Núm. 42
Folhetim do Estudante - Ano IV - Núm. 42
 
Rocío Morales Tp3
Rocío Morales Tp3Rocío Morales Tp3
Rocío Morales Tp3
 
Moretti, Juan MartíN
Moretti, Juan MartíNMoretti, Juan MartíN
Moretti, Juan MartíN
 
Mel Gallagher selected achievement highlights
Mel Gallagher selected achievement highlightsMel Gallagher selected achievement highlights
Mel Gallagher selected achievement highlights
 
Presentacion contornos
Presentacion contornosPresentacion contornos
Presentacion contornos
 
La creación de dios lorenamaria
La creación de dios lorenamariaLa creación de dios lorenamaria
La creación de dios lorenamaria
 
A top of most expensive Hats
A top of most expensive HatsA top of most expensive Hats
A top of most expensive Hats
 
Arthur figueiredo cv 2.1
Arthur figueiredo cv 2.1Arthur figueiredo cv 2.1
Arthur figueiredo cv 2.1
 
Rugby tic
Rugby ticRugby tic
Rugby tic
 
Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 53
Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 53Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 53
Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 53
 
Прогресивні технології в формуванні творчої особистості
Прогресивні технології в формуванні творчої особистостіПрогресивні технології в формуванні творчої особистості
Прогресивні технології в формуванні творчої особистості
 
Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 52
Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 52Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 52
Folhetim do Estudante - Ano V - Núm. 52
 
Recent Epidemic Outbreaks - Around the World
Recent Epidemic Outbreaks - Around the WorldRecent Epidemic Outbreaks - Around the World
Recent Epidemic Outbreaks - Around the World
 
IOS: Konsep Dasar OAI-PMH
IOS: Konsep Dasar OAI-PMHIOS: Konsep Dasar OAI-PMH
IOS: Konsep Dasar OAI-PMH
 
Nilpan Panetone e suas variações
Nilpan Panetone e suas variaçõesNilpan Panetone e suas variações
Nilpan Panetone e suas variações
 

Rückgänge

  • 1. Ernste Rückgänge der Valuta Krone: 1,60 Reichsmark: 5,50 czechische Krone: 5,50 Centimes von Professor Dr. Ludwig Mises Wien, 27. Januar Der seit Monaten anhaltende unaufhörliche Rückgang der Devisen der europäischen Staaten, die am Krieg teilgenommen haben, hat gestern und heute in verschärftem Maße seine Fortsetzung genommen. In Zürich notiert die österreichische Krone nur noch 1,60, die deutsche Reichsmark und die czechische Krone 5,50, das Pfund 19,55, der französische Franc 42,75 und die Lira 37. Das sind Kurse, die man noch vor einem Jahre für ganz unwahr- scheinlich gehalten hätte. Dem, der die tieferen Ursachen dieser Bewegung erkennt, ist der neue Kurssturz freilich nicht überraschend gekommen. Solange die Inflationspolitik fort- gesetzt wird, werden die Kurse immer tiefer und tiefer sinken, bis sie schließlich bei jenem Punkte angelangt sein werden, über den hinaus es kein weiteres Fallen der Kurse mehr gibt, beim Nullpunkte. Die Geschichte kennt mehrere Beispiele eines solchen vollständigen Zusammenbruches einer Währung. Die bekanntesten sind der Zusammenbruch des soge- nannten Kontinentalgeldes der nordamerikanischen Staaten im Jahre 1781 und der der französischen Assignaten und Territorialmandate in Jahre 1796. Wenn die europäischen Staaten nicht bald zu einer anderen Politik übergehen, dann werden sie eine ähnliche Katastrophe erleben. Freilich wären die Wirkungen einer solchen Katastrophe heute weitaus schwerer, als sie 1781 in den Vereinigten Staaten oder 1796 in Frankreich sein konnten, denn die Vereinigten Staaten waren 1781 und Frankreich 1796 vorwiegend agrarische Länder. Die Folgen eines Zusammenbruches müssen aber in einem industriellen Lande von einer ganz anderen Nachwirkung sein als in einem Lande, dessen Bevölkerung zum größten Teile noch tief in der Naturalwirtschaft steckt. Besonders bemerkenswert ist der scharfe Rückgang des Markkurses. Die Mark steht heute nicht mehr höher als die czechische Krone. Mehr noch als auf die schon durchgeführte Inflation ist die ungünstige Beurteilung, welche die Reichsmark in den neutralen Ländern erfährt, auf die Befürchtung weiterer inflationistischer Maßnahmen in Deutschland zurück- zuführen. Seit eineinhalb Jahrzehnten wird in Deutschland die inflationistische Theorie mit größtem Erfolge propagiert. Die Schriften von Knapp und Bendixen haben begeisterte An- hänger gefunden; man kann heute ruhig sagen, daß die von ihnen vertretenen Anschauungen in Deutschland in der Theorie die herrschenden sind und von allen in der Politik maßgebend- en Praktikern geteilt werden. In der letzten Zeit hat Bendixen mit großem Eifer den Vor- schlag propagiert, die gesamten deutschen Kriegsanleihen durch Neuausgabe von 100 Mil- liarden Mark neuer Reichsbanknoten „einzulösen”. Dieser Vorschlag, gegen den sich in Deutschland vorläufig nur wenig Opposition bemerkbar gemacht hat, hat im Auslande sofort die größte Beunruhigung hervorgerufen. Auf ihn ist der scharfe Rückgang des Markkurses in erster Linie zurückzuführen. Während des Krieges haben die neutralen Staaten für viele Mil- liarden deutsche Marknoten in spekulativer Absicht erworben. Diese Beträge wurden auch im Auslande trotz des für Deutschland ungünstigen Ausganges des Krieges festgehalten, da die Besitzer immer noch die Hoffnung hatten, das Deutsche Reich würde seine Währung nun in Ordnung bringen. Als sie sahen, daß die Vorschläge der Inflationisten in der deutschen Oef- fentlichkeit nicht die genügende Zurückweisung fanden, begannen sie zu fürchten, daß eine
  • 2. weitere Verringerung der Kaufkraft der Mark eintreten werde, und suchten sich ihres Besitzes an Marknoten so rasch als möglich zu entledigen. Daß die maßgebenden Kreise in Deutschland sich nicht darüber klar sind, daß die Ursache der Geldentwertung nirgends anders zu suchen ist als in der Inflation, zeigt auch der vor ungefähr vierzehn Tagen veröffentlichte Bericht der Valutakommission, die aus einer Anzahl von führenden Geschäftsmännern und einigen anderen Persönlichkeiten zusammengesetzt ist. Die Anträge, die die Kommission gestellt hat, glauben der Geldentwertung durch Verwalt- ungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Beschränkung des Außenhandels und Verschärfung der Devisenvorschriften, entgegentreten zu können. Auch dieser Bericht hat bei allen Kennern der Verhältnisse im In- und Auslande recht ungünstig gewirkt. Dazu treten noch die schädlichen Wirkungen der deutschen Steuerpolitik. An Schärfe und Radikalismus lassen es ja die Erzbergerschen Steuergesetze durchaus nicht fehlen. Wenn sie in der Weise, in der sie Gesetz wurden, durchgeführt werden sollten, dann bedeuten sie nichts anders als eine Vernichtung der industriellen und kommerziellen Tätigkeit in Deutschland. Das deutsche Volk kann nur vom Export der Industrieartikel leben. Die industrielle Produk- tion aber wird durch die Erzbergerschen Steuergesetze vollständig gelähmt, der Kapitalszu- fluß aus dem Ausland, den die deutsche Industrie heute dringender als alles andere benötigt, wird unterbunden. Die Erzbergersche Finanzpolitik will sich gewaltsam der Erkenntnis verschließen, daß eine Aenderung der ungünstigen finanziellen Lage des deutschen Reiches nur durch eine vollkommene Aenderung der deutschen Wirtschaftspolitik herbeigeführt werden kann. Solange das deutsche Volk für Milliardendefizite aus öffentlichen Betrieben aller Art, Staatsbahnen, Heereswerkstätten und dergleichen, aufkommen soll, damit in diesen Betrieben die unwirtschaftliche Arbeitsart fortgesetzt werden kann, ist an eine Wiederher- stellung des Gleichgewichtes im Staatshaushalte nicht zu denken. Die dringendste staats- finanzielle Frage ist heute die Abstoßung der deutschen Betriebe. Entstaatlichung und Entkommunalisierung der Betriebe sind aber heute herzlich unpopulär. Dazu kommt die drohende Gefahr eines inneren Umsturzes. Auf der einen Seite wird das deutsche Volk vom Osten her durch die angekündigte bolschewistische Offensive, der der polnische Staat wohl kaum Widerstand leisten könnte, gefährdet, auf der anderen Seite bedrohen die Zukunft der deutschen Volkswirtschaft die grenzenlosen Forderungen, welche die Entente, vor allem das in seiner Rachsucht verblendete Frankreich, stellt. Wenn das deutsche Volk keine andere Aussicht mehr hat, als Jahrzehnte lang als Sklave Frankreichs zu arbeiten, dann ist es nicht unbegreiflich, daß sich in weiten Kreisen eine Stimmung verbreitet hat, die dem Bolschewismus kräftigsten Vorschub leistet. Ein deutscher Bolschewismus würde aber nicht nur den Untergang Deutschlands bedeuten, er würde auch die größten Gefahren für alle anderen europäischen Länder in sich bergen. Es ist sehr fraglich, ob Frankreich und Belgien in der Lage wären, den Bolschewismus von ihren Grenzen fernzu- halten, wenn er sich einmal in Deutschland eingenistet haben sollte. Sicher ist es jedoch, daß Italien und der czecho-slovakische Staat einem deutschen Bolschewismus erliegen würden. England und Frankreich werden erkennen müssen, daß sich das europäische Problem nicht in so einfacher Weise lösen lässt, wie es sich ihre Vertreter bei den Verhandlungen in Versailles und Saint-Germain vorgestellt haben. Man kann das deutsche Volk nicht in den Untergang treiben, ohne daß man ganz Europa mit in das Verderben hineinzieht. Eine Revision der Ver- träge von Versailles und Saint-Germain erscheint unabweislich nicht nur im Interesse des deutschen Volkes, sondern ebenso auch im Interesse aller anderen europäischen Völker, ja überhaupt im Interesse der Kultur der weißen Rasse.
  • 3. Auch für unsere deutschösterreichische Politik stellen die Vorgänge auf dem Valutamarkte eine ernste Warnung dar. Es ist wahr, wir sind nicht das einzige Land, dessen Geld beständig im Werte sinkt und das Valutaproblem, an dem wir kranken, ist heute kein spezifisch öster- reichisches, sondern ein allgemein europäisches Problem. Doch wir sind heute diejenigen, die dem bösen Ende am nächsten stehen und darum können wir nicht warten, bis die allgemeine Frage gelöst ist. Es könnte sonst geschehen, daß die Hilfe für uns zu spät kommt. Der erste Schritt zur Sanierung der Verhältnisse ist die Erkenntnis, daß das Uebel einzig und allein in der Inflation seine Ursache hat. Einstellung der Inflation verlangt aber eine vollständige Umkehr unserer Wirtschaftspolitik. Ein wirtschaftliches System, das nur in einem Verzehren des Kapitals, das einige Jahrzehnte freiere Wirtschaft angesammelt hat, besteht, kann sich auf die Dauer nicht halten. [Quelle: Neue Freie Presse (Wien) Nr. 19907, 28. Januar 1920; PDF-Version: www.mises.de]