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Biologisches Geschlecht ist
gesellschaftlich hergestellt.

 Fokus: Geschlechtsgleichheit in biologischen
   Geschlechtertheorien ‚der Moderne‘, ihre
Ausgangspunkte Entwicklung und Prozess und
       ihr Resultat: viele Geschlechter.




        H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
Gliederung:

•  Um 1700: ‚Ei‘ und ‚Samen‘ – Beschreibung
   differenter Zeugungsbeiträge als Ausgangspunkt
   für Differenzbeschreibungen
•  Um 1800: Gleichwertige Zeugungsbeiträge bei
   Frau und Mann: Gleichheitsbeschreibungen mit
   dem Resultat der Entsprechung der Genitalien
•  Um 1900: Jeder Mensch ist ‚Frau‘ und ‚Mann‘
•  Um 2000: ‚Erkenntnisse‘ aktueller Biologie wandeln
   sich (möglicherweise), weg von
   Differenz-, hin zu Gleichheitsbeschreibungen




            H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
1

    Um 1700: ‚Ei‘ und ‚Samen‘ – Beschreibung
differenter Zeugungsbeiträge als Ausgangspunkt
           für Differenzbeschreibungen




          H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
William Harvey (1578-1657) beschrieb als
‚weiblichen Zeugungsbeitrag‘ – ausgehend von
Vogel-Beobachtungen – das Ei. An ihn
anknüpfend bildete sich der Ovismus aus.




          H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
Eine an Antoni van
    Leeuwenhoek (1632-1723) und
    Nicolas Hartsoeker (1656-1725)
    anschließende Richtung
    fokussierte ‚männlichen Samen‘
    als bedeutsam:
    Animalkulismus

H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
Unterschiede der Zeugungsstoffe zogen weitere
Differenzbeschreibungen nach sich,
unterschiedlich seien:
•  Die Bildungsorte von ‚Ei‘ und ‚Samen‘
•  zu- und ableitende Blutgefäße zu diesen
•  Die ‚Ei‘ bzw. ‚Samen‘ ableitenden Gefäße
•  Gebärmutter, Vagina, Vulva, Klitoris – als ‚weiblich‘
   gedachte Organe
•  Penis, Skrotum – als ‚männlich‘ gedachte Organe
•  Des Weiteren: Brust und Becken

 ‚Gott‘ habe die Organe komplementär für ihre
  ‚Nützlichkeit‘ bei Frau und Mann unterschiedlich
  geschaffen


            H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
2

 Um 1800: Gleichwertige Zeugungsbeiträge bei
Frau und Mann: Gleichheitsbeschreibungen mit
dem Resultat der Entsprechung der Genitalien




         H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
Ignaz Döllinger (1770-1841)


•  „9) […] So wie der Embryo nur Mensch, nicht Weib und
   nicht Mann seyn kann, so haben auch seine keimenden
   Genitalien keinen Geschlechtscharakter. Im
   Hermaphroditen ist diese Indifferenz fixiert. 10) Die
   menschlichen Geschlechtstheile sind nicht absolut
   männlich, sondern männlichweiblich, und nicht absolut
   weiblich, sondern weiblichmännlich, daher die Harmonie
   ihres Baues, und die Möglichkeit einer
   Uebergangsbildung. 11) Die Geschlechtsteile des
   Mannes sind die Prostata und die Hoden, die des Weibes
   die Gebärmutter und die Eierstöcke. […] Das die
   Prostata dem Uterus, der Hode dem Eierstock parallel
   sind, ist für sich klar; […].“

  Aus: „Versuch einer Geschichte der menschlichen
  Zeugung“ (1816)
             H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
Jacob Fidelis Ackermann (1765-1815)

•  „In jedem Individuum sind der Möglichkeit nach die
   Zeugungsteile [Geschlechtsteile] beider Geschlechter
   vorhanden“
•  „Aus den dargelegten Beschreibungen der
   Zeugungsteile [Geschlechtsteile] wird offenbar, dass in
   jedem Individuum beiderlei Geschlechtsorgane [in
   Anlage] vorhanden sind, dass aber nur ein Geschlecht
   gänzlich zum Vorschein kommt und dass der Penis der
   Klitoris, die Prostata dem Uterus, die Harnröhre der
   Vagina, der Hoden dem Eierstock, Ductus deferens
   [Ausführungsgang] den Tuben [lat. Tuba Fallopiae:
   Fallopischen Röhren, Eileiter, Anm. HJV], der Hodensack
   den äußeren Schamlippen analog sind.“

  Aus: „Infantis androgyni historia et ichnographia: acc. de sexu
  et generatione disquisitiones physicologicae et V.
  Tabulae.“ (eigene Übersetzung)
              H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
3

Um 1900: Jeder Mensch ist ‚Frau‘ und ‚Mann‘




        H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
Johanna Elberskirchen (1864-1943)


•  „Die Keimdrüse nun, also das Wesentliche des
   männlichen und weiblichen Sexualapparates, ist in der
   Anlage einheitlich, unisexuell, nicht bisexuell. Es gibt in
   der Anlage keine spezifisch weibliche Sexualdrüse, die
   sich wie die Hülfsorgane nur beim Weibe bezw. Beim
   Manne entwickelt und beim andern Geschlecht
   rudimentär bleibt oder sich zurückbildet. Die Keimdrüse
   ist das, und zwar das einzige Organ der Sexualanlage,
   das sich beim Mann und Weib entwickelt, das bei beiden
   Geschlechtern ein und dasselbe ist und bleibt und bei
   beiden Geschlechtern in Funktion tritt […]“

  Aus: „Feminismus und Wissenschaft“ (1903)



              H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
Magnus Hirschfeld (1868-1935)
•  „Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß schon
   zufolge der Erbgesetze diese Grundtypen im Grunde nur
   Fiktionen sind und daß, wenn ein Satz zu Recht besteht,
   es dieser ist, daß der Mensch nicht Mann oder Weib
   sondern Mann und Weib ist.“
•  „Geschlechtsunterschiede sind Gradunterschiede. Es
   handelt sich immer nur um ein mehr oder minder, um
   ein kleiner oder größer, stärker oder schwächer, immer
   nur um ein relativ, nicht absolut Verschiedenes, nie um
   etwas, was nur dem einen, nicht aber auch dem
   anderen Geschlecht zukäme. […] Wer beiden
   Geschlechtern entstammt, Enthält beide Geschlechter
   vereint“

  Aus: 1) „Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen“ (1923)
    2) „Geschlechtskunde“ (1926-1930, Bd. 1)

             H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
4

 Um 2000: ‚Erkenntnisse‘ aktueller Biologie
  wandeln sich (möglicherweise), weg von
Differenz-, hin zu Gleichheitsbeschreibungen




        H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
Aktuell angenommene Abfolge von Schritten zur
Geschlechtsentwicklung




Aus: Gilbert, S. F. (2000):
„Developmental Biology“. (S. 525)

              H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
Interaktionen von Genen, Genprodukten bei der
 Geschlechtsentwicklung (bei Mäusen)
                                                           Rot: hemmend

                                                           Grün: aktivierend

                                                           ___: gezeigte
                                                           Interaktionen

                                                           ----: indirekte u.
                                                           angenommene
                                                           Interaktionen

                                                           E: Zeitpunkte der
                                                           Embryonalentwickl
                                                           ung in dpc (dpc:
                                                           Tage nach der
                                                           Befruchtung)

Klattig, J. T. (2006): On the role of Wt1, Dmrt8 and Sox9 during
murine gonad development and sex determination.
                H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
Vielen Dank!

Empfohlene Literatur:
Beauvoir, Simone de (1989 [frz. 1949]): Das andere
Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Verlag Volk und
Welt, Berlin.

Goldenberg, Boris (Hrsg., 1962): Karl Marx – Ausgewählte
Schriften. Hrsg. und eingeleitet von Boris Goldenberg.
Kindler Verlag, München.

Satzinger, Helga (2009): Differenz und Vererbung:
Geschlechterordnungen in der Genetik und
Hormonforschung 1890-1950. Böhlau Verlag.

Voß, Heinz-Jürgen (2010): Making Sex Revisited:
Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-
medizinischer Perspektive. Transcript Verlag.
             H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de

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Voss

  • 1. Biologisches Geschlecht ist gesellschaftlich hergestellt. Fokus: Geschlechtsgleichheit in biologischen Geschlechtertheorien ‚der Moderne‘, ihre Ausgangspunkte Entwicklung und Prozess und ihr Resultat: viele Geschlechter. H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 2. Gliederung: •  Um 1700: ‚Ei‘ und ‚Samen‘ – Beschreibung differenter Zeugungsbeiträge als Ausgangspunkt für Differenzbeschreibungen •  Um 1800: Gleichwertige Zeugungsbeiträge bei Frau und Mann: Gleichheitsbeschreibungen mit dem Resultat der Entsprechung der Genitalien •  Um 1900: Jeder Mensch ist ‚Frau‘ und ‚Mann‘ •  Um 2000: ‚Erkenntnisse‘ aktueller Biologie wandeln sich (möglicherweise), weg von Differenz-, hin zu Gleichheitsbeschreibungen H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 3. 1 Um 1700: ‚Ei‘ und ‚Samen‘ – Beschreibung differenter Zeugungsbeiträge als Ausgangspunkt für Differenzbeschreibungen H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 4. William Harvey (1578-1657) beschrieb als ‚weiblichen Zeugungsbeitrag‘ – ausgehend von Vogel-Beobachtungen – das Ei. An ihn anknüpfend bildete sich der Ovismus aus. H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 5. Eine an Antoni van Leeuwenhoek (1632-1723) und Nicolas Hartsoeker (1656-1725) anschließende Richtung fokussierte ‚männlichen Samen‘ als bedeutsam: Animalkulismus H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 6. Unterschiede der Zeugungsstoffe zogen weitere Differenzbeschreibungen nach sich, unterschiedlich seien: •  Die Bildungsorte von ‚Ei‘ und ‚Samen‘ •  zu- und ableitende Blutgefäße zu diesen •  Die ‚Ei‘ bzw. ‚Samen‘ ableitenden Gefäße •  Gebärmutter, Vagina, Vulva, Klitoris – als ‚weiblich‘ gedachte Organe •  Penis, Skrotum – als ‚männlich‘ gedachte Organe •  Des Weiteren: Brust und Becken  ‚Gott‘ habe die Organe komplementär für ihre ‚Nützlichkeit‘ bei Frau und Mann unterschiedlich geschaffen H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 7. 2 Um 1800: Gleichwertige Zeugungsbeiträge bei Frau und Mann: Gleichheitsbeschreibungen mit dem Resultat der Entsprechung der Genitalien H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 8. Ignaz Döllinger (1770-1841) •  „9) […] So wie der Embryo nur Mensch, nicht Weib und nicht Mann seyn kann, so haben auch seine keimenden Genitalien keinen Geschlechtscharakter. Im Hermaphroditen ist diese Indifferenz fixiert. 10) Die menschlichen Geschlechtstheile sind nicht absolut männlich, sondern männlichweiblich, und nicht absolut weiblich, sondern weiblichmännlich, daher die Harmonie ihres Baues, und die Möglichkeit einer Uebergangsbildung. 11) Die Geschlechtsteile des Mannes sind die Prostata und die Hoden, die des Weibes die Gebärmutter und die Eierstöcke. […] Das die Prostata dem Uterus, der Hode dem Eierstock parallel sind, ist für sich klar; […].“ Aus: „Versuch einer Geschichte der menschlichen Zeugung“ (1816) H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 9. Jacob Fidelis Ackermann (1765-1815) •  „In jedem Individuum sind der Möglichkeit nach die Zeugungsteile [Geschlechtsteile] beider Geschlechter vorhanden“ •  „Aus den dargelegten Beschreibungen der Zeugungsteile [Geschlechtsteile] wird offenbar, dass in jedem Individuum beiderlei Geschlechtsorgane [in Anlage] vorhanden sind, dass aber nur ein Geschlecht gänzlich zum Vorschein kommt und dass der Penis der Klitoris, die Prostata dem Uterus, die Harnröhre der Vagina, der Hoden dem Eierstock, Ductus deferens [Ausführungsgang] den Tuben [lat. Tuba Fallopiae: Fallopischen Röhren, Eileiter, Anm. HJV], der Hodensack den äußeren Schamlippen analog sind.“ Aus: „Infantis androgyni historia et ichnographia: acc. de sexu et generatione disquisitiones physicologicae et V. Tabulae.“ (eigene Übersetzung) H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 10. 3 Um 1900: Jeder Mensch ist ‚Frau‘ und ‚Mann‘ H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 11. Johanna Elberskirchen (1864-1943) •  „Die Keimdrüse nun, also das Wesentliche des männlichen und weiblichen Sexualapparates, ist in der Anlage einheitlich, unisexuell, nicht bisexuell. Es gibt in der Anlage keine spezifisch weibliche Sexualdrüse, die sich wie die Hülfsorgane nur beim Weibe bezw. Beim Manne entwickelt und beim andern Geschlecht rudimentär bleibt oder sich zurückbildet. Die Keimdrüse ist das, und zwar das einzige Organ der Sexualanlage, das sich beim Mann und Weib entwickelt, das bei beiden Geschlechtern ein und dasselbe ist und bleibt und bei beiden Geschlechtern in Funktion tritt […]“ Aus: „Feminismus und Wissenschaft“ (1903) H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 12. Magnus Hirschfeld (1868-1935) •  „Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß schon zufolge der Erbgesetze diese Grundtypen im Grunde nur Fiktionen sind und daß, wenn ein Satz zu Recht besteht, es dieser ist, daß der Mensch nicht Mann oder Weib sondern Mann und Weib ist.“ •  „Geschlechtsunterschiede sind Gradunterschiede. Es handelt sich immer nur um ein mehr oder minder, um ein kleiner oder größer, stärker oder schwächer, immer nur um ein relativ, nicht absolut Verschiedenes, nie um etwas, was nur dem einen, nicht aber auch dem anderen Geschlecht zukäme. […] Wer beiden Geschlechtern entstammt, Enthält beide Geschlechter vereint“ Aus: 1) „Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen“ (1923) 2) „Geschlechtskunde“ (1926-1930, Bd. 1) H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 13. 4 Um 2000: ‚Erkenntnisse‘ aktueller Biologie wandeln sich (möglicherweise), weg von Differenz-, hin zu Gleichheitsbeschreibungen H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 14. Aktuell angenommene Abfolge von Schritten zur Geschlechtsentwicklung Aus: Gilbert, S. F. (2000): „Developmental Biology“. (S. 525) H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 15. Interaktionen von Genen, Genprodukten bei der Geschlechtsentwicklung (bei Mäusen) Rot: hemmend Grün: aktivierend ___: gezeigte Interaktionen ----: indirekte u. angenommene Interaktionen E: Zeitpunkte der Embryonalentwickl ung in dpc (dpc: Tage nach der Befruchtung) Klattig, J. T. (2006): On the role of Wt1, Dmrt8 and Sox9 during murine gonad development and sex determination. H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de
  • 16. Vielen Dank! Empfohlene Literatur: Beauvoir, Simone de (1989 [frz. 1949]): Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Verlag Volk und Welt, Berlin. Goldenberg, Boris (Hrsg., 1962): Karl Marx – Ausgewählte Schriften. Hrsg. und eingeleitet von Boris Goldenberg. Kindler Verlag, München. Satzinger, Helga (2009): Differenz und Vererbung: Geschlechterordnungen in der Genetik und Hormonforschung 1890-1950. Böhlau Verlag. Voß, Heinz-Jürgen (2010): Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch- medizinischer Perspektive. Transcript Verlag. H.-J. Voß, 12.05.2010, Hamburg; Kontakt: voss_heinz@yahoo.de