"Als der Hochschullehrer begann, mit nur einer Sorte Tee in Großpackungen zu handeln,
erntete Günter Faltin viel Hohn und Spott. Heute gibt es schon einige Nachahmer."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.11.2010, Nr. 277, S. C2
Günter Faltin
Abwarten und Tee trinken
Als der Hochschullehrer begann, mit nur einer Sorte Tee in Großpackungen zu handeln,
erntete Günter Faltin viel Hohn und Spott. Heute gibt es schon einige Nachahmer.
Von Sven Astheimer
Kann ein Professor ohne jegliche Praxiserfahrung seinen Studenten vermitteln, wie man
ein Unternehmen gründet? Nein, findet Günter Faltin, jedenfalls nicht anhand des
gängigen Lehrstoffs. "Die Realität hat nichts damit zu tun, was in den Lehrbüchern über
Gründungen steht." Faltin wählt als Inhalt für seine Vorlesungen an der Freien
Universität Berlin deshalb lieber die Biographien von Künstlern wie Karl Lagerfeld, der
aus dem Nichts eine Modemarke von Welt geschaffen hat. Aus Büchern der
Betriebswirtschaftslehre lese er dagegen nicht, sagt der 66 Jahre alte Wissenschaftler.
Nicht, dass er etwas gegen BWL habe, überhaupt nicht. "Es ist ein Geschenk Gottes,
wenn jemand gut organisieren und verwalten kann." Nur werde diese Fähigkeit im
Deutschen fälschlicherweise mit Unternehmertum gleichgesetzt. Aus Faltins Sicht ist sie
aber nur die eine - und, wie sich im Gesprächspartner schnell zeigt, nicht seine - Seite
der Medaille. Um die andere zu beschreiben, greift Faltin frei nach dem österreichischen
Ökonomen Schumpeter auf Vokabeln wie "Zerstörung" und "Schöpfung" zurück, spricht
viel von "Innovation" und zieht gerne Vergleiche zu kreativen Berufen. Deshalb redet er
statt vom Unternehmertum auch lieber von "Entrepreneurship" einerseits und von
"Business Administration" andererseits. Das eine, sagt Faltin, "das sind die
Trüffelschweine, die spüren, wo das Gold liegt, und eine Idee entwickeln, es abzubauen.
Das andere sind die akkuraten Verwalter, die den Prozess umsetzen und überwachen."
Beide hätten ihre absolute Berechtigung und Notwendigkeit. Viele Gründer aber
glaubten, sie müssten beides auf einmal sein. "Irrtum!", ruft Faltin. Manchmal
verhindere das eine sogar das andere. Ihm habe deshalb etwa die Aussage Enzo Ferraris
imponiert, der zugegeben habe, von Motoren nichts zu verstehen, dafür seien schließlich
seine Ingenieure da. Oder das Bekenntnis des Ikea-Gründers Ingvar Kamprad, ein
katastrophaler Organisator zu sein.
Man ist geneigt, Faltins Ausführungen als anregende, gleichwohl auch
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romantische-naive Einzelmeinung abzutun - wäre da nicht sein Erfolg als Unternehmer,
der ihm mittlerweile nicht nur einige Auszeichnungen und Preise, sondern auch Gehör
bis in höchste politische Kreise hinein verschafft hat. Denn die von ihm 1985 gegründete
Teekampagne importiert mittlerweile im Jahr rund 400 Tonnen der Sorte Darjeeling,
was Faltin nach Angaben des Tea Board of India zum weltgrößten Abnehmer der Sorte
macht, die viele Kenner als besten Tee der Welt bezeichnen. Es ist das einzige Produkt,
mit dem Faltins Unternehmen handelt, und das auch nur in Packungen zu einem Kilo zu
je 24 Euro. "2,40 Euro für 100 Gramm Spitzentee, das rechnet sich", sagt Faltin.
Mittlerweile denken rund 200 000 Kunden ähnlich und kaufen bei ihm ihre
Jahresration ein.
Aufgewachsen in der fränkischen Provinz, wurde Günter Faltin an den Universitäten in
Tübingen und St. Gallen zum Volkswirt ausgebildet. Seine Professoren inspirierten ihn
jedoch wenig, verließen nur selten die ausgetrampelten Lehrpfade. Unterricht zum
Anfassen gab es nicht. "Ich wollte nicht so werden wie meine Professoren", sagt er noch
heute. In den siebziger Jahren bereiste Faltin Entwicklungsländer in Asien und Afrika.
"Da fiel mir auf, dass der Tee dort nur ein Zehntel so teuer war wie bei uns." Dabei
handelte es sich um ein Produkt, dass anders als Kaffee, der noch geröstet werden muss,
mit dem Verlassen der Plantage eigentlich fertig ist. Zurück in Deutschland, setzte sich
der passionierte Kaffeetrinker mit den Lieferketten auseinander. Er fand heraus, wie
viele Stationen der Tee auf dem Weg zum Verbraucher durchläuft und wer daran alles
mitverdient: Exporteure, Importeure, Verpacker, Gebietsleiter - eine schier endlose
Liste. Wer diese Kette erheblich verkürzt, der kann Tee deutlich günstiger anbieten, das
war sein erster Gedanke.
Der zweite entsprang der Frage, warum Tee hierzulande in extrem kleinen Packungen
angeboten wird. "Ich war Kaffeetrinker und an Großpackungen gewöhnt." Wenn Kaffee,
der sein Aroma viel schneller verliert, in 500-Gramm-Einheiten verkauft wird, warum
dann nicht der bis zu zwei, drei Jahre haltbare Tee im Kilopaket?
Nun tat sich ein Problem auf. Wer Tee direkt beim Hersteller kauft, muss mindestens
zwei Tonnen abnehmen - für ein Start-up eine gewaltige Menge. Wollte er die Vielfalt
eines herkömmlichen Teeladens abbilden, hätte Faltin ein Lager von der Größe eines
Fußballfeldes gebraucht. Seine radikal logische Lösung: Wenige, am besten nur eine
Sorte anbieten, die dafür von möglichst hoher Qualität ist. Faltins Wahl fiel auf
Darjeeling, eine Region in Indien, die unter Teefreunden höchstes Ansehen genießt.
1985 ging die Teekampagne an den Start - Kampagne deshalb, weil Faltin wusste, dass
er die Ware möglichst schnell losschlagen musste, um angesichts der dünnen
Kapitaldecke von 10 000 Mark das Zahlungsziel zu erfüllen. Später, als die
Einkaufsmengen rasch wuchsen, schoss er nach. Für den Hochschullehrer auf
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Lebenszeit war das Risiko überschaubar. Faltin räumt ein, dass viele junge Menschen
diese Sicherheit nicht haben, wenn sie vor ähnlichen Entscheidungen stehen. "Deshalb
müsste man eigentlich die Beamten bewegen, Gründer zu sein."
Die Skepsis in seinem Umfeld war groß. Faltin, nach eigenem Bekunden immer ein
Außenseiter, schlug seitens der Studenten offener Spott entgegen. Merkt ihr nicht, wie
bescheuert der Typ ist? zitiert er ein Vierteljahrhundert später den Kommentar einer
Studentin mitten während einer Vorlesung. Auch die Kollegen äußern, allerdings
stilvoller, offene Kritik: Faltin, lassen Sie das, wir Professoren sind dafür nicht gemacht.
Er ließ es aber nicht, trotz einiger Selbstzweifel, die er im Rückblick einräumt.
"Es ist die Beharrlichkeit in der Sache", antwortet Faltin auf die Frage, was für ihn einen
guten Entrepreneur ausmacht. "Dieses ständige Kreisen um dieselbe Sache und der
absolute Durchsetzungswillen, wenn man die Lösungen gefunden zu haben glaubt." Das
sei das einzige Merkmal, dass er in fast allen erfolgreichen Gründerbiographien
ausmachen könne. Diesmal zitiert Faltin Churchill: "Wenn du durch die Hölle gehst,
bleib nicht stehen."
Nicht in der Hölle, aber zwischen zwei Toilettenhäuschen auf einem Berliner
Wochenmarkt versuchten Faltin und eine Handvoll Helfer in den Anfangstagen, die
Kiloware loszuwerden. Einen besseren Platz habe ihnen der Marktleiter nicht zuweisen
wollen. "Irgendwann habe ich die Sache abgeblasen, das war rufschädigend", sagt Faltin.
Heute kann er darüber schmunzeln. Er hat diese Geschichten schon viele Male erzählt,
sogar ein Buch darüber geschrieben.
Schnell stellte sich der Versandhandel als großer Umsatztreiber heraus. Als sich nach
zwei Jahren abzeichnet, dass die Teekampagne ihren ersten Gewinn abwerfen wird,
kündigt die Universitätsverwaltung den Mietvertrag für die feuchten Kellerräume des
wirtschaftspädagogischen Instituts, die bis dahin als Firmensitz dient. "Aus deren Sicht
habe ich dort kleine Kapitalisten herangezüchtet. Das war, als hätte man ein Bordell im
Keller entdeckt." Einmal werden ihm die Reifen seines Autos aufgeschlitzt. Als schlimm
empfindet er auch die Anfeindungen der Teehändler, die sich in ihrer Existenz bedroht
fühlen. "Für die war ich der Marxist von der FU, der sie vernichten will."
Es gab aber auch Momente, in denen Faltin einfach Glück hatte. Als im Irak die Ölfelder
brannten und im Himalaja "schwarzer Regen" fiel beispielsweise. Wäre der Regen bis
Darjeeling gekommen, hätte dies für Faltins Jahreslieferung das Aus bedeutet - und
vielleicht auch für die Kampagne. Doch diese Klippen sind umschifft. Heute beschäftigt
das Unternehmen 18 festangestellte Mitarbeiter und zwei Auszubildende. Einige seiner
Studenten haben ähnliche Unternehmungen gegründet und handeln mit Heizöl,
Kosmetika oder Olivenöl. "Ideenkinder" nennt Faltin diese Projekte.
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Zweimal hätte Faltin die Teekampagne auch für zweistellige Millionenbeträge verkaufen
können. Er fragte die potentiellen Käufer nach ihren Plänen für das Unternehmen. Die
Antwort war ernüchternd: Die Preise erhöhen, die sind ja viel zu niedrig. Für Faltin war
das Thema damit durch. Ernsthafte Verkaufsabsichten habe er sowieso nicht gehabt.
"Ich wollte immer ein Modell in der Realität haben, um zu zeigen, dass es geht." Deshalb
arbeitet er nun daran, die Teekampagne in eine Stiftung einzubringen. "Ich will, dass
mehr Leute Entrepreneurs werden", lautet sein politische Botschaft. "Dass sie nicht auf
Jobs warten, sondern selbst welche schaffen."
fazjob.net/meinweg
Kastentext:
Ich über mich
Ein guter Arbeitstag beginnt mit ... ... einem guten Gedanken.
Die Zeit vergesse ich, wenn ... ... ich an einem Konzept tüftle.
Wer es in meinem Geschäft zu etwas bringen will, der ... ... darf nicht in erster Linie an
Geld denken.
Erfolge feiere ich ... ... eigentlich nie. Ich finde es viel spannender, das nächste Projekt
anzugehen.
Es bringt mich auf die Palme ... ... wenn Menschen sagen: "Das geht nicht."
Mit 18 Jahren wollte ich ... ... ein eigenes Unternehmen gründen.
Im Rückblick würde ich nicht noch einmal ... ... ein so langweiliges Ökonomiestudium
absolvieren wollen.
Geld macht mich ... ... nicht aufgeregt.
Rat suche ich ... ... bei langjährigen Freunden.
Familie und Beruf sind ... ... Begriffe, die vollgepackt sind mit Klischees, die Glück
mehr verhindern als fördern.
Den Kindern rate ich, ... ... ihren eigenen Weg zu finden. Ich habe nur Ideen-Kinder, so
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