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Politik Ausgabe 10 / 19. 10. 2011
Sachverständigen-Anhörung im Bundestags-Gesundheitsausschuss
Deh: Versorgungsstrukturgesetz
wird sein Ziel verfehlen
19.10.11 (ams). „Im konkreten Versorgungsalltag die Situation vieler Patientinnen
und Patienten spürbar“ verbessern, das will die Bundesregierung mit dem geplan-
ten Versorgungsstrukturgesetz erreichen. Doch der vorliegende Entwurf wird das
Ziel verfehlen. „Nur Berufsoptimisten glauben an die behaupteten Versorgungs-
verbesserungen und an die Ausgabenneutralität des Gesetzes“, sagt Uwe Deh,
Geschäftsführender Vorstand des AOK-Bundesverbandes, im Gespräch mit dem
AOK-Medienservice (ams). Das Versprechen, „dass nach den milliardenschweren
Ärztegeschenken der letzten Jahre nun spürbare Leistungsverbesserungen für Ver-
sicherte und Patienten als überfällige Gegenleistung kommen, wird nicht eingelöst“. Uwe Deh ist seit 1. Oktober
Deh vertritt in der öffentlichen Sachverständigen-Anhörung am 19. Oktober im 2011 Geschäftsführender
Bundestags-Gesundheitsausschuss die Positionen der AOK zum geplanten Gesetz. Vorstand des AOK-Bundes-
verbandes.
Zu den wichtigsten Kritikpunkten gehört, dass nur ein geringer Teil der zu-
sätzlichen Ausgaben den Landärzten zugute kommen soll. Die vorgesehene
Landarztförderung sei im Gesetzentwurf zu einem „Appendix verkümmert“.
„Wir unterstützen ausdrücklich die Maßnahmen, mit denen die Niederlas-
sung auf dem Land gefördert werden soll“, stellt Deh klar. Doch gerade mal
1,20 Euro pro Bundesbürger sind dafür vorgesehen. Gleichzeitig beinhaltet
das Gesetz Risiken, die erst zeitversetzt ihre Nebenwirkung entfalten werden
– zusätzliche Finanzierungslasten, die im Jahr 2013 die Summe von zwei
Milliarden Euro erreichen können. Dies sei angesichts der unsicheren Kon-
junkturaussichten eine gefährliche Hypothek für die finanzielle Stabilität des
Gesundheitssystems. „Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die Förderung
der Landärzte lediglich ein Vorwand ist, um ein buntes Wunschkonzert nach
Noten der Ärztelobby zur Aufführung zu bringen“, erläutert Deh. Beispielhaft
verweist er auf vorgesehene Regelungen wie den Wegfall von Begrenzungen
für extrabudgetäre Leistungen oder neue Einzelleistungen und Zuschläge.
Weg von der Formel „mehr Ärzte, mehr Geld“
Ohnehin, so der AOK-Vorstand, seien alle Bestrebungen, eine Unterversor-
gung in ländlichen Gebieten zu verhindern, zum Scheitern verurteilt, wenn
nicht gleichzeitig die Überversorgung in Ballungszentren angegangen werde.
„Sonst bleibt es wie in der Vergangenheit bei der Formel ,mehr Ärzte, mehr
Geld’. Doch genau diese Formel hat zur jetzigen Versorgungssituation ge-
führt“, kritisiert Deh. So dürfe der Aufkauf von Arztsitzen in überversorgten
Planungsbezirken nicht einfach der Freiwilligkeit der Kassenärztlichen Verei-
nigungen überlassen werden. Auch erteilt er allen Bestrebungen, durch kom-
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plexe Planungs-Mathematik je nach Interessenlage statistisches Elend zu
erzeugen oder reale Überversorgung zu verschleiern, eine Absage. Notwendig
sind nach Ansicht Dehs vielmehr neue Formen der Bedarfsplanung, die sich
am tatsächlichen Behandlungsbedarf der Versicherten vor Ort orientieren
und nicht an Sektorengrenzen haltmachen.
Chance auf Sektorenöffnung vertan
Doch auch an diesem Punkt geht aus Sicht der AOK das geplante Gesetz
nicht weit genug. Beispiel spezialärztliche Versorgung: Eine teilweise Öffnung
der Krankenhäuser für die ambulante Behandlung wäre für die Patienten
eine „erlebbare“ Verbesserung der Versorgung, weil es nicht erneut nur um
mehr Geld geht. Daher ist die AOK dafür, die spezialärztliche Versorgung
solide mit Bedarfsplanung und Verträgen in das System der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) einzubauen. Dafür hatten auch die Bundesländer
votiert. Nun aber zeichnet sich zwischen Bund und Ländern eine Annäherung
ab, nach der auf eine Bedarfsplanung in diesem Bereich vollends verzichtet
werden soll. Damit wird, wie der AOK-Vorstand erläutert, die Chance vertan,
mit klaren Regeln im Bereich der Behandlung von seltenen Erkrankungen und
hochspezialisierten Leistungen die Grenzen zwischen dem ambulanten und
stationären Bereich patientenorientiert zu öffnen. Das Beibehalten tradierter
Sektorenprivilegien, wie fehlender Leistungsbegrenzung, Überweisungsvor-
behalt und einer Abrechnung allein über die Kassenärztlichen Vereinigungen
konservierten vorhandene Fehlversorgung. „Damit erweisen sich die Länder
einmal mehr als unbewegliche Hüter der Überkapazitäten in Deutschland“,
kritisiert Deh.
Mehr Wettbewerb um Versorgungsgestaltung nötig
Mehr Möglichkeiten für einen Wettbewerb um die beste Versorgung vermisst
Deh auch bei dem Vorhaben, die Satzungs- und Ermessungsleistungen der
Krankenkassen zu erweitern. „In einem solidarischen System ist nicht das
Was an Leistungen der zentrale Wettbewerbsgegenstand, sondern das Wie:
Wie wird der Leistungsanspruch der Versicherten verwirklicht? Wie wird für
die Versicherten ein möglichst hohes Maß an Qualität und Wirtschaftlichkeit
erreicht? Und nicht zuletzt: Wie wird der Zugang zu bester Versorgung rechts-
sicher gestaltet?“, stellt er klar. Hier biete der Entwurf des Versorgungsstruk-
turgesetzes kaum neue Ansätze. Die politische Idee, den Kassenwettbewerb
in Richtung der Satzungsleistungen, also Leistungen außerhalb des garan-
tierten Leistungskatalogs, zu lenken, offenbare ein eigentümliches Verständ-
nis von Wettbewerb. Ein Pseudo-Wettbewerb mit erweiterten Kurmaßnahmen,
Erstattungen für verschreibungsfreie Arzneimittel oder höheren Zuschüssen
für Zahnbehandlungen könne nicht die Antwort für eine älter werdende Be-
völkerung und ihre sich ändernden Versorgungsbedarfe liefern. Deh: „Ziel-
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führende Optionen zur Schaffung patientengerechter Versorgungsangebote
oder zur vertraglichen Mitgestaltung der Versorgungslandschaft durch einen
Kassenwettbewerb sind nicht Gegenstand des Gesetzentwurfs.“
Evaluation neuer Methoden durch GBA sinnvoll
Positiv bewertet die AOK, dass künftig der Gemeinsame Bundesausschuss
(GBA) – die Selbstverwaltung von Kassen, Ärzten und Kliniken – neue Me-
thoden aussetzen und wissenschaftlich bewerten lassen darf, wenn der
Nutzenbeleg nicht ausreicht. Sinnvoll sei es auch, geeignete ambulante
Leistungserbringer in Studien an der Evaluation zu beteiligen. Dies dürfe
aber, erläutert Deh, nicht dazu führen, den Erlaubnisvorbehalt im ambulan-
ten Bereich auszuhöhlen. Danach dürfen in der ambulanten Versorgung nur
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden angewandt werden, die vom
GBA entsprechend erlaubt worden sind. In der stationären Versorgung hin-
gegen gilt der sogenannte Verbotsvorbehalt, der alle Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden ermöglicht, so lange sie nicht ausdrücklich vom GBA
verboten worden sind. Die Sinnhaftigkeit dieser Speziallösung im stationären
Bereich steht immer dann in Frage, wenn darüber ungesteuert Scheininnova-
tionen Einzug in die Patientenversorgung halten und erst in einem aufwendi-
gen Verfahren durch den GBA verboten werden müssen.
Damit im direkten Zusammenhang steht für AOK-Vorstand Deh die geplante
Reform des GBA. Denn dort sollen künftig sektorenübergreifende Versor-
gungsformen nur noch mit Zweidrittelmehrheit aus dem Leistungskatalog
ausgeschlossen werden können. Dadurch, so die Befürchtung, könne jeder
Ausschluss von medizinisch nicht erforderlichen medizinischen Verfahren
blockiert werden. Deh: „Das ist weder aus Sicht der Patientensicherheit
noch aus Sicht der Beitragssatzstabilität sinnvoll.“ Damit seien allein für
mehr zweifelhafte Behandlungsmethoden in Kliniken zusätzliche Ausgaben
von 500 Millionen Euro im Jahr zu erwarten. Dass künftig der GBA-Vorsitzende
vor Amtsantritt mindestens drei Jahre lang weder für eine der Trägerorganisa-
tionen noch im Krankenhaus, als Arzt, Zahnarzt oder Psychotherapeut tätig
gewesen sein dürfe, erleichtere die Situation nicht. „Denn dann kommen vor
allem ehemalige politische Mandatsträger sowie Mitarbeiter von Behörden
oder aus der Industrie für den Vorsitz in Frage“, kritisiert Deh.
Fragwürdiges Arzneimittel-Modell
Als letztlich kontraproduktiv wird aus AOK-Sicht das vorgesehene Modellvor-
haben zur Arzneimittelversorgung bewertet, das erst über Änderungsanträ-
ge in den Gesetzentwurf eingebracht worden ist. So soll das Konzept von
Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und Apothekerverbänden (ABDA)
erprobt werden, mit dem beide eine wirtschaftliche Arzneimittelversorgung
erreichen und an den Einsparungen beteiligt werden wollen. Dass dabei
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nicht, wie proklamiert, die Patienten im Mittelpunkt stehen, ist für Deh offen-
kundig. So soll die seit Jahrzehnten fixierte freiwillige Teilnahme der Patienten
an Modellvorhaben hier ausgehebelt und durch „Zwangsbeglückung“ ersetzt
werden. Um dies zu erreichen, ist dem Entwurf zufolge ein Schiedsgericht
vorgesehen, das seine Entscheidungen mit Zweidrittelmehrheit festsetzt.
Praktischerweise für Ärzte und Apotheker soll das Schiedsgericht zu glei-
chen Teilen mit Vertretern der Vertragsärzte, der Apotheker und der Kassen
besetzt sein. „Wie die Entscheidungen aussehen werden, wenn zwei Drittel
der Schiedsgericht-Mitglieder von dem Modellvorhaben profitieren, lässt sich
leicht ausrechnen“, merkt Deh an.
Viel sinnvoller als dieses Projekt sind nach seinen Worten die Arzneimittelra-
battverträge, die ihre Wirksamkeit längst bewiesen haben. „Deshalb begrü-
ßen wir, dass Regierung und Koalitionsparteien diese Auffassung teilen und
im Gesetzentwurf festhalten, dass die Rabattverträge auch in den Modellpro-
jekten gelten“, betont Deh. Dies sei schon aus rechtlichen Gründen nötig, da
geltende Arzneimittelrabattverträge nicht während ihrer Laufzeit außer Kraft
gesetzt werden könnten: „Die Pharmaunternehmen haben selbstverständlich
einen Anspruch darauf, dass die Verträge in vollem Umfang erfüllt werden.“
Skeptisch betrachtet die AOK die Tatsache, dass im Gesetzentwurf und den
zahlreichen Änderungsanträgen keine Einsparungen vorgesehen sind, mit
denen die absehbaren Mehrkosten zumindest teilweise aufgefangen werden
könnten. Geplant ist lediglich, die finanziellen Auswirkungen bis Ende April
2014 zu bewerten und eventuelle Mehrausgaben bei der Festlegung des
Sozialausgleichs aus Steuermitteln ab 2015 zu berücksichtigen. „Im Klartext
heißt das: Der Finanzminister hat sich gegen die finanziellen Risiken dieses
Gesetzes abgesichert, einen Schutz der GKV-Mitglieder vor zusätzlichen
Belastungen gibt es hingegen nicht“, moniert Deh und appelliert an die Ko-
alitionsparteien, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Möglichkeiten zur
Verbesserung des Versorgungsstrukturgesetzes zu nutzen.
(bho)
Weitere Infos:
www.reform-aktuell.de
Hintergrund:
185 Seiten umfasst der „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Ver-
sorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung“ – kurz: GKV-
Versorgungsstrukturgesetz –, den die Bundesregierung vorgelegt hat. Hinzu
kommen weitere mehr als 100 Seiten Änderungsanträge, die vorrangig von
den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP eingebracht worden sind und
ebenfalls Gegenstand der Sachverständigen-Anhörung am 19. Oktober im
Gesundheitsausschuss des Bundestags sind. Zahlreiche Änderungsanträge
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betreffen lediglich sogenannte redaktionelle Änderungen, wie etwa der Weg-
fall einer abgelaufenen Frist. Andere hingegen bringen völlig neue Aspekte
in das Gesetzgebungsverfahren, beispielsweise das Modellvorhaben zur
Arzneimittelversorgung.
Zur fünfeinhalbstündigen Anhörung im Gebäude des Bundesfinanzministeri-
ums haben 90 Verbände Stellungnahmen vorgelegt; diese werden teilweise
von Vertretern der Verbände vorgetragen. Außerdem haben die fünf Frakti-
onen acht Einzelsachverständige benannt – drei für die CDU/CSU-Fraktion,
zwei für die SPD-Fraktion und jeweils einer für die Fraktionen der FDP, der
Grünen und der Linkspartei.
Weitere Infos und Material zur Sachverständigen-Anhörung am 19. Oktober:
www.bundestag.de > Ausschüsse > Gesundheit > Öffentliche Anhörungen
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