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Jörg Hahn / Jens Schlesener



Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte




Diese Diplomarbeit wurde am Fachbereich Maschinenbau der Fachhochschule Trier im
Auftrag der Firma Medical Research and Development Patent GmbH & Co. KG im
Zeitraum von Mai 1997 bis Oktober 1997 erstellt.
Wir begrüßen Sie zum ersten Kontakt mit der Diplomarbeit „Konzeption einer Gehorthese für
Querschnittgelähmte.

Diese Datei enthält einige Hinweise zur Nutzung der CD-Rom. Die einzelnen Dateien sind
nach den Kapiteln der Diplomarbeit unterteilt:

• kapO enthält die Einführung in die Diplomarbeit

• kap 12 enthält die
Kapitel „1. Einleitungquot; und
Kapitel „2. Medizinische Grundlagenquot;,

• kap3 enthält das
Kapitel „3. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmtequot;,

• kap4 enthält das
Kapitel „4. Werkstoffe im Orthesenbauquot;,

• kap5 enthält das
Kapitel „5. Ideenfindungquot;,

• kap67 enthält die
Kapitel „6. Detaillösungenquot; und
Kapitel „7. Ausblickquot;,

• danach folgt der „Anhangquot; im Ordner anhang

Desweiteren sind auf dieser CD-Rom die während der Diplomarbeit erarbeiteten catia Model-
Files der Detailkonstruktionen und der Lösungskonzepte gespeichert

Die einzelnen Kapitel lassen sich mit MS-Word 7.0 öffnen.
Die catia Model-Files wurden mit der Version catia 4.1.7 erstellt.
Konzeption einer Gehorthese für Ouerschnittgelähmte




                                   Erklärungen




  1. Uns ist bekannt, daß die Diplomarbeit als Prüfungsleistung in das
      Eigentum des Landes Rheinland - Pfalz übergeht. Hiermit erklären wir
      unser Einverständnis, daß die Fachhochschule Trier diese Prüfungs-
      leistung von Studenten der Fachhochschule Trier einsehen lassen darf,
      und daß sie die Abschlußarbeit unter Nennung unserer Namen als
      Urheber veröffentlichen darf.




  2. Wir erklären hiermit, daß wir diese Diplomarbeit selbständig verfaßt,
      noch nicht anderweitig für andere Prüfungszwecke vorgelegt, keine
      anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt sowie
      wörtliche und sinngemäße Zitate als solche gekennzeichnet haben.




  Trier, den 24.10.97




  Jörg Hahn                            Jens Schlesener




Vorwort


Jörg Hahn & Jens Schlesener
Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte


Im April 1997 hat der technische Geschäftsführer Friedrich Schmitt der Trierer Firma
Medical Research and Development Patent GmbH & Co. KG (MRD) uns das Thema
quot;Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmtequot; für eine Diplomarbeit vorge-
schlagen. Da wir schon im Wintersemester 1995 / 1996 eine Konstruktionsarbeit aus dem
Bereich der Medizintechnik ausgeführt haben, hatten wir an diesem Thema sofort
Interesse.


An dieser Stelle möchten wir uns bei allen, die uns bei dieser Arbeit unterstützt haben,
bedanken; zuerst bei Herrn Prof. Dr. Ing. Michael Schuth für die Betreuung. Zudem stand
er uns jederzeit mit seinem Rat zur Seite und half uns bei der Bewältigung von Problemen.
Danken möchten wir der Firma MRD für die Aufgabenstellung und die interessanten Ideen
beim Brainstorming. Des weiteren möchten wir uns bei Dr. med. Bremer, Oberarzt in der
Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, und den Orthopädietechnikern der Klinik
bedanken. In Gesprächen beurteilten sie die einzelnen Lösungsvorschläge und zeigten uns
Möglichkeiten zu Verbesserungen auf, die den Bedürfnissen der Behinderten vollends
gerecht werden. Besonders dankbar sind wir Frank Schäfer, der durch seine offenen
Gespräche und die von ihm geknüpften Kontakte uns vieles über die Bedürfnisse von
Paraplegikern nahe bringen konnte. Auch war sein persönlicher Ehrgeiz und sein
Engagement in dieser Sache immer wieder Ansporn für uns, unsere Arbeit weiter
hartnäckig zu verfolgen. Durch ihn lernten wir auch Claudia Kübert und Gerd Kluth
kennen. Sie vermittelten uns in zahlreichen Gesprächen ein Gespür für die
Bewegungsabläufe beim Gehen von behinderten und gesunden Menschen und
unterstützten uns jederzeit bei orthopädischen Problemen. Abschließend bedanken wir uns
bei den zahlreichen Firmen, die uns Anschauungsmaterial zur Verfügung stellten. Sie sind
namentlich im Anhang aufgeführt.




Inhalt                                                                            Seite


Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                           IV
Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte


Zusammenfassung _____________________________________________________ Vll


1. Einleitung __________________________________________________________ 1
       1.1 Vorstellung der Firma MRD Patent GmbH & Co. KG __________________ 3
       1.2 Zeitplanung __________________________________________________ 4
       1.3 Zielsetzung ___________________________________________________ 6
       1.4 Anforderungsliste: Orthese für Querschnittgelähmte ___________________ 10


2. Medizinische Grundlagen _____________________________________________ 13
      2.1 Die Wirbelsäule _______________________________________________ 13
      2.2 Das Rückenmark ______________________________________________ 14
      2.3 Querschnittlähmung ____________________________________________ 16
      2.4 Einstufung nach der Höhe der Rückenmarkschädigung _________________
       17


3. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte ________________ 19
      3.1 Rollstühle ____________________________________________________ 19
      3.2 Funktionelle Elektrostimulation und Neuroprothesen (Nerven aus Draht) ___ 20
      3.3 Orthesen _____________________________________________________ 21
      3.4 Reziproke Gehorthesen _________________________________________ 21
             3.4.1 Die quot;LSU Reciprocation-Gait Orthosisquot; _____________________ 23
             3.4.2 Die quot;Isozentrische ARGIOquot; ______________________________ 25
             3.4.3 Der quot;Parawalkerquot; ______________________________________ 27


4. Werkstoffe im Orthesenbau ___________________________________________ 28
      4.1 Polyethylen und Polypropylen ____________________________________ 29
      4.2 Carbonfaserverstärkte Kunststoffe _________________________________ 30
      4.3 Aluminium ___________________________________________________ 31
      4.4 Edelstahl_____________________________________________________ 32
      4.5 Titan ________________________________________________________ 32
      4.6 Sonstige verwendete Materialien __________________________________ 33
5. Ideenfindung _______________________________________________________ 35
      5.1 Problemdarstellung ____________________________________________ 36


Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                         V
Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte


      5.2 Lösungsfindung _______________________________________________ 37
            Vorstellung der Gesamtlösungen __________________________________ 42
      5.3

               5.3.1 Details, die alle Lösungen aufweisen ________________________ 42
      5.4 Beschreibung der vier Lösungsvorschläge ___________________________ 43
               5.4.1 Lösung 1: Gestänge-Hebelarmkombination mit Hydraulikantrieb __ 44
               5.4.2 Lösung 2: Anatomische CFK-Schienen mit elektromotorischen
                    Antrieben _____________________________________________ 47
               5.4.3 Lösung 3: Seilzuggesteuerte Orthese mit elektromotorischen
                    Antrieben _____________________________________________ 52
               5.4.4 Lösung 4: Seilzuggesteuerte Orthese mit hydraulischen Antrieben _54
      5.5 Vergleich der Lösungen _________________________________________ 60
      5.6 Vergleichssystematik ___________________________________________ 65
      5.7 Auswertung der Vergleichsystematik _______________________________ 67


6. Detaillösungen ______________________________________________________ 72
      6.1 Das Hydrauliksystem ___________________________________________ 72
               6.1.1 Experimentelle Ermittlung der notwendigen Längenänderungen __ 76
      6.2 Aufnahme der Hydraulikzylinder __________________________________ 77
      6.3 Anbindung der Bowdenzüge _____________________________________ 78
      6.3.1 Plazierungen der Anbindungen __________________________________ 80
      6.4 Führung der Bowdenzüge________________________________________ 81
      6.5 Bandagen ____________________________________________________ 81
      6.5.1 Individuelle Bandagenanpassung durch Klettverschlüsse _________           81


7. Ausblick ___________________________________________________________ 84


Anhang ______________________________________________________________ 86


      Anhang A: Primärenergieversorgung über einen Druckspeicher _____________ 86
      Anhang B: Vorschläge zur Gestaltung der Steuerung bzw. Regelung _________ 87




Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                           VI
______________________ Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte


      Anhang C: Kontakte zu Betroffenen, Medizinern und Krankengymnasten _____
       88
      Anhang D: Firmen, zu denen im Verlaufe der Arbeit hilfreiche Kontakte
                 geknüpft wurden _________________________________________ 89
       Anhang E: Firmen, deren Produkte in der Diplomarbeit vorgeschlagen wurden _89
      Anhang F: Quellenverzeichnis _______________________________________ 90
      Anhang G: Diplomanden ___________________________________________ 93




Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                      VII
Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte


Zusammenfassung


Der erste Kontakt eines Studenten mit seiner Diplomarbeit ist die Überschrift des Themas,
danach folgt meist eine kurze Erläuterung. Aufgrund dieser wenigen Informationen wird
entschieden, ob das Thema der Fachrichtung entspricht, in der man später beruflich tätig
sein möchte, und inwiefern das Thema für den jeweiligen Diplomanden genug
Motivations-grundlage bietet, um die Diplomarbeit mit Erfolg abschließen zu können.
Diese Zusammenfassung soll hierfür eine Entscheidungshilfe und Motivationsgrundlage
sein.


Die Trierer Firma MRD Patent GmbH & Co. KG hat das Thema quot;Konzeption einer
Gehorthese für Querschnittgelähmtequot; im April 1997 angeboten und notwendige finanzielle
Mittel zugesagt. Zu Beginn war eine umfangreiche Einarbeitung in die Thematik, speziell
in den medizinischen Themenbereich Querschnittlähmung, erforderlich. Neben der
üblichen Literaturrecherche wurden Kontakte zu Betroffenen, Firmen, Krankengymnasten
                            und Ärzten geknüpft. In dieser Phase wurden die medizinischen
                  Grundlagen erarbeitet, der Stand der Technik von reziproken
                  Gehorthesen festgestellt und eine Vorauswahl an Werkstoffen
                  getroffen.
                   In    zahlreichen     Gesprächen      mit   Querschnittgelähmten        wurden
                   ihre Bedürfnisse an die Orthese bestimmt, damit nicht am
                   Kunden      vorbei      konstruiert    wird.      Aus     den    Bedürfnissen
                   entstanden zum einen Ideen, die konstruktiv umgesetzt wurden
                   und     zum      anderen      die     Bewertungskriterien         und        deren
                   Gewichtung     innerhalb      einer    Konstruktionssystematik.         In     der
                   Orthopädischen       Universitätsklinik     in    Heidelberg     wurden        die
                   Lösungsansätze        mit    Medizinern          und     Orthopädietechnikern
                   besprochen, kritisiert und verbessert. Die krankengymnastische
                   Abteilung      der      Rehabilitationsklinik          Burg     Landshut        in
Bild 1: Virtueller Bernkastei - Kues (RPL) hat uns beraten, in welchen Rahmen
Computer - Dummy
als erste Testperson ein Gehen mit der Gehorthese möglich ist und unsere


Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                                      VIII
Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte


Lösungskonzepte in bezug auf die menschliche Anatomie überprüft.
Die Lösungskonzepte wurden als Symboldarstellungen 3-dimensional mit CATIA
gezeichnet. Dazu war es notwendig einen virtuellen Computer - Dummy zu entwickeln, an
den die Orthese angepaßt werden komite. Der in Bild 1 dargestellte Computer - Dummy
weist die wesentlichen physiologischen Merkmale - kräftiger Oberkörper gegenüber
atrophierten Beinen - eines Querschnittgelähmten auf. Eines dieser Lösungskonzepte, das
                                 in Bild 2 dargestellte quot;Seilzuggesteuerte Orthese mit
                          hydraulischen             Antriebenquot;           wurde          durch          eine
                                                                            Konstruktionssystematik


                                                                                                        zur


                          Detailkonstruktion
                          ausgewählt.        Diese        besteht     aus      einem     System        von
                          Bandagen,         das    zur     Einleitung       bzw.    Abstützung          der
                          Momente und zur Befestigung des Antriebes dient. Der
                          Antrieb, der der menschlichen Anatomie nachempfunden
                          ist,    besteht     aus     hydraulischen         Linearmotoren,            deren
                          Hubbewegungen über Seilzüge auf die Beine übertragen
                          werden. Als Steuerung bzw. Regelung wird eine SPS
                          (Speicherprogrammierbare                Steuerung)       verwendet.          Ihre
                          Signale wirken auf Ventilblöcke, die die Energie des
                          Druckmediums an die Antriebe verteilen.


                          Strenggenommen ist an diesem Punkt das Thema der
                          Diplomarbeit            quot;Konzeption          einer       Gehorthese           für
                          Querschnittgelähmtequot;             ausgefüllt.      Als    Schnittstelle        für
                          weiterführende          Arbeiten          wurde      jedoch     noch         eine
                          Detailrecherche durchgeführt, deren Ergebnisse im Kapitel
                          quot;Detaillösungenquot; abschließend aufgeführt sind. Außer der
                          Detailkonstruktion bietet sich für weitere Diplomarbeiten
                                 die   Konstruktion         der     Energieversorgung           und     die
                                 Entwicklung        der     Steuerung       bzw.        Regelung        der
                                 Bewegungsabläufe an. Ideen hierzu, die während dieser
                                 Arbeit entstanden sind, sind im Anhang aufgeführt.
Bild 2: Seilzuggesteuerte
Orthese mit hydraulischen
Antrieben

Jörg Hahn & Jens Schlesener   IX
Einleitung


1. Einleitung


Vor etwa 35 Jahren führte eine Querschnittlähmung in der Regel innerhalb weniger
Wochen oder Monate zum Tode des Betroffenen. Für die wenigen Überlebenden bedingte
eine schwere Schädigung des Rückenmarks in jedem Fall einen lebenslangen Zustand der
Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit.


Diese Situation hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Es ist heute möglich, die
überwiegende Mehrzahl der an Folgen einer schweren Erkrankung oder Verletzung des
Rückenmarks Leidenden am Leben zu erhalten. Allerdings ergibt sich diese Verbesserung
der Überlebenschancen nur unter der Voraussetzung, daß jeder Querschnittgelähmte
sogleich und letztlich für sein ganzes Leben die erforderliche und in erheblichen Umfang
spezialisierte Behandlung erfährt, und daß er selber konsequent die Regeln und
Bedingungen beachtet, die die Behinderung und ihre Folgen von ihm fordern.


In Deutschland sind jährlich etwa 1000 - 1200 Neuerkrankungen oder Verletzungen mit der
Folge einer schweren Schädigung des Rückenmarks und hieraus resultierend einer
Querschnittlähmung zu verzeichnen. Eingeschlossen in diese Zahl sind etwa 300 Kinder,
die mit schweren Fehlbildungen des Rückenmarks und der Wirbelsäule (Spina bifida)
geboren werden. In erster Linie sind Verkehrsunfälle für etwa 60 Prozent aller
traumatischen Rückenmarkschädigungen verantwortlich. Bemerkenswert ist, daß die
Mehrzahl von querschnittgelähmten Verkehrsopfern ihre Schädigung dadurch erleiden, daß
sie aus dem Kraftfahrzeug heraus- oder im Fahrzeugraum umhergeschleudert werden.
Unter mehr als 1000 durch Kraftfahrzeugunfälle querschnittgelähmten Personen hatten
weniger als 10 in einem mit Nackenstützen ausgestatteten Auto einen korrekten
Sicherheitsgurt getragen. In den letzten Jahren hat die Zahl der Querschnittlähmungen
durch Moped- und Motorradunfälle deutlich zugenommen. Zu erwähnen ist schließlich die
Tatsache, daß bei mehr als der Hälfte der durch Verkehrsunfälle verursachten
Querschnittlähmungen dem Alkoholmißbrauch eine mitverursachende Rolle zugeschrieben
werden muß. Des weiteren kommt es nicht selten in Folge von Sport- und Spielunfällen zur
Querschnittlähmung. Als Ursache zu nennen sind hier insbesondere Badeunfälle
(Kopfsprünge in unbekannte Gewässer und Sprünge vom Seitenrand öffentlicher


Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                            1
________________________________________________________________ Einleitunfi


Schwimmbäder), Unfälle beim Trampolinturnen, beim Reiten und Skifahren. Von
Querschnittlähmungen als Folge von Unfällen am Arbeitsplatz sind insbesondere Personen
betroffen, die in der Landwirtschaft (Stürze von der Leiter oder vom Baum, Verletzungen
durch Landmaschinen), im Baugewerbe (Stürze von Baugerüsten oder in Baugruben
hinein) und im Untertagebau tätig sind. Neben den keineswegs seltenen häuslichen
Unfällen, von denen vor allem Hausfrauen und ältere Personen betroffen sind, spielen
bedauerlicherweise Selbsttötungs- und        Fremdtötungsversuche als Ursachen          von
Querschnittlähmungen eine erhebliche Rolle. Eine Querschnittlähmung kann auch durch
Entzündungen des Rückenmarks und der Wirbelsäule, Tumoren oder neurologischen
Systemerkrankungen (Multiple Sklerose) hervorgerufen werden [1].


Querschnittgelähmte sind je nach Krankheitsbild auf Hilfsmittel zur Rehabilitation und zur
Bewältigung des Alltages angewiesen. Die Orthopädietechnik bietet hier eine Vielzahl von
Orthesen an, die den Querschnittgelähmten bezogen auf sein Krankheitsbild in seinem
Umfeld beweglicher machen sollen und seine physische Konstitution erhalten oder sogar
verbessern sollen. Diese Orthesen sind oft schwierig zu handhaben. Das Gehen eines
Querschnittgelähmten mit einem sogenannten reziproken Apparat ist nur sehr begrenzt
möglich. Ein großes Problem hierbei sind die sehr begrenzten Kräfte des Betroffenen,
zumal es sehr schwierig ist, diese Kräfte, in der Regel die Kräfte des Oberkörpers, für eine
Gehorthese zu nutzen. Hier soll, ausgehend von bestehenden Systemen, mit weiterem
technischen Einsatz eine Verbesserung erzielt werden.


Im Rahmen dieser Konstruktion wird das Konzept für den Prototypen einer Gehorthese für
Querschnittgelähmte erstellt. Bei der Konzeption der Orthese wird vom Krankheitsbild
eines einzelnen Querschnittgelähmten, der sich als Versuchsperson angeboten hat,
ausgegangen. Die Orthese muß, wie es in der Orthopädie üblich ist, individuell an den
Betroffenen angepaßt werden. Sie soll durch einen externen Antrieb und eine externe
Energieversorgung den Gang des Querschnittgelähmten unterstützen. Diese Möglichkeiten
werden optional in der Konstruktion berücksichtigt, so daß ein Antrieb einfach adaptiert
werden kann.




Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                               2
1.1 Vorstellung der Firma MRD Patent GmbH & Co. KG


Forschung und Entwicklung im medizinisch-technischen Bereich sind die
wesentlichen Arbeitsinhalte des 1995 von Friedrich Schmitt gegründeten


                                                                                 MRD'
Unternehmens Medical Research and Development Patent GmbH & Co.
KG.


Zur Zeit beschäftigt die Firma MRD 11 fest angestellte Mitarbeiter. Neben den fest
angestellten Mitarbeitern unterstützen ständig etwa 20 Fachleute von Hochschulen und
Instituten die Firma MRD. Die MRD Beschäftigten kommen aus den unterschiedlichsten
Berufsfeldern, z.B. Ingenieure für bio-medizinische Technik, Ingenieure für Maschinenbau
oder ein Schreiner. Bei MRD steht die Fähigkeit, Dinge zu durchschauen, im Vordergrund.
Durch die Mischung unterschiedlicher beruflicher Fähigkeiten wird die innovative Arbeit
gefördert.


MRD erzielt mit diesem Konzept beachtliche Erfolge. Derzeit hält die Firma 23 Patente
und belegt damit auf dem rheinland-pfälzischen Patentindex des vergangenen Jahres Platz
zwei hinter der BASF.


MRD hat bisher folgende Produkte von der Patentanmeldung bis zur Marktreife
entwickelt:
        • MRD Möbelsystem EVOLUTION (Bild 1 und 2)
        • MRD Zytostatika-Sicherheitswerkbank Zyto Safe®


MRD hält unter anderem Patente für folgende Produkte:
        • Luftreinigungsanlage
        • Anti-Schnarch-Klammer
        • Herzklappe


Ein Produktbeispiel ist das Möbelsystem EVOLUTION, ein Einrichtungssystem für
Praxen, Krankenhäuser etc. Es ist ein Modulsystem, bei dem die Knotenstücke, die jeweils
nur so viele Gewindebohrungen aufweisen wie für die Verbindung nötig sind, mit


                                                                                      3
Jörg Hahn & Jens Schlesener
Einleitung


Rundrohren verbunden werden (Bild 1.1). Die Flächenwerkstoffe können nach Gefallen
und Verwendungszweck z.B. für Schränke, Schreibtische oder Empfangstresen ausgewählt
werden (Bild 1.2). Die patentierte Konstruktion erlaubt den problemlosen Austausch aller
Teile auch ohne Demontage.




Bild 1.1 :Die Knotenstücke werden mit
          Rundrohren verbunden
                                                       Bild 1.2: Ein Anwendungsbeispiel
                                                       von
1.2 Zeitplanung
                                                                FVOT T TTTfYN


Das Hochschulgesetz sieht für eine Diplomarbeit, die reibungslos abläuft, einen Zeitraum
von 26 Wochen vor. Das ist in diesem Fall die Zeit vom 24.04. - 24.10.1997. Die
Verteilung der Arbeitszeit in Wochen veranschaulicht folgender Zeitplan:


Berechnung der Gesamtarbeitsstundenzahl:
       • Im oben genannten Zeitraum liegen 124 Arbeitstage.
       • Es wird eine durchschnittliche Arbeitszeit von 8 Stunden pro Tag berechnet.
       • Die Zeit wird zu 2/3 von beiden Studenten gemeinsam, und zu 1/3 jeweils
          einzeln genutzt.


Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                               4
Einleitung




Daraus ergibt sich die Gesamtstundenzahl:
 124 Arbeitstage x 8 Stundei}4,„ x 1.5 * 1300 Stunden
                                Tag



 Stand: Do. 25.09.97
Arbeitsabschnitt     Kalenderwoche 1997
                               Mai                 Juni               Juli            August           September
                                                          2           2
                       i   i   2           2        2         7   8                                     3   3
                                               2                                       3       3                    4           4
                                   2                                          3            3       3            3       4   4
                                                                          3       3
                                       2
                                                          6           9
                       8       0           3        5                                                   7   S
                                               4                                       3       5                    0           3
                                   1                                          1            4       6            9       1   2
                                                                          0       2
                                       2
Layout der einzelnen
Kapitel
Recherche

Erarbeiten d. medi-
zinischen Thematik
Auswertung der
Recherche
Gliederung

Konstruktion

Ideenflndung

Detailrecherche

Werkstoffauswahl

Zwischen-
präsentation
CAD

Endgültiges Layout
                                       1   2   1              7   7   7
                           i                                                           3   4                            4   4
                                                                                  3                3                4           4
                       1                                                  3   3                             3   3
                                                                                               3        3
                                   ?                      7
                               l                    1
                                       2   3   4              7   8   9
                           9                                                                                            1   2
                                                                                  2                6                0           3
                       8                                                  0   1                             8   9
                                                                                               5        7
                                   1
                               0                          6
                                                    5
                                                                      Juli
                               Mai                 Juni                               August           September




Der Zeitplan beginnt mit einer umfangreichen Recherche, weil die Thematik „Konzeption
einer Gehorthese für Querschnittgelähmtequot; für die Firma MRD und uns eine ganz neue
Herausforderung ist. Daran schließt sich eine Einarbeitungs- und Auswertungsphase an.
Nach 11 Wochen beginnt die Konstruktionsphase mit der Ideenflndung zu konkreten
Lösungsansätzen. In der 19. Woche findet eine Zwischenpräsentation statt. Hier wird mit
Herrn Prof. Dr. M. Schuth und der Firma MRD abgeklärt, welche Lösungsansätze
detailliert werden. Die Konstruktionsphase beinhaltet neben der Werkstoffauswahl und der

Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                                                                     5
Einleitung


Ausarbeitung     mit     dem    CAD     Programm     CATIA     einige      Detailkonstruktionen    als
Schnittstelle zu weiterführenden Arbeiten. Bis zum Ende der Konstruktionsphase wird
parallel zu den Ausarbeitungen das Layout der fertigen Kapitel vorgearbeitet. Der Zeitplan
endet mit einem zweiwöchigen Zeitraum, in dem die Diplomarbeit endgültig zu Papier
gebracht wird.


1.3 Zielsetzung


Im Brainstorming werden zu Beginn der Arbeit die Assoziationen aller Beteiligten zum
Thema „Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmtequot; festgehalten. Hieraus
ergibt sich der größtmögliche Rahmen des Projektes mit vielen Möglichkeiten, die zwar
denkbar, jedoch in ihrer Vielfalt nicht realisierbar sind. Abgesehen davon, daß in dieser
Diplomarbeit die Konzeption des mechanischen Gestells gefordert ist, wird nachfolgend
stichpunktartig der gesamte Umfang der ersten Ideenfindung dargestellt, um einen
Gesamteindruck über das Ausmaß des Projektes zu gewinnen.




Ideen zur Recherche:
   • Literatur
   • Internet
   • Patentrecherche

   • Befragung         der   Betroffenen;   hauptsächlich   Paraplegiker     (Paraplegie    =
      Querschnittlähmung bei voller Funktion der Arme)
   • Unterstützung durch Paraplegiker Verbände und Vereine
   • Unterstützung durch Kliniken und Rehabilitationszentren
   • Unterstützung durch Orthopädie-Techniker
   • Unterstützung durch Werkstätten der Orthopädietechnik
   • Unterstützung durch Hersteller orthopädisch technischer Werkstoffe, Gelenke und
      Schienen




Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                                         6
Einleitung


Ideen zu Funktionen:
  • Die Orthese soll es dem Querschnittgelähmten ermöglichen, für einen bestimmten
     Zeitraum selbständig zu gehen.
  • Die Orthese soll die Stützfunktionen aus dem Zusammenspiel von Skelett und
     Muskeln eines gesunden Menschen ersetzen.
  • Die Othese soll die gleiche Steifigkeit aufweisen wie der menschliche Körper.
  • Die Orthese muß mit einem Antrieb und einer Energiequelle versehen werden, um
     die fehlende Beinkraft zu ersetzen.
  • Die Orthese kann mit einem künstlichen Gleichgewichtssinn versehen werden.
  • Die Handhabung der Orthese könnte über ein Bussystem mit einer SPS
     (speicherprogrammierbare Steuerung) gesteuert werden.


Ideen zum Aufbau:
  • Die Orthese kann aus Schalen, die den Kontakt zum Körper herstellen, und aus
     orthopädischen Schienen und Gelenken zusammengesetzt werden.
  • Das funktionsfähige menschliche Skelett soll mit seiner Stützfunktion und seinen
     Gelenken komplett integriert werden.
  • Aufbau als „mechanische Hosequot;: Ein Gestell, in das der Querschnittgelähmte von der
     Brust an bis einschließlich der Füße integriert wird.
  • Aufbau als „mechanische Shortsquot;: Ein Gestell wie die mechanische Hose, das nur bis
     zu den Knien alle Funktionen (z.B. Funktionen zum Antrieb oder zur Unterstützung
     des Gleichgewichtes) erfüllt. Weiter abwärts hat die Orthese nur noch Stützfunktion,
     und es ist keine Adaption weiterer Funktionen unterhalb der Kniegelenke möglich.
  • Aufbau als „mechanische Shortsquot;: Die Orthese endet unterhalb der Kniegelenke. Das
     Sprunggelenk wird durch einen orthopädischen Schuh abgestützt. Die Bewegung des
     Unterschenkels wird wie bei einer Oberschenkelprothese erzeugt.
  • Alle Varianten sollen direkt an die Anatomie des Querschnittgelähmten angepaßt
     werden.
  • Der Betroffene soll in der Lage sein, die Orthese selbst anzulegen.
  • Die Orthese soll über ein System von Schnellverschlüssen einfach in der
     Handhabung sein.
Ideen zu Werkstoffen:

Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                             7
Einleitung


  • Alle Werkstoffe müssen nach Möglichkeit äußerst leicht sein, hohe Festigkeit und
     hohe Korrosionsbeständigkeit aufweisen. Hier können Werkstoffe, wie sie im
     Segelsport verwendet werden, mit ihren äußerst beständigen Eigenschaften und
     zusätzlicher Leichtbauweise verwendet werden
  • Einzeln angepaßte Schalen können aus modernen Verbundwerkstoffen, wie Carbon-
     oder Glasfaser verstärkte Werkstoffe, hergestellt werden.
  • Für die Gelenke kann Edelstahl oder Titan verwendet werden.
  • Für Stützschienen kann Aluminium oder Titan verwendet werden.


Ideen zum Einsatzort:
  • Einsatz innerhalb der eigenen Wohnung: Hier kann evtl. auch während des
     Gebrauches eine Aufladung der Energieversorgung stattfinden.
  • Einsatz im Freien: Hier muß das Überwinden von schon kleinsten Hindernissen, wie
     unebener oder weicher Untergrund berücksichtigt werden.
  • Einsatz für Rehabilitationszwecke, also ausschließlich im Rahmen ärztlicher
     Behandlung
  • Vom Einsatzort ist die Dauer des Einsatzes mitbeeinflußt.


Ideen zur Energieversorgung und Energieübertragung:
  • Die Energieversorgung soll am Körper getragen werden. Dazu muß sie leicht sein
     und darf keine Gefahr darstellen.
  • Es soll keine Energie „verschenktquot; werden. So soll Gewicht gespart werden. Nach
     Möglichkeit soll versucht werden, Energie zurück zu gewinnen.
  • Nutzung der Wärmeenergie des Körpers über einen Wärmetauscher
  • Rückgewinnung von Energie beim Auftreten durch einen „Schuhsohlengeneratorquot;
  • Einbeziehen des körpereigenen Biogases in den Energiehaushalt
  • Die Leistungsfähigkeit der Arme soll in vollem Umfang genutzt werden.
  • Energie aus einem Drucklufttank ist mechanisch einfach zu verteilen.
  • Energie durch einen Verbrennungsmotor, der auf dem Rücken getragen werden kann:
     Vorteilhaft ist hierbei die hohe Energiedichte der Treibstoffe. Bei der Verwendung
     von Wasserstoff fallen sogar störende Abgase weg. Aus dem Modellbau können
     hierfür Erfahrungen übernommen werden.

Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                          8
Einleitung


  • Elektrische Energie ist über eine SPS und ein Bussystem einfach zu steuern und am
     Körper zu verteilen.
  • Elektrische Energie kann auf vielerlei Weise bereitgestellt werden:
     a) Durch leistungsfähige Akkus, wie sie bei Heimwerkerwerkzeugen zu finden sind
     b) In der eigenen Wohnung ist eine Energieversorgung über ein Oberleitungssystem
        wie bei Straßenbahnen denkbar. Hierüber kann während der Nutzung gleichzeitig
        ein Akku wieder aufgeladen werden.
     c) Im   Auto ist das Aufladen         eines Akkus      über einen Anschluß am
        Zigarettenanzünder denkbar.
     d) Bei Gebrauch im Freien und bei Sonnenschein kann Energie über eine mit
        Solarzellen bestückte Jacke erfolgen.


Beim Brainstorming ist Kritik gegen einen Lösungsansatz nicht zugelassen. Da diese
Auflistung das Ergebnis eines Brainstorming ist, beinhaltet sie nur Vorteile zur Nutzung
der Vorschläge, obwohl bei vielen Vorschlägen sich Kritik insbesondere hinsichtlich der
Realisierbarkeit aufdrängt. Um bei der Arbeit zu einem guten Ergebnis gelangen zu
können, muß also, so gut wie dies im Vorfeld möglich ist, abgewägt werden, welche
Inhalte wirklich realisierbar sind und den Rahmen einer Diplomarbeit sinnvoll ausfüllen.


Nach dieser Abwägung ist das Lastenheft im folgenden Abschnitt entstanden.




1.4 Anforderungsliste: Orthese für Querschnittgelähmte




Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                                9
E
                                                                                in Stand:
                                                                                leitung
 F=Forderung, W=Wunsch
03.07.1997
Ander.               Anforderungen                                              Verantw.
              F/
              W
                     Zweck:
                     - Hauptproblem: Querschnittlähmung (Paraplegie)
                     - Gehhilfe für Querschnittgelähmte
              F      - Stützen des Körpers
                     - Durch externen Antrieb wird aufrechter Gang ermöglicht
              F        a) - mit fremder Hilfe
              W        a) - ohne fremde Hilfe
              F        a) - in der Ebene
              W        a) - Treppe
              W        a) - auf verschiedenem Untergrund
                     - Erhöhen der Selbständigkeit —> Erhöhen des
                     Selbstwertgefühls
                     Stand der Technik:

                     - Patentrecherche läuft                                    MRD
01.07.97             - Patente über angetriebene Orthesen existieren nicht      MRD
                     Markt:
                     - siehe Recherche
                     Zielgruppe:


03.07.97             - Querschnittgelähmte, Reha-Zentren
                     - Paraplegiker
                     Anzahl:

                     - ein Prototyp für Christian Elbeshausen (C.E.)            Zus.-
              w
                                                                                Arbeit
                                                                                mit C.E.
                     Produktausführung:
              F
                     - individuelle Anfertigung

              F      - Gesamtgeometrie wird durch Patienten bestimmt
              W
                     - Gewicht soll der atrophierten Muskelmasse entsprechen

              W      - Menschlicher Gang, v ca. 0,8 m/s
                     Kräfte:
                     - Masse des Körpers
                     - Trägheitskräfte
                     - (Druckkräfte nimmt Skelett teilweise auf)



Ander.    F/ Anforderungen                                                      Verantw.
          W
Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                                 10
w      - Laufzeit: 2h/Tag über 30 Jahre ~>21900h ->79*10A6
                     Schritte
            w      - Steifigkeit soll der des Knochen entsprechen
                   Energie:
                   - (gesunder Mensch kann kurzfristig 500W leisten)
                   - nötige Bewegungsenergie + Verluste der Übertragung
                   - Energiezufuhr und -Umformung wird nicht im Detail
                     behandelt
 03.07.97 W        - Konstruktive Lösung der Energieumformung

                   Stoff:
                   - Patient, (Skelett, Muskeln, Sehnen)
                   - Gerüst (GFK, CFK, AI, Ti, usw.)

                   Signal:
                   - Bewegungsbefehle des Patienten zur Regelung
                   - von der Regelung zur Energiequelle
                   - von der Energiequelle zu den Antrieben
                   - von den Antrieben zur Regelung

                   Sicherheit:
                   - Einhaltung des Medizinproduktegesetz bzw. Richtlinie
 03.07.97   W
                      93/42 EWG

                   Ergonomie:
                   - Bedienung:
                   a) einmaliger Reiz ruft gespeicherten Bewegungsablauf
                      auf
                   b) andauernder Reiz für den Bewegungsablauf
                   - Form: Anlehnung an natürlichen Körperbau
          W
                   - mit fremder Hilfe anzuziehen
          F
                   - ohne fremde Hilfe anzuziehen
          W
                   - Gleichgewichtserhalt mit Unterarmstützen
 03.07.97 F
                   - Gleichgewichtserhalt ohne Unterarmstützen
 03.07.97 W

                   Fertigung:
                   - einzeln angefertigte Schalen
                   - gleichbleibende Teile wie Gelenke usw. sind
                     Standardteile

                   Kontrolle:
                   - Probelauf und Softwareverifikation

                   Montage:
                   - nach Anfertigung der Formteile Fertigmontage in der
                     Werkstatt



Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                 11
Einleitung


Ander.        Anforderungen                                              Verantw.
         F/
         W
              Gebrauch:
         F    - bis Ende des Lebensdauerzyklus
         W    - Tod des Patienten, danach recyclen
              -Ort:
         F    a) innerhalb geschlossener Räume
         W    a) außerhalb geschlossener Räume
              Emissionen:
              - Lärm (mechanische Geräusche), andere je nach Antrieb
              Instandhaltung:
              - nach gewisser Stundenzahl Sichtkontrolle der einzelnen
              Komponenten
              Kosten:



              - Entwicklungkosten                                        MRD
              - Herstellungskosten                                       u.FH
              - Materialkosten
              Termine:

          F   - siehe Zeitplan
     Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                        12
Medizinische Grundlagen


2. Medizinische Grundlagen


In den folgenden vier Abschnitten werden die Wirbelsäule des Menschen und das
Rückenmark beschrieben. Des weiteren wird eine Basis geschaffen, um das Thema
Querschnittlähmung auch medizinisch zu begreifen.



2.1 Die Wirbelsäule




Bild 2.1: Die Wirbelsäule des Menschen (Columna vertebralis) mit Bezeichnung der
          einzelnen Abschnitte und Wirbel

In Bild 2.1 ist die Wirbelsäule des Menschen dargestellt. Oben befinden sich die sieben
Halswirbel Cl - C7 (Vertebrae cervicales I -VII). Weiter oben sind keine Wirbelelemente
mehr.   Hier mündet das verlängerte Rückenmark (Medulla oblangata) in den

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Medizinische Grundlagen


Schädelknochen und stellt so die Verbindung zum Gehirn her. Unter den Halswirbeln
schließen sich die zwölf Brustwirbel an (Vertebrae thoracicae I - XII). Bei einer
Schädigung (Läsion) des Rückenmarks in diesem Bereich spricht man von einer thoracalen
Lähmung. Unter den Brustwirbeln befinden sich die fünf Lendenwirbel (Vertebrae
lumbales I -V). Bei Läsionen in diesem Bereich spricht man von lumbaler Lähmung. Der
unterste Abschnitt der Wirbelsäule ist das Steißbein (Os sacrum). Die Wirbelelemente sind
hier zu einem Knochen zusammengewachsen. Im Querschnitt der Wirbelsäule ist der
Wirbelkanal (Canalis vertebralis) zu erkennen. In diesem Kanal verläuft das Rückenmark.
Es wird durch die Wirbelsäule vor Verletzungen geschützt und zugleich im flexiblen
Wirbelkanal geführt.


2.2 Das Rückenmark


Das Rückenmark (Medulla spinalis) ist im Bild 2.2 farblich hervorgehoben. Es ist ein
langer dicker Strang von Nervenfasern und Nervenzellen sowie Bindegewebe im
Rückenmarkskanal (Canalis vertebralis) der Wirbelsäule. Es wird in die gleichen
Abschnitte (cervical-, thoracal-, vertebral- und sacral Abschnitt) wie die Wirbelsäule
unterteilt. Die Abschnitte sind im Bild 2.2 gelb, rot, blau und weiß hervorgehoben. Eine
weitere Unterteilung des Rückenmarks - den Wirbeln entsprechend - erfolgt in sogenannte
Rückenmarksegmente. Eine Besonderheit der acht Halsmarksegmente (Segmenta
cervicalia I -VIII) liegt in der Anzahl acht gegenüber den sieben Halswirbeln. Zusammen
mit dem Gehirn bildet das Rückenmark das Zentralnervensystem. Die Verbindung
zwischen Gehirn und Rückenmark ist das verlängerte Mark (Medulla oblangata). Das
Rückenmark erfährt in der Wachstumsphase eine Positionsänderung in Bezug auf die
knöchernen Strukturen. Dies geht anschaulich aus Bild 2.2 hervor. Die einzelnen
Rückenmarksegmente enden auf der Höhe des 2. Lendenwirbels. Ab dem 2. Lendenwirbel
besteht es nur noch aus nervösen Leitungsverbindungen (Cauda equina = Pferdeschwanz).


Die Aufgabe des Rückenmarks besteht einerseits in der Herstellung der nervösen
Leitungsverbindungen zwischen Gehirn und Körperperipherie, andererseits in der Bildung
von Reflexzentren sowie Schaltneuronen zur Koordination einfacher motorischer
Bewegungsabläufe. Jedem Wirbel wird ein Segment des Rückenmarks zugeordnet. Es


Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                           14
Medizinische Grundlagen


                                           besteht aus weißer und grauer Substanz. Die
                                           weiße Substanz sind die Leitungsbahnen,
                                           die graue Substanz sind Nervenzellen-
                                           ansammlungen. Die beiden Substanzen sind
                                           gegeneinander     streng     abgetrennt.    Im
                                           Rückenmarkquerschnitt, der etwa die Größe
                                           einer kleineren Münze hat, lassen sich die
                                           Leitungsbahnen           außerhalb         der
                                           schmetterlings-ähnlichen grauen Substanz
                                           leicht erkennen und den verschiedenen
                                           Strängen zuordnen.


                                           Das Rückenmark ist ein wichtiges Zentrum
                                           für   Reflexe.    Das      Durchtrennen    des
                                           Rückenmarks hat zur Folge, daß die
                                           unterhalb   der      Schädigung      liegenden
                                           Bereiche ohne nervöse Verbindung mit dem
                                           Gehirn sind. Der Betroffene spürt diese
                                           Körperteile nicht mehr, auch nicht bei
                                           Verletzungen, und kann sie nicht mehr
                                           bewegen.    Dieser      Zustand   nennt    sich
                                           Querschnittlähmung (Paraplegie = zwei
                                           symmetrische Gliedmaßen sind betroffen,
                                           Letraplegie = alle vier Gliedmaßen sind von
                                           der Lähmung betroffen)[2, 3,4].



Bild 2.2: Lage des Rückenmarks im Rückenmarkskanal beim Erwachsenen. Ab dem 2.
         Lendenwirbel besteht es nur noch aus nervösen Leitungsverbindungen (Cauda
         equina) [2].




Jörg Halm & Jens Schlesener                                                            15
Medizinische Grundlagen




2.3 Querschnittlähmung


Querschnittlähmungen sind überwiegend Folgen von Schädigungen des Rückenmarks,
mitunter auch Schädigungen von Nervenwurzeln oder von im Wirbelkanal verlaufenden
peripheren Nerven (Cauda equina-Schädigung). Die komplette Querschnittlähmung ist
die vollständige Unterbrechung der Rückenmarkbahnen in Höhe eines oder mehrerer
Segmente. Sie führt zu einer charakteristischen Trias von motorischer, sensibler und
vegetativer Lähmung, d.h.:


       • Willkürbewegungen können im gelähmten Körperbereich nicht mehr ausgeführt
          werden.
       • Die     Funktionen       der   Oberflächensensibilität   (Berührungs-,   Schmerz-,
          Temperaturempfindung) sind vollständig ausgefallen. Gleichzeitig sind die
          Empfindungen der Tiefenwahrnehmung (propriozeptive Sensibilität) teilweise
          oder vollständig gestört, was heißt, daß die Wahrnehmung für geführte
          Bewegungen sowie für Lage und Vibrationsempfindungen verloren sind.
       • Daraus     resultieren     schwere    Ausfälle   hinsichtlich   der   Blasen-   und
          Mastdarmfunktion, der Sexualfunktion, der Regulation des peripheren
          Kreislaufs, der Atemfunktion und der Schweißdrüsensekretion.


Als inkomplette Querschnittlähmung bezeichnet man eine partielle Unterbrechung des
Rückenmarks, und daraus resultierende partielle Lähmungen motorischer, sensibler und
vegetativer Funktionen. Weiter wird unterschieden zwischen schlaffer- und spastischer
Querschnittlähmung. Läsionen mit völliger Denervierung in den Bereichen des Hals-,
Brust-, Lenden- oder Sakralmarks können komplette oder inkomplette schlaffe
Querschnittlähmungen verursachen. Schädigungen im Bereich des Brustmarks mit
thorakalen Lähmungsfolgen können ungesteuerte, unwillkürliche Muskelaktivitäten
hervorrufen, die zu kompletten oder inkompletten spastischen Querschnittlähmungen
führen [5, 6].




Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                               16
Medizinische Grundlagen


2.4 Einstufung nach der Höhe der Rückenmarkschädigung (Läsions-

     niveau)


Der Terminus Paraplegie wird einerseits als Sammelbegriff für alle Lähmungen nach
spinaler Läsion benutzt, andererseits werden im engeren Sinne als Paraplegie oder
Paraparese Lähmungen nach Schädigung des Brust- und Lendenmarks, des Conus
medullaris (unterste Segmente des Rückenmaks) und der Cauda equina definiert. Hier sind
die Muskulatur des Rumpfes und der unteren Gliedmaßen sowie deren Sensibilität gestört.
In Abgrenzung hierzu werden unter den Begriffen Tetraplegie oder Tetraparese
Lähmungsbilder verstanden, die aus Halsmarkläsionen resultieren. Zur Definition des
Niveaus einer Querschnittlähmung wird jeweils das letzte intakte Segment angegeben, also
beispielsweise „Paraplegie unterhalb Th9quot; oder „Tetraplegie unterhalb C6quot;. Die
Lagebeziehung zwischen Wirbel und betroffenen Rückenmarkssegment, sowie die sich
daraus ergebenden körperlichen Abhängigkeiten mit den wichtigsten zugehörigen
orthopädischen Versorgungsmaßnahmen werden in Bild 2.3 dargestellt.


Die hier zu konzipierende Gehorthese ist für eine Versorgung von Betroffenen mit
Lähmungen im unteren thoracalen Bereich gedacht.




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Medizinische Grundlagen

                     Läsion körperliche Abhängigkeiten          wichtigste Hilfsmittelversorgung
                     unter-
                     halb ____________________________________________________________
                              Tetraplegie
                              Grundsätzlich: Beeinträchtigung
                              der Atmungsmechanik, Blasen-
                              und Mastdarm lähmung,
                     ________ rollstuhlabhängig ___________________________________________
                      C3/4   In allen Handhabungen des         1 elektr. Rollstuhl mit speziellen
                              täglichen Lebens von Hilfe       Steuerungshilfen, z.B.
                              abhängig                         Kinnsteuerung und 1 mech.
                                                               Rollstuhl, Pflegehilfen z.B. Lifter,
                     ____________________________________ elektr. steuerbares Stehgerät ______
                      C4/5    Vollständig pflegeabhängig,      1 mech. und 1 elektr. Rollstuhl,
                              Greifen mit passiver             Funktionshilfen für die Hand, elektr.
                              Funktionshand möglich z.B.       Schreibmaschine, elektr. steuerbares
                              Essen und Schreiben mit          Stehgerät
                     ________ Hilfsmitteln möglich ________________________________________
                      C6      Teilweise pflegeabhängig,        1 mech. und 1 elektr. Rollstuhl,
                              Greifen mit aktiver              Funktionshilfen für die Hand, elektr.
                              Funktionshand, selbständige      Schreibmaschine, elektr. steuerbares
                              Oberkörperpflege                 Stehgerät, Fahren eines angepaßten
                                                               PKW möglich
                      C7/8   Selbständig bis auf geringe       2 mech. Rollstühle, elektr.
                              Hilfeleistungen, Gehen mit       Schreibmaschine, Zimmerbarren und
                              Gehapparaten im Barren möglich Gehapparate, Stehgerät, Fahren eines
                     ____________________________________ angepaßten PKW möglich ________
                              Paraplegie
                              Grundsätzlich: Blasen- und
                              Mastdannlähmung,
                     ________ pflegeunabhängig __________________________________________
                      Thl-9 Beeinträchtigung der               2 mech. Rollstühle, Zimmerbarren
                              Atmungsmechanik bis Th6,         und Gehapparate, PKW
                              rollstuhlunabhängig, Gehen mit
                     ________ Gehapparaten im Barren _____________________________________
                      TH11- Teilweise rollstuhlunabhängig,    2 mech. Rollstühle, Zimmerbarren
                      L2      Gehen und Treppensteigen mit     und Gehapparate, PKW
                              Gehapparaten an
                     ________ Unterarmstützen ___________________________________________
                      L3/4   Weitgehend                        1 mech. Rollstuhl, Gehapparate ohne
                              rollstuhlunabhängig, Gehen mit Kniesperre und Unterarmstützen,
                              Gehapparaten ohne Kniesperren PKW
                     ________ an Unterarmstützen _________________________________________
                    ' L5-S1 Rollstuhlunabhängig, Gehen mit Gehstöcke, Peroneusfeder, PKW
                     ________ Peroneusfeder an Gehstöcken _________________________________
                      S2/3    Weitgehend normale              Abrollhilfe
                     ________ Gehfähigkeit ______________________________________________




                     Bild 2.3: Schematische Darstellung der Lage des Rückenmarks zu den
                               Wirbelkörpern der Wirbelsäule mit tabellarischer Auflistung der
                               daraus resultierenden körperlichen Abhängigkeiten und wichtigste
                               Hilfsmittelversorgung




Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                                        18
________________________ Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte


3. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte


In den folgenden Kapiteln „Rollstühlequot;, „Funktionelle Elektrostimulationquot; und „Orthesenquot;
wird ein kurzer Überblick gegeben, welche Hilfsmittel Querschnittgelähmten zur
Verfügung stehen, und in welche Richtung die Forschung geht, um die Mobilität der
Betroffenen zu erhöhen. In dem Kapitel „Reziproke Gehorthesenquot; wird der aktuelle
technische Stand von reziproken Gehorthesen wiedergegeben, auf dem diese Diplomarbeit
aufbaut.


3.1 Rollstühle


Die sorgfältige, individuelle Auswahl des Rollstuhls stellt einen wesentlichen Schritt zur
umfassenden Rehabilitation des Querschnittgelähmten dar. Der Rollstuhl ist für den
Paraplegiker wie für den Tetraplegiker nicht, wie mitunter irrtümlich definiert, ein
„Krankenfahrzeugquot;, sondern das wichtigste Hilfsmittel zur Bewältigung eines
entscheidenden Teils der Behinderung, nämlich des Mobilitätsverlustes. Er ist in der Regel
die unverzichtbare Voraussetzung für die aktive Teilnahme am täglichen Leben, am
Berufsleben und am Sport.


Zur Auswahl für den Querschnittgelähmten stehen zur Verfügung:
       • mechanisch zu bedienende Rollstühle mit einfacher oder verstärkter Ausführung
           der Hinterachse
       • mechanisch zu bedienende Rollstühle aus Leichtmetall
       • mechanisch zu bedienende Rollstühle mit speziellen Konstruktionsmerkmalen,
           die sie für die Sportausübung geeignet machen
       • Elektrorollstühle
       • Spezialrollstühle mit Aufrichte- oder Lagerungsmechanik
       • Transit- und Transportrollstühle zur Bedienung durch Hilfspersonen


Der Rollstuhl muß hinsichtlich der technischen Voraussetzungen den verbliebenen
Restfunktionen des Querschnittgelähmten gerecht werden. Er wird nach Körpergröße,
Hüftbreite und Längenmaßen an Ober- und Unterkörper ausgemessen und gegebenenfalls

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Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte


angepaßt. Die Auswahl muß also stets individuell erfolgen. Zur gezielten Versorgung des
Querschnittgelähmten eignen sich besonders Rollstühle, deren Grundbestandteile einem
Baukastensystem entsprechen. Sie sollten in ihrem Aufbau und in ihrer Zusammensetzung
auch zu einem späteren Zeitpunkt der Behinderung und der speziellen Situation des
Patienten entsprechend variiert werden können [6].


3.2 Funktionelle Elektrostimulation (FES) und Neuroprothesen (Nerven
    aus Draht)

Hier wird durch elektrische Reizung bestimmter Muskelgruppen eines Beines, die der
Paraplegiker   jeweils   selbst   auslöst,   eine   Schrittbewegung    hervorgerufen.   Das
Gleichgewicht und die Vorwärtskomponente der Bewegung wird von den Armen mit dem
Oberkörper durch den Einsatz von Armstützen bewirkt [5]. Dennoch ist die FES wie auch
die Neuroprothese ä la CALIES (Computer Aided Locomotion by Implanted Electro-
Stimulation) nicht als Ersatz für den Rollstuhl gedacht. Denn der Gelähmte könnte dann
viele Bewegungen, für die er beide Hände braucht, nicht mehr ausführen. Aus diesem
Grund   arbeitet   der   Physiker    Prof.   Wolfgang    Daunicht     vom   Neurologischen
Therapiezentrum in Düsseldorf seit ein paar Jahren schon an einer neuen Generation von
Stand-Gang-Prothesen: Eine Schritt-Maschine mit Gleichgewichtsorgan - und ohne
Krücken. Daunicht: „Der Querschnittgelähmte muß sich um nichts mehr kümmern. Ein
neuronales Netz mit künstlichen Reflexen schützt ihn davor, umzufallen, wenn ihn
beispielsweise jemand anrempelt.quot; Weil es zu riskant ist, die automatische
Gleichgewichtssteuerung an einem Menschen auszuprobieren, hat der Physiker einen
virtuellen Paraplegiker mit 180 Körpermuskeln entworfen. „Wenn ich beispielsweise einen
Muskel von dem virtuellen Paraplegiker mit einer Elektrode reize, kann ich genau
beobachten, was dies für eine Bewegung im ganzen Körper auslöstquot;, sagt Daunicht. Aus
solchen virtuellen Leibesübungen im Computer läßt sich berechnen, was passiert, wenn der
Querschnittgelähmte stürzt, und wie das künstliche Gleichgewichtsorgan das verhindern
kann. Damit dies nicht nur Theorie bleibt, hat Daunicht einen Roboter entwickelt. Mit den
aus dem Modell berechneten Algorithmen ist der Roboter „Freddyquot; inzwischen sehr
standfest geworden: Selbst auf einem Bein stehend, kippt er nicht um, wenn man ihn ins
Wanken bringt. Auch an Patienten soll das künstliche Gleichgewichtsorgan mit



Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                              20
Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte


Beschleunigungssensoren, die wie in der Natur die Richtung der Schwerkraft ermitteln
können, in ein paar Jahren ausprobiert werden [7]. Stehen und Gehen mit Hilfe von
Elektrostimulatoren - selbst wenn sie nur kurzfristig und für kleine Strecken angewendet
werden - bringt eine ganze Reihe von medizinischen Vorteilen. Neuroprothesen
verhindern, daß Knochen entkalken, Muskeln schwinden oder Druckgeschwüre entstehen.
Sie regen den Kreislaufan und können Spastiken lindern [8].


3.3 Orthesen


Hier sind die Orthesen der Sachgrupppe der Lähmungsorthesen von größter Bedeutung. Sie
werden nach Maß oder Körperformmodell hergestellt und sind funktionsergänzende und
auch funktionsunterstützende, bewegungsbeeinflussende Orthesen für mehrgelenkige
Gliedmaßenbereiche.      Die    erforderliche   Teilfixierung   wird   mit   statisch-starren
Grundelementen der Orthese erreicht [5]. Der Bau einer Lähmungsorthese erfordert in allen
Fällen die Beherrschung der mechanischen, statischen und der dynamischen Grundlagen,
eine reiche Erfahrung und die liebevolle Erfassung des Einzelfalles, zumal jeder Fall
anders liegt. Gerade hier ist die Zusammenarbeit des Arztes und des Mechanikers von
besonderer Notwendigkeit. Einer muß den anderen beraten. Soll ein Stütz- oder Gehapparat
für einen Gelähmten gebaut werden, kommt es zunächst einmal darauf an, ob es sich um
eine   sog.   schlaffe   oder   eine   spastische   (Krampf-)    Lähmung     handelt.    Die
Muskelverhältnisse sind bei beiden Lähmungsformen ganz verschieden. Durch den Ausfall
der Muskeln, welche die Streckung des Hüft- und Kniegelenks bewirken und diese
Gelenke in Streckstellung halten, ist der Mensch nicht mehr imstande, sich mit Sicherheit
beim Gehen und Stehen aufrecht zu halten. Der Lähmungsapparat soll sicheren Stand und
sicheren, bestmöglichen Gang vermitteln [5].


3.4 Reziproke Gehorthesen


Zur Mobilisierung von Querschnittgelähmten mit fehlender muskulärer Hüftgelenk- und
Beinkontrolle kann durch die Anwendung reziproker Gehorthesen eine relativ natürliche
und effiziente Fortbewegung erzielt werden.




Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                               21
_______________________ Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte


Die Koppelung der linken mit der rechten Beinorthese über eine Becken-Rumpforthese
ermöglicht durch die Beugung des einen Hüftgelenkes jeweils die Streckung des
gegenseitigen Hüftgelenkes. Die sich daraus ergebende statisch-mechanische Bewegung
beider Beinseiten ergibt den reziproken (wechselseitigen) Gang [5].


Indikationen für eine reziproke Gehorthese:
  • Die Füße sollen im Stand in Neutral-Null-Stellung (90° Winkel von Fuß zum
     Unterschenkel) auf den Boden aufgesetzt werden können. Geringe Fehlhaltungen
     können durch Schuhzurichtungen korrigiert werden.
  • Die Kniegelenke dürfen keine nennenswerten Kontrakturen (unter 5°-10°) aufweisen.
  • Die Hüftgelenke sollten beweglich und frei von Kontrakturen, Einsteifungen und
     Spastizität sein.
  • Gute Muskelkraft der oberen Gliedmaßen
  • Richtige Motivation
  • Unterstützung und Mithilfe durch die Familie
  • Realistische Ziele und Erwartungen, da ganz sicher keine Orthese für einen derart
     schwerbehinderten Patienten völlige „Normalitätquot; wiederherstellen kann. Die
     Benutzung von Gehhilfen ist auch weiterhin erforderlich. Das reziproke Gehen mit
     der Orthese ist mit geringer bis mittelmäßiger Geschwindigkeit und mit wenig
     Kraftaufwand möglich.
  • Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, können evtl. operative
     Korrektureingriffe    und    eine   krankengymnastische      Behandlung   vor   der
     Orthesenversorgung in Erwägung gezogen werden.




Kontraindikationen:
  • Schwere, nicht korrigierbare Kontrakturen, die einen regelrechten Aufbau der
     Orthese unmöglich machen.
  • Spastizität oder andere unwillkürliche Muskelaktivitäten, die einen freien und
     koordinierten Bewegungsablauf verhindern.
  • Übergewicht
  • Muskelschwäche der oberen Extremitäten [9, 5]


Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                          22
Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte




Behandlungsziel:
Wenn die oben angegebenen Voraussetzungen gegeben sind, kann der Patient
voraussichtlich mit der Orthese aufrecht stehen und bei regelmäßiger täglicher Benutzung
das Entstehen von Kontrakturen verhindern. Erwachsene werden außerhalb ihres
Wohnbereichs trotz der Orthesenversorgung auch weiterhin auf die Benutzung des
Rollstuhls angewiesen sein. Der Patient muß diese Zusammenhänge verstehen, um die
Möglichkeiten und Grenzen der Orthese, gemessen an seinen speziellen Bedürfnissen,
einschätzen zu können [5]. Im folgenden werden verschiedene Systeme reziproker
Gehorthesen vorgestellt.


3.4.1 Die „LSU Reciprocation-Gait Orthosisquot;


Die erste reziproke Gehorthese war die LSU Reciprocation-Gait Orthosis. Sie wurde 1983
von der Louisianna State University in New Orleans vorgestellt und auch dort entwickelt.
Gebaut wird sie von Durr-Fillauer Medical INC. in Chattanooga Tennessee (USA).


Die LSU Gehorthese (Bild 3.1) ergibt sich aus:
  • Einer Leichtgewichts-Kunststoffkonstruktion: Die Oberschenkel- und Unterschenkel-
     formteile sind aus Polypropylen geformt. Verstärkungen aus Carbonfasereinlagen in
     der Sprunggelenkregion wirken versteifend.


  • Einem individuell geformten Beckenführungsteil aus Kunststoff unter Einschluß des
     Kreuzbeins und des Gesäßes. Das Beckenführungsteil hat eine gewisse Elastizität,
     die der Beweglichkeit dient.


  • Der Verwendung von Aluminiumschienen mit rückverlagerten Kniegelenken, die mit
     einer Fallschloßsperre und Kugel-Feder-Rückhaltung versehen sind. Bei geringer
     Beanspruchung z.B. bei Kindern kann oft auf die innenliegenden Knieschienen
     verzichtet werden.




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Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte


• Der mechanischen Koppelung beider Hüftgelenke                  durch Kabelzüge,                   die eine
beiderseits
                                               gleichzeitige Beugung oder Streckung der
                               Hüftgelenke        beim         Gehen         verhindern.            Mit      der
                               Beugung           des           einen          Hüftgelenkes                 wird
                               gleichzeitig       das      andere            Hüftgelenk              gestreckt.
                               Die      Bowdenzüge         übertragen             dabei        die        Kräfte
                               von der einen Orthesenseite auf die andere. Erst
                               eine       Gelenkentsperrung                 beider             mechanischer
                               Hüftgelenke               führt              zur               gleichzeitigen
                               Hüftbeugung und damit zur Sitzposition.


                               Erfahrungen        haben         gezeigt,       daß           eine     einzelne
                               Kabelführung für Patienten mit mäßig bis gering
                               aktivierbaren              Hüftbeugemuskeln                           ausreicht,
                               jedoch          Patienten             mit          total             gelähmten
                               Hüftbeugern                                                                         besser
                               Doppelkabelsystem                 versorgt               werden,              um
                               sowohl die Beugung als auch die Streckung zu
                               steuern.        Neben             den          oben             aufgeführten
                               Indikationen       wurde        bei     den     versorgten            Patienten
                               die     Kraft      der     oberen           Extremitäten             und      die
                               Motivation       eingehend         untersucht.
                               ausgewählten        Patienten           mußten           in      der        Lage
                               sein, sich aus dem Sitz für 60 Sekunden mit den
                               Armen      hochzustemmen,             ohne         zu     zittern.      Gezielt
                               mußten      sich        diese     Patienten             einem        intensiven
Bild3.1:Aufbauder„LSU               allgemeinen Konditionstraining hauptsächlich
        Reciprocation-Gait Othosisquot;
                                    für die Arme und einer Gehschulung mit
Übungsorthesen          an            mehreren                 Tagen                   pro             Woche
über einen Zeitraum von drei bis vier Wochen unterziehen, bevor die LSU Gehorthese
verschrieben wurde. Mit diesem Vorgehen können sich Patienten tatsächlich selbst testen.


Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                                                  24
________________________ Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte


Diejenigen, die dieses Training als nicht vereinbar mit ihren üblichen Aktivitäten und als
ungerechtfertigt oder unannehmbar empfinden, geben auf oder versäumen Übungsteile.
Nur mit vollständig absolviertem Kurs wird die Motivation als ausreichend eingeschätzt
um die reziproke Gehorthese nutzen zu können [5].


                                          Seit                                                            1
                                          Weiterentwicklung        der      LSU       Gehorthese.
                                          Der     Grundaufbau        gleicht         dem     oben
                                          vorgestellten System, außer daß statt der
                                          geschwungen         geführten              Bowdenzüge
                                          horizontal         geführte                Bowdenzüge
                                          verwendet     werden        (Bild         3.2).    Diese
                                          Entwicklung       soll         drei       entscheidende
                                          Vorteile haben:


                                                                                                     •L
                                                                                                      e
                                                                                                      i
                                                                                                      c
                                                                                                      h
                                                       tgängigkeit        durch       verminderte
                                                       Reibung
                                                    • verbesserte          Haltbarkeit       durch
                                                       verringerten             Verschleiß     des
                                                       Bowdenzugsystems
                                                    • einfachere           Einstellung         der
                                                       Hüftflexion        und       Hüftextension
                                                       durch Stellschrauben [10].


Bild 3.2:Die LSU Orthese mit waagerechter Bowdenzugführung



3.4.2 Die „Isozentrische ARGIO®quot;


Die Isozentrische ARGIO® (Bild 3.3) ist eine Gehorthese der Firma Pro Walk in
Egelsbach. Im Aufbau ähnelt sie dem oben vorgestellten System der Firma Fillauer bis auf
folgende Details. Die Isozentrische ARGIO® ist ausschließlich für den Gebrauch von


Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                          25
Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte


Kindern bestimmt. Die Bewegung des einen Hüftgelenkes wird durch eine nadelgelagerte
Wippmechanik auf das andere Hüftgelenk übertragen. So kann die Bewegungsenergie des
Kindes fast vollständig umgesetzt werden, weil kaum Reibungsenergie verloren geht.


Das starre Rumpfteil, verbunden mit speziellen Hüftgelenken, erlaubt eine laterale
Beinschienenführung (Die innenliegenden Schienen können weggelassen werden.). Die
Hüftgelenke können zum Hinsetzen vom Kind selbst einfach entriegelt werden. Die
                                                  Unterschenkelorthesen werden bis zum
                                               Medialen Kondylus (innerer Gelenkhöcker
                                               des Oberschenkelknochens am Kniegelenk)
                                               hochgezogen.            Dadurch     wird      der
                                               Oberschenkel meist gut geführt, so daß
                                               auf die Oberschenkelhülsen verzichtet
                                               werden kann. Durch diese Bauart kann
                                               die Isozentrische ARGIO® auch im
                                               Sitzen      angezogen       und     unter     den
                                               Kleidern getragen werden. Die Firma
                                               Pro      Walk     legt     neben     den     oben
                                               aufgezählten      Indikationen       besonderen
                                               Wert     auf     eine     Teambetreuung       des
                                               Patienten       beim     Umgang      mit     ihren
                                               Orthesen.       Das      Team      besteht    aus
                                               Therapeuten, Orthopädietechnikern, der
                                               Bild 3.3:Die Isozentrische ARGIO®: Eine
   Familie des Patienten und dem
       reziproke Gehoerthese für Kinder
       von der Firma Pro Walk.                   Patienten selbst [11].


                                                 Gehorthesen mit einer Wippmechanik
werden noch von weiteren Firmen angeboten:
       • Wilh. Jul. Teufel GmbH in Stuttgart; „System Isocentricquot;
       • Fillauer (deutscher Vertrieb durch Basko Healthcare in Hamburg); „Rocker Bar
          Systemquot;


Jörg Hahn & Jens Schlesener                                                                   26
Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte


       • John + Bamberg in Hannover „Johekaquot;


3.4.3 Der „Parawalkerquot;


                                                  Der Parawalker wird von der Firma Pro
                                                  Walk hergestellt und vertrieben. Er
                                                  unterscheidet sich im Aufbau deutlich
                                                  von den bisher vorgestellten reziproken
                                                  Gehorthesen      (Bild     3.4).    Der
                                                  Parawalker ist eine Gehorthese für
                                                  Erwachsene     oder   schwergewichtige
                                                  Jugendliche. Derzeit ist der Parawalker
                                                  die Orthese mit der höchsten seitlichen
                                                  Stabilität. Die Bewegung der beiden
                                                  Hüftgelenkseiten ist nicht gekoppelt.
                                                  Das Hüftgelenk des Parawalkers läßt
                                                  nur Bewegungen in der Sagitalebene
                                                  (Vorbeugen) zu [11]. Zum Hinsetzen
                                                  läßt sich das Hüftgelenk und die
                                                  „Schweizer Sperrequot; der Kniegelenke
                                                  entriegeln. Eine Feder im Hüftgelenk
                                                  erleichtert das Hinstellen aus dem Sitz.
 Bild 3.4:Der Parawalker: Eine
          reziproke Gehorthese für
          Erwachsene


Der Patient verlagert zum Gehen mit der Orthese den Körperschwerpunkt vor seine
Aufstandsfläche. Um nicht umzufallen stützt er sich mit Unterarmstützen nach vorne ab.
Ein Schritt wird durch das Abheben des Spielbeins eingeleitet. Der Patient drückt sich mit
einer Unterarmgehstütze seitlich ab. Durch den Parawalker neigt sich hierbei die gesamte
Längsachse des Patienten, ohne daß die Hüfte zu einer Seite hin abfällt. Das Spielbein
schwingt unter dem Körperschwerpunkt hindurch nach vorne. Nun muß der Patient mit
Hilfe der Unterarmstützen unter Einsatz des Musculus Latissimus dorsi (großer seitlicher




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_______________________ Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte


Rückenmuskel) seinen Körperschwerpunkt wieder vor seine Aufstandsfläche bringen und
der nächste Schritt kann durch ein Hochdrücken zur anderen Seite eingeleitet werden.




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Werkstoffe


4. Werkstoffe im Orthesenbau


Für klassische Orthesen werden auch heute noch Metallschienen, gegebenfalls mit frei
beweglichen    oder    sperrbaren   Gelenken,   und   metallene   Bänder    als     tragende
Rahmenkonstruktion verwendet, ergänzt durch gewalkte Lederhülsen zum sogenannten
Schienen-Hülsen- oder Schienen-Schellen-Apparat: Die Hülse umhüllt formschlüssig einen
längeren Gliedmaßenabschnitt, während die halbzirkuläre Metallschelle, durch ein
Lederband auf der Gegenseite vervollständigt, einen relativ schmalen Teil der jeweiligen
Gliedmaßen - meist in Nachbarschaft zu einem Gelenk - fixiert. Spezielle Druckpelotten
erlauben die gezielte Übertragung dosierter Kräfte auf bestimmte Körperpartien. Zug um
Zug wird jedoch die herkömmliche Leder - Metall - Technik zur Orthesenherstellung
abgelöst    von       thermoplastischen   Kunststoffmaterialien     und     glas-       oder
carbonfaserverstärkten Gießharzen [14].


Ein Hauptziel bei der Herstellung von Orthesen ist, neben den funktionellen Aspekten, eine
Verringerung des Gewichtes und eine Verbesserung der Zuverlässigkeit und der Sicherheit
der einzelnen Bauteile. Edelstahle werden schon seit langem verwendet. Sie entsprechen
den Anforderungen hinsichtlich Festigkeit und Zuverlässigkeit, weisen aber ein
entsprechend hohes Gewicht auf. Oft werden Orthesenkonstruktionen in Stahl-Leder-
Technik deshalb vom Patienten als zu schwer empfunden. Spezifisch leichtere Aluminium
Legierungen, die bei der Herstellung von Beinorthesen zum Einsatz kommen, weisen oft
nicht die erforderliche Bruchsicherheit auf. Neue Generationen von Legierungen eröffnen
zwar neue Möglichkeiten, was das Verhältnis von Gewicht zu Festigkeit betrifft, aber ihre
Verformbarkeit ist eingeschränkt und dadurch die Bruchsicherheit entsprechend gemindert.
Zum Vergleich der Metallwerkstoffe im Orthesenbau dient Tab. 4.1.


Thermoplastische Kunststoffe, wie Polypropylen und ihre Modifikationen haben zur
Lösung einiger Probleme bezüglich Gewicht und Formgebung beigetragen. Auch hat die
Laminattechnik unter Verwendung von Carbonfasern eine starke Weiterentwicklung des
Orthesenbaus bewirkt. Das Problem der Gelenkverbindung mit dem Laminat konnte aber
nur teilweise gelöst werden.




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_____     ________ Werkstoffe


                                    Werkstoffe
Eigenschaften                       Titan            Edelstahl        Eisen         Aluminium
Dichte in kg/m                      4500             7930             7860          2700
Schmelzpunkt in °C                  1670             1420             1535          658
Wärmekapazität in kJ/kG*K           0,535            0,490            0,464         0,908
Elastizitätsmodul in N/mm2          110000           194000           204000        71000
                                    8,5              11,0             11,17         22,9
Ausdehnungskoeffizient
bei25°CinlOquot;6/°C


Tab 4.1: Tabelle zum Vergleich der Metall Werkstoffe im Orthesenbau [11, 12, 13]


Titan hat bisher in der Orthopädietechnik vor allem bei Prothesen-Paßteilen Anwendung
gefunden. Der hohe Preis und die schwierige handwerkliche Verarbeitung verhindern aber
bisher die Verbreitung im Orthesenbau. Die guten mechanischen Eigenschaften und das
geringe   Gewicht          machen    es     jedoch    auch     für     den    Aufgabenbereich   des
Orthopädietechnikers interessant.


4.1 Polyethylen und Polypropylen


                 Dichte              Zugfestigkeit           G-Modul            zulässiger Temp.-
                                                                                bereich
                 g/cm3               N/mm2                   N/mm2              °C
                 0,97                30                      1000               -120 bis 130
HDPE
                 ca. 0,9             37                      ca.800             bis 130
PP


Tab. 4.2: Eigenschaften von HDPE (High Density PE) und PP


Hauptsächlich finden Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) im Schalenbau
Verwendung. Sie gehören zur Gruppe der Thermoplaste (TP) und sind daher leicht zu
verarbeiten. Bei hinreichender Erwärmung erweichen TP bis zur Fließfähigkeit, sind somit
beliebig sphärisch verformbar und härten bei Abkühlung aus. Dieser Vorgang ist beliebig
wiederholbar, wenn man eine Zersetzung (zu hohe Temperatur) vermeidet. TP sind im
allgemeinen schmelzbar, schweißbar, quellbar und löslich.

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Werkstoffe


PP und HDPE sind kochfest, sterilisierbar und besitzen ähnliche chemische Beständigkeit
und elektrische Eigenschaften.


4.2 Carbonfaserverstärkte Kunststoffe


Mit carbonfaserverstärkten Kunststoffen (CFK) lassen sich besonders konturgetreue
Stützelemente herstellen, die hinsichtlich der Festigkeit mit Stahl und Aluminium zu
vergleichen sind, aber nur ein Fünftel davon wiegen. Die Dehnung von CFK ist
vollelastisch, Ermüdungsbeständigkeit und Vibrationsdämpfung sind hervorragend.
Da in diesem Material die Fasern überwiegen (60 Vol % bis 80 Vol %), sind die
Eigenschaften der Fasern maßgebend. Carbonfasern, sie bestehen zu über 95 % aus reinem
Kohlenstoff, besitzen eine hohe Zugfestigkeit, hohen Elastizitätsmodul, niedriges
spezifisches Gewicht, geringe Bruchdehnung und eine hohe Temperaturbelastbarkeit. Sie
sind chemisch weitgehend inert. Die Festigkeiten übertreffen die der meisten Metalle und
anderer Faserverbundwerkstoffe.


                       C-Fasertype
                                                       IM
Eigenschaften          Einheit         HAT                           HM
                       g/cm3           1,78            1,80          1,79
Dichte
                       MPA             3400            5400          2350
Zugfestigkeit
                       GPA             235             290           358
Zug-E-Modul
                       %               1,4             1,7           0,6
Bruchdehnung
                       10-6 K-l        -0,1                          -0,5
Wärmeaus-
dehnungskoeffizient


Tab. 4.3: Übersicht der Eigenschaften verschiedener C-Fasern


CFK ist ein Laminat, das schichtweise aus Kohlenstoffgewebe und einem Kunststoff - der
Matrix - besteht [15]. Eine Eigenheit von CFK, wie auch aller anderen faserverstärkten
Verbundwerkstoffe, besteht darin, daß man ihre Belastbarkeit den vorgesehenen
Bedingungen anpassen kann. Das geschieht durch zweckmäßige Wahl oder Kombination
der Faserorientierungen innerhalb der Matrix. So ergeben bidirektionale Anordungen


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Werkstoffe


(0°/90°) gute Festigkeitswerte in zwei (senkrechten) Richtungen. Und noch komplexere,
multidirektionale Anordungen (0° / ± 45° / 90°) wirken in mehreren Richtungen
verstärkend [16].


Im Orthesenbau ist die Matrix meist duroplastisch, d.h. sie besteht aus einem Gießharz, das
nach dem Aushärten nicht erneut plastisch geformt werden kann. Hierin besteht der große
Nachteil des herkömmlichen CFK, da somit ein Nachformen der Teile nur gering sowie die
Anpassung an veränderte anatomische Gegebenheiten nicht möglich ist. Eine Alternative
dazu bietet das carbonfaserverstärkte Halbzeug METCORE. Dieser Werkstoff läßt es zu,
die Form der Stützelemente auch nachträglich den gegebenen anatomischen Verhältnissen
anzupassen. Dies ist möglich, indem die Matrix in einen thermoelastischen Zustand
versetzt wird, damit die Kohlenstoffaserschichten sich gegeneinander verschieben können,
ohne daß es zu einer Ablösung der Matrix von der Faser kommt. Hierbei soll es zu keiner
Beeinträchtigung der Festigkeit und Steifigkeit der Schale kommen.


Verarbeitet werden die METCORE-Zuschnitte, indem sie nach einer Erwärmung an das
Model angeformt und anschließend verklebt werden [17].


4.3 Aluminium


Aluminium findet in der Orthopädietechnik Verwendung beim Bau von orthopädischen
Schienen. Es eignet sich durch sein besonders geringes spezifisches Gewicht von 2700
kg/m bei beachtlichen Festigkeitswerten von 40-180 N/mm je nach Behandlungszustand.
Nachteilig wirkt sich seine geringe Bruchsicherheit aus. Aluminium hat im Vergleich zu
Stahl keine Dauerfestigkeit nach Wöhler. Eine weitere günstige Eigenschaft für die
Orthopädietechnik ist die hervorragende Korrosionsbeständigkeit.
Der geringe Elastizitätsmodul von Aluminium führt bei der Verwendung für
Stützkonstruktionen zu einem wesentlich elastischeren Verhalten, verglichen mit
gleichartigen   Konstruktionen    aus   Stahl.   Nachteilig   ist   auch   der   thermische
Ausdehnungskoeffizient, der rund das Zweifache von dem des Stahles beträgt.




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Werkstoffe


Die     breite     Nutzung     der    Vorteile    von    Aluminium         für     den    technischen    Bereich,   nämlich

seine geringe Dichte und die große Korrosionsbeständigkeit, wurden erst möglich durch die

Verbesserung        der     Festigkeitseigenschaften.     Hier    spielt     für    die    technische    Entwicklung    der

Aluminiumlegierungen            die    Entdeckung        der     Festigkeitssteigerung         durch     Aushärten     eine

überragende        Rolle.     Die     wichtigsten       Legierungselemente          sind     Kupfer,     Magnesium     und

Silizium.

Durch       eine     Wärmebehandlung             der    Aluminiumlegierungen              werden   die     Festigkeitswerte

gesteigert.



4.4 Edelstahl


Edelstahle sind besonders reine (in Bezug auf mechanische Gütewerte und Kerbwirkung
der Einschlüsse) Qualitätsstähle. Qualitätsstähle werden nach ihrem Verwendungszweck
untergliedert, nach dem sie durch Legierungselemente ihre speziellen Eigenschaften
erhalten. Im Bereich Orthopädietechnik werden rostfreie Stähle verwendet. Sie haben einen
Chrom-Legierungsanteil von mindestens 12 Prozent. Die Korrosionsbeständigkeit wird
durch eine besonders glatte, zum Beispiel polierte Oberfläche begünstigt [18].


Stahl hat ein sehr hohes spezifisches Gewicht von 7900 kg/m3 und kann daher nur begrenzt
beim Bau von Orthesen verwendet werden. Durch seine extrem hohen Festigkeits- und
Steifigkeitswerte bietet sich Stahl zur Verwendung bei kritischen Bauteilen - wie zum
Beispiel bei Gelenken - an, ist aber aus dem gleichen Grund auch schwierig zu bearbeiten.
So stellt zum Beispiel die Firma Otto Bock einzelne Gelenke aus Edelstahl her, die zum
Einbetten in Verbundfaserwerkstoff oder zur Anbindung an Aluminiumschienen gedacht
sind.


4.5 Titan


Der Werkstoff Titan eröffnet neue Anwendungsmöglichkeiten bei Orthesen. Er stellt eine
dritte Möglichkeit dar, die zwischen den traditionellen Versorgungen mit Stahl-Aluminium
Orthesen und den neueren Orthesen aus Faserverbundwerkstoffen liegt.




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Werkstoffe


Titan hat ein spezifisches Gewicht von 4500 kg/m3, das heißt, es ist 40 Prozent leichter als
Edelstahl, mit ähnlichen Leistungsmerkmalen. Bei industriell gefertigten Paßteilen aus
Titan können die traditionellen Montagetechniken beibehalten und dabei das Gewicht der
Orthesenkonstruktion     entscheidend     reduziert     werden.    Ein    Vergleich     von
Titankonstruktionen mit Faserverbundkonstruktionen ergibt, daß Titankonstruktionen ca.
10-15 Prozent schwerer sind, wenn die Orthesen in Faserverbundtechnik mit einem
leistungsfähigen Verfahren hergestellt sind. Die normale Acryl-Laminattechnik ergibt
ungefähr die gleiche Gewichtssituation wie bei Titanschienen.


Der Vorteil von Titan gegenüber den Verbundwerkstoffen liegt jedoch in der Möglichkeit,
bei Anproben und über die gesamte Lebensdauer der Orthese hinweg, Nachpassungen
vorzunehmen, ohne daß sich dies nachteilig auf die Struktur und die Festigkeit der Orthese
auswirkt. Ebenso eignen sich Titanorthesen besonders für die Versorgung von Kindern, da
hier das geringe Gewicht, die leichte Veränderbarkeit der Bauteile sowie die
Reparaturfreundlichkeit von größter Wichtigkeit sind.


Gelenkelemente aus Titan sind des weiteren bestens geeignet für die Einbettung in
Faserverbundwerkstoffe, da es sich im Gegensatz zu Aluminium mit allen
Verbundwerkstoffen verträgt [19].


4.6 Sonstige verwendete Materialien


Die Art der Innenverkleidung und Befestigungsriemen richtet sich nach den Wünschen
bzw. Bedürfnissen (bei Allergien) des Patienten und besteht aus Baumwolle, Leder oder
verschiedenen Kunststoffen.


Die Firma 3M Medica in Borken stellt verschiedene Arten von individuell anpaßbaren
Kunststoffschienen zur Abstützung und Entlastung aller Gliedmaßen her. Der Werkstoff ist
ein Glasfaser-Trägermaterial, daß mit einem wasseraktivierbaren Polyurethanharz getränkt
ist. Nach kurzem Einweichen in Wasser härtet das Harz innerhalb einer halben Stunde
vollkommen aus. Das ausgehärtete Material ist sehr leicht und atmungsaktiv, weil es mit




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Werkstoffe


Poren durchsetzt ist. Für die Verwendung zur Stabilisation kritischer Punkte der
Gehorthese bieten sich insbesondere folgende zwei Produkte an:


       • „3M Softcastquot;: Läßt sich paßgenau an den Körper anmodelieren und ist nach
          dem Aushärten unter Krafteinwirkung noch begrenzt biegsam, findet aber immer
          zur Ausgangsform zurück. Durch das Einmodelieren einer Schiene lassen sich
          gewünschte Bereiche vollkommen stabilisieren.


       • „3M Scotchcastquot;: Dieser Werkstoff wird hauptsächlich als Ersatz für
          herkömmlichen Gips verwendet. Er bietet genügend Stabilität, um ihn als
          Schiene    zur   vollkommenen    Stabilisation   in    das   Softcast     Material
          einzumodelieren.


Vor dem Anmodelieren wird nur ein dünner Unterziehstrumpf über die entsprechende
Extremität gezogen. Er verbleibt als Polsterung in der Schiene und kann Schweiß
aufnehmen. Durch die genaue Paßform lassen sich Druckstellen vermeiden. Zum Softcast
Material werden Schnallen, Bänder und Knöpfe, wie sie zum Verschließen von
Rucksäcken üblich sind, angeboten. Diese lassen sich als Schnellverschlüsse direkt an die
Schiene montieren.


Die Firma 3M Medica gibt gerne weitere Informationen unter der Kontaktadresse im
Anhang.




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Ideenfindung


5. Ideenfindung


Im Vordergrund der Konstruktion und Herstellung von Orthesen steht die generelle Frage:
Welche     Aufgabe      soll   die   Orthese   erfüllen     und   wie   können    die     medizinischen
Anforderungen mechanisch umgesetzt werden?


Zur Lösung dieser Probleme empfiehlt es sich, den wissenschaftlichen Weg einzuschlagen,
den Dingen auf den Grund zu gehen, damit eine bestmögliche Abstimmung der
mechanischen Orthesenelemente in ihrer Wirkungsweise auf den menschlichen Körper
erfolgen    kann.      Dies    geschieht   zweckmäßigerweise       durch   eine    Eingrenzung      des
Aufgabengebietes mittles folgender Fragen:


   • Welchem Zweck dient die Orthese?
   • Welche Gelenke werden mit einbezogen?
   • Wieviel Kraft brauchen wir?
   • Welche Hebelwirkung machen wir uns zunutze?
   • Wie lange soll die Orthese verwendet werden?
   • Aufweiche Oberfläche wirken wir ein?
   • Gegen welche Reaktionen arbeiten wir?
   • Gibt es krankheitsspezifische Warnsignale?


Der oben aufgeführte Fragenkatalog kann als logischer Leitfaden bei der Rezeptierung und
Fertigung herangezogen werden [5].


Dieser     Leitfaden    aus    dem    Standardwerk    der    Orthopädietechnik    dient     zur   ersten
Sensibilisierung für die Problematik der Konzeption der Gehorthese.




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Ideenfindung


5.1 Problemdarstellung


An sich ist die Konstruktion ein rein technisches Problem. Die Orthese ist so zu gestalten,
daß die Funktion sichergestellt ist, das Design ansprechend und funktional ist und somit
der Markt die Orthese akzeptiert. Das beinhaltet unter anderem ein geringes Gewicht, die
einfache Handhabung und andere Punkte, die später als Bewertungskriterien unter Punkt
5.5 noch aufgeführt werden. Zusätzlich zu den technischen Problemen der Konstruktion
müssen jedoch auch in einem sehr hohen Maß die Eigenarten der menschlichen Anatomie
erkannt bzw. das Fehlen von Funktionen berücksichtigt werden. Plausibel wird dies beim
Betrachten der Muskulatur. Durch das Fehlen ihrer Funktion treten gleich mehrere
medizinische Probleme auf. Zunächst führt und hält die Muskulatur die Gelenke in ihrer
Position und ermöglicht somit einen exakten Bewegungsablauf innerhalb des Gelenkes.
Fehlt nun diese Führung, kommt es zu unkontrollierten Bewegungen des Gelenkes, was zu
einem enormen Verschleiß führt. Somit geben die Gelenke nur vor, wo man eine Kraft
bzw. Bewegung einleiten kann. Ferner sorgt die Muskulatur mit Hilfe der Venenklappen
für eine gute Blutzirkulation im ganzen Körper. Durch die Erschlaffung des
Muskelgewebes ist die Funktion der Venenklappen stark beeinträchtigt bzw. nicht mehr
vorhanden. Hieraus folgt eine unzureichende Blutzirkulation in den betroffenen
Extremitäten, da die Pumpfunktion des Herzens allein zum Transport des Blutes aus den
Beinen nicht ausreicht und somit die Gefahr besteht, daß sich Blut in den Beinen sammelt.


Die unzureichende Blutzirkulation wiederum bewirkt eine sehr hohe Empfindlichkeit
gegenüber der Bildung von Druckstellen. Im Vergleich mit einer intakten Muskulatur, wo
eine punktuelle Druckbelastung auf das Gewebe einen blauen Fleck erzeugt, der nach 3-4
Tagen wieder verheilt ist, bildet sich im schlaffen Gewebe eine Druckstelle, die entweder
einer Operation zur Entfernung bedarf, oder erst nach mehr als 6 Monaten verheilt und das
auch nur bei dauernder Pflege. Denn durch die mangelnde Durchblutung ist der Körper
nicht in der Lage sich selbst zu regenerieren.


Des weiteren bedingt die mangelnde Blutzirkulation eine Unterversorgung der Knochen
mit Mineralien, was zu einer Art Osteoporose im Knochen führt. Die Knochenfestigkeit




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Ideenfindung


sinkt auf ca. 50 % der eines gesunden Knochens, so daß ein Stoß, der vor der Lähmung nur
zu einem blauen Fleck geführt hätte, einen Trümmerbruch bewirkt.


Man kann schon jetzt erkennen, daß ein Großteil der Führungsfunktion deshalb von der
Orthese übernommen werden muß. Die Muskulatur, die ohne Funktion schlaff am
Knochen hängt, ein Orthopäde vergleicht sie mit einem lose gebundenen Sack voll Sand,
bedeutet dadurch zusätzliches Gewicht, das auch noch geführt und eingebettet werden
muß.


Daneben tritt auch öfters eine trophische Störung auf, das heißt das vegetative
Nervensystem, das für die Spannung der Haut, der Gefäße und der Lymphgefäße
verantwortlich ist, ist geschädigt. Diese Schädigung führt zu Hautdurchblutungsstörungen,
übermäßiger Schweißsekretbildung und zu einer zusätzlichen Wasseraufnahme des
Körpers.


Als weiteres Problem taucht die Spastik auf, unter der man die unkontrollierte und
willkürliche Bewegung von Muskeln und dadurch der Gliedmaßen versteht. Diese
Bewegungen gilt es sanft mit der Orthese zu unterdrücken bzw. zu mindern, da die Spastik
ein hohes Verletzungspotential wie Prellungen und Knochenbrüche für die Person birgt.
Hier muß versucht werden, bei der Beschaffenheit der Orthese einen Mittelweg zu finden,
damit nicht andererseits die Orthese zu einer Verletzung führt. Das nächste Problem ist der
besondere Aufbau des Kniegelenkes. Das Gelenk besitzt nur im gestreckten Zustand eine
seitliche Stabilität. Das heißt ein Kniegelenk hat im gebeugten Zustand mehr Freiheitsgrade
als im gestreckten Zustand. Aus diesem Grund benötigt es starke seitliche Ersatzführungen,
die nur Bewegungen in der Sagitalebene zulassen. Ferner führt das Kniegelenk keine reine
Rotationsbewegung aus, sondern eine Überlagerung aus Rotation- und Scherbewegung.
Dieser komplizierte Bewegungsablauf muß zusätzlich bei der Krafteinleitung beachtet
werden.


5.2 Lösungsfindung




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Gehorthese
Gehorthese
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Gehorthese

  • 1. Jörg Hahn / Jens Schlesener Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte Diese Diplomarbeit wurde am Fachbereich Maschinenbau der Fachhochschule Trier im Auftrag der Firma Medical Research and Development Patent GmbH & Co. KG im Zeitraum von Mai 1997 bis Oktober 1997 erstellt.
  • 2. Wir begrüßen Sie zum ersten Kontakt mit der Diplomarbeit „Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte. Diese Datei enthält einige Hinweise zur Nutzung der CD-Rom. Die einzelnen Dateien sind nach den Kapiteln der Diplomarbeit unterteilt: • kapO enthält die Einführung in die Diplomarbeit • kap 12 enthält die Kapitel „1. Einleitungquot; und Kapitel „2. Medizinische Grundlagenquot;, • kap3 enthält das Kapitel „3. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmtequot;, • kap4 enthält das Kapitel „4. Werkstoffe im Orthesenbauquot;, • kap5 enthält das Kapitel „5. Ideenfindungquot;, • kap67 enthält die Kapitel „6. Detaillösungenquot; und Kapitel „7. Ausblickquot;, • danach folgt der „Anhangquot; im Ordner anhang Desweiteren sind auf dieser CD-Rom die während der Diplomarbeit erarbeiteten catia Model- Files der Detailkonstruktionen und der Lösungskonzepte gespeichert Die einzelnen Kapitel lassen sich mit MS-Word 7.0 öffnen. Die catia Model-Files wurden mit der Version catia 4.1.7 erstellt.
  • 3. Konzeption einer Gehorthese für Ouerschnittgelähmte Erklärungen 1. Uns ist bekannt, daß die Diplomarbeit als Prüfungsleistung in das Eigentum des Landes Rheinland - Pfalz übergeht. Hiermit erklären wir unser Einverständnis, daß die Fachhochschule Trier diese Prüfungs- leistung von Studenten der Fachhochschule Trier einsehen lassen darf, und daß sie die Abschlußarbeit unter Nennung unserer Namen als Urheber veröffentlichen darf. 2. Wir erklären hiermit, daß wir diese Diplomarbeit selbständig verfaßt, noch nicht anderweitig für andere Prüfungszwecke vorgelegt, keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt sowie wörtliche und sinngemäße Zitate als solche gekennzeichnet haben. Trier, den 24.10.97 Jörg Hahn Jens Schlesener Vorwort Jörg Hahn & Jens Schlesener
  • 4. Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte Im April 1997 hat der technische Geschäftsführer Friedrich Schmitt der Trierer Firma Medical Research and Development Patent GmbH & Co. KG (MRD) uns das Thema quot;Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmtequot; für eine Diplomarbeit vorge- schlagen. Da wir schon im Wintersemester 1995 / 1996 eine Konstruktionsarbeit aus dem Bereich der Medizintechnik ausgeführt haben, hatten wir an diesem Thema sofort Interesse. An dieser Stelle möchten wir uns bei allen, die uns bei dieser Arbeit unterstützt haben, bedanken; zuerst bei Herrn Prof. Dr. Ing. Michael Schuth für die Betreuung. Zudem stand er uns jederzeit mit seinem Rat zur Seite und half uns bei der Bewältigung von Problemen. Danken möchten wir der Firma MRD für die Aufgabenstellung und die interessanten Ideen beim Brainstorming. Des weiteren möchten wir uns bei Dr. med. Bremer, Oberarzt in der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, und den Orthopädietechnikern der Klinik bedanken. In Gesprächen beurteilten sie die einzelnen Lösungsvorschläge und zeigten uns Möglichkeiten zu Verbesserungen auf, die den Bedürfnissen der Behinderten vollends gerecht werden. Besonders dankbar sind wir Frank Schäfer, der durch seine offenen Gespräche und die von ihm geknüpften Kontakte uns vieles über die Bedürfnisse von Paraplegikern nahe bringen konnte. Auch war sein persönlicher Ehrgeiz und sein Engagement in dieser Sache immer wieder Ansporn für uns, unsere Arbeit weiter hartnäckig zu verfolgen. Durch ihn lernten wir auch Claudia Kübert und Gerd Kluth kennen. Sie vermittelten uns in zahlreichen Gesprächen ein Gespür für die Bewegungsabläufe beim Gehen von behinderten und gesunden Menschen und unterstützten uns jederzeit bei orthopädischen Problemen. Abschließend bedanken wir uns bei den zahlreichen Firmen, die uns Anschauungsmaterial zur Verfügung stellten. Sie sind namentlich im Anhang aufgeführt. Inhalt Seite Jörg Hahn & Jens Schlesener IV
  • 5. Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte Zusammenfassung _____________________________________________________ Vll 1. Einleitung __________________________________________________________ 1 1.1 Vorstellung der Firma MRD Patent GmbH & Co. KG __________________ 3 1.2 Zeitplanung __________________________________________________ 4 1.3 Zielsetzung ___________________________________________________ 6 1.4 Anforderungsliste: Orthese für Querschnittgelähmte ___________________ 10 2. Medizinische Grundlagen _____________________________________________ 13 2.1 Die Wirbelsäule _______________________________________________ 13 2.2 Das Rückenmark ______________________________________________ 14 2.3 Querschnittlähmung ____________________________________________ 16 2.4 Einstufung nach der Höhe der Rückenmarkschädigung _________________ 17 3. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte ________________ 19 3.1 Rollstühle ____________________________________________________ 19 3.2 Funktionelle Elektrostimulation und Neuroprothesen (Nerven aus Draht) ___ 20 3.3 Orthesen _____________________________________________________ 21 3.4 Reziproke Gehorthesen _________________________________________ 21 3.4.1 Die quot;LSU Reciprocation-Gait Orthosisquot; _____________________ 23 3.4.2 Die quot;Isozentrische ARGIOquot; ______________________________ 25 3.4.3 Der quot;Parawalkerquot; ______________________________________ 27 4. Werkstoffe im Orthesenbau ___________________________________________ 28 4.1 Polyethylen und Polypropylen ____________________________________ 29 4.2 Carbonfaserverstärkte Kunststoffe _________________________________ 30 4.3 Aluminium ___________________________________________________ 31 4.4 Edelstahl_____________________________________________________ 32 4.5 Titan ________________________________________________________ 32 4.6 Sonstige verwendete Materialien __________________________________ 33 5. Ideenfindung _______________________________________________________ 35 5.1 Problemdarstellung ____________________________________________ 36 Jörg Hahn & Jens Schlesener V
  • 6. Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte 5.2 Lösungsfindung _______________________________________________ 37 Vorstellung der Gesamtlösungen __________________________________ 42 5.3 5.3.1 Details, die alle Lösungen aufweisen ________________________ 42 5.4 Beschreibung der vier Lösungsvorschläge ___________________________ 43 5.4.1 Lösung 1: Gestänge-Hebelarmkombination mit Hydraulikantrieb __ 44 5.4.2 Lösung 2: Anatomische CFK-Schienen mit elektromotorischen Antrieben _____________________________________________ 47 5.4.3 Lösung 3: Seilzuggesteuerte Orthese mit elektromotorischen Antrieben _____________________________________________ 52 5.4.4 Lösung 4: Seilzuggesteuerte Orthese mit hydraulischen Antrieben _54 5.5 Vergleich der Lösungen _________________________________________ 60 5.6 Vergleichssystematik ___________________________________________ 65 5.7 Auswertung der Vergleichsystematik _______________________________ 67 6. Detaillösungen ______________________________________________________ 72 6.1 Das Hydrauliksystem ___________________________________________ 72 6.1.1 Experimentelle Ermittlung der notwendigen Längenänderungen __ 76 6.2 Aufnahme der Hydraulikzylinder __________________________________ 77 6.3 Anbindung der Bowdenzüge _____________________________________ 78 6.3.1 Plazierungen der Anbindungen __________________________________ 80 6.4 Führung der Bowdenzüge________________________________________ 81 6.5 Bandagen ____________________________________________________ 81 6.5.1 Individuelle Bandagenanpassung durch Klettverschlüsse _________ 81 7. Ausblick ___________________________________________________________ 84 Anhang ______________________________________________________________ 86 Anhang A: Primärenergieversorgung über einen Druckspeicher _____________ 86 Anhang B: Vorschläge zur Gestaltung der Steuerung bzw. Regelung _________ 87 Jörg Hahn & Jens Schlesener VI
  • 7. ______________________ Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte Anhang C: Kontakte zu Betroffenen, Medizinern und Krankengymnasten _____ 88 Anhang D: Firmen, zu denen im Verlaufe der Arbeit hilfreiche Kontakte geknüpft wurden _________________________________________ 89 Anhang E: Firmen, deren Produkte in der Diplomarbeit vorgeschlagen wurden _89 Anhang F: Quellenverzeichnis _______________________________________ 90 Anhang G: Diplomanden ___________________________________________ 93 Jörg Hahn & Jens Schlesener VII
  • 8. Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte Zusammenfassung Der erste Kontakt eines Studenten mit seiner Diplomarbeit ist die Überschrift des Themas, danach folgt meist eine kurze Erläuterung. Aufgrund dieser wenigen Informationen wird entschieden, ob das Thema der Fachrichtung entspricht, in der man später beruflich tätig sein möchte, und inwiefern das Thema für den jeweiligen Diplomanden genug Motivations-grundlage bietet, um die Diplomarbeit mit Erfolg abschließen zu können. Diese Zusammenfassung soll hierfür eine Entscheidungshilfe und Motivationsgrundlage sein. Die Trierer Firma MRD Patent GmbH & Co. KG hat das Thema quot;Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmtequot; im April 1997 angeboten und notwendige finanzielle Mittel zugesagt. Zu Beginn war eine umfangreiche Einarbeitung in die Thematik, speziell in den medizinischen Themenbereich Querschnittlähmung, erforderlich. Neben der üblichen Literaturrecherche wurden Kontakte zu Betroffenen, Firmen, Krankengymnasten und Ärzten geknüpft. In dieser Phase wurden die medizinischen Grundlagen erarbeitet, der Stand der Technik von reziproken Gehorthesen festgestellt und eine Vorauswahl an Werkstoffen getroffen. In zahlreichen Gesprächen mit Querschnittgelähmten wurden ihre Bedürfnisse an die Orthese bestimmt, damit nicht am Kunden vorbei konstruiert wird. Aus den Bedürfnissen entstanden zum einen Ideen, die konstruktiv umgesetzt wurden und zum anderen die Bewertungskriterien und deren Gewichtung innerhalb einer Konstruktionssystematik. In der Orthopädischen Universitätsklinik in Heidelberg wurden die Lösungsansätze mit Medizinern und Orthopädietechnikern besprochen, kritisiert und verbessert. Die krankengymnastische Abteilung der Rehabilitationsklinik Burg Landshut in Bild 1: Virtueller Bernkastei - Kues (RPL) hat uns beraten, in welchen Rahmen Computer - Dummy als erste Testperson ein Gehen mit der Gehorthese möglich ist und unsere Jörg Hahn & Jens Schlesener VIII
  • 9. Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmte Lösungskonzepte in bezug auf die menschliche Anatomie überprüft. Die Lösungskonzepte wurden als Symboldarstellungen 3-dimensional mit CATIA gezeichnet. Dazu war es notwendig einen virtuellen Computer - Dummy zu entwickeln, an den die Orthese angepaßt werden komite. Der in Bild 1 dargestellte Computer - Dummy weist die wesentlichen physiologischen Merkmale - kräftiger Oberkörper gegenüber atrophierten Beinen - eines Querschnittgelähmten auf. Eines dieser Lösungskonzepte, das in Bild 2 dargestellte quot;Seilzuggesteuerte Orthese mit hydraulischen Antriebenquot; wurde durch eine Konstruktionssystematik zur Detailkonstruktion ausgewählt. Diese besteht aus einem System von Bandagen, das zur Einleitung bzw. Abstützung der Momente und zur Befestigung des Antriebes dient. Der Antrieb, der der menschlichen Anatomie nachempfunden ist, besteht aus hydraulischen Linearmotoren, deren Hubbewegungen über Seilzüge auf die Beine übertragen werden. Als Steuerung bzw. Regelung wird eine SPS (Speicherprogrammierbare Steuerung) verwendet. Ihre Signale wirken auf Ventilblöcke, die die Energie des Druckmediums an die Antriebe verteilen. Strenggenommen ist an diesem Punkt das Thema der Diplomarbeit quot;Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmtequot; ausgefüllt. Als Schnittstelle für weiterführende Arbeiten wurde jedoch noch eine Detailrecherche durchgeführt, deren Ergebnisse im Kapitel quot;Detaillösungenquot; abschließend aufgeführt sind. Außer der Detailkonstruktion bietet sich für weitere Diplomarbeiten die Konstruktion der Energieversorgung und die Entwicklung der Steuerung bzw. Regelung der Bewegungsabläufe an. Ideen hierzu, die während dieser Arbeit entstanden sind, sind im Anhang aufgeführt. Bild 2: Seilzuggesteuerte
  • 10. Orthese mit hydraulischen Antrieben Jörg Hahn & Jens Schlesener IX
  • 11. Einleitung 1. Einleitung Vor etwa 35 Jahren führte eine Querschnittlähmung in der Regel innerhalb weniger Wochen oder Monate zum Tode des Betroffenen. Für die wenigen Überlebenden bedingte eine schwere Schädigung des Rückenmarks in jedem Fall einen lebenslangen Zustand der Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit. Diese Situation hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Es ist heute möglich, die überwiegende Mehrzahl der an Folgen einer schweren Erkrankung oder Verletzung des Rückenmarks Leidenden am Leben zu erhalten. Allerdings ergibt sich diese Verbesserung der Überlebenschancen nur unter der Voraussetzung, daß jeder Querschnittgelähmte sogleich und letztlich für sein ganzes Leben die erforderliche und in erheblichen Umfang spezialisierte Behandlung erfährt, und daß er selber konsequent die Regeln und Bedingungen beachtet, die die Behinderung und ihre Folgen von ihm fordern. In Deutschland sind jährlich etwa 1000 - 1200 Neuerkrankungen oder Verletzungen mit der Folge einer schweren Schädigung des Rückenmarks und hieraus resultierend einer Querschnittlähmung zu verzeichnen. Eingeschlossen in diese Zahl sind etwa 300 Kinder, die mit schweren Fehlbildungen des Rückenmarks und der Wirbelsäule (Spina bifida) geboren werden. In erster Linie sind Verkehrsunfälle für etwa 60 Prozent aller traumatischen Rückenmarkschädigungen verantwortlich. Bemerkenswert ist, daß die Mehrzahl von querschnittgelähmten Verkehrsopfern ihre Schädigung dadurch erleiden, daß sie aus dem Kraftfahrzeug heraus- oder im Fahrzeugraum umhergeschleudert werden. Unter mehr als 1000 durch Kraftfahrzeugunfälle querschnittgelähmten Personen hatten weniger als 10 in einem mit Nackenstützen ausgestatteten Auto einen korrekten Sicherheitsgurt getragen. In den letzten Jahren hat die Zahl der Querschnittlähmungen durch Moped- und Motorradunfälle deutlich zugenommen. Zu erwähnen ist schließlich die Tatsache, daß bei mehr als der Hälfte der durch Verkehrsunfälle verursachten Querschnittlähmungen dem Alkoholmißbrauch eine mitverursachende Rolle zugeschrieben werden muß. Des weiteren kommt es nicht selten in Folge von Sport- und Spielunfällen zur Querschnittlähmung. Als Ursache zu nennen sind hier insbesondere Badeunfälle (Kopfsprünge in unbekannte Gewässer und Sprünge vom Seitenrand öffentlicher Jörg Hahn & Jens Schlesener 1
  • 12. ________________________________________________________________ Einleitunfi Schwimmbäder), Unfälle beim Trampolinturnen, beim Reiten und Skifahren. Von Querschnittlähmungen als Folge von Unfällen am Arbeitsplatz sind insbesondere Personen betroffen, die in der Landwirtschaft (Stürze von der Leiter oder vom Baum, Verletzungen durch Landmaschinen), im Baugewerbe (Stürze von Baugerüsten oder in Baugruben hinein) und im Untertagebau tätig sind. Neben den keineswegs seltenen häuslichen Unfällen, von denen vor allem Hausfrauen und ältere Personen betroffen sind, spielen bedauerlicherweise Selbsttötungs- und Fremdtötungsversuche als Ursachen von Querschnittlähmungen eine erhebliche Rolle. Eine Querschnittlähmung kann auch durch Entzündungen des Rückenmarks und der Wirbelsäule, Tumoren oder neurologischen Systemerkrankungen (Multiple Sklerose) hervorgerufen werden [1]. Querschnittgelähmte sind je nach Krankheitsbild auf Hilfsmittel zur Rehabilitation und zur Bewältigung des Alltages angewiesen. Die Orthopädietechnik bietet hier eine Vielzahl von Orthesen an, die den Querschnittgelähmten bezogen auf sein Krankheitsbild in seinem Umfeld beweglicher machen sollen und seine physische Konstitution erhalten oder sogar verbessern sollen. Diese Orthesen sind oft schwierig zu handhaben. Das Gehen eines Querschnittgelähmten mit einem sogenannten reziproken Apparat ist nur sehr begrenzt möglich. Ein großes Problem hierbei sind die sehr begrenzten Kräfte des Betroffenen, zumal es sehr schwierig ist, diese Kräfte, in der Regel die Kräfte des Oberkörpers, für eine Gehorthese zu nutzen. Hier soll, ausgehend von bestehenden Systemen, mit weiterem technischen Einsatz eine Verbesserung erzielt werden. Im Rahmen dieser Konstruktion wird das Konzept für den Prototypen einer Gehorthese für Querschnittgelähmte erstellt. Bei der Konzeption der Orthese wird vom Krankheitsbild eines einzelnen Querschnittgelähmten, der sich als Versuchsperson angeboten hat, ausgegangen. Die Orthese muß, wie es in der Orthopädie üblich ist, individuell an den Betroffenen angepaßt werden. Sie soll durch einen externen Antrieb und eine externe Energieversorgung den Gang des Querschnittgelähmten unterstützen. Diese Möglichkeiten werden optional in der Konstruktion berücksichtigt, so daß ein Antrieb einfach adaptiert werden kann. Jörg Hahn & Jens Schlesener 2
  • 13. 1.1 Vorstellung der Firma MRD Patent GmbH & Co. KG Forschung und Entwicklung im medizinisch-technischen Bereich sind die wesentlichen Arbeitsinhalte des 1995 von Friedrich Schmitt gegründeten MRD' Unternehmens Medical Research and Development Patent GmbH & Co. KG. Zur Zeit beschäftigt die Firma MRD 11 fest angestellte Mitarbeiter. Neben den fest angestellten Mitarbeitern unterstützen ständig etwa 20 Fachleute von Hochschulen und Instituten die Firma MRD. Die MRD Beschäftigten kommen aus den unterschiedlichsten Berufsfeldern, z.B. Ingenieure für bio-medizinische Technik, Ingenieure für Maschinenbau oder ein Schreiner. Bei MRD steht die Fähigkeit, Dinge zu durchschauen, im Vordergrund. Durch die Mischung unterschiedlicher beruflicher Fähigkeiten wird die innovative Arbeit gefördert. MRD erzielt mit diesem Konzept beachtliche Erfolge. Derzeit hält die Firma 23 Patente und belegt damit auf dem rheinland-pfälzischen Patentindex des vergangenen Jahres Platz zwei hinter der BASF. MRD hat bisher folgende Produkte von der Patentanmeldung bis zur Marktreife entwickelt: • MRD Möbelsystem EVOLUTION (Bild 1 und 2) • MRD Zytostatika-Sicherheitswerkbank Zyto Safe® MRD hält unter anderem Patente für folgende Produkte: • Luftreinigungsanlage • Anti-Schnarch-Klammer • Herzklappe Ein Produktbeispiel ist das Möbelsystem EVOLUTION, ein Einrichtungssystem für Praxen, Krankenhäuser etc. Es ist ein Modulsystem, bei dem die Knotenstücke, die jeweils nur so viele Gewindebohrungen aufweisen wie für die Verbindung nötig sind, mit 3 Jörg Hahn & Jens Schlesener
  • 14. Einleitung Rundrohren verbunden werden (Bild 1.1). Die Flächenwerkstoffe können nach Gefallen und Verwendungszweck z.B. für Schränke, Schreibtische oder Empfangstresen ausgewählt werden (Bild 1.2). Die patentierte Konstruktion erlaubt den problemlosen Austausch aller Teile auch ohne Demontage. Bild 1.1 :Die Knotenstücke werden mit Rundrohren verbunden Bild 1.2: Ein Anwendungsbeispiel von 1.2 Zeitplanung FVOT T TTTfYN Das Hochschulgesetz sieht für eine Diplomarbeit, die reibungslos abläuft, einen Zeitraum von 26 Wochen vor. Das ist in diesem Fall die Zeit vom 24.04. - 24.10.1997. Die Verteilung der Arbeitszeit in Wochen veranschaulicht folgender Zeitplan: Berechnung der Gesamtarbeitsstundenzahl: • Im oben genannten Zeitraum liegen 124 Arbeitstage. • Es wird eine durchschnittliche Arbeitszeit von 8 Stunden pro Tag berechnet. • Die Zeit wird zu 2/3 von beiden Studenten gemeinsam, und zu 1/3 jeweils einzeln genutzt. Jörg Hahn & Jens Schlesener 4
  • 15. Einleitung Daraus ergibt sich die Gesamtstundenzahl: 124 Arbeitstage x 8 Stundei}4,„ x 1.5 * 1300 Stunden Tag Stand: Do. 25.09.97 Arbeitsabschnitt Kalenderwoche 1997 Mai Juni Juli August September 2 2 i i 2 2 2 7 8 3 3 2 3 3 4 4 2 3 3 3 3 4 4 3 3 2 6 9 8 0 3 5 7 S 4 3 5 0 3 1 1 4 6 9 1 2 0 2 2 Layout der einzelnen Kapitel Recherche Erarbeiten d. medi- zinischen Thematik Auswertung der Recherche Gliederung Konstruktion Ideenflndung Detailrecherche Werkstoffauswahl Zwischen- präsentation CAD Endgültiges Layout 1 2 1 7 7 7 i 3 4 4 4 3 3 4 4 1 3 3 3 3 3 3 ? 7 l 1 2 3 4 7 8 9 9 1 2 2 6 0 3 8 0 1 8 9 5 7 1 0 6 5 Juli Mai Juni August September Der Zeitplan beginnt mit einer umfangreichen Recherche, weil die Thematik „Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmtequot; für die Firma MRD und uns eine ganz neue Herausforderung ist. Daran schließt sich eine Einarbeitungs- und Auswertungsphase an. Nach 11 Wochen beginnt die Konstruktionsphase mit der Ideenflndung zu konkreten Lösungsansätzen. In der 19. Woche findet eine Zwischenpräsentation statt. Hier wird mit Herrn Prof. Dr. M. Schuth und der Firma MRD abgeklärt, welche Lösungsansätze detailliert werden. Die Konstruktionsphase beinhaltet neben der Werkstoffauswahl und der Jörg Hahn & Jens Schlesener 5
  • 16. Einleitung Ausarbeitung mit dem CAD Programm CATIA einige Detailkonstruktionen als Schnittstelle zu weiterführenden Arbeiten. Bis zum Ende der Konstruktionsphase wird parallel zu den Ausarbeitungen das Layout der fertigen Kapitel vorgearbeitet. Der Zeitplan endet mit einem zweiwöchigen Zeitraum, in dem die Diplomarbeit endgültig zu Papier gebracht wird. 1.3 Zielsetzung Im Brainstorming werden zu Beginn der Arbeit die Assoziationen aller Beteiligten zum Thema „Konzeption einer Gehorthese für Querschnittgelähmtequot; festgehalten. Hieraus ergibt sich der größtmögliche Rahmen des Projektes mit vielen Möglichkeiten, die zwar denkbar, jedoch in ihrer Vielfalt nicht realisierbar sind. Abgesehen davon, daß in dieser Diplomarbeit die Konzeption des mechanischen Gestells gefordert ist, wird nachfolgend stichpunktartig der gesamte Umfang der ersten Ideenfindung dargestellt, um einen Gesamteindruck über das Ausmaß des Projektes zu gewinnen. Ideen zur Recherche: • Literatur • Internet • Patentrecherche • Befragung der Betroffenen; hauptsächlich Paraplegiker (Paraplegie = Querschnittlähmung bei voller Funktion der Arme) • Unterstützung durch Paraplegiker Verbände und Vereine • Unterstützung durch Kliniken und Rehabilitationszentren • Unterstützung durch Orthopädie-Techniker • Unterstützung durch Werkstätten der Orthopädietechnik • Unterstützung durch Hersteller orthopädisch technischer Werkstoffe, Gelenke und Schienen Jörg Hahn & Jens Schlesener 6
  • 17. Einleitung Ideen zu Funktionen: • Die Orthese soll es dem Querschnittgelähmten ermöglichen, für einen bestimmten Zeitraum selbständig zu gehen. • Die Orthese soll die Stützfunktionen aus dem Zusammenspiel von Skelett und Muskeln eines gesunden Menschen ersetzen. • Die Othese soll die gleiche Steifigkeit aufweisen wie der menschliche Körper. • Die Orthese muß mit einem Antrieb und einer Energiequelle versehen werden, um die fehlende Beinkraft zu ersetzen. • Die Orthese kann mit einem künstlichen Gleichgewichtssinn versehen werden. • Die Handhabung der Orthese könnte über ein Bussystem mit einer SPS (speicherprogrammierbare Steuerung) gesteuert werden. Ideen zum Aufbau: • Die Orthese kann aus Schalen, die den Kontakt zum Körper herstellen, und aus orthopädischen Schienen und Gelenken zusammengesetzt werden. • Das funktionsfähige menschliche Skelett soll mit seiner Stützfunktion und seinen Gelenken komplett integriert werden. • Aufbau als „mechanische Hosequot;: Ein Gestell, in das der Querschnittgelähmte von der Brust an bis einschließlich der Füße integriert wird. • Aufbau als „mechanische Shortsquot;: Ein Gestell wie die mechanische Hose, das nur bis zu den Knien alle Funktionen (z.B. Funktionen zum Antrieb oder zur Unterstützung des Gleichgewichtes) erfüllt. Weiter abwärts hat die Orthese nur noch Stützfunktion, und es ist keine Adaption weiterer Funktionen unterhalb der Kniegelenke möglich. • Aufbau als „mechanische Shortsquot;: Die Orthese endet unterhalb der Kniegelenke. Das Sprunggelenk wird durch einen orthopädischen Schuh abgestützt. Die Bewegung des Unterschenkels wird wie bei einer Oberschenkelprothese erzeugt. • Alle Varianten sollen direkt an die Anatomie des Querschnittgelähmten angepaßt werden. • Der Betroffene soll in der Lage sein, die Orthese selbst anzulegen. • Die Orthese soll über ein System von Schnellverschlüssen einfach in der Handhabung sein. Ideen zu Werkstoffen: Jörg Hahn & Jens Schlesener 7
  • 18. Einleitung • Alle Werkstoffe müssen nach Möglichkeit äußerst leicht sein, hohe Festigkeit und hohe Korrosionsbeständigkeit aufweisen. Hier können Werkstoffe, wie sie im Segelsport verwendet werden, mit ihren äußerst beständigen Eigenschaften und zusätzlicher Leichtbauweise verwendet werden • Einzeln angepaßte Schalen können aus modernen Verbundwerkstoffen, wie Carbon- oder Glasfaser verstärkte Werkstoffe, hergestellt werden. • Für die Gelenke kann Edelstahl oder Titan verwendet werden. • Für Stützschienen kann Aluminium oder Titan verwendet werden. Ideen zum Einsatzort: • Einsatz innerhalb der eigenen Wohnung: Hier kann evtl. auch während des Gebrauches eine Aufladung der Energieversorgung stattfinden. • Einsatz im Freien: Hier muß das Überwinden von schon kleinsten Hindernissen, wie unebener oder weicher Untergrund berücksichtigt werden. • Einsatz für Rehabilitationszwecke, also ausschließlich im Rahmen ärztlicher Behandlung • Vom Einsatzort ist die Dauer des Einsatzes mitbeeinflußt. Ideen zur Energieversorgung und Energieübertragung: • Die Energieversorgung soll am Körper getragen werden. Dazu muß sie leicht sein und darf keine Gefahr darstellen. • Es soll keine Energie „verschenktquot; werden. So soll Gewicht gespart werden. Nach Möglichkeit soll versucht werden, Energie zurück zu gewinnen. • Nutzung der Wärmeenergie des Körpers über einen Wärmetauscher • Rückgewinnung von Energie beim Auftreten durch einen „Schuhsohlengeneratorquot; • Einbeziehen des körpereigenen Biogases in den Energiehaushalt • Die Leistungsfähigkeit der Arme soll in vollem Umfang genutzt werden. • Energie aus einem Drucklufttank ist mechanisch einfach zu verteilen. • Energie durch einen Verbrennungsmotor, der auf dem Rücken getragen werden kann: Vorteilhaft ist hierbei die hohe Energiedichte der Treibstoffe. Bei der Verwendung von Wasserstoff fallen sogar störende Abgase weg. Aus dem Modellbau können hierfür Erfahrungen übernommen werden. Jörg Hahn & Jens Schlesener 8
  • 19. Einleitung • Elektrische Energie ist über eine SPS und ein Bussystem einfach zu steuern und am Körper zu verteilen. • Elektrische Energie kann auf vielerlei Weise bereitgestellt werden: a) Durch leistungsfähige Akkus, wie sie bei Heimwerkerwerkzeugen zu finden sind b) In der eigenen Wohnung ist eine Energieversorgung über ein Oberleitungssystem wie bei Straßenbahnen denkbar. Hierüber kann während der Nutzung gleichzeitig ein Akku wieder aufgeladen werden. c) Im Auto ist das Aufladen eines Akkus über einen Anschluß am Zigarettenanzünder denkbar. d) Bei Gebrauch im Freien und bei Sonnenschein kann Energie über eine mit Solarzellen bestückte Jacke erfolgen. Beim Brainstorming ist Kritik gegen einen Lösungsansatz nicht zugelassen. Da diese Auflistung das Ergebnis eines Brainstorming ist, beinhaltet sie nur Vorteile zur Nutzung der Vorschläge, obwohl bei vielen Vorschlägen sich Kritik insbesondere hinsichtlich der Realisierbarkeit aufdrängt. Um bei der Arbeit zu einem guten Ergebnis gelangen zu können, muß also, so gut wie dies im Vorfeld möglich ist, abgewägt werden, welche Inhalte wirklich realisierbar sind und den Rahmen einer Diplomarbeit sinnvoll ausfüllen. Nach dieser Abwägung ist das Lastenheft im folgenden Abschnitt entstanden. 1.4 Anforderungsliste: Orthese für Querschnittgelähmte Jörg Hahn & Jens Schlesener 9
  • 20. E in Stand: leitung F=Forderung, W=Wunsch 03.07.1997 Ander. Anforderungen Verantw. F/ W Zweck: - Hauptproblem: Querschnittlähmung (Paraplegie) - Gehhilfe für Querschnittgelähmte F - Stützen des Körpers - Durch externen Antrieb wird aufrechter Gang ermöglicht F a) - mit fremder Hilfe W a) - ohne fremde Hilfe F a) - in der Ebene W a) - Treppe W a) - auf verschiedenem Untergrund - Erhöhen der Selbständigkeit —> Erhöhen des Selbstwertgefühls Stand der Technik: - Patentrecherche läuft MRD 01.07.97 - Patente über angetriebene Orthesen existieren nicht MRD Markt: - siehe Recherche Zielgruppe: 03.07.97 - Querschnittgelähmte, Reha-Zentren - Paraplegiker Anzahl: - ein Prototyp für Christian Elbeshausen (C.E.) Zus.- w Arbeit mit C.E. Produktausführung: F - individuelle Anfertigung F - Gesamtgeometrie wird durch Patienten bestimmt W - Gewicht soll der atrophierten Muskelmasse entsprechen W - Menschlicher Gang, v ca. 0,8 m/s Kräfte: - Masse des Körpers - Trägheitskräfte - (Druckkräfte nimmt Skelett teilweise auf) Ander. F/ Anforderungen Verantw. W Jörg Hahn & Jens Schlesener 10
  • 21. w - Laufzeit: 2h/Tag über 30 Jahre ~>21900h ->79*10A6 Schritte w - Steifigkeit soll der des Knochen entsprechen Energie: - (gesunder Mensch kann kurzfristig 500W leisten) - nötige Bewegungsenergie + Verluste der Übertragung - Energiezufuhr und -Umformung wird nicht im Detail behandelt 03.07.97 W - Konstruktive Lösung der Energieumformung Stoff: - Patient, (Skelett, Muskeln, Sehnen) - Gerüst (GFK, CFK, AI, Ti, usw.) Signal: - Bewegungsbefehle des Patienten zur Regelung - von der Regelung zur Energiequelle - von der Energiequelle zu den Antrieben - von den Antrieben zur Regelung Sicherheit: - Einhaltung des Medizinproduktegesetz bzw. Richtlinie 03.07.97 W 93/42 EWG Ergonomie: - Bedienung: a) einmaliger Reiz ruft gespeicherten Bewegungsablauf auf b) andauernder Reiz für den Bewegungsablauf - Form: Anlehnung an natürlichen Körperbau W - mit fremder Hilfe anzuziehen F - ohne fremde Hilfe anzuziehen W - Gleichgewichtserhalt mit Unterarmstützen 03.07.97 F - Gleichgewichtserhalt ohne Unterarmstützen 03.07.97 W Fertigung: - einzeln angefertigte Schalen - gleichbleibende Teile wie Gelenke usw. sind Standardteile Kontrolle: - Probelauf und Softwareverifikation Montage: - nach Anfertigung der Formteile Fertigmontage in der Werkstatt Jörg Hahn & Jens Schlesener 11
  • 22. Einleitung Ander. Anforderungen Verantw. F/ W Gebrauch: F - bis Ende des Lebensdauerzyklus W - Tod des Patienten, danach recyclen -Ort: F a) innerhalb geschlossener Räume W a) außerhalb geschlossener Räume Emissionen: - Lärm (mechanische Geräusche), andere je nach Antrieb Instandhaltung: - nach gewisser Stundenzahl Sichtkontrolle der einzelnen Komponenten Kosten: - Entwicklungkosten MRD - Herstellungskosten u.FH - Materialkosten Termine: F - siehe Zeitplan Jörg Hahn & Jens Schlesener 12
  • 23. Medizinische Grundlagen 2. Medizinische Grundlagen In den folgenden vier Abschnitten werden die Wirbelsäule des Menschen und das Rückenmark beschrieben. Des weiteren wird eine Basis geschaffen, um das Thema Querschnittlähmung auch medizinisch zu begreifen. 2.1 Die Wirbelsäule Bild 2.1: Die Wirbelsäule des Menschen (Columna vertebralis) mit Bezeichnung der einzelnen Abschnitte und Wirbel In Bild 2.1 ist die Wirbelsäule des Menschen dargestellt. Oben befinden sich die sieben Halswirbel Cl - C7 (Vertebrae cervicales I -VII). Weiter oben sind keine Wirbelelemente mehr. Hier mündet das verlängerte Rückenmark (Medulla oblangata) in den Jörg Hahn & Jens Schlesener 13
  • 24. Medizinische Grundlagen Schädelknochen und stellt so die Verbindung zum Gehirn her. Unter den Halswirbeln schließen sich die zwölf Brustwirbel an (Vertebrae thoracicae I - XII). Bei einer Schädigung (Läsion) des Rückenmarks in diesem Bereich spricht man von einer thoracalen Lähmung. Unter den Brustwirbeln befinden sich die fünf Lendenwirbel (Vertebrae lumbales I -V). Bei Läsionen in diesem Bereich spricht man von lumbaler Lähmung. Der unterste Abschnitt der Wirbelsäule ist das Steißbein (Os sacrum). Die Wirbelelemente sind hier zu einem Knochen zusammengewachsen. Im Querschnitt der Wirbelsäule ist der Wirbelkanal (Canalis vertebralis) zu erkennen. In diesem Kanal verläuft das Rückenmark. Es wird durch die Wirbelsäule vor Verletzungen geschützt und zugleich im flexiblen Wirbelkanal geführt. 2.2 Das Rückenmark Das Rückenmark (Medulla spinalis) ist im Bild 2.2 farblich hervorgehoben. Es ist ein langer dicker Strang von Nervenfasern und Nervenzellen sowie Bindegewebe im Rückenmarkskanal (Canalis vertebralis) der Wirbelsäule. Es wird in die gleichen Abschnitte (cervical-, thoracal-, vertebral- und sacral Abschnitt) wie die Wirbelsäule unterteilt. Die Abschnitte sind im Bild 2.2 gelb, rot, blau und weiß hervorgehoben. Eine weitere Unterteilung des Rückenmarks - den Wirbeln entsprechend - erfolgt in sogenannte Rückenmarksegmente. Eine Besonderheit der acht Halsmarksegmente (Segmenta cervicalia I -VIII) liegt in der Anzahl acht gegenüber den sieben Halswirbeln. Zusammen mit dem Gehirn bildet das Rückenmark das Zentralnervensystem. Die Verbindung zwischen Gehirn und Rückenmark ist das verlängerte Mark (Medulla oblangata). Das Rückenmark erfährt in der Wachstumsphase eine Positionsänderung in Bezug auf die knöchernen Strukturen. Dies geht anschaulich aus Bild 2.2 hervor. Die einzelnen Rückenmarksegmente enden auf der Höhe des 2. Lendenwirbels. Ab dem 2. Lendenwirbel besteht es nur noch aus nervösen Leitungsverbindungen (Cauda equina = Pferdeschwanz). Die Aufgabe des Rückenmarks besteht einerseits in der Herstellung der nervösen Leitungsverbindungen zwischen Gehirn und Körperperipherie, andererseits in der Bildung von Reflexzentren sowie Schaltneuronen zur Koordination einfacher motorischer Bewegungsabläufe. Jedem Wirbel wird ein Segment des Rückenmarks zugeordnet. Es Jörg Hahn & Jens Schlesener 14
  • 25. Medizinische Grundlagen besteht aus weißer und grauer Substanz. Die weiße Substanz sind die Leitungsbahnen, die graue Substanz sind Nervenzellen- ansammlungen. Die beiden Substanzen sind gegeneinander streng abgetrennt. Im Rückenmarkquerschnitt, der etwa die Größe einer kleineren Münze hat, lassen sich die Leitungsbahnen außerhalb der schmetterlings-ähnlichen grauen Substanz leicht erkennen und den verschiedenen Strängen zuordnen. Das Rückenmark ist ein wichtiges Zentrum für Reflexe. Das Durchtrennen des Rückenmarks hat zur Folge, daß die unterhalb der Schädigung liegenden Bereiche ohne nervöse Verbindung mit dem Gehirn sind. Der Betroffene spürt diese Körperteile nicht mehr, auch nicht bei Verletzungen, und kann sie nicht mehr bewegen. Dieser Zustand nennt sich Querschnittlähmung (Paraplegie = zwei symmetrische Gliedmaßen sind betroffen, Letraplegie = alle vier Gliedmaßen sind von der Lähmung betroffen)[2, 3,4]. Bild 2.2: Lage des Rückenmarks im Rückenmarkskanal beim Erwachsenen. Ab dem 2. Lendenwirbel besteht es nur noch aus nervösen Leitungsverbindungen (Cauda equina) [2]. Jörg Halm & Jens Schlesener 15
  • 26. Medizinische Grundlagen 2.3 Querschnittlähmung Querschnittlähmungen sind überwiegend Folgen von Schädigungen des Rückenmarks, mitunter auch Schädigungen von Nervenwurzeln oder von im Wirbelkanal verlaufenden peripheren Nerven (Cauda equina-Schädigung). Die komplette Querschnittlähmung ist die vollständige Unterbrechung der Rückenmarkbahnen in Höhe eines oder mehrerer Segmente. Sie führt zu einer charakteristischen Trias von motorischer, sensibler und vegetativer Lähmung, d.h.: • Willkürbewegungen können im gelähmten Körperbereich nicht mehr ausgeführt werden. • Die Funktionen der Oberflächensensibilität (Berührungs-, Schmerz-, Temperaturempfindung) sind vollständig ausgefallen. Gleichzeitig sind die Empfindungen der Tiefenwahrnehmung (propriozeptive Sensibilität) teilweise oder vollständig gestört, was heißt, daß die Wahrnehmung für geführte Bewegungen sowie für Lage und Vibrationsempfindungen verloren sind. • Daraus resultieren schwere Ausfälle hinsichtlich der Blasen- und Mastdarmfunktion, der Sexualfunktion, der Regulation des peripheren Kreislaufs, der Atemfunktion und der Schweißdrüsensekretion. Als inkomplette Querschnittlähmung bezeichnet man eine partielle Unterbrechung des Rückenmarks, und daraus resultierende partielle Lähmungen motorischer, sensibler und vegetativer Funktionen. Weiter wird unterschieden zwischen schlaffer- und spastischer Querschnittlähmung. Läsionen mit völliger Denervierung in den Bereichen des Hals-, Brust-, Lenden- oder Sakralmarks können komplette oder inkomplette schlaffe Querschnittlähmungen verursachen. Schädigungen im Bereich des Brustmarks mit thorakalen Lähmungsfolgen können ungesteuerte, unwillkürliche Muskelaktivitäten hervorrufen, die zu kompletten oder inkompletten spastischen Querschnittlähmungen führen [5, 6]. Jörg Hahn & Jens Schlesener 16
  • 27. Medizinische Grundlagen 2.4 Einstufung nach der Höhe der Rückenmarkschädigung (Läsions- niveau) Der Terminus Paraplegie wird einerseits als Sammelbegriff für alle Lähmungen nach spinaler Läsion benutzt, andererseits werden im engeren Sinne als Paraplegie oder Paraparese Lähmungen nach Schädigung des Brust- und Lendenmarks, des Conus medullaris (unterste Segmente des Rückenmaks) und der Cauda equina definiert. Hier sind die Muskulatur des Rumpfes und der unteren Gliedmaßen sowie deren Sensibilität gestört. In Abgrenzung hierzu werden unter den Begriffen Tetraplegie oder Tetraparese Lähmungsbilder verstanden, die aus Halsmarkläsionen resultieren. Zur Definition des Niveaus einer Querschnittlähmung wird jeweils das letzte intakte Segment angegeben, also beispielsweise „Paraplegie unterhalb Th9quot; oder „Tetraplegie unterhalb C6quot;. Die Lagebeziehung zwischen Wirbel und betroffenen Rückenmarkssegment, sowie die sich daraus ergebenden körperlichen Abhängigkeiten mit den wichtigsten zugehörigen orthopädischen Versorgungsmaßnahmen werden in Bild 2.3 dargestellt. Die hier zu konzipierende Gehorthese ist für eine Versorgung von Betroffenen mit Lähmungen im unteren thoracalen Bereich gedacht. Jörg Hahn & Jens Schlesener 17
  • 28. Medizinische Grundlagen Läsion körperliche Abhängigkeiten wichtigste Hilfsmittelversorgung unter- halb ____________________________________________________________ Tetraplegie Grundsätzlich: Beeinträchtigung der Atmungsmechanik, Blasen- und Mastdarm lähmung, ________ rollstuhlabhängig ___________________________________________ C3/4 In allen Handhabungen des 1 elektr. Rollstuhl mit speziellen täglichen Lebens von Hilfe Steuerungshilfen, z.B. abhängig Kinnsteuerung und 1 mech. Rollstuhl, Pflegehilfen z.B. Lifter, ____________________________________ elektr. steuerbares Stehgerät ______ C4/5 Vollständig pflegeabhängig, 1 mech. und 1 elektr. Rollstuhl, Greifen mit passiver Funktionshilfen für die Hand, elektr. Funktionshand möglich z.B. Schreibmaschine, elektr. steuerbares Essen und Schreiben mit Stehgerät ________ Hilfsmitteln möglich ________________________________________ C6 Teilweise pflegeabhängig, 1 mech. und 1 elektr. Rollstuhl, Greifen mit aktiver Funktionshilfen für die Hand, elektr. Funktionshand, selbständige Schreibmaschine, elektr. steuerbares Oberkörperpflege Stehgerät, Fahren eines angepaßten PKW möglich C7/8 Selbständig bis auf geringe 2 mech. Rollstühle, elektr. Hilfeleistungen, Gehen mit Schreibmaschine, Zimmerbarren und Gehapparaten im Barren möglich Gehapparate, Stehgerät, Fahren eines ____________________________________ angepaßten PKW möglich ________ Paraplegie Grundsätzlich: Blasen- und Mastdannlähmung, ________ pflegeunabhängig __________________________________________ Thl-9 Beeinträchtigung der 2 mech. Rollstühle, Zimmerbarren Atmungsmechanik bis Th6, und Gehapparate, PKW rollstuhlunabhängig, Gehen mit ________ Gehapparaten im Barren _____________________________________ TH11- Teilweise rollstuhlunabhängig, 2 mech. Rollstühle, Zimmerbarren L2 Gehen und Treppensteigen mit und Gehapparate, PKW Gehapparaten an ________ Unterarmstützen ___________________________________________ L3/4 Weitgehend 1 mech. Rollstuhl, Gehapparate ohne rollstuhlunabhängig, Gehen mit Kniesperre und Unterarmstützen, Gehapparaten ohne Kniesperren PKW ________ an Unterarmstützen _________________________________________ ' L5-S1 Rollstuhlunabhängig, Gehen mit Gehstöcke, Peroneusfeder, PKW ________ Peroneusfeder an Gehstöcken _________________________________ S2/3 Weitgehend normale Abrollhilfe ________ Gehfähigkeit ______________________________________________ Bild 2.3: Schematische Darstellung der Lage des Rückenmarks zu den Wirbelkörpern der Wirbelsäule mit tabellarischer Auflistung der daraus resultierenden körperlichen Abhängigkeiten und wichtigste Hilfsmittelversorgung Jörg Hahn & Jens Schlesener 18
  • 29. ________________________ Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte 3. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte In den folgenden Kapiteln „Rollstühlequot;, „Funktionelle Elektrostimulationquot; und „Orthesenquot; wird ein kurzer Überblick gegeben, welche Hilfsmittel Querschnittgelähmten zur Verfügung stehen, und in welche Richtung die Forschung geht, um die Mobilität der Betroffenen zu erhöhen. In dem Kapitel „Reziproke Gehorthesenquot; wird der aktuelle technische Stand von reziproken Gehorthesen wiedergegeben, auf dem diese Diplomarbeit aufbaut. 3.1 Rollstühle Die sorgfältige, individuelle Auswahl des Rollstuhls stellt einen wesentlichen Schritt zur umfassenden Rehabilitation des Querschnittgelähmten dar. Der Rollstuhl ist für den Paraplegiker wie für den Tetraplegiker nicht, wie mitunter irrtümlich definiert, ein „Krankenfahrzeugquot;, sondern das wichtigste Hilfsmittel zur Bewältigung eines entscheidenden Teils der Behinderung, nämlich des Mobilitätsverlustes. Er ist in der Regel die unverzichtbare Voraussetzung für die aktive Teilnahme am täglichen Leben, am Berufsleben und am Sport. Zur Auswahl für den Querschnittgelähmten stehen zur Verfügung: • mechanisch zu bedienende Rollstühle mit einfacher oder verstärkter Ausführung der Hinterachse • mechanisch zu bedienende Rollstühle aus Leichtmetall • mechanisch zu bedienende Rollstühle mit speziellen Konstruktionsmerkmalen, die sie für die Sportausübung geeignet machen • Elektrorollstühle • Spezialrollstühle mit Aufrichte- oder Lagerungsmechanik • Transit- und Transportrollstühle zur Bedienung durch Hilfspersonen Der Rollstuhl muß hinsichtlich der technischen Voraussetzungen den verbliebenen Restfunktionen des Querschnittgelähmten gerecht werden. Er wird nach Körpergröße, Hüftbreite und Längenmaßen an Ober- und Unterkörper ausgemessen und gegebenenfalls Jörg Hahn & Jens Schlesener 19
  • 30. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte angepaßt. Die Auswahl muß also stets individuell erfolgen. Zur gezielten Versorgung des Querschnittgelähmten eignen sich besonders Rollstühle, deren Grundbestandteile einem Baukastensystem entsprechen. Sie sollten in ihrem Aufbau und in ihrer Zusammensetzung auch zu einem späteren Zeitpunkt der Behinderung und der speziellen Situation des Patienten entsprechend variiert werden können [6]. 3.2 Funktionelle Elektrostimulation (FES) und Neuroprothesen (Nerven aus Draht) Hier wird durch elektrische Reizung bestimmter Muskelgruppen eines Beines, die der Paraplegiker jeweils selbst auslöst, eine Schrittbewegung hervorgerufen. Das Gleichgewicht und die Vorwärtskomponente der Bewegung wird von den Armen mit dem Oberkörper durch den Einsatz von Armstützen bewirkt [5]. Dennoch ist die FES wie auch die Neuroprothese ä la CALIES (Computer Aided Locomotion by Implanted Electro- Stimulation) nicht als Ersatz für den Rollstuhl gedacht. Denn der Gelähmte könnte dann viele Bewegungen, für die er beide Hände braucht, nicht mehr ausführen. Aus diesem Grund arbeitet der Physiker Prof. Wolfgang Daunicht vom Neurologischen Therapiezentrum in Düsseldorf seit ein paar Jahren schon an einer neuen Generation von Stand-Gang-Prothesen: Eine Schritt-Maschine mit Gleichgewichtsorgan - und ohne Krücken. Daunicht: „Der Querschnittgelähmte muß sich um nichts mehr kümmern. Ein neuronales Netz mit künstlichen Reflexen schützt ihn davor, umzufallen, wenn ihn beispielsweise jemand anrempelt.quot; Weil es zu riskant ist, die automatische Gleichgewichtssteuerung an einem Menschen auszuprobieren, hat der Physiker einen virtuellen Paraplegiker mit 180 Körpermuskeln entworfen. „Wenn ich beispielsweise einen Muskel von dem virtuellen Paraplegiker mit einer Elektrode reize, kann ich genau beobachten, was dies für eine Bewegung im ganzen Körper auslöstquot;, sagt Daunicht. Aus solchen virtuellen Leibesübungen im Computer läßt sich berechnen, was passiert, wenn der Querschnittgelähmte stürzt, und wie das künstliche Gleichgewichtsorgan das verhindern kann. Damit dies nicht nur Theorie bleibt, hat Daunicht einen Roboter entwickelt. Mit den aus dem Modell berechneten Algorithmen ist der Roboter „Freddyquot; inzwischen sehr standfest geworden: Selbst auf einem Bein stehend, kippt er nicht um, wenn man ihn ins Wanken bringt. Auch an Patienten soll das künstliche Gleichgewichtsorgan mit Jörg Hahn & Jens Schlesener 20
  • 31. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte Beschleunigungssensoren, die wie in der Natur die Richtung der Schwerkraft ermitteln können, in ein paar Jahren ausprobiert werden [7]. Stehen und Gehen mit Hilfe von Elektrostimulatoren - selbst wenn sie nur kurzfristig und für kleine Strecken angewendet werden - bringt eine ganze Reihe von medizinischen Vorteilen. Neuroprothesen verhindern, daß Knochen entkalken, Muskeln schwinden oder Druckgeschwüre entstehen. Sie regen den Kreislaufan und können Spastiken lindern [8]. 3.3 Orthesen Hier sind die Orthesen der Sachgrupppe der Lähmungsorthesen von größter Bedeutung. Sie werden nach Maß oder Körperformmodell hergestellt und sind funktionsergänzende und auch funktionsunterstützende, bewegungsbeeinflussende Orthesen für mehrgelenkige Gliedmaßenbereiche. Die erforderliche Teilfixierung wird mit statisch-starren Grundelementen der Orthese erreicht [5]. Der Bau einer Lähmungsorthese erfordert in allen Fällen die Beherrschung der mechanischen, statischen und der dynamischen Grundlagen, eine reiche Erfahrung und die liebevolle Erfassung des Einzelfalles, zumal jeder Fall anders liegt. Gerade hier ist die Zusammenarbeit des Arztes und des Mechanikers von besonderer Notwendigkeit. Einer muß den anderen beraten. Soll ein Stütz- oder Gehapparat für einen Gelähmten gebaut werden, kommt es zunächst einmal darauf an, ob es sich um eine sog. schlaffe oder eine spastische (Krampf-) Lähmung handelt. Die Muskelverhältnisse sind bei beiden Lähmungsformen ganz verschieden. Durch den Ausfall der Muskeln, welche die Streckung des Hüft- und Kniegelenks bewirken und diese Gelenke in Streckstellung halten, ist der Mensch nicht mehr imstande, sich mit Sicherheit beim Gehen und Stehen aufrecht zu halten. Der Lähmungsapparat soll sicheren Stand und sicheren, bestmöglichen Gang vermitteln [5]. 3.4 Reziproke Gehorthesen Zur Mobilisierung von Querschnittgelähmten mit fehlender muskulärer Hüftgelenk- und Beinkontrolle kann durch die Anwendung reziproker Gehorthesen eine relativ natürliche und effiziente Fortbewegung erzielt werden. Jörg Hahn & Jens Schlesener 21
  • 32. _______________________ Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte Die Koppelung der linken mit der rechten Beinorthese über eine Becken-Rumpforthese ermöglicht durch die Beugung des einen Hüftgelenkes jeweils die Streckung des gegenseitigen Hüftgelenkes. Die sich daraus ergebende statisch-mechanische Bewegung beider Beinseiten ergibt den reziproken (wechselseitigen) Gang [5]. Indikationen für eine reziproke Gehorthese: • Die Füße sollen im Stand in Neutral-Null-Stellung (90° Winkel von Fuß zum Unterschenkel) auf den Boden aufgesetzt werden können. Geringe Fehlhaltungen können durch Schuhzurichtungen korrigiert werden. • Die Kniegelenke dürfen keine nennenswerten Kontrakturen (unter 5°-10°) aufweisen. • Die Hüftgelenke sollten beweglich und frei von Kontrakturen, Einsteifungen und Spastizität sein. • Gute Muskelkraft der oberen Gliedmaßen • Richtige Motivation • Unterstützung und Mithilfe durch die Familie • Realistische Ziele und Erwartungen, da ganz sicher keine Orthese für einen derart schwerbehinderten Patienten völlige „Normalitätquot; wiederherstellen kann. Die Benutzung von Gehhilfen ist auch weiterhin erforderlich. Das reziproke Gehen mit der Orthese ist mit geringer bis mittelmäßiger Geschwindigkeit und mit wenig Kraftaufwand möglich. • Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, können evtl. operative Korrektureingriffe und eine krankengymnastische Behandlung vor der Orthesenversorgung in Erwägung gezogen werden. Kontraindikationen: • Schwere, nicht korrigierbare Kontrakturen, die einen regelrechten Aufbau der Orthese unmöglich machen. • Spastizität oder andere unwillkürliche Muskelaktivitäten, die einen freien und koordinierten Bewegungsablauf verhindern. • Übergewicht • Muskelschwäche der oberen Extremitäten [9, 5] Jörg Hahn & Jens Schlesener 22
  • 33. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte Behandlungsziel: Wenn die oben angegebenen Voraussetzungen gegeben sind, kann der Patient voraussichtlich mit der Orthese aufrecht stehen und bei regelmäßiger täglicher Benutzung das Entstehen von Kontrakturen verhindern. Erwachsene werden außerhalb ihres Wohnbereichs trotz der Orthesenversorgung auch weiterhin auf die Benutzung des Rollstuhls angewiesen sein. Der Patient muß diese Zusammenhänge verstehen, um die Möglichkeiten und Grenzen der Orthese, gemessen an seinen speziellen Bedürfnissen, einschätzen zu können [5]. Im folgenden werden verschiedene Systeme reziproker Gehorthesen vorgestellt. 3.4.1 Die „LSU Reciprocation-Gait Orthosisquot; Die erste reziproke Gehorthese war die LSU Reciprocation-Gait Orthosis. Sie wurde 1983 von der Louisianna State University in New Orleans vorgestellt und auch dort entwickelt. Gebaut wird sie von Durr-Fillauer Medical INC. in Chattanooga Tennessee (USA). Die LSU Gehorthese (Bild 3.1) ergibt sich aus: • Einer Leichtgewichts-Kunststoffkonstruktion: Die Oberschenkel- und Unterschenkel- formteile sind aus Polypropylen geformt. Verstärkungen aus Carbonfasereinlagen in der Sprunggelenkregion wirken versteifend. • Einem individuell geformten Beckenführungsteil aus Kunststoff unter Einschluß des Kreuzbeins und des Gesäßes. Das Beckenführungsteil hat eine gewisse Elastizität, die der Beweglichkeit dient. • Der Verwendung von Aluminiumschienen mit rückverlagerten Kniegelenken, die mit einer Fallschloßsperre und Kugel-Feder-Rückhaltung versehen sind. Bei geringer Beanspruchung z.B. bei Kindern kann oft auf die innenliegenden Knieschienen verzichtet werden. Jörg Hahn & Jens Schlesener 23
  • 34. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte • Der mechanischen Koppelung beider Hüftgelenke durch Kabelzüge, die eine beiderseits gleichzeitige Beugung oder Streckung der Hüftgelenke beim Gehen verhindern. Mit der Beugung des einen Hüftgelenkes wird gleichzeitig das andere Hüftgelenk gestreckt. Die Bowdenzüge übertragen dabei die Kräfte von der einen Orthesenseite auf die andere. Erst eine Gelenkentsperrung beider mechanischer Hüftgelenke führt zur gleichzeitigen Hüftbeugung und damit zur Sitzposition. Erfahrungen haben gezeigt, daß eine einzelne Kabelführung für Patienten mit mäßig bis gering aktivierbaren Hüftbeugemuskeln ausreicht, jedoch Patienten mit total gelähmten Hüftbeugern besser Doppelkabelsystem versorgt werden, um sowohl die Beugung als auch die Streckung zu steuern. Neben den oben aufgeführten Indikationen wurde bei den versorgten Patienten die Kraft der oberen Extremitäten und die Motivation eingehend untersucht. ausgewählten Patienten mußten in der Lage sein, sich aus dem Sitz für 60 Sekunden mit den Armen hochzustemmen, ohne zu zittern. Gezielt mußten sich diese Patienten einem intensiven Bild3.1:Aufbauder„LSU allgemeinen Konditionstraining hauptsächlich Reciprocation-Gait Othosisquot; für die Arme und einer Gehschulung mit Übungsorthesen an mehreren Tagen pro Woche über einen Zeitraum von drei bis vier Wochen unterziehen, bevor die LSU Gehorthese verschrieben wurde. Mit diesem Vorgehen können sich Patienten tatsächlich selbst testen. Jörg Hahn & Jens Schlesener 24
  • 35. ________________________ Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte Diejenigen, die dieses Training als nicht vereinbar mit ihren üblichen Aktivitäten und als ungerechtfertigt oder unannehmbar empfinden, geben auf oder versäumen Übungsteile. Nur mit vollständig absolviertem Kurs wird die Motivation als ausreichend eingeschätzt um die reziproke Gehorthese nutzen zu können [5]. Seit 1 Weiterentwicklung der LSU Gehorthese. Der Grundaufbau gleicht dem oben vorgestellten System, außer daß statt der geschwungen geführten Bowdenzüge horizontal geführte Bowdenzüge verwendet werden (Bild 3.2). Diese Entwicklung soll drei entscheidende Vorteile haben: •L e i c h tgängigkeit durch verminderte Reibung • verbesserte Haltbarkeit durch verringerten Verschleiß des Bowdenzugsystems • einfachere Einstellung der Hüftflexion und Hüftextension durch Stellschrauben [10]. Bild 3.2:Die LSU Orthese mit waagerechter Bowdenzugführung 3.4.2 Die „Isozentrische ARGIO®quot; Die Isozentrische ARGIO® (Bild 3.3) ist eine Gehorthese der Firma Pro Walk in
  • 36. Egelsbach. Im Aufbau ähnelt sie dem oben vorgestellten System der Firma Fillauer bis auf folgende Details. Die Isozentrische ARGIO® ist ausschließlich für den Gebrauch von Jörg Hahn & Jens Schlesener 25
  • 37. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte Kindern bestimmt. Die Bewegung des einen Hüftgelenkes wird durch eine nadelgelagerte Wippmechanik auf das andere Hüftgelenk übertragen. So kann die Bewegungsenergie des Kindes fast vollständig umgesetzt werden, weil kaum Reibungsenergie verloren geht. Das starre Rumpfteil, verbunden mit speziellen Hüftgelenken, erlaubt eine laterale Beinschienenführung (Die innenliegenden Schienen können weggelassen werden.). Die Hüftgelenke können zum Hinsetzen vom Kind selbst einfach entriegelt werden. Die Unterschenkelorthesen werden bis zum Medialen Kondylus (innerer Gelenkhöcker des Oberschenkelknochens am Kniegelenk) hochgezogen. Dadurch wird der Oberschenkel meist gut geführt, so daß auf die Oberschenkelhülsen verzichtet werden kann. Durch diese Bauart kann die Isozentrische ARGIO® auch im Sitzen angezogen und unter den Kleidern getragen werden. Die Firma Pro Walk legt neben den oben aufgezählten Indikationen besonderen Wert auf eine Teambetreuung des Patienten beim Umgang mit ihren Orthesen. Das Team besteht aus Therapeuten, Orthopädietechnikern, der Bild 3.3:Die Isozentrische ARGIO®: Eine Familie des Patienten und dem reziproke Gehoerthese für Kinder von der Firma Pro Walk. Patienten selbst [11]. Gehorthesen mit einer Wippmechanik werden noch von weiteren Firmen angeboten: • Wilh. Jul. Teufel GmbH in Stuttgart; „System Isocentricquot; • Fillauer (deutscher Vertrieb durch Basko Healthcare in Hamburg); „Rocker Bar Systemquot; Jörg Hahn & Jens Schlesener 26
  • 38. Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte • John + Bamberg in Hannover „Johekaquot; 3.4.3 Der „Parawalkerquot; Der Parawalker wird von der Firma Pro Walk hergestellt und vertrieben. Er unterscheidet sich im Aufbau deutlich von den bisher vorgestellten reziproken Gehorthesen (Bild 3.4). Der Parawalker ist eine Gehorthese für Erwachsene oder schwergewichtige Jugendliche. Derzeit ist der Parawalker die Orthese mit der höchsten seitlichen Stabilität. Die Bewegung der beiden Hüftgelenkseiten ist nicht gekoppelt. Das Hüftgelenk des Parawalkers läßt nur Bewegungen in der Sagitalebene (Vorbeugen) zu [11]. Zum Hinsetzen läßt sich das Hüftgelenk und die „Schweizer Sperrequot; der Kniegelenke entriegeln. Eine Feder im Hüftgelenk erleichtert das Hinstellen aus dem Sitz. Bild 3.4:Der Parawalker: Eine reziproke Gehorthese für Erwachsene Der Patient verlagert zum Gehen mit der Orthese den Körperschwerpunkt vor seine Aufstandsfläche. Um nicht umzufallen stützt er sich mit Unterarmstützen nach vorne ab. Ein Schritt wird durch das Abheben des Spielbeins eingeleitet. Der Patient drückt sich mit einer Unterarmgehstütze seitlich ab. Durch den Parawalker neigt sich hierbei die gesamte Längsachse des Patienten, ohne daß die Hüfte zu einer Seite hin abfällt. Das Spielbein schwingt unter dem Körperschwerpunkt hindurch nach vorne. Nun muß der Patient mit Hilfe der Unterarmstützen unter Einsatz des Musculus Latissimus dorsi (großer seitlicher Jörg Hahn & Jens Schlesener 27
  • 39. _______________________ Stand der Technik von Hilfsmitteln für Querschnittgelähmte Rückenmuskel) seinen Körperschwerpunkt wieder vor seine Aufstandsfläche bringen und der nächste Schritt kann durch ein Hochdrücken zur anderen Seite eingeleitet werden. Jörg Hahn & Jens Schlesener 28
  • 40. Werkstoffe 4. Werkstoffe im Orthesenbau Für klassische Orthesen werden auch heute noch Metallschienen, gegebenfalls mit frei beweglichen oder sperrbaren Gelenken, und metallene Bänder als tragende Rahmenkonstruktion verwendet, ergänzt durch gewalkte Lederhülsen zum sogenannten Schienen-Hülsen- oder Schienen-Schellen-Apparat: Die Hülse umhüllt formschlüssig einen längeren Gliedmaßenabschnitt, während die halbzirkuläre Metallschelle, durch ein Lederband auf der Gegenseite vervollständigt, einen relativ schmalen Teil der jeweiligen Gliedmaßen - meist in Nachbarschaft zu einem Gelenk - fixiert. Spezielle Druckpelotten erlauben die gezielte Übertragung dosierter Kräfte auf bestimmte Körperpartien. Zug um Zug wird jedoch die herkömmliche Leder - Metall - Technik zur Orthesenherstellung abgelöst von thermoplastischen Kunststoffmaterialien und glas- oder carbonfaserverstärkten Gießharzen [14]. Ein Hauptziel bei der Herstellung von Orthesen ist, neben den funktionellen Aspekten, eine Verringerung des Gewichtes und eine Verbesserung der Zuverlässigkeit und der Sicherheit der einzelnen Bauteile. Edelstahle werden schon seit langem verwendet. Sie entsprechen den Anforderungen hinsichtlich Festigkeit und Zuverlässigkeit, weisen aber ein entsprechend hohes Gewicht auf. Oft werden Orthesenkonstruktionen in Stahl-Leder- Technik deshalb vom Patienten als zu schwer empfunden. Spezifisch leichtere Aluminium Legierungen, die bei der Herstellung von Beinorthesen zum Einsatz kommen, weisen oft nicht die erforderliche Bruchsicherheit auf. Neue Generationen von Legierungen eröffnen zwar neue Möglichkeiten, was das Verhältnis von Gewicht zu Festigkeit betrifft, aber ihre Verformbarkeit ist eingeschränkt und dadurch die Bruchsicherheit entsprechend gemindert. Zum Vergleich der Metallwerkstoffe im Orthesenbau dient Tab. 4.1. Thermoplastische Kunststoffe, wie Polypropylen und ihre Modifikationen haben zur Lösung einiger Probleme bezüglich Gewicht und Formgebung beigetragen. Auch hat die Laminattechnik unter Verwendung von Carbonfasern eine starke Weiterentwicklung des Orthesenbaus bewirkt. Das Problem der Gelenkverbindung mit dem Laminat konnte aber nur teilweise gelöst werden. Jörg Hahn & Jens Schlesener 28
  • 41. _____ ________ Werkstoffe Werkstoffe Eigenschaften Titan Edelstahl Eisen Aluminium Dichte in kg/m 4500 7930 7860 2700 Schmelzpunkt in °C 1670 1420 1535 658 Wärmekapazität in kJ/kG*K 0,535 0,490 0,464 0,908 Elastizitätsmodul in N/mm2 110000 194000 204000 71000 8,5 11,0 11,17 22,9 Ausdehnungskoeffizient bei25°CinlOquot;6/°C Tab 4.1: Tabelle zum Vergleich der Metall Werkstoffe im Orthesenbau [11, 12, 13] Titan hat bisher in der Orthopädietechnik vor allem bei Prothesen-Paßteilen Anwendung gefunden. Der hohe Preis und die schwierige handwerkliche Verarbeitung verhindern aber bisher die Verbreitung im Orthesenbau. Die guten mechanischen Eigenschaften und das geringe Gewicht machen es jedoch auch für den Aufgabenbereich des Orthopädietechnikers interessant. 4.1 Polyethylen und Polypropylen Dichte Zugfestigkeit G-Modul zulässiger Temp.- bereich g/cm3 N/mm2 N/mm2 °C 0,97 30 1000 -120 bis 130 HDPE ca. 0,9 37 ca.800 bis 130 PP Tab. 4.2: Eigenschaften von HDPE (High Density PE) und PP Hauptsächlich finden Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) im Schalenbau Verwendung. Sie gehören zur Gruppe der Thermoplaste (TP) und sind daher leicht zu verarbeiten. Bei hinreichender Erwärmung erweichen TP bis zur Fließfähigkeit, sind somit beliebig sphärisch verformbar und härten bei Abkühlung aus. Dieser Vorgang ist beliebig wiederholbar, wenn man eine Zersetzung (zu hohe Temperatur) vermeidet. TP sind im allgemeinen schmelzbar, schweißbar, quellbar und löslich. Jörg Hahn & Jens Schlesener 29
  • 42. Werkstoffe PP und HDPE sind kochfest, sterilisierbar und besitzen ähnliche chemische Beständigkeit und elektrische Eigenschaften. 4.2 Carbonfaserverstärkte Kunststoffe Mit carbonfaserverstärkten Kunststoffen (CFK) lassen sich besonders konturgetreue Stützelemente herstellen, die hinsichtlich der Festigkeit mit Stahl und Aluminium zu vergleichen sind, aber nur ein Fünftel davon wiegen. Die Dehnung von CFK ist vollelastisch, Ermüdungsbeständigkeit und Vibrationsdämpfung sind hervorragend. Da in diesem Material die Fasern überwiegen (60 Vol % bis 80 Vol %), sind die Eigenschaften der Fasern maßgebend. Carbonfasern, sie bestehen zu über 95 % aus reinem Kohlenstoff, besitzen eine hohe Zugfestigkeit, hohen Elastizitätsmodul, niedriges spezifisches Gewicht, geringe Bruchdehnung und eine hohe Temperaturbelastbarkeit. Sie sind chemisch weitgehend inert. Die Festigkeiten übertreffen die der meisten Metalle und anderer Faserverbundwerkstoffe. C-Fasertype IM Eigenschaften Einheit HAT HM g/cm3 1,78 1,80 1,79 Dichte MPA 3400 5400 2350 Zugfestigkeit GPA 235 290 358 Zug-E-Modul % 1,4 1,7 0,6 Bruchdehnung 10-6 K-l -0,1 -0,5 Wärmeaus- dehnungskoeffizient Tab. 4.3: Übersicht der Eigenschaften verschiedener C-Fasern CFK ist ein Laminat, das schichtweise aus Kohlenstoffgewebe und einem Kunststoff - der Matrix - besteht [15]. Eine Eigenheit von CFK, wie auch aller anderen faserverstärkten Verbundwerkstoffe, besteht darin, daß man ihre Belastbarkeit den vorgesehenen Bedingungen anpassen kann. Das geschieht durch zweckmäßige Wahl oder Kombination der Faserorientierungen innerhalb der Matrix. So ergeben bidirektionale Anordungen Jörg Hahn & Jens Schlesener 30
  • 43. Werkstoffe (0°/90°) gute Festigkeitswerte in zwei (senkrechten) Richtungen. Und noch komplexere, multidirektionale Anordungen (0° / ± 45° / 90°) wirken in mehreren Richtungen verstärkend [16]. Im Orthesenbau ist die Matrix meist duroplastisch, d.h. sie besteht aus einem Gießharz, das nach dem Aushärten nicht erneut plastisch geformt werden kann. Hierin besteht der große Nachteil des herkömmlichen CFK, da somit ein Nachformen der Teile nur gering sowie die Anpassung an veränderte anatomische Gegebenheiten nicht möglich ist. Eine Alternative dazu bietet das carbonfaserverstärkte Halbzeug METCORE. Dieser Werkstoff läßt es zu, die Form der Stützelemente auch nachträglich den gegebenen anatomischen Verhältnissen anzupassen. Dies ist möglich, indem die Matrix in einen thermoelastischen Zustand versetzt wird, damit die Kohlenstoffaserschichten sich gegeneinander verschieben können, ohne daß es zu einer Ablösung der Matrix von der Faser kommt. Hierbei soll es zu keiner Beeinträchtigung der Festigkeit und Steifigkeit der Schale kommen. Verarbeitet werden die METCORE-Zuschnitte, indem sie nach einer Erwärmung an das Model angeformt und anschließend verklebt werden [17]. 4.3 Aluminium Aluminium findet in der Orthopädietechnik Verwendung beim Bau von orthopädischen Schienen. Es eignet sich durch sein besonders geringes spezifisches Gewicht von 2700 kg/m bei beachtlichen Festigkeitswerten von 40-180 N/mm je nach Behandlungszustand. Nachteilig wirkt sich seine geringe Bruchsicherheit aus. Aluminium hat im Vergleich zu Stahl keine Dauerfestigkeit nach Wöhler. Eine weitere günstige Eigenschaft für die Orthopädietechnik ist die hervorragende Korrosionsbeständigkeit. Der geringe Elastizitätsmodul von Aluminium führt bei der Verwendung für Stützkonstruktionen zu einem wesentlich elastischeren Verhalten, verglichen mit gleichartigen Konstruktionen aus Stahl. Nachteilig ist auch der thermische Ausdehnungskoeffizient, der rund das Zweifache von dem des Stahles beträgt. Jörg Hahn & Jens Schlesener 31
  • 44. Werkstoffe Die breite Nutzung der Vorteile von Aluminium für den technischen Bereich, nämlich seine geringe Dichte und die große Korrosionsbeständigkeit, wurden erst möglich durch die Verbesserung der Festigkeitseigenschaften. Hier spielt für die technische Entwicklung der Aluminiumlegierungen die Entdeckung der Festigkeitssteigerung durch Aushärten eine überragende Rolle. Die wichtigsten Legierungselemente sind Kupfer, Magnesium und Silizium. Durch eine Wärmebehandlung der Aluminiumlegierungen werden die Festigkeitswerte gesteigert. 4.4 Edelstahl Edelstahle sind besonders reine (in Bezug auf mechanische Gütewerte und Kerbwirkung der Einschlüsse) Qualitätsstähle. Qualitätsstähle werden nach ihrem Verwendungszweck untergliedert, nach dem sie durch Legierungselemente ihre speziellen Eigenschaften erhalten. Im Bereich Orthopädietechnik werden rostfreie Stähle verwendet. Sie haben einen Chrom-Legierungsanteil von mindestens 12 Prozent. Die Korrosionsbeständigkeit wird durch eine besonders glatte, zum Beispiel polierte Oberfläche begünstigt [18]. Stahl hat ein sehr hohes spezifisches Gewicht von 7900 kg/m3 und kann daher nur begrenzt beim Bau von Orthesen verwendet werden. Durch seine extrem hohen Festigkeits- und Steifigkeitswerte bietet sich Stahl zur Verwendung bei kritischen Bauteilen - wie zum Beispiel bei Gelenken - an, ist aber aus dem gleichen Grund auch schwierig zu bearbeiten. So stellt zum Beispiel die Firma Otto Bock einzelne Gelenke aus Edelstahl her, die zum Einbetten in Verbundfaserwerkstoff oder zur Anbindung an Aluminiumschienen gedacht sind. 4.5 Titan Der Werkstoff Titan eröffnet neue Anwendungsmöglichkeiten bei Orthesen. Er stellt eine dritte Möglichkeit dar, die zwischen den traditionellen Versorgungen mit Stahl-Aluminium Orthesen und den neueren Orthesen aus Faserverbundwerkstoffen liegt. Jörg Hahn & Jens Schlesener 32
  • 45. Werkstoffe Titan hat ein spezifisches Gewicht von 4500 kg/m3, das heißt, es ist 40 Prozent leichter als Edelstahl, mit ähnlichen Leistungsmerkmalen. Bei industriell gefertigten Paßteilen aus Titan können die traditionellen Montagetechniken beibehalten und dabei das Gewicht der Orthesenkonstruktion entscheidend reduziert werden. Ein Vergleich von Titankonstruktionen mit Faserverbundkonstruktionen ergibt, daß Titankonstruktionen ca. 10-15 Prozent schwerer sind, wenn die Orthesen in Faserverbundtechnik mit einem leistungsfähigen Verfahren hergestellt sind. Die normale Acryl-Laminattechnik ergibt ungefähr die gleiche Gewichtssituation wie bei Titanschienen. Der Vorteil von Titan gegenüber den Verbundwerkstoffen liegt jedoch in der Möglichkeit, bei Anproben und über die gesamte Lebensdauer der Orthese hinweg, Nachpassungen vorzunehmen, ohne daß sich dies nachteilig auf die Struktur und die Festigkeit der Orthese auswirkt. Ebenso eignen sich Titanorthesen besonders für die Versorgung von Kindern, da hier das geringe Gewicht, die leichte Veränderbarkeit der Bauteile sowie die Reparaturfreundlichkeit von größter Wichtigkeit sind. Gelenkelemente aus Titan sind des weiteren bestens geeignet für die Einbettung in Faserverbundwerkstoffe, da es sich im Gegensatz zu Aluminium mit allen Verbundwerkstoffen verträgt [19]. 4.6 Sonstige verwendete Materialien Die Art der Innenverkleidung und Befestigungsriemen richtet sich nach den Wünschen bzw. Bedürfnissen (bei Allergien) des Patienten und besteht aus Baumwolle, Leder oder verschiedenen Kunststoffen. Die Firma 3M Medica in Borken stellt verschiedene Arten von individuell anpaßbaren Kunststoffschienen zur Abstützung und Entlastung aller Gliedmaßen her. Der Werkstoff ist ein Glasfaser-Trägermaterial, daß mit einem wasseraktivierbaren Polyurethanharz getränkt ist. Nach kurzem Einweichen in Wasser härtet das Harz innerhalb einer halben Stunde vollkommen aus. Das ausgehärtete Material ist sehr leicht und atmungsaktiv, weil es mit Jörg Hahn & Jens Schlesener 33
  • 46. Werkstoffe Poren durchsetzt ist. Für die Verwendung zur Stabilisation kritischer Punkte der Gehorthese bieten sich insbesondere folgende zwei Produkte an: • „3M Softcastquot;: Läßt sich paßgenau an den Körper anmodelieren und ist nach dem Aushärten unter Krafteinwirkung noch begrenzt biegsam, findet aber immer zur Ausgangsform zurück. Durch das Einmodelieren einer Schiene lassen sich gewünschte Bereiche vollkommen stabilisieren. • „3M Scotchcastquot;: Dieser Werkstoff wird hauptsächlich als Ersatz für herkömmlichen Gips verwendet. Er bietet genügend Stabilität, um ihn als Schiene zur vollkommenen Stabilisation in das Softcast Material einzumodelieren. Vor dem Anmodelieren wird nur ein dünner Unterziehstrumpf über die entsprechende Extremität gezogen. Er verbleibt als Polsterung in der Schiene und kann Schweiß aufnehmen. Durch die genaue Paßform lassen sich Druckstellen vermeiden. Zum Softcast Material werden Schnallen, Bänder und Knöpfe, wie sie zum Verschließen von Rucksäcken üblich sind, angeboten. Diese lassen sich als Schnellverschlüsse direkt an die Schiene montieren. Die Firma 3M Medica gibt gerne weitere Informationen unter der Kontaktadresse im Anhang. Jörg Hahn & Jens Schlesener 34
  • 47. Ideenfindung 5. Ideenfindung Im Vordergrund der Konstruktion und Herstellung von Orthesen steht die generelle Frage: Welche Aufgabe soll die Orthese erfüllen und wie können die medizinischen Anforderungen mechanisch umgesetzt werden? Zur Lösung dieser Probleme empfiehlt es sich, den wissenschaftlichen Weg einzuschlagen, den Dingen auf den Grund zu gehen, damit eine bestmögliche Abstimmung der mechanischen Orthesenelemente in ihrer Wirkungsweise auf den menschlichen Körper erfolgen kann. Dies geschieht zweckmäßigerweise durch eine Eingrenzung des Aufgabengebietes mittles folgender Fragen: • Welchem Zweck dient die Orthese? • Welche Gelenke werden mit einbezogen? • Wieviel Kraft brauchen wir? • Welche Hebelwirkung machen wir uns zunutze? • Wie lange soll die Orthese verwendet werden? • Aufweiche Oberfläche wirken wir ein? • Gegen welche Reaktionen arbeiten wir? • Gibt es krankheitsspezifische Warnsignale? Der oben aufgeführte Fragenkatalog kann als logischer Leitfaden bei der Rezeptierung und Fertigung herangezogen werden [5]. Dieser Leitfaden aus dem Standardwerk der Orthopädietechnik dient zur ersten Sensibilisierung für die Problematik der Konzeption der Gehorthese. Jörg Hahn & Jens Schlesener 35
  • 48. Ideenfindung 5.1 Problemdarstellung An sich ist die Konstruktion ein rein technisches Problem. Die Orthese ist so zu gestalten, daß die Funktion sichergestellt ist, das Design ansprechend und funktional ist und somit der Markt die Orthese akzeptiert. Das beinhaltet unter anderem ein geringes Gewicht, die einfache Handhabung und andere Punkte, die später als Bewertungskriterien unter Punkt 5.5 noch aufgeführt werden. Zusätzlich zu den technischen Problemen der Konstruktion müssen jedoch auch in einem sehr hohen Maß die Eigenarten der menschlichen Anatomie erkannt bzw. das Fehlen von Funktionen berücksichtigt werden. Plausibel wird dies beim Betrachten der Muskulatur. Durch das Fehlen ihrer Funktion treten gleich mehrere medizinische Probleme auf. Zunächst führt und hält die Muskulatur die Gelenke in ihrer Position und ermöglicht somit einen exakten Bewegungsablauf innerhalb des Gelenkes. Fehlt nun diese Führung, kommt es zu unkontrollierten Bewegungen des Gelenkes, was zu einem enormen Verschleiß führt. Somit geben die Gelenke nur vor, wo man eine Kraft bzw. Bewegung einleiten kann. Ferner sorgt die Muskulatur mit Hilfe der Venenklappen für eine gute Blutzirkulation im ganzen Körper. Durch die Erschlaffung des Muskelgewebes ist die Funktion der Venenklappen stark beeinträchtigt bzw. nicht mehr vorhanden. Hieraus folgt eine unzureichende Blutzirkulation in den betroffenen Extremitäten, da die Pumpfunktion des Herzens allein zum Transport des Blutes aus den Beinen nicht ausreicht und somit die Gefahr besteht, daß sich Blut in den Beinen sammelt. Die unzureichende Blutzirkulation wiederum bewirkt eine sehr hohe Empfindlichkeit gegenüber der Bildung von Druckstellen. Im Vergleich mit einer intakten Muskulatur, wo eine punktuelle Druckbelastung auf das Gewebe einen blauen Fleck erzeugt, der nach 3-4 Tagen wieder verheilt ist, bildet sich im schlaffen Gewebe eine Druckstelle, die entweder einer Operation zur Entfernung bedarf, oder erst nach mehr als 6 Monaten verheilt und das auch nur bei dauernder Pflege. Denn durch die mangelnde Durchblutung ist der Körper nicht in der Lage sich selbst zu regenerieren. Des weiteren bedingt die mangelnde Blutzirkulation eine Unterversorgung der Knochen mit Mineralien, was zu einer Art Osteoporose im Knochen führt. Die Knochenfestigkeit Jörg Hahn & Jens Schlesener 36
  • 49. Ideenfindung sinkt auf ca. 50 % der eines gesunden Knochens, so daß ein Stoß, der vor der Lähmung nur zu einem blauen Fleck geführt hätte, einen Trümmerbruch bewirkt. Man kann schon jetzt erkennen, daß ein Großteil der Führungsfunktion deshalb von der Orthese übernommen werden muß. Die Muskulatur, die ohne Funktion schlaff am Knochen hängt, ein Orthopäde vergleicht sie mit einem lose gebundenen Sack voll Sand, bedeutet dadurch zusätzliches Gewicht, das auch noch geführt und eingebettet werden muß. Daneben tritt auch öfters eine trophische Störung auf, das heißt das vegetative Nervensystem, das für die Spannung der Haut, der Gefäße und der Lymphgefäße verantwortlich ist, ist geschädigt. Diese Schädigung führt zu Hautdurchblutungsstörungen, übermäßiger Schweißsekretbildung und zu einer zusätzlichen Wasseraufnahme des Körpers. Als weiteres Problem taucht die Spastik auf, unter der man die unkontrollierte und willkürliche Bewegung von Muskeln und dadurch der Gliedmaßen versteht. Diese Bewegungen gilt es sanft mit der Orthese zu unterdrücken bzw. zu mindern, da die Spastik ein hohes Verletzungspotential wie Prellungen und Knochenbrüche für die Person birgt. Hier muß versucht werden, bei der Beschaffenheit der Orthese einen Mittelweg zu finden, damit nicht andererseits die Orthese zu einer Verletzung führt. Das nächste Problem ist der besondere Aufbau des Kniegelenkes. Das Gelenk besitzt nur im gestreckten Zustand eine seitliche Stabilität. Das heißt ein Kniegelenk hat im gebeugten Zustand mehr Freiheitsgrade als im gestreckten Zustand. Aus diesem Grund benötigt es starke seitliche Ersatzführungen, die nur Bewegungen in der Sagitalebene zulassen. Ferner führt das Kniegelenk keine reine Rotationsbewegung aus, sondern eine Überlagerung aus Rotation- und Scherbewegung. Dieser komplizierte Bewegungsablauf muß zusätzlich bei der Krafteinleitung beachtet werden. 5.2 Lösungsfindung Jörg Hahn & Jens Schlesener 37