1. Frank Holl / Michael Schmidt
Weiterentwicklung und Konstruktion
einer Herzklappenprothese
Diplomarbeit,
angefertigt am Fachbereich Maschinenbau
der Fachhochschule Trier im Auftrag der Firma
Medical Research and Development Patent
GmbH & Co. KG im Zeitraum von
November 1996 bis Mai 1997.
2. ERKLÄRUNGEN
1. Uns ist bekannt, daß die Diplomarbeit als Prüfungsleistung in das Eigentum des
Landes Rheinland-Pfalz übergeht. Hiermit erklären wir unser Einverständnis,
daß die Fachhochschule Trier diese Prüfungsleistung die Studenten der Fach-
hochschule Trier einsehen lassen darf, und daß sie die Abschlußarbeit unter
Nennung unserer Namen als Urheber veröffentlichen darf.
Wir erklären hiermit, daß wir diese Diplomarbeit selbständig verfaßt, noch nicht
anderweitig für Prüfungszwecke vorgelegt, keine anderen als die angegebenen
Quellen und Hilfsmittel benutzt, sowie wörtliche und sinngemäße Zitate als solche
gekennzeichnet haben.
Trier, den 30. April 1997
(Frank Holl; Matr. Nr.: 916839) (Michael Schmidt; Matr.Nr.: 916848)
3. Vorwort
Vorwort
Diese Arbeit stellt neben einer schriftlichen und mündlichen Abschlußprüfung einen Be-
standteil der Diplomprüfung im Anschluß unseres Maschinenbaustudiums an der Fach-
hochschule in Trier dar.
Bedanken möchten wir uns bei Herrn Professor Dr.-Ing. Michael Schuth, der uns wichtige
Impulse gegeben hat und uns jederzeit mit seinem Rat zur Seite stand.
Weiterhin möchten wir uns für die Unterstützung bedanken, die uns von den Mitarbeitern
des Rechenzentrums der FH Trier zuteil wurde.
Darüber hinaus bedanken wir uns bei der Firma MRD (Medical Research and Develop-
ment Patent GmbH & Co. KG) für die Aufgabenstellung dieser Diplomarbeit und beim
technischen Geschäftsführer Friedrich Schmitt, der uns wertvolle und praxisnahen Anre-
gungen gegeben hat.
1
Holl & Schmidt
4. Inhaltsverzeichnis Seite
Zusammenfassung ..............................................................................................................V
1. Einleitung ........................................................................................................................ 1
1.1 Zielsetzung ......................................................................................................... 1
1.2 Vorstellung der Firma MRD .............................................................................. 2
1.3 Vorgehen ............................................................................................................ 3
1.4 Zeitlicher Ablauf ................................................................................................ 4
2. Das menschliche Herz .................................................................................................... 6
2.1 Anatomische Grundlagen.................................................................................... 6
2.2 Funktionsweise des Herzens ............................................................................... 7
2.3 Herzkrankheiten als Ursache für die Notwendigkeit einer
Herzklappenprothese........................................................................................... 9
3. Stand der Technik .........................................................................................................12
3.1 Entwicklung der Herzklappentechnologie ........................................................12
3.1.1 Marktlage .........................................................................................14
3.2 Vorgaben und Schwierigkeiten bei der Herzklappenentwicklung .....................15
3.3 Beschreibung des Ist- Zustandes .......................................................................16
3.3.1 Bioprothetischer Klappenersatz mit xenogenem (fremdem)
Gewebe..........................................................................................16
3.3.2 Mechanische Herzklappenprothesen ..............................................19
3.3.3 Zusammenfassung der Nachteile bekannter Klappenmodelle ..........22
3.4 Weiterentwicklung von Herzklappenprothesen.................................................. 24
3.4.1 Beschreibung des Gebrauchsmusters ..............................................24
3.4.2 Vorteile der dreiflügligen Herzklappenprothese gegenüber
den herkömmlichen Herzklappenprothesen .....................................25
Holl & Schmidt II
5. Inhaltsverzeichnis Seite
3.4.3 Vorgaben für die Weiterentwicklung ............................................... 26
3.5 Werkstoffrecherche für eine künstliche Herzklappenprothese.......................... 28
3.5.1 Technische Keramik ........................................................................ 28
3.5.2 Der Werkstoff Titan......................................................................... 30
3.5.3 Bedeutung und Einsatz von Carbon als Klappenwerkstoff .............. 32
4. Lösungsvorschläge ........................................................................................................ 33
4.1 Varianten des Ringkörpers der Flügel und der Anschläge ................................. 33
4.1.1 Variante 1 ......................................................................................... 33
4.1.2 Variante II ........................................................................................ 36
4.1.3 Variante III ....................................................................................... 37
4.2 Weiterführende Betrachtungen......................................................................... 41
4.2.1 Lagebestimmung der Flügelschwenkachse ...................................... 41
4.2.2 Bewegungsablauf eines Flügels ....................................................... 43
4.3 Berechnung der optimalen Flügelgeometrie..................................................... 46
4.3.1 Kreisrunder Öffnungsquerschnitt ......................................................47
4.3.2 Berechnungen für die Festlegung der Geometrie des Flügels ........... 48
4.4 Weiterentwicklung der Flügelform ...................................................................52
4.5 Die Ringkörperform ..........................................................................................53
4.5.1 Lösungsmöglichkeit I ........................................................................ 53
4.5.2 Lösungsmöglichkeit II.......................................................................55
4.6 Die Flügelbahn .................................................................................................. 59
4.7 Weiterentwicklung der Ringkörperform ........................................................... 61
4.7.1 Abdichten der Herzklappenprothese ................................................65
4.8 Die Flügellösung ............................................................................................... 67
Holl & Schmidt HI
6. Inhaltsverzeichnis Seite
4.9 Die Ringkörperlösung....................................................................................... 70
4.10 Die neu entwickelte Herzklappenprothese ...................................................... 72
5. Der Prototyp ................................................................................................................. 74
6. Schlußfolgerung und Ausblick .................................................................................... 76
7. Anhang .......................................................................................................................... 79
8. Quellenverzeichnis ..................................................................................................... 100
Holl & Schmidt IV
mmrr
7. Zusammenfassung
Zusammenfassung
Das Herz nimmt im Kreislaufsystem des Menschen eine zentrale Stellung ein. Es ist ver-
antwortlich für den Bluttransport im gesamten Organismus. Die Funktionsweise des Her-
zens kann durch verschiedenartige Erkrankungen oder organische Defekte beeinträchtigt
werden, zu denen auch eine Störung der Herzklappenfunktion zählt. Oft ist bei Menschen,
die an einer solchen Dysfunktion leiden, die Implantation einer Herzklappenprothese un-
umgänglich.
Im Rahmen dieser Arbeit wird die Neuentwicklung einer Herzklappenprothese vorgestellt,
die sich in Funktionsweise und Aussehen sehr stark an der natürlichen Herzklappe orien-
tiert und entscheidende Vorteile im Vergleich zu bisherigen Prothesen mit sich bringt. Da
herkömmliche Klappenprothesen nur zwei Flügel besitzen, ist die Entwicklung einer drei-
flügligen Form maßgeblich für diese Verbesserungen verantwortlich.
Schwerpunkte dieser Arbeit stellen die Ermittlungen der genauen Formen für die Flügel
und den Basisring dar, aus denen sich die Herzklappenprothese zusammensetzt. In diesem
Zusammenhang wird eine Positionsbestimmung der Schwenkachse vorgenommen, um die
sich jeder Flügel beim Öffnen bzw. Schließen der Prothese dreht. Ein zusätzliches Augen-
merk ist auf die Flügellagerung und die Flügelanschläge gerichtet. Es werden Formvaria-
tionen der Anschläge, des Ringkörpers sowie der Flügel gezeigt und bezüglich ihrer Vor-
und Nachteile bewertet. In einer abschließenden Darstellung wird die vollends neu gestalte-
te Prothesenform präsentiert.
Zusätzlich wird im Rahmen dieser Arbeit eine Auswahl an Werkstoffen vorgestellt, die für
die Produktion zukünftiger Herzklappenmodelle in Betracht gezogen werden sollten.
Mit der Herstellung eines Prototypen der neu entwickelten Herzklappenprothese - durch
das Stereolithografieverfahren - findet die Diplomarbeit ihren Abschluß.
V
Holl & Schmidt
8. 1. Einleitung
1. Einleitung
1.1 Zielsetzung
In Vorbereitung ist eine Patentanmeldung für eine dreiflüglige Herzklappenprothese. Es
gibt eine Vielzahl von Herzklappenprothesen dieser Art auf dem internationalen Markt. Bei
allen diesen Herzklappenprothesen besteht das Problem, daß die Blutkörperchen durch die
mechanische Reibung der beweglichen Teile an der Herzklappe massiv geschädigt werden.
Ziel dieser Diplomarbeit ist es, eine Herzklappe in Anlehnung an ein vorhandenes Ge-
brauchsmuster zu schaffen, wobei besondere Anforderungen an die Scharniere der drei-
fiügligen Klappe gestellt werden. Hier soll ein Scharnier geschaffen werden, dessen Rei-
bung sehr gering ist.
Die allgemeinen klinischen und technischen Vorgaben zur Entwicklung künstlicher Herz-
klappen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Zu gewährleisten sind Hauptfunktionen, die über mindestens zehn Jahre, pro Tag etwa
100.000 mal (möglichst mehr als 30 Jahre, das entspricht etwa 1 Mrd. Arbeitsspielen)
sicher ausgeführt werden:
* Öffnen bis zum hinreichend großen effektiven Querschnitt
(geringer Druckverlust)
* Führung der Schließkörper
* Schnelles Schließen bei geringem Volumenverlust
* Anschlagen und Positionieren der Schließkörper
* Erfüllen der Dichtungsfunktion
Mit dieser Zielsetzung schrieb die Firma MRD eine Diplomarbeit mit dem Thema:
quot; Weiterentwicklung und Konstruktion einer Herzklappenprothese quot;
aus.
Holl & Schmidt 1
9. 1. Einleitung
1.2 Vorstellung der Firma MRD
Die Firma Medical Research and Development Patent GmbH & Co. KG wurde im Jahr
1995 in Trier von Friedrich Schmitt gegründet.
MRD*
Das MRD Firmenzeichen
Bild 1.1:
Zur Zeit beschäftigt die Firma MRD zwölf Mitarbeiter, verteilt auf die Bereiche Vertrieb,
Verwaltung und Entwicklung. Die Produktpalette begann mit der Entwicklung eines Mö-
belsystems (MRD-Verbindungssystem), welches bei der Einrichtung von Praxen, Labors
und Krankenhäusern zum Einsatz kommt. Des weiteren beschäftigt sich MRD mit der
Entwicklung von medizinischen Geräten.
Ein Beispiel hierfür ist die neueste Entwicklung der quot;Zytosafequot;:
Bild 1.2 : Zytostatika-Sicherheitswerkbank (dient zur Herstellung von applikations-
fertigen Zystostatika-Zubereitungen in der Apotheke)
Für die Anwendung fertig.
Holl & Schmidt
10. 1. Einleitung
1.3 Vorgehen
Um einen Überblick über den Gesamtumfang der Aufgabenstellung zu erhalten, wird zu-
nächst eine Unterteilung in die folgenden Teilbereiche vorgenommen:
Bild 1.3: Gliederung der Aufgabenstellung in einem Baumdiagramm
Bereits hier wird deutlich, daß die Wahl des Werkstoffes oder der Werkstoffverbindung ein
herausragender Aspekt ist, der sich später in besonderem Maße auf konstruktiver Ebene
auswirken kann. Dabei treten für jedes Einzelteil der Prothese vor allem die Gesichtspunk-
te der Körperverträglichkeit und des Gewichtes in den Vordergrund, sowie die Forderung
nach einer reibungsminimierten Scharnierbewegung.
Bei der Konstruktion der Einzelteile (Flügel, Ringkörper, Scharnier) muß versucht werden,
nach Abwägen der Vor- und Nachteile hinsichtlich strömungstechnischer und mechani-
scher Eigenschaften, die optimalen Formen zu bestimmen.
Nach beendeter Konstruktion, die mittels CATIA-V4 erfolgt, soll im CAD/CAM-Verbund
ein Prototyp mit Hilfe des Stereolithografieverfahrens (s. Kapitel 5) hergestellt werden.
Anschließend soll der Prototyp der Herzklappenprothese aufsein Öffnungs- und Schließ-
verhalten, sowie seine strömungstechnischen Eigenschaften getestet werden.
Holl & Schmidt 3
11. 1. Einleitung
1.4 Zeitlicher Ablauf
Der für die Behandlung der Aufgabenstellung zur Verfügung stehende Zeitraum erstreckt
sich über sechs Monate (11/1996 - 05/1997), d. h. insgesamt 26 Kalenderwochen.
Zur Berechnung der Gesamtarbeitsstundenzahl werden folgende Daten zugrunde gelegt:
- Anzahl der Kalenderwochen bis zum Abgabetermin der Diplomarbeit: 26
- Anzahl der Arbeitswochen (Kalenderwochen abzüglich Feiertage u. ä.): 23
- Arbeitsstundenzahl pro Woche: 40
- 2/3 der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit werden gemeinsam, 1/3 wird
von den beiden Diplomanden getrennt genutzt
Die Gesamtstundenzahl berechnet sich also somit zu:
23 Wochen x 40 Stunden/Woche x 1.333 « 1200 Stunden
Bild 1.4 veranschaulicht die im voraus eingeplanten Zeiten für die Bewältigung der unter-
schiedlichen Teilaufgaben.
Bild 1.4: Zeitablaufplan der Diplomarbeit
Holl & Schmidt 4
12. 1. Einleitung
Die bereits in Kapitel 1.3 beschriebene Unterteilung der Aufgabenstellung wird hier noch
um drei Teilbereiche erweitert.
Der Bereich Vorbereitungen beinhaltet die Einarbeitung in die Thematik mit Hilfe der von
der Firma MRD gestellten Unterlagen sowie der Recherche themenspezifischer Literatur.
Des weiteren wird hier die geplante Zeit für die Einarbeitung in die benötigte Computer-
software und die Erstellung des Terminplanes selbst eingerechnet.
Die beiden Teilgebiete Zwischenpräsentation und Ausarbeitung erstrecken sich jeweils
über die Zeiträume, die sowohl für die Anfertigung zweier Zwischenpräsentationen als
auch für die abschließende Ausarbeitung der Diplomarbeit veranschlagt werden.
Bild 1.4 verdeutlicht, daß die Werkstoffsuche nicht als isolierter Aufgabenteil abgearbeitet
werden kann, sondern weitestgehend parallel zu den konstruktiven Bereichen erfolgen
muß.
Grund hierfür sind eventuelle Vorgaben oder Einschränkungen bezüglich Konstruktion und
Fertigungstechnik, die aus der Wahl des Werkstoffes resultieren.
Um den zeitlichen Verlauf besser kontrollieren zu können und die Diskussion der Arbeits-
ergebnisse mit allen Beteiligten zu vereinfachen, erfolgt die Dokumentation soweit wie
möglich im gesamten Arbeitszeitraum.
Holl & Schmidt 5
13. 2. Das menschliche Herz
2. Das menschliche Herz
2.1 Anatomische Grundlagen
Aorten
Obere
Hohlvene
Aufsteigende Aorta
Rechter Pulmonalklappe
Aortenklappe
Untere
Hohlvene
Vorhof
Bild 2.1:
. '•/
Anatomischer Aufbau des Herzens [12]
Das Herz ist ein Hohlmuskel, der als starke Druck- und schwache Saugpumpe in den Blut-
kreislaufeingeschaltet ist. Es ist etwa faustgroß und beim Erwachsenen 270-350 g schwer.
Das menschliche Herz liegt in der vorderen Brusthöhle dem Zwerchfell auf, seine Spitze
berührt die vordere Brustwand zwischen der fünften und sechsten Rippe. Zwei Drittel des
Herzmuskels liegen auf der linken, ein Drittel auf der rechten Brustseite, selten ist dies
umgekehrt. Das Herz setzt sich aus vier Hohlräumen, zwei Vorhöfen (Atrien) und zwei
Herzkammern (Ventrikel) zusammen. Die stark muskulöse linke Kammer arbeitet als
Druckpumpe für den großen Körperkreislauf, die schwächere rechte für den kleinen Lun-
genkreislauf (s. Bild 2.3). Der linke Vorhof und die linke Kammer, sowie der rechte Vor-
hof und die rechte Kammer stehen durch große Öffnungen miteinander in Verbindung und
können durch Klappen verschlossen werden [1, 2, 3].
6
Holl & Schmidt
14. 2. Das menschliche Herz
Pulmonalklappe
Aortenklappe
Mitralklappe
Tricuspidalklappe
Bild 2.2: Herz mit Klappen in Höhe der Ventilebene [ 1 ]
2.2 Funktionsweise des Herzens
Im Kreislaufsystem nimmt das Herz eine zentrale Stellung ein, da es die Antriebskraft für
den Bluttransport in die unmittelbare Nähe aller Zellen liefert.
Haargefäße der Lunge
Lungenvene
Linke Vorkammer
Lungenarterie
Linke Herzkammer
— Körperschlagader
Körpervene
Haargefäße im Körper
I 9
Bild 2.3: Arterielles und venöses Kreislaufsystem [13]
Das gesunde Herz zieht sich streng rhythmisch in gleichmäßigen zeitlichen Abständen in
zwei Phasen zusammen, zwischen denen die Herzpause liegt [3].
Arteriell (Adj.), von Arterie abgeleitet; Arterien sind Blutgefäße, die Blut vom Herzen wegtransportieren.
Venös (Adj.), von Vene abgeleitet; Venen sind Blutgefäße, die Blut zum Herzen hintransportieren.
7
Holl & Schmidt
15. 2. Das menschliche Herz
Diastole Blutstrom
Aorta
Klappe
Ventrikel
Systole
muskulatur
Schematische Darstellung der Diastole und Systole des Herzens
Bild 2.4:
Zu Beginn einer jeden Herzaktion findet eine Kontraktion3 der Vorhöfe statt, die Vor-
hofsystole. Das Blut wird dabei aus den Vorhöfen durch die offenen Segelklappen (das
sind die Herzklappen zwischen Vorhöfen und Herzkammern) in die Herzkammern bewegt.
Daran schließt sich mit einer Verzögerung von etwa einer zehntel Sekunde die Kontraktion
der Muskelfasern der Kammern an, die sogenannte Kammersystole.
Während der Anspannungsphase steigt der Ventrikeldruck (Druck im Inneren der Herz-
kammern) stark an. Übersteigt der Druck in den Kammern den Wert in der Aorta4 bzw. der
Lungenschlagader5, wird das venöse (sauerstoffarme) Blut der rechten Kammer durch die
sogenannte Pulmonalklappe in die Lungenarterie und den Lungenkreislauf gepumpt. Das
arterielle (sauerstoffreiche) Blut der linken Kammer wird durch die sogenannte Aorten-
klappe in die Aorta und den Körperkreislauf getrieben. Gegen Ende der Systole sinkt der
Druck wieder ab, da die Muskulatur der Herzkammern erschlafft.
Erschlaffen der Herzmuskulatur.
2
Zusammenziehen der Herzmuskulatur.
Zusammenziehung.
4
Arterielle Hauptschlagader.
5
Auch Lungenarterie oder Pulmonalarterie von lat. pulmo = Lunge.
8
Holl & Schmidt
16. 2. Das menschliche Herz
Die Menge des pro Herzschlag ausgestoßenen Blutvolumens, das Herzschlagvolumen, be-
trägt beim Erwachsenen in Körperruhe etwa 70 ccm, das Herzminutenvolumen liegt in
einer Größenordnung von ungefähr fünf Litern bei 70 Herzschlägen pro Minute. Bei kör-
perlicher Belastung können Herzschlagvolumen und Herzminutenvolumen um ein Mehrfa-
ches ansteigen [1].
Bei der Diastole (Erschlaffung) der Kammern wird durch Tiefertreten der Ventilebene das
venöse (sauerstoffarme) Blut der oberen und unteren Hohlvene (s. Bild 2.3) aus dem rech-
ten Vorhof in die rechte Kammer, das aus den Lungenvenen kommende arterielle Blut in
die linke Kammer angesaugt. Der Vorgang der Systole (Zusammenziehen) kann nun erneut
beginnen [3].
2.3 Herzkrankheiten als Ursache für die Notwendigkeit einer
Herzklappenprothese
Die vorherrschenden Ursachen für Herzkrankheiten, die den Einsatz einer Herzklappenpro-
these erforderlich machen, sind in den einzelnen Altersgruppen sehr verschieden. Bei Kin-
dern und jungen Menschen ist die Hauptursache eine angeborene Mißbildung, wie z. B.
Klappenfehler, die den Ventilmechanismus stören, so daß der Herzmuskel dauernd mehr
arbeiten muß, was wiederum zu einer krankhaften Herzvergrößerung führt.
Bei älteren Kindern und Erwachsenen unterscheidet man dagegen zwei Arten von Herz-
klappenentzündungen: die nichtbakterielle und die bakterielle. Letztere ist die häufigste
Form und wird in der Regel durch den akuten Gelenkrheumatismus verursacht. Dabei
kommt es zu entzündlichen Verdickungen der Klappenränder. Die Klappen können im
Verlauf der Entzündung bindegewebig schrumpfen, so daß sie sich zwar noch vollständig
öffnen, aber nicht mehr vollständig schließen können. Diesen Zustand bezeichnet man als
Klappeninsuffizienz.
Die folgende Darstellung zeigt dieses Krankheitsbild am Beispiel der Aortenklappe. Die
Klappensegel sind sowohl verkürzt als auch verdickt und geben eine dreieckige Klappen-
öffnung frei.
9
Holl & Schmidt
17. 2. Das menschliche Herz
Bild 2.5: Aorteninsuffizienz (Ansicht der Klappe von oben) [2]
Andererseits können die Klappenränder infolge einer bakteriellen Entzündung auch mitein-
ander verwachsen und lassen nur noch eine kleine Durchlaßöffnung frei, so daß der Blut-
strom des Herzens behindert wird. In diesem Fall spricht man von einer Klappenstenose.
Derartige Klappenerkrankungen finden sich auch häufig kombiniert [2, 3].
Bild 2.6 zeigt das Krankheitsbild der Stenose am Beispiel der Aortenklappe. Es werden
unterschiedliche Ursachen und Verläufe dieser Erkrankung dargestellt.
Bild 2.6: Krankheitsverlauf der rheumatisch bedingten und angeborenen
Aortenstenose [1]
Holl & Schmidt
18. 2. Das menschliche Herz
Abschließend wird in diesem Kapitel noch eine Fotografie der gesunden menschlichen
Pulmonal- und Aortenklappe gezeigt. Die reale Form der Herzklappen ist in dieser Darstel-
lung, in der sich die Segelklappen in geschlossenem Zustand befinden, sehr schön zu er-
kennen.
Die in dieser Arbeit vorgenommene Neuentwicklung einer Herzklappenprothese orientiert
sich maßgeblich an der hier gezeigten natürlichen Form.
Bild 2.7: Natürliche Pulmonal- und Aortenklappe des Menschen [2]
11
Holl & Schmidt
19. 3. Stand der Technik
3. Stand der Technik
3.1 Entwicklung der Herzklappentechnologie
Künstliche Herzklappen sind ab 1955 im Rahmen von Forschung und Entwicklung und ab
ca. 1960 zunehmend klinisch eingesetzt worden. Seit etwa 1970 gehört der Einsatz von
Klappenprothesen1 zur klinischen Routine der Herzchirurgie. Diese hat bis heute immer
wieder in verschiedenen Richtungen notwendige Fortschritte erzielt und zwar nicht zuletzt
durch verbesserte Klappenprothesen.
Neben dem Klappenersatz durch technische Prothesen ist die Entwicklung biologischer
Prothesen, tierischen und humanen Ursprungs, betrieben worden. Bis heute reicht die Halt-
barkeit biologischer Ersatzklappen jedoch gewöhnlich nur über einige Jahre (bis zu 10 Jah-
ren), während die Haltbarkeit der technischen Prothesen (USA: Mechanical heart valve
prostheses) normal über mehrere Jahrzehnte, also meist über die verbleibende Lebensdauer
des Patienten hinaus reicht.
Die Entwicklungsgeschichte der Herzklappenprothesen läßt sich bis heute anhand von vier
Klappengenerationen erläutern:
Die klinischen Erfahrungen von HUFNAGEL, STARR, LILLEHEI (Forscher auf dem
Gebiet der künstlichen Herzklappen) und anderen geleiteten Arbeitsgruppen führten in der
zweiten Hälfte der 50er Jahre zur ersten Generation künstlicher Herzklappen für den routi-
nemäßigen klinischen Einsatz. Diese Generation enthält vornehmlich Klappen mit starrem
Ring und einem durch Bügel oder Käfig geführten Schließkörper aus Kunststoff wie Sili-
kon, teils mit metallischer Einlage. Der Schließkörper ist meist Scheiben- oder kugelförmig
und führt beim Öffnen und Schließen eine Hubbewegung aus ( Hubklappen ).
1
Ist nachfolgend von Klappenprothesen die Rede, so sind regelmäßig technische Herzklappenprothesen ge-
meint, außer wenn ausdrücklich biologische Klappen genannt sind.
Holl & Schmidt 12
20. 3. Stand der Technik
Die zur selben Zeit von HUFNAGEL eingeführte, naturähnliche Klappenprothese mit drei
flexiblen Taschen kam wegen starker Thrombosierung und geringer Haltbarkeit klinisch
nur wenige Jahre zur Anwendung. Die Scheibenhubklappen konnten sich wegen hoher
Querschnittsverspannung trotz besserer Wandbespülung (zur Vermeidung von Klappenpro-
thesen) und geringeren Schließvolumens gegenüber den Kugelklappen nicht durchsetzen.
Hinzu kam noch die relativ hohe Verschleißanfälligkeit.
Die Entwicklung der zweiten Klappengeneration begann mit der Einführung des Pen-
delprinzips für den Öffnungs- und Schließvorgang (Kippscheiben- oder Pendelklappen).
Da hierfür relativ starre, dünne Scheiben benötigt wurden, kamen in Prototypen zunächst
metallische Werkstoffe zur Anwendung.
In der klinischen Erprobung wurden Delrinscheiben verwendet, bis die Entwicklung eines
blutfreundlichen Pyrolyse Kohlenstoffes (PYC), des Pyrolit-Carbon, gelang und den Pen-
delklappen als zweiter Generation künstlicher Herzklappen zum Durchbruch verhalf.
Nach mehreren Jahren klinischer Verwendung dieser Prothesen wurde dann gezeigt, daß
diese, mit ebenen Scheiben ausgestatteten Pendelklappen, aus strömungsmechanischen
Gründen nicht zuverlässig öffnen. Deshalb konnten sie die gegenüber Hubklappen erwarte-
te Verringerung des Druckverlustes nicht sicher gewährleisten. Durch Einführung des ge-
wölbten Schließkörpers wurde dieser Mangel behoben.
Die dritte Generation künstlicher Herzklappen kam mit der Einführung von Zweiflügel-
klappen. Bei diesen Klappen bestehen sowohl der Ring als auch die Scheiben aus PYC.
Inzwischen sind unterschiedliche Zweiflügelklappen verschiedener Hersteller auf dem
Markt.
1
Verstopfung von Blutgefäßen durch Blutgerinnsel.
2
Biegsame Kunststoffscheiben.
13
Holl & Schmidt
21. 3. Stand der Technik
Seit Ende der 80er Jahre wird über die Entwicklung einer dreiflügligen Herzklappe konkret
nachgedacht. In Frankreich hat man einige Prototypen aus PYC entwickelt und in
Deutschland ist eine Dreiflügelklappe mit Patentschrift und der Prototyp aus Metall vorge-
stellt worden. Man erwartet geringere Volumenverluste, schnelleres Öffnen und Schließen
sowie eine Verringerung der Klappengeräusche. Klinische Ergebnisse liegen jedoch noch
nicht vor [4].
3.1.1 Marktlage
In Deutschland werden zur Zeit jährlich etwa 10.000 künstliche Herzklappen eingesetzt.
Etwa 60% der Implantate sind technische Prothesen. Weltweit rechnet man heute mit über
120.000 Klappenimplantationen pro Jahr.
Die bekanntesten Hersteller technischer Klappenprothesen sind:
* St. Jude Medical (USA + Kanada)
* Baxter-Edwards (USA)
* Medtronic (USA)
* Sorin (Italien)
* Carbo Medics (USA)
* Medical (USA)
* ATS (USA + Schottland)
* AorTech (Schottland)
Die ersten vier Hersteller decken etwa 80% des Weltmarktes ab [4].
Holl & Schmidt 14
22. 3. Stand der Technik
3.2 Vorgaben und Schwierigkeiten bei der Herzklappenentwicklung
Herzklappenprothesen haben lebensnotwendige Funktionen zu erfüllen, wobei Nachteile,
ungünstige Nebenwirkungen und Risiken zu vermeiden oder wenigstens, soweit möglich,
zu begrenzen sind.
Die allgemeinen klinischen und technischen Vorgaben zur Entwicklung künstlicher Herz-
klappen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Zu gewährleisten sind, wie bereits erwähnt, Hauptfunktionen, die über mindestens zehn
Jahre, pro Tag etwa 100.000 mal (möglichst mehr als 30 Jahre, daß entspricht etwa 1 Mrd.
Arbeitsspielen) sicher auszuführen sind:
- Öffnen bis zum hinreichend großen effektiven
Strömungsquerschnitt (geringer Druckverlust)
- Schließkörper führen
- Schnelles Schließen bei geringem Volumenverlust
- Schließkörper anschlagen und positionieren und
- Dichten
Zu vermeiden oder zu begrenzen sind Nachteile und Nebenwirkungen wie:
- Druckverlust
- Volumenverlust
- Strömungsstagnation (Totwassergebiete und Staubereiche)
- Schall
- Kavitation1
- Thrombosen , Embolien
- Aktivierung von Blutkörperchen
- Hämolyse4
' Hohlraumbildung (in strömenden Flüssigkeiten).
2
Verstopfung von Blutgefäßen durch Blutgerinnsel.
Verstopfung von Blutgefäßen durch einen Fremdkörper.
4
Auflösung der roten Blutkörperchen.
Holl & Schmidt 15
23. 3. Stand der Technik
- Infektionen1
- Randlecks
- Funktionsstörungen [4]
Nach der Werkstoffwahl ergeben sich werkstoffbedingte Vorgaben zur Klappenkonstruk-
tion, die auf eine fertigungstechnische Gestaltung und Auslegung der Klappenteile und
deren Paarung zielen.
Eine der schwierigsten Aufgaben bei der Konstruktion einer Klappenprothese besteht dar-
in, unter Vorgaben von Klappenwerkstoffen und Funktionsprinzip, besonders bei geringer
Herztätigkeit, Klappenthrombosen zu vermeiden. Hierzu bedarf es einer sorgfältigen An-
ordnung und Formgebung der Schließkörper und der besonders sorgfältigen Gestaltung der
Lagerungen. Zu diesem Zweck wird seit langem bei Herzklappenprothesen eine gute Be-
spülung der gesamten blutbenetzten Oberfläche, auch der Lagerstellen, angestrebt.
3.3 Beschreibung des Ist-Zustandes
Neben dem Klappenersatz durch technische Prothesen ist die Entwicklung biologischer
Prothesen tierischen und humanen Ursprungs betrieben worden.
3.3.1 Bioprothetischer Klappenersatz mit xenogenem (fremdem) Gewebe
a) Schweineklappen Hl:
Das Problem des Strömungshindernisses durch den Verschlußapperat und die notwendige
Antikoagulation bei mechanischen Herzklappen legte es nahe, eine natürliche Aortenklap-
pe zu versuchen oder eine solche nachzuahmen.
1
Erkrankung durch Ansteckung.
2
Keine Gerinnung.
16
Holl & Schmidt
24. 3. Stand der Technik
Ab dem Jahre 1968 führte man Bioprothesen von speziell gezüchteten Schweinen ein. Bei
dieser Art von Bioprothesen kam es zu einer weiten Verbreitung. Eine Einschränkung in
der Anwendbarkeit besteht in der Größe. Kleine Klappen haben einen beträchtlichen
Druckgradienten besonders in Aortenposition1, der durch den starren Ansatz der rechten
Taschenklappe entsteht. Sie ist beim Schwein nicht frei beweglich, sondern sitzt zu fast 2/3
dem Ventrikelseptum auf.
Neuerdings gibt es Berichte, nach denen Aortenklappen von Känguruhs bezüglich Haltbar-
keit mehr versprechen als Schweineklappen. Außerdem haben sie nicht die Einschränkung
der Beweglichkeit des rechten Segels.
Teflonband zur
Schweineklappe über
Glättung der Ränder
Schutzbügel
Drahtrahmen scheint
durch
Mylarsrütze und durch ge-
strickte Teflonhülle
weicher Ring aus Silikon, von
Teflongewebe umhüllt
Schweineklappe als Ersatz für die menschliche Herzklappe [ 1 ]
Bild 3.1:
Aorta (Hauptschlagader).
Herzkammerscheidewand.
17
Holl & Schmidt
25. 3. Stand der Technik
b) Perikardklappen1 [11
Parallel zur Entwicklung der Schweineklappe experimentierte man mit einer trikuspidalen
Klappe , deren Segel aus Rinderperikard hergestellt wurden. Sie werden seit 1971 einge-
setzt, wobei das Stützgerüst zuerst aus Titan bestand und seit 1981 aus einem biegsamen
Kunststoff, Delrin, wodurch die Klappe ein niedrigeres Profil erhielt.
Patienten mit bioprothetischem Aortenklappenersatz bedürfen häufig überhaupt keiner
Medikamente mehr, die die Blutgerinnung hemmen.
Bild 3.2: Klappenventile aus Rinderperikard als Ersatz für menschliche Herzklappen
[1]
Herzbeutelklappen.
2
Dreizipflige Herzklappe zwischen Vorhof und Kammer der rechten Herzhälfte.
18
Holl & Schmidt
26. 3. Stand der Technik
Die Ergebnisse mit der Perikardklappe zeigen in den ersten Jahren eine Klappenfehlfunkti-
on von unter 1% pro Jahr. Nach den ersten vier bis fünf Jahren treten eher Probleme auf.
Das Rinderperikard enthält mehr Kollagenfasern1 als die Schweineklappe, was eine größe-
re Festigkeit des Gewebes versprechen soll. Die dynamischen Eigenschaften sind gegen-
über der Schweineklappe besser, da die Perikardklappe in der Größe keinen Einschränkun-
gen unterliegt. Die Schnittflächen an den Klappenrändern lassen jedoch Plasmabestandteile
eintreten. Dies ist vielleicht ein Grund dafür, daß Verkalkungen vorzugsweise an diesen
Rändern aufzutreten scheinen.
Die frühen Modelle der Perikardklappen - und nur diese lassen sich mit ausreichend langer
Beobachtungszeit beurteilen - wiesen als häufigsten Schwachpunkt einen Einriß am freien
Rand des Klappensegels nahe den Stützposten auf. Alle xenogenen (fremde) Gewebeklap-
pen degenerieren (entarten) und verkalken bei Kindern und jungen Patienten wesentlich
schneller als bei älteren.
Bezüglich der Haltbarkeit können Gewebeklappen mit mechanischen Klappen noch nicht
konkurrieren. Der Vorteil der geringeren Thrombose- und Embolierate sowie das günstige-
re Strömungsprofil ist aber so groß, daß die Versuche zur Verwendung biologischen Mate-
rials immer weitergeführt werden.
3.3.2 Mechanische Herzklappenprothesen
Einen großen Fortschritt im hämodynamischen Profil brachte die Kippscheibenprothese
von BJÖERK und SHILEY (siehe Bild 3.3). Die Delrinscheibe wurde inzwischen durch
Pyrolitkarbon ersetzt. Die Form der Scheibe wurde konvex-konkav. In der Öffnungsphase
bewegt sie sich 2,5 mm in Richtung des Blutstromes und vergrößert so die Öffnungsfläche.
1
Leimartiges Eiweiß des Bindegewebes.
2
Die Bewegung des Blutes betreffend.
19
Holl & Schmidt
27. 3. Stand der Technik
Bild 3.3: Kippscheiben- (Björk-Shiley-) Klappe als Herzklappenprothese [1]
Andere Scheibenklappen sind von LILLEHE, KASTER, MEDTRONIC und HALL ent-
wickelt worden.
Einen neuen Ansatz zeigten die Doppelkippventile (siehe Bild 3.4). Der Klappenverschluß
besteht aus zwei Teilen, die sich türflügelähnlich öffnen. Der Öffnungswinkel beträgt 85°,
so daß die Behinderung der Strömung gering ist.
Diese St.-Jude-Medical-Klappe, seit 1977 in Gebrauch, erlaubt den Fluß des Blutstroms
durch das Zentrum des Klappenrings im Gegensatz zu den Kippscheiben- oder Kugelventi-
len, bei denen der Blutstrom seitlich passieren muß. Die St.-Jude-Klappe eignet sich daher
auch für Klappenringe mit kleinem Durchmesser.
Holl & Schmidt 20
28. 3. Stand der Technik
Doppelflügel- (St.-Jude) Klappe als Herzklappenprothese [1]
Bild 3.4:
Gemeinsam bleibt allen mechanischen Kunstklappen das erhöhte Thromboembolierisiko ,
das zu lebenslänglicher Antikoagulation2 zwingt.
Die Gefahr einer Thromboembolie bzw. einer Klappendysfiinktion durch Thrombose ist
zwar je nach Klappenposition, Klappentyp und hämodynamischen Befunden des Patienten
verschieden groß, jedoch bei gut einstellbarer Antikoagulation werden auch bei kleinem
Embolierisiko die künstlichen Herzklappen immer empfohlen.
Verstopfung von Blutgefäßen durch Blutgerinnsel (Fremdkörper).
Keine Blutgerinnung zulassen.
Holl & Schmidt 21
29. 3. Stand der Technik
Die Ergebnisse von Langzeitbeobachtungen können nach verschiedenen Methoden klassi-
fiziert werden. So kann man für einen Klappentyp die Wahrscheinlichkeit angeben, nach
einem gegebenen Zeitraum noch fehlerfrei zu funktionieren.
Diese Wahrscheinlichkeit liegt für mechanische Klappen nach 8 Jahren für die Aortenklap-
pe bei 97%.
Bei Bioprothesen liegt die Zahl nach 5 Jahren für die Aortenposition bei 96%; nach weite-
ren 2,5 Jahren fiel sie aber auf 84% ab.
Für die Carpentier- Edwards- Schweineklappe war die Fehlerfreiheit nach 7 Jahren bei
68% der Patienten beobachtet worden [1].
3.3.3 Zusammenfassung der Nachteile bekannter Klappenmodelle
Künstliche Herzklappen ohne Nachteile oder Nebenwirkungen sind bis heute nicht verfüg-
bar und auch wohl kaum zu erreichen. Die in Abschnitt 3.2 aufgeführten Nachteile und
Nebenwirkungen künstlicher Herzklappen treten nach Implantation je nach verwendetem
Klappentyp unterschiedlich stark in Erscheinung.
Klappenprothesen aus natürlichem Gewebe weisen numerisch die wenigsten Nachteile auf.
Im Gegensatz dazu liegt ihre Lebensdauer im Patienten jedoch meist weit unter 30 Jahre.
Bei Verschlechterung der Hämodynamik, durch Insuffizienz ( Undichtigkeit) und / oder
Stenosierung (Verengung) infolge von Verkalkung wird dann ein erneuter Klappenersatz
notwendig.
Moderne technische Herzklappenprothesen (im englischen Sprachraum: Mechanical Heart
Valve Protheses) funktionieren gewöhnlich weit länger als 30 Jahre. Sie werden deshalb
seltener als die Bioprothesen ausgetauscht und wenn, dann meist wegen unerwünschter
Thrombosierung1, Randlecks, anatomischer Schwierigkeiten oder aus biologischen Ursa-
chen.
' Verstopfung von Blutgefäßen durch Blutgerinnsel.
Holl & Schmidt 22
30. 3. Stand der Technik
Ausgenommen bei kleinen Klappengrößen, wie sie für Kinder verwendet werden, spielt der
Druckverlust bei modernen Prothesen, wegen der inzwischen erreichten guten technischen
Verbesserungen, nur eine untergeordnete Rolle.
Jedoch bilden Volumenverluste, Strömungsstagnation mit Thrombosebildung, sowie Blut-
schädigung, Mikroembolien1, Randlecks und technisch bedingte Funktionsstörungen im-
mer noch ein Spektrum von Risiken, die mit der Implantation technischer Herzprothesen
verbunden sind.
In den letzten Jahren sind wegen klinisch aufgetretener Klappenbrüche, ohne eindeutig
belegbare Ursache, die Kavitation2 im Blut und die Schallentwicklung als weitere tech-
nisch bedingte kritische Parameter ins Blickfeld der wissenschaftlichen Erörterung von
Herzklappenprothesen getreten.
Demgemäß ist nach Implantation einer technischen Klappenprothese die Behandlung des
Patienten mit gerinnungshemmenden Mitteln (Antikoagulantien) erforderlich.
Auch bei Bioprothesen besteht oft das Erfordernis der Antikoagulation, wie zum Beispiel
bei Störungen der Kontraktions -Mechanik des Herzens nach Mitralklappenersatz, durch
Vorhofflimmern. In diesem Fall würde auch bei einer Bioprothese mit der Thrombosierung
des Implantates zu rechnen sein, wenn nicht antikoaguliert4 würde.
Der klinische Vorteil der Bioprothese entfällt dann. Der Nachteil der geringen Lebensdauer
leitet den Arzt in einem solchen Falle gewöhnlich, sich für eine technische Prothese zu
entscheiden [4].
Winzige Verstopfung von Blutgefäßen durch einen Fremdkörper.
2
Hohlraumbildung (in strömenden Flüssigkeiten).
3
Zusammenziehung.
4
Gerinnung verhindern.
Holl & Schmidt 23
31. 3. Stand der Technik
3.4 Weiterentwicklung von Herzklappenprothesen
Vor diesem beschriebenen Hintergrund läßt die von KÖRHOLZ und SCHMITT vorge-
schlagene Dreiflügelklappe eine gute klinische Lösung erwarten. Sie dürfte durch ihre ge-
schickte Konstruktion, mit wandständigen Flügeln in geöffneter Stellung, vor allem hin-
sichtlich der Thrombosegefahr und der Entstehung peripherer1 Embolien einen echten
Fortschritt beim Herzklappenersatz bringen. In den folgenden Kapiteln 3.4.1 und 3.4.2
wird eine detaillierte Darlegung technischer Merkmale und die Beschreibung von Unter-
schieden zu anderen Prothesen erfolgen.
3.4.1 Beschreibung des Gebrauchsmusters
Es liegt ein Gebrauchsmuster vor, das die Funktion einer dreiflügligen Herzklappenpro-
these veranschaulicht. Das starre Basisteil ist als Ringkörper ausgebildet, der mittels eines
an der Außenseite angeordneten Befestigungsmittels mit dem angrenzenden Gewebe ver-
nähbar ist. Weiterhin sind drei schwenkbar und symmetrisch am Basisteil (Ringkörper)
angeordnete und gleich ausgebildete Flügel vorhanden, die abhängig von ihrer Schwenk-
stellung die Innenöffnung des Basisteils freigeben oder verschließen.
Der Ringkörper hat drei zur Seite des Ventrikels und nach innen gerichtete Ausnehmun-
gen, von denen jeweils eine Ausnehmung einem Flügel zugeordnet ist.
Des weiteren sind die Flügeln als gebogene, dünne Scheiben ausgebildet, wobei der Biege-
radius im wesentlichen dem Innenradius der Ausnehmungen entspricht. Darüber hinaus
sind die Flügel in der geöffneten Stellung, mit ihrer Konvexität jeweils zur zugeordneten
Ausnehmung verschwenkt, so daß die Innenöffnung des Ringkörpers im wesentlichen frei-
gegeben ist. Außerdem wird sichergestellt, daß die Flügel in der Schließstellung aneinander
liegen.
1
Am Rande liegend.
2
Herzkammer.
Holl & Schmidt 24
32. 3. Stand der Technik
Vorteilhafterweise ist jede Klappe durch zwei Lagervorrichtungen im Ringkörper
schwenkbar gelagert, wobei jeweils eine Lagervorrichtung in einem Schnittpunkt der
Schwenkachse mit der Umfangskante angeordnet ist.
Diese Lagervorrichtung kann in vielfältiger Weise ausgebildet sein und beispielsweise aus
Zapfen bestehen, die an der Klappe angebracht sind und in Bohrungen auf der Innenseite
des Ringkörpers eingreifen.
Die Schwenkachse ist senkrecht zur jeweiligen Symmetrieachse der Flügel angeordnet und
schneidet die Umfangskante des Flügels in den Endbereichen. Weiterhin sind die Flügel
jeweils um ihre Symmetrieachse gebogen [5].
3.4.2 Vorteile der dreiflügligen Herzklappenprothese gegenüber den
herkömmlichen Herzklappenprothesen
Die derzeitig vorwiegend eingesetzten Herzklappenprothesen haben einen oder zwei Pen-
delscheiben als Schließkörper, durch die die pulsierende Blutströmung im Herzen einsinnig
gerichtet werden soll. Beim Öffnen und Schließen führen diese Scheiben eine Kipp- oder
Pendelbewegung aus, so daß die Klappe, vom Blutstrom gesteuert, sich passiv öffnet und
schließt.
Ein Teil der bei Ein- und Zweischeibenklappen auftretenden Nachteile und Risiken läßt
sich durch den Übergang vom Zweischeibenprinzip zum Dreischeibenprinzip, wie es ge-
mäß der Erfindung ausgeführt werden soll, verringern. Ein Grund dafür liegt in der Größe
und Anordnung der benötigten Flächen der Scheiben zum Verschluß der Ringöffnung. Es
werden vor allem geringere Hebellängen wirksam.
Damit sind verbunden:
* Geringere Stoßkräfte beim Öffnen und Schließen der Flügel
* geringere Volumenverluste beim Schließen der Klappe (Schließvolumen)
Holl & Schmidt 25
33. 3. Stand der Technik
* geringere Belastung des Blutes durch Stoß- und Schervorgänge beim Klappenschluß
* geringere Unterdruckwirkung vor (stromauf) der Klappe beim Schließkörperanprall, so
daß die Gefahr der Blut- Kavitation1 mit der Folge von Blutschädigung und Zerstörung
der Klappenoberfläche verringert wird
* geringere Lagerbelastungen beim Öffnen und Schließen der Klappe
* geringere Geräuschentwicklung und damit Entlastung des Patienten bezüglich Wachen
und Schlafen und in Beziehung zu seinen Mitmenschen
Darüber hinaus sieht die dreiflüglige Herzklappenprothese eine so geschickte Formgebung
für die Schließkörper vor, daß diese in geöffneter Stellung, ähnlich wie bei der natürlichen
Aortenklappe, eine große zentrale Öffnung freigeben wird. Das hat zur Folge, daß der
Strömungsvorgang sowohl beim Öffnen und Schließen, als auch während der Hauptströ-
mungsphase, dem der natürlichen Aortenklappe nahe kommt. Dies ist bei den herkömmli-
chen technischen Klappenprothesen nicht gegeben.
Für den deutschen Markt wie für den europäischen und auch den internationalen Herzklap-
penmarkt dürfte die erste deutsche Herzklappenprothese von besonderem Interesse sein.
Ferner würde mit der Entwicklung und Einführung einer deutschen Dreiflügelklappe ein
weiterer Schritt der deutschen Medizintechnik in Richtung auf die Führungsspitze des in-
ternationales Marktes getan werden [4].
3.4.3 Vorgaben für die Weiterentwicklung
Die Hauptaufgabe ist es, aus vorliegendem Muster eine einfache mechanische Herzklap-
penprothese mit einer verbesserten Hämodynamik2 zu entwickeln.
1
Hohlraumbildung (in strömenden Flüssigkeiten).
2
Blutbewegung.
26
Holl & Schmidt
34. 3. Stand der Technik
Sie soll einen hohen Anteil an zentraler laminarer Strömung, ohne Turbulenzentwicklung
und ohne Stagnationsgebiete aufweisen, so daß die Thrombogenität der Herzklappenpro-
these deutlich verbessert wird.
Des weiteren soll die Lage der Schwenkachse so gewählt werden, daß sich die Flächenver-
hältnisse vor und hinter der Schwenkachse wie 2/3 zu 1/3 verhalten. Dadurch soll ein
schnelles Öffnen und Schließen gewährleistet werden, um einen möglichst geringen
Druckverlust zu erhalten. Darüber hinaus sollen sowohl der Ringkörper, als die Flügel
schnell und einfach und damit kostengünstig herzustellen sein (siehe dazu auch Kapitel
3.2).
Nach der Werkstoffwahl ergeben sich werkstoffbedingte Vorgaben zur Klappenkonstruk-
tion, die auf eine fertigungsgerechte Gestaltung und Auslegung der Klappenteile und deren
Paarung zielen.
Dabei sind folgende Punkte zu beachten:
* Verträglichkeit
* Verschleiß (insbesondere an den Lagerstellen)
* Geräuschentwicklung
* Gewicht der Bauteile
* Die bei der Herstellung anfallenden Kosten
Der zur Zeit meist verbreitete Werkstoff ist Graphit, der mit einer pyrolithischen Kohlen-
stoffschicht bedampft wird (PYC-Schicht). Daneben sollen auch alternative Werkstoffe
geprüft werden, wie z.B. biokompatible Keramiken.
Bewegungsform von strömenden Flüssigkeiten oder Gasen (schichtweise, ohne Wirbelbildung).
2
Gebiete mit Stauung, Stillstand, Stockung.
3
Aderverstopfung durch Pfropfenbildung in den Blutgefäßen.
Holl & Schmidt 27
35. 3. Stand der Technik
3.5 Werkstoffrecherche für eine künstliche Herzklappenprothese
Neben der Erfindung der optimalen geometrischen Form der Herzklappe (Ringkörper und
Flügel), spielt die Wahl des Werkstoffes ebenfalls eine große Rolle.
3.5.1 Technische Keramik
Die für die technische Keramik eingesetzten Werkstoffe haben einen hohen AI2O3-
(Aluminiumoxid) Gehalt, der in der Regel mehr als 95% beträgt.
Keramische Eigenschaften:
Mechanisch: * Verschleißfestigkeit
* Festigkeit
* Härte
* Formbeständigkeit
* Dichte
* Oberflächengüte
Elektrisch: * Isolierfähigkeit / elektrische Leitfähigkeit
* Durchschlagfestigkeit
* Dielektrische Eigenschaften
* Piezoelektrische Eigenschaften
Thermisch: * Hochtemperaturfestigkeit
* Temperaturwechselbeständigkeit
* Wärmeisolation / Wärmeleitfähigkeit
* Wärmedehnung
* (Warm-) Formbeständigkeit
Chemisch / Biologisch: * Korrosionsbeständigkeit
* Katalytische Eigenschaften
* Biochemische Eigenschaften (Physiologische
Verträglichkeit, Lebensmittelverträglichkeit)
28
Holl & Schmidt
36. 3. Stand der Technik
z.B. Zahnimplantate und Hüftgelenke aus Technischer Keramik
Implantate aus keramischen Werkstoffen gehen mit dem Körper eine natürliche Verbin-
dung ein. Beim chirurgischen Eingriff überzieht sich der Aluminiumoxidkristall sofort mit
einer organischen Eiweißschicht. Daraus folgt, daß das Implantat vom körpereigenen Ab-
wehrsystem problemlos akzeptiert wird.
Aus den mechanisch stark belastbaren Werkstoffen können deshalb hochpräzise Hüftge-
lenk- und Knochenersatzimplantate gefertigt werden. Es handelt sich dabei im wesentli-
chen um Keramik-Metall-Verbundprothesen für das Hüftgelenk, wobei der auf Zug, Bie-
gung und Torsion beanspruchte Schaft aus einer körperverträglichen Kobaltbasis- oder
Titanlegierung besteht. Die auf Verschleiß und Reibung beanspruchten Komponenten Ku-
gel und Pfanne werden entweder beide aus reinem Aluminiumoxid oder nur die Kugel aus
Keramik und die Pfanne aus Polyethylen hergestellt.
Die dynamische Belastbarkeit liegt, nach hundert Millionen Lastwechseln, bei etwa sechs
Tonnen. Dies entspricht dem sechzigfachen Körpergewicht und einer lebenslangen Funk-
tionsfähigkeit.
Pro Jahr implantieren Chirurgen annähernd 60.000 Hüftgelenke in der Bundesrepublik
Deutschland.
Die Kombination aus physiologischer Verträglichkeit und hoher Abriebfestigkeit erlaubt es
auch, keramische Bauteile bei der Verarbeitung empfindlicher Substanzen, also in Anlagen
zur Herstellung von Lebensmitteln, Medikamenten und Kosmetika, einzusetzen.
Des weiteren werden keramische Formen in flüssiges Latex getaucht, um z.B. Operations-
handschuhe herzustellen, Porzellangefäße bewähren sich in Labors schon seit vielen Jah-
ren. Darüber hinaus ermöglicht das Beschichten, Metalle durch Keramik zu veredeln und
sie mit allen Vorteilen keramischer Oberflächen auszustatten [6, 7].
29
Holl & Schmidt
37. 3. Stand der Technik
Um den Werkstoff Keramik gegebenenfalls bei der Fertigung einer künstlichen Herzklap-
penprothese zu verwenden, suchten wir das Gespräch mit einem Experten auf diesem Ge-
biet, der uns noch mehr Informationen über die Einsatzbereiche und die fertigungstechni-
schen Möglichkeiten (Beschichtungen von Werkstoffen etc.) von Keramik (Biokeramik)
geben konnte. Dieser Experte ist Prof. Dr. Schumacher, ein Dozent an der Fachhochschule
in Höhr-Grenzhausen im Fachbereich Keramik.
Laut Herrn Schumacher kommt eine vollkommen keramische Lösung ausschließlich für
die Flügel in Frage. Hierbei müßte vorausgesetzt werden, daß die Flügel seitlich in zwei
Kugelköpfen auslaufen, da eine Kugelform hinsichtlich fertigungstechnischer Probleme die
einzig realisierbare wäre. Ein keramischer Ringkörper wäre in diesem Fall nicht zu ver-
wirklichen, da entweder der Ring oder die Flügel beim Fügen der Teile ein zu großes ela-
stisches Verhalten aufzeigen müßten. Ein beschichteter Ringgrundkörper aus Metall (z.B.
Titan) bzw. Kunststoff (z.B. Polymer) käme als Lösungsmöglichkeit in Betracht. Der
Werkstoff der Beschichtung könnte Keramik oder auch Diamant sein.
Für die Flügel könnte ebenfalls eine Kombination aus metallischen bzw. polymeren
Grundkörper und einer Beschichtung Vorteile hinsichtlich Elastizität und Kosten mit sich
bringen. Ein weiterer Vorteil läge darin, daß die Konstruktion der Lagerstellen besser
durchzuführen sei.
3.5.2 Der Werkstoff Titan
Physikalische Eigenschaften von Titan:
4,5 g / cm3
Dichte:
Schmelztemperatur: 1670 °C
110.000 N / mm2
Elastizitätsmodul:
Ausdehnungskoeffizient: 9* 10quot; /K
30
Holl & Schmidt
38. 3. Stand der Technik
Titan vereinigt hohe Festigkeit mit geringer Dichte und ausgezeichneter Korrosionsbe-
ständigkeit. Dieser ungewöhnlich günstigen Kombination von Eigenschaften verdankt es
trotz seines hohen Preises eine ausgedehnte Verwendung auf technischen Spezialgebieten.
Titanlegierungen findet man im Flugzeugbau, in Strahltriebwerken und Hochleistungsmo-
toren, unlegiertes Titan im chemischen Apparatebau und in der Galvanotechnik [8].
Anwendungsbeispiel für Titan:
Nahezu ideal scheint das Material aus der Raumfahrt für Brillenfassungen. Eine Titanfas-
sung ist 48% leichter als herkömmliche Metallfassungen. Allergische Reaktionen gibt es
nicht. Titan ist als quot;allergiebeständigquot; wissenschaftlich anerkannt. Vollkommen korrosi-
onsbeständig wird Reintitan auch in Entsalzungsanlagen eingesetzt.
Titan ist um 20% flexibler als andere Fassungsmaterialien, läßt sich leicht biegen, aber
verbiegt sich nicht. Die Form bleibt stabil, bei welcher Beanspruchung auch immer, die
Brille läßt sich gut anpassen und sitzt angenehm.
Titanarten:
Als reines Titan bezeichnet man das Titan-P, dessen Reinheitsgrad zwischen 99% bis
99,7% liegt. Der Rest ist Stickstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und Wolfram.
Der Reinheitsgrad des Titan-B liegt bei mindestens 90%. Es ist mit Magnesium angerei-
chert und elastischer, aber härter als reines Titan. Wegen der größeren Härte ist es schwerer
zu verarbeiten. Titan-B wird überwiegend für die Augenränder von Brillenfassungen ver-
wendet.
Die Herstellung von Titan-C ist am aufwendigsten. Dafür wird das reine Titan zunächst
galvanisch beschichtet, wodurch dann anschließend das Material wie andere Metallegie-
rungen (z.B. Ni/Cr, Neusilber) an normaler Luft verarbeitet werden kann.
Aus Titan-C werden z.B. Brillenfassungen hergestellt, die anschließend durch eine galvani-
sche Beschichtung mit Gold, Paladium etc., fast doppelt so dick sind wie normal und den
erforderlichen Allergie- und Korrosionsschutz gewährleisten.
Der Werkstoff Titan-Flex besteht aus 50% Titan und 50% Nickel. Er ist damit nicht mehr
allergiebeständig, aber wunderbar flexibel und formstabil [9].
Holl & Schmidt 31
39. 3. Stand der Technik
3.5.3 Bedeutung und Einsatz von Carbon als Klappenwerkstoff
Nach Verwendung von Acryl-Glas, Silikon, Edelstahl, Titan und anderen Werkstoffen zum
Aufbau künstlicher Herzklappen, hat sich in den letzten 20 Jahren pyrolithischer Kohlen-
stoff, der zunächst in der Kerntechnik zur Beschichtung von Brennelementen verwendet
worden ist, durchgesetzt. Gewöhnlich werden die zu fertigenden Einzelteile zunächst in
Graphit mit Untermaß als Kerne oder Substrat-Teile vorgefertigt und anschließend in ei-
nem Gasreaktor beschichtet.
Der Gasreaktor ist ein vertikal von einem Gasgemisch durchströmter Ofen, in dem nach
dem Wirbelbett-Verfahren die Rohlinge bei hoher Temperatur schwebend bedampft wer-
den. Nuklearstrahlung tritt dabei nicht auf. Die aus den eingebrachten Gasen aufdampfen-
den Kohlenstoff-Moleküle werden dabei an der Substrat-Oberfläche chemisch gebunden
(chemical vapor deposition, CVD) und bilden eine, in ihrer Dicke wachsende, pyrolitische
Carbon-Schicht (PYC).
Diese PYC-Schicht ist sehr hart, verschleißfest, hoch polierbar und eine der blutfreund-
lichsten Beschichtungen, die heute bekannt sind. Dies ist für die Herzklappenprothese von
besonderer Bedeutung, da die Entstehung von Thromben im Blutstrom unbedingt zu ver-
meiden ist [4].
Fazit der Werkstoffrecherche:
Die gewonnenen Erkenntnisse wurden mit dem technischen Geschätfsführer Friedrich
Schmitt (der Firma MRD) besprochen. Daraufhin vereinbarte man, für die spätere Testpha-
se der Herzklappenprothese , ca. 10 Prototypen aus dem Werkstoff Titan zu fertigen, wobei
der erste Prototyp durch das Stereolithografieverfahren hergestellt werden soll.
Um evtl. den Werkstoff Keramik für eine Herzklappenprothese zu verwenden, müßte eine
umfassende und sehr aufwendige Untersuchung erfolgen, die aber nur im Rahmen einer
gesonderten Diplomarbeit, z.B. in Zusammenarbeit mit der FH in Höhr-Grenzhausen, zu
bewältigen wäre.
32
Holl & Schmidt
40. 4. Lösungsvorschläge
4. Lösungsvorschläge
In diesem Kapitel werden verschiedene Varianten für die Form des Ringkörpers und der
Flügel dargestellt und beschrieben. Es werden außerdem unterschiedliche Möglichkeiten
gezeigt, die Anschläge beim Öffnen und Schließen der Flügel zu realisieren.
Jede Formvariation wird auf Vor- und Nachteile geprüft und bewertet.
Da die Lage der Schwenkachse der Flügel für die Größe der Kippmomente beim Offnen
und Schließen der Flügel entscheidend ist, gilt diesem Punkt hier ein besonderer Augen-
merk.
4.1 Variationen des Ringkörpers der Flügel und der Anschläge
4.1.1 Variante I
a) Ringkörper außen und innen kreisrund b) Detail X (Anschlag)
Bild 4.1: Dreiflüglige Herzklappenprothese mit Anschlag der Flügel
33
Holl & Schmidt
41. 4. Lösungsvorschläge
In Bild 4.1 wird eine Herzklappenprothese mit kreisrundem Öffnungsquerschnitt darge-
stellt. Der Anschlag beim Schließen der Klappe erfolgt durch Auflage der Flügel auf den
Ringkörper. Der Anschlag beim Öffnen der Klappe wird durch Anlegen der Flügel an den
Ring-innenkörper gewährleistet.
Beim Öffnen der Herzklappenflügel wird annähernd der gesamte kreisrunde Öffnungsquer-
schnitt freigegeben, so daß sehr gute strömungstechnische Gegebenheiten vorliegen. Dieser
Sachverhalt wird dadurch unterstützt, daß keine Anschlagelemente in das Ringinnere ra-
gen, die das Blut bei der Durchströmung der Klappe behindern.
Ein zirkularer1 Öffnungsquerschnitt der Herzklappenprothese wäre aus rein strömungs-
technischer Sicht optimal. Diese Form bringt aber bezüglich der daraus resultierenden Flü-
gelform erhebliche Nachteile mit sich, wie im Folgenden noch aufgezeigt wird.
geöffnete Flügel
schwingen über Ringaußen-
Ringkörper
Schwenkachsen
Bild 4.2: Dreiflüglige
Herzklappenprothese mit zwei
geöffneten Flügeln
In diese Darstellung wurden zwei
Flügel um eine mögliche
Schwenkachse gedreht, der
dritte Flügel befindet sich in geschlossener Klappenposition.
Die Lage der Schwenkachse ist für die beiden geöffneten Flügel gleich und wurde in An-
lehnung an das Gebrauchsmuster festgelegt .
1
Kreisrunder.
2
Gebrauchsmusterbeschreibung siehe Kapitel 3.4.1.
34
Holl & Schmidt
42. 4. Lösungsvorschläge
Man kann in Bild 4.2 erkennen, daß die konvexen Flügelseiten beim Öffnen der Klappe
über den Ringaußenrand schwingen, was allerdings nicht zu einer Beeinträchtigung der
Funktion führt.
Ein entscheidender Nachteil ergibt sich jedoch aus dem Sachverhalt, daß jeder Flügel um
den Betrag des Auflageteils verlängert werden muß, um das Anschlagen der Flügel beim
Schließen der Klappe gewährleisten zu können (s. Bild 4.1a).
Die zusätzlich geschaffenen Auflageteile vergrößern die Bereiche der Flügelflächen aus
denen sich die Gegenmomente errechnen lassen, die bei Anströmung durch das Blut der
Drehbewegung entgegenwirken, die die Flügel beim Öffnen der Herzklappenprothese aus-
führen. Die zusätzliche Materialanhäufung verursacht zudem ein höheres Flügelgewicht
und somit auch größere Massenkräfte, die ebenfalls gegen die Öffnungsbewegung der Flü-
gel gerichtet sind .
Ein einwandfreier Öffnungs- und Schließbetrieb der Herzklappenprothese kann also folg-
lich nicht mehr garantiert werden.
Im nun folgenden Kapitel 4.1.2 soll versucht werden, die Nachteile der oben beschriebenen
Anschlagart auszuräumen.
' Siehe auch Kapitel 4.4.
Holl & Schmidt
43. 4. Lösungsvorschläge
4.1.2 Variante II
mögliche Schwenkachse
a) Ringkörper außen und innen kreisrund b) Ansicht der Klappe von unten
Bild 4.3: Dreiflüglige Herzklappenprothese mit Anschlagsteg
Bei der hier gezeigten Anordnung legen sich die Flügel beim Schließen der Herzklappe auf
einen Steg auf, der in den Ringkörper eingearbeitet wurde. Der Anschlag der Flügel beim
Öffnen der Klappe kann durch Anlegen der Flügel an die Innenwand des Ringkörpers er-
folgen.
In diesem Modell ist es möglich die ursprüngliche Größe der Flügel beizubehalten. Dies
bedeutet wiederum, daß sich die Kippmomente der Flügel, die dem Öffnen der Klappe ent-
gegengerichtet sind, nicht vergrößern, wie es in Kapitel 4.1.1 bei Variante I beschrieben
wurde.
Wie Bild 4.3 verdeutlicht, können bei dieser Lösungsmöglichkeit ebenfalls bestmögliche
Strömungsverhältnisse erreicht werden, da der Ringkörper eine zirkuläre Innenform hat
und beim Öffnen der Klappe annähernd der komplette innere Querschnitt für den Blutfluß
freigegeben wird.
36
Holl & Schmidt
44. 4. Lösungsvorschläge
In Abbildung 4.3b ist jedoch zu erkennen, daß auch diese Variante erhebliche Nachteile
mit sich bringt.
Durch die Einarbeitung des Anschlagstegs verkleinert sich der Innenradius des Ringkör-
pers. Die Flügel weisen nun in ihrer Konvexität einen größeren Krümmungsradius auf als
der Ringinnenkörper. Folglich können sich die konvex gekrümmten Flügelseiten beim Öff-
nen der Herzklappenprothese nicht mehr formgenau an die Ringinnenseite anlegen. Um
eine gute Schließfunktion der Klappe gewährleisten zu können, müssen sich die einzelnen
Flügel nach dem Öffnungsvorgang so an den Ringinnenkörper anlegen, daß sie dem wäh-
rend der Diastole zurückfließenden Blut eine ausreichende Angriffsfläche bieten, damit ein
entsprechendes Kippmoment gebildet werden kann, das die Flügel wieder in die verschlos-
sene Ausgangsstellung zurückdrehen kann. Diese Funktionsweise kann in Variante II nicht
erfüllt werden, was diese Möglichkeit als Lösung ausscheiden läßt.
4.1.3 Variante III
In diesem Abschnitt wird eine Lösungsmöglichkeit gezeigt, bei der nicht nur Änderungen
bezüglich des Anschlagsteges vorgenommen, sondern auch zum ersten Mal die Form des
Ringkörpers und somit auch die der Flügel variiert wurden. Der Ringkörper erhält in die-
sem Fall ein polygonales Innenprofil, die Außenkontur bleibt weiterhin kreisrund.
Der Anschlagsteg, auf den sich die Flügel beim Schließen der Klappe auflegen können,
besitzt hier die gleiche Krümmung wie die konvexen Flügelseiten. Zusätzlich wird in den
Ringkörper eine Auslaufkante eingearbeitet, deren Kontur die Bahnkurve der Flügel beim
Öffnen der Klappe beschreibt.
Die Form der Flügel wird an das polygonale (unrunde) Ringinnenprofil angepaßt, um in
geschlossener Klappenstellung den gesamten Öffnungsquerschnitt verschließen zu können.
Polygonal leitet sich vom Hauptwort Polygon ab und bedeutet vieleckig; im Maschinenbau werden
üblicherweise Unrundprofile auch als Polygonprofile bezeichnet.
37
Holl & Schmidt
45. 4. Lösungsvorschläge
abgerundete Auslaufkante
(Flügelbahn)
a) Ansicht von unten b) Perspektivische Darstellung
Bild 4.4: Ringkörper mit polygonalem Innenprofil und zirkularer Außenform
Denkt man sich die gesamte Ringkörperkontur auf eine Ebene senkrecht zur Mittelachse
des Basisteils projiziert, so setzt sich das polygonale Innenprofil aus drei gleich großen, je
um 120° versetzten Kreisbögen zusammen, die einen größeren Krümmungsradius als die
zirkuläre Außenkontur des Ringes besitzen. Die drei Kreisbögen verlaufen also um je einen
Mittelpunkt, der nicht mit dem Mittelpunkt der Projektion des gesamten Basisteils zu-
sammmenfällt1.
Das Polygonprofil weist im Vergleich zur kreisrunden Innenkontur schlechtere strömungs-
technische Eigenschaften auf, weil es bei dieser Profilart in den Eckpunkten, in denen die
Kreisbögen zusammenstoßen, leichter zu Verwirbelungen des Blutes beim Durchströmen
der Herzklappenprothese kommen kann.
1
Dieser geometrische Sachverhalt wird eingehend in Kapitel 4.3 beschrieben.
38
Holl & Schmidt
46. 4. Lösungsvorschläge
Ein weiterer Nachteil der hier beschriebenen Form liegt sicherlich in einem fertigungs-
technischen Mehraufwand. Diese Nachteile werden aber in Kauf genommen, da die unrun-
de Formvariante auch einen erheblichen Vorteil mit sich bringt, der noch im Folgenden
aufgezeigt wird.
a) Ringkörper mit kreisrunder Außenform b) Ansicht von unten bei geöffneter
und polygonaler (unrunder) Innenform Klappenstellung
Bild 4.5: Dreiflüglige Herzklappenprothese mit Steg als Anschlag
In Bild 4.5a liegen die Flügel bei geschlossener Klappenstellung auf dem Anschlagsteg auf.
Die abgerundete Auslaufkante ist gut zu erkennen. Bild 4.5b zeigt die geöffnete Herzklap-
penprothese, wobei die Flügel je um 75° um die zugehörige Schwenkachse gedreht wur-
den. Die konvex gekrümmten Flügelseiten legen sich in dieser Stellung formgenau an die
Innenwand des Ringkörpers an.
Die Lage der Schwenkachse eines jeden Flügels ist auch in dieser Anordnung wieder frei
gewählt und ist somit nicht verbindlich. Um die genaue Position der Schwenkachse eines
Flügels bestimmen zu können, bedarf es einer eingehenden Betrachtung dieser Problema-
tik, die in Kapitel 4.2 vorgenommen wird.
39
Holl & Schmidt
47. 4. Lösungsvorschläge
Der entscheidende Vorteil der in diesem Kapitel beschriebenen Lösungsmöglichkeit be-
steht in der Form der Flügel.
Denkt man sich einen Flügel auf eine Ebene senkrecht zur Mittelachse des Basisringes
projiziert, so bedeckt die Projektion des Flügels genau ein Drittel des unrunden Innenpro-
fils des Ringes. Die Schwenkachse des Flügels teilt die projizierte Flügelfläche in zwei
Hälften. Die eine Hälfte dient bei Anströmung durch das Blut der Bildung des Momentes,
das erforderlich ist, um den Flügel in Öffnungsrichtung zu drehen. Der andere Flächenteil
ist für die Bildung eines Gegenmomentes verantwortlich. Dieses Gegenmoment versucht
den Flügel in der geschlossenen Klappenstellung zu halten und hemmt somit die Öff-
nungsbewegung der Herzklappenprothese.
Bei der polygonalen Lösungsmöglichkeit wird nun im Vergleich zur zirkulären Variante,
bei einer vergleichbaren Lage der Flügeldrehachse, derjenige Flächenteile des Flügels ver-
kleinert, der der Bildung des oben erwähnten Gegenmomentes dient1.
Durch die hier beschriebene Formvariation kann also eine Verbesserung des Offnungs- und
Schließverhaltens, insbesondere der Offnungs- und Schließgeschwindigkeit, erreicht wer-
den. Die strömungs- und fertigungstechnischen Nachteile treten deshalb bei dieser Variante
in den Hintergrund.
Für die weitere Behandlung der Thematik liegen zukünftig, aus den oben genannten Grün-
den, immer eine polygonales Ringinnenprofil und die daraus abgeleitete Flügelform zu-
grunde.
1
Siehe auch Kapitel 4.3.
Holl & Schmidt 40
48. 4. Lösungsvorschläge
4.2 Weiterführende Betrachtungen
4.2.1 Lagebestimmung der Flügelschwenkachse
Für die folgenden Ausführungen wird vorausgesetzt, daß die Schwenkachse des Flügels
senkrecht zu seiner Symmetrieachse verläuft und die Umfangskante des Flügels in den
Endbereichen schneidet [5].
b) Verlagerung der Schwenkachse
(perspektivisch)
Bild 4.6: Verlagerung der Schwenkachse eines Flügels der Herzklappenprothese
Die Darstellung zeigt einen Flügel der Herzklappenprothese, der auf einem Drittel des
Ringkörpers aufliegt.
In Kapitel 4.1.4 wurde bereits beschrieben, daß die polygonale Innenkontur des Ringkör-
pers und die daraus abgeleitete Flügelform einen großen Vorteil hinsichtlich der Momen-
tenbildung beim Öffnen der Klappe mit sich bringen.
41
Holl & Schmidt
49. 4. Lösungsvorschläge
Der durch diese Art der Formgebung hervorgerufene Effekt der Verkleinerung desjenigen
Flächenteils eines Flügels, der der Gegenmomentenbildung bei der Anströmung durch das
Blut dient, kann durch eine gezielte Verlagerung der Schwenkachse eines Flügels in Rich-
tung der Außenkante des Ringkörpers zusätzlich verstärkt werden.
Dieser Sachverhalt wird in Bild 4.6a dargestellt. In der Draufsicht läßt sich der gewünschte
Effekt der Verkleinerung der Gegenmomentenfläche bei einer Verlagerung der Schwenk-
achse des Flügels in der angedeuteten Pfeilrichtung, sehr leicht erkennen.
Bei einer genaueren Betrachtungsweise lassen sich allerdings erhebliche Schwierigkeiten
ausmachen, die eine derartige Schwenkachsenverlagerung mit sich bringt.
Bild 4.6 macht deutlich, daß einer erwünschten horizontalen Verlegung der Achse in
Richtung der Ringaußenkante, zwangsläufig auch eine Schwenkachsverlagerung in vertika-
ler Richtung folgen muß, wenn davon ausgegangen wird, daß die Drehachse die Flügelkon-
tur schneidet. Eine Achsverschiebung in vertikaler Ebene wirft aber sofort wieder eine
neue Problematik auf.
Die in Bild 4.6 rot gekennzeichneten und als quot;kritische Eckpunktequot; bezeichneten Punkte
folgen bei einer Achslage, die nicht durch die Endbereiche der Flügelumlaufkante verläuft,
immer einer Bahnkurve in den Ringinnenraum, die die Grenze zum benachbarten
Ringsegment überschreitet. Da beim Öffnen der Herzklappenprothese jeder Flügel die glei-
che Bewegung ausführt, kommt es somit automatisch zu einer Verklemmung zweier be-
nachbarter Flügel.
Eine Verlagerung der Schwenkachse in horizontaler Richtung wird also nur möglich, wenn
die spitz auslaufenden Flügelenden derart gekürzt werden, daß sich anstatt spitzer Auslauf-
kanten nun abgeflachte Endbereiche ergeben, die eine horizontale Erstreckung auf einer
Ebene aufweisen1. Innerhalb dieses Bereiches kann dann eine horizontale Verschiebung der
Drehachse erfolgen, ohne die Funktionsweise der Klappenprothese zu beeinträchtigen.
' Siehe dazu auch Kapitel 4.3.
42
Holl & Schmidt
50. 4. Lösungsvorschläge
4.2.2 Bewegungsablauf eines Flügels
Kontur des geschnittenen
Bahnkurve der hinteren
Flügels in
Flügelkante
ein Drittel des
Ringkörpers
ewählte
abgerundete Auslaufkante
geöffneter Stellung
Schwenkachse
Flügel in der Hälfte
geschnitten
Bahnkurve der vorderen
Flügelkante
Ringkörpersegment mit halbiertem Flügel
Bild 4.7:
Die Abbildung zeigt ein Drittel des Ringkörpers mit kreisrunder Außenform und polygona-
ler Innenform. Der zu diesem Ringkörpersegment gehörige Flügel wurde entlang seiner
Symmetrieachse geschnitten, um den Bewegungsablauf des Flügels beim Öffnen und
Schließen der Klappe besser verdeutlichen zu können.
Der Flügel wird hier in der geschlossenen Klappenstellung gezeigt, in geöffneter Stellung
ist nur seine Außenkontur angedeutet.
Der Einfachheit halber ist im folgenden Text weiterhin nur von Flügel die Rede, auch wenn die
geschnittene Flügelhälfte gemeint ist.
43
Holl & Schmidt
51. 4. Lösungsvorschläge
Es wurde versucht, die Position der Schwenkachse so zu wählen, daß die kritischen Eck-
punkte des Flügels (s. Bild 4.6) beim Öffnen der Prothese keine grenzüberschreitenden
Bewegungen zu den benachbarten Klappensegmenten ausführen. Verklemmungen sollen
so vermieden werden.
ein Drittel des Ringkörpers
Flügel in der
Hälfte
in der Hälfte geschnitten
Schwenkachse Bahnkurven der
Flügelkanten
a) Geschlossene Klappenposition b) Halb geöffnete Klappenposition
Flügelkontur bei
Schwenkachse
geschlossener Klappe
abgrundete Aus
laufkante
Bahnkurven
Flügelkontur
bei geöffneter Klappe
d) Detail X
c) Klappe vollständig geöffnet
Bild 4.8: Bahnkurve eines Flügels beim Öffnen der Herzklappenprothese
53. 4. Lösungsvorschläge
In Bild 4.8 wurden ein Flügel und ein Drittel des Basisteils je entlang ihrer Symmetrieachse
geschnitten. Der Flügel wird in geschlossener, halb geöffneter und vollständig geöffneter
Klappenstellung gezeigt, wobei sich die Bahnkurven der vorderen als auch der hinteren
Flügelkante anhand der gestrichelt dargestellten Linien nachvollziehen lassen.
Die normalerweise spitz auslaufenden Flügelenden wurden in dieser Anordnung abge-
flacht, so daß die Position der Schwenkachse, wie in Kapitel 4.2.1 beschrieben, horizontal
verschoben werden kann, um eine günstigere Momentenverteilung zu erhalten.
Da die vertikale Position der Drehachse aus konstruktiven Gründen bei halber Material-
stärke des Flügels festgelegt wurde, folgen die quot;Kritischen Eckpunktequot; auch hier immer
noch einer Bahnkurve, die die Grenze zum benachbarten Ringkörpersegment geringfügig
überschreitet. Dieser Sachverhalt wird in Bild 4.8d verdeutlicht.
Die oben gezeigte Flügelform soll aber die Grundlage für weitere mathematische und kon-
struktive Operationen bilden, so daß für die Schwenkachse nur noch eine Position möglich
wird, wenn ein Verklemmen der Prothese ausgeschlossen werden soll.
Die Achse muß durch die oberen, hinteren Eckpunkte der abgeflachten Endbereiche der
Flügelumlaufkante führen (s. auch Kapitel 4.3, Bild 4.10a). Nur bei dieser Lage der Dreh-
achse kann gewährleistet werden, daß kein Punkt des Flügels den Schwenkbereich eines
angrenzenden Flügels kreuzt.
Für alle folgenden Darstellungen, Berechnungen und Beschreibungen wird nun von der
hier ermittelten Schwenkachsenposition ausgegangen.
45
Holl & Schmidt
54. 4. Lösungsvorschläge
4.3 Berechnung der optimalen Flügelgeometrie
Denkt man sich einen Flügel der Herzklappenprothese auf eine Ebene senkrecht zur
Mittelachse des Basisringes projiziert, so bedeckt die Projektion des Flügels genau ein
Drittel der Fläche des unrunden Innenprofils des Ringes (siehe Bild 4.11).
Die Drehachse des Flügels teilt die projizierte Flügelfläche in zwei Hälften. Die eine Hälfte
dient, bei Anströmung durch das Blut, der Bildung des Momentes, das erforderlich ist, um
den Flügel in Öffnungsrichtung zu drehen. Die andere Hälfte ist für die Bildung eines Ge-
genmomentes verantwortlich. Dieses Gegenmoment versucht den Flügel in der geschlosse-
nen Klappenstellung zu halten und hemmt somit die Öffnungsbewegung der Herzklappen-
prothese (siehe Bild 4.10a).
Bei der polygonalen Lösungsmöglichkeit wird nun im Vergleich zur zirkulären Variante,
bei einer vergleichbaren Lage der Flügeldrehachse, derjenige Flächenteil des Flügels ver-
kleinert, der der Bildung des oben erwähnten Gegenmomentes dient.
Als Vorgabe wurde, in Absprache mit Herrn Schmitt (technischer Geschäftsführer bei
MRD), die Flächenverteilung mit 2/3 (für das Moment zum Öffnen des Flügels), zu 1/3
(für das unerwünschtes Gegenmoment) festgelegt, um ein schnelles Öffnen und Schließen
der Flügel zu gewährleisten.
Um nun die optimale Form der einzelnen Flügel zu erreichen und die notwendige Lage der
Drehachse einzuhalten, wird als Berechnungsgrundlage ein kreisrunder Öffnungsquer-
schnitt angenommen, um dann die daraus resultierende Größe der Querschnittsfläche auf
die polygonale Ringkörperform zu übertragen.
Holl & Schmidt 46
55. 4. Lösungsvorschläge
4.3.1 Kreisrunder Öffnungsquerschnitt
Die Gesamtfläche des Öffnungsquerschnittes beträgt:
Ages = D2 * n / 4 = 252mm2 * II / 4 = 490 mm2
Die projizierte Querschnittsfläche eines Flügels be-
trägt: Aprojiziert = 1/3 * Ages » 165 mm2
D- 25
<-------------------------------------------------------------------------------- S*
Bild 4.9: Kreisrunder Öffnungsquerschnitt einer Herzklappenprothese
Bei der ersten möglichen geometrischen Form des Flügels wird davon ausgegangen, daß
die drei Teilbereiche dieselben Querschnittsflächen besitzen (Ak = Ar = Ad = 55mm2)
(siehe Bild 4.10a). Dies hat zur Folge, daß sich ein Verhältnis der Flächen, oberhalb (Ak)
zu unterhalb (Ar + Ad) der Drehachse, von 1/3 zu 2/3 ergibt (oberhalb der Drehachse:
55mm2/165mm2 zu unterhalb der Drehachse: 110mm2/165mm2).
Holl & Schmidt 47
56. 4. Lösungsvorschläge
4.3.2 Berechnungen für die Festlegung der Geometrie des Flügels
1. Möglichkeit der geometrischen Form
Die gesamte Flügelfläche beträgt: Ag = 165 mm2
Die Fläche eines Teilbereiches beträgt 55 mm2 (Ak = Ar = Ad)
Ak = 1/3 * Ag
Drehachse
Ar=l/3*Ag
Ad = 1/3 * Ag
a) Gesamtfläche des Flügels: (Kreissegmentfläche: Ak, Rechteckfläche: Ar, Dreiecksflä-
che: Ad)
b) Dreieckfläche
Ar = 55 mm2 = s * t
=> t = 55 mm2 / 19,5 mm
t = 2,8 mm
c) Rechteckfläche
57. 4. Lösungsvorschläge
Ak = u / 6 s * (3u2 + 4s2) = 55 mm2
=> 0,5 * s * u3 + 2/3 * s * u - Ak = 0
=> u3 + 4/3 s2 * u -2 * s * Ak = 0
=> u3 + 507 mm2 * u -2145 mm2 = 0
=> u » 4,1 mm
r = u / 2 + s2/8u
=> r = 4,1 mm / 2 + 19,52 mm2 / (8 *
4,1 mm) = 13,6 mm
d) Kreissegmentfläche
Bild 4.10: Erste mögliche Flügelfläche (Geometrie) auf eine Ebene projiziert
- Die Abmaße für die drei Teilbereiche können aufgrund der festgelegten
Größe der Querschnittsflächen berechnet werden
- An die Rechteckfläche (Bild 4.10c) sollen jeweils in den hinteren Eck-
punkten, links und rechts, die Lagerzapfen angebracht werden
Erste mögliche Form der Herzklappenprothese
- Überstand für Zapfenlagerung größer
als notwendig (ragt zuviel ins Innere
des Ringkörpers => strömungstechni-
sche Nachteile)
=> Überstand so klein wie möglich
ge-
stalten, jedoch noch ausreichend Platz
für Lagerzapfen lassen
- Verkleinerung des Überstandes durch
Verkleinerung der Höhe t der Recht-
eckfläche (siehe Bild 4.10c)
Bild 4.11: Draufsicht auf die Herzklappenprothese mit den berechneten Abmaßen
Holl & Schmidt 49
58. 4. Lösungsvorschläge
2. Möglichkeit der geometrischen Form
Bei dieser Möglichkeit wird für die Flächen Ar + Ad eine Größe von 0,7 * Ag
zugrundegelegt. Die Gesamtfläche Ag des Flügels beträgt: 165mm2
Ak = 0,3 * Ag = 49,5mm2
Ad + Ar = 0,7 * Ag = 0,7 * 165mm2
= 115,5mm2
Drehachse
Ar = 0,4 * 115,5mm2 = 46,2mm2
Ad = 0,6 * 115,5mm2 = 69,3mm2
a) Gesamtfläche des Flügels: (Kreissegmentfläche: Ak, Rechteckfläche: Ar, Dreiecksflä-
che: Ad)
b) Dreieckfläche
c) Rechteckfläche
50
Holl & Schmidt
59. 4. Lösungsvorschläge
A
k
= u / 6 s * (3u2 + 4s2) = 49,5 mm2
=> 0,5 * s * u3 + 2/3 * s * u - Ak = 0
=> u3 + 4/3 s2 * u -2 * s * Ak = 0
^ u3 + 639,5 mm2 * u -2168,1 mm2 = 0
=> u » 3,3 mm
r = u / 2 + s2/8u
^ r = 3,3 mm / 2 + 21,92 mm2 / (8 *
3,3 mm) = 19,8 mm
d) Kreissegmentfläche
Bild 4.12: Zweite mögliche Flügelfläche auf eine Ebene projiziert
Zweite mögliche Form der Herzklappenprothese
- Die vierte mögliche Form der
Herzklappenprothese stellt die
optimale Form dar
=> Der Überstand wird so klein
wie möglich gehalten, jedoch
ist gleichzeitig ausreichend
Platz für die Lagerzapfen vor-
handen
60. Bild 4.13: Draufsicht auf die Herzklappenprothese mit den berechneten Abmaßen
Für die weitere Konstruktion wurde diese Möglichkeit, mit folgenden Maßen zu-
grundegelegt: t = 2,1mm; s = 21,9mm; h = 6,3mm; u = 3,3mm; r = 19,8mm; Ak =
49,5mm2; Ar = 46,2mm2; Ad = 69,3mm2!
Weitere mögliche geometrische Formen des Flügels sind im Anhang (Kapitel 7) aufge-
führt.
51
Holl & Schmidt
61. 4. Lösungsvorschläge
4.4. Weiterentwicklung der Flügelform
Lagerzapfen-
Außenkante des Flügels
Flügel
Symmetrieachse
position
a) Draufsicht eines Flügels
halbierter Flügel
Schnittkante
Lagerzapfenposition
b) Seitenansicht des Flügels an der Symmetrieachse geschnitten
Bild 4.18: Flügelform der Herzklappenprothese mit polygonaler Innenform
In Bild 4.18 wird ein Flügel gezeigt, zu dessen Konstruktion die Berechnungsgrundlagen
aus Kapitel 4.2.3 dienen. Die Positionen der Lagerzapfen sind hier so festgelegt, daß sich
der Flügel um die Schwenkachse dreht, deren Lage in den vorangehenden Kapiteln ermit-
telt wurde.
Die geforderte Flächenverteilung der Flügelbereiche diesseits und jenseits der Drehachse
von 2/3 zu 1/3 wird hier sogar übertroffen, so daß sich eine Flächenverteilung von 70% zu
30% ergibt. Eine zusätzliche Verbesserung der Momentenverteilung ist die Folge.
62. 4. Lösungsvorschläge
Wie die Schnittdarstellung des Flügels in der Seitenansicht erkennen läßt, verjüngt sich der
Flügel in Richtung seiner Außenkante. Diese Art der Formgebung hat den Effekt, daß sich
eine noch größere Differenz der Masse vor und hinter der Drehachse ergibt, was sich wie-
derum positiv auf die Momentenbildung beim Öffnen der Herzklappenprothese auswirkt.
Ein Flügel dieser Form öffnet schneller als ein Flügel mit einheitlicher Materialstärke.
4.5 Die Ringkörperform
4.5.1 Lösungsmöglichkeit I
a) Draufsicht in Schließstellung b) Draufsicht in geöffneter Stellung
Bild 4.19: Dreiflüglige Herzklappe mit polygonaler Innenform
Basierend auf der weiterentwickelten Flügelform wird hier eine Möglichkeit gezeigt, den
Ringkörper neu zu gestalten.
53
Holl & Schmidt
63. 4. Lösungsvorschläge
Die Lagerzapfen sind in diesem Model noch nicht durchkonstruiert, werden aber der An-
schauung halber in der vorgesehenen Position angedeutet.
Die innere polygonale Kontur des Ringes wird in geschlossener Klappenstellung genau von
den drei, je um 120° versetzten Flügeln ausgefüllt. Die Außenkante des Ringkörpers ver-
läuft zirkulär.
In Bild 4.19b wird ein Sachverhalt deutlich, der für alle weiteren, den Ringkörper betref-
fenden Betrachtungen Geltung hat, setzt man die weiterentwickelte Flügelform als Kon-
struktionsgrundlage für den Ringkörper voraus. Bei geöffneter Klappenstellung ragen in
den Eckbereichen der polygonalen Ringinnenkontur die Materialüberstände, die zur Auf-
nahme der Lagerzapfen dienen, in die Durchflußöffnung hinein. Dieser Sachverhalt wirkt
sich nachteilig auf die strömungstechnischen Eigenschaften der Herzklappenprothese aus,
ist aber infolge der Schwenkachslage und der daraus resultierenden Formgebung der Flügel
unvermeidlich.
In Kapitel 4.3. quot;Berechnung der optimalen Flügelgeometriequot; wurde bereits durch Variatio-
nen der drei Flächenbereiche (Dreieckfläche, Rechteckfläche und Kreissegmentfläche) ei-
nes Flügels die minimale Überstandsgröße für die Aufnahme der Lagerzapfen bestimmt,
um die Strömungsbeeinträchtigung so gering wie möglich zu halten.
Ein zusätzlicher Nachteil, den die kreisrunde Außenform des Basisteiles mit sich bringt,
besteht darin, daß die Materialstärke des Ringes nicht konstant bleibt, sondern sich in ein-
zelnen Bereichen vergrößert. Es kommt somit zu einer unnötigen Gewichtserhöhung, die
durch eine Anpassung der Außenkontur des Ringes an seine Innenform vermieden werden
kann.
54
Holl & Schmidt