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Poliskulte bei Theokrit und Kallimachos: das Beispiel Milet
Author(s): Norbert Ehrhardt
Source: Hermes, Vol. 131, No. 3 (2003), pp. 269-289
Published by: Franz Steiner Verlag
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/4477554
Accessed: 30/03/2010 05:12

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POLISKULTE THEOKRIT
                 BEI          UND KALLIMACHOS:
                  DAS BEISPIELMILET*

                                                             zum 65.
                                                  ADOLFKOHNKEN                 Geburtstag

Die hellenistische Dichtung enthalt zahlreiche Hinweise und Anspielungen auf
Kulte und Mythen griechischerPoleis. Manches davon war schon den zeitgenos-
sischen Lesem kaum verstandlichund gab deshalb AnlaB zu gelehrten Erklarun-
gen und Kommentaren.Gerade bei ,,dunklen"Autoren wie etwa Lykophron ist
auch fur den modemen Leser die Heranziehungvon Scholien unverzichtbar.In
Verbindung mit der ubrigen literarischen Hinterlassenschaftder Antike sowie
Quellen anderer Gattungen besitzt man hinsichtlich der Kulte aber eine reiche
Uberlieferung,die sich vor allem durch epigraphischeNeufunde standig verbrei-
tert. Gerade Inschriften und Miinzlegenden kommt eine wichtige Rolle zu, da
derartigeQuellen die antiken Namen - Epikiesen, Feste, Orte - meist in unver-
falschter Form enthaltenund somit zur Verbesserungder handschriftlichenUber-
lieferung beitragenkonnen.I

    *
     Mit diesem kleinen Beitragdankeich Adolf Kohnkenherzlichfur langjahrige         kollegiale
Zusammenarbeit,   insbesondereauch fiir philologische Belehrung,die meine Arbeit an den
griechischen Inschriften dem kleinasiatischen
                        aus                      Miletwesentlichforderte. derErarbeitung
                                                                           Bei
dieses AufsatzeskonnteSekundarliteratur Verwendung Kohnkens
                                          unter              von            umfassendem    For-
               zu
schungsbericht Theokrit(Lustrum37, 1995, 203-307; 41, 1999, 9-73. 197-204) bequem
ermitteltwerden.Furdie kritischeDurchsicht erstenFassungdieses Beitragsbin ich Anja
                                              der
Bettenworth RobertKirstein(beide Munster) groBem
             und                                  zu         Dankverpflichtet.
Nurmit dem Namendes Herausgebers       werdenfolgendekommentierte     Textausgaben   zitiert:
        =
BECKBYH. BECKBY,Die griechischenBukoliker.Theokrit-Moschos-Bion,             Meisenheim1975
(Beitragezur Klassischen  Philologie,49)
           =
BORNMANN Callimachi      Hymnusin Dianam.Introduzione,     testocriticoe commentoa curadi F.
BORNMANN,   Florenz1968 (Bibliotecadi StudiSuperiori,   55)
DOVER= K. J. DOVER,Theocritus,   Select Poems.Withan Introduction Commentary,
                                                                     and                London
1971
Gow = Theocritus, with a Translation Commentary A. S. F. Gow, 2 Bde. Cambridge2
                   ed.                   and               by
1952
HUNTER  = Theocritus. Selection.Idylls 1, 3,4,6,7, 10, 11 and 13,ed. by R. HUNTER,
                      A                                                             Cambridge
 1999 (Cambridge GreekandLatinClassics)
PFEIFFER = Callimachus. Ed. R. PFEIFFER, 2 Bde. Oxford1949/ 53
    1ZumNachteilderWissenschaft      findetderartiger Zuwachsan Kenntnisoft erst mit Verzug
den Weg in kritischeApparate Kommentare. Beispiel sei auf die Forschungsgeschichte
                               und                Als
zum ToponymAulai verwiesen,die L. ROBERT         skizzierthat (BCH 101, 1977, 82-88 = ders.,
Documentsd'Asie Mineure,Paris 1987, 40-46). Die richtigeNamensform          Aulai - die Manus-
kriptebieten TAAI- dieses von Paus. 10, 32, 6 genannten,im Territorium Magnesiaam
                                                                             von
Maander   gelegenenOrteskonnteaufgrund Munzlegenden
                                           von                 Magnesias  ermitteltwerden:Das
hatteWILAMOWrrZ sa clairvoyancehabituelle"
                   ,,avec                            (ROBERT82) erkannt,   abereher en passant
270                                 NORBERT EHRHARDT


    In diesem Beitrag soll es allerdings nicht darumgehen, was die hellenistische
Dichtung dem (Religions-)Historiker zu bieten vermag. Vielmehr soll die Per-
spektive umgedrehtund unterliteraturwissenschaftlichem   Aspekt gefragtwerden,
welchen Grundein hellenistischer Dichter gehabt haben konnte, einen bestimm-
ten Poliskult zu erwihnen. Die Frage scheint zunachsteinmal banal zu sein, sie ist
es aber keineswegs: Mag auch der moderne Historikermehr oder weniger unbe-
wuBtdavon ausgehen, daBjeder bedeutendeantike Kult die Chance hatte, irgend-
wann literarisch verewigt zu werden, so war doch der antike Dichter bei der
Materialauswahlweitgehend frei, da er nie primarWissen vermitteln wollte. Im
Vordergrundstand stets die poetische Konzeption, der die Auswahl des Stoffs
untergeordnetblieb. Selbst dort, wo sich eine fiktive Handlungan einem konkret
benanntenOrt abspielte, war der Dichter keineswegs gezwungen, eine systemati-
sche oder gar vollstandige Aufzahlung von Realia zu bieten. Als ein Beispiel sei
nur das bekannte, im folgenden noch heranzuziehende 7. Idyll Theokrits, die
,,Thalysien",2mit seiner eigenwilligen Verschrankungvon literarischerFiktion
und topographischemRealismus angefuhrt.Die Handlung,das Zusammentreffen
des StadtersSimichidas und seiner Begleiter mit dem HirtenLykidas und der sich
anschlie3ende Sangerwettstreit(in Form von zwei Liedem), wird auf Kos ange-
siedelt, und zur Verstarkungdes realistischen Elements3nennt Theokritmehrere
koische Toponyme, wobei er einige der historischverburgtenNamen anscheinend
bewuBtvariiert.4Bei der Auswahl der Toponyme war Theokritaberrelativfrei, da
es eben nicht darum ging, Kenntnisse uber Kos zu vermitteln. Zentral blieb die
dichterische Handlung, die ein weites Spektrumvon Themen wie Liebe, Dicht-
kunst, Verhaltnisdes Stadterszum Landlebenund anderesmehr enthalt.
    Die Frage nach den Motiven von Dichtem, einen bestimmtenKult zu erwah-
nen, soll hier an zwei milesischen Kulten, dem der Aphroditevon Oikus und dem
der Artemis Chitone (Kithone), exemplifiziert werden. FUrersteren stellt Theo-


mitgeteilt(in seiner Besprechung    von 0. KERN, Die Inschriften  von Magnesiaam Maeander
[Berlin 1900], GGA 1900, 572 Anm. 3 = Kleine SchriftenV 1, Berlin 1937, 359). Die richtige
Form(unterVerweisauf WILAMOWITZ) derPausanias-Ausgabe M. H. ROCHA-PEREIRA,
                                        in                       von                     VOI.
III(Teubner;   1981, 21989).
    2 Die Literatur diesemIdyll,dasnebenid. 1 zu denmeistbesprochenen
                   zu                                                      gehort,verzeichnet
A. KOHNKEN,   Lustrum 1995, 279-96; 41, 1999, 71. Vgl. auchKOHNKENS
                       37,                                                 einleitendeBemer-
kungenzu seinemForschungsbericht       (Lustrum1995, 205 f.).
    3 Vgl. schon G. LAWALL,   Theocritus'CoanPastorals,  Washington-Cambridge,    Mass. 1967,
75: ,,anair of topographical reality".
    4 W. G. ARNOT7,The Moundof Brasilasin Theocritus'      SeventhIdyll,QUCC32, 1979,99-
106;N. KREVANS,   Geography Literary
                              and          Tradition Theocritus TAPhA113, 1983,201-20
                                                   in             7,
(die Aufsatzekurz charakterisiert KOHNKEN,Lustrum 1995, 288 Nr. 543 und 292 Nr.
                                    von                    37,
560). ZurTopographie Kos auchS. SHERWIN-WHITE,
                        von                            AncientCos, Gottingen1979(Hypom-
nemata,51), passim.- U. VON     WILAMOWrrZ-MOELLENDORFF,    HellenistischeDichtungin der Zeit
des Kallimachos,  Berlin 1924,11137 f., wertetedie Nennung Ortsnamen Reverenzan die
                                                              der          als
koischeGesellschaft,furdie das Idyll zunachst  gedichtetwordensei.
Poliskultebei Theokritund Kallimachos:das Beispiel Milet                 271

krit, fur letzteren Kallimachos die literarischeHauptquelledar. Durch die archao-
logische Erforschungdes antiken Milets unter der Leitung V. VON        GRAEVES ist
unsere Kenntnis der beiden Kulte in den     letzten Jahrzehntenbetrachtlichvergro-
Bert worden. Die Ergebnisse werden im folgenden darzulegen sein, denn es ist
auch im Rahmender hier verfolgten Thematiknicht unwichtig zu wissen, welchen
Stellenwert die beiden Kulte in Milet und moglicherweise uber die Stadt hinaus
besaBen. Ich mochte zeigen, daB die eingangs gestellte Frage hinsichtlich der
beiden Dichter im konkretenFall ganz unterschiedlichbeantwortetwerden muB.
Wesentliches findet man schon bei WILAMowIrz,       dessen Arbeiteneinmal mehr mit
Gewinn herangezogen (und mit Genuf gelesen) wurden.5


                          1. Theokritund die Aphroditein Oikus

Das Lied des Simichidas in TheokritsThalysia, dem m,Emtefest", 7, 96-127)
                                                                  (id.
enthalteine Liebeserklarung Sangersan eine Myrtosowie ironischeBemerkun-
                            des
gen zur Liebe des Aratoszu Knaben.In diesem KontextruftSimichidasdie Eroten
herbei, die den sch6nen Philinos mit ihrenGeschossen treffen sollen (v. 1 15-19):6
    115       8''?E' YeT8o; cai Biupki&o; 68i Xir6vrT?;
          va&a Kai Oixoi3vta, 4avoa; E6o; aiitv Atcxi;,
          J gikotatv "Epons; epEUO0gVOo1V 6OR10It,
          06        tot t64ota   tr6v   igp6vevtca   DtXivov,
           dxXT',   Etr& TV 4EIVOV0 81XTtopo;        OUK ?Xcct xeU.

          0 ihrEroten,verlaBt Byblis undHyetisholde
                            der
          FlutenundOikushoch oben,das HeimderblondenDiona,
          ihr,die ihraussehtwie Apfel mit purpurnenWangen,ich bitte:
          Trefftmirmit euerenPfeilenden schonenKnabenPhilinos,
          trefftihn, da sich derArge nichtmeinesFreundes
                                                       erbarmet!

    5 Vor allem das Anm. 4 genanntezweibandigeWerkzur hellenistischen        Dichtung.Wie so
haufig, hat WILAMOWITz   Zentralesen passantgesagt oder in Anmerkungen       untergebracht;   zu
Beispielensiehe hier Anm. 1 (Aulai) und Anm. 11 (Oikus).- Zu Wilamowitzals Editorund
Kommentator   kallimacheischer DichtungA. KOHNKEN,      Callimachihymniet epigrammata.    Wila-
mowitz' Interessean hellenistischerDichtung,in: W. M. CALDERIII/M.C. DUBISCiAR/M. HOSE/
G. VOGT-SPIRA(Hrsgg.), Wilamowitzin Greifswald.Akten der Tagungzum 150. Geburtstag
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorffs Greifswald, 19-22. Dezember 1998, Hildesheim/
                                         in
Zurich/New   York2000 (Spudasmata, 605-15.
                                     81),
    6 Text nachGow. Siehe auchdie Ausgabevon C. GALLAVOrlT, Rom 31993, 102(derText der
hier zitiertenVerse wie Gow). Ubersetzung:   BECKBY.- Die Deutung   der Verse 115 ff. ist in der
philologischenLiteratur umstritten: Charakterisierung Philinosals eines Eromenos,
                                   Die                     des                               der
seine beste Zeit schon hintersich hat (,,reiferals eine Bime", v. 120; dazu A. HENRICHS,  Riper
thana Pear:ParianInvectivein Theokritos,    ZPE39, 1980, 7-27), soll dem Aratosvielleichtnur
klarmachen, Philinoses nichtwertist, umworben werden.IndiesemSinneK.-H.STANZEL,
             daB                                      zu
Liebende Hirten.TheokritsBukolik und die alexandrinische        Poesie, Stuttgart/Leipzig  1995
(Beitragezur Altertumskunde, 278.
                              60),
272                                   NORBERTEHRHARDT


Die Scholiasten erklaren,daBes sich bei Hyetis und Byblis um Quellen handelt,
die in Milet flossen; ebenfalls in Milet lage der Ort (t6oEo;)Oikus, wo sich ein
Heiligtum (cpo6v) der Aphrodite befinde.7 DaB das Heiligtum von Oikus in der
Tat zu Milet gehorte, ergibt sich auch aus den Eingangsversen des 28. Idylls
('AXaicdta,,,die Spindel"),v. 1-7:
    rxai6)ca;, OtXpt0' aXacdta, &bpov 'AOavda;
    y6vai4tv VOO5;oibco4Xia; aitatv Endpoko;,
    09ceto' dlitv iit6pq n6Xwv?; NeiXeo; atyXdav,
    onna K-nrpt8o;  ipov icaXdgo)XXQ)pov 6mdX.
                                        )nv'
    Tuike yap ntXov Euavrgov aivigeOa n&pAio;,
    6iuuQ t?VVOV E4LoVTEpWoV-O V icVdtotkq&O(L,
    Ntdiav, XapiToV i4Epo006V 0Vepov 4Urov.
    Spindel, Freundin des Garns, du, das Geschenk Pallas' mit blauem Aug,
    Werkzeug fur eine Frau, deren Gemut ganz sich dem Hause weiht,
    komm, besuche mit mir heiteren Sinns Neileus' beriihmte Stadt,
    wo im zarten Gebusch grun der Bezirk Kyprias sich erhebt.
    Dorthin bitte ich Zeus mir fur die Fahrt giinstigen Wind zu leihn,
    daB begliickt bei dem Freund Nikias ich liebend-geliebt verweil,
    bei dem gottlichen Mann, der aus dem Chor singender Grazien sproB.

Die Ortsbestimmung   erfolgt hier mittels einer umschreibendenFormulierung- die
Neleusstadt-, also durchdie Nennung des GrundersMilets (v. 3). DaBder Freund
Nikias, den Theokritzu besuchen beabsichtigt,wirklich in Milet lebt, wird durch
die explizite Nennung der Stadt in v. 21 endgultig klar.
    Die beiden Erwahnungen des milesischen Aphroditeheiligtums,8 das
moglicherweise auch von Kallimachos genannt wurde,9 sind bei Theokrit zwar
kurz, enthalten aber wichtige Informationen:zum einen lernt man das Toponym


    7 Scholia in Theocritum vetera, rec. C. WENDEL, Leipzig 1914 (Teubner), 107 Scholion
    e. Oiei3vrca ?V MtXkq Or6to;,      (9vOa) itp6v 'A4po6iM;.
     f. i4tpe; 8' Yvri5o; Kai Bv,i6oq     np6;? oiv; Epma; r6v k6yov 6ir(arpTpee icai rlcat.    di
  iXoit; 6Ogotot"Epeq, TovrTeTIv ppuOpoi.YEr't; Se cai Bup4:t; cpilvat MtXAiro-,E'vOa         Kai
iEpov 'A0poSini;. Im Rahmen seiner Veroffentlichung der archaischen Weihung aus Oikus
(dazu unten) druckte P. HERRMANN, AA 1995, 284 die Scholien e und f im Wortlaut ab. Zur
Problematik von Scholion b siehe hier Anm. 30.
     8 Die von Theokrit id. 7, 116 als Inhaberin des Kultplatzes genannte Dione ist die Mutter der
Aphrodite. Die eben zitierten Scholien bezeichnen aber Aphrodite selbst als Gottin in Oikus.
Gow II 160 folgt den Scholiasten, Dover 163 denkt an einen gemeinsamen Kult von Dione und
Artemis. Vgl. HERRMANN ,AA 1995, 284 Anm. 125 (mit weiterer Literatur).
     9 Fr.229, 13 PFEIFFER: ... OiKcoi]tov e6; i[aJTu (Branchosgedicht). derStellegehtes
                                                       ...                   An
aber um den Apollon Delphinios, den Hauptgott der Stadt; im Kommentar auBert sich PFEIFFER
denn auch zuruckhaltend: ,,Fortasse Call. non Mileti nomine utitur , sed antiquissimam illam
partem a Mileto heroe conditam Obco-crtov damunominat, ut Nicaenet. fr. 1, I Pow. ". Auf die
mit Oikus verbundenen Grundungstraditionen gehe ich nicht ein; dazu Angaben bei HERRMANN,
AA 1995, 285 und J. L. LIGHTFOOT, Parthenius of Nicaea. Edited with introduction and commen-
taries, Oxford 1999, 433 ff., vor allem 438. - Zu fr. 229 siehe auch hier Anm. 71.
Poliskulte bei Theokrit und Kallimachos: das Beispiel Milet             273

Oikus kennen, wo sich das Heiligtum befand;zum anderenerfahrtman etwas uber
die Ortslage, offenbarein an Quellen gelegener, schilfbewachsenerHugel. Diese
Realia hat WILAMOWITZ   kenntnisreichkommentiert,und zwar als Rezensent des
1914 erschienenen Delphinion-Bandes, in dem die von der deutschen Milet-
Grabungunter der Leitung TH. WIEGANDSim Heiligtum des Apollon Delphinios
durchgefuhrteAusgrabungdokumentiertworden war.10Die erhellenden Bemer-
kungen WILAMowrrz',11    jungst von P. HERRMANNgewurdigt,12seien hier noch
einmal im Wortlautabgedruckt,da sie nicht nurWILAMOWITZ'   Kenntnisseund sein


    10 Das Delphinionin Milet. Von G. KAWERAU        und A. REHM,   Berlin 1914 (Milet 1 3). Die
Besprechung    durchWILAMOWFrZ den GGA 1914,65-109 = KleineSchriften 1, Berlin 1937,
                                  in                                            V
417-66. - W[LAMowrrz denVerlauf 1899in Miletund 1906in Didymaunter Leitung
                         hatte           der                                          der
Th. WIEGANDSbegonnenendeutschenAusgrabungen              sowie WIEGANDSTatigkeit an anderen
Grabungsplatzen groBerAufmerksamkeit
                   mit                          verfolgt. Auf WIEGANDwar WILAMOWIrz         schon
frihzeitig aufmerksam   geworden;1894sprach WIEGAND
                                               er           seineAnerkennung dessenDisser-
                                                                               fur
tationaus (vgl. C. WATZINGER,    TheodorWIEGAND. deutscher
                                                   Ein            Archaologe1864-1936, Mun-
chen 1944, 56). Ende 1904 schriebWILAMOWIrz        einen Brief an WIEGAND,in dem er ihn zum
Erscheinen Priene-Publikation
             der                    (Berlin1904)begluckwunschte;     WIEGAND  zeigte sich daruber
sehr erfreutund sah seine Arbeit von kompetenter       Seite gewurdigt(in Milet verfaBter    Brief
WIEGANDS seine Frau vom 5. 11. 1904; abgedruckt:
            an                                              Th. WIEGAND, Halbmondim letzten
Viertel.BriefeundReiseberichte deraltenTUrkei TheodorundMarieWIEGAND1895bis
                                   aus                 von
 1918, hrsg. underlautert G. WIEGAND,Munchen1970, 63). Im selbenJahr1904 veroffent-
                           von
lichte WILAMOWrrZ Vorjahrim milesischen Delphiniongefundenesund nach Berlin
                      ein im
gebrachtesepigraphisches     'Highlight',die Kultsatzung  bzw. Prozessionsordnung Molpoi,
                                                                                     der
die 450/49 v. Chr.redigiert  wordenwarundeine altereBestimmung 479n8 enthalt(Satzun-
                                                                     von
gen einer milesischenSangergilde,    SBBerlin 1904, 619-40. Der Text dannbei REHM, Milet 1 3
Nr. 133. Wiederabgedruckt F. SOKOLOWSKI, sacreesde l'Asie Mineure,
                               von                Lois                             Paris 1955 Nr.
50; bibliographische             und
                       Nachtrage deutscheUbersetzung HERRMANN,
                                                           P.            MiletVI 1, Berlin1997,
 168 f. Vgl. zurInschrift Anm.72 und73). DerTextmit seinenzumTeil seltenenWortern
                          hier                                                                 (zu
den y6kXotuntenmit Anm.73) undbemerkenswerten           grammatischen  Formen  hatteWILAMOWrrZ
offenbargereizt.Die 1906von P. WILSKIerstellteunderlauterte      KartedermilesischenHalbinsel
(Milet I 1, Berlin 1906) rezensierteWILAMOWITZ      noch im selben Jahr(GGA 1906, 635-40 =
 Kleine SchriftenV 1, 369-75); dabei steuerteer aufgrundseiner Kenntnisder Schriftsteller
 Wesentlicheszu Fragender historischen     Geographie Topographie Im Marz1905 hatte
                                                        und              bei.
              auf
 WILAMOWITZ Einladung        WIEGANDS  eine Kleinasien-Reise                an
                                                              unternommen, derauchF. HILLER
 VON GAERTRINGEN teilnahm.    Die Tour- mit WIEGAND begannin Troja,undim weiterenVerlauf
                                                      -
 wurdenunteranderem      Priene,Milet und Didymabesucht;danachreistendie Gelehrten         zum 1.
 Internationalen Archaologen-Kongress Athen.Uber diese Reise undden tiefen Eindruck,
                                         nach
 den die kleinasiatische  Landschaft ihn machte,berichtete
                                     auf                        WILAMOWT selbst (Erinnerungen
 1848-1914, Leipzig21929,271 ff.). ZurReise auchWATZINGER,        TheodorWiegand152. 190 und
 W. SCHINDLER, Archaologieim Rahmenvon Wilamowitz'Konzeption Altertumswissen-
                 Die                                                        der
 schaften,in: W. M. CALDERIII/H.FLASHAR/1H.LINDKEN(Hrsgg.), Wilamowitznach 50 Jahren,
 Darmstadt   1985, 251.
      IGGA 1914, 70 mit Anm. I (= KleineSchriften 1, 422f.).
                                                        V
     12 HERRMANN,    AA 1995, 285: ,,Es gibt in der neuerenLiteratur  hinsichtlichdes Lokalisie-
 rungsproblems    von Oikus keine bessere Zusammenfassung eine Anmerkungvon U. v.
                                                                 als
 Wilamowitz
274                                 NORBERTEHRHARDT


Einfiihlungsvermogen dokumentieren, sondern auch alles enthalten, was man
seinerzeit uber Oikus wutte:
    ,,Die Besiedelungist in Miletvon WestennachOstenfortgeschritten; altestenScherben
                                                                   die
habensich am Deirmen-Tepe    nochwestlichvon deraltenStadtgefunden.Mindestensalles, was
ostlichder spaterenHauptstraBe warvorstadtisch,
                                lag,               dennderdortangesiedelteAsklepioshat
den Beinamenxp6 n6kwoqweitergefuhrt, ich mochteden Aphroditetempel
                                        und                            hinzufugen,  der
in dem Vororte Oikuslag, zwischenzwei Bachen,am schilfbewachsenen Meeresufer.
    Anm. 1:
    ,,Wirkennendas aus Theokrit7, 115 mit Scholien und 28: sein Freund,der Arzt Nikias,
wohntin Oikusbei dem Aphroditetempel Schilfe. Da flieBendie BacheHyetis;derhattealso
                                       im
nur bei Regen Wasser,und Byblis; der hieBnach dem Schilfe. Ein Arzt wohntnicht leicht in
einem Dorfe:OiK6ctqcir tXt6e-aaa     heift der xcZpo;, die Hausernp6 1r6XEO
                                                      weil                        zahlreich
wurden.NatiirlichweiB ich nicht, wie weit die Vorstadtreichte,und die Bache wirdmanjetzt
schwerlich bestimmen konnen.Alexander   nimmtbeim Anrickendie etw t6xtq;den Mauerring
seiner Zeit wird man kaum unterscheiden,   aber ich will nicht bestreiten,daB es schon der
bekannte war.Zu dieser?oi n6Xtq Ohcoi; gehort.DaBNikainetos
                                hat                               (Parthenios 1) voneinem
                                                                             I
Oicolatov dacy)furdie Urzeitredet,verschlagt  nichts."

Die zitierten Verse Theokrits stellen das zentrale literarische Zeugnis fur den
milesischen Aphroditekultin Oikus dar und wurden in der archaologischenLite-
raturentsprechendangefuhrt,wenn es um die Kulttopographie      Milets ging. 3 Die
deutschen Ausgraber scheinen aber weder zu WIEGANDS       Zeiten noch nach der
Wiederaufnahmeder Grabungenin Milet nach dem Zweiten Weltkrieg versucht
zu haben, die Kultstattezu lokalisieren. Das ware allerdings auch nicht einfach
gewesen. Zwar ergab sich aus den literarischenStellen, daB Oikus vor der Stadt
lag und mit Milet durch eine Brucke verbundenwar,14 aber nirgendwo erscheint
die explizite Angabe, daB sich - wie wir heute wissen - das ,,ippige Schilf' (id.
28, 4)15mit der Lage am Meer erklart.WILAMOWrz    hattedas aber intuitiverfaBt.'6
Der Zufall fiihrtedann 1989 zur Lokalisierung:Bei der Begehung des Zeytintepe,
eines sudwestlich des Stadtgebiets von Milet gelegenen Hugels von etwa 45
Meter Hohe, fanden U. GANSund M. HEINZ ein Votiv in Ohrform,Marmorfrag-
mente und ,,eben herausgewuhltemarmomeArchitekturteile      eines groBenGebau-
des".'7 In den Folgejahrenwurden unter   der Leitung von R. SENFF  systematische
Grabungenuntemommen, die bis heute andauernund deren Ergebnisse fortlau-


                                       Die Ruinenvon Milet,Berlin 1968,43.
      13 Verwiesensei nurauf G. KLEINER,
                                                                          BeideStellenbei
                                   Lage);Schol.ad Dion.Perieg.825 (Brucke).
      14Paus.7, 24, 5 (vorstadtische
HERRMANN,   AA 1995, 285.
    15Zu den Bemuhungen modemenTheokrit-Kommentatoren, zu erklaren, HERR-
                             der                                dies
MANNebd. 284 mit Anm. 126. Die Ubersetzung  stammtvon D. EBENER(von HERRMANN   zitiert).
    16 siehe Zitatoben S. 274.
    17Die Grabung demZeytintepe,
                    auf              MDAI(I)41, 1991, 137-40;dasZitat137.ZurTopogra-
phie vgl. mandie Kartenskizze Neuen Pauly8 (2000) 171 f. (innerhalb Artikels,,Mile-
                                im                                   des
                                                              wordenzu sein: so V. VON
tos"). Der Zeytintepescheint vor 1989 nicht intensiv untersucht
GRAEVE,   AA 1995, 199.
Poliskulte bei Theokrit und Kallimachos: das Beispiel Milet             275

fend publiziert wurden.18 Die Funde erweisen, daBsich schon in archaischerZeit
eine Terrassierungauf der HUgelkuppebefand. Die dort aufgefundenenArchitek-
turreste ,,sprechen fur einen Sakralbau ionischer Ordnung aus spatarchaischer
Zeit".19FigurlicheTerrakotten  beweisen, dass der Kult dort spatestensseit dem 7.
Jh. v. Chr. bestand.20Hohes Alter ist auch mittels der orientalischenFundstiicke2'
beweisbar;die Aegyptiaca22sind zum Teil ,,ganz typisch fur das 7. Jh. v. Chr.".
Aufgrund dieses Befundes wird man auf eine uberregionale Bekanntheit des
Heiligtums schlieBen dfirfen.24DaB der Kultplatzauf dem Zeytintepe tatsachlich
der Aphroditegehorte, war aufgrundder zahlreichgefundenenGraffitiund Dipin-
ti auf Keramik, in denen der Name der Gottin erscheint, sehr bald gesichert.25
Hinzu kommt ein bereits 1990 gemachter, archaologisch wie historisch auBerst
bedeutsamerFund, namlich das Fragmenteiner beschrifteten Miniaturbasisaus
dem 6. Jh. v. Chr.26Die 1995 von P. HERRMANN    veroffentlichteund von ihm in die
Zeit zwischen 550 und 525 v. Chr. datierteWeihinschriftlautet:27

    18Publikationen Funde
                  der    undErgebnisse: SENFF,MDAI(I)
                                      R.                    42, 1992, 105-8; M. HEINZ/R.
SENFF,AA   1995,220-24; dies., AA 1997, 114-17; V. VONGRAEVE,AA 1999,241-61; G. HOLBL
ebd. 345-71. Zusammenfassender   Uberblick: SENFF,Das Aphrodite-Heiligtum Milet,in:
                                           R.                              von
E. WINTER (Hrsg.), Aktuelle Forschungenzur ReligionsgeschichteKleinasiens,Asia Minor
Studien(im Druck).
    19M. HEINZJR.SENFF,AA 1995, 223. Vgl. auchdies., AA 1997, 114 (,,marmornerTempel").
    20 AA 1995, 223. Als weitere Funde werdenu. a. ein spatarchaisches Gespannpferd aus
Bronze,ein Votivschildmit Pegasus-Darstellung eine Taubeaus Blei erwahnt.
                                              und                           Vgl. auchV.
VONGRAEVEebd. 199.
    21 Ebd.223.
    22 G. HOLBL,Fundeaus Milet,VIII.Die Aegyptiaca  vom Aphroditetempel dem Zeytinte-
                                                                       auf
pe, AA 1999,345-7 1.
    23 HOLBLebd. 345.
    24 HOLBLebd.  346 spricht von ,,uberregionaler Bedeutung und Intemationalitat des Heilig-
tums". In diesem Punkt ist Vorsicht geboten: Sollte die Masse der Fundstucke aus dem Orient
von Milesiern stammen, als SoidneroderHandler ostlichenMittelmeerraum gewesen
                        die                       im                         tatig
waren- mandenkenuran Naukratis undanlaBlich
                                   -              ihrerRUckkehr die Heimatdie Orientalia
                                                                 in
weihten,wareIntemationalitat milesischenHeiligtumsnichterwiesen.
                              des
    25 R. SENFF, MDAI(I)42, 1992, 107 undTaf. 19,3; SEG 43, 1993, 846; M. HEINZ/R. SENFF,
AA 1995, 224 mit Abb. 26. Vgl. auch V. VONGRAEVEebd. 199. Der Nameder Gottinerscheint
meist in abgekiirzter
                    Form.
    26 Milet, Grabungsinventar Z(eytintepe)90. 33. 1. Es handeltsich um das Fragment einer
einst annahernd  quadratischenMiniaturbasis Kalkstein,von der sich eine Ecke und zwei
                                            aus
Seiten erhaltenhaben. Innen befindet sich eine rechteckigeVertiefungzur Aufnahmedes
Weihgeschenks.   MaBe: groBteHohe 1, 6 cm, Seitenlangen 1 und4, 9 cm. Die Inschrift
                                                         4,                         (siehe
folgendeAnmerkung) zweizeilig, bedecktdie beidenSeitenflachen Ganzeund lauftUber
                      ist                                           zur
Eck.Die Buchstabenhohe    betragt(nur)0,45-0,65 cm.
    27AA 1995,282-86 Nr. Ia mit Abb.82a undb; angezeigtim SEG45, 1995, 1613undvon W.
BLOMEL,Kadmos34, 1995, 166. HERRMANN im Rahmen
                                          hat             seinerPublikation
                                                                          auchdie Bemer-
kungenvon WILAMOWrrZ Oikusgewurdigt. Den Inschriftenfund
                          ZU                 -                     habenbereitsU. GANS/M.
HEINZ, MDAI(I) 41, 1991, 138 erwahnt, wobei sie sich hinsichtlichdes Inhalts(Aphrodite-
Weihung) auf eine briefliche Mitteilung P. HERRMANNS
                                                   berufen konnten.
276                                       NORBERTEHRHARDT


              / nrv
    1'AjOpo6iTqt Oi6c6vTltl                      Der Aphrodite Oikus
                                                             in
    ['A]XadXTI
           &V/"I6ErV          6E1K6rTq]          weihte    (dies)alsZehnt.
                                                      Alpale
    Z. 1:   Thv =   Cti   v


Die von einer Milesierinmit dem seltenen, altionischenNamen Alpale28gestiftete
Miniaturbasis,die eine Aphroditestatuettegetragen haben wird, ist wegen der
Nennung des (griechischen)29  Ortsnamensvon groBtemWert: der Neufund be-
weist, daBTheokrits Heiligtum auf dem Zeytintepe lag und daBdas Areal bereits
in archaischerZeit denselben Namen, eben Oikus, trug.30
    Es kannkein Zweifel daranbestehen, daBdas Aphrodite-Heiligtum archa-
                                                                      seit
ischer Zeit zu den bedeutenden KultstattenMilets zahlte, stark frequentiertwar
und mit kostbarenWeihgaben ausgestattetwurde. Nach dem gescheiterten loni-
schen Aufstand wurde der Tempel sehr wahrscheinlich von den siegreichen
Persem zerst6rt; der Kult wurde aber am selben Ort in nachpersischer Zeit
offenkundig weitergefuhrt.Oikus blieb ein Vorort, der spatestens seit hellenisti-
scher Zeit durcheine Brucke mit Milet verbundenwar.31
    Was aberveranlaBte  Theokrit,geradedieses Heiligtum zweimal zu erwSihnen?
Er war zumindestim 7. Idyll, dessen Handlungja auf Kos spielt, ziemlich frei, wie
er die Herbeirufungder Eroten bewerkstelligte.32  DaB er sie aus dem nicht allzu
weit entferntenMilet kommen lieB, ist zwar plausibel, war aber nicht zwingend.
Aufgrund des geschilderten archaologischen Befundes konnte man zunachst er-
wagen, daB das Heiligtum uberregionalbekannt war und sich deshalb fur eine
Erwahnunganbot. Dafur scheint es sogar ein zeitgenossisches Zeugnis zu geben,
und zwar ein Epigrammdes Poseidippos von Pella, in dem die Gottin Aphrodite
angerufenwird (Anth. Pal. XII 131):33


   28 HERRMANN,
              AA       1995, 283 mit Belegen aus Ephesosund der milesischenSchwarzmeer-
ApoikieApolloniaPontica.Ebd.283 f. auchzurEtymologiedes Namens.
    29 Oikusist kein karischerOrtsname, V. VONGRAEVE,AA 1995, 199 meint,sondemgut
                                         wie
griechisch.Zumindest  miBverstandlichtrotzBerufung Nikainetos HUNTER187:,,a Carian
                                       -             auf             -
town not farfromMiletos".
    30 Eigenartig das Scholion b zu id. 7, 115 (von HERRMANN
                 ist                                             [hierAnm. 7] nicht zitiert):
 '
 6Y       Kai BukXt;6pI KcaiKprlvat MXAToU Es ist unklar,
                                                ...             woraufsich die Angabe6pTI,
_,Berge" ,,HUgel",
        bzw.           bezieht.Zwarist dasGelandehUigelig derZeytintepe Hugel,aber
                                                          bzw.                ein
trugdas GelandedenselbenNamenwie die Quellen?Vielleichtwollte der ScholiastnurTheo-
kritse6o; aixi6erklaren. Byblisunddas sonstnichtbezeugteHyetiswarenaufjedenFallNamen
von Quellen,wie aus Theokrit Scholionf eindeutighervorgeht.
                              und
    31 Quellenangabe  hierAnm. 14.
    32 Die Verbindung Eroten
                       der        mit Aphrodite im KontextderLiebesthematik
                                               ist                               naheliegend
undauch im erotischenEpigramm      iiblich.Zu Anrufungen Aphrodites           J.
                                                                     KATHRYN GUTZWILLER,
PoeticGarlands.                       in
                 HellenisticEpigrams Context,Berkeley/Los    Angeles/London    1998, 126 ff.
    33 Text und Ubersetzung: BECKBY,AnthologiaGraeca.Griechisch-Deutsch,
                               H.                                                  Munchen
1957. Verwiesen sei auch auf die neuere Ausgabe von R. AUBRETON,AnthologieGrecque
Premiere Partie:AnthologiePalatine,   Tome XI, LivreXII, Paris 1994 (hier47). Das Epigramm
des Poseidippos auchbei HERRMANN, 1995, 285.
                                     AA
Poliskulte bei Theokrit und Kallimachos: das Beispiel Milet              277

   "A K-6npovd Te KM5ippa   Kai & MiXov ?X0to v6t;
        Kcat Kcakv Iupiri; ilEOKp6toou 86asSov,
   9X0ot; iXao; KaWmiq) i6v   I    pwyotiv
        0ol6lroT OiKCCtO)V (iXEv alo npO0KpCOV.

   Die du das Eiland Kythera, Miletos und Kypros besuchest
         und des syrischen Lands rossedurchstampftes Gefild,
   o du, nahe dich huldvoll und segnend Kallistions Hause,
         die einem liebenden Mann niemals die TUre verschloB.

Es handelt sich hier offenbar um eine Aufzahlung bedeutender Kultstattender
                                                -
Aphrodite, unterdenen - etwas uberraschend34 auch Milet erscheint. Dennoch
beweist das Epigramm keinesfalls zwingend eine uberregionale Bedeutung des
milesischen Kultes: Poseidippos, der fur die Zeit von ca. 280 bis 240 quellenma-
Big faBbarist und der zwischen 280 und 270 auch in Agypten wirkte,35    kann seine
Kenntnis Milets als eines Kultorts der Aphrodite aus Theokrits Idyllen bezogen
und in seinem Epigramm,,untergebracht"    haben. Falls also literarischeAbhangig-
keit vorliegt, lieBe sich Poseidippos nur noch sehr eingeschranktals Zeuge ver-
wenden. Der archaologische Befund legt fur Oikus in hellenistischer Zeit auch
eine eher bescheidene Kultpraxisnahe.36
    Ein anderer Erklarungsversuch,warum Theokrit die milesische Aphrodite
erwiihnthat, ist politischer Art. Nachdem R. HUNTEReinen Zusammenhangzwi-
schen der ptolemaischen Vorherrschaftuber Milet nach 279 v. Chr. und den
Versen Theokrits bezuglich Oikus' vermutet hatte,37ging jiingst LAURA      Rossi38
noch einen Schritt weiter. Ausgehend von der schon lange bekanntenTatsache,
daB Ptolemaios II. Philadelphos und seine Schwester-GemahlinArsinoe II. den


   34 AUBRETON ebd., Kommentar:      ,,On attendaitplutotCnideque Milet".Die Zusammenstel-
lungvon Kythera Zypern Kultstatten
                 und         als              Aphroditesfindetsich schonbei Herodot 105, 3).
                                                                                    (1,
Grunddafurist, daB- lautHerodot beide Kultstatten Askalonaus gegrundet
                                    -                   von                       wurden.
   35 Zur Vita des PoseidipposW. PEEK, RE 22, 1 (1953) 428-46 s. v. PoseidipposNr. 3;
GUTZWILLER, Poetic Garlands f. 151 f.; M. G. ALBIANI, Der Neue Pauly 10 (2001) 199 f. s. v.
                             18
PoseidipposNr. 2. Zu den bislangbekannten      Epigrammen durcheinen Mailander
                                                            sind                       Papyrus
zahlreicheneue hinzugekommen;      Edition:G. BASTIANINI/C. GALLAZZI, Posidippodi Pella, Epi-
grammi,  Mailand 2001 (nondum    vidi). Vgl. auchA. HARDER,DerNeue Pauly15, 2 (2002) 76 s. v.
Papyri,literarische.
    36 M. HEINZ/R. SENFF,AA 1995, 223 Anm. 1: ,,Die Bedeutung       des Heiligtumsin hellenisti-
scherZeit drucktsich wenigerin den archaologischen      Fundenaus als vielmehrin den literari-
schen Uberlieferungen ". Unter den Fundenbefindensich kleinere Marmortafelchen
                       ...                                                                 mit
Weihinschriften, aus der Kaiserzeitstammenund samtlichvon Frauendediziertwurden;
                 die
Publikation: HERRMANN, AA 1995,286-88 Nr. b undc = SEG45, 1995, 1614und 1615.Hinzu
            P.
kommteine noch unveroffentlichte      Weihung,in der wahrscheinlich Frauenname
                                                                      der             Kalliope
erganztwerdenkann.
    37 HUNTER 187 (zu id. 7, 115). Konkreter   ausgefuhrt er diese Vermutung
                                                          hat                    abernicht.Zu
PtolemaiosundMilet sowie zurChronologie        siehe untenmit Anm. 83-86
    38 L. Rossi,The Epigrams  ascribed Theocritus,
                                         to            Lowen2001 (Hellenistica  Groningana, 5),
243 f.
278                                 NORBERT EHRHARDT


Aphroditekultin ihremHerrschaftsbereich                        bezog Rossi Theo-
                                           intensiv forderten,39
krits 28. Idyll in ihre Uberlegungen ein und hob dabei auf die Charakterisierung
der Theugenis, der Ehefraudes Nikias, ab:
    ,,Ifreadin factagainstthebackground the idealmarriages
                                        of                  propagandised thecourt,the-
                                                                           by
presenceof Aphrodite no longerexplainedas the mentionof the patron
                        can                                            goddessof thecity of
Miletus... Herpresencecan be understood a referenceto the guardian
                                         as                           deity of conjugallove
that in this case is embodiedin the exampleof Theugenis... The wife of Nicias is thus placed
underthe protection Athena(1. 1) as an excellentspinner underthatof Cypris(1. 4) as an
                      of                               and
ideal wife. "40

Rossi glaubt bei Theokritalso ptolemaische Ehepropaganda    erkennenzu k6nnen,
exemplifiziert bzw. personalisiertin Theugenis. Abgesehen  davon, daBAphrodite
in keinem Fall als die ,,patrongoddess" von Milet gelten kann, klingt dies wegen
der Bedeutung, die das Konigspaar im Leben und Werk Theokrits einnahm,
zunachst plausibel, ist aber problematisch.Das 28. Idyll hat keinerlei offiziellen
Charakter,sondem ist in einem sehr personlichenTon gehalten,41der gerade auf
Privatheit verweist. Fur id. 7, 115 ergibt Rossis Deutung keine hinreichende
Erklarung.42
    Meines Erachtensbietet das 28. Idyll tatsachlich einen Schliissel, und zwar
einen, der zugleich fur id. 7, 115 paft. Im 28. Idyll43geht es, wie zitiert, um einen
Besuch Theokrits bei seinem milesischen Freund Nikias. In den - hier nicht
              -
abgedruckten Versen 8 ff. fuhrtTheokritaus, daBer eine elfenbeineme Spindel,
die er direkt anredet, der Theugenis zum Geschenk machen wolle. Die Spindel
werde auf immer in dem ,,unter den loniem lieblichen Milet" (v. 21: oi q
Katct MikkaXov 'pdvvav ns8 'Iczo6ov)wohnen. Formal stellt sich das Idyll als
eher konventionell gestaltetes Anathematikondar,44 aber inhaltlich sind eben die
personliche Note und der Realitatsgehalt auffallig: Nikias war eine historische
Personlichkeit, die in Milet lebte. Im Werk Theokrits erscheint er noch an drei
anderen Stellen, charakterisiertals Arzt und Dichter.45 Man vermutet, daB es


    39 Dazu JOAN B. BURTON,Theocritus'UrbanMimes, Berkeley/Los         Angeles/London1995,
133 ff.; Rossi 241 ff. Zur Gleichsetzungder (verstorbenen)                        G.
                                                            Arsinoemit Aphrodite HOLBL,
Geschichtedes Ptolemaerreiches,    Darmstadt  1994,97.
    40Rossi, ebd., 244.
    41 WILAMOWITZ,   Hellenistische DichtungII 141.
    42 Rossi ist Ubrigens Auffindung
                          die              der Ortslagevon Oikusentgangen,wie sich aus den
AusfUhrungen Anm. 17 ergibt.Auch LIGHTFOOT,
               244                                    Parthenius Nicaea 438 (vgl. auch hier
                                                                 of
Anm. 9) und B. EtE, Theokrit,    Gedichte.Griechisch-deutsch, Dusseldorf/ZUrich (Tuscu-
                                                                                1999
lum) 264 (zu id. 7, 115) kennennochnichtdie neuenGrabungsergebnisse.
    43 Dazu die Kommentare Gow II 495-503, DOVER268-72 und BECKBY518 f. Scholien
                              von
existierenzu diesemIdyllnicht.
    44 Unterdiesem gattungsgeschichtlichen     Aspekt analysiertvon F. CAIRNS, Distaff of
                                                                              The
Theugenis- Theocritus,   Idyll 28, Papersof the LiverpoolLatinSeminar1 (1976) 293-305.
    45 AuBerin id. 28 noch in id. 11, id. 13 undim Epigramm   VIII(Anth.Pal. VI 337). Vgl. R.
PETRONELL, AuferungenTheokritsuberseine Personund seine Dichtung,Diss. Hamburg
            Die
Poliskultebei Theokritund Kallimachos:das Beispiel Milet                279

dieser Nikias ist, der im ,,Kranz"des Meleagros genannt wird (Anth. Pal. IV 1,
19 f.) und unterdessen Namen acht Epigrammeuberliefertsind.46
    DaBTheokritNikias kannte, schatzte und wohl wiederholttraf, ergibt sich aus
den Stellen in seinem Werk. Man wird deshalb die Seereise, von der das 28. Idyll
handelt, durchausals Reminiszenz an einen Milet-Besuch werten durfen. Auf der
moglicherweise von Kos aus untemommenen Fahrt47muB Theokrit am hoch
aufragendenAphrodite-Heiligtumvon Oikus vorbeigesegelt sein. Furden antiken
Betrachterstellte gerade die Hugel- bzw. Hohenlage des Heiligtums (id. 7, 116:
 6So;aix6) eine Auffalligkeit dar, die sich heute auf dem Zeytintepe bestens
verstehen und erleben lJBt.48 Auch das ,,ippige Schilf"' (id. 28, 4), das das
Heiligtum umgab, ist gut vorstellbar,da die einstige Kustenlinie am Hugel noch
erkennbar ist. ,,Schilfbewuchs mag bis an den heiligen Bezirk herangereicht,
vielleicht auch noch einen Teil von ihm bedeckt haben".49Theokritdiirftebei der
Anfahrt auf Milet von der auffalligen Lage des Heiligtums beeindrucktworden
sein;50erst nach der Vorbeifahrtan Oikus eroffnete sich der Blick auf Milet.51


1965, 23. Zweifel an der Echtheitdes 8. Epigramms     auBertRossi, The Epigramsascribedto
Theocritus193-98.
    46 WILAMOW1Tz,  Hellenistische Dichtung1 144, 11104;J. GEFFCKEN, 17, 1 (1936) 335 f. s.
                                                                     RE
v. Nikias Nr. 24; Gow II 208 f.; PETRONELL,
                                          AuBerungen   Theokrits21-24; W. SCHOrr, und
                                                                                    Arzt
Dichter:Nikiasvon Miletos,Munchen1976 (non vidi); ALBERTA       LAI,II Xxoep6vaiou4opov di
Nicia, medico-poeta milesio, QUCC51, 1995, 125-31; M. G. ALBIANI,Der Neue Pauly8 (2000)
914 s. v. Nikias Nr. 4. Siehe auch den Beitrag von R. KIRSTEINin diesem Band. - In der
milesischenOnomastik der Name Nikiasrelativselten (sechs Belege: MiletI 9 Nr. 386 c 1 2;
                        ist
VI 2 Nr. 422, 8 und610, 1. 3; IvDidymaNr. 50, 1 A 43; 134 und312, 5). Der Eindruck     konnte
allerdingstauschen,da auch die ,,prosopographie    exteme" zu beachtenist; so gibt es allein
dreizehnMilesiernamensNikias,die im kaiserzeitlichen    Athenbezeugtsind (M. J. OsBORNE/S.
G. BYRNE,The ForeignResidents Athens,Lowen 1996 [StudiaHellenistica,
                                  of                                        33], 220 f.). - Ein
inschriftlichals LenaensiegerbezeugterKom6diendichter 3. Jhs. v. Chr. (IG 1122325 +
                                                          des
Fragment   MDAI(A)92, 1977, 230 = PoetaeComici GraeciVII [1989137: Ntt-) konntenach
Meinungvon D. PEPPAS-DELMoUsou,       MDAI(A) 1977, 236 mit dem Milesier Nikias identisch
sein. Vgl. B. BABLER,Der Neue Pauly8 (2000) 914 s. v. NikiasNr. 5.
    47 Wegender Angabein v. 17,daBdie Spindelin Syrakus     angefertigt wurde,scheintGow II
495 an eine Reise von Syrakusnach Milet zu denken.Unentschieden      BECKBY518. - Versuche,
die vita Theokritszu rekonstruieren die Entstehungsorte Idyllia zu ermitteln,bleiben
                                     und                      der
weitgehendspekulativ;zu dem wenigen, was man uber Theokritsicher weit, vgl. man die
Dissertation PETRONELL Anm.45) undzuletztR. HUNTER,Der Neue Pauly 12, 1 (2002)
             von            (hier
360 s. v. TheokritosNr. 2. Zu literafischen Abhangigkeiten   zwischen den ,,groSenDichtem"
zuletztA. KOHNKEN,   HellenisticChronology: Theocritus, Callimachus, ApolloniusRhodius,
                                                                     and
in: TH. D. PAPANGHELIS A. RENGAKOS
                        -              (Hrsgg.),A Companion ApolloniusRhodius,Leiden/
                                                               to
Boston/K6ln2001, 73-92.
     48 ZurOrtslage auchV. VON   GRAEVE,AA 1995, 198.
     49 HERRMANN  ebd. 286.
     50 HERRMANN  ebd.: ,,Das auf dem heutigenZeytintepeaufragende    Apollonheiligtum   muBte
dem Seefahrer ... geradezu als Landmarke und Orientierungspunkt erschienen sein
    51 HERRMANNebd.     286 Anm. 133 kniipft an seine Ausfuhrungen Topographiedie
                                                                  zur
280                                NORBERT EHRHARDT


Theokritkannte also Oikus und das dortige Heiligtum - zumindesthat er es vom
Schiff aus gesehen. DaBer es in seiner Dichtung nennt,kannman mit WILAMOWITZ
als Reverenz gegenuber Nikias (und seiner Frau)verstehen.52 der freundlichen
                                                              In
Charakterisierung  Milets als ,,lieblich" (v. 21) wird man ebenfalls eine freund-
schaftliche Geste gegenUberseinen Gastgebem sehen durfen. Als Ganzes stellt
sich das 28. Idyll als ein ,,echtes Gelegenheitsgedicht"53  dar, das Theokrit fur
Nikias und Theugenis verfasste.
    Demnach warenes Autopsie und das BedurfnisTheokrits,milesischen Freun-
den Dank abzustatten,die dem Aphroditeheiligtumvon Oikus einen Platz in der
Dichtung verschafften.Fur die Erwahnunggerade dieses Heiligtums hatte Theo-
krit rein personliche Grunde.


                 2. Kallimachos und die ArtemisChitone (Kithone)

In seinem Hymnus auf Artemis erwahnt Kallimachos auch Milet unter den
Kultstatten,die die Gottin besaB (hymn. in Dianam 225-27):54
      n6tvta noukugikaOpe,             Xatpe,XtT6TvT1
                             iotXoncokt,
      MtXk~tc jge. a? y&pxoticaao NTIXiKv
              ini
              ?
      iiyr.govivoweviqjaiv dtvyf-ryoKvKpolriTlOrv.
      Heil, Chitone,Herfin,mit vielen TempeinundStadten,
      Die Du Miletbewohnst!Dich wahlteals FiuhrerinNeleus,
      Als er mit seinenSchiffenvom Landedes Kekrops See stach.
                                                    in

Zur Beantwortungder auch hier zu klarendenFrage, welche Bedeutungder Kult
in Milet besaB und weshalb der Dichter auf ihn zu sprechen kommt, seien
zunachst drei Aspekte angesprochen:Das Alter des Kultes, seine Funktion und
sowie ein Fest, das im Rahmen des Kultes bestand und mit aitiologischen Ge-
schichten verbundenwar.55
   Was die Bezeugung in Milet angeht, besitzt man neben den Versen des
Kallimachos (und Scholien: dazu unten) seit 1908 eine archaologisch-epigraphi-


Bemerkung:   ,,Bei dieserDeutungkannaufdie Annahme Wilamowitz, ArztNikiassei in
                                                     von             der
dem VorortOikuswohnhaft     gewesen,verzichtetwerden".
    52 HellenistischeDichtung II 140 Anm. 1: ,,Die Eroten ruft er (sc. Theokrit)aus dem
Aphroditetempel Milet,den er in derSpindel4 erwahnt,
                 von                                    eine Artigkeitgegen seinedortigen
Freunde".
    53 Hellenistische DichtungI 191 f. AndersCAIRNS,Papersof the LiverpoolLatinSeminarI
(1976) 300, deran einen offiziellenAnlaBdenktunddaruber  spekuliert, Theugenisin Milet
                                                                    daB
Athena-Priesterin  gewesensein konnte.
    54 Text nach PFEIFFER. DeutscheUbersetzung: HOWALD/E.STAIGER,Die Dichtungen
                                                E.                                     des
Kallimachos,  Griechisch Deutsch,Zurich1955 (Tusculum).
                         und
    5SDie im folgendenzu besprechenden   Quellenauchim Kommentar   BORNMANNS  (106 f.) und
in den Aufsatzen von W. GUNTHER(Anm. 59) und A. HERDA(Anm. 69).
Poliskultebei Theokritund Kallimachos: Beispiel Milet
                                                    das                                281

sche Quelle aus der Stadt, die zugleich einen Hinweis auf die Lokalisierung des
Heiligtums liefert. Es handelt sich um einen beim milesischen Sudmarktverbau-
ten Antenblock, auf dem ein kurzes Kultgesetz (13 Zeilen) mit Reinheitsvor-
schriften aufgeschrieben ist.56 Die Inschrift, in der die ionische Namensform
Kithone verwendet wird (Z. 4), stammt aus dem 1. Jh. n. Chr. Das Heiligtum
befand sich wahrscheinlich in der Nahe des Fundorts des Steins. Wie im eben
besprochenenFall der Aphroditein Oikus laBtsich mittlerweile auch dieser Kult
bis in die archaischeZeit zuruckverfolgenund genau lokalisieren. Zeugnis dafur
ist ein bereits 1906 auf dem Kalabaktepegefundenes Fragmenteines marmomen
Perirrhanterions(Weihwasserbecken),57das eine spatarchaische Weihinschrift
tragt.58 wurde 1988 veroffentlicht:59
         Sie
              4at
   ['Apt4ru6tq] KtO)[vq;]                      Ich bin (Eigentum) [Artemis]Kithone.
                                                                der
Das Perirrhanterion stellte sicherlich ein Weihgeschenk fur die Artemis Kithone
dar - die Epiklese auch hier in der ionischen Form -, wobei die griechische
Formulierung,eben das selbst sprechende Objekt, die Gottin als Eigentumerin
ausweist. Aufgrund des Fundorts und des Fundzusammenhangs kann man
inzwischen mit Sicherheit sagen, dass sich auf der Ostterrassedes Kalabaktepein
archaischer Zeit ein Tempel der Kithone befand.60Es wurde wohl nach dem
Ionischen Aufstand von den Persern zerstort. Auf dem Kalabaktepeist der Kult
danach nicht mehr restauriertworden. Vielmehr verlegte man ihn zu einem uns
nicht bekanntenZeitpunktin das ZentrumMilets - der Kalabaktepeblieb auBer-
halb des Mauerringsder nachpersischenStadt-, wo wiederumein Tempel errich-
tet wurde.
    Die Funktion des Kultes im Leben der Burger Milets kannte man schon aus
einem Scholion zu einer Stelle in Kallimachos' Zeushymnus (zu Vers 77). Der
Scholiast spekuliert hier daruber, ob die Artemis ihren Beinamen von einem
attischenDemos namens Chiton hatte oder von einer Sitte, daBder Gottin von den


    56 Veroffentlicht                         Berlin 1924 (Milet I 7)
                    von A. REHMin: Der SUdmarkt,                             Nr. 202 mit Abb.
279. REHM hielt es fur moglich, daBes sich um die Neuaufzeichnung       eines alterenGesetzes
handelt und daB das Erhaltenenur einen Nachtragdarstelit.- Die Inschriftwurde wieder
abgedruckt F. SOKOLOWSKI, sacreesde l'Asie Mineure,
           von                  Lois                           Paris1955,Nr.51. Bibliographi-
sche Nachtrage Ubersetzung: HERRMANN,
                und                P.            Inschriften Milet, 1, Berlin/NewYork 1997
                                                           von
(Milet VI 1), 199. AuchBORNMANN die Inschrift
                                    hat             registriert
                                                              (106).
    57Die MaBe links,rechtsundhintengebrochenen
                 des                                     Randstuicks Hohe5 cm, Breite 14
                                                                     sind:
cm, Dicke 5 cm. Das Fragment nichtmehrauffindbar.
                                ist
    S8Milet,Inschriften-Inventar abgeschrieben
                                  997,                1906 von A. REHM.
    59W. GONTHER,    ,,Vieuxet inutilisable"dansun inventaire in6ditde Milet, in: D. KNOEPFLER
(Hrsg.), Compteset inventaires    dans la cite grecque,Neuchatel/Genf1988, 236 f. mit Fig. 2
                                 =
(Photographie Abklatsches) SEG 38, 1988, 1213.
               des
    60Grabungsergebnisse: KERSCHNER, 1995, 214-20; ders.- R. SENFF,AA 1997, 120-
                            M.               AA
22; KERSCHNER, 1999, 7-51. KERSCHNER sich auchbemUht, von GONTHER
                AA                            hat                  die               veroffent-
lichte spatarchaische  Weihungin den archhologischen   Kontexteinzuordnen.
282                                  NORBERTEHRHARDT


WochnerinnenGewandergeweiht wurden.LetztgenannteAltemative ist die rich-
tige. Das geht aus der eben genanntenmilesischen lex sacrahervor,die unterden
Arten von Unreinheit auch das Kindbett der Frau auffuhrt.Zudem liBt sich die
Sitte der Kleiderweihung,die man bisher vor allem aus Brauronkannte, auch fur
Milet wahrscheinlich machen. Eine 1988 von W. GUNTHERveroffentlichte In-
schrift aus dem 2. Jh. v. Chr.61stellt sich inhaltlich als Inventardar, in dem eine
Vielzahl von Kleidungsstucken aufgelistet wird. GUNTHERdeutete die Kleider
uberzeugend als Weihgaben fur Artemis Kithone (und veroffentlichte deshalb
auch die archaische Weihung von Kalabaktepe).Der Kult der Artemis Kithone
war also ein Kult insbesonderefur Schwangere und Wochnerinnen.62
    Zum Kult gehorte in Milet auch ein Fest namens Neleis.63Es erscheint in den
Aitia des Kallimachos: Am Fest spielt sich die Liebesgeschichte zwischen dem
milesischen Konigssohn Phrygios und dem Madchen Pieria aus Myus ab.64Eine
ausfuhrliche, sicher auf Kallimachos zuruckgehende Version findet man unter
anderem bei Plutarch.65   Der Inhalt der Geschichte - Krieg zwischen Milet und
Myus, Vermittlung durch Pieria - zielt auf Frieden und gute Beziehungen zwi-
schen den beiden ionischen Stadten ab und konnte in der Zeit des Kallimachos
politische Aktualitatbesessen haben:Milet gewann uberMyus die Oberhand,und
seit dem ausgehenden 3. Jh. v. Chr. wurde Myus sukzessiv in den milesischen
Staat eingegliedert.66Der Festname Neleis fuhrt auf eine andere Tradition,nam-
lich die Vorstellung, daB Milet - wie auch die anderen ionischen Poleis - von
Athen aus gegrundet wurde, und zwar unter der Fuhrungdes Kodrossohns Ne-
Ieus.67 Diese Herkunftsangabe  erscheintexpressis verbis in den hier abgedruckten
Versen des Artemishymnus, wonach Neleus die Chitone zu seiner Hegemone
machte, als er nach Kleinasien aufbrach.68Ob dahinter ein umfangreicherer

    61 Angaben hier Anm. 59.
    62 In denselben Kontext fuhrt auch eine noch unveroffentlichte milesische Weihung, die der
Artemis Lochie gilt. Vgl. GUNTHER    (Anm. 59) 235 mit Anm. 117; HERDA(Anm. 69) 33 Anm. 259.
- Als Helferin der Gebarenden erscheint die Gottin auch im Artemis-Hymnus v. 21 f.
    63 Plut. mul. virt. 16 = mor. 253F-254A; Polyaen. 8, 35.
    64 Aet. III fr. 80-83 PFEIFFER.
    65 Wie Anm. 63.
    66 Zu diesem Vorgang W. RUGE,       RE 16, 2 (1935) 1430-37 s. v. Myus Nr. 2; P. HERRMANN,
Neue Urkunden zur Geschichte Milets im 2. Jahrhundertv. Chr., MDAI (I) 15, 1965, 93-96; W.
GUNTHER,   Ein Proxeniedekret aus Myus, in: C. SCHUBERT  (Hrsg.), Rom und der griechische Osten.
Festschrift fur H. H. SCHMIrr, Stuttgart 1995, 87-92. Zusammenfassend H. LOHMANN,      Der Neue
Pauly 8 (2000) 654 s. v. Myus.
    67 Zu der komplizierten Traditionsbildung beziiglich Athens als Mutterstadt der kleinasiati-
schen lonier F. PRINZ, Grundungsmythen und Sagenchronologie, Munchen 1979 (Zetemata, 72),
314-76.
    68 Der Scholiast (zum Zeus-Hymnus, v. 77) bietet noch die Geschichte, daB Neleus aufgrund
eines Orakelspruchs ein Xoanon fur Artemis aus dem Holz einer attischen Eiche verfertigte und
es mit nach Kleinasien nahm. Somit erscheint der Kult in Milet ausdrucklich als Filialkult
Athens. - WILAMOWITZ,     Hellenistische Dichtung II 59 sah in der Bezeichnung ,,Hegemone" bei
Poliskultebei Theokritund Kallimachos:das Beispiel Milet               283

Mythos stand, der Neleus in seiner Funktion als Stadtgrunder  thematisierte, IiBt
sich schwer sagen, zumal der Ktistes Neleus in Milet anscheinend erst spat
heroische Verehrungerfuhr.69
    Die Ubersicht verdeutlicht, daB es sich bei der Artemis Chitone (Kithone)
wiederum um einen bedeutenden Kult Milets handelt: Er reichte bis in die
archaische Zeit zuriick, besaB eine spezifische Funktion, und spatestens seit der
Zeit des Kallimachos war er mit Aitiologien und einer Griindungsgeschichte
verbunden. Es bleibt aber die Frage, was Kallimachos bewog, gerade diesen
milesischen Kult zu erwiihnen.Kultstattender Artemis gab es in groBerZahl, und
auf eine besondere Prominenzder milesischen Kithone weist nichts. Von person-
lichen Beziehungen des Kallimachos zu Milet oder gar zu einem Aufenthalt des
Dichters in der Stadt ist nichts bekannt.WILAMowITz allerdings gemeint, daB
                                                     hat
Milesisches im Werk des Kallimachos doch eine gewisse Rolle spielte: ,,Er (sc.
Kallimachos) hat auch Milet gut gekannt, im Branchosden Ahnherrnder Prophe-
ten von Didyma besungen, den Keraitesam heiligen Weg erwiahnt, Geschichte
                                                                 die
vom weisesten Thales erzahlt".70    Die Werke bzw. Stellen, auf die WiLAMOWrrZ
Bezug nimmt, sind das Branchosgedichtund ein lambenfragment,in dem von der
Entsuhnungdes Volkes durchBranchosdie Rede war.71Der Keraiteserscheint in
der milesischen Kultinschrift der Molpoi, die die Prozession von Milet nach
Didyma regelte, als ein Haltepunkt,an dem geopfert wurde;72Kallimachos bot
eine Aitiologie des Namens.73Was den weisen Thales betrifft, so ist es die in


Kallimachoseine zweite Artemis-Epiklese.
                                       Dagegen sprichtaberder inschriftliche
                                                                           Befund in
Milet (das erwahnteKultgesetz).Hegemoneist sonst aberals Artemis-Epikiese
                                                                        belegt (BORN-
MANN107).Zu einemneuenZeugnisfureine Aphrodite   Hegemone(in Rhamnus) BEVtLACQUA,
                                                                       G.
MGR 20, 1996, 55-66.
    69 AndersA. HERDA,Der Kultdes Grunderheroen      Neileos unddie ArtemisKithonein Milet,
JOAI67, 1998, 1-48 mit derThese, fur Neleus sei schon im archaischen   Miletein Grunderkult
eingerichtetworden.
    70GGA 1914,85 = KleineSchriften 1, 440. HinweisaufWILAMOWiTZREHMin seinem
                                       V                                auch
Kommentar milesischenlex sacrafur die Kithone(Milet I 7, S. 289).
             zur
    71 Fr.229 PFEIFFER undiamb.IV fr. 194,26 ff. Vgl. PFEIFFERsKommentar  sowie W. GONTHER,
Das Orakelvon Didymain hellenistischer    Zeit, Tubingen1971, 13 Anm. 25; D. L. CLAYMAN,
Callimachus'Iambi,Leiden 1980 (MnemosyneSuppl.,59), 24; A. CAMERON,         Callimachus  and
His Critics, Princeton1995, 167 f.; B. AcoSTA-HUGHES, Polyeideia.The lambi of Callimachus
andthe ArchaicIambicTradition,    Berkeley/Los Angeles/London   2002, 201.
    72 A. REHM, Milet I 3 (1914) Nr. 133 Z. 30. 31 (= SOKOLOWSKI, sacrees de I'Asie
                                                                      Lois
Mineure,Nr. 50). ZurInschrift hierAnm. 10.
                               vgl.
    73 Fr.217. PFEIFFER verweistim Kommentar die eben zitiertemilesischelex sacra.- Die
                                               auf
in derselbenInschrift 25) sowie im archaischen
                      (Z.                         milesischenOpferkalender (MiletI 3 Nr. 3 la,
Z. 2. 3) genannten yi6kXot, HESYCH(s. v.) viereckigeSteine, warenmoglicherweise
                           laut                                                     auchbei
Kallimachos   erwahnt: Nachdem  PFEIFFER Kommentar zu fr. 114, in dem von noXkuydvte 2)
                                        im                                             (v.
und 6et xpo%pot; (v. 3) die Rede ist, auf die milesischenyi-Uot hingewiesenhatte,erganzte
(als erster?)G. B. D'ALESSIO in seiner Kallimachos-Ausgabe      (1996) das fr. 149, 2 Pf. zu
yli)Uo[;; vgl. G. MASSIMILLA, Callimaco,Aitia.Libriprimoe secondo,Pisa 1996, 129,Kommen-
284                                   NORBERTEHRHARDT


iamb. I erzahlte Geschichte von der Schale des Bathykles,74 zuerst an Thales
                                                                die
ging, dann die Runde unterden sieben Weisen machte und schlieflich wieder zu
Thales gelangte; dieser stiftete sie mit einer von ihm verfasstenWeihinschriftdem
Apollon von Didyma.
     Im Rahmen des umfangreichenkallimacheischen Werks mit seiner Fulle an
kultischen und mythologischen Bezugen nehmen sich diese Erwiihnungenbzw.
literarischenGestaltungenmilesischer Kultgegebenheitenquantitativgering aus.
Bei naherer Betrachtungzeigt sich aber, daB Kallimachos gerade die zentralen
Kulte Milets sowie die Grundergestalten Stadt und des Heiligtums von Didy-
                                            der
ma behandelte:Im Branchosgedichterscheintder Apollon Delphinios, der Haupt-
gott der Stadt, und die Prozession der Molpoi, die am Keraites opfern, gilt
demselben Gott. Apollons gottliche Schwester ist als Chitone prasent, und
moglicherweise kam auch die Aphrodite von Oikus bei Kallimachos vor. Mit
Neleus wird der Grunderder Stadt, mit Branchos der von Didyma gewuirdigt.
     Dieses Wissen durfte Kallimachos durch die intensive Heranziehung von
Lokal- und Grundungsgeschichtengewonnen haben - die Bathyklesgeschichte
stammtenach Diogenes Laertios von dem milesischen Lokalhistoriker       Leandrios
-,75 und deshalb scheint es berechtigtweiterzufragen,was Kallimachosmit Milet
verband.Dies fiihrtauf die viel diskutierteund hier im Zusammenhangmit Rossis
These zu TheokritsSpindel schon angesprocheneProblematik,inwieweit man bei
hellenistischen Dichtem Zeitbezuge erkennen kann bzw. ob die Dichter auf
konkrete Ereignisse reagierten.76    Was den Artemishymnusdes Kallimachos an-


tar zu fr. 64 (= 1 14 Pf.). Zu den yXAkotauch U. KRON,Heilige Steine, in: Kotinos. Festschrift fur
E. Simon, hrsg. von H. FRONING/T.    HOLSCHER/H. MIELSCH, Mainz 1992, 62 f. Es sei aber erwahnt,
daB REHMschon 1914 in seinem Kommentar zum oben genannten milesischen Opferkalender
Zweifel an der Bedeutung ,,Steinwiirfel" angemeldet hat und statt dessen ,,Korb mit Weihgaben"
(von yuWX; abgeleitet) in Erwagung zog.
     74 Iamb. I fr. 191,31-77; zum Aufbau der Passage CLAYMAN, Callimachus' Iambi 11-16.
Interpretationvon iamb. I (mit Textabdruck und englischer Ubersetzung) ACOSTA-HUGHES, Poly-
eideia 21-59.
     75 Diog. Laert. 1, 28 = Leandr(i)os, FGrHist 492 F 18. Diogenes erzahlt erst die Geschichte
von einem Dreifu3, der vom Volk der Milesier den Sieben Weisen gegeben wurde. Danach sagt
er, daB Kallimachos in seinen lamben die Geschichte anders dargestelit habe (Phiale des Bathy-
kles), wobei er seine Version vom Milesier Leandrios iibemahm. - In der antiken Literatur ist
neben Leandr(i)os ein Maiandrios bezeugt; die beiden konnten identisch sein: zum Problem
JACOBY,FGrHist III b, Kommentar, Text (1955) 404 f. Der Autor bzw. die Autoren gehoren
vielleicht in die Zeit um 330-300 v. Chr. (JACOBY 405).
     76 Grundsatzliche Uberlegungen dazu unter anderem bei G. WEBER, Dichtung und hofische
Geselischaft. Die Rezeption von Zeitgeschichte am Hof der ersten drei Ptolemaer, Stuttgart 1993
(Hermes Einzelschriften, 62), 316 ff. WEBER ist recht skeptisch und denkt daran, daB die reihen-
weise Aufzahlung von Kultorten bestimmter Gottheiten bei den Dichtem primarauf Ausbreitung
geographischen Wissens abzielte (ebd. 366). - Zu Theokrits und Kallimachos' Stellung am Hof
F. T. GRIFFITHS, Theocritus at Court, Leiden 1979 (Mnemosyne Suppl., 55); CAMERON, Callima-
chus, bes. 3-23 (,,Cyrene, Court and Kings").
Poliskultebei Theokritund Kallimachos: Beispiel Milet
                                                    das                           285

geht, der hier den Ausgangspunktbildet, hat WILAMOWITZ zeitgeschichtli-
                                                             einen
chen Bezug gesehen. Er machte daraufaufmerksam,daBder Hymnus eine eigen-
willige Auswahl und Reihung von Kultstattenaufweist.77Es erscheinen Doliche
(= die Insel Ikaros)und Perge (v. 187), spiiterdann- nach der Nennung kretischer
Stadte - noch Milet (225-27), Samos (228) und schlieBlich das zu erwartende
Ephesos (237 ff.). Bezuglich Perges und Ikaros', letzteres als ,,Dependenz von
Samos", bemerkte WILAMOWITZ,beide ,,damals agyptisch" gewesen seien.78
                                  daB
In der Tat ist es gesichert, daB in der Zeit seit ca. 280 v. Chr. Ptolemaios II. in
Teilen Kleinasiens und der Agais eine Oberherrschaft     ausubte. Hinsichtlich des
ptolemaischen Hegemonialbereichs, wie er sich am Ende der Siebziger Jahre
(nach dem Ersten Syrischen Krieg) darstellte, IaBtsich eine viel zitierte Passage
aus Theokritheranziehen.In id. 17, dem Enkomionauf Ptolemaios (II.),79 heiBtes
in den Versen 86-94 (Subjekt ist der Konig):
    Kcai llv 4Dotviuca;dnorgveraC 'Appapia; te
     cai Evpia; Atp-6a; t Xcatvv t Aiitoniv.
    nlaji-Xotoi TE iRatS KaciaiXgtctai;KtXiKeoot
    oaaaivet; AuKciouTc Ot XXonToX4totCi Tr Kapai
    xai vdaot KuKX6aEGatV; ?nEl Oi  Viva; PICataa
     r6vTov ?nirXdCovui; o6Aaooa  e niroa icat ata
    icat noTapoi )ceXac8oVTE;avadaovrat HoRAEaico;
    ioXXoi & irnfeS noXXot jitv 6itmt&tdat
                              e
    XaXicCi paptaipovTt oaeaayRevoio6I4aypovrat.

    Doch er nahmnoch ein Teil vom Landder Phoiniker, Syrer,
                                                       der
    Araber, Libyersowie AithiopiensdunklenBewohnern.
    Ganzaberhater die Machtob Pamphyliern,   lanzenbewehrten
    Kilikern,IykischemVolk, den kampfbegierigen  Karem
    undden kykladischen Inseln,dennsein sind trefflicheSchiffe,
    die das Meerihm befahren; ganze See unddie Lande
                             die
    samtden rauschenden FlUssen gehorchen dem WinkPtolemaios'.
    Mengenvon reisigenMannemundMengenvon FuBvolk Schilden mit
    scharensich ringsum ihn her,gewappnet funkeindem
                                          mit              Erze.




    77 HellenistischeDichtungII 58. Der Genauigkeit  halbersei abergesagt, daBWILAMOWITz
eine Reihevon Kultorten  weglasst,die in den Versen187-237 erscheinen.Das andert E. aber
                                                                                  m.
nichtsan dervon ihm konstatierten Auffalligkeit.
    78 Ebd.58 f. Hinsichtlich
                            Ikaros'als samischem  Besitzhatsich WILAMOWITZ Chronolo-
                                                                           in der
gie vertan.SamischeHerrschaft  bestand seit dem Endedes 3. Jhs.v. Chr.undzunachstwohl
                                       erst
nurin dem OTtThermai,   nachgewiesenvon L. ROBERT,REG46, 1933,423-42 = OperaMinora
SelectaI 548-68. Vgl. N. EHRHARDT,  Miletundseine Kolonien,Frankfurt/Main2 I 18 f., I1
                                                                             1988,
282 f. Anm.67, undA. P. MATTHAIOU,    Chiron29, 1999, 230.
     79 UntereGrenze fiir die Datierungist der Tod Arsinoes, die 270 oder 268 starb(siehe
folgendeAnmerkung). Entstehung Funktion Idylls M. HOSE, Philologus 141, 1997,
                       Zur             und         des
60 f. (sei als WerbunggegenUber Ptolemaiosals potenziellem neuenAuftraggeber verstehen).
                                                                              zu
286                                 NORBERTEHRHARDT


Mit Hilfe historiographischer, allem aberepigraphischerQuellen IaBtsich die
                              vor
ptolemaische Dominanz hinsichtlich einiger Stadte recht genau datieren.80    Auf
Samos konnte Ptolemaios II. 281 v. Chr. FuB fassen,81 und seit den siebziger
Jahrenbestand die ptolemaische Herrschaftuber mehrerekarische Stadte.82     Hin-
sichtlich Milets ist die exakte Chronologie bekannt:83Noch 280(79 war der
Seleukide Antiochos eponymer Stephanephorosder Stadt gewesen,84aber schon
fur das Folgejahr wird in derselben Eponymenliste vermerkt, daB Milet (unter
dem StephanephorosAntenor) Land vom Konig Ptolemaios (II.) erhielt.85Der
ptolemaische EinfluBin Milet dauertebis 260/59.86Aus diesen zwanzig Jahrenist
einiges an Kontakten, diplomatischen Gesten und punktuellerKooperation be-
kannt.Wohl bald nach der Landschenkungerhielt die konigliche Familie von den
Milesiern Ehrenstatuen; erhaltenist die Basisinschriftfur Philotera,die Schwester
des Ptolemaios und seiner Schwester-Gemahlin Arsinoe.87 Arsinoe erhielt


    80 Zum folgendenvor allem HOLBL, Geschichtedes Ptolemaerreiches ff. (mit der hier
                                                                           35
abgedruckten   Theokrit-Stelle); Huss, Agyptenin hellenistischer
                                 W.                                 Zeit 332-30 v. Chr.,Mun-
chen 2001, 262 ff. Zur AuBenpolitik     Ptolemaios' II. auch B. DREYER, Untersuchungen    zur
Geschichtedes spatklassischen     Athen (322-ca. 230 v. Chr.),Stuttgart1999 (HistoriaEinzel-
schriften,137),244 ff. - Als Indizienfurptolemaische  HerrschaftgeltenStadtbenennungen   nach
Arsinoesowie Arsinoe-Kulte;     geographischeUbersicht DREYER  383 Anm.35 und36. Umbenen-
nungenwie Einrichtung KultensindabervielfacherstnachdemTodderKoniginerfolgt,die
                         von
270 oder268 starb; neueren
                     zur          Diskussionumdas Todesjahr  DREYER  382 mit Anm.28; 384 mit
Anm. 37; 388-90.
    81 K. HALLOF/CH.   MILETA,Chiron                                         207.
                                      27, 1997,283; DREYER,Untersuchungen 245; HALLOF,
IG XII 6, 1 (2000) 347.
    82 M. WORRLE,  Chiron8, 1978,214 Anm. 61; J. undL. ROBERT,Fouillesd'Amyzonen Carie,
1,Paris 1983, 118-24; HOLBL,Geschichtedes Ptolemaerreiches     35.
    83 A. REHM,Kommentar Milet13 Nr. 139(grundlegend); PFEIFFER, Kallimachosstudien,
                              zu                              R.
MUnchen    1922, 17; CH.HABICHT,GGA 213, 1960, 149; W. ORTH, Koniglicher       Machtanspruch
undstadtischeFreiheit,Munchen1977 (Munchener         BeitragezurPapyrusforschung antiken
                                                                                  und
Rechtsgeschichte,  71), 31; HOLBL,Geschichtedes Ptolemaerreiches     35-38; Huss, Agyptenin
hellenistischer 262 mit Anm.63-65; GONTHER
                Zeit                                (Anm.98) 196.
    84 Milet I 3 Nr. 123 (= SIG3322), 37.
                                      Z.
    85Ebd.Z. 38-40.
    86 Dazudie in Anm. 83 genannte    Literatur.
    87OGISNr. 35 = IvDidyma(1958) Nr. 115:BaatXioaav4tkanrpav paatkX'o losxgjai-
ou o 6ilgo; 6 MtiXiaiov'Apt96t nlo&iilt. Vgl. den Kommentar       REHMS undCH.HABICHT
                                                                         ebd.
(Besprechung ,,Inschriften Didyma"),
               der               von          GGA 213, 1960, 149:,,Ausden beidenJahrzehn-
ten der ptolemaischen   Herrschaft 279-259 stammtdie Statueder Prinzessin             Statuen
                                                                            Philotera".
furdas Konigspaar in Miletbzw. Didymanichtnachgewiesen,
                    sind                                          aberzu vermuten. Philotera
                                                                                   -
stammte Ptolemaios undArsinoeausderEhePtolemaios'I. mitBerenike;
         wie              (II.)                                                 dazuPFEIFFER,
Kallimachosstudien ff. (ebd. 17 zur Inschrift Didyma).Zu Philotera, nach276, aber
                      14                          aus                       die
noch vor Arsinoe verstarbund die wie diese Kult in Agyptenund den abhangigen         Gebieten
erhielt,auchM. WORRLE,     Chiron9, 1979, 104 f.; HOLBL,Geschichte Ptolemaerreiches 97
                                                                   des                  26.
und passim; W. AMELING,Der Neue Pauly 9 (2000) 895 s. v. Philotera;Huss, Agypten in
hellenistischer 305. 326.
                Zeit
Poliskulte bei Theokrit und Kallimachos: das Beispiel Milet             287

spatestensnach ihremTod im Jahre270 oder 26888auch in Milet einen Kult.89   Als
colonia Milesiorum entstandum 270 im Zuge des Ausbaus und der Neuanlegung
ptolemaischerStutzpunkteder Ort Ampelone auf der arabischenHalbinsel.90     Um
262 belobigte Ptolemaios die Milesier wegen ihrerTreue;91 daraufhinvon den
                                                          ein
Milesiern verabschiedeterVolksbeschluB zu Ehren des Konigs enthalt eine Be-
stimmung uber die EinfuhrungwiederholterEidesleistung auf die Treue gegenu-
ber Ptolemaios.92
    Bei dieser Sachlage bleibt WILAMOWIWZ'    These, daB die von Kallimachos
vorgenommene Auswahl von Artemis-Kultstatten      einschlieBlich Milets auf dem
Hintergrundder AuBenpolitik Ptolemaios' II. zu sehen ist, plausibel.93Wahr-
scheinlich wird man die ThematisierungzentralerKulte und Mythen Milets durch
Kallimachos insgesamt als Reflex der politischen Konstellationder Jahrevon 279
bis 259 werten diirfen. Das Bild laBt sich scharfer konturieren,wenn man sich
noch einmal klarmacht,welchen Stellenwert Didyma bei Kallimachos einnimmt.
Abgesehen davon, daBmit Branchosdie Grundergestalt     gewurdigtwird, erscheint


   88 Siehe Anm. 80.
    89 Altare mit der Inschrift'Apiv6n; Otka6k4ou. Aus Milet kennt man bislang drei
Exemplare(Milet I 7 Nr. 288, 289 und ein Ineditum).Zu derartigenAltaren,die auch in
Alexandria  und im ptolemaischen   EinfluBgebietaufgestelltwaren,L. ROBERT,AmStP 1, 1966,
202-8 (= OperaMinoraSelecta VII 626-32). Der hier von ROBERTbesprochenePapyrustext
wurde inzwischen neu gelesen und kommentiert       von S. SCHORN,Eine Prozessionzu Ehren
ArsinoesI1.(P. Oxy. XXVII2465, fr. 2: Satyros,Uberdie Demenvon Alexandreia), Punica-
                                                                                  in:
Libyca-Ptolemaica.  FestschriftfUrW. Huss, hrsg. von K. GEUS/K.  ZIMMERMANN,    Lowen 2001,
199-220.
    90Plin. nat.hist. 6, 159. DazuF. BILABEL,Die ionischeKolonisation,Leipzig 1920 (Philolo-
gus Suppl.,14,1),58; HOLBL,Geschichte Ptolemaerreiches (,,nordlich heutigen
                                        des                 56          des          Jidda").
Davonzu trennen derOrtAmpeamTigris,an dem Dareiosnachdem IonischenAufstand
                  ist                                                                    494
v. Chr.die deportierten  MilesieransiedeinlieB(Hdt.6, 20) undderbei Pliniusals Aple erscheint
(6, 134). Vgl. BILABEL f. undJ. OELSNER, Neue Pauly 1 (1996) 607 s. v. Ampe.
                        57                  Der
    91Brief des Konigsan Milet:Milet I 3 Nr. 139 A = C. B. WELLES,RoyalCorrespondence      in
the HellenisticPeriod,London1934,71 ff. Nr. 14, Z. 7-10. Zur Datierungdes SchreibensP.
HERRMANN,   Milet VI I p. 172 f. Eine deutscheUbersetzung Milet I 3, 139 A-C (vgl. hier
                                                            von
folgendeAnm.) bietenHERRMANN f. undK. BRODERSEN/W.
                                   173                       GUNTHER/H.H. SCHMrrT,    Histori-
sche griechische Inschriften in Ubersetzung, II, Darmstadt 1996, 133-35 Nr. 331. - In seinem
Brieferwahnt  Ptolemaios auchWohltaten
                          II.               seines VatersgegenUber   Milet.In welcheZeitdiese
zu datierensind,ist in derForschungumstritten; DiskussionHERRMANN 173(mitLiteratur).
                                               zur                       P.
    92 MilesischerVolksbeschluB:  Milet I 3 Nr. 139 C, Z. 44-51. ZurAbfolge der Dokumente
undzumEidP. HERRMANN, romischeKaisereid,
                           Der                     Gottingen1968(Hypomnemata, 37-39.20),
In der Forschungwurde die EinfUhrung Eides oft als ,,Anziehender Ziigel" seitens der
                                         des
Ptolemaer gedeutet:HERRMANN (mit Literatur) ORTH, Koniglicher
                               39                und                    Machtanspruch    31.
    93Zwingende   Gruinde, eine Datierung Artemis-Hymnus die Zeit vor 260 ausschlie-
                           die               des                   in
Ben,gibt es m. W. nicht.Hinsichtlich Datierung
                                    der             legen sich die meistenGelehrten  nichtfest,
so etwa BORNMANN ff. und P. M. FRASER,PtolemaicAlexandria,
                    VII                                              Oxford 1972, I 652, 1I915
Anm. 287. Es gibt aberSpatdatierungen die Zeit BerenikesII.): vgl. L. LEHNUS,Der Neue
                                        (in
Pauly6 (1999) 191 s. v. Kallimachos 3.
                                    Nr.
288                                 NORBERTEHRHARDT


Didyma in der Bathykles-Geschichtedadurchhervorgehoben,daBder Protagonist
den weisen Thales im Didymeion antrifftund daB Thales schlieBlich die Schale
dem Apollon von Didyma weiht; bei dem milesischen HistorikerLeandrios war
wahrscheinlichnoch der stadtmilesische Delphinios Adressat gewesen.94Darauf
verwies zuletzt H. W. PARKE, der das Interesse des Kallimachos an dem Orakel-
heiligtum ebenfalls mit den zwischen Milet und Ptolemaios bestehenden Bezie-
hungen erklarte.95 In der Tat liegt die Vermutungnahe, daB Ptolemaios II. nach
279 versuchte, das Thema Didyma ideologisch und praktischzu besetzen, denn
zuvor war das Heiligtum seit der Zeit Seleukos' I. beinahe durchgangigvon den
Seleukiden gefordert worden, die ihr Geschlecht auf Apollon zuruckfuhrten.96
Explizite Zeugnisse fur ptolemaische Aktivitatenexistieren zwar nicht, aberdoch
gewichtige Indizien:Der - namentlichnicht bekannte- Architekt,der das Saulen-
monument Ptolemaios' II. und Arsinoes - zugleich Anathem fur Zeus - in
Olympia errichtete, wirkte vorher sehr wahrscheinlich bei der Bauplanungdes
Didymeions mit.97 Es ist anzunehmen,daBder Konig diesen Mann nach Didyma
geschickt hatte, und man konnte sogar vermuten,daBauch ptolemaischesGeld in
den Tempelbau floB. In diese Richtung weist m. E. eine jungst veroffentlichte
milesische Inschrift, die in willkommener Weise unsere Kenntnis der ptolema-



    94 Siehe hier Anm. 75. Die Sache ist nicht ganz klar. Diog. Laert. 1, 27 verweist auf
Kallimachos (Thales-Weihung Didyma)und zitiertdanneine Prosafassung,
                              in                                              wonachThales
die Schaledem ApollonDelphiniosweihte.PARKE(hierfolgendeAnm.) 130 mit Anm. 28 geht
davonaus, daBdiese Fassungvon Leandrios    stammt.
    95 PARKE,The Templeof Apolloat Didyma,    JHS 106, 1986, 121-3 1, bes. 129 f. Zustimmend
CAMERON,  Callimachus167 ff.; zuruckhaltend AcoSTA-HUGHES,Polyeideia150.
    96Belege nennen GUNTHER,  Orakel Didyma23 ff. undORTH,Koniglicher
                                     von                                      Machtanspruch
18 ff.
    97 So W. HOEPFNER, Zwei Ptolemaierbauten. Ptolemaierweihgeschenk Olympiaund
                                               Das                           in
ein Bauvorhaben Alexandria,
                in            Berlin1971(Athenische   Mitteilungen, Beiheft),50 f. aufgrund
                                                                   1.
der von ihm konstatierten  Ahnlichkeitenzwischen den Saulen in Olympia und denen des
Dodekastylosim Didymeion(ebd. 7. 42ff). Formalwar Kallikrates       von Samos Dedikantin
Olympia, wie sich aus den Plinthen-Inschriften   ergibt (IvOlympia306 und 307). Der gut
bezeugteNauarchin ptolemaischen    Diensten(H. HAUBEN,Callicrates Samos, Lowen 1970
                                                                     of
IStudiaHellenistica,18]; W. AMELING,Der Neue Pauly6 [19991 185 f. s. v. Kallikrates 9) Nr.
ergriffwahrscheinlichnichtselberdie Initiative,sondern handeltemit dem Einverstandnis   oder
auf einen ,,Wink" Herrscherpaares so - neben anderen- BRIGIrrE HINTZEN-BOHLEN,
                  des                  hin:
Herrscherreprasentation Hellenismus,Koln/Weimar/Wien
                       im                                   1992, 79, und BARBARASCHMIDT-
DOUNAS, Geschenkeerhaltendie Freundschaft.     Politik und Selbstdarstellung Spiegel der
                                                                              im
Monumente,  Berlin2000, 204. - G. HOLBL, Agyptischer  EinfluB dergriechischen
                                                             in                   Architektur,
JOAI55, 1984, 1-18, hier 16 Anm.78 vergleichtdie Grundrisse Tempelsvon Edfuundvon
                                                              des
Didymaund konstatiert  Ubereinstimmungen. vermutet, die Planerdes Didymeionseine
                                            Er           daB
,,bewuBte Agyptisierung"           stelltaberkeinenZusammenhang derPhasedes lagidi-
                         anstrebten,                                mit
schen Einflussesin Milet her und erwahntauch nicht HOEPFNERS    Forschungen. These von
                                                                               Die
PARKE,daBdas groSePortalim Didymeionsein Vorbildin ,,audience-windows"          pharaonischer
Palastehabe(JHS 106, 1986, 128), vermagich nichtzu beurteilen.
Poliskulte bei Theokrit und Kallimachos: das Beispiel Milet         289

isch-milesischen Beziehungen erweitert. Aus dem von W. GUNTHER        publizierten
Fragment98   ergibt sich, daB als Reaktion auf einen milesischen Aufruf, den Bau
bzw. Weiterbaudes Apollon-Tempels in Didyma zu unterstiitzen,     auch die Burger
von Naukratis aktiv wurden und Geld spendeten. GUNTHER        argumentierteuber-
zeugend, daBdiese Hilfsaktion nur mit dem ,,wohlwollenden Einverstandnis"      der
Ptolemaer untemommen worden sein konnte und wahrscheinlich in jene Jahre
fiel, als Milet zu Ptolemaios hielt,9 also die Zeit zwischen 279/78 und 260/59.
    Anders als beim oben diskutiertenFall Theokrits scheint mir das Interessedes
Kallimachos an milesischen Kulten und Mythen am ehesten politisch erklarbar     zu
sein. Zwar sollte man nicht ubersehen,daBKallimachos haufig an bereits behan-
delte Mythen ankniipfte'0 - uber Branchos stand schon etwas bei Hipponax,101
den die hellenistischen Dichter wiederentdeckten,102 - aber bei der Auswahl der
 Materien, die er neu zu bearbeiten gedachte, wurde der Dichter nicht nur von
 antiquarischenInteressengeleitet.

   Miinster                                                        NORBERTEHRHARDT




    98 W. GUNTHER,  SpendenfurDidyma.Zu einerStiftungaus Naukratis, Festschrift W.
                                                                      in:         fur
Huss (AngabenhierAnm. 89) 185-98.
    99Ebd. 196.
    100 der umfangreichen
        Aus                   Literatur diesemThemasei nurauf einen anregenden
                                       zu                                        Aufsatz
jungerenDatumsverwiesen:M. HOSE, alexandrinische
                                     Der                Zeus.ZurStellungderDichtkunst im
ReichdererstenPtolemaer,   Philologus141, 1997, 46-64, bes. 55 ff.
    101P. Oxy. XVIII 2175 fr. 5, 6 = fr. 105 West2=fr. 108 Degani2.Vgl. den Kommentar
PFEIFFERS ZU iamb.IV fr. 191,31 sowie DEGANI(Apparat)  und ACOSTA-HUGHES, Polyeideia,201.
Iamb.I fr. 191, 1-2 Pf. 1aBMKallimachos Hipponaxauftreten danndie Geschichtevon
                                        den                     und
der Phialedes Bathykleserzahlen.
    102F. JUNG,Hipponax   redivivus,Bonn 1929;E. DEGANI,Note sullafortuna Archilocoe di
                                                                          di
           in
Ipponatte epoca ellenistica,QUCC 16, 1973, 79-104; ders., Studi su Ipponatte,  Bari 1984,
36 ff. 44 ff.; ACOSTA-HUGHES,Polyeideia,passim(siehe Register346). Vgl. auchE. BOWIE,Der
 Neue Pauly5 (1998) 607 s. v. Hipponax (mit weitererLiteratur).

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  • 1. Poliskulte bei Theokrit und Kallimachos: das Beispiel Milet Author(s): Norbert Ehrhardt Source: Hermes, Vol. 131, No. 3 (2003), pp. 269-289 Published by: Franz Steiner Verlag Stable URL: http://www.jstor.org/stable/4477554 Accessed: 30/03/2010 05:12 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of JSTOR's Terms and Conditions of Use, available at http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp. JSTOR's Terms and Conditions of Use provides, in part, that unless you have obtained prior permission, you may not download an entire issue of a journal or multiple copies of articles, and you may use content in the JSTOR archive only for your personal, non-commercial use. Please contact the publisher regarding any further use of this work. Publisher contact information may be obtained at http://www.jstor.org/action/showPublisher?publisherCode=fsv. Each copy of any part of a JSTOR transmission must contain the same copyright notice that appears on the screen or printed page of such transmission. JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact support@jstor.org. Franz Steiner Verlag is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Hermes. http://www.jstor.org
  • 2. POLISKULTE THEOKRIT BEI UND KALLIMACHOS: DAS BEISPIELMILET* zum 65. ADOLFKOHNKEN Geburtstag Die hellenistische Dichtung enthalt zahlreiche Hinweise und Anspielungen auf Kulte und Mythen griechischerPoleis. Manches davon war schon den zeitgenos- sischen Lesem kaum verstandlichund gab deshalb AnlaB zu gelehrten Erklarun- gen und Kommentaren.Gerade bei ,,dunklen"Autoren wie etwa Lykophron ist auch fur den modemen Leser die Heranziehungvon Scholien unverzichtbar.In Verbindung mit der ubrigen literarischen Hinterlassenschaftder Antike sowie Quellen anderer Gattungen besitzt man hinsichtlich der Kulte aber eine reiche Uberlieferung,die sich vor allem durch epigraphischeNeufunde standig verbrei- tert. Gerade Inschriften und Miinzlegenden kommt eine wichtige Rolle zu, da derartigeQuellen die antiken Namen - Epikiesen, Feste, Orte - meist in unver- falschter Form enthaltenund somit zur Verbesserungder handschriftlichenUber- lieferung beitragenkonnen.I * Mit diesem kleinen Beitragdankeich Adolf Kohnkenherzlichfur langjahrige kollegiale Zusammenarbeit, insbesondereauch fiir philologische Belehrung,die meine Arbeit an den griechischen Inschriften dem kleinasiatischen aus Miletwesentlichforderte. derErarbeitung Bei dieses AufsatzeskonnteSekundarliteratur Verwendung Kohnkens unter von umfassendem For- zu schungsbericht Theokrit(Lustrum37, 1995, 203-307; 41, 1999, 9-73. 197-204) bequem ermitteltwerden.Furdie kritischeDurchsicht erstenFassungdieses Beitragsbin ich Anja der Bettenworth RobertKirstein(beide Munster) groBem und zu Dankverpflichtet. Nurmit dem Namendes Herausgebers werdenfolgendekommentierte Textausgaben zitiert: = BECKBYH. BECKBY,Die griechischenBukoliker.Theokrit-Moschos-Bion, Meisenheim1975 (Beitragezur Klassischen Philologie,49) = BORNMANN Callimachi Hymnusin Dianam.Introduzione, testocriticoe commentoa curadi F. BORNMANN, Florenz1968 (Bibliotecadi StudiSuperiori, 55) DOVER= K. J. DOVER,Theocritus, Select Poems.Withan Introduction Commentary, and London 1971 Gow = Theocritus, with a Translation Commentary A. S. F. Gow, 2 Bde. Cambridge2 ed. and by 1952 HUNTER = Theocritus. Selection.Idylls 1, 3,4,6,7, 10, 11 and 13,ed. by R. HUNTER, A Cambridge 1999 (Cambridge GreekandLatinClassics) PFEIFFER = Callimachus. Ed. R. PFEIFFER, 2 Bde. Oxford1949/ 53 1ZumNachteilderWissenschaft findetderartiger Zuwachsan Kenntnisoft erst mit Verzug den Weg in kritischeApparate Kommentare. Beispiel sei auf die Forschungsgeschichte und Als zum ToponymAulai verwiesen,die L. ROBERT skizzierthat (BCH 101, 1977, 82-88 = ders., Documentsd'Asie Mineure,Paris 1987, 40-46). Die richtigeNamensform Aulai - die Manus- kriptebieten TAAI- dieses von Paus. 10, 32, 6 genannten,im Territorium Magnesiaam von Maander gelegenenOrteskonnteaufgrund Munzlegenden von Magnesias ermitteltwerden:Das hatteWILAMOWrrZ sa clairvoyancehabituelle" ,,avec (ROBERT82) erkannt, abereher en passant
  • 3. 270 NORBERT EHRHARDT In diesem Beitrag soll es allerdings nicht darumgehen, was die hellenistische Dichtung dem (Religions-)Historiker zu bieten vermag. Vielmehr soll die Per- spektive umgedrehtund unterliteraturwissenschaftlichem Aspekt gefragtwerden, welchen Grundein hellenistischer Dichter gehabt haben konnte, einen bestimm- ten Poliskult zu erwihnen. Die Frage scheint zunachsteinmal banal zu sein, sie ist es aber keineswegs: Mag auch der moderne Historikermehr oder weniger unbe- wuBtdavon ausgehen, daBjeder bedeutendeantike Kult die Chance hatte, irgend- wann literarisch verewigt zu werden, so war doch der antike Dichter bei der Materialauswahlweitgehend frei, da er nie primarWissen vermitteln wollte. Im Vordergrundstand stets die poetische Konzeption, der die Auswahl des Stoffs untergeordnetblieb. Selbst dort, wo sich eine fiktive Handlungan einem konkret benanntenOrt abspielte, war der Dichter keineswegs gezwungen, eine systemati- sche oder gar vollstandige Aufzahlung von Realia zu bieten. Als ein Beispiel sei nur das bekannte, im folgenden noch heranzuziehende 7. Idyll Theokrits, die ,,Thalysien",2mit seiner eigenwilligen Verschrankungvon literarischerFiktion und topographischemRealismus angefuhrt.Die Handlung,das Zusammentreffen des StadtersSimichidas und seiner Begleiter mit dem HirtenLykidas und der sich anschlie3ende Sangerwettstreit(in Form von zwei Liedem), wird auf Kos ange- siedelt, und zur Verstarkungdes realistischen Elements3nennt Theokritmehrere koische Toponyme, wobei er einige der historischverburgtenNamen anscheinend bewuBtvariiert.4Bei der Auswahl der Toponyme war Theokritaberrelativfrei, da es eben nicht darum ging, Kenntnisse uber Kos zu vermitteln. Zentral blieb die dichterische Handlung, die ein weites Spektrumvon Themen wie Liebe, Dicht- kunst, Verhaltnisdes Stadterszum Landlebenund anderesmehr enthalt. Die Frage nach den Motiven von Dichtem, einen bestimmtenKult zu erwah- nen, soll hier an zwei milesischen Kulten, dem der Aphroditevon Oikus und dem der Artemis Chitone (Kithone), exemplifiziert werden. FUrersteren stellt Theo- mitgeteilt(in seiner Besprechung von 0. KERN, Die Inschriften von Magnesiaam Maeander [Berlin 1900], GGA 1900, 572 Anm. 3 = Kleine SchriftenV 1, Berlin 1937, 359). Die richtige Form(unterVerweisauf WILAMOWITZ) derPausanias-Ausgabe M. H. ROCHA-PEREIRA, in von VOI. III(Teubner; 1981, 21989). 2 Die Literatur diesemIdyll,dasnebenid. 1 zu denmeistbesprochenen zu gehort,verzeichnet A. KOHNKEN, Lustrum 1995, 279-96; 41, 1999, 71. Vgl. auchKOHNKENS 37, einleitendeBemer- kungenzu seinemForschungsbericht (Lustrum1995, 205 f.). 3 Vgl. schon G. LAWALL, Theocritus'CoanPastorals, Washington-Cambridge, Mass. 1967, 75: ,,anair of topographical reality". 4 W. G. ARNOT7,The Moundof Brasilasin Theocritus' SeventhIdyll,QUCC32, 1979,99- 106;N. KREVANS, Geography Literary and Tradition Theocritus TAPhA113, 1983,201-20 in 7, (die Aufsatzekurz charakterisiert KOHNKEN,Lustrum 1995, 288 Nr. 543 und 292 Nr. von 37, 560). ZurTopographie Kos auchS. SHERWIN-WHITE, von AncientCos, Gottingen1979(Hypom- nemata,51), passim.- U. VON WILAMOWrrZ-MOELLENDORFF, HellenistischeDichtungin der Zeit des Kallimachos, Berlin 1924,11137 f., wertetedie Nennung Ortsnamen Reverenzan die der als koischeGesellschaft,furdie das Idyll zunachst gedichtetwordensei.
  • 4. Poliskultebei Theokritund Kallimachos:das Beispiel Milet 271 krit, fur letzteren Kallimachos die literarischeHauptquelledar. Durch die archao- logische Erforschungdes antiken Milets unter der Leitung V. VON GRAEVES ist unsere Kenntnis der beiden Kulte in den letzten Jahrzehntenbetrachtlichvergro- Bert worden. Die Ergebnisse werden im folgenden darzulegen sein, denn es ist auch im Rahmender hier verfolgten Thematiknicht unwichtig zu wissen, welchen Stellenwert die beiden Kulte in Milet und moglicherweise uber die Stadt hinaus besaBen. Ich mochte zeigen, daB die eingangs gestellte Frage hinsichtlich der beiden Dichter im konkretenFall ganz unterschiedlichbeantwortetwerden muB. Wesentliches findet man schon bei WILAMowIrz, dessen Arbeiteneinmal mehr mit Gewinn herangezogen (und mit Genuf gelesen) wurden.5 1. Theokritund die Aphroditein Oikus Das Lied des Simichidas in TheokritsThalysia, dem m,Emtefest", 7, 96-127) (id. enthalteine Liebeserklarung Sangersan eine Myrtosowie ironischeBemerkun- des gen zur Liebe des Aratoszu Knaben.In diesem KontextruftSimichidasdie Eroten herbei, die den sch6nen Philinos mit ihrenGeschossen treffen sollen (v. 1 15-19):6 115 8''?E' YeT8o; cai Biupki&o; 68i Xir6vrT?; va&a Kai Oixoi3vta, 4avoa; E6o; aiitv Atcxi;, J gikotatv "Epons; epEUO0gVOo1V 6OR10It, 06 tot t64ota tr6v igp6vevtca DtXivov, dxXT', Etr& TV 4EIVOV0 81XTtopo; OUK ?Xcct xeU. 0 ihrEroten,verlaBt Byblis undHyetisholde der FlutenundOikushoch oben,das HeimderblondenDiona, ihr,die ihraussehtwie Apfel mit purpurnenWangen,ich bitte: Trefftmirmit euerenPfeilenden schonenKnabenPhilinos, trefftihn, da sich derArge nichtmeinesFreundes erbarmet! 5 Vor allem das Anm. 4 genanntezweibandigeWerkzur hellenistischen Dichtung.Wie so haufig, hat WILAMOWITz Zentralesen passantgesagt oder in Anmerkungen untergebracht; zu Beispielensiehe hier Anm. 1 (Aulai) und Anm. 11 (Oikus).- Zu Wilamowitzals Editorund Kommentator kallimacheischer DichtungA. KOHNKEN, Callimachihymniet epigrammata. Wila- mowitz' Interessean hellenistischerDichtung,in: W. M. CALDERIII/M.C. DUBISCiAR/M. HOSE/ G. VOGT-SPIRA(Hrsgg.), Wilamowitzin Greifswald.Akten der Tagungzum 150. Geburtstag Ulrich von Wilamowitz-Moellendorffs Greifswald, 19-22. Dezember 1998, Hildesheim/ in Zurich/New York2000 (Spudasmata, 605-15. 81), 6 Text nachGow. Siehe auchdie Ausgabevon C. GALLAVOrlT, Rom 31993, 102(derText der hier zitiertenVerse wie Gow). Ubersetzung: BECKBY.- Die Deutung der Verse 115 ff. ist in der philologischenLiteratur umstritten: Charakterisierung Philinosals eines Eromenos, Die des der seine beste Zeit schon hintersich hat (,,reiferals eine Bime", v. 120; dazu A. HENRICHS, Riper thana Pear:ParianInvectivein Theokritos, ZPE39, 1980, 7-27), soll dem Aratosvielleichtnur klarmachen, Philinoses nichtwertist, umworben werden.IndiesemSinneK.-H.STANZEL, daB zu Liebende Hirten.TheokritsBukolik und die alexandrinische Poesie, Stuttgart/Leipzig 1995 (Beitragezur Altertumskunde, 278. 60),
  • 5. 272 NORBERTEHRHARDT Die Scholiasten erklaren,daBes sich bei Hyetis und Byblis um Quellen handelt, die in Milet flossen; ebenfalls in Milet lage der Ort (t6oEo;)Oikus, wo sich ein Heiligtum (cpo6v) der Aphrodite befinde.7 DaB das Heiligtum von Oikus in der Tat zu Milet gehorte, ergibt sich auch aus den Eingangsversen des 28. Idylls ('AXaicdta,,,die Spindel"),v. 1-7: rxai6)ca;, OtXpt0' aXacdta, &bpov 'AOavda; y6vai4tv VOO5;oibco4Xia; aitatv Endpoko;, 09ceto' dlitv iit6pq n6Xwv?; NeiXeo; atyXdav, onna K-nrpt8o; ipov icaXdgo)XXQ)pov 6mdX. )nv' Tuike yap ntXov Euavrgov aivigeOa n&pAio;, 6iuuQ t?VVOV E4LoVTEpWoV-O V icVdtotkq&O(L, Ntdiav, XapiToV i4Epo006V 0Vepov 4Urov. Spindel, Freundin des Garns, du, das Geschenk Pallas' mit blauem Aug, Werkzeug fur eine Frau, deren Gemut ganz sich dem Hause weiht, komm, besuche mit mir heiteren Sinns Neileus' beriihmte Stadt, wo im zarten Gebusch grun der Bezirk Kyprias sich erhebt. Dorthin bitte ich Zeus mir fur die Fahrt giinstigen Wind zu leihn, daB begliickt bei dem Freund Nikias ich liebend-geliebt verweil, bei dem gottlichen Mann, der aus dem Chor singender Grazien sproB. Die Ortsbestimmung erfolgt hier mittels einer umschreibendenFormulierung- die Neleusstadt-, also durchdie Nennung des GrundersMilets (v. 3). DaBder Freund Nikias, den Theokritzu besuchen beabsichtigt,wirklich in Milet lebt, wird durch die explizite Nennung der Stadt in v. 21 endgultig klar. Die beiden Erwahnungen des milesischen Aphroditeheiligtums,8 das moglicherweise auch von Kallimachos genannt wurde,9 sind bei Theokrit zwar kurz, enthalten aber wichtige Informationen:zum einen lernt man das Toponym 7 Scholia in Theocritum vetera, rec. C. WENDEL, Leipzig 1914 (Teubner), 107 Scholion e. Oiei3vrca ?V MtXkq Or6to;, (9vOa) itp6v 'A4po6iM;. f. i4tpe; 8' Yvri5o; Kai Bv,i6oq np6;? oiv; Epma; r6v k6yov 6ir(arpTpee icai rlcat. di iXoit; 6Ogotot"Epeq, TovrTeTIv ppuOpoi.YEr't; Se cai Bup4:t; cpilvat MtXAiro-,E'vOa Kai iEpov 'A0poSini;. Im Rahmen seiner Veroffentlichung der archaischen Weihung aus Oikus (dazu unten) druckte P. HERRMANN, AA 1995, 284 die Scholien e und f im Wortlaut ab. Zur Problematik von Scholion b siehe hier Anm. 30. 8 Die von Theokrit id. 7, 116 als Inhaberin des Kultplatzes genannte Dione ist die Mutter der Aphrodite. Die eben zitierten Scholien bezeichnen aber Aphrodite selbst als Gottin in Oikus. Gow II 160 folgt den Scholiasten, Dover 163 denkt an einen gemeinsamen Kult von Dione und Artemis. Vgl. HERRMANN ,AA 1995, 284 Anm. 125 (mit weiterer Literatur). 9 Fr.229, 13 PFEIFFER: ... OiKcoi]tov e6; i[aJTu (Branchosgedicht). derStellegehtes ... An aber um den Apollon Delphinios, den Hauptgott der Stadt; im Kommentar auBert sich PFEIFFER denn auch zuruckhaltend: ,,Fortasse Call. non Mileti nomine utitur , sed antiquissimam illam partem a Mileto heroe conditam Obco-crtov damunominat, ut Nicaenet. fr. 1, I Pow. ". Auf die mit Oikus verbundenen Grundungstraditionen gehe ich nicht ein; dazu Angaben bei HERRMANN, AA 1995, 285 und J. L. LIGHTFOOT, Parthenius of Nicaea. Edited with introduction and commen- taries, Oxford 1999, 433 ff., vor allem 438. - Zu fr. 229 siehe auch hier Anm. 71.
  • 6. Poliskulte bei Theokrit und Kallimachos: das Beispiel Milet 273 Oikus kennen, wo sich das Heiligtum befand;zum anderenerfahrtman etwas uber die Ortslage, offenbarein an Quellen gelegener, schilfbewachsenerHugel. Diese Realia hat WILAMOWITZ kenntnisreichkommentiert,und zwar als Rezensent des 1914 erschienenen Delphinion-Bandes, in dem die von der deutschen Milet- Grabungunter der Leitung TH. WIEGANDSim Heiligtum des Apollon Delphinios durchgefuhrteAusgrabungdokumentiertworden war.10Die erhellenden Bemer- kungen WILAMowrrz',11 jungst von P. HERRMANNgewurdigt,12seien hier noch einmal im Wortlautabgedruckt,da sie nicht nurWILAMOWITZ' Kenntnisseund sein 10 Das Delphinionin Milet. Von G. KAWERAU und A. REHM, Berlin 1914 (Milet 1 3). Die Besprechung durchWILAMOWFrZ den GGA 1914,65-109 = KleineSchriften 1, Berlin 1937, in V 417-66. - W[LAMowrrz denVerlauf 1899in Miletund 1906in Didymaunter Leitung hatte der der Th. WIEGANDSbegonnenendeutschenAusgrabungen sowie WIEGANDSTatigkeit an anderen Grabungsplatzen groBerAufmerksamkeit mit verfolgt. Auf WIEGANDwar WILAMOWIrz schon frihzeitig aufmerksam geworden;1894sprach WIEGAND er seineAnerkennung dessenDisser- fur tationaus (vgl. C. WATZINGER, TheodorWIEGAND. deutscher Ein Archaologe1864-1936, Mun- chen 1944, 56). Ende 1904 schriebWILAMOWIrz einen Brief an WIEGAND,in dem er ihn zum Erscheinen Priene-Publikation der (Berlin1904)begluckwunschte; WIEGAND zeigte sich daruber sehr erfreutund sah seine Arbeit von kompetenter Seite gewurdigt(in Milet verfaBter Brief WIEGANDS seine Frau vom 5. 11. 1904; abgedruckt: an Th. WIEGAND, Halbmondim letzten Viertel.BriefeundReiseberichte deraltenTUrkei TheodorundMarieWIEGAND1895bis aus von 1918, hrsg. underlautert G. WIEGAND,Munchen1970, 63). Im selbenJahr1904 veroffent- von lichte WILAMOWrrZ Vorjahrim milesischen Delphiniongefundenesund nach Berlin ein im gebrachtesepigraphisches 'Highlight',die Kultsatzung bzw. Prozessionsordnung Molpoi, der die 450/49 v. Chr.redigiert wordenwarundeine altereBestimmung 479n8 enthalt(Satzun- von gen einer milesischenSangergilde, SBBerlin 1904, 619-40. Der Text dannbei REHM, Milet 1 3 Nr. 133. Wiederabgedruckt F. SOKOLOWSKI, sacreesde l'Asie Mineure, von Lois Paris 1955 Nr. 50; bibliographische und Nachtrage deutscheUbersetzung HERRMANN, P. MiletVI 1, Berlin1997, 168 f. Vgl. zurInschrift Anm.72 und73). DerTextmit seinenzumTeil seltenenWortern hier (zu den y6kXotuntenmit Anm.73) undbemerkenswerten grammatischen Formen hatteWILAMOWrrZ offenbargereizt.Die 1906von P. WILSKIerstellteunderlauterte KartedermilesischenHalbinsel (Milet I 1, Berlin 1906) rezensierteWILAMOWITZ noch im selben Jahr(GGA 1906, 635-40 = Kleine SchriftenV 1, 369-75); dabei steuerteer aufgrundseiner Kenntnisder Schriftsteller Wesentlicheszu Fragender historischen Geographie Topographie Im Marz1905 hatte und bei. auf WILAMOWITZ Einladung WIEGANDS eine Kleinasien-Reise an unternommen, derauchF. HILLER VON GAERTRINGEN teilnahm. Die Tour- mit WIEGAND begannin Troja,undim weiterenVerlauf - wurdenunteranderem Priene,Milet und Didymabesucht;danachreistendie Gelehrten zum 1. Internationalen Archaologen-Kongress Athen.Uber diese Reise undden tiefen Eindruck, nach den die kleinasiatische Landschaft ihn machte,berichtete auf WILAMOWT selbst (Erinnerungen 1848-1914, Leipzig21929,271 ff.). ZurReise auchWATZINGER, TheodorWiegand152. 190 und W. SCHINDLER, Archaologieim Rahmenvon Wilamowitz'Konzeption Altertumswissen- Die der schaften,in: W. M. CALDERIII/H.FLASHAR/1H.LINDKEN(Hrsgg.), Wilamowitznach 50 Jahren, Darmstadt 1985, 251. IGGA 1914, 70 mit Anm. I (= KleineSchriften 1, 422f.). V 12 HERRMANN, AA 1995, 285: ,,Es gibt in der neuerenLiteratur hinsichtlichdes Lokalisie- rungsproblems von Oikus keine bessere Zusammenfassung eine Anmerkungvon U. v. als Wilamowitz
  • 7. 274 NORBERTEHRHARDT Einfiihlungsvermogen dokumentieren, sondern auch alles enthalten, was man seinerzeit uber Oikus wutte: ,,Die Besiedelungist in Miletvon WestennachOstenfortgeschritten; altestenScherben die habensich am Deirmen-Tepe nochwestlichvon deraltenStadtgefunden.Mindestensalles, was ostlichder spaterenHauptstraBe warvorstadtisch, lag, dennderdortangesiedelteAsklepioshat den Beinamenxp6 n6kwoqweitergefuhrt, ich mochteden Aphroditetempel und hinzufugen, der in dem Vororte Oikuslag, zwischenzwei Bachen,am schilfbewachsenen Meeresufer. Anm. 1: ,,Wirkennendas aus Theokrit7, 115 mit Scholien und 28: sein Freund,der Arzt Nikias, wohntin Oikusbei dem Aphroditetempel Schilfe. Da flieBendie BacheHyetis;derhattealso im nur bei Regen Wasser,und Byblis; der hieBnach dem Schilfe. Ein Arzt wohntnicht leicht in einem Dorfe:OiK6ctqcir tXt6e-aaa heift der xcZpo;, die Hausernp6 1r6XEO weil zahlreich wurden.NatiirlichweiB ich nicht, wie weit die Vorstadtreichte,und die Bache wirdmanjetzt schwerlich bestimmen konnen.Alexander nimmtbeim Anrickendie etw t6xtq;den Mauerring seiner Zeit wird man kaum unterscheiden, aber ich will nicht bestreiten,daB es schon der bekannte war.Zu dieser?oi n6Xtq Ohcoi; gehort.DaBNikainetos hat (Parthenios 1) voneinem I Oicolatov dacy)furdie Urzeitredet,verschlagt nichts." Die zitierten Verse Theokrits stellen das zentrale literarische Zeugnis fur den milesischen Aphroditekultin Oikus dar und wurden in der archaologischenLite- raturentsprechendangefuhrt,wenn es um die Kulttopographie Milets ging. 3 Die deutschen Ausgraber scheinen aber weder zu WIEGANDS Zeiten noch nach der Wiederaufnahmeder Grabungenin Milet nach dem Zweiten Weltkrieg versucht zu haben, die Kultstattezu lokalisieren. Das ware allerdings auch nicht einfach gewesen. Zwar ergab sich aus den literarischenStellen, daB Oikus vor der Stadt lag und mit Milet durch eine Brucke verbundenwar,14 aber nirgendwo erscheint die explizite Angabe, daB sich - wie wir heute wissen - das ,,ippige Schilf' (id. 28, 4)15mit der Lage am Meer erklart.WILAMOWrz hattedas aber intuitiverfaBt.'6 Der Zufall fiihrtedann 1989 zur Lokalisierung:Bei der Begehung des Zeytintepe, eines sudwestlich des Stadtgebiets von Milet gelegenen Hugels von etwa 45 Meter Hohe, fanden U. GANSund M. HEINZ ein Votiv in Ohrform,Marmorfrag- mente und ,,eben herausgewuhltemarmomeArchitekturteile eines groBenGebau- des".'7 In den Folgejahrenwurden unter der Leitung von R. SENFF systematische Grabungenuntemommen, die bis heute andauernund deren Ergebnisse fortlau- Die Ruinenvon Milet,Berlin 1968,43. 13 Verwiesensei nurauf G. KLEINER, BeideStellenbei Lage);Schol.ad Dion.Perieg.825 (Brucke). 14Paus.7, 24, 5 (vorstadtische HERRMANN, AA 1995, 285. 15Zu den Bemuhungen modemenTheokrit-Kommentatoren, zu erklaren, HERR- der dies MANNebd. 284 mit Anm. 126. Die Ubersetzung stammtvon D. EBENER(von HERRMANN zitiert). 16 siehe Zitatoben S. 274. 17Die Grabung demZeytintepe, auf MDAI(I)41, 1991, 137-40;dasZitat137.ZurTopogra- phie vgl. mandie Kartenskizze Neuen Pauly8 (2000) 171 f. (innerhalb Artikels,,Mile- im des wordenzu sein: so V. VON tos"). Der Zeytintepescheint vor 1989 nicht intensiv untersucht GRAEVE, AA 1995, 199.
  • 8. Poliskulte bei Theokrit und Kallimachos: das Beispiel Milet 275 fend publiziert wurden.18 Die Funde erweisen, daBsich schon in archaischerZeit eine Terrassierungauf der HUgelkuppebefand. Die dort aufgefundenenArchitek- turreste ,,sprechen fur einen Sakralbau ionischer Ordnung aus spatarchaischer Zeit".19FigurlicheTerrakotten beweisen, dass der Kult dort spatestensseit dem 7. Jh. v. Chr. bestand.20Hohes Alter ist auch mittels der orientalischenFundstiicke2' beweisbar;die Aegyptiaca22sind zum Teil ,,ganz typisch fur das 7. Jh. v. Chr.". Aufgrund dieses Befundes wird man auf eine uberregionale Bekanntheit des Heiligtums schlieBen dfirfen.24DaB der Kultplatzauf dem Zeytintepe tatsachlich der Aphroditegehorte, war aufgrundder zahlreichgefundenenGraffitiund Dipin- ti auf Keramik, in denen der Name der Gottin erscheint, sehr bald gesichert.25 Hinzu kommt ein bereits 1990 gemachter, archaologisch wie historisch auBerst bedeutsamerFund, namlich das Fragmenteiner beschrifteten Miniaturbasisaus dem 6. Jh. v. Chr.26Die 1995 von P. HERRMANN veroffentlichteund von ihm in die Zeit zwischen 550 und 525 v. Chr. datierteWeihinschriftlautet:27 18Publikationen Funde der undErgebnisse: SENFF,MDAI(I) R. 42, 1992, 105-8; M. HEINZ/R. SENFF,AA 1995,220-24; dies., AA 1997, 114-17; V. VONGRAEVE,AA 1999,241-61; G. HOLBL ebd. 345-71. Zusammenfassender Uberblick: SENFF,Das Aphrodite-Heiligtum Milet,in: R. von E. WINTER (Hrsg.), Aktuelle Forschungenzur ReligionsgeschichteKleinasiens,Asia Minor Studien(im Druck). 19M. HEINZJR.SENFF,AA 1995, 223. Vgl. auchdies., AA 1997, 114 (,,marmornerTempel"). 20 AA 1995, 223. Als weitere Funde werdenu. a. ein spatarchaisches Gespannpferd aus Bronze,ein Votivschildmit Pegasus-Darstellung eine Taubeaus Blei erwahnt. und Vgl. auchV. VONGRAEVEebd. 199. 21 Ebd.223. 22 G. HOLBL,Fundeaus Milet,VIII.Die Aegyptiaca vom Aphroditetempel dem Zeytinte- auf pe, AA 1999,345-7 1. 23 HOLBLebd. 345. 24 HOLBLebd. 346 spricht von ,,uberregionaler Bedeutung und Intemationalitat des Heilig- tums". In diesem Punkt ist Vorsicht geboten: Sollte die Masse der Fundstucke aus dem Orient von Milesiern stammen, als SoidneroderHandler ostlichenMittelmeerraum gewesen die im tatig waren- mandenkenuran Naukratis undanlaBlich - ihrerRUckkehr die Heimatdie Orientalia in weihten,wareIntemationalitat milesischenHeiligtumsnichterwiesen. des 25 R. SENFF, MDAI(I)42, 1992, 107 undTaf. 19,3; SEG 43, 1993, 846; M. HEINZ/R. SENFF, AA 1995, 224 mit Abb. 26. Vgl. auch V. VONGRAEVEebd. 199. Der Nameder Gottinerscheint meist in abgekiirzter Form. 26 Milet, Grabungsinventar Z(eytintepe)90. 33. 1. Es handeltsich um das Fragment einer einst annahernd quadratischenMiniaturbasis Kalkstein,von der sich eine Ecke und zwei aus Seiten erhaltenhaben. Innen befindet sich eine rechteckigeVertiefungzur Aufnahmedes Weihgeschenks. MaBe: groBteHohe 1, 6 cm, Seitenlangen 1 und4, 9 cm. Die Inschrift 4, (siehe folgendeAnmerkung) zweizeilig, bedecktdie beidenSeitenflachen Ganzeund lauftUber ist zur Eck.Die Buchstabenhohe betragt(nur)0,45-0,65 cm. 27AA 1995,282-86 Nr. Ia mit Abb.82a undb; angezeigtim SEG45, 1995, 1613undvon W. BLOMEL,Kadmos34, 1995, 166. HERRMANN im Rahmen hat seinerPublikation auchdie Bemer- kungenvon WILAMOWrrZ Oikusgewurdigt. Den Inschriftenfund ZU - habenbereitsU. GANS/M. HEINZ, MDAI(I) 41, 1991, 138 erwahnt, wobei sie sich hinsichtlichdes Inhalts(Aphrodite- Weihung) auf eine briefliche Mitteilung P. HERRMANNS berufen konnten.
  • 9. 276 NORBERTEHRHARDT / nrv 1'AjOpo6iTqt Oi6c6vTltl Der Aphrodite Oikus in ['A]XadXTI &V/"I6ErV 6E1K6rTq] weihte (dies)alsZehnt. Alpale Z. 1: Thv = Cti v Die von einer Milesierinmit dem seltenen, altionischenNamen Alpale28gestiftete Miniaturbasis,die eine Aphroditestatuettegetragen haben wird, ist wegen der Nennung des (griechischen)29 Ortsnamensvon groBtemWert: der Neufund be- weist, daBTheokrits Heiligtum auf dem Zeytintepe lag und daBdas Areal bereits in archaischerZeit denselben Namen, eben Oikus, trug.30 Es kannkein Zweifel daranbestehen, daBdas Aphrodite-Heiligtum archa- seit ischer Zeit zu den bedeutenden KultstattenMilets zahlte, stark frequentiertwar und mit kostbarenWeihgaben ausgestattetwurde. Nach dem gescheiterten loni- schen Aufstand wurde der Tempel sehr wahrscheinlich von den siegreichen Persem zerst6rt; der Kult wurde aber am selben Ort in nachpersischer Zeit offenkundig weitergefuhrt.Oikus blieb ein Vorort, der spatestens seit hellenisti- scher Zeit durcheine Brucke mit Milet verbundenwar.31 Was aberveranlaBte Theokrit,geradedieses Heiligtum zweimal zu erwSihnen? Er war zumindestim 7. Idyll, dessen Handlungja auf Kos spielt, ziemlich frei, wie er die Herbeirufungder Eroten bewerkstelligte.32 DaB er sie aus dem nicht allzu weit entferntenMilet kommen lieB, ist zwar plausibel, war aber nicht zwingend. Aufgrund des geschilderten archaologischen Befundes konnte man zunachst er- wagen, daB das Heiligtum uberregionalbekannt war und sich deshalb fur eine Erwahnunganbot. Dafur scheint es sogar ein zeitgenossisches Zeugnis zu geben, und zwar ein Epigrammdes Poseidippos von Pella, in dem die Gottin Aphrodite angerufenwird (Anth. Pal. XII 131):33 28 HERRMANN, AA 1995, 283 mit Belegen aus Ephesosund der milesischenSchwarzmeer- ApoikieApolloniaPontica.Ebd.283 f. auchzurEtymologiedes Namens. 29 Oikusist kein karischerOrtsname, V. VONGRAEVE,AA 1995, 199 meint,sondemgut wie griechisch.Zumindest miBverstandlichtrotzBerufung Nikainetos HUNTER187:,,a Carian - auf - town not farfromMiletos". 30 Eigenartig das Scholion b zu id. 7, 115 (von HERRMANN ist [hierAnm. 7] nicht zitiert): ' 6Y Kai BukXt;6pI KcaiKprlvat MXAToU Es ist unklar, ... woraufsich die Angabe6pTI, _,Berge" ,,HUgel", bzw. bezieht.Zwarist dasGelandehUigelig derZeytintepe Hugel,aber bzw. ein trugdas GelandedenselbenNamenwie die Quellen?Vielleichtwollte der ScholiastnurTheo- kritse6o; aixi6erklaren. Byblisunddas sonstnichtbezeugteHyetiswarenaufjedenFallNamen von Quellen,wie aus Theokrit Scholionf eindeutighervorgeht. und 31 Quellenangabe hierAnm. 14. 32 Die Verbindung Eroten der mit Aphrodite im KontextderLiebesthematik ist naheliegend undauch im erotischenEpigramm iiblich.Zu Anrufungen Aphrodites J. KATHRYN GUTZWILLER, PoeticGarlands. in HellenisticEpigrams Context,Berkeley/Los Angeles/London 1998, 126 ff. 33 Text und Ubersetzung: BECKBY,AnthologiaGraeca.Griechisch-Deutsch, H. Munchen 1957. Verwiesen sei auch auf die neuere Ausgabe von R. AUBRETON,AnthologieGrecque Premiere Partie:AnthologiePalatine, Tome XI, LivreXII, Paris 1994 (hier47). Das Epigramm des Poseidippos auchbei HERRMANN, 1995, 285. AA
  • 10. Poliskulte bei Theokrit und Kallimachos: das Beispiel Milet 277 "A K-6npovd Te KM5ippa Kai & MiXov ?X0to v6t; Kcat Kcakv Iupiri; ilEOKp6toou 86asSov, 9X0ot; iXao; KaWmiq) i6v I pwyotiv 0ol6lroT OiKCCtO)V (iXEv alo npO0KpCOV. Die du das Eiland Kythera, Miletos und Kypros besuchest und des syrischen Lands rossedurchstampftes Gefild, o du, nahe dich huldvoll und segnend Kallistions Hause, die einem liebenden Mann niemals die TUre verschloB. Es handelt sich hier offenbar um eine Aufzahlung bedeutender Kultstattender - Aphrodite, unterdenen - etwas uberraschend34 auch Milet erscheint. Dennoch beweist das Epigramm keinesfalls zwingend eine uberregionale Bedeutung des milesischen Kultes: Poseidippos, der fur die Zeit von ca. 280 bis 240 quellenma- Big faBbarist und der zwischen 280 und 270 auch in Agypten wirkte,35 kann seine Kenntnis Milets als eines Kultorts der Aphrodite aus Theokrits Idyllen bezogen und in seinem Epigramm,,untergebracht" haben. Falls also literarischeAbhangig- keit vorliegt, lieBe sich Poseidippos nur noch sehr eingeschranktals Zeuge ver- wenden. Der archaologische Befund legt fur Oikus in hellenistischer Zeit auch eine eher bescheidene Kultpraxisnahe.36 Ein anderer Erklarungsversuch,warum Theokrit die milesische Aphrodite erwiihnthat, ist politischer Art. Nachdem R. HUNTEReinen Zusammenhangzwi- schen der ptolemaischen Vorherrschaftuber Milet nach 279 v. Chr. und den Versen Theokrits bezuglich Oikus' vermutet hatte,37ging jiingst LAURA Rossi38 noch einen Schritt weiter. Ausgehend von der schon lange bekanntenTatsache, daB Ptolemaios II. Philadelphos und seine Schwester-GemahlinArsinoe II. den 34 AUBRETON ebd., Kommentar: ,,On attendaitplutotCnideque Milet".Die Zusammenstel- lungvon Kythera Zypern Kultstatten und als Aphroditesfindetsich schonbei Herodot 105, 3). (1, Grunddafurist, daB- lautHerodot beide Kultstatten Askalonaus gegrundet - von wurden. 35 Zur Vita des PoseidipposW. PEEK, RE 22, 1 (1953) 428-46 s. v. PoseidipposNr. 3; GUTZWILLER, Poetic Garlands f. 151 f.; M. G. ALBIANI, Der Neue Pauly 10 (2001) 199 f. s. v. 18 PoseidipposNr. 2. Zu den bislangbekannten Epigrammen durcheinen Mailander sind Papyrus zahlreicheneue hinzugekommen; Edition:G. BASTIANINI/C. GALLAZZI, Posidippodi Pella, Epi- grammi, Mailand 2001 (nondum vidi). Vgl. auchA. HARDER,DerNeue Pauly15, 2 (2002) 76 s. v. Papyri,literarische. 36 M. HEINZ/R. SENFF,AA 1995, 223 Anm. 1: ,,Die Bedeutung des Heiligtumsin hellenisti- scherZeit drucktsich wenigerin den archaologischen Fundenaus als vielmehrin den literari- schen Uberlieferungen ". Unter den Fundenbefindensich kleinere Marmortafelchen ... mit Weihinschriften, aus der Kaiserzeitstammenund samtlichvon Frauendediziertwurden; die Publikation: HERRMANN, AA 1995,286-88 Nr. b undc = SEG45, 1995, 1614und 1615.Hinzu P. kommteine noch unveroffentlichte Weihung,in der wahrscheinlich Frauenname der Kalliope erganztwerdenkann. 37 HUNTER 187 (zu id. 7, 115). Konkreter ausgefuhrt er diese Vermutung hat abernicht.Zu PtolemaiosundMilet sowie zurChronologie siehe untenmit Anm. 83-86 38 L. Rossi,The Epigrams ascribed Theocritus, to Lowen2001 (Hellenistica Groningana, 5), 243 f.
  • 11. 278 NORBERT EHRHARDT Aphroditekultin ihremHerrschaftsbereich bezog Rossi Theo- intensiv forderten,39 krits 28. Idyll in ihre Uberlegungen ein und hob dabei auf die Charakterisierung der Theugenis, der Ehefraudes Nikias, ab: ,,Ifreadin factagainstthebackground the idealmarriages of propagandised thecourt,the- by presenceof Aphrodite no longerexplainedas the mentionof the patron can goddessof thecity of Miletus... Herpresencecan be understood a referenceto the guardian as deity of conjugallove that in this case is embodiedin the exampleof Theugenis... The wife of Nicias is thus placed underthe protection Athena(1. 1) as an excellentspinner underthatof Cypris(1. 4) as an of and ideal wife. "40 Rossi glaubt bei Theokritalso ptolemaische Ehepropaganda erkennenzu k6nnen, exemplifiziert bzw. personalisiertin Theugenis. Abgesehen davon, daBAphrodite in keinem Fall als die ,,patrongoddess" von Milet gelten kann, klingt dies wegen der Bedeutung, die das Konigspaar im Leben und Werk Theokrits einnahm, zunachst plausibel, ist aber problematisch.Das 28. Idyll hat keinerlei offiziellen Charakter,sondem ist in einem sehr personlichenTon gehalten,41der gerade auf Privatheit verweist. Fur id. 7, 115 ergibt Rossis Deutung keine hinreichende Erklarung.42 Meines Erachtensbietet das 28. Idyll tatsachlich einen Schliissel, und zwar einen, der zugleich fur id. 7, 115 paft. Im 28. Idyll43geht es, wie zitiert, um einen Besuch Theokrits bei seinem milesischen Freund Nikias. In den - hier nicht - abgedruckten Versen 8 ff. fuhrtTheokritaus, daBer eine elfenbeineme Spindel, die er direkt anredet, der Theugenis zum Geschenk machen wolle. Die Spindel werde auf immer in dem ,,unter den loniem lieblichen Milet" (v. 21: oi q Katct MikkaXov 'pdvvav ns8 'Iczo6ov)wohnen. Formal stellt sich das Idyll als eher konventionell gestaltetes Anathematikondar,44 aber inhaltlich sind eben die personliche Note und der Realitatsgehalt auffallig: Nikias war eine historische Personlichkeit, die in Milet lebte. Im Werk Theokrits erscheint er noch an drei anderen Stellen, charakterisiertals Arzt und Dichter.45 Man vermutet, daB es 39 Dazu JOAN B. BURTON,Theocritus'UrbanMimes, Berkeley/Los Angeles/London1995, 133 ff.; Rossi 241 ff. Zur Gleichsetzungder (verstorbenen) G. Arsinoemit Aphrodite HOLBL, Geschichtedes Ptolemaerreiches, Darmstadt 1994,97. 40Rossi, ebd., 244. 41 WILAMOWITZ, Hellenistische DichtungII 141. 42 Rossi ist Ubrigens Auffindung die der Ortslagevon Oikusentgangen,wie sich aus den AusfUhrungen Anm. 17 ergibt.Auch LIGHTFOOT, 244 Parthenius Nicaea 438 (vgl. auch hier of Anm. 9) und B. EtE, Theokrit, Gedichte.Griechisch-deutsch, Dusseldorf/ZUrich (Tuscu- 1999 lum) 264 (zu id. 7, 115) kennennochnichtdie neuenGrabungsergebnisse. 43 Dazu die Kommentare Gow II 495-503, DOVER268-72 und BECKBY518 f. Scholien von existierenzu diesemIdyllnicht. 44 Unterdiesem gattungsgeschichtlichen Aspekt analysiertvon F. CAIRNS, Distaff of The Theugenis- Theocritus, Idyll 28, Papersof the LiverpoolLatinSeminar1 (1976) 293-305. 45 AuBerin id. 28 noch in id. 11, id. 13 undim Epigramm VIII(Anth.Pal. VI 337). Vgl. R. PETRONELL, AuferungenTheokritsuberseine Personund seine Dichtung,Diss. Hamburg Die
  • 12. Poliskultebei Theokritund Kallimachos:das Beispiel Milet 279 dieser Nikias ist, der im ,,Kranz"des Meleagros genannt wird (Anth. Pal. IV 1, 19 f.) und unterdessen Namen acht Epigrammeuberliefertsind.46 DaBTheokritNikias kannte, schatzte und wohl wiederholttraf, ergibt sich aus den Stellen in seinem Werk. Man wird deshalb die Seereise, von der das 28. Idyll handelt, durchausals Reminiszenz an einen Milet-Besuch werten durfen. Auf der moglicherweise von Kos aus untemommenen Fahrt47muB Theokrit am hoch aufragendenAphrodite-Heiligtumvon Oikus vorbeigesegelt sein. Furden antiken Betrachterstellte gerade die Hugel- bzw. Hohenlage des Heiligtums (id. 7, 116: 6So;aix6) eine Auffalligkeit dar, die sich heute auf dem Zeytintepe bestens verstehen und erleben lJBt.48 Auch das ,,ippige Schilf"' (id. 28, 4), das das Heiligtum umgab, ist gut vorstellbar,da die einstige Kustenlinie am Hugel noch erkennbar ist. ,,Schilfbewuchs mag bis an den heiligen Bezirk herangereicht, vielleicht auch noch einen Teil von ihm bedeckt haben".49Theokritdiirftebei der Anfahrt auf Milet von der auffalligen Lage des Heiligtums beeindrucktworden sein;50erst nach der Vorbeifahrtan Oikus eroffnete sich der Blick auf Milet.51 1965, 23. Zweifel an der Echtheitdes 8. Epigramms auBertRossi, The Epigramsascribedto Theocritus193-98. 46 WILAMOW1Tz, Hellenistische Dichtung1 144, 11104;J. GEFFCKEN, 17, 1 (1936) 335 f. s. RE v. Nikias Nr. 24; Gow II 208 f.; PETRONELL, AuBerungen Theokrits21-24; W. SCHOrr, und Arzt Dichter:Nikiasvon Miletos,Munchen1976 (non vidi); ALBERTA LAI,II Xxoep6vaiou4opov di Nicia, medico-poeta milesio, QUCC51, 1995, 125-31; M. G. ALBIANI,Der Neue Pauly8 (2000) 914 s. v. Nikias Nr. 4. Siehe auch den Beitrag von R. KIRSTEINin diesem Band. - In der milesischenOnomastik der Name Nikiasrelativselten (sechs Belege: MiletI 9 Nr. 386 c 1 2; ist VI 2 Nr. 422, 8 und610, 1. 3; IvDidymaNr. 50, 1 A 43; 134 und312, 5). Der Eindruck konnte allerdingstauschen,da auch die ,,prosopographie exteme" zu beachtenist; so gibt es allein dreizehnMilesiernamensNikias,die im kaiserzeitlichen Athenbezeugtsind (M. J. OsBORNE/S. G. BYRNE,The ForeignResidents Athens,Lowen 1996 [StudiaHellenistica, of 33], 220 f.). - Ein inschriftlichals LenaensiegerbezeugterKom6diendichter 3. Jhs. v. Chr. (IG 1122325 + des Fragment MDAI(A)92, 1977, 230 = PoetaeComici GraeciVII [1989137: Ntt-) konntenach Meinungvon D. PEPPAS-DELMoUsou, MDAI(A) 1977, 236 mit dem Milesier Nikias identisch sein. Vgl. B. BABLER,Der Neue Pauly8 (2000) 914 s. v. NikiasNr. 5. 47 Wegender Angabein v. 17,daBdie Spindelin Syrakus angefertigt wurde,scheintGow II 495 an eine Reise von Syrakusnach Milet zu denken.Unentschieden BECKBY518. - Versuche, die vita Theokritszu rekonstruieren die Entstehungsorte Idyllia zu ermitteln,bleiben und der weitgehendspekulativ;zu dem wenigen, was man uber Theokritsicher weit, vgl. man die Dissertation PETRONELL Anm.45) undzuletztR. HUNTER,Der Neue Pauly 12, 1 (2002) von (hier 360 s. v. TheokritosNr. 2. Zu literafischen Abhangigkeiten zwischen den ,,groSenDichtem" zuletztA. KOHNKEN, HellenisticChronology: Theocritus, Callimachus, ApolloniusRhodius, and in: TH. D. PAPANGHELIS A. RENGAKOS - (Hrsgg.),A Companion ApolloniusRhodius,Leiden/ to Boston/K6ln2001, 73-92. 48 ZurOrtslage auchV. VON GRAEVE,AA 1995, 198. 49 HERRMANN ebd. 286. 50 HERRMANN ebd.: ,,Das auf dem heutigenZeytintepeaufragende Apollonheiligtum muBte dem Seefahrer ... geradezu als Landmarke und Orientierungspunkt erschienen sein 51 HERRMANNebd. 286 Anm. 133 kniipft an seine Ausfuhrungen Topographiedie zur
  • 13. 280 NORBERT EHRHARDT Theokritkannte also Oikus und das dortige Heiligtum - zumindesthat er es vom Schiff aus gesehen. DaBer es in seiner Dichtung nennt,kannman mit WILAMOWITZ als Reverenz gegenuber Nikias (und seiner Frau)verstehen.52 der freundlichen In Charakterisierung Milets als ,,lieblich" (v. 21) wird man ebenfalls eine freund- schaftliche Geste gegenUberseinen Gastgebem sehen durfen. Als Ganzes stellt sich das 28. Idyll als ein ,,echtes Gelegenheitsgedicht"53 dar, das Theokrit fur Nikias und Theugenis verfasste. Demnach warenes Autopsie und das BedurfnisTheokrits,milesischen Freun- den Dank abzustatten,die dem Aphroditeheiligtumvon Oikus einen Platz in der Dichtung verschafften.Fur die Erwahnunggerade dieses Heiligtums hatte Theo- krit rein personliche Grunde. 2. Kallimachos und die ArtemisChitone (Kithone) In seinem Hymnus auf Artemis erwahnt Kallimachos auch Milet unter den Kultstatten,die die Gottin besaB (hymn. in Dianam 225-27):54 n6tvta noukugikaOpe, Xatpe,XtT6TvT1 iotXoncokt, MtXk~tc jge. a? y&pxoticaao NTIXiKv ini ? iiyr.govivoweviqjaiv dtvyf-ryoKvKpolriTlOrv. Heil, Chitone,Herfin,mit vielen TempeinundStadten, Die Du Miletbewohnst!Dich wahlteals FiuhrerinNeleus, Als er mit seinenSchiffenvom Landedes Kekrops See stach. in Zur Beantwortungder auch hier zu klarendenFrage, welche Bedeutungder Kult in Milet besaB und weshalb der Dichter auf ihn zu sprechen kommt, seien zunachst drei Aspekte angesprochen:Das Alter des Kultes, seine Funktion und sowie ein Fest, das im Rahmen des Kultes bestand und mit aitiologischen Ge- schichten verbundenwar.55 Was die Bezeugung in Milet angeht, besitzt man neben den Versen des Kallimachos (und Scholien: dazu unten) seit 1908 eine archaologisch-epigraphi- Bemerkung: ,,Bei dieserDeutungkannaufdie Annahme Wilamowitz, ArztNikiassei in von der dem VorortOikuswohnhaft gewesen,verzichtetwerden". 52 HellenistischeDichtung II 140 Anm. 1: ,,Die Eroten ruft er (sc. Theokrit)aus dem Aphroditetempel Milet,den er in derSpindel4 erwahnt, von eine Artigkeitgegen seinedortigen Freunde". 53 Hellenistische DichtungI 191 f. AndersCAIRNS,Papersof the LiverpoolLatinSeminarI (1976) 300, deran einen offiziellenAnlaBdenktunddaruber spekuliert, Theugenisin Milet daB Athena-Priesterin gewesensein konnte. 54 Text nach PFEIFFER. DeutscheUbersetzung: HOWALD/E.STAIGER,Die Dichtungen E. des Kallimachos, Griechisch Deutsch,Zurich1955 (Tusculum). und 5SDie im folgendenzu besprechenden Quellenauchim Kommentar BORNMANNS (106 f.) und in den Aufsatzen von W. GUNTHER(Anm. 59) und A. HERDA(Anm. 69).
  • 14. Poliskultebei Theokritund Kallimachos: Beispiel Milet das 281 sche Quelle aus der Stadt, die zugleich einen Hinweis auf die Lokalisierung des Heiligtums liefert. Es handelt sich um einen beim milesischen Sudmarktverbau- ten Antenblock, auf dem ein kurzes Kultgesetz (13 Zeilen) mit Reinheitsvor- schriften aufgeschrieben ist.56 Die Inschrift, in der die ionische Namensform Kithone verwendet wird (Z. 4), stammt aus dem 1. Jh. n. Chr. Das Heiligtum befand sich wahrscheinlich in der Nahe des Fundorts des Steins. Wie im eben besprochenenFall der Aphroditein Oikus laBtsich mittlerweile auch dieser Kult bis in die archaischeZeit zuruckverfolgenund genau lokalisieren. Zeugnis dafur ist ein bereits 1906 auf dem Kalabaktepegefundenes Fragmenteines marmomen Perirrhanterions(Weihwasserbecken),57das eine spatarchaische Weihinschrift tragt.58 wurde 1988 veroffentlicht:59 Sie 4at ['Apt4ru6tq] KtO)[vq;] Ich bin (Eigentum) [Artemis]Kithone. der Das Perirrhanterion stellte sicherlich ein Weihgeschenk fur die Artemis Kithone dar - die Epiklese auch hier in der ionischen Form -, wobei die griechische Formulierung,eben das selbst sprechende Objekt, die Gottin als Eigentumerin ausweist. Aufgrund des Fundorts und des Fundzusammenhangs kann man inzwischen mit Sicherheit sagen, dass sich auf der Ostterrassedes Kalabaktepein archaischer Zeit ein Tempel der Kithone befand.60Es wurde wohl nach dem Ionischen Aufstand von den Persern zerstort. Auf dem Kalabaktepeist der Kult danach nicht mehr restauriertworden. Vielmehr verlegte man ihn zu einem uns nicht bekanntenZeitpunktin das ZentrumMilets - der Kalabaktepeblieb auBer- halb des Mauerringsder nachpersischenStadt-, wo wiederumein Tempel errich- tet wurde. Die Funktion des Kultes im Leben der Burger Milets kannte man schon aus einem Scholion zu einer Stelle in Kallimachos' Zeushymnus (zu Vers 77). Der Scholiast spekuliert hier daruber, ob die Artemis ihren Beinamen von einem attischenDemos namens Chiton hatte oder von einer Sitte, daBder Gottin von den 56 Veroffentlicht Berlin 1924 (Milet I 7) von A. REHMin: Der SUdmarkt, Nr. 202 mit Abb. 279. REHM hielt es fur moglich, daBes sich um die Neuaufzeichnung eines alterenGesetzes handelt und daB das Erhaltenenur einen Nachtragdarstelit.- Die Inschriftwurde wieder abgedruckt F. SOKOLOWSKI, sacreesde l'Asie Mineure, von Lois Paris1955,Nr.51. Bibliographi- sche Nachtrage Ubersetzung: HERRMANN, und P. Inschriften Milet, 1, Berlin/NewYork 1997 von (Milet VI 1), 199. AuchBORNMANN die Inschrift hat registriert (106). 57Die MaBe links,rechtsundhintengebrochenen des Randstuicks Hohe5 cm, Breite 14 sind: cm, Dicke 5 cm. Das Fragment nichtmehrauffindbar. ist S8Milet,Inschriften-Inventar abgeschrieben 997, 1906 von A. REHM. 59W. GONTHER, ,,Vieuxet inutilisable"dansun inventaire in6ditde Milet, in: D. KNOEPFLER (Hrsg.), Compteset inventaires dans la cite grecque,Neuchatel/Genf1988, 236 f. mit Fig. 2 = (Photographie Abklatsches) SEG 38, 1988, 1213. des 60Grabungsergebnisse: KERSCHNER, 1995, 214-20; ders.- R. SENFF,AA 1997, 120- M. AA 22; KERSCHNER, 1999, 7-51. KERSCHNER sich auchbemUht, von GONTHER AA hat die veroffent- lichte spatarchaische Weihungin den archhologischen Kontexteinzuordnen.
  • 15. 282 NORBERTEHRHARDT WochnerinnenGewandergeweiht wurden.LetztgenannteAltemative ist die rich- tige. Das geht aus der eben genanntenmilesischen lex sacrahervor,die unterden Arten von Unreinheit auch das Kindbett der Frau auffuhrt.Zudem liBt sich die Sitte der Kleiderweihung,die man bisher vor allem aus Brauronkannte, auch fur Milet wahrscheinlich machen. Eine 1988 von W. GUNTHERveroffentlichte In- schrift aus dem 2. Jh. v. Chr.61stellt sich inhaltlich als Inventardar, in dem eine Vielzahl von Kleidungsstucken aufgelistet wird. GUNTHERdeutete die Kleider uberzeugend als Weihgaben fur Artemis Kithone (und veroffentlichte deshalb auch die archaische Weihung von Kalabaktepe).Der Kult der Artemis Kithone war also ein Kult insbesonderefur Schwangere und Wochnerinnen.62 Zum Kult gehorte in Milet auch ein Fest namens Neleis.63Es erscheint in den Aitia des Kallimachos: Am Fest spielt sich die Liebesgeschichte zwischen dem milesischen Konigssohn Phrygios und dem Madchen Pieria aus Myus ab.64Eine ausfuhrliche, sicher auf Kallimachos zuruckgehende Version findet man unter anderem bei Plutarch.65 Der Inhalt der Geschichte - Krieg zwischen Milet und Myus, Vermittlung durch Pieria - zielt auf Frieden und gute Beziehungen zwi- schen den beiden ionischen Stadten ab und konnte in der Zeit des Kallimachos politische Aktualitatbesessen haben:Milet gewann uberMyus die Oberhand,und seit dem ausgehenden 3. Jh. v. Chr. wurde Myus sukzessiv in den milesischen Staat eingegliedert.66Der Festname Neleis fuhrt auf eine andere Tradition,nam- lich die Vorstellung, daB Milet - wie auch die anderen ionischen Poleis - von Athen aus gegrundet wurde, und zwar unter der Fuhrungdes Kodrossohns Ne- Ieus.67 Diese Herkunftsangabe erscheintexpressis verbis in den hier abgedruckten Versen des Artemishymnus, wonach Neleus die Chitone zu seiner Hegemone machte, als er nach Kleinasien aufbrach.68Ob dahinter ein umfangreicherer 61 Angaben hier Anm. 59. 62 In denselben Kontext fuhrt auch eine noch unveroffentlichte milesische Weihung, die der Artemis Lochie gilt. Vgl. GUNTHER (Anm. 59) 235 mit Anm. 117; HERDA(Anm. 69) 33 Anm. 259. - Als Helferin der Gebarenden erscheint die Gottin auch im Artemis-Hymnus v. 21 f. 63 Plut. mul. virt. 16 = mor. 253F-254A; Polyaen. 8, 35. 64 Aet. III fr. 80-83 PFEIFFER. 65 Wie Anm. 63. 66 Zu diesem Vorgang W. RUGE, RE 16, 2 (1935) 1430-37 s. v. Myus Nr. 2; P. HERRMANN, Neue Urkunden zur Geschichte Milets im 2. Jahrhundertv. Chr., MDAI (I) 15, 1965, 93-96; W. GUNTHER, Ein Proxeniedekret aus Myus, in: C. SCHUBERT (Hrsg.), Rom und der griechische Osten. Festschrift fur H. H. SCHMIrr, Stuttgart 1995, 87-92. Zusammenfassend H. LOHMANN, Der Neue Pauly 8 (2000) 654 s. v. Myus. 67 Zu der komplizierten Traditionsbildung beziiglich Athens als Mutterstadt der kleinasiati- schen lonier F. PRINZ, Grundungsmythen und Sagenchronologie, Munchen 1979 (Zetemata, 72), 314-76. 68 Der Scholiast (zum Zeus-Hymnus, v. 77) bietet noch die Geschichte, daB Neleus aufgrund eines Orakelspruchs ein Xoanon fur Artemis aus dem Holz einer attischen Eiche verfertigte und es mit nach Kleinasien nahm. Somit erscheint der Kult in Milet ausdrucklich als Filialkult Athens. - WILAMOWITZ, Hellenistische Dichtung II 59 sah in der Bezeichnung ,,Hegemone" bei
  • 16. Poliskultebei Theokritund Kallimachos:das Beispiel Milet 283 Mythos stand, der Neleus in seiner Funktion als Stadtgrunder thematisierte, IiBt sich schwer sagen, zumal der Ktistes Neleus in Milet anscheinend erst spat heroische Verehrungerfuhr.69 Die Ubersicht verdeutlicht, daB es sich bei der Artemis Chitone (Kithone) wiederum um einen bedeutenden Kult Milets handelt: Er reichte bis in die archaische Zeit zuriick, besaB eine spezifische Funktion, und spatestens seit der Zeit des Kallimachos war er mit Aitiologien und einer Griindungsgeschichte verbunden. Es bleibt aber die Frage, was Kallimachos bewog, gerade diesen milesischen Kult zu erwiihnen.Kultstattender Artemis gab es in groBerZahl, und auf eine besondere Prominenzder milesischen Kithone weist nichts. Von person- lichen Beziehungen des Kallimachos zu Milet oder gar zu einem Aufenthalt des Dichters in der Stadt ist nichts bekannt.WILAMowITz allerdings gemeint, daB hat Milesisches im Werk des Kallimachos doch eine gewisse Rolle spielte: ,,Er (sc. Kallimachos) hat auch Milet gut gekannt, im Branchosden Ahnherrnder Prophe- ten von Didyma besungen, den Keraitesam heiligen Weg erwiahnt, Geschichte die vom weisesten Thales erzahlt".70 Die Werke bzw. Stellen, auf die WiLAMOWrrZ Bezug nimmt, sind das Branchosgedichtund ein lambenfragment,in dem von der Entsuhnungdes Volkes durchBranchosdie Rede war.71Der Keraiteserscheint in der milesischen Kultinschrift der Molpoi, die die Prozession von Milet nach Didyma regelte, als ein Haltepunkt,an dem geopfert wurde;72Kallimachos bot eine Aitiologie des Namens.73Was den weisen Thales betrifft, so ist es die in Kallimachoseine zweite Artemis-Epiklese. Dagegen sprichtaberder inschriftliche Befund in Milet (das erwahnteKultgesetz).Hegemoneist sonst aberals Artemis-Epikiese belegt (BORN- MANN107).Zu einemneuenZeugnisfureine Aphrodite Hegemone(in Rhamnus) BEVtLACQUA, G. MGR 20, 1996, 55-66. 69 AndersA. HERDA,Der Kultdes Grunderheroen Neileos unddie ArtemisKithonein Milet, JOAI67, 1998, 1-48 mit derThese, fur Neleus sei schon im archaischen Miletein Grunderkult eingerichtetworden. 70GGA 1914,85 = KleineSchriften 1, 440. HinweisaufWILAMOWiTZREHMin seinem V auch Kommentar milesischenlex sacrafur die Kithone(Milet I 7, S. 289). zur 71 Fr.229 PFEIFFER undiamb.IV fr. 194,26 ff. Vgl. PFEIFFERsKommentar sowie W. GONTHER, Das Orakelvon Didymain hellenistischer Zeit, Tubingen1971, 13 Anm. 25; D. L. CLAYMAN, Callimachus'Iambi,Leiden 1980 (MnemosyneSuppl.,59), 24; A. CAMERON, Callimachus and His Critics, Princeton1995, 167 f.; B. AcoSTA-HUGHES, Polyeideia.The lambi of Callimachus andthe ArchaicIambicTradition, Berkeley/Los Angeles/London 2002, 201. 72 A. REHM, Milet I 3 (1914) Nr. 133 Z. 30. 31 (= SOKOLOWSKI, sacrees de I'Asie Lois Mineure,Nr. 50). ZurInschrift hierAnm. 10. vgl. 73 Fr.217. PFEIFFER verweistim Kommentar die eben zitiertemilesischelex sacra.- Die auf in derselbenInschrift 25) sowie im archaischen (Z. milesischenOpferkalender (MiletI 3 Nr. 3 la, Z. 2. 3) genannten yi6kXot, HESYCH(s. v.) viereckigeSteine, warenmoglicherweise laut auchbei Kallimachos erwahnt: Nachdem PFEIFFER Kommentar zu fr. 114, in dem von noXkuydvte 2) im (v. und 6et xpo%pot; (v. 3) die Rede ist, auf die milesischenyi-Uot hingewiesenhatte,erganzte (als erster?)G. B. D'ALESSIO in seiner Kallimachos-Ausgabe (1996) das fr. 149, 2 Pf. zu yli)Uo[;; vgl. G. MASSIMILLA, Callimaco,Aitia.Libriprimoe secondo,Pisa 1996, 129,Kommen-
  • 17. 284 NORBERTEHRHARDT iamb. I erzahlte Geschichte von der Schale des Bathykles,74 zuerst an Thales die ging, dann die Runde unterden sieben Weisen machte und schlieflich wieder zu Thales gelangte; dieser stiftete sie mit einer von ihm verfasstenWeihinschriftdem Apollon von Didyma. Im Rahmen des umfangreichenkallimacheischen Werks mit seiner Fulle an kultischen und mythologischen Bezugen nehmen sich diese Erwiihnungenbzw. literarischenGestaltungenmilesischer Kultgegebenheitenquantitativgering aus. Bei naherer Betrachtungzeigt sich aber, daB Kallimachos gerade die zentralen Kulte Milets sowie die Grundergestalten Stadt und des Heiligtums von Didy- der ma behandelte:Im Branchosgedichterscheintder Apollon Delphinios, der Haupt- gott der Stadt, und die Prozession der Molpoi, die am Keraites opfern, gilt demselben Gott. Apollons gottliche Schwester ist als Chitone prasent, und moglicherweise kam auch die Aphrodite von Oikus bei Kallimachos vor. Mit Neleus wird der Grunderder Stadt, mit Branchos der von Didyma gewuirdigt. Dieses Wissen durfte Kallimachos durch die intensive Heranziehung von Lokal- und Grundungsgeschichtengewonnen haben - die Bathyklesgeschichte stammtenach Diogenes Laertios von dem milesischen Lokalhistoriker Leandrios -,75 und deshalb scheint es berechtigtweiterzufragen,was Kallimachosmit Milet verband.Dies fiihrtauf die viel diskutierteund hier im Zusammenhangmit Rossis These zu TheokritsSpindel schon angesprocheneProblematik,inwieweit man bei hellenistischen Dichtem Zeitbezuge erkennen kann bzw. ob die Dichter auf konkrete Ereignisse reagierten.76 Was den Artemishymnusdes Kallimachos an- tar zu fr. 64 (= 1 14 Pf.). Zu den yXAkotauch U. KRON,Heilige Steine, in: Kotinos. Festschrift fur E. Simon, hrsg. von H. FRONING/T. HOLSCHER/H. MIELSCH, Mainz 1992, 62 f. Es sei aber erwahnt, daB REHMschon 1914 in seinem Kommentar zum oben genannten milesischen Opferkalender Zweifel an der Bedeutung ,,Steinwiirfel" angemeldet hat und statt dessen ,,Korb mit Weihgaben" (von yuWX; abgeleitet) in Erwagung zog. 74 Iamb. I fr. 191,31-77; zum Aufbau der Passage CLAYMAN, Callimachus' Iambi 11-16. Interpretationvon iamb. I (mit Textabdruck und englischer Ubersetzung) ACOSTA-HUGHES, Poly- eideia 21-59. 75 Diog. Laert. 1, 28 = Leandr(i)os, FGrHist 492 F 18. Diogenes erzahlt erst die Geschichte von einem Dreifu3, der vom Volk der Milesier den Sieben Weisen gegeben wurde. Danach sagt er, daB Kallimachos in seinen lamben die Geschichte anders dargestelit habe (Phiale des Bathy- kles), wobei er seine Version vom Milesier Leandrios iibemahm. - In der antiken Literatur ist neben Leandr(i)os ein Maiandrios bezeugt; die beiden konnten identisch sein: zum Problem JACOBY,FGrHist III b, Kommentar, Text (1955) 404 f. Der Autor bzw. die Autoren gehoren vielleicht in die Zeit um 330-300 v. Chr. (JACOBY 405). 76 Grundsatzliche Uberlegungen dazu unter anderem bei G. WEBER, Dichtung und hofische Geselischaft. Die Rezeption von Zeitgeschichte am Hof der ersten drei Ptolemaer, Stuttgart 1993 (Hermes Einzelschriften, 62), 316 ff. WEBER ist recht skeptisch und denkt daran, daB die reihen- weise Aufzahlung von Kultorten bestimmter Gottheiten bei den Dichtem primarauf Ausbreitung geographischen Wissens abzielte (ebd. 366). - Zu Theokrits und Kallimachos' Stellung am Hof F. T. GRIFFITHS, Theocritus at Court, Leiden 1979 (Mnemosyne Suppl., 55); CAMERON, Callima- chus, bes. 3-23 (,,Cyrene, Court and Kings").
  • 18. Poliskultebei Theokritund Kallimachos: Beispiel Milet das 285 geht, der hier den Ausgangspunktbildet, hat WILAMOWITZ zeitgeschichtli- einen chen Bezug gesehen. Er machte daraufaufmerksam,daBder Hymnus eine eigen- willige Auswahl und Reihung von Kultstattenaufweist.77Es erscheinen Doliche (= die Insel Ikaros)und Perge (v. 187), spiiterdann- nach der Nennung kretischer Stadte - noch Milet (225-27), Samos (228) und schlieBlich das zu erwartende Ephesos (237 ff.). Bezuglich Perges und Ikaros', letzteres als ,,Dependenz von Samos", bemerkte WILAMOWITZ,beide ,,damals agyptisch" gewesen seien.78 daB In der Tat ist es gesichert, daB in der Zeit seit ca. 280 v. Chr. Ptolemaios II. in Teilen Kleinasiens und der Agais eine Oberherrschaft ausubte. Hinsichtlich des ptolemaischen Hegemonialbereichs, wie er sich am Ende der Siebziger Jahre (nach dem Ersten Syrischen Krieg) darstellte, IaBtsich eine viel zitierte Passage aus Theokritheranziehen.In id. 17, dem Enkomionauf Ptolemaios (II.),79 heiBtes in den Versen 86-94 (Subjekt ist der Konig): Kcai llv 4Dotviuca;dnorgveraC 'Appapia; te cai Evpia; Atp-6a; t Xcatvv t Aiitoniv. nlaji-Xotoi TE iRatS KaciaiXgtctai;KtXiKeoot oaaaivet; AuKciouTc Ot XXonToX4totCi Tr Kapai xai vdaot KuKX6aEGatV; ?nEl Oi Viva; PICataa r6vTov ?nirXdCovui; o6Aaooa e niroa icat ata icat noTapoi )ceXac8oVTE;avadaovrat HoRAEaico; ioXXoi & irnfeS noXXot jitv 6itmt&tdat e XaXicCi paptaipovTt oaeaayRevoio6I4aypovrat. Doch er nahmnoch ein Teil vom Landder Phoiniker, Syrer, der Araber, Libyersowie AithiopiensdunklenBewohnern. Ganzaberhater die Machtob Pamphyliern, lanzenbewehrten Kilikern,IykischemVolk, den kampfbegierigen Karem undden kykladischen Inseln,dennsein sind trefflicheSchiffe, die das Meerihm befahren; ganze See unddie Lande die samtden rauschenden FlUssen gehorchen dem WinkPtolemaios'. Mengenvon reisigenMannemundMengenvon FuBvolk Schilden mit scharensich ringsum ihn her,gewappnet funkeindem mit Erze. 77 HellenistischeDichtungII 58. Der Genauigkeit halbersei abergesagt, daBWILAMOWITz eine Reihevon Kultorten weglasst,die in den Versen187-237 erscheinen.Das andert E. aber m. nichtsan dervon ihm konstatierten Auffalligkeit. 78 Ebd.58 f. Hinsichtlich Ikaros'als samischem Besitzhatsich WILAMOWITZ Chronolo- in der gie vertan.SamischeHerrschaft bestand seit dem Endedes 3. Jhs.v. Chr.undzunachstwohl erst nurin dem OTtThermai, nachgewiesenvon L. ROBERT,REG46, 1933,423-42 = OperaMinora SelectaI 548-68. Vgl. N. EHRHARDT, Miletundseine Kolonien,Frankfurt/Main2 I 18 f., I1 1988, 282 f. Anm.67, undA. P. MATTHAIOU, Chiron29, 1999, 230. 79 UntereGrenze fiir die Datierungist der Tod Arsinoes, die 270 oder 268 starb(siehe folgendeAnmerkung). Entstehung Funktion Idylls M. HOSE, Philologus 141, 1997, Zur und des 60 f. (sei als WerbunggegenUber Ptolemaiosals potenziellem neuenAuftraggeber verstehen). zu
  • 19. 286 NORBERTEHRHARDT Mit Hilfe historiographischer, allem aberepigraphischerQuellen IaBtsich die vor ptolemaische Dominanz hinsichtlich einiger Stadte recht genau datieren.80 Auf Samos konnte Ptolemaios II. 281 v. Chr. FuB fassen,81 und seit den siebziger Jahrenbestand die ptolemaische Herrschaftuber mehrerekarische Stadte.82 Hin- sichtlich Milets ist die exakte Chronologie bekannt:83Noch 280(79 war der Seleukide Antiochos eponymer Stephanephorosder Stadt gewesen,84aber schon fur das Folgejahr wird in derselben Eponymenliste vermerkt, daB Milet (unter dem StephanephorosAntenor) Land vom Konig Ptolemaios (II.) erhielt.85Der ptolemaische EinfluBin Milet dauertebis 260/59.86Aus diesen zwanzig Jahrenist einiges an Kontakten, diplomatischen Gesten und punktuellerKooperation be- kannt.Wohl bald nach der Landschenkungerhielt die konigliche Familie von den Milesiern Ehrenstatuen; erhaltenist die Basisinschriftfur Philotera,die Schwester des Ptolemaios und seiner Schwester-Gemahlin Arsinoe.87 Arsinoe erhielt 80 Zum folgendenvor allem HOLBL, Geschichtedes Ptolemaerreiches ff. (mit der hier 35 abgedruckten Theokrit-Stelle); Huss, Agyptenin hellenistischer W. Zeit 332-30 v. Chr.,Mun- chen 2001, 262 ff. Zur AuBenpolitik Ptolemaios' II. auch B. DREYER, Untersuchungen zur Geschichtedes spatklassischen Athen (322-ca. 230 v. Chr.),Stuttgart1999 (HistoriaEinzel- schriften,137),244 ff. - Als Indizienfurptolemaische HerrschaftgeltenStadtbenennungen nach Arsinoesowie Arsinoe-Kulte; geographischeUbersicht DREYER 383 Anm.35 und36. Umbenen- nungenwie Einrichtung KultensindabervielfacherstnachdemTodderKoniginerfolgt,die von 270 oder268 starb; neueren zur Diskussionumdas Todesjahr DREYER 382 mit Anm.28; 384 mit Anm. 37; 388-90. 81 K. HALLOF/CH. MILETA,Chiron 207. 27, 1997,283; DREYER,Untersuchungen 245; HALLOF, IG XII 6, 1 (2000) 347. 82 M. WORRLE, Chiron8, 1978,214 Anm. 61; J. undL. ROBERT,Fouillesd'Amyzonen Carie, 1,Paris 1983, 118-24; HOLBL,Geschichtedes Ptolemaerreiches 35. 83 A. REHM,Kommentar Milet13 Nr. 139(grundlegend); PFEIFFER, Kallimachosstudien, zu R. MUnchen 1922, 17; CH.HABICHT,GGA 213, 1960, 149; W. ORTH, Koniglicher Machtanspruch undstadtischeFreiheit,Munchen1977 (Munchener BeitragezurPapyrusforschung antiken und Rechtsgeschichte, 71), 31; HOLBL,Geschichtedes Ptolemaerreiches 35-38; Huss, Agyptenin hellenistischer 262 mit Anm.63-65; GONTHER Zeit (Anm.98) 196. 84 Milet I 3 Nr. 123 (= SIG3322), 37. Z. 85Ebd.Z. 38-40. 86 Dazudie in Anm. 83 genannte Literatur. 87OGISNr. 35 = IvDidyma(1958) Nr. 115:BaatXioaav4tkanrpav paatkX'o losxgjai- ou o 6ilgo; 6 MtiXiaiov'Apt96t nlo&iilt. Vgl. den Kommentar REHMS undCH.HABICHT ebd. (Besprechung ,,Inschriften Didyma"), der von GGA 213, 1960, 149:,,Ausden beidenJahrzehn- ten der ptolemaischen Herrschaft 279-259 stammtdie Statueder Prinzessin Statuen Philotera". furdas Konigspaar in Miletbzw. Didymanichtnachgewiesen, sind aberzu vermuten. Philotera - stammte Ptolemaios undArsinoeausderEhePtolemaios'I. mitBerenike; wie (II.) dazuPFEIFFER, Kallimachosstudien ff. (ebd. 17 zur Inschrift Didyma).Zu Philotera, nach276, aber 14 aus die noch vor Arsinoe verstarbund die wie diese Kult in Agyptenund den abhangigen Gebieten erhielt,auchM. WORRLE, Chiron9, 1979, 104 f.; HOLBL,Geschichte Ptolemaerreiches 97 des 26. und passim; W. AMELING,Der Neue Pauly 9 (2000) 895 s. v. Philotera;Huss, Agypten in hellenistischer 305. 326. Zeit
  • 20. Poliskulte bei Theokrit und Kallimachos: das Beispiel Milet 287 spatestensnach ihremTod im Jahre270 oder 26888auch in Milet einen Kult.89 Als colonia Milesiorum entstandum 270 im Zuge des Ausbaus und der Neuanlegung ptolemaischerStutzpunkteder Ort Ampelone auf der arabischenHalbinsel.90 Um 262 belobigte Ptolemaios die Milesier wegen ihrerTreue;91 daraufhinvon den ein Milesiern verabschiedeterVolksbeschluB zu Ehren des Konigs enthalt eine Be- stimmung uber die EinfuhrungwiederholterEidesleistung auf die Treue gegenu- ber Ptolemaios.92 Bei dieser Sachlage bleibt WILAMOWIWZ' These, daB die von Kallimachos vorgenommene Auswahl von Artemis-Kultstatten einschlieBlich Milets auf dem Hintergrundder AuBenpolitik Ptolemaios' II. zu sehen ist, plausibel.93Wahr- scheinlich wird man die ThematisierungzentralerKulte und Mythen Milets durch Kallimachos insgesamt als Reflex der politischen Konstellationder Jahrevon 279 bis 259 werten diirfen. Das Bild laBt sich scharfer konturieren,wenn man sich noch einmal klarmacht,welchen Stellenwert Didyma bei Kallimachos einnimmt. Abgesehen davon, daBmit Branchosdie Grundergestalt gewurdigtwird, erscheint 88 Siehe Anm. 80. 89 Altare mit der Inschrift'Apiv6n; Otka6k4ou. Aus Milet kennt man bislang drei Exemplare(Milet I 7 Nr. 288, 289 und ein Ineditum).Zu derartigenAltaren,die auch in Alexandria und im ptolemaischen EinfluBgebietaufgestelltwaren,L. ROBERT,AmStP 1, 1966, 202-8 (= OperaMinoraSelecta VII 626-32). Der hier von ROBERTbesprochenePapyrustext wurde inzwischen neu gelesen und kommentiert von S. SCHORN,Eine Prozessionzu Ehren ArsinoesI1.(P. Oxy. XXVII2465, fr. 2: Satyros,Uberdie Demenvon Alexandreia), Punica- in: Libyca-Ptolemaica. FestschriftfUrW. Huss, hrsg. von K. GEUS/K. ZIMMERMANN, Lowen 2001, 199-220. 90Plin. nat.hist. 6, 159. DazuF. BILABEL,Die ionischeKolonisation,Leipzig 1920 (Philolo- gus Suppl.,14,1),58; HOLBL,Geschichte Ptolemaerreiches (,,nordlich heutigen des 56 des Jidda"). Davonzu trennen derOrtAmpeamTigris,an dem Dareiosnachdem IonischenAufstand ist 494 v. Chr.die deportierten MilesieransiedeinlieB(Hdt.6, 20) undderbei Pliniusals Aple erscheint (6, 134). Vgl. BILABEL f. undJ. OELSNER, Neue Pauly 1 (1996) 607 s. v. Ampe. 57 Der 91Brief des Konigsan Milet:Milet I 3 Nr. 139 A = C. B. WELLES,RoyalCorrespondence in the HellenisticPeriod,London1934,71 ff. Nr. 14, Z. 7-10. Zur Datierungdes SchreibensP. HERRMANN, Milet VI I p. 172 f. Eine deutscheUbersetzung Milet I 3, 139 A-C (vgl. hier von folgendeAnm.) bietenHERRMANN f. undK. BRODERSEN/W. 173 GUNTHER/H.H. SCHMrrT, Histori- sche griechische Inschriften in Ubersetzung, II, Darmstadt 1996, 133-35 Nr. 331. - In seinem Brieferwahnt Ptolemaios auchWohltaten II. seines VatersgegenUber Milet.In welcheZeitdiese zu datierensind,ist in derForschungumstritten; DiskussionHERRMANN 173(mitLiteratur). zur P. 92 MilesischerVolksbeschluB: Milet I 3 Nr. 139 C, Z. 44-51. ZurAbfolge der Dokumente undzumEidP. HERRMANN, romischeKaisereid, Der Gottingen1968(Hypomnemata, 37-39.20), In der Forschungwurde die EinfUhrung Eides oft als ,,Anziehender Ziigel" seitens der des Ptolemaer gedeutet:HERRMANN (mit Literatur) ORTH, Koniglicher 39 und Machtanspruch 31. 93Zwingende Gruinde, eine Datierung Artemis-Hymnus die Zeit vor 260 ausschlie- die des in Ben,gibt es m. W. nicht.Hinsichtlich Datierung der legen sich die meistenGelehrten nichtfest, so etwa BORNMANN ff. und P. M. FRASER,PtolemaicAlexandria, VII Oxford 1972, I 652, 1I915 Anm. 287. Es gibt aberSpatdatierungen die Zeit BerenikesII.): vgl. L. LEHNUS,Der Neue (in Pauly6 (1999) 191 s. v. Kallimachos 3. Nr.
  • 21. 288 NORBERTEHRHARDT Didyma in der Bathykles-Geschichtedadurchhervorgehoben,daBder Protagonist den weisen Thales im Didymeion antrifftund daB Thales schlieBlich die Schale dem Apollon von Didyma weiht; bei dem milesischen HistorikerLeandrios war wahrscheinlichnoch der stadtmilesische Delphinios Adressat gewesen.94Darauf verwies zuletzt H. W. PARKE, der das Interesse des Kallimachos an dem Orakel- heiligtum ebenfalls mit den zwischen Milet und Ptolemaios bestehenden Bezie- hungen erklarte.95 In der Tat liegt die Vermutungnahe, daB Ptolemaios II. nach 279 versuchte, das Thema Didyma ideologisch und praktischzu besetzen, denn zuvor war das Heiligtum seit der Zeit Seleukos' I. beinahe durchgangigvon den Seleukiden gefordert worden, die ihr Geschlecht auf Apollon zuruckfuhrten.96 Explizite Zeugnisse fur ptolemaische Aktivitatenexistieren zwar nicht, aberdoch gewichtige Indizien:Der - namentlichnicht bekannte- Architekt,der das Saulen- monument Ptolemaios' II. und Arsinoes - zugleich Anathem fur Zeus - in Olympia errichtete, wirkte vorher sehr wahrscheinlich bei der Bauplanungdes Didymeions mit.97 Es ist anzunehmen,daBder Konig diesen Mann nach Didyma geschickt hatte, und man konnte sogar vermuten,daBauch ptolemaischesGeld in den Tempelbau floB. In diese Richtung weist m. E. eine jungst veroffentlichte milesische Inschrift, die in willkommener Weise unsere Kenntnis der ptolema- 94 Siehe hier Anm. 75. Die Sache ist nicht ganz klar. Diog. Laert. 1, 27 verweist auf Kallimachos (Thales-Weihung Didyma)und zitiertdanneine Prosafassung, in wonachThales die Schaledem ApollonDelphiniosweihte.PARKE(hierfolgendeAnm.) 130 mit Anm. 28 geht davonaus, daBdiese Fassungvon Leandrios stammt. 95 PARKE,The Templeof Apolloat Didyma, JHS 106, 1986, 121-3 1, bes. 129 f. Zustimmend CAMERON, Callimachus167 ff.; zuruckhaltend AcoSTA-HUGHES,Polyeideia150. 96Belege nennen GUNTHER, Orakel Didyma23 ff. undORTH,Koniglicher von Machtanspruch 18 ff. 97 So W. HOEPFNER, Zwei Ptolemaierbauten. Ptolemaierweihgeschenk Olympiaund Das in ein Bauvorhaben Alexandria, in Berlin1971(Athenische Mitteilungen, Beiheft),50 f. aufgrund 1. der von ihm konstatierten Ahnlichkeitenzwischen den Saulen in Olympia und denen des Dodekastylosim Didymeion(ebd. 7. 42ff). Formalwar Kallikrates von Samos Dedikantin Olympia, wie sich aus den Plinthen-Inschriften ergibt (IvOlympia306 und 307). Der gut bezeugteNauarchin ptolemaischen Diensten(H. HAUBEN,Callicrates Samos, Lowen 1970 of IStudiaHellenistica,18]; W. AMELING,Der Neue Pauly6 [19991 185 f. s. v. Kallikrates 9) Nr. ergriffwahrscheinlichnichtselberdie Initiative,sondern handeltemit dem Einverstandnis oder auf einen ,,Wink" Herrscherpaares so - neben anderen- BRIGIrrE HINTZEN-BOHLEN, des hin: Herrscherreprasentation Hellenismus,Koln/Weimar/Wien im 1992, 79, und BARBARASCHMIDT- DOUNAS, Geschenkeerhaltendie Freundschaft. Politik und Selbstdarstellung Spiegel der im Monumente, Berlin2000, 204. - G. HOLBL, Agyptischer EinfluB dergriechischen in Architektur, JOAI55, 1984, 1-18, hier 16 Anm.78 vergleichtdie Grundrisse Tempelsvon Edfuundvon des Didymaund konstatiert Ubereinstimmungen. vermutet, die Planerdes Didymeionseine Er daB ,,bewuBte Agyptisierung" stelltaberkeinenZusammenhang derPhasedes lagidi- anstrebten, mit schen Einflussesin Milet her und erwahntauch nicht HOEPFNERS Forschungen. These von Die PARKE,daBdas groSePortalim Didymeionsein Vorbildin ,,audience-windows" pharaonischer Palastehabe(JHS 106, 1986, 128), vermagich nichtzu beurteilen.
  • 22. Poliskulte bei Theokrit und Kallimachos: das Beispiel Milet 289 isch-milesischen Beziehungen erweitert. Aus dem von W. GUNTHER publizierten Fragment98 ergibt sich, daB als Reaktion auf einen milesischen Aufruf, den Bau bzw. Weiterbaudes Apollon-Tempels in Didyma zu unterstiitzen, auch die Burger von Naukratis aktiv wurden und Geld spendeten. GUNTHER argumentierteuber- zeugend, daBdiese Hilfsaktion nur mit dem ,,wohlwollenden Einverstandnis" der Ptolemaer untemommen worden sein konnte und wahrscheinlich in jene Jahre fiel, als Milet zu Ptolemaios hielt,9 also die Zeit zwischen 279/78 und 260/59. Anders als beim oben diskutiertenFall Theokrits scheint mir das Interessedes Kallimachos an milesischen Kulten und Mythen am ehesten politisch erklarbar zu sein. Zwar sollte man nicht ubersehen,daBKallimachos haufig an bereits behan- delte Mythen ankniipfte'0 - uber Branchos stand schon etwas bei Hipponax,101 den die hellenistischen Dichter wiederentdeckten,102 - aber bei der Auswahl der Materien, die er neu zu bearbeiten gedachte, wurde der Dichter nicht nur von antiquarischenInteressengeleitet. Miinster NORBERTEHRHARDT 98 W. GUNTHER, SpendenfurDidyma.Zu einerStiftungaus Naukratis, Festschrift W. in: fur Huss (AngabenhierAnm. 89) 185-98. 99Ebd. 196. 100 der umfangreichen Aus Literatur diesemThemasei nurauf einen anregenden zu Aufsatz jungerenDatumsverwiesen:M. HOSE, alexandrinische Der Zeus.ZurStellungderDichtkunst im ReichdererstenPtolemaer, Philologus141, 1997, 46-64, bes. 55 ff. 101P. Oxy. XVIII 2175 fr. 5, 6 = fr. 105 West2=fr. 108 Degani2.Vgl. den Kommentar PFEIFFERS ZU iamb.IV fr. 191,31 sowie DEGANI(Apparat) und ACOSTA-HUGHES, Polyeideia,201. Iamb.I fr. 191, 1-2 Pf. 1aBMKallimachos Hipponaxauftreten danndie Geschichtevon den und der Phialedes Bathykleserzahlen. 102F. JUNG,Hipponax redivivus,Bonn 1929;E. DEGANI,Note sullafortuna Archilocoe di di in Ipponatte epoca ellenistica,QUCC 16, 1973, 79-104; ders., Studi su Ipponatte, Bari 1984, 36 ff. 44 ff.; ACOSTA-HUGHES,Polyeideia,passim(siehe Register346). Vgl. auchE. BOWIE,Der Neue Pauly5 (1998) 607 s. v. Hipponax (mit weitererLiteratur).