1. Biologische Psychologie
14. Bewegungskontrolle durch das Gehirn
Das zentrale motorische System ist hierarchisch organisiert
1.) Assoziationsfelder von Neurocortex und den Basalganglien des Vorderhirns bilden die
obere Ebene; ist für Strategie zuständig (Bewegungsziel + Bewegungsstrategie)
2.) Motorcortex und Kleinhirn bilden die mittlere Ebene; ist für Taktik zuständig
(räumlich-zeitlichen Ablauf von Muskelkontraktionen)
3.) Hirnstamm und Rückenmark bilden die untere Ebene; für Ausführung zuständig
(Aktivierung der Motorneuronen- und Interneuronenpools führen zielgerichtete
Bewegungen herbei und korrigieren die Körperhaltung
- Impulse werden aus dem Hirnstamm an das Thorakal- und Lumbalmark
weitergeleitet; sorgen für die Anpassung der Körperhaltung
- Motoneuronen im Hirnstamm werden aktiviert; sorgen dafür, dass das Ziel im Auge
behalten wird, während Kopf und Körper in Bewegung sind
Anders als bei spinalen Reflexen können einmal begonnene Bewegungen nicht mehr
verändert werden, aber sensorische Infos während der Bewegung haben Einfluss auf
zukünftige ähnliche Bewegungen
Das motorische System des Gehirns könnte auch als sensomotorisches bezeichnet werden;
auf der oberen Ebene erzeugen sensorische Informationen ein mentales Bild vom Körper und
seinem Verhältnis zur Umwelt, auf der mittleren Ebene werden taktische Entscheidungen
getroffen (aufgrund von Infos die zuvor im Gedächtnis gespeichert wurden), auf der unteren
Ebene sorgt das sensorische Feedback für die richtige Körperhaltung, Muskellänge und
Muskelspannung nach der Bewegung
Wie kommuniziert das Gehirn mit den Motorneuronen im Rückenmark? Axone aus dem
Gehirn ziehen in 2 verschiedenen Bahnen abwärts:
- Laterale Bahnen: laufen in der lateralen Säule des Rückenmarks abwärts, kontrollieren
willkürliche Bewegungen der distalen Muskulatur, werden direkt cortical kontrolliert
- Ventromediale Bahnen: laufen in der ventromedialen Säule abwärts, kontrollieren
Körperhaltung und – bewegungen, werden durch Hirnstamm kontrolliert (Abb. 14.2)
Laterale Bahnen: Cortospinaltrakt (= Tractus corticospinalis): wichtigste Komponente der
lateralen Bahnen, entspringt im Neocortex, 10hoch6 Axone lang, 2/3 dieser Axone
entstammen Area 4 (primärer Motorcortex) und Area 6
(prämotorischer/supplementärmotorischer Cortex) des Frontallappens (= motorische Areal
2. der Großhirnrinde = Motorcortex), übrigen Axone entspringen den somatosensorischen
Arealen des Parietallappens und regulieren den Fluss somatosensorischer Informationen zum
Gehirn.
Die corticospinalen Axone verlaufen durch den hinteren Schenkel der Capsula interna und
stellen eine Verbindung zwischen Großhirn und Thalamus her, ziehen über Pons und laufen
an medulla oblongata zu einer Bahn zusammen, die Bahn wölbt sich an der ventralen
Oberfläche (= Pyramide), im Querschnitt erscheint der Corticospinaltrakt dreieckig (=
Pyramidenbahn) (Abb. 14.3)
Die Fasern der Pyramidenbahn kreuzen sich an der Grenze zwischen Medulla und
Rückenmark (= Pyramidenkreuzung) das heisst, dass der rechte Motorcortex die
Bewegungen der linken Seite des Körpers bestimmt und umgekehrt; die Axone des
Cortospinaltrakts enden in der dorsolateralen Region des Vorderhirns und der
dazwischenliegenden grauen Substanz, wo sich Moto- und Interneuronen befinden, die die
distale Muskulatur, insbesondere die Flexoren kontrollieren
Kleinerer Bestandteil der lateralen Bahnen ist der Tractus rubrospinalis, der im roten Kern im
Mittelhirn entspringt, es scheint als wäre diese indirekte corticorubrospinale Bahn im Verlauf
der Evolution bei Primaten weitgehend durch die direkte corticospinale Bahn ersetzt worden
(während sie bei vielen Säugetieren einen wichtigen Beitrag zur Bewegungskontrolle leistet,
ist sie beim Menschen weniger stark ausgeprägt und die meisten seiner Funktionen werden
vom Corticospinaltrakt übernommen)
Schädigungen: Experimente von Donald Lawrence und Hans Kuypers in den späten 60ern:
experimentelle Läsionen bei Affen im Tractus corticospinalis und Tractus rubrospinalis
führten dazu dass keine Teilbewegungen der Arme und Hände mehr möglich waren, auch
willkürliche Bewegungen langsamer und weniger präzise; wurde nur Corticospinaltrakt
beschädigt waren Schädigungen genauso schwer (einzige bleibende Störung: Schwäche der
distalen Flexoren und Unfähigkeit Finger einzeln voneinander zu bewegen), besserten sich
jedoch nach einigen Monaten; wurde zusätzlich Tractus rubrospinalis beschädigt machte das
die Besserung jedoch wieder rückgängig zulässiger Schluss: corticorubrospinales system in
der Lage Verlust des Corticospinaltrakts auszugleichen; beim Menschen: Corticospinaltrakt
oft durch Schlaganfall geschädigt, Folge: Lähmung der kontralateralen Muskulatur, wobei
willkürliche Bewegungen mit der Zeit teilweise wieder möglich werden
Ventromediale Bahnen: 4 absteigende Rückenmarksbahnen, entspringen Hirnstamm und
enden an den Interneuronen im Rückenmark, kontrollieren reflektorisch das Gleichgewicht
und die Körperhaltung anhand sensorischer Informationen über Gleichgewicht,
Körperhaltung und die visuelle Umwelt
• Tractus vestibulospinalis: Funktion: Gleichgewicht bei Lageveränderungen des Körpers
im Raum aufrechtzuerhalten und Kopf in Reaktion auf neue sensorische Reize zu
drehen; hat seinen Ursprung in den Vestibulariskernen der Medulla, die sensorische
Informationen aus dem vestibulären Labyrinth im Innenohr weiterleiten (die durch
3. Flüssigkeit Lage im Raum lokalisieren); * ein Teil des Tractus vestibulospinalis zieht
bilateral im Rückenmark abwärts und aktiviert cervikalen Reflexabläufe, die die Hals-
und Rückenmuskeln kontrollieren und so Kopfbewegung steuern; * ein weiterer Teil
zieht ipsilateral bis ins Lumbalmark, wo Motoneuronen aufrechte Haltung und
Gleichgewicht kontrollieren
• Tractus tectospinalis: entspringt im Colliculus superior des Mittelhirns, verfügt über
direkte Eingänge aus Retina sowie Projektionsfasern aus dem visuellen Cortex und
afferente Axone, die somatosensorische und auditorische Informationen weiterleiten,
mithilfe dieser Informationen wird Karte erstellt, Reize lösen Orientierungsreaktion
aus, wobei sich Kopf und Augen so bewegen, dass der entsprechende Punkt im Raum
auf der Sehgrube (Fovea) abgebildet wird)
• Der Pontine und der Medulläre Retikulospinaltrakt: beide Bahnen haben ihren
Ursprung in der formatio reticularis im Hirnstamm (diese erhält aus vielen
verschiedenen Quellen Input und ist auch an vielen verschiedenen Funktionen
beteiligt); pontine Retikulospinaltrakt: aktiviert Extensoren der unteren Extremitäten
und hält Gleichgewicht entgegen der Schwerkraft aufrecht, medulläre
Retikulospinaltrakt: hebt die reflektorische Kontrolle der Antischwerkraftmuskeln auf
– die Aktivität beider Bahnen wird durch absteigende Signale aus dem Cortex
kontrolliert
Motorcortex: = Areale 4 und 6 der Hirnrinde, aber: an der Kontrolle willkürlicher
Bewegungen fast gesamter Neocortex beteiligt, für willkürliche Bewegung braucht es einen
Plan und Befehle zu seiner Umsetzung, was jeweils von unterschiedlichen Regionen der
Großhirnrinde übernommen wird; Area 4 liegt anterior des Sulcus centralis und Area 6
unmittelbar anterior von Area 4 (Abb. 14.7)
Den unmittelbaren Beweis, dass diese Areale beim Menschen den Motorcortex bilden
erbrachte Wilder Penfield indem er das Gehirn von Epilepsiepatienten im Bereich der Area 4
elektrisch stimulierte und herausfand, dass die Stimulation zu einem Zucken von
Muskelgruppen der kontralateralen Extremitäten führt. Stimulation der Area 6 führt zu
komplexen Bewegungen auf beiden Seiten des Körpers. Er fand zwei somatotp organisierte
motorische Karten in Area 6:
- Prämotorisches Areal PMA: an retikulospinale Neuronen gekoppelt, die proximale
motorische Einheiten innervieren
- Supplemetär-motorisches Areal SMA: seine Axone innervieren distale motorische
Einheiten
Der Parietal- und Präfrontalcortex helfen dabei Entscheidungen über Handlungsweisen und
die Ergebnisse einer Handlung zu fällen. Area 5 im Parietalcortex ist das Ziel der Inputs aus
den primären somatosensorischen Rindenfeldern 1,2 und 3 (siehe Kapitel 12). Area 7 im
Parietalcortex ist das Projektionsgebiet von visuellen Rindenfeldern höherer Ordnung. Bei
4. Läsionen in diesen Arealen zeigen sich bizarre Störungen des Körperbilds und der
Wahrnehmung von räumlichen Verhältnissen. Der präfrontale und der parietale Cortex
senden Axone, die in Area 6 zusammenlaufen. Area 6 ist somit die Verbindungsstelle, wo
Signale, die die Art der gewünschten Handlung codieren in Signale umgewandelt werden, die
festlegen auf welche Weise die Handlung durchgeführt wird.
Jüngste Studien stützen die Annahme, dass Area 6 (SMA und PMA) an der Planung von
Bewegungen beteiligt ist: es wurde die Aktivität von Neuronen in der entsprechenden Region
bei wachen Tieren beobachtet kurz bevor diese eine Handbewegung ausübten. Vor der
Bewegung beider Hände nimmt die Entladungsrate von Zellen im SMA zu, was darauf
schließen lässt, dass die supplementären Areale der beiden Hemisphären über das Corpus
callosum eng verbunden sind. Bei SMA-Läsionen treten Bewegungsdefizite infolge dessen
verstärkt auf, wenn eine Aktivität beide Hände verlangt. Die Unfähigkeit komplexe
motorische Handlungen auszuführen wird Apraxie genannt.
Basalganglien: subcortikale Informationen, die zu Area 6 geleitet werden, stammen vor
allem aus dem Nucleus ventralis lateralis oder VL-Kern (im Thalamus), ein Teil dieses Kerns
(VLo) bekommt Eingänge von den Basalganglien, die Basalganglien wiederrum sind Ziel der
Großhirnrinde (v.a. frontalen, präfrontalen und parietalen Cortex). Es handelt sich also um
eine Funktionsschleife, zu deren Funktionen die Selektion und Initiation willkürlicher
Bewegungen gehört (Abb. 14.10)
Die Basalganglien bestehen aus dem Nucleus caudatus, dem Putamen, dem Pallidum und
dem Nucleus subthalamicucs. Die schwarze Substanz ist eine Struktur im Mittelhirn die
wechselseitig mit den Basalganglien des Vorderhirns verknüpft ist. Nucleus caudatus und
Putamen bilden zusammen das Striatum, welches die Eingangsstation für cortikalen Input ist.
Aus dem Pallidum werden Informationen an den Thalamus geleitet. Die Basalganglien sind
an vielen parallelen Schaltkreisen beteiligt, von denen nur wenige strikt motorisch sind,
einige hängen mit bestimmten Aspekten von Gedächtnis und kognitiver Funktion zusammen.
Die direkteste Bahn der motorischen Funktionsschleife, die über die Basalganglien läuft,
entspringt einer exzitatorischen Verbindung aus dem Cortex und trifft im Putamen ein.
Putamenzellen sind inhibitorisch mit Neuronen im Pallidum verbunden, diese wiederrum
inhibiitorisch mit den Zellen im VLo. Die Zellen des VLo sind mit dem SMA exzitatorisch
verbunden (thalamocortikale Verbindung). Hier passiert die Entladung bewegungsrelevanter
Zellen. Die cortikale Aktivierung des Putamen führt zu einer Exzitation des SMA durch den
VL. In Ruhe sind die Neuronen im Pallidum spontan aktiv und hemmen daher den VL. Die
cortikale Aktivierung sorgt für eine Erregung der Putamenneuronen, was somit die Neuronen
im Pallidum hemmt und dazu führt dass die hemmende Wirkung auf die Zellen im VLo
nachlässt (Abb. 14. 12)
Störungen der Basalganglien:
- Morbus Parkinson: hypokinetische Störung (Bewegungsarmut aufgrund gesteigerter
Hemmung des Thalamus durch die Basalganglien), Symptome:
5. Bewegungsverlangsamung (Bradykinesie), Schwierigkeiten eine beabsichtigte
Bewegung zu beginnen (Akinesie), muskuläre Hypertonie (Rigor) und
Zitterbewegungen (Tremor); Ursache: Degeneration dopaminerger Neuronen in der
Substantia nigra, durch den Dopaminentzug wird der Pfad, der über die Basalganglien
und VLo die Aktivität im SMA ankurbelt. Bei Parkinsontherapien wird dem Körper L-
Dopa (eine Dopaminvorstufe) zugeführt, die im Gegensatz zu Dopamin selbst die Blut-
Hirn-Schranke passiert und die DA-Synthese in den überlebenden Zellen anregt.
- Chorea Huntington: erbliche hyperkinesische (Bewegungssteigerung, verursacht
durch verminderten Output der Basalganglien) motorische Störung mit dementieller
Entwicklung und tödlicher Folge. Symptome treten in der Regel erst im
Erwachsenenalter auf, es ist aber möglich durch Gentests zu klären ob jemand Träger
des Gens ist. Ursache der Krankheit ist ein massiver Neuronenverlust im caudatus und
Pallidum sowie eine Zelldegeneration in der Großhirnrinde.
- Ballismus: (auch Hemiballismus gennant, da meist nur eine Körperhälfte betroffen
ist), durch heftige weitausholende Bewegungen der Extremitäten gekennzeichnet,
verursacht durch eine Schädigung des subthalamischen Kerns, meist infolge einer
Unterbrechung der Blutzufuhr durch einen Schlaganfall.
Das SMA ist eng mit M1, = Area 4, verbunden. Sie ist nicht das einzige Cortexareal dass an
der Steuerung von Bewegungen beteiligt ist, jedoch liegt hier die Schwelle für die Auslösung
von Bewegungen am niedrigsten. Die Area 4 ist aufgebaut aus Pyramidenzellen, die ihren
Input v.a. aus anderen Cortexarealen (Area 6 und 1,2,3 in der Nachbarschaft) und dem
Thalamus (VLc – ein Teil des VL Kerns).
Kleinhirn: das Kleinhirn ist für die Kontrolle von Bewegungen zuständig. Störungen des
Kleinhirns führen zu einer gestörten Muskelkoordination, die jede gezielte Bewegung
unmöglich macht (Ataxie). Störungen führen zu Dyssynergie (= die Unfähigkeit
Bewegungsabläufe gleichzeitig zu koordinieren, stattdessen werden sie nacheinander
getätigt) oder Dysmetrie (man trifft sein Ziel nicht bei einer gezielten Bewegung). Ähnliche
Symptome sind auch in Folge einer Alkoholvergiftung zu beobachten.
Das Kleinhirn sitzt auf kräftigen Stielen (= Pedunculi), die vom Pons ausgehen, die Struktur ist
blumenkohlartig. Der sichtbare Teil ist eine dünne Rindenschicht, die mehrfach gefaltet ist,
die Oberfläche ist durch eine Reihe querlaufender Wülste (= Folia) gekennzeichnet. Die tiefer
liegenden Furchen unterteilen das Kleinhirn in 10 Lobuli (= Lappen). Das Kleinhirn weißt eine
hohe Neuronendichte auf (nur 10% des Gesamtvolumens, aber mehr als 50% aller ZNS-
Neuronen). Die tiefen Kleinhirnkerne (tief in der weißen Substanz liegende Neuronen) leiten
einen Großteil der Informationen aus der Kleinhirnrinde zu den verschiedenen
Hirnstammregionen. Das Kleinhirn ist im Gegensatz zum Großhirn nicht deutlich in der Mitte
geteilt. Die Mittellinie, eine Wulst (= Vermis oder Wurm genannt) trennt die beiden lateralen
Kleinhirnhemisphären. Der Vermisoutput gelangt direkt zu den Hirnstammstrukturen
6. (welche die axiale Muskulatur kontrollieren), die Hemisphären hingegen sind mit anderen
Strukturen verknüpft (v.a. Großhirnrinde). (Abb. 14.17).
Der einfachste Schaltkreis im Kleinhirn bildet eine weitere Funktionsschleife. Axone, die aus
den Pyramidenzellen des sensomotorischen Cortex´ entspringen, bilden eine Projektion zu
Neuronenclustern im Pons. Die sogenannten Brückenkerne leiten die Informationen aus dem
Großhirn dann ans Kleinhirn weiter. Das laterale Kleinhirn projiziert dann über eine
Relaystation im VL-Kern des Thalamus zurück zum Motorcortex. Das Kleinhirn ist ein
wichtiger Ort für motorisches Lernen. Hier wird das, was beabsichtigt ist, mit dem verglichen,
was bereits geschehen ist.