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Uni-GH Siegen, WS 2002/2003
Hausarbeit im Rahmen des Seminars „Modelle der Medientheorie“
Dozent: Dr. Rainer Leschke
Enzensberger contra Baudrillard
„Medientheorien“
Maik Wiesegart
Matrikelnummer: 621337
Medien-Planung, -Entwicklung und –Beratung
Am Semberg 41
58809 Neuenrade
E-Mail: maik@wiesegart.de
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Hans Magnus Enzensberger
1.2. Jean Baudrillard
2. Thesen Enzensbergers in „Baukasten zu einer Theorie der Medien“
2.1. „Bewusstseins-Industrie“
2.2. Die mobilisierende Kraft der Medien
2.3. Zensur, totale Kontrolle
2.4. Manipulation
2.5. Neue (elektronische) Medien sind egalitär
2.6. Netzwerke
2.7. Diskussion der Thesen Enzensbergers
3. Thesen Baudrillards in „Requiem für die Medien“
3.1. Es gibt keine Medientheorie
3.2. Rede ohne Antwort
3.3. Symbolische Aktion und Subversion
3.4. Das Modell „Sender – Botschaft – Empfänger“
3.5. Diskussion der Thesen Baudrillards
4. Diskussion der Thesen Enzensbergers und Baudrillards
5. Stellungnahme
6. Literaturverzeichnis
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1. Einleitung
Im folgenden Aufsatz möchte ich die wichtigsten Thesen der Autoren Hans Magnus
Enzensberger und Jean Baudrillard, in ihren Arbeiten „Baukasten einer Theorie der Medien“
und „Requiem für die Medien“, darstellen und diskutieren. Dabei werde ich auch versuchen
zur heutigen Situation des Mediensystems Bezüge herzustellen.
Einleitend möchte ich nun die beiden Autoren kurz vorstellen, um anhand ihrer Lebensläufe,
bzw. Texte und Werke, ihre Argumentationen besser verstehen und darstellen zu können.
1.1. Hans Magnus Enzensberger
Hans Magnus Enzensberger wurde am 11.11.1929 in Kaufbeuren im Allgäu geboren.
Nach dem Studium der Germanistik, Literaturwissenschaft und Philosophie, Promotion in
Erlangen zum Dr. Phil. ("Über das dichterische Verfahren in Clemens Brentanos
lyrischem Werk"). Er arbeitete als Rundfunkredakteur und Lektor bei verschiedenen
Verlagen. Von 1965 bis 1975 ist er Mitherausgeber der politischen Zeitschrift
„Kursbuch“1
, 1980 gründet er außerdem die Zeitschrift „TransAtlantik“ mit. Seine
literarischen Arbeiten erstrecken sich von Lyrik über erzählende Prosa und Dramatik, bis
hin zu Hörspielen, Opernlibretti, Kinderbücher und Filmdrehbücher. Daneben ist er vor
allem als Essayist bekannt geworden.
Als Mitglied der „Gruppe 47“, die „[…] das Forum für literarische Diskussion und
Kommunikation, sowie gesellschaftliche Reflexion in zwanzig Jahren
Nachkriegsdeutschland“ (Wecker, 1999) war, wollten Enzensberger und weitere Autoren,
durch Diskussion und Reflexion einen Neuanfang in Deutschland, Richtung Demokratie
unterstützen. Themen waren vor allem das totalitäre Regime, das Nachkriegsdeutschland
und die Rolle von Politik und Gesellschaft (Vgl. Wecker, 1999).
Enzensberger gehört laut Schanze „zur Nachkriegsgeneration linksliberaler Intellektueller,
die zu maßgeblichen Wortführern einer skeptischen Öffentlichkeit wurden“ (Schanze et
al, 2002).
1.2. Jean Baudrillard
Jean Baudrillard wurde 1929 in Reims geboren, studierte Germanistik und Soziologie.
Von 1958 bis 1966 arbeitete er als Gymnasiallehrer, bevor er von 1966 bis 1986 Assistent
an der Universität Paris-Nanterre wurde; später Chef-Assistent und Professor für
Soziologie. Seine Dissertation „Le système des objets“ (dt: „Das System der Dinge“)
schrieb Baudrillard im März 1966. 1986 habilitierte er an der Pariser Universität
Panthéon-Sorbonne und übernahm von 1986 bis 1990 die wissenschaftliche Leitung des
IRIS (Institut de Recherche et d'information Socio-économique) an der Universität in
Paris-Dauphine, bevor er freiwillig aus der Universität ausschied, da sich seine Texte
nicht mit der üblichen Form wissenschaftlicher, soziologischer Arbeiten vereinbaren
ließen. „Baudrillard gilt als einer der prägnantesten Vertreter postmoderner
Theoriebildung“ (Schanze et al, 2002). Sein Ansehen als Medientheoretiker ist dabei
weniger im Bezug auf eine explizite Begriffsbildung in diesem wissenschaftlichen
Bereich anzusehen, denn Baudrillard versteht es mehr ein gewisses Anregungspotential
1
"Kursbücher schreiben keine Richtungen vor. Sie geben Verbindungen an, und sie gelten so lange wie diese
Verbindungen. So versteht die Zeitschrift ihre Aktualität. Eine Revue, von der sich, noch ehe sie vorhanden ist,
angeben ließe, wie sie es meint und was drin stehen wird, wäre überflüssig; man könnte an ihrer Statt ein
Verzeichnis von Ansichten publizieren." (Hans Magnus Enzensberger über die Zeitschrift Kursbuch; Quelle:
Zeitschrift für Kulturaustausch; http://www.ifa.de/zfk/themen/01_3_europa/dkafka.htm am 10.04.2003)
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durch seine Gedanken in seinen Texten zu geben. Von vielen Künstlern und aus Sicht der
Medienbranche „[…] wird Baudrillard als ein Denker wahrgenommen, der
zeitgenössische Erfahrungen wie kaum ein anderer zu artikulieren versteht“ (Schanze et
al, 2002). Seien Thesen im Bezug auf das Mediensystem sind bei Fachwissenschaftlern
allerdings umstritten (Vgl. Schanze et al, 2002).
2. Thesen Enzensbergers in „Baukasten zu einer Theorie der Medien“
Bei der Lektüre von Enzensbergers „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ fällt sofort der
ungewöhnliche Titel seines Aufsatzes auf. Das Wort „Baukasten“ lässt eine mehrdeutige
Interpretation zu, dass darauf schließen lässt, dass er mit seinen Essays nicht nur
Wissenschaftliches zu vermitteln versucht, sondern auch eine politische Ausdrucksform seine
Texte prägt, „[…]denn ohne die Veränderungen, die die Studentenbewegung bewirkte, wäre
die Propagierung seiner Thesen gar nicht denkbar“ (Eggers, 1981).
Gleich zu Beginn seines Textes führt er ein Zitat aus Brechts Rede über die Funktion des
Rundfunks an, welches als Indiz für die Berufung auf Brechts Ausführungen zu seiner
Radiotheorie angesehen werden kann. Dies wird aber auch im weiteren Text deutlich.
In den folgenden Abschnitten möchte ich die Hauptthesen Enzensbergers im Einzelnen
darstellen.
2.1. „Bewusstseins-Industrie“
Zentraler Begriff der Enzensbergerschen Ausführungen über eine Theorie der Medien ist
der der „Bewusstseins-Industrie“. Gemeint ist hier die Gesamtheit der (elektronischen)
Medien und ihrer gesellschaftlich-ökonomischen Verflechtungen, die durch die
vorherrschenden westlichen Gesellschaftsformen alle „Sektoren der Produktion infiltriert“
und immer mehr „Steuerungs- und Kontrollfunktionen“ übernimmt.
Enzensberger fordert eine sozialistisch (marxistisch) orientierte Medientheorie, um die
von ihm erwähnte „mobilisierende“ bzw. „emanzipatorische“ Kraft der Medien zu nutzen.
2.2. Die mobilisierende Kraft der Medien
Enzensberger vermutet das Geheimnis der elektronischen Medien in ihrer
„mobilisierenden Kraft“ steckt, wobei der das Wort im Sinne der geistigen Mobilität,
sprich Freiheit, benutzt. Propaganda schließt er dabei ausdrücklich aus, da sie zu einer
„Entpolitisierung“ führt, die genau das Gegenteil seiner Forderungen darstellt.
Die „Kommunikationsmedien“ verdienen seiner Meinung nach nicht diese Bezeichnung,
da sie Kommunikation eher unterbinden als unterstützen. Seiner Ansicht nach sind dafür
aber nicht die technischen Vorraussetzungen das Problem, sondern die Verhinderung von
politischer Seite. An dieser Stelle verweist er wiederum auf die Forderungen Brechts nach
dem Rundfunk als „Kommunikationsapparat“ (Brecht, 1932). Ein wichtiger Begriff in
dieser Beziehung ist der des „Feedbacks“.
Distributionsmedien, wie sie seiner Meinung nach ausschließlich in der Medienlandschaft
vorzufinden sind, mit einer rein technischen Differenzierung zwischen Sender und
Empfänger, spiegeln lediglich die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen „Produzenten
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und Konsumenten“ (die Problematik des „Feedbacks“ ist bei Enzensberger nicht
technischer Natur, sondern ein gesellschaftliches Problem; herrschende versus beherrschte
Klassen.) wieder. Hier verweist Enzensberger indirekt auch auf die Grundproblematik der
Aufteilung von Kapital und Arbeit hin. Dadurch wird der politische Anspruch seines
Essays klar, da er seine Argumentation auf die gesellschaftspolitische Funktion der
Medien, insbesondere auf die „[…] ästhetische, pädagogische und mediale Bedeutung der
Medien“ (Kim, 2000) legt.
2.3. Zensur, totale Kontrolle
Enzensberger behauptet, dass eine Zensur in Mediensystemen („Bewusstseins-Industrie“)
nicht mehr möglich ist, die „totale Kontrolle gehört der Vergangenheit an. Es würde einen
größeren Apparat als das System selbst erfordern, eine Überprüfung (bzw. Zensur) in
diesen Systemen zu vollziehen. Seiner Meinung nach sind „Informationsquarantänen“
(totale Kontrolle der Medien, Zensur) wie im Stalinismus und Nationalsozialismus in
„spätindustriellen Gesellschaften“, nur um den „Preis bewusster industrieller Regression
möglich“.
2.4. Manipulation
Den „Linken“ wirft Enzensberger vor, die These der Manipulation durch Medien, als
Entschuldigung für die Ohnmacht gegenüber einem System zu gebrauchen, dessen
Gebrauch Manipulation (im wörtlichen Sinn) eigentlich immer voraussetzt. Jeglicher
Eingriff in Material, das gesendet oder gedruckt wird, ist eine Manipulation der
gegebenen Realität (bzw. Ereignis). Er fordert, dass ein revolutionärer Entwurf nicht die
Manipulation zum verschwinden zu bringen hat, sondern einen Jeden zum „Manipulateur“
zu machen hat, da heißt ein jeder sollte die Möglichkeit haben für die Medien zu
produzieren und somit zu manipulieren.
2.5. Neue (elektronische) Medien sind egalitär
„Durch einen einfachen Schaltvorgang kann jeder an ihnen teilnehmen“ schreibt
Enzensberger. Sie (>die neuen Medien) heben jegliche Bildungsprivilegien innerhalb der
Gesellschaft auf und führen damit zu einer Abschaffung von „Monopolen der
bürgerlichen Intelligenz“.2
Seiner Auffassung nach sind die Medien (vor allem die
elektronischen Medien) egalitär, weil der technische Zugang so weit vereinfacht worden
ist, dass jeder ohne Vorwissen an ihnen „teilnehmen“ kann, bzw. sie empfangen kann.
Daneben wirft Enzensberger den neuen Medien vor, dass sie „aktionsorientiert“ und
vergänglich seien und damit im Gegensatz zum bürgerlichen Verlangen nach
„Traditionen“ und „Dauer“ stehen. Er hebt hier allerdings hervor, dass Medien
„Geschichte“ konservieren könnten und dieses Wissen über die Vergangenheit nicht nur
einer bestimmten Bevölkerungsschicht (er spricht in diesem Zusammenhang von einer
„Gelehrtenkaste“) vorbehalten ist.
2
Enzensberger erwähnt hier die Möglichkeit der Fernsehprogramme für „privilegierte Gruppen“, die er zwar als
strukturell widersinnig bezeichnet, zu denen man heute aber durchaus die so genannten „Pay-TV-Programme“
zählen kann. Hier ist das entscheidende Kriterium die Bezahlbarkeit dieses Dienstes, womit meiner Meinung
nach ein Programm für eine privilegierte Gruppe vorhanden ist.
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Im nächsten Abschnitt des Textes weist Enzensberger darauf hin, dass Medien nicht nur
„Konsumtionsmittel“ seien, denn sie seien ebenso „Produktionsmittel“. In diesem
Zusammenhang sieht er im Grundsatz keinen Unterschied zwischen Produzent und
Konsument, da er in den elektronischen Medien durch eingreifende („ökonomische und
administrative“) Vorkehrungen erst „künstlich“ geschaffen werden müsste.
Er fordert schließlich einen „Kampf“ der „sozialistischen Bewegungen“, um eigene
„Frequenzen und Relais-Stationen“.3
Hier wird seine Position im Bezug auf einen
revolutionären Entwurf zur Umkehrung der vorherrschenden gesellschaftlichen
Verhältnisse klar: Er fordert eine Selbstorganisation („Kampf um Frequenzen“) zur
Änderung der Verhältnisse hin zum gesellschaftlichen Anliegen. Enzensberger stützt
diese Position durch seine Aussage im nachfolgenden Abschnitt seines Textes, er sagt:
„Nur eine freie sozialistische Gesellschaft könnte dieses Ziel erreichen und die Medien
produktiv machen“.
2.6. Netzwerke
Enzensberger sieht in netzwerkartig organisierten Medien (Kommunikationsnetzen) die
Chance, die „Isolation der einzelnen Teilnehmer am gesellschaftlichen Lern- und
Produktionsprozess“ aufzuheben4
. Er sieht darin die Chance der „Massen“ durch ein
„kollektives“, „organisiertes“ und „aggressives“ Vorgehen (jeder wird zum „Produzenten“
von Medieninhalten), bestehende gesellschaftliche Verhältnisse, die von den
beherrschenden Klassen diktiert werden, aufzubrechen. Seiner Meinung nach ist dies der
„politische Kern der Medienfrage“.
2.7. Diskussion der Thesen Enzensbergers
Mit dem Begriff „Bewusstseinsindustrie“ knüpft Enzensberger direkt auf den von
Adorno/Horkheimer geprägten Begriff der „Kulturindustrie“ an. Enzensberger geht
allerdings, im Gegensatz zu Adornos Ausführungen von „industriell hergestellten
Kulturgütern“, mehr auf die politischen und gesellschaftlichen Folgen von industrieller
Vermittlung und Veränderung von Bewusstsein ein. (Vgl. Groscurth, 2000).
Enzensberger wirft der „politischen Linken“ vor der generellen „Manipulationsthese“
verfallen zu sein. Er schreibt, dass ein „revolutionärer Entwurf“ (gemeint ist hier ein
Umbruch gesellschaftlicher Verhältnisse hin zu Gleichheit zwischen „herrschenden und
beherrschten Klassen“) einen jeden zu einem „Manipulateur“ zu machen hat. Das heißt,
dass jeder zum Produzenten (und Konsumenten) medialer Inhalte zu werden hat. Seine
Forderungen in Bezug auf eine Umstrukturierung gesellschaftlicher Verhältnisse, um aus
passiven Konsumenten medialer Inhalte, eigenverantwortliche, kollektiv (und damit
jeglicher Kontrolle durch die herrschenden Schichten entzogen) handelnde Produzenten
von Inhalten zu machen, klingt äußerst visionär und stützt die Ansicht des politischen
Gehaltes in seinem Text.
3
An dieser Stelle wird Enzensbergers Anlehnung an Brechts Radiotheorie klar, denn er fordert grundlegend die
Benutzung des Mediums Radio.
4
Meiner Meinung nach weist Enzensberger hier vorhersagend auf die Entwicklung des Internets hin, in dem die
Möglichkeit, dass jeder zum „Produzenten“ (wie auch Konsumenten) wird, nahezu Wirklichkeit geworden ist.
Die letzte Hürde ist hier die Beherrschung technischer Standards, die durch neue Technologien allerdings immer
geringer wird.
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Enzensbergers Ausführungen in Bezug auf den Zensurbegriff, wie auch der These, dass
die elektronischen Medien egalitär sind, greifen, wie bereits erwähnt, auf die Entwicklung
des Internets (bzw. weiterer Computernetze) voraus. Eine totale Kontrolle im Netz ist
heute fast unmöglich (es gibt auch hier Ausnahmen, wie zum Beispiel die VR China5
), da
aufgrund der dezentralisierten Struktur dieses Netzes jederzeit Inhalte global geändert,
kopiert und veröffentlicht werden können. Ebenfalls durch das Internet (und weitere
digitale Medien: CD, DVD, usw.) ist ein gleichberechtigter Zugang zu Wissen und
Bildung geschaffen worden, den Enzensberger schon 1970 propagiert.
Meiner Meinung nach ist sein „Medienbaukasten“ auch als eine Debatte/Kritik aktueller
gesellschaftlicher Verhältnisse im Bezug auf Mediennutzung und Mediengebrauch
anzusehen. Dieser Meinung ist auch Kyung-Nan Kim, der in seinem Buch über die
medienkritischen Positionen Enzensbergers schreibt: „Enzensberger definiert die Medien
entsprechend ihrem Nutzen für die Gesellschaft (Kim, 2002).“ Er sieht in Enzensbergers
Text die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen, im
Bezug auf das Mediensystem.
3. Thesen Baudrillards in „Requiem für die Medien“
Baudrillards „Requiem für die Medien“ (erschienen 1972) kann als unmittelbare Antwort auf
den Text von Enzensberger gesehen werden, da er jegliche Thesen von Enzensberger (und
weiteren Autoren/Medientheoretikern) aufgreift. Im Folgenden werde ich versuchen die
Thesen Baudrillards darzustellen und anschließend zu diskutieren.
Wie bei Enzensberger benutzt auch Baudrillard einen Titel für seinen Text, der bereits
Spielraum für Interpretationen seiner Absicht zulässt. Das „Requiem“ (oder heute auch die
Totenmesse) ist in der christlichen Kirche der geläufige Ausdruck für das Auferstehungssamt
an dem Tag, an dem die Beerdigung stattfindet. Eine eventuelle Negativität Baudrillrads
gegenüber den Medien oder gegenüber anderer Ansichten (Theorien) im Bezug auf Medien
könnte hier vorliegen, soll aber im Weiteren diskutiert werden.
3.1. Es gibt keine Medientheorie
Mit seiner These, dass es keine Theorie der Medien gibt, verurteilt er die theoretischen
Überlegungen Enzensbergers im Bezug auf eine sozialistische Theorie der Medien, in
dem er ihm vorwirft, dass er lediglich „ […] die virtuelle Ausweitung der Waren/Form auf
alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zur Kenntnis […]“ genommen hat.6
Baudrillard behauptet, dass die marxistische „Theorie der Produktion“ nicht auf Inhalte
übertragen werden kann, mit der sie sich nicht beschäftigt hat. Dies führt seiner Meinung
nach dazu, dass sie keine „Antwort (im Bezug auf eine Theorie der Medien) zu geben
vermag“.
5
In China kommt eine Mischung aus vage formulierten gesetzlichen Bestimmungen, direkter Zensur und
staatlich verordneter bzw. freiwilliger Selbstzensur der Anbieter von Internetdiensten zum Einsatz. Selbstzensur
spielt dabei die zentrale Rolle; direkte staatliche Eingriffsmöglichkeiten dienen der Abschreckung (Wacker,
2001)
6
Baudrillard wendet sich in seinem Text ebenfalls an McLuhan, was ich allerdings aufgrund der
Aufgabenstellung ausgelassen habe.
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3.2. Die Rede ohne Antwort
So lautet der zweite Abschnitt von Baudrillards Text, der sich wiederum mit der Ansicht
Enzensbergers beschäftigt, dass die Medien nur Nicht-Kommunikation fabrizieren
würden. Baudrillard ist mit dieser „Hypothese“ nicht einverstanden, er weist darauf hin,
dass „die Medien dasjenige sind, welches die Antwort für immer versagt“. Seiner
Meinung nach beruht das „System der sozialen Kontrolle und Macht“ auf der Eigenschaft
der Medien nur zu „Geben“. „ […] Macht gehört demjenigen, der zu geben vermag und
dem nicht zurückgegeben werden kann.“ Eine Revolution wäre für Baudrillard eine
„Möglichkeit der Antwort“ (über die Medien), wofür er allerdings eine „Umwälzung der
gesamten Medienstruktur“ voraussetzt.
Ferner bricht er mit Enzensbergers Auffassung, dass zwischen Produzenten und
Konsumenten kein Unterschied vorliegt (er müsse bei den elektronischen Medien
künstlich geschaffen werden), in dem er davon ausgeht, dass Konsum in unserer
Gesellschaft nur noch über das „Nehmen“ definiert sei. Er schreibt, dass der Konsum von
Produkten und Botschaften (gesellschaftlich) mit dem Verbot der Antwort (des
Zurückgebens) belegt sei. Dadurch wird auch die These Enzensbergers, dass erstmals
eine „massenhafte Teilnahme am gesellschaftlichen, produktiven Prozess“ mittels der
Medien stattfinden kann, von ihm widerlegt.
Für Baudrillard ist hier „das Fernsehen die Gewissheit, dass die Leute nicht mehr
miteinander reden, dass sie angesichts einer Rede ohne Antwort endgültig isoliert sind“
3.3. Symbolische Aktion und Subversion
Baudrillard analysiert in diesem Abschnitt die Unruhen der 68er im Bezug auf die
Massenmedien. Der fälschlicherweise entstandene Eindruck einer „symbolischen Aktion“
und die Verwendung der Massenmedien zur Auslösung einer Kettenreaktion, werden von
Baudrillard widerlegt. Seine Meinung ist, dass die Medien nicht zu einer Verstärkung der
„revolutionären Bewegung“ beigetragen haben, weil sie ihre „Form bewahrt“ haben.
Baudrillard ist davon überzeugt, dass die Form der Medien (sie strahlen ein Ereignis in die
„abstrakte Allgemeinheit der öffentlichen Meinung aus) unausweichlich mit dem
Machtsystem solidarisiert. Baudrillard spricht hier von einem „Rhythmus und Sinn“ der
Bewegung im Mai 68, der durch die Berichterstattung der Medien verloren gegangen ist.
Seiner Meinung wird, gleich der technischen Reproduzierbarkeit bei Kunst(werken), bei
der Ausstrahlung eines solchen Ereignisses der Sinn entleert, da das Ereignis an sich,
durch die Übertragung in den Medien nur noch in Zeichen und Codes empfangen werden
kann und somit auch die Absicht der Subversion verloren geht.
Hier bringt er das Beispiel der „Straße als alternative und subversive Form der
Massenmedien“, denn anders als bei einer medialen Übertragung kann hier ein
symbolischer Austausch geschehen, das heißt der Sinn an sich bleibt erhalten und wird
nicht durch die Reproduktion in einem Medium verfälscht. Es bleibt außerdem die
Möglichkeit der „unmittelbaren“ Interaktion, bzw. Kommunikation (Antwort), die bei
einer solchen Bewegung unverzichtbar ist und durch die Medien unmöglich gemacht
wird.
3.4. Das Modell „Sender – Botschaft – Empfänger“
Baudrillard ist der Meinung, dass dieses wissenschaftliche Modell nicht stimmt. Seiner
Meinung nach ist ein reines Simulationsmodell au dem von vorneherein die „Reziprozität,
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der Antagonismus der Partner oder die Ambivalenz ihres Austausches ausgeschlossen
sind“, da die Botschaft an sich durch „Codierung“ unmöglich zum Austauschen gemacht
wird. Baudrillard schreibt „[…] es ist der Code, der alle beide „en respect“, „in Zaum“
hält. Es spricht hier davon, dass die Beteiligten von Kommunikation auf Distanz gehalten
werden, da sie die Botschaft an sich nicht mehr verstehen können.
Das heißt in seinem Sinne, dass eine Kommunikation erst gar nicht stattfinden kann, da
die wichtigsten Eigenschaften liquidiert werden durch das Zwischenschalten von Medien.
Groscurth schreibt dazu: „Die Realitäten (die zu kommunizierenden Ereignisse) werden
auf Codes reduziert, die deren Unterscheidbarkeit unmöglich machen“ (Groscurth, 2002).
3.5. Diskussion der Thesen Baudrillards
Baudrillard geht davon aus, dass eine sozialistische Theorie der Medien nicht haltbar sei,
und die Annahme, dass eine Umkehrung des Verhältnisses zwischen Sender und
Empfänger möglich ist, nicht haltbar ist. Die Funktion der Massenmedien nur zu Senden
sei festgeschrieben und impliziert auch gesellschaftliche Machtverhältnisse, die durch ihre
Funktion nur zu „geben“ definiert sind.
Er geht grundlegend davon aus, dass der Inhalt durch die Medien seines Sinnes „beraubt“
wird, da die „[…] oft mehrdeutigen und uneindeutigen Botschaften, die den
Kommunikationsprozess normalerweise ausmachen, durch die Eindeutigkeit und
Unhintergehbarkeit technisch-instrumenteller Codes“ (Fahle, 2002) ausgelöscht werden.
Baudrillard widerspricht in seinem Text nicht nur den Thesen und Auffassungen
Enzensbergers, sondern kritisiert auch die vorhandenen wissenschaftlichen
Kommunikationsmodelle und deren Anwendung auf die Medien, die seiner Meinung nach
„Nicht-Kommunikation“ produzieren.
Baudrillards Text ist meiner Meinung nach auf der einen Seite als Kritik an der eher
politischen Sichtweise Enzensbergers (wie auch Brecht) zu verstehen, aber auch als
kritische Infragestellung der bisherigen Grundannahmen wissenschaftlicher
Kommunikationsmodelle, auf die sich wiederum Enzensberger bezieht.
4. Diskussion der Thesen Enzensbergers und Baudrillards
In diesem Abschnitt werde ich die Thesen der beiden Autoren gegenüberstellen und
diskutieren.
Grundlegend kritisiert Baudrillard in seinem Text die Forderung Enzensbergers nach einer
marxistischen Medientheorie (siehe 3.1), in dem er schreibt, dass die marxistische Theorie
nicht auf etwas (die Medien) übertragen werden kann mit dem sie sich nie beschäftigt hat.
Er begräbt Enzensbergers positive Visionen von Medien und Gesellschaft, weil er der Ansicht
ist, dass Medien nicht als „Vehikel“ von Inhalten angesehen werden können. Die Problematik
liegt in der Abstraktheit im Bezug auf die „Abtrennung, die Abschaffung des Tauschs“,
womit Baudrillard hier den Austausch von Inhalten über Medien meint.7
Baudrillard unterstellt Enzensberger hier eine falsche Sichtweise der Problematik: Während
Enzensberger das Modell „Sender - Botschaft - Empfänger“ für seine Zwecke „umkehrt“,
sieht Baudrillard das Problem schon in diesem Modell. Seine Ausführungen gehen dahin, dass
dieses Modell nur eine Simulation darstellt, auf keinen Fall aber als funktionierend im Bezug
auf Kommunikation durch/mittels Medien angesehen werden kann.
7
Baudrillard versteht unter „Austausch“ eine Form der Kommunikation, die der „face-to-face“ –
Kommunikation gleichkommt. Baudrillard sieht es als Unmöglich an über ein Medium einen Austausch in
diesem Sinne zu vollziehen, da die genannten Merkmale Reziprozität, der Antagonismus der Partner oder die
Ambivalenz ihres Austausches durch ein Medium nicht übertragen werden können.
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Enzensbergers Auffassung, die der Brechts folgt, aus den vorhandenen Medien
Kommunikationsmedien, das heißt einen jeden zum Produzenten zu machen, teilt Baudrillard
nicht. Er ist der Meinung, dass eine solche Umstrukturierung das Mediensystem an sich
„umwälzen“ müsste, da sich gesellschaftliche Machtverhältnisse aus der Struktur der
Massenmedien ergeben und umgekehrt.
An dieser Stelle muss man die Überlegung anstellen, was mit so einer Umstrukturierung
überhaupt erreicht werden kann und sollte. Nimmt man als Beispiel eine höchst interaktive
Form eines Mediums, zum Beispiel „kommunikatives TV“ so ist hier festzustellen, wenn
jeder Teilnehmer einer Gruppe (oder Gesellschaft) an einem Programm für ein solches
Medium mitgestaltet (das heißt nach Enzensberger mitproduziert), so wird es eine große
Menge an individuellen Informationen bzw. „Botschaften“ geben. Und sollte ein jeder
Teilnehmer auch noch ein unterschiedliches Programm gestalten wollen, so wird es
möglicherweise bei der Rezeption Probleme geben.
Ein gewisses Maß an Chaos ist vorprogrammiert, da Botschaften bzw. Informationen nur
noch „gesendet“ ohne rezipiert zu werden8
. Als Beispiel sei hier das Projekt „Piazza virtuale –
Van Gogh TV“ im Rahmen der „Dokumenta 9“ genannt, das ich in einer Hausarbeit mit dem
Thema „Ist interaktives Fernsehen wirklich interaktiv?“ untersucht habe: „Piazza virtuale“
war eine interaktive Fernsehsendung, in der ein vollautomatischer Sendeapparat von
Zuschauern gesteuert und zur Unterhaltung miteinander genutzt werden konnte. Die
Zuschauer konnten neben akustischen Mitteilungen per Telefon (Anrufe wurden von einem
PC automatisch angenommen und die Stimme des Anrufers wurde direkt als Audio-Kanal in
die laufende Sendung geschaltet), auch per Modem Text übertragen, der auf der Fernseh-
Oberfläche Zeile für Zeile abgebildet wurde. Daneben war es möglich ein Fax zu senden,
dessen Inhalt durch einen Rechner modifiziert wurde und anschließend ebenfalls auf Sendung
geschaltet wurde. In der Nähe des Sendestudios waren zudem so genannte „Entry-Points“
aufgestellt, an denen per Videokamera und integriertem Mikrofon auch Bilder und Töne
direkt in die laufende Sendung geschaltet werden konnten. Die „Piazza virtuale“ präsentierte
sich dem Zuschauer als computergesteuerte Fernsehoberfläche, auf der Schrift, Bild, Video,
Computeranimation, Ton und Musik gleichzeitig erscheinen konnten und er selbst konnte
jederzeit in das Geschehen eingreifen (Vgl. Lütjens, 1996).
Baudrillard geht in seinem Text aber noch einmal auf Enzensbergers Forderung ein und ist
der Meinung, dass er eher an eine von „Lesern redigierte, verteilte und hergestellte Presse“
denkt, als ein System zu fordern, welches das „Monopol“ auf die technische
Reproduzierbarkeit hat. In diesem Fall Baudrillard bezeichnet die „Rede“ als das eigentliche
„Monopol“.
Enzensberger ist der Auffassung, dass eine Zensur (oder wie er es nennt „totale Kontrolle“)
des Mediensystems nicht mehr durchführbar ist, da ein größerer Überwachungsapparat als der
„Medienapparat“ (Mediensystem) selbst notwendig wäre. Diese Feststellung kann man gerade
im Zeitalter des Internets sehr gut nachvollziehen. Nicht nur die Masse an Informationen
erschwert das Ausfiltern von nicht erwünschten (in Deutschland gegen das Gesetz
verstoßende Inhalte, wie z.B. harte Pornografie, Gewaltverherrlichung,
Nationalsozialistisches Gedankengut usw.) Inhalten, sondern auch die globale Verbreitung
und „Empfangsmöglichkeit“, die eine strafrechtliche Verfolgung der Produzenten solcher
Inhalte fast unmöglich macht.
8
Diese Problematik kann man persönlich nachvollziehen, wenn man heutzutage vor der Entscheidung steht, sich
für einen Fernsehkanal aus dem umfangreichen Angebot des digitalen TV zu entscheiden. Die Masse an
Angeboten hat mittlerweile schon Anwendungen herausgebracht die den Zuschauer durch das Programm leiten.
So genannte „Electronic Program Guides“ (EPG), führen den Benutzer durch das Angebot des digitalen
Fernsehens, indem Präferenzen angegeben werden, zu denen der EPG die passenden Formate heraussucht.
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Baudrillard ist dagegen der Meinung, dass die „Ausweitung der Medien“
(Massenmediatisierung) nicht automatisch eine Zensur „liquidieren“ würde. Er sagt, dass die
Medien in der Lage seien, dass „was sie negiert, als zusätzliche Variable einzuführen“ und
damit in ihrer „Operation selbst die Zensur seien“ (>in diesem Zusammenhang spricht er von
„dezentralisiertem Totalitarismus“).
Baudrillard sieht hier meiner Meinung nach eine Form der Selbstzensur (durch die
Produzenten medialer Inhalte), die heute üblicherweise bei kommerziellen Medien praktiziert
wird, wobei hier allerdings wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen.
5. Stellungnahme
Enzensberger verfolgt mit seinem Aufsatz nicht das Ziel eine grundsätzliche Medientheorie
aufzustellen oder zu kritisieren. Er geht vor allem auf eine vorherrschende Medienpraxis bzw.
den Umgang mit Medien ein und sieht die Aufgabe einer Umstrukturierung der
Medienlandschaft als gesellschaftliche Aufgabe und nicht als ökonomischen Alleingang der
„kapitalistisch“ orientierten Industrie. Allem voran stellt er hier einen „emanzipatorischen“
Medienumgang, der seiner Meinung nach den bisher repressiven ersetzen sollte, um eine
Umstrukturierung gesellschaftlicher Verhältnisse zu erreichen (Vgl. Weigel, 1998). Dabei
lehnt er sich an die Texte von Bertolt Brecht „Der Rundfunk als Kommunikationsapparat“(der
mit seiner Rede über die Funktion des Rundfunks, 40 Jahre zuvor visionäre Forderungen an
den Umgang mit Medien, in diesem Fall dem Medium Radio, stellt) und Walter Benjamin
„Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. Benjamin legt, wie
Enzensberger auch, seinen Blickpunkt nicht nur auf das Thema Massenmedien und Kunst,
sondern zieht auch (kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung) Parallelen zur
politischen Situation.
Der wissenschaftliche Gehalt seiner Arbeit, lässt sich meiner Meinung nach eher als
wissenschaftskritisch auffassen. Da das Fach „Medienwissenschaft“ in Deutschland erst Mitte
der 70er Jahre langsam etabliert wird, kann man durchaus behaupten, dass Enzensbergers
Ausführungen einer kritischen und weitsichtigen wissenschaftlichen Betrachtung der Medien
in der Bundesrepublik dienlich waren.
Baudrillard kritisiert in den medientheoretischen Ansätzen Enzensbergers, Brechts und
McLuhans die Auseinandersetzung mit dem Manipulationspotential der Medien. Seiner
Ansicht nach gibt es keine Medientheorie, weil der Bereich der Zeichen und Codes (die für
den Prozess der Kommunikation wichtig sind) bei einer solchen Betrachtung, nämlich das
Medium als „Vehikel“ des Inhaltes anzusehen, in den Hintergrund tritt.
Baudrillards „Requiem für die Medien“ entstand unmittelbar als „Antwort“ auf den Text
Enzensberger im Jahr 1972. Er versucht jede These Enzensbergers zu widerlegen und legt
sein Hauptaugenmerk darauf, dass die Medien eigentlich Kommunikation (Austausch)
verhindern, ja sogar „Nicht-Kommunikation“ produzieren. Er fordert indirekt die
Abschaffung (Dekonstruktion) der Medien, um wieder einen Austausch zu ermöglichen, was
für ihn das „wahre revolutionäre Medium“ ist. An dieser Stelle muss ich Baudrillard
widersprechen, denn ich bin der Meinung, dass erst durch die Entwicklung der
Mediensysteme in den westlichen Gesellschaften, ein solches demokratisches Wertesystem
geschaffen werden konnte, wie wir es heute vorfinden.
Baudrillard verkennt meiner Meinung nach auch die Forderung von Enzensberger nach einer
Einflussnahme der Teilnehmer in dem Punkt, dass das was gesendet wird (sei es nun im
Radio oder im Fernsehen) gewissermaßen schon durch den Einfluss des Zuschauers geprägt
wird. In der Form, dass die Sender ihr Programm auf den Zuhörer/Zuschauer „zuschneiden“.
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Würde nämlich ein Programm gesendet das keiner hört, wäre das die denkbar schlechteste
Variante für den Rundfunk (beachten muss man dabei natürlich auch den wirtschaftlichen
Aspekt der Werbung, in diesem Fall besonders zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen
Sendern). Das heißt aber auch andersherum, dass der Zuhörer (trotz der distributiven
Eigenschaft der Medien) doch einen indirekten Einfluss auf das hat, was gesendet wird,
indem er es (nicht) hört, sieht oder „konsumiert“. Diesen Einfluss kann man durchaus auch als
Feedback bezeichnen, auch wenn dieses Feedback nicht im Sinne einer Interaktion
(Kommunikation) direkt über das jeweilige Medium gegeben werden kann.
Baudrillard widerspricht zwar in seinem Aufsatz den Thesen und Forderungen Enzensberger
(und dadurch auch den Ansätzen Brechts), kann aber meiner Meinung nach auch keinen
Lösungsansatz eines „gerechten Umgangs“ mit Medien liefern. Zusätzlich lässt sich aus
seinen Thesen eine Ablehnung gegenüber den Medien herauslesen.
- 13 -
Literaturverzeichnis
Baudrillard, Jean (1972). Requiem für die Medien. In: Kursbuch Medienkultur. Die
maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart: DVA.
Benjamin, Walter (1934/35). Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit. In: Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis
Baudrillard. Stuttgart: DVA.
Eggers, Ingrid (1981). Veränderungen des Literaturbegriffs im Werk von Hans Magnus
Enzensberger. Frankfurt am Main: Verlag Peter D. Lang.
Enzensberger, Hans Magnus (1970). Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Kursbuch
Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart: DVA.
Fahle, Oliver (2002). Französische Medientheorien.
<http://www.information-philosophie.de/philosophie/medientheorie.html> 10.04.2003.
Groscurth, Henning. Medientheorie.txt. <http://www.groscurth.com/text/medientheorie.htm>
10.04.2003.
Lütjens, Ole (1996). Rendezvous im Drahtrahmengarten. Diplomarbeit im Fachbereich
Visuelle Kommunikation/Telematik der Hochschule für bildende Künste Hamburg.
<http://www.scara.com/~ole/index.html> 26.09.2002.
Schanze, Helmut (Hg.); Pütz, Susanne (2002). Metzler-Lexikon Medientheorie –
Medienwissenschaft: Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Stuttgart, Weimar: Metzler.
Wacker, Gudrun (2001).Widerstand ist zwecklos. Internet und Zensur in China.
Vortrag bei der DGA-Tagung am 18.5.2001 (Deutsch-Japanisches Zentrum)
<http://www.swp-berlin.org/fgs/09/widerchinadruck.html >14.04.2003.
Wecker, Angelika (1999). Die Gruppe 47.
<http://www.uni-ulm.de/LiLL/senior-info-mobil/module/Lit47.htm> 10.04.2003.
Weigel, Marius (1998). Darstellung, Analyse und Vergleich der Ansätze einer Theorie der
Medien von Marshall McLuhan und Hans Magnus Enzensberger. Hausarbeit im Fach
Mediensoziologie an der Uni Freiburg. Gefunden unter <http://www.hausarbeiten.de>
9.04.2003.

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Medientheorien: Enzensberger contra Baudrillard

  • 1. - 1 - Uni-GH Siegen, WS 2002/2003 Hausarbeit im Rahmen des Seminars „Modelle der Medientheorie“ Dozent: Dr. Rainer Leschke Enzensberger contra Baudrillard „Medientheorien“ Maik Wiesegart Matrikelnummer: 621337 Medien-Planung, -Entwicklung und –Beratung Am Semberg 41 58809 Neuenrade E-Mail: maik@wiesegart.de
  • 2. - 2 - Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 1.1. Hans Magnus Enzensberger 1.2. Jean Baudrillard 2. Thesen Enzensbergers in „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ 2.1. „Bewusstseins-Industrie“ 2.2. Die mobilisierende Kraft der Medien 2.3. Zensur, totale Kontrolle 2.4. Manipulation 2.5. Neue (elektronische) Medien sind egalitär 2.6. Netzwerke 2.7. Diskussion der Thesen Enzensbergers 3. Thesen Baudrillards in „Requiem für die Medien“ 3.1. Es gibt keine Medientheorie 3.2. Rede ohne Antwort 3.3. Symbolische Aktion und Subversion 3.4. Das Modell „Sender – Botschaft – Empfänger“ 3.5. Diskussion der Thesen Baudrillards 4. Diskussion der Thesen Enzensbergers und Baudrillards 5. Stellungnahme 6. Literaturverzeichnis
  • 3. - 3 - 1. Einleitung Im folgenden Aufsatz möchte ich die wichtigsten Thesen der Autoren Hans Magnus Enzensberger und Jean Baudrillard, in ihren Arbeiten „Baukasten einer Theorie der Medien“ und „Requiem für die Medien“, darstellen und diskutieren. Dabei werde ich auch versuchen zur heutigen Situation des Mediensystems Bezüge herzustellen. Einleitend möchte ich nun die beiden Autoren kurz vorstellen, um anhand ihrer Lebensläufe, bzw. Texte und Werke, ihre Argumentationen besser verstehen und darstellen zu können. 1.1. Hans Magnus Enzensberger Hans Magnus Enzensberger wurde am 11.11.1929 in Kaufbeuren im Allgäu geboren. Nach dem Studium der Germanistik, Literaturwissenschaft und Philosophie, Promotion in Erlangen zum Dr. Phil. ("Über das dichterische Verfahren in Clemens Brentanos lyrischem Werk"). Er arbeitete als Rundfunkredakteur und Lektor bei verschiedenen Verlagen. Von 1965 bis 1975 ist er Mitherausgeber der politischen Zeitschrift „Kursbuch“1 , 1980 gründet er außerdem die Zeitschrift „TransAtlantik“ mit. Seine literarischen Arbeiten erstrecken sich von Lyrik über erzählende Prosa und Dramatik, bis hin zu Hörspielen, Opernlibretti, Kinderbücher und Filmdrehbücher. Daneben ist er vor allem als Essayist bekannt geworden. Als Mitglied der „Gruppe 47“, die „[…] das Forum für literarische Diskussion und Kommunikation, sowie gesellschaftliche Reflexion in zwanzig Jahren Nachkriegsdeutschland“ (Wecker, 1999) war, wollten Enzensberger und weitere Autoren, durch Diskussion und Reflexion einen Neuanfang in Deutschland, Richtung Demokratie unterstützen. Themen waren vor allem das totalitäre Regime, das Nachkriegsdeutschland und die Rolle von Politik und Gesellschaft (Vgl. Wecker, 1999). Enzensberger gehört laut Schanze „zur Nachkriegsgeneration linksliberaler Intellektueller, die zu maßgeblichen Wortführern einer skeptischen Öffentlichkeit wurden“ (Schanze et al, 2002). 1.2. Jean Baudrillard Jean Baudrillard wurde 1929 in Reims geboren, studierte Germanistik und Soziologie. Von 1958 bis 1966 arbeitete er als Gymnasiallehrer, bevor er von 1966 bis 1986 Assistent an der Universität Paris-Nanterre wurde; später Chef-Assistent und Professor für Soziologie. Seine Dissertation „Le système des objets“ (dt: „Das System der Dinge“) schrieb Baudrillard im März 1966. 1986 habilitierte er an der Pariser Universität Panthéon-Sorbonne und übernahm von 1986 bis 1990 die wissenschaftliche Leitung des IRIS (Institut de Recherche et d'information Socio-économique) an der Universität in Paris-Dauphine, bevor er freiwillig aus der Universität ausschied, da sich seine Texte nicht mit der üblichen Form wissenschaftlicher, soziologischer Arbeiten vereinbaren ließen. „Baudrillard gilt als einer der prägnantesten Vertreter postmoderner Theoriebildung“ (Schanze et al, 2002). Sein Ansehen als Medientheoretiker ist dabei weniger im Bezug auf eine explizite Begriffsbildung in diesem wissenschaftlichen Bereich anzusehen, denn Baudrillard versteht es mehr ein gewisses Anregungspotential 1 "Kursbücher schreiben keine Richtungen vor. Sie geben Verbindungen an, und sie gelten so lange wie diese Verbindungen. So versteht die Zeitschrift ihre Aktualität. Eine Revue, von der sich, noch ehe sie vorhanden ist, angeben ließe, wie sie es meint und was drin stehen wird, wäre überflüssig; man könnte an ihrer Statt ein Verzeichnis von Ansichten publizieren." (Hans Magnus Enzensberger über die Zeitschrift Kursbuch; Quelle: Zeitschrift für Kulturaustausch; http://www.ifa.de/zfk/themen/01_3_europa/dkafka.htm am 10.04.2003)
  • 4. - 4 - durch seine Gedanken in seinen Texten zu geben. Von vielen Künstlern und aus Sicht der Medienbranche „[…] wird Baudrillard als ein Denker wahrgenommen, der zeitgenössische Erfahrungen wie kaum ein anderer zu artikulieren versteht“ (Schanze et al, 2002). Seien Thesen im Bezug auf das Mediensystem sind bei Fachwissenschaftlern allerdings umstritten (Vgl. Schanze et al, 2002). 2. Thesen Enzensbergers in „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ Bei der Lektüre von Enzensbergers „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ fällt sofort der ungewöhnliche Titel seines Aufsatzes auf. Das Wort „Baukasten“ lässt eine mehrdeutige Interpretation zu, dass darauf schließen lässt, dass er mit seinen Essays nicht nur Wissenschaftliches zu vermitteln versucht, sondern auch eine politische Ausdrucksform seine Texte prägt, „[…]denn ohne die Veränderungen, die die Studentenbewegung bewirkte, wäre die Propagierung seiner Thesen gar nicht denkbar“ (Eggers, 1981). Gleich zu Beginn seines Textes führt er ein Zitat aus Brechts Rede über die Funktion des Rundfunks an, welches als Indiz für die Berufung auf Brechts Ausführungen zu seiner Radiotheorie angesehen werden kann. Dies wird aber auch im weiteren Text deutlich. In den folgenden Abschnitten möchte ich die Hauptthesen Enzensbergers im Einzelnen darstellen. 2.1. „Bewusstseins-Industrie“ Zentraler Begriff der Enzensbergerschen Ausführungen über eine Theorie der Medien ist der der „Bewusstseins-Industrie“. Gemeint ist hier die Gesamtheit der (elektronischen) Medien und ihrer gesellschaftlich-ökonomischen Verflechtungen, die durch die vorherrschenden westlichen Gesellschaftsformen alle „Sektoren der Produktion infiltriert“ und immer mehr „Steuerungs- und Kontrollfunktionen“ übernimmt. Enzensberger fordert eine sozialistisch (marxistisch) orientierte Medientheorie, um die von ihm erwähnte „mobilisierende“ bzw. „emanzipatorische“ Kraft der Medien zu nutzen. 2.2. Die mobilisierende Kraft der Medien Enzensberger vermutet das Geheimnis der elektronischen Medien in ihrer „mobilisierenden Kraft“ steckt, wobei der das Wort im Sinne der geistigen Mobilität, sprich Freiheit, benutzt. Propaganda schließt er dabei ausdrücklich aus, da sie zu einer „Entpolitisierung“ führt, die genau das Gegenteil seiner Forderungen darstellt. Die „Kommunikationsmedien“ verdienen seiner Meinung nach nicht diese Bezeichnung, da sie Kommunikation eher unterbinden als unterstützen. Seiner Ansicht nach sind dafür aber nicht die technischen Vorraussetzungen das Problem, sondern die Verhinderung von politischer Seite. An dieser Stelle verweist er wiederum auf die Forderungen Brechts nach dem Rundfunk als „Kommunikationsapparat“ (Brecht, 1932). Ein wichtiger Begriff in dieser Beziehung ist der des „Feedbacks“. Distributionsmedien, wie sie seiner Meinung nach ausschließlich in der Medienlandschaft vorzufinden sind, mit einer rein technischen Differenzierung zwischen Sender und Empfänger, spiegeln lediglich die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen „Produzenten
  • 5. - 5 - und Konsumenten“ (die Problematik des „Feedbacks“ ist bei Enzensberger nicht technischer Natur, sondern ein gesellschaftliches Problem; herrschende versus beherrschte Klassen.) wieder. Hier verweist Enzensberger indirekt auch auf die Grundproblematik der Aufteilung von Kapital und Arbeit hin. Dadurch wird der politische Anspruch seines Essays klar, da er seine Argumentation auf die gesellschaftspolitische Funktion der Medien, insbesondere auf die „[…] ästhetische, pädagogische und mediale Bedeutung der Medien“ (Kim, 2000) legt. 2.3. Zensur, totale Kontrolle Enzensberger behauptet, dass eine Zensur in Mediensystemen („Bewusstseins-Industrie“) nicht mehr möglich ist, die „totale Kontrolle gehört der Vergangenheit an. Es würde einen größeren Apparat als das System selbst erfordern, eine Überprüfung (bzw. Zensur) in diesen Systemen zu vollziehen. Seiner Meinung nach sind „Informationsquarantänen“ (totale Kontrolle der Medien, Zensur) wie im Stalinismus und Nationalsozialismus in „spätindustriellen Gesellschaften“, nur um den „Preis bewusster industrieller Regression möglich“. 2.4. Manipulation Den „Linken“ wirft Enzensberger vor, die These der Manipulation durch Medien, als Entschuldigung für die Ohnmacht gegenüber einem System zu gebrauchen, dessen Gebrauch Manipulation (im wörtlichen Sinn) eigentlich immer voraussetzt. Jeglicher Eingriff in Material, das gesendet oder gedruckt wird, ist eine Manipulation der gegebenen Realität (bzw. Ereignis). Er fordert, dass ein revolutionärer Entwurf nicht die Manipulation zum verschwinden zu bringen hat, sondern einen Jeden zum „Manipulateur“ zu machen hat, da heißt ein jeder sollte die Möglichkeit haben für die Medien zu produzieren und somit zu manipulieren. 2.5. Neue (elektronische) Medien sind egalitär „Durch einen einfachen Schaltvorgang kann jeder an ihnen teilnehmen“ schreibt Enzensberger. Sie (>die neuen Medien) heben jegliche Bildungsprivilegien innerhalb der Gesellschaft auf und führen damit zu einer Abschaffung von „Monopolen der bürgerlichen Intelligenz“.2 Seiner Auffassung nach sind die Medien (vor allem die elektronischen Medien) egalitär, weil der technische Zugang so weit vereinfacht worden ist, dass jeder ohne Vorwissen an ihnen „teilnehmen“ kann, bzw. sie empfangen kann. Daneben wirft Enzensberger den neuen Medien vor, dass sie „aktionsorientiert“ und vergänglich seien und damit im Gegensatz zum bürgerlichen Verlangen nach „Traditionen“ und „Dauer“ stehen. Er hebt hier allerdings hervor, dass Medien „Geschichte“ konservieren könnten und dieses Wissen über die Vergangenheit nicht nur einer bestimmten Bevölkerungsschicht (er spricht in diesem Zusammenhang von einer „Gelehrtenkaste“) vorbehalten ist. 2 Enzensberger erwähnt hier die Möglichkeit der Fernsehprogramme für „privilegierte Gruppen“, die er zwar als strukturell widersinnig bezeichnet, zu denen man heute aber durchaus die so genannten „Pay-TV-Programme“ zählen kann. Hier ist das entscheidende Kriterium die Bezahlbarkeit dieses Dienstes, womit meiner Meinung nach ein Programm für eine privilegierte Gruppe vorhanden ist.
  • 6. - 6 - Im nächsten Abschnitt des Textes weist Enzensberger darauf hin, dass Medien nicht nur „Konsumtionsmittel“ seien, denn sie seien ebenso „Produktionsmittel“. In diesem Zusammenhang sieht er im Grundsatz keinen Unterschied zwischen Produzent und Konsument, da er in den elektronischen Medien durch eingreifende („ökonomische und administrative“) Vorkehrungen erst „künstlich“ geschaffen werden müsste. Er fordert schließlich einen „Kampf“ der „sozialistischen Bewegungen“, um eigene „Frequenzen und Relais-Stationen“.3 Hier wird seine Position im Bezug auf einen revolutionären Entwurf zur Umkehrung der vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse klar: Er fordert eine Selbstorganisation („Kampf um Frequenzen“) zur Änderung der Verhältnisse hin zum gesellschaftlichen Anliegen. Enzensberger stützt diese Position durch seine Aussage im nachfolgenden Abschnitt seines Textes, er sagt: „Nur eine freie sozialistische Gesellschaft könnte dieses Ziel erreichen und die Medien produktiv machen“. 2.6. Netzwerke Enzensberger sieht in netzwerkartig organisierten Medien (Kommunikationsnetzen) die Chance, die „Isolation der einzelnen Teilnehmer am gesellschaftlichen Lern- und Produktionsprozess“ aufzuheben4 . Er sieht darin die Chance der „Massen“ durch ein „kollektives“, „organisiertes“ und „aggressives“ Vorgehen (jeder wird zum „Produzenten“ von Medieninhalten), bestehende gesellschaftliche Verhältnisse, die von den beherrschenden Klassen diktiert werden, aufzubrechen. Seiner Meinung nach ist dies der „politische Kern der Medienfrage“. 2.7. Diskussion der Thesen Enzensbergers Mit dem Begriff „Bewusstseinsindustrie“ knüpft Enzensberger direkt auf den von Adorno/Horkheimer geprägten Begriff der „Kulturindustrie“ an. Enzensberger geht allerdings, im Gegensatz zu Adornos Ausführungen von „industriell hergestellten Kulturgütern“, mehr auf die politischen und gesellschaftlichen Folgen von industrieller Vermittlung und Veränderung von Bewusstsein ein. (Vgl. Groscurth, 2000). Enzensberger wirft der „politischen Linken“ vor der generellen „Manipulationsthese“ verfallen zu sein. Er schreibt, dass ein „revolutionärer Entwurf“ (gemeint ist hier ein Umbruch gesellschaftlicher Verhältnisse hin zu Gleichheit zwischen „herrschenden und beherrschten Klassen“) einen jeden zu einem „Manipulateur“ zu machen hat. Das heißt, dass jeder zum Produzenten (und Konsumenten) medialer Inhalte zu werden hat. Seine Forderungen in Bezug auf eine Umstrukturierung gesellschaftlicher Verhältnisse, um aus passiven Konsumenten medialer Inhalte, eigenverantwortliche, kollektiv (und damit jeglicher Kontrolle durch die herrschenden Schichten entzogen) handelnde Produzenten von Inhalten zu machen, klingt äußerst visionär und stützt die Ansicht des politischen Gehaltes in seinem Text. 3 An dieser Stelle wird Enzensbergers Anlehnung an Brechts Radiotheorie klar, denn er fordert grundlegend die Benutzung des Mediums Radio. 4 Meiner Meinung nach weist Enzensberger hier vorhersagend auf die Entwicklung des Internets hin, in dem die Möglichkeit, dass jeder zum „Produzenten“ (wie auch Konsumenten) wird, nahezu Wirklichkeit geworden ist. Die letzte Hürde ist hier die Beherrschung technischer Standards, die durch neue Technologien allerdings immer geringer wird.
  • 7. - 7 - Enzensbergers Ausführungen in Bezug auf den Zensurbegriff, wie auch der These, dass die elektronischen Medien egalitär sind, greifen, wie bereits erwähnt, auf die Entwicklung des Internets (bzw. weiterer Computernetze) voraus. Eine totale Kontrolle im Netz ist heute fast unmöglich (es gibt auch hier Ausnahmen, wie zum Beispiel die VR China5 ), da aufgrund der dezentralisierten Struktur dieses Netzes jederzeit Inhalte global geändert, kopiert und veröffentlicht werden können. Ebenfalls durch das Internet (und weitere digitale Medien: CD, DVD, usw.) ist ein gleichberechtigter Zugang zu Wissen und Bildung geschaffen worden, den Enzensberger schon 1970 propagiert. Meiner Meinung nach ist sein „Medienbaukasten“ auch als eine Debatte/Kritik aktueller gesellschaftlicher Verhältnisse im Bezug auf Mediennutzung und Mediengebrauch anzusehen. Dieser Meinung ist auch Kyung-Nan Kim, der in seinem Buch über die medienkritischen Positionen Enzensbergers schreibt: „Enzensberger definiert die Medien entsprechend ihrem Nutzen für die Gesellschaft (Kim, 2002).“ Er sieht in Enzensbergers Text die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen, im Bezug auf das Mediensystem. 3. Thesen Baudrillards in „Requiem für die Medien“ Baudrillards „Requiem für die Medien“ (erschienen 1972) kann als unmittelbare Antwort auf den Text von Enzensberger gesehen werden, da er jegliche Thesen von Enzensberger (und weiteren Autoren/Medientheoretikern) aufgreift. Im Folgenden werde ich versuchen die Thesen Baudrillards darzustellen und anschließend zu diskutieren. Wie bei Enzensberger benutzt auch Baudrillard einen Titel für seinen Text, der bereits Spielraum für Interpretationen seiner Absicht zulässt. Das „Requiem“ (oder heute auch die Totenmesse) ist in der christlichen Kirche der geläufige Ausdruck für das Auferstehungssamt an dem Tag, an dem die Beerdigung stattfindet. Eine eventuelle Negativität Baudrillrads gegenüber den Medien oder gegenüber anderer Ansichten (Theorien) im Bezug auf Medien könnte hier vorliegen, soll aber im Weiteren diskutiert werden. 3.1. Es gibt keine Medientheorie Mit seiner These, dass es keine Theorie der Medien gibt, verurteilt er die theoretischen Überlegungen Enzensbergers im Bezug auf eine sozialistische Theorie der Medien, in dem er ihm vorwirft, dass er lediglich „ […] die virtuelle Ausweitung der Waren/Form auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zur Kenntnis […]“ genommen hat.6 Baudrillard behauptet, dass die marxistische „Theorie der Produktion“ nicht auf Inhalte übertragen werden kann, mit der sie sich nicht beschäftigt hat. Dies führt seiner Meinung nach dazu, dass sie keine „Antwort (im Bezug auf eine Theorie der Medien) zu geben vermag“. 5 In China kommt eine Mischung aus vage formulierten gesetzlichen Bestimmungen, direkter Zensur und staatlich verordneter bzw. freiwilliger Selbstzensur der Anbieter von Internetdiensten zum Einsatz. Selbstzensur spielt dabei die zentrale Rolle; direkte staatliche Eingriffsmöglichkeiten dienen der Abschreckung (Wacker, 2001) 6 Baudrillard wendet sich in seinem Text ebenfalls an McLuhan, was ich allerdings aufgrund der Aufgabenstellung ausgelassen habe.
  • 8. - 8 - 3.2. Die Rede ohne Antwort So lautet der zweite Abschnitt von Baudrillards Text, der sich wiederum mit der Ansicht Enzensbergers beschäftigt, dass die Medien nur Nicht-Kommunikation fabrizieren würden. Baudrillard ist mit dieser „Hypothese“ nicht einverstanden, er weist darauf hin, dass „die Medien dasjenige sind, welches die Antwort für immer versagt“. Seiner Meinung nach beruht das „System der sozialen Kontrolle und Macht“ auf der Eigenschaft der Medien nur zu „Geben“. „ […] Macht gehört demjenigen, der zu geben vermag und dem nicht zurückgegeben werden kann.“ Eine Revolution wäre für Baudrillard eine „Möglichkeit der Antwort“ (über die Medien), wofür er allerdings eine „Umwälzung der gesamten Medienstruktur“ voraussetzt. Ferner bricht er mit Enzensbergers Auffassung, dass zwischen Produzenten und Konsumenten kein Unterschied vorliegt (er müsse bei den elektronischen Medien künstlich geschaffen werden), in dem er davon ausgeht, dass Konsum in unserer Gesellschaft nur noch über das „Nehmen“ definiert sei. Er schreibt, dass der Konsum von Produkten und Botschaften (gesellschaftlich) mit dem Verbot der Antwort (des Zurückgebens) belegt sei. Dadurch wird auch die These Enzensbergers, dass erstmals eine „massenhafte Teilnahme am gesellschaftlichen, produktiven Prozess“ mittels der Medien stattfinden kann, von ihm widerlegt. Für Baudrillard ist hier „das Fernsehen die Gewissheit, dass die Leute nicht mehr miteinander reden, dass sie angesichts einer Rede ohne Antwort endgültig isoliert sind“ 3.3. Symbolische Aktion und Subversion Baudrillard analysiert in diesem Abschnitt die Unruhen der 68er im Bezug auf die Massenmedien. Der fälschlicherweise entstandene Eindruck einer „symbolischen Aktion“ und die Verwendung der Massenmedien zur Auslösung einer Kettenreaktion, werden von Baudrillard widerlegt. Seine Meinung ist, dass die Medien nicht zu einer Verstärkung der „revolutionären Bewegung“ beigetragen haben, weil sie ihre „Form bewahrt“ haben. Baudrillard ist davon überzeugt, dass die Form der Medien (sie strahlen ein Ereignis in die „abstrakte Allgemeinheit der öffentlichen Meinung aus) unausweichlich mit dem Machtsystem solidarisiert. Baudrillard spricht hier von einem „Rhythmus und Sinn“ der Bewegung im Mai 68, der durch die Berichterstattung der Medien verloren gegangen ist. Seiner Meinung wird, gleich der technischen Reproduzierbarkeit bei Kunst(werken), bei der Ausstrahlung eines solchen Ereignisses der Sinn entleert, da das Ereignis an sich, durch die Übertragung in den Medien nur noch in Zeichen und Codes empfangen werden kann und somit auch die Absicht der Subversion verloren geht. Hier bringt er das Beispiel der „Straße als alternative und subversive Form der Massenmedien“, denn anders als bei einer medialen Übertragung kann hier ein symbolischer Austausch geschehen, das heißt der Sinn an sich bleibt erhalten und wird nicht durch die Reproduktion in einem Medium verfälscht. Es bleibt außerdem die Möglichkeit der „unmittelbaren“ Interaktion, bzw. Kommunikation (Antwort), die bei einer solchen Bewegung unverzichtbar ist und durch die Medien unmöglich gemacht wird. 3.4. Das Modell „Sender – Botschaft – Empfänger“ Baudrillard ist der Meinung, dass dieses wissenschaftliche Modell nicht stimmt. Seiner Meinung nach ist ein reines Simulationsmodell au dem von vorneherein die „Reziprozität,
  • 9. - 9 - der Antagonismus der Partner oder die Ambivalenz ihres Austausches ausgeschlossen sind“, da die Botschaft an sich durch „Codierung“ unmöglich zum Austauschen gemacht wird. Baudrillard schreibt „[…] es ist der Code, der alle beide „en respect“, „in Zaum“ hält. Es spricht hier davon, dass die Beteiligten von Kommunikation auf Distanz gehalten werden, da sie die Botschaft an sich nicht mehr verstehen können. Das heißt in seinem Sinne, dass eine Kommunikation erst gar nicht stattfinden kann, da die wichtigsten Eigenschaften liquidiert werden durch das Zwischenschalten von Medien. Groscurth schreibt dazu: „Die Realitäten (die zu kommunizierenden Ereignisse) werden auf Codes reduziert, die deren Unterscheidbarkeit unmöglich machen“ (Groscurth, 2002). 3.5. Diskussion der Thesen Baudrillards Baudrillard geht davon aus, dass eine sozialistische Theorie der Medien nicht haltbar sei, und die Annahme, dass eine Umkehrung des Verhältnisses zwischen Sender und Empfänger möglich ist, nicht haltbar ist. Die Funktion der Massenmedien nur zu Senden sei festgeschrieben und impliziert auch gesellschaftliche Machtverhältnisse, die durch ihre Funktion nur zu „geben“ definiert sind. Er geht grundlegend davon aus, dass der Inhalt durch die Medien seines Sinnes „beraubt“ wird, da die „[…] oft mehrdeutigen und uneindeutigen Botschaften, die den Kommunikationsprozess normalerweise ausmachen, durch die Eindeutigkeit und Unhintergehbarkeit technisch-instrumenteller Codes“ (Fahle, 2002) ausgelöscht werden. Baudrillard widerspricht in seinem Text nicht nur den Thesen und Auffassungen Enzensbergers, sondern kritisiert auch die vorhandenen wissenschaftlichen Kommunikationsmodelle und deren Anwendung auf die Medien, die seiner Meinung nach „Nicht-Kommunikation“ produzieren. Baudrillards Text ist meiner Meinung nach auf der einen Seite als Kritik an der eher politischen Sichtweise Enzensbergers (wie auch Brecht) zu verstehen, aber auch als kritische Infragestellung der bisherigen Grundannahmen wissenschaftlicher Kommunikationsmodelle, auf die sich wiederum Enzensberger bezieht. 4. Diskussion der Thesen Enzensbergers und Baudrillards In diesem Abschnitt werde ich die Thesen der beiden Autoren gegenüberstellen und diskutieren. Grundlegend kritisiert Baudrillard in seinem Text die Forderung Enzensbergers nach einer marxistischen Medientheorie (siehe 3.1), in dem er schreibt, dass die marxistische Theorie nicht auf etwas (die Medien) übertragen werden kann mit dem sie sich nie beschäftigt hat. Er begräbt Enzensbergers positive Visionen von Medien und Gesellschaft, weil er der Ansicht ist, dass Medien nicht als „Vehikel“ von Inhalten angesehen werden können. Die Problematik liegt in der Abstraktheit im Bezug auf die „Abtrennung, die Abschaffung des Tauschs“, womit Baudrillard hier den Austausch von Inhalten über Medien meint.7 Baudrillard unterstellt Enzensberger hier eine falsche Sichtweise der Problematik: Während Enzensberger das Modell „Sender - Botschaft - Empfänger“ für seine Zwecke „umkehrt“, sieht Baudrillard das Problem schon in diesem Modell. Seine Ausführungen gehen dahin, dass dieses Modell nur eine Simulation darstellt, auf keinen Fall aber als funktionierend im Bezug auf Kommunikation durch/mittels Medien angesehen werden kann. 7 Baudrillard versteht unter „Austausch“ eine Form der Kommunikation, die der „face-to-face“ – Kommunikation gleichkommt. Baudrillard sieht es als Unmöglich an über ein Medium einen Austausch in diesem Sinne zu vollziehen, da die genannten Merkmale Reziprozität, der Antagonismus der Partner oder die Ambivalenz ihres Austausches durch ein Medium nicht übertragen werden können.
  • 10. - 10 - Enzensbergers Auffassung, die der Brechts folgt, aus den vorhandenen Medien Kommunikationsmedien, das heißt einen jeden zum Produzenten zu machen, teilt Baudrillard nicht. Er ist der Meinung, dass eine solche Umstrukturierung das Mediensystem an sich „umwälzen“ müsste, da sich gesellschaftliche Machtverhältnisse aus der Struktur der Massenmedien ergeben und umgekehrt. An dieser Stelle muss man die Überlegung anstellen, was mit so einer Umstrukturierung überhaupt erreicht werden kann und sollte. Nimmt man als Beispiel eine höchst interaktive Form eines Mediums, zum Beispiel „kommunikatives TV“ so ist hier festzustellen, wenn jeder Teilnehmer einer Gruppe (oder Gesellschaft) an einem Programm für ein solches Medium mitgestaltet (das heißt nach Enzensberger mitproduziert), so wird es eine große Menge an individuellen Informationen bzw. „Botschaften“ geben. Und sollte ein jeder Teilnehmer auch noch ein unterschiedliches Programm gestalten wollen, so wird es möglicherweise bei der Rezeption Probleme geben. Ein gewisses Maß an Chaos ist vorprogrammiert, da Botschaften bzw. Informationen nur noch „gesendet“ ohne rezipiert zu werden8 . Als Beispiel sei hier das Projekt „Piazza virtuale – Van Gogh TV“ im Rahmen der „Dokumenta 9“ genannt, das ich in einer Hausarbeit mit dem Thema „Ist interaktives Fernsehen wirklich interaktiv?“ untersucht habe: „Piazza virtuale“ war eine interaktive Fernsehsendung, in der ein vollautomatischer Sendeapparat von Zuschauern gesteuert und zur Unterhaltung miteinander genutzt werden konnte. Die Zuschauer konnten neben akustischen Mitteilungen per Telefon (Anrufe wurden von einem PC automatisch angenommen und die Stimme des Anrufers wurde direkt als Audio-Kanal in die laufende Sendung geschaltet), auch per Modem Text übertragen, der auf der Fernseh- Oberfläche Zeile für Zeile abgebildet wurde. Daneben war es möglich ein Fax zu senden, dessen Inhalt durch einen Rechner modifiziert wurde und anschließend ebenfalls auf Sendung geschaltet wurde. In der Nähe des Sendestudios waren zudem so genannte „Entry-Points“ aufgestellt, an denen per Videokamera und integriertem Mikrofon auch Bilder und Töne direkt in die laufende Sendung geschaltet werden konnten. Die „Piazza virtuale“ präsentierte sich dem Zuschauer als computergesteuerte Fernsehoberfläche, auf der Schrift, Bild, Video, Computeranimation, Ton und Musik gleichzeitig erscheinen konnten und er selbst konnte jederzeit in das Geschehen eingreifen (Vgl. Lütjens, 1996). Baudrillard geht in seinem Text aber noch einmal auf Enzensbergers Forderung ein und ist der Meinung, dass er eher an eine von „Lesern redigierte, verteilte und hergestellte Presse“ denkt, als ein System zu fordern, welches das „Monopol“ auf die technische Reproduzierbarkeit hat. In diesem Fall Baudrillard bezeichnet die „Rede“ als das eigentliche „Monopol“. Enzensberger ist der Auffassung, dass eine Zensur (oder wie er es nennt „totale Kontrolle“) des Mediensystems nicht mehr durchführbar ist, da ein größerer Überwachungsapparat als der „Medienapparat“ (Mediensystem) selbst notwendig wäre. Diese Feststellung kann man gerade im Zeitalter des Internets sehr gut nachvollziehen. Nicht nur die Masse an Informationen erschwert das Ausfiltern von nicht erwünschten (in Deutschland gegen das Gesetz verstoßende Inhalte, wie z.B. harte Pornografie, Gewaltverherrlichung, Nationalsozialistisches Gedankengut usw.) Inhalten, sondern auch die globale Verbreitung und „Empfangsmöglichkeit“, die eine strafrechtliche Verfolgung der Produzenten solcher Inhalte fast unmöglich macht. 8 Diese Problematik kann man persönlich nachvollziehen, wenn man heutzutage vor der Entscheidung steht, sich für einen Fernsehkanal aus dem umfangreichen Angebot des digitalen TV zu entscheiden. Die Masse an Angeboten hat mittlerweile schon Anwendungen herausgebracht die den Zuschauer durch das Programm leiten. So genannte „Electronic Program Guides“ (EPG), führen den Benutzer durch das Angebot des digitalen Fernsehens, indem Präferenzen angegeben werden, zu denen der EPG die passenden Formate heraussucht.
  • 11. - 11 - Baudrillard ist dagegen der Meinung, dass die „Ausweitung der Medien“ (Massenmediatisierung) nicht automatisch eine Zensur „liquidieren“ würde. Er sagt, dass die Medien in der Lage seien, dass „was sie negiert, als zusätzliche Variable einzuführen“ und damit in ihrer „Operation selbst die Zensur seien“ (>in diesem Zusammenhang spricht er von „dezentralisiertem Totalitarismus“). Baudrillard sieht hier meiner Meinung nach eine Form der Selbstzensur (durch die Produzenten medialer Inhalte), die heute üblicherweise bei kommerziellen Medien praktiziert wird, wobei hier allerdings wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen. 5. Stellungnahme Enzensberger verfolgt mit seinem Aufsatz nicht das Ziel eine grundsätzliche Medientheorie aufzustellen oder zu kritisieren. Er geht vor allem auf eine vorherrschende Medienpraxis bzw. den Umgang mit Medien ein und sieht die Aufgabe einer Umstrukturierung der Medienlandschaft als gesellschaftliche Aufgabe und nicht als ökonomischen Alleingang der „kapitalistisch“ orientierten Industrie. Allem voran stellt er hier einen „emanzipatorischen“ Medienumgang, der seiner Meinung nach den bisher repressiven ersetzen sollte, um eine Umstrukturierung gesellschaftlicher Verhältnisse zu erreichen (Vgl. Weigel, 1998). Dabei lehnt er sich an die Texte von Bertolt Brecht „Der Rundfunk als Kommunikationsapparat“(der mit seiner Rede über die Funktion des Rundfunks, 40 Jahre zuvor visionäre Forderungen an den Umgang mit Medien, in diesem Fall dem Medium Radio, stellt) und Walter Benjamin „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. Benjamin legt, wie Enzensberger auch, seinen Blickpunkt nicht nur auf das Thema Massenmedien und Kunst, sondern zieht auch (kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung) Parallelen zur politischen Situation. Der wissenschaftliche Gehalt seiner Arbeit, lässt sich meiner Meinung nach eher als wissenschaftskritisch auffassen. Da das Fach „Medienwissenschaft“ in Deutschland erst Mitte der 70er Jahre langsam etabliert wird, kann man durchaus behaupten, dass Enzensbergers Ausführungen einer kritischen und weitsichtigen wissenschaftlichen Betrachtung der Medien in der Bundesrepublik dienlich waren. Baudrillard kritisiert in den medientheoretischen Ansätzen Enzensbergers, Brechts und McLuhans die Auseinandersetzung mit dem Manipulationspotential der Medien. Seiner Ansicht nach gibt es keine Medientheorie, weil der Bereich der Zeichen und Codes (die für den Prozess der Kommunikation wichtig sind) bei einer solchen Betrachtung, nämlich das Medium als „Vehikel“ des Inhaltes anzusehen, in den Hintergrund tritt. Baudrillards „Requiem für die Medien“ entstand unmittelbar als „Antwort“ auf den Text Enzensberger im Jahr 1972. Er versucht jede These Enzensbergers zu widerlegen und legt sein Hauptaugenmerk darauf, dass die Medien eigentlich Kommunikation (Austausch) verhindern, ja sogar „Nicht-Kommunikation“ produzieren. Er fordert indirekt die Abschaffung (Dekonstruktion) der Medien, um wieder einen Austausch zu ermöglichen, was für ihn das „wahre revolutionäre Medium“ ist. An dieser Stelle muss ich Baudrillard widersprechen, denn ich bin der Meinung, dass erst durch die Entwicklung der Mediensysteme in den westlichen Gesellschaften, ein solches demokratisches Wertesystem geschaffen werden konnte, wie wir es heute vorfinden. Baudrillard verkennt meiner Meinung nach auch die Forderung von Enzensberger nach einer Einflussnahme der Teilnehmer in dem Punkt, dass das was gesendet wird (sei es nun im Radio oder im Fernsehen) gewissermaßen schon durch den Einfluss des Zuschauers geprägt wird. In der Form, dass die Sender ihr Programm auf den Zuhörer/Zuschauer „zuschneiden“.
  • 12. - 12 - Würde nämlich ein Programm gesendet das keiner hört, wäre das die denkbar schlechteste Variante für den Rundfunk (beachten muss man dabei natürlich auch den wirtschaftlichen Aspekt der Werbung, in diesem Fall besonders zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern). Das heißt aber auch andersherum, dass der Zuhörer (trotz der distributiven Eigenschaft der Medien) doch einen indirekten Einfluss auf das hat, was gesendet wird, indem er es (nicht) hört, sieht oder „konsumiert“. Diesen Einfluss kann man durchaus auch als Feedback bezeichnen, auch wenn dieses Feedback nicht im Sinne einer Interaktion (Kommunikation) direkt über das jeweilige Medium gegeben werden kann. Baudrillard widerspricht zwar in seinem Aufsatz den Thesen und Forderungen Enzensberger (und dadurch auch den Ansätzen Brechts), kann aber meiner Meinung nach auch keinen Lösungsansatz eines „gerechten Umgangs“ mit Medien liefern. Zusätzlich lässt sich aus seinen Thesen eine Ablehnung gegenüber den Medien herauslesen.
  • 13. - 13 - Literaturverzeichnis Baudrillard, Jean (1972). Requiem für die Medien. In: Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart: DVA. Benjamin, Walter (1934/35). Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart: DVA. Eggers, Ingrid (1981). Veränderungen des Literaturbegriffs im Werk von Hans Magnus Enzensberger. Frankfurt am Main: Verlag Peter D. Lang. Enzensberger, Hans Magnus (1970). Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart: DVA. Fahle, Oliver (2002). Französische Medientheorien. <http://www.information-philosophie.de/philosophie/medientheorie.html> 10.04.2003. Groscurth, Henning. Medientheorie.txt. <http://www.groscurth.com/text/medientheorie.htm> 10.04.2003. Lütjens, Ole (1996). Rendezvous im Drahtrahmengarten. Diplomarbeit im Fachbereich Visuelle Kommunikation/Telematik der Hochschule für bildende Künste Hamburg. <http://www.scara.com/~ole/index.html> 26.09.2002. Schanze, Helmut (Hg.); Pütz, Susanne (2002). Metzler-Lexikon Medientheorie – Medienwissenschaft: Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Stuttgart, Weimar: Metzler. Wacker, Gudrun (2001).Widerstand ist zwecklos. Internet und Zensur in China. Vortrag bei der DGA-Tagung am 18.5.2001 (Deutsch-Japanisches Zentrum) <http://www.swp-berlin.org/fgs/09/widerchinadruck.html >14.04.2003. Wecker, Angelika (1999). Die Gruppe 47. <http://www.uni-ulm.de/LiLL/senior-info-mobil/module/Lit47.htm> 10.04.2003. Weigel, Marius (1998). Darstellung, Analyse und Vergleich der Ansätze einer Theorie der Medien von Marshall McLuhan und Hans Magnus Enzensberger. Hausarbeit im Fach Mediensoziologie an der Uni Freiburg. Gefunden unter <http://www.hausarbeiten.de> 9.04.2003.