Nicht nur David Lankes mit seinem "Neuen Bibliothekswesen" (New Librarianship) macht seit über 10 Jahren darauf aufmerksam, dass wir die Aufgabe von Bibliotheken insbesondere im Digitalen Zeitalter wieder klarer denken müssen. Aber „neu“ ist es nicht, was er und viele andere zu den Aufgaben von Bibliothekaren sagen. Wir standen (zu) lange fasziniert wie das Kaninchen vor der Schlange Computer. Jetzt wird deutlich, dass unsere Aufgabe der Mensch und die Gemeinschaft ist und eigentlich immer schon war. D.h. auch, dass die ureigensten Fähigkeiten und Antriebe von Information Professionals (wie Archivare, Bibliothekare und Dokumentare) wieder in den Fokus geraten. Bibliothekare haben eine außergewöhnliche Begeisterungsfähigkeit und Motivation Service für die Zielgruppe(n) zu leisten. Doch nicht nur Empathie und Toleranz sind ihre Basis, sondern vor allem eine sichere Wertebasis und hohe kognitive Kompetenzen. Lassen wir uns dies nicht durch Maschinendenken abnehmen! Die Mischung machts.
Digitalisierung na und? Warum Bibliothekare das Zeug zum digitalen Wandel bereits in der Tasche haben.
1. Digitalisierung - na und?
Warum Bibliotheken das „Zeug“ für die neuen
Aufgaben längst in der Tasche haben.
Prof. Dr. Hans-Christoph Hobohm
Fachhochschule Potsdam
OCLC Bibliotheksleitertag: Fokus Mensch,
28. November 2018
2. Hobohm: Digitalisierung na und?
Digitaler Wandel
• neue Werkzeuge
• neue Medien
• neue Kommunikationsformen
• neue sozialeVerhaltensformen
• neue Gesellschaftsform?
• Bedrohung der Demokratie?
• —> Aufgabe für Bibliotheken als zentraler gesellschaftlicher Instanz im
öffentlichen Raum (public sphere, Habermas’sche „Öffentlichkeit“)
2
3. Hobohm: Digitalisierung na und? 3
Die Auftrag der Bibliothekare ist die
Verbesserung der Gesellschaft durch
die Förderung von Wissensgenerierung
in der Community.
5. Hobohm: Digitalisierung na und? 5
- den anderen Menschen:
„Gemeinschaft“
Community,
soziale Beziehungen,
Resonanzraum (Filterblase…)
„Digitalisierung“ fördert das Analoge zu Tage:
der Ort der Bibliothek,Aufenthaltsqualität etc.
6. Hobohm: Digitalisierung na und?
Zeitdiagnose?
• Beschleunigung. DieVeränderung der Zeitstrukturen
in der Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005
• Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin:
Suhrkamp, 2016
6
2016
Hartmut Rosa
Photo: Uni Jena
7. Hobohm: Digitalisierung na und?
„Digitalität“
• Stalder, Felix (2016): Kultur der Digitalität. Berlin:
Suhrkamp (Edition Suhrkamp, 2679).
• Referenzialität
• Gemeinschaftlichkeit
• Algorithmizität
7
2016
Felix Stalder
(Foto: Ziko van Dijk,
CC BY-SA 3.0)
8. Hobohm: Digitalisierung na und?
Was können Bibliothekar*Innen?
• AKIB: Kompetenzen in den Informationsberufen
• BMBF Projekt (2012 bis 2015) an der FH Potsdam
• Bibliothekare,Archivare, Dokumentare imVergleich
• Praktiker,Weiterbildungsteilnehmer, Studierende
• Expertenworkshops mit Personas + Szenario
• Quantitative Befragung + Faktorenanalyse
8
Vgl.:Hobohm,Hans-Christoph;Groeneveld,Imke;Imhof,Andres(2013):
SchlüsselkompetenzeninInformationsberufen.ErsteErgebnisseausdem
ProjektAKIBderFachhochschulePotsdam.In:BuB.ForumBibliothekund
Information65(7/8),S.521–524.
15. Projektabschlusspublikation: Hobohm, Hans-Christoph; Pfeffing, Judith; Imhof,Andres; Groeneveld, Imke (2015): Reflexion als Metakompetenz. Ein Konzeptbegriff zurVeranschaulichung
akademischer Kompetenzen beim Übergang von beruflicher zu hochschulischer Qualifikation in den Informationsberufen. In:Walburga Freitag, Regina Buhr, Eva-Maria Danzeglocke, Stefanie
Schröder und DanielVölk (Hg.): Übergänge gestalten. Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung erhöhen. Münster:Waxmann, S. 173–191.
16. Hobohm: Digitalisierung na und?
Was wird von Bibliotheken erwartet?
• ALMPUB: „Archives, Libraries and Museums as Public Sphere
Insitutions in the Digital Age“
• Europäisches Forschungsprojekt 2017-2019, > 6 Länder (u.a. FH
Potsdam, Federführung OsloMet: Ragnar Audunson)
• bevölkerungsrepräsentative Befragung
• Berufsfeldbefragung
• Fallstudien
• vergleichende Policy-Analysen
16
17. Hobohm: Digitalisierung na und? 17
Funktionen von Öffentlichen Bibliotheken im Ländervergleich
Die Bibliothek stellt Menschen Informationen zur Verfügung,
die für ihr alltägliches Leben erforderlich sind.
Die Bibliothek befördert die Demokratie,
… Zugang zu Wissen und Informationen verschafft, für aktives Einbringen
Die Bibliothek befördert die Demokratie,
weil sie ein Ort für öffentliche Meinungsbildung ist.
Die Bibliothek erfüllt als Begegnungsstätte
… wichtige soziale Funktion.
Die Bibliothek ist ein Ort, der … Lernen befördert.
Die Bibliothek befördert Gleichheit, …
Zugang zu Wissen und literarischen und kulturellen Erfahrungen
Die Bibliothek befördert Gleichheit,
indem sie die digitale Spaltung, … überwindet.
… befördert Kreativität und Innovation, indem sie ihre Nutzer … Makerspaces,
für individuelles oder gemeinschaftliches Arbeiten…
…befördert zeitgenössische literarische und kulturelle Ausdrucksformen
Die Bibliothek befördert das literarische und kulturelle Erbe.
… Freizeit sinnvoll zu gestalten, indem sie Unterhaltung
und aktuellen Lesestoff anbietet.
Die Bibliothek befördert Integration … Ort der Begegnung
für Menschen unterschiedlicher ethnischer und kultureller Herkunft
Antwortskala von 0 (unwichtig) bis 10 (wichtig)
0 2 4 6 8 10
Deutschland (N=1017)
5 andere Länder (Dänemark,
Schweden, Norwegen
Schweiz, Ungarn (N=5033))
Antwortskala von 0 (unwichtig) bis 10 (wichtig) / Mittelwerte (ALMPUB Q16)
18. Hobohm: Digitalisierung na und?
Wahrnehmung von Bibliotheken durch Bürger
In anderen Ländern wird von Bibliotheken mehr erwartet:
• dass sie zur Demokratie beitragen durch Information und Wissen
• sind sie eher ein Ort des Lernens und der Kreativität, der aktuellen Kultur
und des kulturellen Erbes sowie der interkulturellen Integration
In Deutschland werden sie tendenziell eher als Angebot
• der Alltagsbewältigung und sinnvollen Freizeitgestaltung
• aber auch als Begnungsstätte und Ort der Meinungsbildung gesehen
18
19. Hobohm: Digitalisierung na und? 19
Wissen und Informationen bereitstellen,
damit Bürger eine fundierte Entscheidung treffen können.
Informationen bereitstellen,
damit Bürger ihre Rechte und Pflichten kennen.
Informationen bereitstellen,
damit Bürger allgemein auf dem Laufenden gehalten
und über kommunale Angelegenheiten informiert werden.
Ein Forum für öffentliche Veranstaltungen
und Diskussionen vor Ort sein.
Ein Forum für virtuell / digital stattfindende
Diskussionen zu kommunalen Themen sein.
Kulturtechniken
bezogen auf traditionelle Medien entwickeln.
Kulturtechniken
bezogen auf digitale Medien entwickeln.
Antwortskala von 0 (keine) bis 10 (hohe Priorität) / Mittelwerte
0 2 4 6 8 1
Deutschland (N=1017)
5 andere Länder (N=5033)
(Dänemark, Schweden,
Norwegen, Schweiz, Ungarn)
Prioritäten zur Demokratieförderung durch ÖBs im Ländervergleich
(ALMPUB Q17)
20. Hobohm: Digitalisierung na und?
Gesellschaftliche Erwartungen an Bibliotheken
• Zur Förderung der Demokratie erwarten aber Bürger von Bibliotheken
in Deutschland mehr als in anderen Ländern, dass sie
• Informationen bereitstellen für
• Entscheidungen
• Rechte & Pflichten
• kommunale Belange
• Forum für Diskussionen vor Ort sind
• und digitale Kulturtechniken fördern
20
21. Hobohm: Digitalisierung na und?
Informationen …
alltägliches Leben erforderlich sind.
Informationen …
für ein aktives Einbringen in die Belange ihrer Gemeinde
… fördert die Demokratie, … Ort für öffentliche Meinungsbildung ist.
… Begegnungsstätte … wichtige soziale Funktion.
… sowohl informelles als auch formelles Lernen
fördert Gleichheit …
Zugang zu Wissen und kulturellen Erfahrungen
… digitale Spaltung … überwindet
Kreativität und Innovation …
gemeinschaftliches Arbeiten … Poetry-Labor, Makerspaces
zeitgenössische literarische und kulturelle
Ausdrucksformen auf qualitativ hohem Niveau.
Die Bibliothek fördert das literarische und kulturelle Erbe.
… Freizeit sinnvoll zu gestalten, …
Unterhaltung und aktuellen Lesestoff anbietet.
fördert Integration … Ort der Begegnung für Menschen
Antwortskala von 0 (unwichtig) bis 10 (sehr wichtig)
0 2 4 6 8 10
Bibliothekare (N=595) Bürger (N=1017)
Funktionen von Öffentlichen Bibliotheken aus Sicht der:
(ALMPUBV11 + Q16)
22. Hobohm: Digitalisierung na und?
Bürger vs. BibliothekarInnen in Deutschland
Funktionen von Bibliotheken allgemein
• vergleichsweise mäßig hohe Erwartungen an Bibliotheken im Bereich:
• Digitale Spaltung - digitale Kulturtechniken
• Freizeitgestaltung
• höhere Erwartungen als Bibliothekare:
• Orte der Kreativität und Innovation
• Orte der Kultur
• Kulturelles Erbe
22
23. Hobohm: Digitalisierung na und?
Wissen und Informationen bereitstellen,
damit Bürger eine fundierte Entscheidung treffen können.
Informationen bereitstellen,
damit Bürger ihre Rechte und Pflichten kennen.
Informationen bereitstellen,
damit Bürger allgemein auf dem Laufenden gehalten und
über kommunale Angelegenheiten informiert werden.
Ein Forum für öffentliche Veranstaltungen
und Diskussionen vor Ort sein.
Ein Forum für virtuell / digital stattfindende
Diskussionen zu kommunalen Themen sein.
Kulturtechniken
bezogen auf traditionelle Medien entwickeln.
Kulturtechniken
bezogen auf digitale Medien entwickeln.
Antwortskala von 0 (keine) bis 10 (hohe Priorität)
0 2 4 6 8 10
Bibliothekare (N=594) Bürger (N=1017)
Prioritäten zur Demokratieförderung durch ÖBs aus Sicht der:
(ALMPUBV13/Q17)
24. Hobohm: Digitalisierung na und?
Bibliotheken als demokratische Einrichtung
• Zur Förderung der Demokratie erwarten die Bürger von
Bibliotheken mehr als die Bibliothekare selbst:
• Bürger erwarten vor allem Informationsfunktion
• und die Rolle als Forum (auch im Digitalen): mehr als
Bibliothekare!
• weniger als Bibliothekare sehen Bürger Bibliotheken als
Weiterbildungseinrichtungen für Kulturtechniken!
24
Bürger vs. BibliothekarInnen in Deutschland
26. Hobohm: Digitalisierung na und?
Informations- und Wissensmanager*In
Literaturvermittler/Ratgeber*In
Öffentlichkeitsarbeiter*In
Aufklärungs- und Bildungs-Fürsprecher*In
Meinungsfreiheit-Garant*In
Kultur-Animateur*In
Lehrer*In
Eventmanager*In
IT Berater*In
Informationssystemmanager*In
PR - Kommunikation
Sozialarbeiter*In
Jugendarbeiter*In
Social Media Manager*In
Redakteur*In
Moderator*In
Psycholog*In
Literaturkritiker*In
Aufsichtsperson
Community-Entwickler*In
Web-Designer*In
Raumausstatter*In
Migrationsberater*In
Archivar*In
Kurator (Museum)
2,5 5
ALMPUB Berufsfeld BefragungV14
„Wie empfinden Sie Ihre
Rolle in der Kommune?
Welche Ähnlichkeit hat Ihre
Rolle in Ihrer Kommune zu
den genannten Berufen?“
(N=573,Antwortskala von 0 (keine)
bis 5 (große Ähnlichkeit)
27. Hobohm: Digitalisierung na und? 27
Sozialarbeiter*In
IT Berater*In
Social Media Manager*In
Web-Designer*In
Migrationsberater*In
Psycholog*In
Jugendarbeiter*In
Raumausstatter*In
Community-Entwickler*In
Lehrer*In
PR - Kommunikation
Kurator (Museeum)
Informationssystemmanager*In
Eventmanager*In
Öffentlichkeitsarbeiter*In
Aufsichtsperson
Archivar*In
Kultur-Animateur*In
Informations- und Wissensmanager*In
Literaturkritiker*In
Redakteur*In
Aufklärung und Bildungs-Fürsprecher*In
Meinungsfreiheit-Garant*In
Moderator*In
Literaturvermittler/Ratgeber*In
0 80 160
ALMPUB Berufsfeld BefragungV15
„Nennen Sie bis zu fünf
Rollen, die in Ihrer Bibliothek
fehlen.“
(N=579, Checkboxes)
28. Hobohm: Digitalisierung na und?
Rollenverständnis und Defizite?
• Bibliothekar*Innen verstehen sich selbst vorwiegend als Informations-
Wissens-, Literatur-, Kulturvermittler in der Öffentlichkeit sowie als
Kulturanimateur und Pädagoge (aber nur wenig im IT Bereich!)
• sie betonen ihre Rolle als Garant für Meinungsfreiheit,
Aufklärung und Bildung
(für die Sphäre der Öffentlichkeit im Sinne von Habermas)
• sie sehen eine Unterbesetzung in den Bereichen IT Beratung, Social
Media Management,Web-Design, aber vor allem in:
• Sozialarbeit, Migration, Jugend, Psychologie und Community
• die Defizite liegen vorwiegend im „sozialen Bereich“,
IT können Bibliothekare selber abdecken!
28
29. Hobohm: Digitalisierung na und?
Aufgabe von Bibliothekar*Innen:
• „… dieVerbesserung der Gesellschaft durch die Förderung von
Wissensgenerierung in der Community.“
• sie entwickeln analoge und digitale Plattformen, Foren,Arenen zur
(kritischen) gemeinsamen Entwicklung und Begleitung der Transformation
der Digitalisierung
• Austausch und Begegnung in der Community zur Wissensgenerierung über
die Digitalität und die digitale Gesellschaft
• denn: Wissen wird generiert durch „Konversation“, Dialog, Gespräch
(Kybernetik von Gordon Pask: der Ausgangspunkt der Überlegungen von
David Lankes „New Librarianship“)
29
30. Hobohm: Digitalisierung na und? 30
Kooperationsform Kriterium Information Rolle / Beziehung Profession
Beschreiben /
Instruktion
Informations-
ausgleich
Betrachten Experte : Laie Schule,Wissenschaft
Argumentieren
Verändern,
Überzeugen
Reflexion Experte : Experte Gericht, Parlament
Erzählen
Entlastung,
‚Verarbeitung'
Empathie Mensch : Menschen Therapie, Literatur
Dialog, Gespräch,
Begegnung
‚Verflüssigen' /
Emergenz
kollektiven Wissens
Synästhetisch Mensch : Mensch
Interkulturelles,
Diversity
in Anlehnung an: Michael Giesecke:Von der Mythen der Buchkultur... 2002, S. 430
Entwicklungsstufen der Information
31. Erinnerung an ein vordigitales
Exemplarisches Beispiel: Living Library (Berlin Marzahn, 2007)
32. Hobohm: Digitalisierung na und?
Bibliotheken entwickeln sich
• vom Informationsbestand zur Wissensförderung
• von derVermittlung zur Begegnung
• von „IT / digital“ zu „Mensch / analog“
• vom Informationsmanagement zum Wissensmanagement
• von „expliziter“ Information zu „implizitem“ Wissen
• vom Partner des einzelnen Lesers zum Mitglied der Community
32
33. Hobohm: Digitalisierung na und?
Ihre Rolle bei der Transformationen zur „Digitalität“
• Kultur/Erbe —> Nachhaltigkeit, Referenz
• Des-Information und Kommunikation —> Gemeinschaftsbildung
• Bildung —> Abläufe des Lernens und der Wissensschaffung der Gesellschaft
• mit Begeisterungsfähigkeit, kognitiver Kompetenz und
gesellschaftlichem Engagement (Community + Integration)
und dem Selbstverständnis als Garant für Bildung, Meinungsfreiheit und
Soziales:
• sind Bibliotheken der Resonanzkörper für eine positive
Entwicklung der Digitalisierung der Gesellschaft in
postfaktischen Zeiten
33
34. Hobohm: Digitalisierung na und?
Fazit
• Die Bürger erwarten von Bibliotheken ein stärkeres Engagement in
Fragen der digitalen Meinungsbildung
• Bibliotheken sind schon gut aufgestellt als Informationseinrichtungen, als
Garanten für Meinungsfreiheit, Bildung und Kultur
• es scheinen jedoch „IT Berater“, „Social Media Manager“, „Web-
Designer“ sowie „Pädagogen“ und „Sozialarbeiter“ kurz: übergeordnete
Transformationskompetenzen zu fehlen.
• die zentralen Schlüsselkompetenzen (Begeisterungsfähigkeit,
Kommunikation, Reflexion) sind als Metakompetenzen aber eine gute
Grundlage für die notwendigen „neuen“, selbst zu erarbeitenden
Fachkompetenzen in:
• Innovation/Kreativität/Wandel - Kultur - Bildung - Kommunikation
34