M&A-Insurance: Der erfolgreiche Umgang mit W&I-Claims
Wie Entscheider typische Fehler vermeiden – und Chancen nutzen.
Warranty & Indemnity-Versicherungen (W&I) schützen
die an einer Transaktion beteiligten Parteien vor den
Konsequenzen von Vertragsverletzungen. Die Policen
erfreuen sich seit einigen Jahren wachsender Beliebtheit. Naturgemäß geht mit dem Anstieg der Vertragsabschlüsse
ein erhöhtes Aufkommen von W&I-Claims gegenüber
den Versicherungen einher.
Der Beitrag fokussiert sich auf die Identifikation, Geltendmachung und Durchsetzung bzw. die Abwehr von Ansprüchen im Kontext von W&I-Versicherungen bei M&A Transaktionen.
M&A-Insurance: Der erfolgreiche Umgang mit W&I-Claims
1. Standpunkt
Agile Entscheidungen im Board –
zwischen Corporate Governance
und neuer Fehlerkultur
Strategie
Agile PMI – vom Buzzword zum
Werttreiber im Integrations-
prozess
Recht und Steuern
Steuerliche Verlustvorträge bei
Anteilsübertragungen – Chancen
und Fallstricke
Recht und Steuern
M&A-Insurance: Der erfolgreiche
Umgang mit W&I-Claims
Recht und Steuern
Spezialversicherungen gegen
bekannte Steuerrisiken in
M&A-Transaktionen
Industry Special
Transformation der Lebens-
versicherungsindustrie –
Chancen für Investoren
Kapitalmarkt
The Disruptive Potential of Crypto-
Technologies for M&A Markets
Deal des Monats
SAP kauft Qualtrics für 8 Mrd. USD
Strategie
Synergiemanagement in
der operativen Umsetzung
29. Jahrgang 12/2018
Publikationsorganwww.ma-review.de
2. 432 M&A REVIEW 12/2018 • 29. Jahrgang
1. Einleitung
Wenn es bei Unternehmenstransaktionen zu Unstim-
migkeiten kommt, geht es schnell um Ansprüche im
Millionenbereich. Selbst sorgfältig verhandelte M&A-
Verträge geben häufig Anlass zu Diskussionen und
Auseinandersetzungen, weil die Parteien den Kauf-
preismechanismus, die Gewährleistungs- und Garantie-
regelungen sowie Freistellungsklauseln unterschiedlich
interpretieren.
Warranty & Indemnity-Versicherungen (W&I)1
schützen
die an einer Transaktion beteiligten Parteien vor den
Konsequenzen von Vertragsverletzungen. Die Policen
erfreuen sich seit einigen Jahren wachsender Beliebtheit,
was sowohl am Anstieg der M&A-Aktivitäten als auch
an der Tatsache liegt, dass immer mehr Käufer und
Verkäufer die Vorteile von W&I-Versicherungen erkannt
haben.
Naturgemäß geht mit dem Anstieg der Vertragsabschlüs-
se ein erhöhtes Aufkommen von W&I-Claims gegen-
über den Versicherungen einher. Die meisten dieser
Claims resultieren aus Garantien mit Bezug zu Finanz-
daten oder zu steuerlichen Aspekten. Im Anschluss an
eine kurze Vorstellung der W&I-Versicherung und ihrer
Vorteile – auch vor dem Hintergrund aktueller Markt-
entwicklungen – beleuchtet dieser Beitrag den erfolg-
reichen Umgang mit W&I-Claims aus Finance-Sicht.
2. W&I-Versicherungen: kurz und knapp
zusammengefasst
Wenn das Transaktionsobjekt nicht die zugesicherten
Eigenschaften hat, verlangt ein Käufer typischerweise
eine Entschädigung auf Basis von Garantien und
Gewährleistungen. Somit besteht für den Verkäufer das
1 W&I(Warranty&Indemnity)-Versicherung: Im europäischen Raum übliche Bezeichnung für
„Garantie-, Gewährleistungs- und Freistellungsversicherung“ als Grundbaustein eines
M&A-Versicherungskonzepts. Im US-amerikanischen Raum ist die Bezeichnung R&W-
Insurance (Reps&Warranty) gebräuchlich. Im Nachfolgenden verwenden wir einheitlich
den Terminus W&I-Versicherung bzw.W&I-Claim.
M&A-Insurance:
Der erfolgreiche Umgang mit W&I-Claims
Wie Entscheider typische Fehler vermeiden – und Chancen nutzen
Ingo Schleis & Christin Colditz, KPMG AG
REPORT • RECHT UND STEUERN
Risiko, dass er sich nach dem Closing Regressforderun-
gen ausgesetzt sieht. Hier kann eine W&I-Versicherung
Abhilfe schaffen und für beide Seiten Vorteile bieten.
Die meisten W&I-Versicherungen sind sogenannte
Käuferpolicen, bei denen der Käufer der Begünstigte
ist: Sie scheinen sich gegenüber Verkäuferpolicen
durchgesetzt zu haben und kommen inzwischen in
mehr als 90% der Fälle zum Einsatz.2
Als Spielart der
Käuferpolice hat sich die sogenannte „Stapled
Insurance“ etabliert. Bei einer solchen initiiert der
Verkäufer den Abschluss einer Police, die der potenziel-
le Käufer dann in späteren Stadien des Verkaufsprozes-
ses übernimmt.3
Ein wesentlicher Vorteil der Käufer-
police ist, dass der Käufer als Begünstigter etwaige
Ansprüche direkt beim Versicherer anmelden und gel-
tend machen kann, was die Abwicklung deutlich er-
leichtert.
Wegen ihres deutlich höheren Marktanteils fokussiert
sich dieser Artikel auf Käuferpolicen. Nichtsdestotrotz
gelten die folgenden Ausführungen oftmals auch für
Verkäuferpolicen.
3. Die Vorteile einer W&I-Versicherung
Anders als der Name vermuten lässt, können von einer
Käuferpolice beide Transaktionsparteien profitieren.
Während sich der Käufer vor drohenden Garantie- oder
Gewährleistungsverletzungen schützt, übernimmt der
Verkäufer zwar die vertragliche Haftung, lagert aber
das Risiko von Zahlungen wegen Vertragsverletzungen
auf die Versicherung aus. Inzwischen können Verkäufer
durch M&A-Versicherungslösungen eine Vielzahl von
Haftungsrisiken absichern. So greift die Versicherung
zum Beispiel, wenn sich ein Garantieversprechen als
faktisch unrichtig herausstellt.
2 Vgl. CMS: CMS European M&A Study 2018,in: www.cms-lawnow.com/publica-
tions/2018/03/cms-european-ma-study-2018 (abgerufen am 09.05.2018), S. 35.
3 Für eine detaillierte Diskussion der Stapled Insurance vgl. auch Land/Hallermayer: Stapled
Insurance und W&I-Versicherungen bei M&A-Transaktionen, in: M&A REVIEW, 3/2017.
3. 43329. Jahrgang • M&A REVIEW 12/2018
RECHT UND STEUERN • REPORT
Ein weiterer signifikanter Vorteil für Verkäufer ist in die-
sem Zusammenhang, dass sie die abschließenden
Erlöse aus der Transaktion viel früher prognostizieren
können, da sie über die W&I-Versicherung von eventu-
ellen Käuferansprüchen freigestellt werden. Das ermög-
licht ihnen zeitnah einen sauberen und abschließen-
den Exit, was in verschiedenen Transaktionsszenarien
hochrelevant ist – man denke beispielsweise an den Exit
eines Private-Equity-Unternehmens oder einen Verkauf
aus der Insolvenz. Auch im Fall einer privaten Unter-
nehmensnachfolge wird ein Verkäufer darauf bedacht
sein, Risiken aus Garantien und Gewährleistungen aus-
zuschließen – zumal sie häufig mehrere Jahre bestehen.
Aus Verkäuferperspektive ebenfalls positiv zu bewerten
ist die Tatsache, dass – wenn überhaupt – deutlich ge-
ringere Summen über mehrere Monate oder Jahre auf
Treuhandkonten (Escrow) geparkt werden müssen, um
etwaige Ansprüche des Käufers abzusichern. Das ver-
bessert die Liquiditätslage des Verkäufers unmittelbar
und signifikant.
Die genannten Vorteile für Verkäufer führen im aktu-
ellen Verkäufermarkt zu einem weiteren wichtigen
Vorteil für Käufer: Sie können sich durch den Abschluss
einer W&I-Versicherung positiv von anderen Bietern
abheben. Hinzu kommt, dass einige Verkäufer zu um-
fangreicheren Garantien erst bereit sind, wenn eine
W&I-Police abgeschlossen wird. Darüber hinaus ist es
aus Sicht eines Käufers vorteilhaft, dass mit der W&I-
Versicherung ein solventer Schuldner zur Verfügung
steht, wenn es um die Eintreibung von Ansprüchen
geht. Dies ist insbesondere in Fällen von Bedeutung, in
denen Unsicherheiten hinsichtlich der Bonität oder der
Durchsetzbarkeit von Ansprüchen bestehen. Ferner
vermeidet ein Käufer durch eine W&I-Versicherung die
direkte Konfrontation mit dem Verkäufer, wenn es zu
Streitigkeiten kommt. Dies ist besonders wichtig, wenn
Käufer und Verkäufer – wie so häufig – nach der
Transaktion durch Geschäftsbeziehungen verbunden
bleiben.
Positiv ist ferner zu bewerten, dass der Käufer in be-
stimmten Fällen mit der Versicherung eine Deckungs-
summe mit der W&I-Versicherung vereinbaren kann,
die die Haftungsobergrenzen im Unternehmenskauf-
vertrag überschreitet. Keine Seltenheit bei W&I-Policen
sind zudem Verjährungsfristen, die länger sind als die
Fristen im Unternehmenskaufvertrag.
4. Aktuelle Entwicklungen auf dem
W&I-Versicherungsmarkt
Angesichts steigender M&A-Volumina und eines wach-
senden Verständnisses für ihre Vorteile werden W&I-
Versicherungen immer häufiger eingesetzt. In Europa
kommen sie inzwischen bei 35% der Transaktionen mit
einem Volumen von mehr als 100 Mio. EUR zum
Einsatz.4
Dies ist auch auf einen signifikanten Rückgang
der Prämien seit 2007 zurückzuführen, die derzeit
4 Vgl. CMS: CMS European M&A Study 2018, a. a. O., S. 35.
Abb. 1 • Überblick: Aktuelle Marktentwicklungen W&I-Claims
Quelle: Eigene Darstellung
M&A Market Trends – W&I insurance claims on the rise
• Significant increase in the usage of W&I insurance
• Claims and disputes are a fact of life in today’s fast paced
and complex M&A environment
10%–20%
of policies have a
claim notification
Give careful consideration – make the right decision from a stronger position
Behind the breaches
– Compliance
– Employee-related
– Intellectual property
– Material contracts
– Environmental
Background of Claims under
a W&I Policy
Average time to resolve a contested claim
Financial (accounting) and tax issues common
to W&I claims. Examples:
– Financial statement representations
– Undisclosed liabilities
– Valuation of inventories and trade receivables
months
35%–50%
7
W&I
Claims
4. 434 M&A REVIEW 12/2018 • 29. Jahrgang
zumindest in Europa bei etwa 1% des zu versichernden
Risikos und darunter liegen.5,6,7
Die versicherbaren
Beträge sind dagegen gestiegen, Deckungssummen
jenseits von 500 Mio. EUR sind inzwischen möglich.8
Teilweise werden dazu syndizierte Versicherungen ver-
wendet.
Zum anderen konnten die Versicherer die praktische
Anwendbarkeit der Policen und den Service optimieren,
indem sie Mitarbeiter mit M&A-Erfahrung engagiert
haben. So sind sie heute in der Lage, auch unter dem
Zeitdruck einer M&A-Transaktion maßgeschneiderte
Produkte zur Verfügung zu stellen.
Dadurch ist die Attraktivität von W&I-Versicherungen
nicht nur für die klassischerweise interessierten Private-
Equity-Häuser gestiegen. Auch Unternehmen aus ande-
ren Wirtschaftssektoren greifen verstärkt auf W&I-
Policen zurück und erhöhen auf diese Weise die Ge-
samtnachfrage.
Ein weiterer Grund für die erhöhte Nachfrage in
Deutschland ist die Akquisetätigkeit US-amerikani-
scher, britischer und chinesischer Investoren. Während
angelsächsische Käufer die Policen aus ihren Heimat-
märkten kennen und sie nun auch bei Transaktionen in
Kontinentaleuropa einsetzen wollen, steigt das Interesse
chinesischer Investoren vor allem wegen Vorgaben der
Regierung sowie einer geringen Vertrautheit mit dem
deutschen Markt.9
Im Zuge der steigenden Nachfrage
treten auch neue Anbieter auf den Plan: Nachdem 2014
nur drei deutschsprachige Versicherungen W&I-Policen
5 Vgl. Pamler/Meven: Sicher ist sicher - Wie man Fusionen und Übernahmen professionell
absichert, in: M&A REVIEW, Heft Special „M&A Insurance”, Mai 2018, S. 8.
6 Vgl. Crozier/Allen/Hendry:Warranty and indemnity insurance: a global reach, in: Practical
Law UK Articles, 2013, S. 2.
7 Vgl. Fromholzer: Gewährleistungsversicherungen beim Unternehmenskauf sind in der
Praxis angekommen, in: Der Betrieb, Heft 48, 2016, S. M5.
8 Vgl. Hoenig/Klingen: Die W&I-Versicherung beim Unternehmenskauf, in: NZG, Heft 32,
S. 1247.
9 Vgl. Froneberg/Li: Heterogene Struktur von Bieterkreisen führt zu neuartiger Komplexität,
in: Börsenzeitung, 06.05 2017.
offerierten, waren es Ende 2016 bereits sieben.10
Inzwischen sind laut unserer Analyse rund 15 Versicherer
in Deutschland in diesem Bereich aktiv.11
5. Typische W&I-Claims in der Praxis
Die wachsende Zahl von Vertragsabschlüssen führt
dazu, dass immer öfter Ansprüche geltend gemacht
werden. Im Einklang mit aktuellen Marktstudien liegt
der Anteil der Transaktionen, bei denen es zu W&I-
Claims kommt, unserer Erfahrung nach zwischen zehn
und 20%.12
Bei Transaktionen mit einem Volumen von
mehr als 1 Mrd. USD sind es sogar 24%.13
Ein wichtiger Treiber sind sicher die hohen Preise, die
im aktuell positiven wirtschaftlichen Umfeld für Unter-
nehmen gezahlt werden. Damit steigt das Risiko ent-
täuschter Erwartungen, die häufig der Auslöser dafür
sind, dass Erwerber gezielt Möglichkeiten suchen, um
Ansprüche geltend zu machen. In solchen Fällen bie-
ten Garantie- und Gewährleistungsansprüche sowie
Freistellungsklauseln eine willkommene Grundlage.
Neben der Schadensfrequenz ist auch die Höhe der
Forderungen signifikant: Die geforderten Beträge liegen
regelmäßig im Millionenbereich, im Durchschnitt sind
es Studien zufolge 4 Mio. USD.14
Es überrascht deshalb
nicht, dass die Auseinandersetzungen teilweise erst im
Schiedsgerichtsverfahren oder vor staatlichen Gerichten
beigelegt werden.
W&I-Claims ähneln naturgemäß den Ansprüchen, die
in Abwesenheit einer W&I-Versicherung an den Ver-
10 Vgl. Pamler: Tauziehen um die Haftung bei M&A-Deals, in: Finance, November 2016.
11 Vgl. KPMG Analyse; Pamler/Meven: Sicher ist sicher.Wie man Fusionen und Übernahmen
professionell absichert, a. a.O., S. 8.
12 Vgl. stellvertretend:AIG: M&A Insurance – The new normal?, in: www.aig.com/content/
dam/aig/america-canada/us/documents/insights/aig-manda-claimsintelligence-2018-w-
and-i.pdf (abgerufen am 16.05.2018), S. 3.
13 Vgl. ebenda.
14 Vgl. SRS: M&A Transaction Insurance Guidebook, in: www.srsacquiom.com/resources/ma-
transaction-insurance-guidebook/#downloadform (abgerufen am 17.05.018), S. 4;AIG,
2018. M&A Insurance – The new normal?, a. a. O., S. 3.
Abb. 2 • Schadenshöhe und prozentuale Verteilung von W&I-Claims
Quelle: Eigene Darstellung
>10Mio.USD
100.000–
1 Mio. USD
1 Mio. –
10 Mio. USD
REPORT • RECHT UND STEUERN
5. 43529. Jahrgang • M&A REVIEW 12/2018
käufer gestellt werden, und resultieren dabei aus viel-
fältigen Quellen. Dennoch lassen sich wiederkehrende
Themen identifizieren – insbesondere im Kontext von
Finanzdaten, Konzern- und Jahresabschlüssen sowie
steuerlichen Sachverhalten. In diese Kategorien fallen
35 bis 50% aller W&I-Claims (siehe Abb. 3). Weitere
Anknüpfungspunkte sind wesentliche Verträge (Mate-
rial Contracts), Compliance-Themen, geistiges Eigentum
(Intellectual Property), Arbeitsverhältnisse und Umwelt-
aspekte.
Die essenzielle Bedeutung von Finanzdaten für die
Unternehmensbewertung und die Kaufpreisfindung
spiegelt sich in der Ausgestaltung der Garantien,
Gewährleistungen und Freistellungsregelungen im Rah-
men einer M&A-Transaktion wider. So wird sich bei-
spielsweise ohne die explizite Zusicherung, dass die
Finanzdaten korrekt sind („Bilanzgarantie“), kein Er-
werber finden lassen.
Die Missachtung von Rechnungslegungsvorschriften
kann deshalb gravierende Konsequenzen haben. Wird
beispielsweise nachträglich eine nicht vollständig er-
fasste Verbindlichkeit entdeckt, deren Richtigkeit durch
eine Bilanzgarantie oder eine sogenannte „No undisc-
losed liabilities“-Gewährleistung zugesichert wurde,
kann dies zu einem signifikanten Anspruch führen.
Die in der M&A-Praxis häufig geltend gemachten An-
sprüche mit finanziellem und steuerlichem Bezug sind
in Abbildung 3 zusammengefasst. Auch wenn die dort
genannten Grundlagen für W&I-Claims im ersten
Moment trivial klingen, sollte niemand davon ausge-
hen, dass es sich überwiegend um eindeutige und
unstrittige Ansprüche handelt. Im Gegenteil: Meist
knüpfen Forderungen an Finanzkennzahlen an, die
nach nationalen (z.B. HGB) oder internationalen (IFRS,
US-GAAP) Rechnungslegungsnormen oder vertrags-
spezifischen Vorgaben zu ermitteln sind. Dabei sollte
sich jeder bewusst sein, dass vor allem Rechnungs-
legungsnormen nicht nur komplex sind, sondern auch
stark auslegungsbehaftete Elemente enthalten. Ermes-
sensspielräume und damit eine unvermeidliche Sub-
jektivität führen nicht selten zu abweichenden Bilan-
zierungs- und Bewertungseinschätzungen.
6. W&I-Claims geltend machen bzw. abwehren:
Fehler vermeiden – Chancen nutzen
Um Ansprüche erfolgreich geltend zu machen, reicht es
nicht, etwaige Verstöße bei der Versicherung anzuzei-
gen. Es bedarf vielmehr einer systematischen Analyse
möglicher Ansprüche sowie einer fundierten Geltend-
machung. Ähnliches gilt für Versicherungen, die mit
W&I-Claims konfrontiert werden.
Die Analyse der rechtlichen und wirtschaftlichen An-
spruchsgrundlagen sowie die anschließende Scha-
densbemessung sind keineswegs trivial. Sie erfordern
eine detaillierte Untersuchung und Aufarbeitung der
Finanzdaten, Informationen und Sachzusammenhänge
vor dem Hintergrund der maßgebenden Rechnungs-
legungsnormen sowie der einschlägigen Regelungen
im Unternehmenskaufvertrag. Somit muss eine Fülle
von Daten, Informationen und komplexen Sachzu-
sammenhängen untersucht, aufgearbeitet und in Bezug
zur Anspruchsgrundlage im Unternehmenskaufvertrag
und der W&I-Police gesetzt werden.
Dabei ist es unerlässlich, frühzeitig die Chancen und
Risiken abzuwägen, die sich aus dem W&I-Claim erge-
ben. So gilt es zum Beispiel, einen etwaigen finanziel-
len Erfolg unter Berücksichtigung von Wahrschein-
lichkeitsszenarien zu quantifizieren. Hinsichtlich der
Abb. 3 • Überblick: Aktuelle Marktentwicklungen W&I-Claims
Quelle: Eigene Darstellung
35–50%
• Bilanzgarantien (Richtigkeit von Konzern- und
Jahresabschlüssen sowie sonstiger
Finanzdaten wird zugesichert)
• Wertberichtigungen von Forderungen
aus Lieferungen und Leistungen sowie
Zahlungsausfälle
• Bewertung bzw. Wertberichtigung von Vorräten
• (Unvollständige) Passivierung von Schulden
• Umsatzrealisierung (insbesondere bei
Langfristfertigung)
• Ausweis sowie Klassifizierung von
Vermögensgegenständen und Schulden
• Übliche Bilanzierungs- und Bewertungspraxis
des Transaktionsobjekt vs. SPA-Regelungen
der W&I Claims knüpfen an Finanzzahlen, Konzern- und Jahresabschlüsse sowie
steuerliche Sachverhalte an. Häufig vorkommende Ansprüche sind:
• Bilanzierung und Werthaltigkeit von
immateriellen Vermögensgegenständen
• Ansatz und Bewertung von Pensions- und
anderen mitarbeiterbezogenen Rückstellungen
• Unterdotierung von Rückstellungen
• Abbildung von Steuerrisiken in Form von
Rückstellungen und Steuerverbindlichkeiten
• Bilanzierung von Leasing-Sachverhalten
• Hierarchie der Ermittlungs- und Rechnungslegungs-
grundsätze (vertragsspezifische Regelungen, GAAP,
Past Practice, interne Guidelines)
• Zeitliche Abgrenzungen wie die unterjährige Abbil-
dung von Rabatten und anderen Preisnachlässen
W&I
Claims
Non-
financial
related
Financial
and tax
related
RECHT UND STEUERN • REPORT
6. 436 M&A REVIEW 12/2018 • 29. Jahrgang
Risiken ist zu bedenken, dass es Zeit und Geld kostet,
einen W&I-Claim geltend zu machen und durchzuset-
zen. Die durchschnittliche Regulierungsdauer liegt
Analysen zufolge bei sieben Monaten15
, wobei von ei-
ner hohen Bandbreite auszugehen ist. Auch die entste-
henden Kosten können nicht unerheblich sein.
Da W&I-Auseinandersetzungen selten öffentlich aus-
getragen werden, liegen keine direkt einsehbaren
Sammlungen vergleichbarer Sachverhalte und Streit-
fälle vor. Auf W&I-Claims und M&A-Disputes spezia-
lisierte Experten, die bei W&I-Auseinandersetzungen re-
gelmäßig hinzugezogen werden, besitzen jedoch einen
entsprechenden Erfahrungsschatz aus der Praxis und
können bei der Einschätzung und der Analyse helfen.
Insbesondere zur Höhe der Ansprüche und zu den
Erfolgsaussichten können externe Experten eine belast-
bare Einschätzung und Orientierung geben. Zudem
unterstützen sie mit ihren einschlägigen Erfahrungen
bei der Aufarbeitung und Darstellung des Sachverhalts,
der Identifizierung sowie Geltendmachung bezie-
hungsweise der Abwehr von Ansprüchen.
Besonders wichtig ist dabei eine klare Kommunikation:
Stellungnahmen sind sorgfältig zu strukturieren und so
zu gestalten, dass sie im Zweifel einen unabhängigen
Dritten überzeugen können. Dazu müssen Argumen-
tationslinien nachvollziehbar sein und durch Belege
schlüssig untermauert werden. Zudem sollten nur Un-
terlagen und Stellungnahmen übersendet werden, die
die eigene Position zielgerichtet und vollumfassend
unterstreichen. Die Rücknahme beziehungsweise Än-
derung von Argumentationslinien ist stets mit einem
Glaubwürdigkeitsverlust verbunden und schadet der
Vertrauensbasis zwischen Kunde und Versicherung.
Darüber hinaus ist eine umsichtige Kommunikation
zwischen Versicherung und Kunde unerlässlich. Oftmals
enthalten die W&I-Policen eine Kooperationsklausel
hinsichtlich der Geltendmachung von Ansprüchen.
Aber auch unabhängig davon ist es im Interesse des
Versicherungsnehmers, auf angemessene Informa-
tionsanfragen der Versicherung zu reagieren und eine
schnelle sowie pragmatische Regulierung anzustreben.
Ferner ist anzunehmen, dass bei der Regulierung durch
die Versicherung auch Überlegungen zu den zukünf-
tigen Geschäftsbeziehungen mit den Kunden eine
Rolle spielen.
7. Fazit
W&I-Policen haben sich in den letzten Jahren zuneh-
mend am Markt etabliert. Denn Versicherungen haben
die Voraussetzungen für eine umfassende Einsetzbarkeit
15 Vgl. ebenda, S. 4; Die Art der Beilegung des W&I-Claims mittels unmittelbarer Anerken-
nung und Zahlung durch die Versicherung, Schiedsgerichtsverfahren oder vor staatlichen
Gerichten hat einen signifikanten Einfluss auf die Verfahrensdauer.
in der M&A-Praxis geschaffen, und gleichzeitig haben
die Transaktionsparteien die Vorteile von W&I-Policen
erkannt und bedienen sich dieser zur gewünschten
Risikoallokation.
Der verstärkte Einsatz von W&I-Versicherungen geht mit
einer wachsenden Zahl von Schadensmeldungen ein-
her, wobei die Schadensvolumina und -frequenz signi-
fikant sind. Die Schadensquellen ähneln den klassischen
M&A-Disput-Themen und beziehen sich regelmäßig auf
Finanzinformationen und Steuerthemen.
Der erfolgreiche Umgang mit W&I-Claims erfordert eine
eingehende Analyse der Sachverhalte und Finanz-
informationen. Wer potenzielle Ansprüche identifiziert
hat, muss die relevanten Fakten aufarbeiten, die daraus
resultierenden finanziellen Implikationen abschätzen
und die vertraglichen Anspruchsgrundlagen beleuch-
ten. Diese Analyse ist auch unter Berücksichtigung der
rechtlichen Sorgfaltspflichten des Managements von
Relevanz.
Dieses Vorgehen empfiehlt sich gleichermaßen für die
Versicherung. Denn um zu beurteilen, ob ein Anspruch
durch den Versicherungsvertrag abgedeckt wird oder
zurückzuweisen ist, ist ebenfalls eine detaillierte Aufar-
beitung und Analyse der Finanzdaten, Informationen
und Sachzusammenhänge erforderlich. Zudem müssen
die maßgebenden Rechnungslegungsnormen sowie die
einschlägigen Regelungen im Unternehmenskaufvertrag
und der Versicherungspolice intensiv geprüft werden.
Dabei ist fachliche Expertise genauso unerlässlich wie
Erfahrungen mit Rechnungslegungsthemen, Unterneh-
menskaufverträgen und M&A-Streitfällen.
Zudem muss der Umgang mit Ansprüchen auf beiden
Seiten von besonderer Sorgfalt geprägt sein, um die
Vertrauensbasis zu erhalten – und damit die Chance
auf eine langfristige Geschäftsbeziehung zwischen
Kunde und Versicherung zu wahren.
Ingo Schleis ist Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Direktor bei KPMG AG Wirtschafts-
prüfungsgesellschaft im Bereich Deal Advisory. Sein Beratungsschwerpunkt liegt in
der umfassenden Betreuung von Mandanten, die sich im Nachgang zu einer Unter-
nehmenstransaktion in einem M&A-Disput befinden. Neben der Identifizierung und
Durchsetzung bzw.Abwehr von Ansprüchen aus Unternehmenskaufverträgen ist er
auch selbst schlichtend als neutraler Schiedsgutachter (Independent Expert) aktiv. In
nationalen und internationalen Schiedsgerichtsverfahren unterstützt er die Parteien
als Parteigutachter bzw. Expert Witness. ingoschleis@kpmg.com
Christin Colditz ist Steuerberaterin und Managerin bei KPMG AG Wirtschaftsprüfungs-
gesellschaft im Bereich Deal Advisory. Sie begleitet Mandanten mit ihrer Erfahrung
durch den gesamten Transaktionsprozess. Im Vorfeld der Vertragsunterzeichnung
bringt sie ihre Erfahrung aus der Strukturierung und Optimierung zahlreicher Kaufver-
träge ein und unterstützt Mandanten nach Signing bei der Lösung komplexer Ausein-
andersetzungen. ccolditz@kpmg.com
REPORT • RECHT UND STEUERN