Dr. Achim Gmilkowsky: Vertragsgestaltung für Fotografen, Teil 1
Prof. Ellen Lissek-Schütz: Kulturpolitik in Deutschland seit der Wiedervereinigung. Bilanz und Perspektiven
1. Kultur und Politik B 1.2
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
Kulturpolitik in Deutschland seit der
Wiedervereinigung
Bilanz und Perspektiven
Prof. Ellen Lissek-Schütz
Der Beitrag stellt die zentralen Themen, Diskussionen und die Perspektiven der kulturpolitischen
Entwicklung in Deutschland seit der Wiedervereinigung (1990) dar. Schwerpunkte sind: die Ent-
wicklung der Kulturfinanzierung, das Verhältnis von Kultur und Staat sowie aktuelle Herausforde-
rungen und Perspektiven der Kulturpolitik: Kulturfinanzierung und Bürgerengagement, Kulturmar-
keting, Werte-Wandel, Freizeitverhalten und Kulturbegriff.
Gliederung Seite
1. Kulturpolitik und Kulturfinanzierung 2
1.1 Der Reichtum der deutschen Kulturlandschaft 2
1.2 Die Kulturförderung oder: Wer soll das bezahlen? 3
1.3 Probleme der Kulturfinanzierung – Entwicklungstendenzen 4
2. Deutschland – ein Kulturstaat? 5
2.1 Erweiterte Bundeskompetenz für die Kultur 6
2.1.1 Wiedervereinigung und Hauptstadtkulturvertrag 6
2.1.2 Staatsminister für Kultur und Medien 7
2.2 Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ 8
2.2.1 „Staatsziel Kultur“ – pro und contra 9
2.2.2 Europäische Aspekte 11
3. Kulturpolitik in neuen Begründungskontexten 12
3.1 Aktuelle Herausforderungen und Perspektiven im Überblick 12
3.2 Krise der Kulturfinanzierung, Fundraising und Bürgerengagement 13
3.3 Kulturinstitutionen als Dienstleistungsunternehmen durch Kundenorientierung
und Marketing 15
3.4 Werte-Wandel und Freizeitverhalten oder: Wer ist das Kulturpublikum? 17
3.4.1 Demographischer Wandel 17
3.4.2 Pluralisierung und Differenzierung 18
3.4.3 Kultur- und Freizeitverhalten 19
3.4.4 Interesse am Kulturgeschehen 19
3.4.5 Jugendliche als Kulturpublikum 20
3.4.6 Wandel des Kulturverständnisses – Flucht ins Amusement? 21
1
2. B 1.2 Kultur und Politik
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
1. Kulturpolitik und Kulturfinanzierung
1.1 Der Reichtum der deutschen Kulturlandschaft
„Ist es für die deutsche Kultur wirklich entscheidend, ob Kultur im
Grundgesetz verankert wird, wer Kulturstaatsminister sein darf oder
ob es ein Bundesministerium geben soll?“ fragte Thomas E. Schmidt
in „Die Zeit“ (August 2005), als es wieder einmal um die Frage der
Zuständigkeiten in der deutschen Kulturpolitik ging. Denn, so
Schmidt: „Was ist schon eine neue Bundesregierung“ gegen den
Reichtum der deutschen Kulturlandschaft, von dem „andere Länder
nur träumen können“?
Es gibt in Deutschland (mit 80 Millionen Einwohnern):
• rund 6000 Museen mit über 100 Millionen Besuchen jährlich, von
den über 50 Prozent in öffentlicher, vorrangig kommunaler, Trä-
gerschaft sind;
• mehr als 130 professionelle Sinfonie- und Kammer-Orchester,
davon in Berlin allein acht;
• 150 öffentlich, vorrangig von den Städten, getragene Theater mit
insgesamt 720 Spielstätten, die, zusammen mit über 200 Privatthe-
atern sowie ca. 40 Festspielhäusern, jährlich fast 35 Millionen Zu-
schauer erreichen;
• hinzu kommen über 10000 öffentliche und wissenschaftliche Bib-
liotheken und rund 960 Musikschulen.
Kulturausgaben Und dieser wesentlich mit öffentlichen Geldern „gehegte bundesdeut-
pro Einwohner sche Kulturpark steht nach wie vor in Blüte, eine Tausend-Blumen-
Landschaft“ (Schmidt), die derzeit mit insgesamt knapp 8 Mrd. Euro
öffentliche Mittel finanziert wird. Dies entspricht einem Anteil von 96
Euro Kulturausgaben pro Einwohner. Zum Vergleich: Kulturausgaben
in Großbritannien: US$ 28/Einw., Frankreich US$ 60/Einw., Polen:
US$ 25/Einw. (Schätzwerte). Damit nimmt Deutschland, nach Finn-
land, international einen Spitzenplatz in der „staatlichen“ Kulturförde-
rung ein.
2
3. Kultur und Politik B 1.2
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
1.2 Die Kulturförderung oder: Wer soll das bezahlen?
Insgesamt werden 90 Prozent der Kulturausgaben in Deutschland aus
öffentlichen Haushalten aufgebracht und weniger als 10 Prozent von
Privatpersonen, Sponsoren und privaten Stiftungen, deren Anteil an
der Gesamtfinanzierung von Kultur oft überschätzt wird. Wie stellt
sich die Förderung von Kunst und Kultur im Einzelnen dar?1
Die Kulturförderung wird in Deutschland vorrangig als eine öffentli- Bund, Länder
che Aufgabe verstanden, die aber nicht durch den „Staat“, sondern – und Kommunen
dem föderalistischen Prinzip entsprechend – auf den drei Ebenen
Bund, Länder, Kommunen wahr genommen wird, die gemeinsam das
dreigliedrige System öffentlicher Kulturpolitik und Kulturförderung
bilden. Dabei trägt die lokale Ebene, also die Kommunen, den größten
Anteil der öffentlichen Kulturförderung, gefolgt von den Ländern. Der
Bund beteiligt sich – wegen seiner eingeschränkten kulturpolitischen
Kompetenzen im Inland – mit einem geringeren Anteil an der Kultur-
förderung. Dementsprechend stehen auch die meisten öffentlichen
Kultureinrichtungen in Deutschland, bis auf wenige Ausnahmen, in
der Trägerschaft der Kommunen bzw. der Länder.
Im Schnitt verteilen sich die öffentlichen Kulturausgaben im Inland
derzeit wie folgt auf die drei Ebenen (Stand 2004):
Tab. B 1.2-1 Verteilung der öffentlichen Kulturausgaben
Ebene Prozentuale Ausgaben
Bundesebene, ohne Auslandskulturarbeit 10 Prozent
Länder, ohne Stadtstaaten 35 Prozent
Stadtstaaten (Berlin, Bremen, Hamburg) 11 Prozent
Gemeinden/Kommunale Ebene 44 Prozent
Rechnete man den 11 Prozent-Anteil der Stadtstaaten der kommunalen
Ebene zu, so ergäbe sich eine Beteiligung von 55 Prozent an den öf-
fentlichen Kulturausgaben, was die Bedeutung der lokalen Ebene für
die Kulturförderung in Deutschland zeigt.2
Die öffentlichen Haushalte finanzieren die verschiedenen Felder/ Sparten des
Sparten des Kultursektors in unterschiedlicher Weise. Traditionell den Kultursektors
höchsten Etat einer Sparte erreicht die Förderung von Theater und
Musik (einschließlich Musikschulen): Rund 2,9 Mrd. Euro oder 36
Prozent des gesamten öffentlichen Kulturetats flossen 2004 in diesen
Bereich, davon benötigen die Opernhäuser den größten Anteil. Der
Museumsbereich ist der zweitgrößte Posten mit 1,27 Mrd. Euro oder
16 Prozent, dicht gefolgt vom Bibliothekssektor mit 1,23 Mrd. Euro
oder 15 Prozent.3
3
4. B 1.2 Kultur und Politik
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
Private Kulturförderung Die private Kulturförderung in Deutschland, einschließlich Kultur-
sponsoring, wird derzeit auf rund 600 Millionen Euro geschätzt, was
einem Anteil von rund 8 Prozent an der Förderung von Kunst und
Kultur insgesamt entspricht.4 Von diesen 0,6 Mrd. Euro privater Kul-
turförderung in Deutschland entfallen
• auf Mäzenatentum/Stiftungswesen („philanthropic giving“) für
kulturelle Zwecke: 0,2 Mrd. Euro (von 2,5 bis 5,0 Mrd. geschätz-
ten Spenden für gemeinnützige Zwecke insgesamt);5
• auf das Kultursponsoring durch Unternehmen: 0,4 Mrd. Euro (von
3,4 Mrd. Euro Sponsoringmittel insgesamt). Das sind rund 12 Pro-
zent der gesamten Sponsoringaufwendungen (zum Vergleich
Sportsponsoring: 56 Prozent).6
Insgesamt stellt sich die private Kulturförderung in Deutschland als
noch unterentwickelt bzw., um es positiv zu wenden, als noch ausbau-
fähig dar. Sie zeigt vor allem Potenziale im Bereich Kultursponsoring,
aber auch im Bereich des Philanthropic Giving/Spenden – immerhin
wird das private Geldvermögen der Deutschen derzeit auf rund 5 Bil-
lionen Euro geschätzt.
1.3 Probleme der Kulturfinanzierung –
Entwicklungstendenzen
Alle Kulturverantwortlichen in Deutschland klagen seit Jahrzehnten
über die fortschreitenden Kürzungen im Kulturbereich. Wenn man
aber die Zahlen der öffentlichen Kulturförderung in Deutschland im
Vergleich der letzten dreißig Jahre betrachtet, so ergibt sich ein diffe-
renziertes Bild:7
Tab. B 1.2-2 Entwicklung der öffentlichen Kulturförderung
Jahr Milliarden Euro
1975 1,8
1985 3,6
1990 4,9
1995 7,4
2001 8,4
2003 8,2
2004 8,0
2005 7,8 (Schätzung)
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