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100% Schokolade


Eine exquisite Mischung
  feinster Geschichten


      STORIES & FRIENDS
100% Schokolade
 Eine exquisite Mischung
   feinster Geschichten




  S TO R I E S & F R I E N D S
Herausgegeben von Karen Grol




              1. Auflage - August 2008


                  Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2008 by STORIES & FRIENDS Verlag e.K.
              Lehrensteinsfeld bei Heilbronn
                Herausgeberin: Karen Grol
    Cover: © Uwe Langner, Foto_AR - Fotolia.com
           Illustrationen: © Rebecca Enzinger
            Gesetzt aus Adobe Garamond Pro
          Satz: STORIES & FRIENDS Verlag
  Druck und Bindung: Freiburger Graphische Betriebe
              ISBN 13: 978-3-9811560-2-7
               www.stories-and-friends.com
Gewogen schienst du mir zu sein,
 Du lächeltest der kleinsten Gabe;
Und wenn ich deine Gunst nur habe,
   So ist kein Täfelchen zu fein.
  JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
   AN ULRIKE VON LEVETzOW, 1823

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  • 1. 100% Schokolade Eine exquisite Mischung feinster Geschichten STORIES & FRIENDS
  • 2. 100% Schokolade Eine exquisite Mischung feinster Geschichten S TO R I E S & F R I E N D S
  • 3. Herausgegeben von Karen Grol 1. Auflage - August 2008 Alle Rechte vorbehalten Copyright © 2008 by STORIES & FRIENDS Verlag e.K. Lehrensteinsfeld bei Heilbronn Herausgeberin: Karen Grol Cover: © Uwe Langner, Foto_AR - Fotolia.com Illustrationen: © Rebecca Enzinger Gesetzt aus Adobe Garamond Pro Satz: STORIES & FRIENDS Verlag Druck und Bindung: Freiburger Graphische Betriebe ISBN 13: 978-3-9811560-2-7 www.stories-and-friends.com
  • 4. Gewogen schienst du mir zu sein, Du lächeltest der kleinsten Gabe; Und wenn ich deine Gunst nur habe, So ist kein Täfelchen zu fein. JOHANN WOLFGANG VON GOETHE AN ULRIKE VON LEVETzOW, 1823
  • 5. inhalt Karen Grol: Vorwort 10 1 Schokolade iSt Magie Marianne Glaßer: Liebeskummerkekse 16 Gudrun Büchler: Fantasie mit Schneegestöber 20 Peter Suska-Zerbes: Ahyldeoxyhyproid 28 Lisa Mandelartz: Konzentrierte Sonne 34 Karen Grol: Schwarzarbeit 40 1 Schokolade iSt gefährlich Olga Felicis: Fis 50 Bärbel Morsch: Schokoladensahnetorte 56
  • 6. Holger Bodag: Und führe mich in Versuchung 62 Martina Tischlinger: Die Selbsthilfegruppe 66 Arno Endler: Das Gesetz zur Beschränkung des Schokoladenkonsums in der EU 71 1 Schokolade Macht glücklich Gaby Cadera: Sammeln mit Genuss 80 Elvira Lauscher: Alles wird anders 85 Christiane Kleine: Unerwarteter Fund 92 Andrea Linger: Glück – Glücklicher – Schokolade 100 Chris Lind: zartbitter schmeckt der Sieg 105 1 Schokolade iSt kreativität Elke Schleich: Elfe und Pegasus 114 Julia Werner: Der süße Geschmack himmlischer Güte 122 Kai Riedemann: Apokalypse Kakao 128 Michael Zeidler: 888 g 132 Reinhart Hummel: Letzte Ölung 140 1 Schokolade iSt noStalgie Ulrike Rylance: Kleine Kostprobe 150
  • 7. Armena Kühne: Wie das Leben so spielt 156 Julia Hemetsberger: Das Mädchen mit dem Schokoladenkuchen 163 Karin Berthold: Bittersüße Andenken 170 Anja Labussek: Speise der Götter 177 1 Schokolade iSt reue Diana Wieser: Der hundertprozentige Tag 186 rentsnik: Blüten 191 Ulrike Kellner: Mein wunderbarer Alfred 196 Markus Niebios: Die letzte Oblate 202 Angelika Brox: Maikäfer 207 1 Die Autoren 214 Die Illustratoren 219
  • 8. Vorwort Karen Grol N ur ein einziges Stück. Ich öffne den Schrank einen Spalt, gerade breit genug, um die Hand hindurchzuschieben und die Tafel zu greifen, als würde ich etwas Verbotenes tun. Dabei bin ich allein, keiner wird mich abhalten. Keiner wird rufen »Iss nicht so viel Schokolade«, so dass mir Röte ins Gesicht schießt und kritische Blicke den Genuss verderben. Es knackt leise und ich freue mich diebisch, denn ich konnte fast einen ganzen Riegel ergattern. Kann ich etwas dafür, dass die Tafel nicht an der Stelle gebrochen ist, wo sie sollte ? Ich kehre an den Schreibtisch zurück. Bereits wäh- rend ich mich setze, wage ich den ersten Biss, spüre, wie sich der süße Schmelz auf meiner zunge verteilt und wohlige Wärme durch den Körper schickt. Wie von selbst beginnen meine Finger auf der Computertastatur zu tanzen. Sie schreiben den ersten Satz dort, wo bis- her gähnende Leere jede vernünftige Idee vertrieb. Aller 8
  • 9. Anfang ist schwer. Das gilt auch oder vielleicht gerade für Vorworte von Schokoladenbüchern. Schokolade macht glücklich. Nun, das ist ein alter Hut. Den Beweis tritt die Wissenschaft an, indem sie Bestand- teile listet wie Arzneirezepturen und die Wirkungsweise von Hormonen erläutert, als ginge es darum, mir einen Löffel Lebertran schmackhaft zu reden. Hochglanzma- gazine verführen mit Abbildungen, bei deren Betrach- tung mir das Wasser im Munde zusammenläuft. Dabei genügt bereits ein kleines Stück der süßen Köstlichkeit und ich gerate unweigerlich in einen Glücksrausch. Brauche ich detaillierte Erklärungen für ein Phänomen, das jeder kennt ? Sind also Geschichten über Schokolade einfach nur Geschichten über das Glück ? Ich öffne den Schrank, breche mir erneut eine Ecke von der Tafel ab. Ein großes Stück, aber mein Gewissen bleibt still. Ich schließe die Augen. Nichts soll mich ablenken, wenn Geschmacks- knospen auf Glück treffen. Nein ! Glück allein ist zu wenig. Ich stürze zurück an den Computer, meine Fin- ger hämmern auf die Tasten. Schokolade ist pure Magie, schreibe ich. Sie hilft genau dort, wo sie benötigt wird. Sie tröstet in Liebesdingen, sie beruhigt und gibt Kraft dann, wenn guter Rat teuer ist. Sie sorgt für Erkennt- nisse, wenn Lösungen gefragt sind, und weist Auswege in scheinbar ausweglosen Situationen. Vielleicht sollte ich den Text nicht schnöde in den 9
  • 10. Computer tippen, sondern verschnörkelte Buchstaben mit Schokoladentinte auf ein Blatt Papier malen ? Ich schüttle den Kopf über meinen verrückten Einfall und nehme mir vor, einen Kuchen zu zaubern, später, wenn dieses Vorwort sein Ende gefunden hat, jetzt, wo der An- fang in Bewegung geraten ist. Schokolade ist Kreativität, ergänze ich und denke an Vitrinen voll edler Pralinen, an riesige schokoladige Kunstwerke in Konditoreien und Museen, an Schokoladengedichte und in meiner Fantasie bade ich bereits in einer cremigen Canache. Dann bin ich plötzlich wieder Kind und erinnere mich an den Pudding meiner Mutter, an Schwarzwälder Kirschtorte zum Geburtstag und die Schokobonbons, die ich mit meiner ersten großen Liebe vernascht habe. Schokolade ist Nostalgie, ergänze ich in Gedanken und setze mich mit der Tafel aus dem Schrank gemütlich in einen Sessel. Fast spüre ich zärtliche Küsse auf meinen Lippen. Damals, als die Liebe vorbei war, glaubte ich, nicht mehr leben zu können. Welchem Wahn war ich nur ver- fallen ? zum Glück habe ich meinen Irrtum rechtzeitig erkannt. Schokolade ist gefährlich, fällt mir ein und ich lächle, wenn ich an die Schokoladenmengen denke, die ich zum Trost konsumiert habe. Als ich mich schließlich zum Entzug entschloss, wäre ich zum Äußersten fähig gewesen. Man stelle sich einmal vor, jemand würde tat- sächlich auf die wahnwitzige Idee verfallen, Schokolade zu verbieten ! 10
  • 11. Natürlich gibt es sie, die seltenen Fälle, in denen selbst die süßeste Köstlichkeit bitter wird, in denen man bedauert, sie gegessen zu haben. Vielleicht, weil sie je- mand anderem gehört ? Vielleicht, weil die Folgen nicht wiedergutzumachen sind ? Schokolade ist auch Reue. Sorgfältig verpacke in den kümmerlichen Rest der Tafel. Ich will das Glück nicht herausfordern. Trotzdem … ich bin mir sicher, dass ich spätestens morgen neue gute Gründe finden werde, mich ganz dem Genuss hinzugeben. Versprochen: 100% Schokolade ist Genuss ohne Reue. 30 exquisite Geschichten erzählen von Liebe und Kum- mer, von Glück und Irrtum, von verrückten Ideen, sehnsüchtigen Erinnerungen, von Versuchungen, Rache und Gewissensbissen, von Erfolgen und Niederlagen. Ob Vollmilch oder zartbitter … die heimliche Heldin Chocolat variiert den Kakaoanteil, schlüpft von einer Rolle in die andere und zeigt sich dabei nicht nur von ihrer Schokoladenseite. 11
  • 12. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. B I B E L , M AT T H ÄU S 4 , 4
  • 13. Liebeskummerkekse Marianne Glaßer I mmer wenn ich im Supermarkt nach einer Packung Schokoladenkekse greife, denke ich an einen kalten Januarsonntag. Er liegt zwanzig Jahre zurück, aber ich erinnere mich sehr genau daran. Draußen scheint hell die Sonne und der Schnee glitzert, aber ich sitze bei zu- gezogenen Vorhängen in meinem zimmer, zusammen- gekauert im Sessel, vor mir auf dem Tisch eine Packung mit Schokoladenkeksen, die ich langsam einen nach dem anderen esse. Am Morgen bin ich früh aus dem Haus gegangen und habe mich über den Sonnenschein gefreut. Bei diesem Wetter wirst du sicher spazieren gehen, und ich werde zufällig genau den Weg wählen, den du sonntagvor- mittags meistens nimmst. Es ist ein Kribbeln wie beim Roulettespiel, ob und wo ich dir begegnen werde. Heute habe ich Glück: Schon nach wenigen Metern leuchtet 13
  • 14. dein hellblauer Anorak zwischen den kahlen Sträuchern auf und ich beschleunige meine Schritte. Hallo. Hallo. Na, gehst du auch gerade ins Dorf ? Und schon bin ich neben dir und in ein Gespräch verwickelt, das vielleicht nur aus banalen Sätzen besteht, aber durch den Sonnenschein, das Glitzern des Schnees und das hellblaue Leuchten deines Anoraks fast ins Überirdische erhöht scheint. Woran ich mich wieder genau erinnere, ist der letzte Moment. Du stehst an der Wegkreuzung, die dich nach Hause führt und uns trennen wird, und siehst mich an. Man muss dem anderen auch die Freiheit lassen, sich für ein Nein zu entscheiden. Du sagst es ohne Ich oder Du, aber ich weiß genau, was du meinst. Deine blauen Augen blicken auf ein- mal sehr kühl und ich bringe nur noch Floskeln zum Abschied heraus, bevor ich langsam nach Hause gehe, mit hängendem Kopf wie eine Blume nach dem ersten Frost. Meine nächste Erinnerung: Ich sitze zuhause am Küchen- tisch, starre auf das geblümte Tischtuch und male mir aus, wie ich dich in ein paar Jahren auf dem Weg ins Dorf sehen werde. Immer noch mit deinen blauen Augen, viel- leicht auch noch mit dem blauen Anorak, aber mit einer anderen Frau neben dir. Ob mich meine Mutter etwas 14
  • 15. gefragt hat, weiß ich nicht mehr, und auch nicht, ob ich etwas gesagt habe. Irgendwann legt sie eine gelbe Packung mit Schokoladenkeksen vor mir auf den Tisch. Wer Kummer hat, muss essen. Liebeskummerkekse. Wie ein krankes Tier verkrieche ich mich in mein zim- mer. Ich mache die Vorhänge zu, lege Vivaldis düstere Cellosonaten auf und kauere mich im Sessel zusammen. Erst reiße ich die gelbe Packung auf und verstreue die Fetzen auf dem Teppich, dann ziehe ich das Plastik ab und blicke auf die mit Schokolade überzogenen But- terkekse, die in den drei Fächern aufgereiht liegen. Lie- beskummerkekse, denke ich ohne viel Hoffnung. Die werden mir auch nicht helfen. Trotzdem nehme ich einen heraus und beiße ein Stück davon ab. Süß und zart schmilzt die Schokolade auf meiner zunge, dann zerfällt der Keks. Während ich dem nachspüre, habe ich dich für einen Moment vergessen. Als der Keks geges- sen ist, fällt mir wieder ein, was du gesagt hast, und ich greife schnell nach dem zweiten. Eigentlich ist die Scho- kolade kalt, aber während sie auf meiner zunge zergeht, fühlt sie sich warm an. Warm und tröstlich wie eine Hand, die sich mir aufs Haar legt. Meine Mutter hatte wohl doch recht. Ich nehme mir den dritten Keks und merke, wie sich langsam ein kleines Wohlgefühl in mir ausbreitet. Und weil mir heute alles egal ist, esse ich die Packung leer. Danach bin ich zwar noch traurig, aber nicht mehr verzweifelt, dafür satt und müde. 15
  • 16. In den nächsten Wochen habe ich dir deine Freiheit gelassen und bin nicht mehr sonntagvormittags aus dem Haus gegangen, um dir zufällig zu begegnen. Stattdes- sen habe ich mich in meinem zimmer vergraben, durch den ganzen Vivaldi gehört und viele Packungen Scho- koladenkekse gegessen. Inzwischen schmilzt draußen der Schnee, das Eis taut und die Sträucher und Bäume beginnen auszuschlagen. Im April gehe ich gerade mit einer Einkaufstüte die Straße hinauf, als plötzlich dein hellblauer Anorak neben mir aufleuchtet. Hallo. Hallo. Na, gehst du auch gerade nach Hause ? Deine blauen Augen blicken wieder sehr freundlich und ich möchte gern noch ein paar banale oder weniger banale Sätze mit dir wechseln. Immer wenn ich eine Packung Schokoladenkekse in den Wohnzimmerschrank lege, denke ich lächelnd an den kalten Januarsonntag und an die zwanzig Jahre seither. Du isst diese Kekse auch sehr gern. Immer wieder holst du dir einen aus dem Schrank und ich muss zusehen, dass ich noch einen bekomme. Wenn ich mir dann den letzten geschnappt habe, kauere ich mich im Sessel ne- ben dir zusammen, lasse die Schokolade langsam auf meiner zunge zergehen und denke, dass es sich immer noch warm und tröstlich anfühlt, auch wenn ich keinen Liebeskummer mehr habe. 16
  • 17. Konzentrierte Sonne Lisa Mandelartz O hne die Stammkunden würde die Arbeit in dem Kiosk keinen Spaß machen. Touristen kommen auch viele, die sagen meistens nichts außer bitte und dan- ke, wenn überhaupt. Mit den Stammkunden aber kann ich ein paar Worte wechseln, über Krankheiten, Ärger in der Familie und Gott und die Welt. Langweilig wird das nie, weil die Leute so unterschiedlich sind. Halb St. Pauli kauft hier ein, in meiner kleinen Bude an der Reeper- bahn, egal, ob reich oder arm. Jeder braucht schließlich mal eine zeitung, Schokokekse oder Lakritzbonbons. Ich mache den Job schon ziemlich lange und weiß oft schon vor der Schicht, wie der Tag verlaufen wird. So sind am Monatsanfang die Umsätze natürlich am höchs- ten, da sind die Portemonnaies noch voll. Die Kinder ge- ben ihr Taschengeld für Weingummischlangen und Erd- beerlollis aus, die Säufer für Hochprozentiges, und Hilde von nebenan ist nur eine von vielen, die sich immer eine 17
  • 18. Dose Tabak zum Selberstopfen holt. Damit versucht sie dann bis zum nächsten Ersten auszukommen. Muss ja. An Regentagen gehen die Salzstangen besser, bei Son- nenschein Popcorn, warum auch immer. Und bei jedem Wetter besorgt sich der alte St.-Pauli-Fan mit dem roten Bommel auf der Mütze nach den Heimspielen seines Vereins eine Flasche Apfelkorn. Entweder um einen Sieg zu feiern, oder um sich die Niederlage schönzutrinken. Schnaps passt ja eigentlich immer. Ich kann aber nicht nur am Wetter erkennen, wie der Umsatz sein wird, sondern auch an den Einkäufen der Kunden, wie es ihnen geht oder was sie vorhaben. zum Beispiel bei Wilko. Er ist Anfang sechzig und trägt im Winter Moonboots wie die Prostituierten, weil er immer kalte Füße hat. Früher war er Schiffskoch, und er ist noch nicht so lange wieder an Land, und seitdem ist er ständig auf der Suche nach einer Frau. Hat er mir alles erklärt. Gleich als er zum ersten Mal bei mir an den Kiosk kam, fragte er mich, ob ich ihn nicht heiraten und zu ihm ziehen wolle, dann könne ich ihm nachts die Füße wärmen. »Nee«, habe ich gesagt, »ich arbeite ja immer bis spät abends, da hättest du nicht viel von mir.« Das hat er eingesehen, aber seitdem erzählt er mir regel- mäßig, wie er so vorankommt bei seiner Frauensuche. Am liebsten wäre ihm eine Witwe, denn er meint, es reiche ja, wenn einer von beiden ein Anfänger in Be- ziehungssachen ist. Sein bevorzugtes Jagdrevier ist der Tanztee im alten Café Sempel jeden Freitagnachmittag, 18
  • 19. und bevor er dort hingeht, kauft er immer eine Tafel Schokolade bei mir, Vollmilch oder Nuss. Denn die gibt Energie, da ist massig Sonne drin gespeichert, kon- zentrierte Sonne, weil die Kakaobohnen wachsen, wo es schön warm ist. Und die Energie braucht er, um die alten Ladys gehörig über die Tanzfläche zu wirbeln. Sagt Wilko. Was ich, ehrlich gesagt, gerne mal sehen würde. Wenn Wilko danach noch mal kommt und eine Schachtel Cognacbohnen verlangt, weiß ich, dass er kei- ne der Damen zu einem Rendezvous überreden konn- te. Und dass er deshalb etwas Trost braucht. Manchmal aber kauft er eine Schachtel Pralinen, dann hat er eine Verabredung, zu der er, ganz Kavalier der alten Schule, natürlich nicht mit leeren Händen geht. Je nachdem, wie apart er die betreffende Dame findet, fällt auch die Größe der Pralinenschachtel aus. Na ja, und wenn er am nächsten Tag wieder auftaucht und eine extra große Packung Cognacbohnen will, ist klar, dass er schon wie- der keinen Erfolg bei der Damenwelt hatte. Als Wilko eines Tages unsere teuerste Schachtel Pra- linen auswählte, wirkte er so nervös wie ein Teenager bei seinem ersten Date. Er trug sogar einen Anzug, und seine Haare hatte er sich mit so viel Frisiercreme zurück- gekämmt, dass sie wie ein glänzender Helm am Kopf klebten. Diesmal schien es ihm wirklich ernst zu sein. »Ich drück dir die Daumen«, sagte ich zum Abschied. Wilko nickte nur stumm. Er konnte gar nicht sprechen, so angespannt war er. 19
  • 20. Am Abend kam er wieder und wollte Cognacboh- nen, nicht eine Packung, nicht zwei, nein, drei. Er sah völlig fertig aus und schüttelte nur den Kopf, als ich fragte, ob es nicht so gut gelaufen sei. »Woran hat es denn gelegen ?«, fragte ich. Wilko ver- zog das Gesicht. »Ich erinnere sie an ihren Exmann, hat sie gesagt.« »Ist das gut oder schlecht ?«, fragte ich weiter. »Weiß ich nicht. Aber da war noch was. Sie hat mir die ganze zeit von ihrer Katze erzählt, einem acht Kilo schweren Perserkater. Was der am liebsten frisst, was er für Krankheiten hat, und dass er nachts immer in ihrem Bett schlafen darf. Sie ist ein Prachtweib, wie ich selten eins gesehen hab, und ich hab viele gesehen, aber ich will nicht das Bett mit ihrem übergewichtigen, haarigen Kater teilen. Das kann ich einfach nicht.« »Oh ha«, entgegnete ich, »das kann ich gut verste- hen.« Und er tat mir ziemlich leid. Aber was soll man da machen. Es ging dann so weiter wie zuvor, mit Tanztee und Schokolade und hin und wieder einer Schachtel Pra- linen, aber nie wieder die große Packung, immer nur die ganz kleinen. Und sein Cognacbohnenkonsum stieg stetig an. Als Wilko eines Tages einen Flachmann mit Rum und eine Packung Taschentücher verlangte, begann ich, mir ernsthaft Sorgen zu machen. Ich habe schon genug gute Leute im Suff enden sehen. Meistens halte 20
  • 21. ich mich ja raus, doch diesmal konnte ich mich nicht zurückhalten. »Mensch, Wilko«, sagte ich, »Alkohol ist doch keine Lösung. Nimm doch lieber einen Schokoriegel.« »Wie bitte ?«, fragte Wilko verblüfft. »Ach so, ver- stehe. Aber mach dir mal keine Sorgen um mich. Es ist alles in Ordnung. Pascha ist gestorben.« »Pascha … ?« »Na, die Katze. Weißt du nicht mehr ? Der Kater, von dem ich dir erzählt hab, der immer bei der Hannelore im Bett schlafen darf. Also durfte. Ist einfach umgekippt. Wir machen ihm ein schönes Begräbnis in den Wall- anlagen. Und dazu gehört doch ein anständiger Schluck auf den Verstorbenen. Ich muss weiter, Hannelore war- tet da drüben. Komm doch mit !« »Oh, nein danke, zu freundlich, wirklich, aber ich kann hier nicht weg.« In dem Moment fiel mir die klei- ne Reisetasche auf, die Wilko in der Hand hielt. Am Griff war eine schwarze Schleife befestigt. »Ist er da drin ?«, fragte ich. »Der Kater ?« »Ja«, entgegnete Wilko mit verschwörerischem Grin- sen, »passt gerade so rein. Das Viech ist ja ziemlich groß gewesen. Aber jetzt muss ich wirklich los. Tschüss !« Wilko überquerte über die Straße, und auf der an- deren Seite hakte sich eine Frau bei ihm ein. Sie war ziemlich mollig gebaut und sah so aus, als ob sie immer warme Füße hätte. An den nächsten Tagen kam Wilko nicht. Der Pauli- 21
  • 22. Fan mit der Bommelmütze leistete sich mit glücklichem Lallen seine Flasche Apfelkorn und trank auf einen knappen, hart umkämpften und sehr wichtigen Sieg sei- nes Lieblingsvereins, der pickelige Junge von gegenüber rappelte alle Überraschungseier durch, kaufte sechzehn und erwischte doch nicht das spezielle heiß ersehnte Plastikmonster, und die in die Jahre gekommenen zwil- linge, die immer noch gemeinsam in der Wohnung ih- rer längst verstorbenen Eltern lebten, stritten wie üblich darüber, welche Fernsehzeitung sie nehmen sollten. Alle waren sie da, wie immer, nur Wilko nicht. Als er dann schließlich nach fast zwei Wochen wieder einmal an einem Freitag bei mir am Kiosk aufkreuzte, wollte er ein Rätselheft, eine zeitung und Himbeer- bonbons. »Was ist denn mit dir los?«, fragte ich. »Keine Schokolade heute ?« Wilko lächelte. Er sah gleichzeitig verlegen und glücklich aus. »Ich geh nicht zum Tanztee. Wir wollen in die Wallanlagen, Pascha besuchen, spazieren gehen und ein bisschen gemütlich auf einer Bank sitzen und so.« Da bemerkte ich erst, dass ein paar Schritte entfernt Hannelore stand, mit rosigen Wangen und einem ähn- lichen Gesichtsausdruck wie Wilko. »Und Schokolade brauch ich jetzt nicht mehr«, setzte Wilko noch hinzu, bevor er sich umdrehte, um zu ihr zu gehen, »Ich hab jetzt meine eigene Sonne.« 22