Präsentation der "Arbeitsstelle Provenienzforschung - NS-Raubgut" der SUB Hamburg zum Tag der Provenienzforschung 2020 am 8. April 2020. Es werden Aktivitäten vorgestellt, die Interessierten einen ersten Einblick in die Recherchen an der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg vermittelt.
1. 8. April 2020
Staats- und
Universitätsbibliothek
Hamburg Carl von
Ossietzky
8. April 2020 Tag der Provenienzforschung 1
2. Was ist Provenienzforschung?
28. April 2020 Tag der Provenienzforschung
Die Provenienzforschung beschäftigt
sich mit der Herkunft (Provenienz) von
Kulturgütern und sucht Aufschluss
über deren frühere Besitzerinnen und
Besitzer zu geben. Einen Schwerpunkt
bildet in Deutschland gegenwärtig die
Forschung zu NS-Raubgut.
3. Was ist NS-Raubgut ?
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„[Unter NS-Raubgut versteht
man das] Vermögen von
Bürgern und Vereinigungen,
die in der Zeit vom 30. Januar
1933 bis zum 8. Mai 1945 aus
rassischen, politischen, religiö-
sen oder weltanschaulichen
Gründen verfolgt wurden und
deshalb ihr Vermögen in Folge
von Zwangsverkäufen,
Enteignungen oder auf andere
Weise verloren haben.“
8. April 2020 Tag der Provenienzforschung
(Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen 1992, §1, Punkt 6)
Depot mit NS-Raubgut in Bayern, 1945 (Wikimedia Commons)
5. NS-Raubgut in Bibliotheken
Schätzungsweise lagern heute noch
rund eine Million geraubter Bücher
in deutschen Bibliotheken.
Hinzu kommen besondere Materi-
alien wie Manuskripte, Drucke oder
Inkunabeln.
Allein in der SUB Hamburg gab es in
der NS-Zeit mindestens 20.000
raubgutverdächtige Zugänge.
Kriegsverluste u.a. reduzierten den
Bestand drastisch.
Bisher konnten gut 2000 Bände NS-
Raubgut im Bestand der SUB
identifiziert werden.
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Identifiziertes NS-Raubgut in der SUB
8. April 2020 Tag der Provenienzforschung
6. Grundlage: Die Washingtoner Erklärung
Im Jahr 1998 verständigten sich 44 Staaten auf der
Washingtoner Konferenz darauf, NS-verfolgungsbedingt
entzogene Kulturgüter ausfindig zu machen und sie den
Verfolgten oder deren Erben zurückzugeben.
Diese Selbstverpflichtung legt den verantwortungsvollen
Umgang mit NS-Raubgut in Deutschland fest. Sie gilt für
öffentliche Institutionen wie Museen, Archive und
Bibliotheken.
68. April 2020 Tag der Provenienzforschung
7. Ziel: „gerechte und faire Lösungen“
An der SUB Hamburg wie an zahlreichen
anderen deutschen Bibliotheken wird seit
vielen Jahren systematisch
Provenienzforschung betrieben.
Das Ziel ist das Aufspüren der rechtmäßigen
Eigentümer und das Finden einer „gerechten
und fairen Lösung“ zusammen mit den
Erben, im Sinne der Washingtoner Erklärung
von 1998.
78. April 2020 Tag der Provenienzforschung
8. Arbeitsstelle Provenienzforschung – NS-Raubgut
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Seit 2006 sucht die SUB Hamburg systematisch
nach Raubgut im Bestand der Bibliothek.
Im Jahr 2015 wurde zu diesem Zweck die
Arbeitsstelle Provenienzforschung – NS-Raubgut
eingerichtet.
Inzwischen konnte die SUB in 32 Restitutionen
über 600 Bände zurückgeben.
Förderer waren bzw. sind die Freie und
Hansestadt Hamburg und das Deutsche Zentrum
Kulturgutverluste.
8. April 2020 Tag der Provenienzforschung
9. Zugangswege geraubter Bücher
Direkte Überweisungen der Gestapo aus dem beschlagnahm-
ten Eigentum von NS-Verfolgten
Über die Reichstauschstelle: beschlagnahmte Buchbestände
und günstige Aufkäufe, auch aus den besetzten Gebieten
Plünderungen von Forschungs- und Bildungseinrichtungen
durch deutsche Besatzer
Erwerbungen in Antiquariaten (Notverkäufe)
8. April 2020 Tag der Provenienzforschung
Reichstauschstelle
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10. NS-Raubgut aus dem Hafen
Von der Gestapo aufgebrochener „Lift“ im Hafen (Staatsarchiv Hamburg)
Tausende Menschen, die das
NS-Regime als Juden
verfolgte und vertrieb, ließen
ihre Habseligkeiten in
Transportcontainern („Lifts“)
über den Hamburger Hafen
verschiffen.
Ab 1940/41 beschlagnahmte
die Gestapo alle im Hafen
lagernden „Lifts“ wegen
angeblicher Feuergefahr.
Die Bücher daraus brachte sie
unter anderem in die SUB;
weiterer Besitz wurde
öffentlich versteigert.
Beschreibung in einer Rückerstattungsakte, 1950er Jahre (Staatsarchiv
Hamburg)
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11. Im Zugangsbuch: „Geschenke“ der Gestapo
118. April 2020 Tag der Provenienzforschung
In den Zugangsbüchern
finden sich ab 1940
Tausende „Geschenke“
der Geheimen Staats-
polizei an die SUB:
Überweisungen von
Büchern, die zuvor
massenweise aus den
Haushalten NS-Verfolgter
geraubt worden waren.
12. Ankäufe bei Auktionshäusern
Zugangsweg: Die SUB kaufte bei Händlern, die teils auf
Notverkäufe von NS-Verfolgten zurückgriffen.
Recherche: Vom Zugangsbuch über den Auktionskatalog
zum Einliefererkürzel… und zum Eigentümer.
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13. Spurensuche in den Büchern
8. April 2020 Tag der Provenienzforschung 13
Schwierig: Tausende Bücher in der
SUB sind definitiv NS-Raubgut, aber
wem haben sie gehört?
Um das herauszufinden, muss jedes
Buch einzeln in die Hand genom-
men und genau überprüft werden.
Gibt es Widmungen, Autogramme,
Stempel, Notizen, Exlibris?
Manche Bücher tragen eindeutige
Besitzvermerke: Glücksfälle für die
Provenienzforschung!
14. Rätselhafte Besitzvermerke
148. April 2020 Tag der Provenienzforschung
Oft geben Besitzvermerke viele
Fragen auf:
Wer war Nelly mit dem schönen
Exlibris? Welcher Helmuth hat
das Buch zum 16. Geburtstag
bekommen? Wem gehörte seit
dem 1. Februar 1933 „Die Angst
zu lieben“?
Manchmal können hier andere
Forscher helfen, die schon ein
Exlibris oder eine Handschrift
entschlüsselt haben.
15. Restitutionen an Erben der Eigentümer
158. April 2020 Tag der Provenienzforschung
…an die Erben von
Gustav Gabriel Cohn
…an die Erben von Joseph Norden
…an die Erben von
Familie Petschek
…an die Erbin von Emil Netter
…an die Erbin von Ignatz Bick
Wenn die rechtmäßigen Eigentümer von NS-
Raubgut gefunden sind, beginnt die Suche
nach Erben und die Kontaktaufnahme.
In vielen Fällen kommt es zu einer Rückgabe
der geraubten Bücher an die Familien.
16. Geschenke von Erben: Mary May Reiss
168. April 2020 Tag der Provenienzforschung
Mitunter beschließen
die Erben, das
aufgefundene NS-
Raubgut der SUB
oder anderen
Einrichtungen zu
schenken.
Solche Bücher tragen
fortan Vermerke, die
die Geschichte ihrer
rechtmäßigen Eigen-
tümer erzählen.
17. Forschungsprojekt zu Sondersammlungen
Seit 2018 werden die
Sondersammlungen auf NS-
Raubgut überprüft,
gefördert vom Deutschen
Zentrum Kulturgutverluste.
Es geht um Autographen,
Drucke, Zeichnungen etc.
So erwarb 1937 die SUB auf
einer Auktion Hunderte
Autographen aus der
Sammlung des als Juden
verfolgten Heinrich Spiero.
Er hatte seine wertvollsten
Stücke unter dem Druck
der NS-Verfolgung ins
Auktionshaus gebracht.
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18. Weitere Informationen
188. April 2020 Tag der Provenienzforschung
Detaillierte Informationen zur Arbeitsstelle
Provenienzforschung finden sich auf unserer Website:
https://www.sub.uni-hamburg.de/sammlungen/ns-
raubgut/die-arbeitsstelle-provenienzforschung.html