Nachhaltigkeit und Social Media |
Überlegungen zu einer offenen und partizipativen Kommunikation
Dr. Jutta Franzen, wissenschaftliche Mitarbeiterin, KMGNE, März 2012
Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaft an der Universität Duisburg_Essen
Nachhaltigkeit und Social Media | Offene partizipative Kommunikation
1. KMGNE | Kolleg für Management und Gestaltung nachhaltiger Entwicklung
Internationale Sommeruniversität | Audiovisuelle Kommunikation
Nachhaltigkeit und Social Media
Überlegungen zu einer offenen und partizipativen Kommunikation
Autorin: Dr. Jutta Franzen, wiss. Mitarbeit KMGNE | Berlin März. 2012
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2. Nachhaltigkeit und Social Media
Überlegungen zu einer offenen und partizipativen Kommunikation
Dr. Jutta Franzen, wissenschaftliche Mitarbeiterin, KMGNE, März 2012
„Partizipation, Interaktivität, Gestaltungskompetenz, Reflexion und positive
1
Handlungsoption“ als die Grundsätze einer Kommunikation der Nachhaltigkeit
kennzeichnen auch die aktuelle Form der Kommunikation, die als „Web 2.0“ sich global
entwickelt und für alle gesellschaftlichen Bereiche rasant an Bedeutung gewinnt. Es liegt
daher nahe zu prüfen, ob und wie die Themen und Inhalte von Nachhaltigkeit mit den
Sozialen Medien des Web 2.0 handlungswirksam vermittelt werden können. Dabei steht das
„ob“ angesichts der Bedeutung, die das Web 2.0 global und quer durch alle
Bevölkerungsgruppen bereits gewonnen hat, immer weniger in Frage.
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3. Um 50 Millionen Nutzerinnen zu erreichen, benötigte das Massenmedium Fernsehen 13
Jahre; das Internet 4 Jahre, während allein das soziale Netzwerk facebook, eine der Web
2.0 Plattformen, in weniger als 9 Monaten mehr als 100 Millionen Nutzer/-innen
verzeichnete.2 Doch nicht nur die Zahlen, die aufzeigen, dass mit dem Web 2.0 eine große
Masse an Menschen in kurzer Zeit erreicht werden kann, sprechen dafür, es für die
Kommunikation von Nachhaltigkeit zu nutzen - es sind auch die Verhaltensweisen im
Umgang mit dem Medium Internet und die Kommunikationskultur der Menschen, die es
nutzen und die auf diese Weise angesprochen werden. Denn die Nutzer/-innen des Web
bilden nicht mehr ein passives Publikum, sondern eine aktive community, die selbst Inhalte
erstellt, diese teilt und das Medium Internet mit gestaltet. Obgleich massenhaft genutzt, ist
dieses kein Massenmedium, sondern ein Medium der Massen:
„Das World Wide Web scheint (…) mit der Internetkommunikation die Schwächen
des anonymen und asymmetrischen Charakters der Massenkommunikation
auszugleichen, indem es den Wiedereinzug interaktiver und deliberativer Elemente in
einem unregulierten Austausch zwischen Partnern zulässt, die virtuell, aber auf
gleicher Augenhöhe miteinander kommunizieren.“3
Mit dieser Einschätzung hat Jürgen Habermas die Kritik relativiert, die - nicht nur er- an den
Massenmedien des 20.Jh. insbesondere am Fernsehen geübt hat, weil es die Öffentlichkeit
in eine „Monokultur der Manipulation verwandelte.“4 Für diese Sichtweise ist die Vorstellung
leitend, dass Kommunikation vertikal und einseitig verläuft, von den Sendern hin zum
empfangenden, aufmerksamen, aber primär konsumtiven Publikum.5 Die Themen erreichen
das Publikum nicht im direkten und beidseitigen Dialog, sondern vermittelt über
Redaktionen, Journalisten, Medienvertretern, Meinungsmacher.
Für die Anwendungen des Web 2.0 hingegen ist eine horizontale Kommunikation in mehrere
Richtungen signifikant, in deren Mittelpunkt die User, Nutzer/- innen stehen, die zugleich
Empfänger und Sender, Konsument und Produzent sind. „Broadcast yourself“6 ist das
treffende Motto der Sozialen Medien. Sie basieren auf der Struktur sozialer Netzwerke und
der Verhaltensweise der Partizipation, die beim Sharing, - dem Teilen, Kommentieren,
Bewerten beginnt und bis hin zur Kollaboration, dem gemeinsamen Erarbeiten von Wissen
und Inhalten, führen kann. Die Personen, die bisher nur Publikum waren, (TPFKATA: „The
People formerly known as the audience“)7 gestalten das Internet durch eigene Beiträge und
ihre Vernetzung untereinander mit.
A highly centralized media system had connected people “up” to big social agencies
and centers of power but not “across” to each other. Now the horizontal flow, citizen-
to-citizen, is as real and consequential as the vertical one.8
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4. Gleich mehrere (populäre) Bezeichnungen versuchen, die Besonderheit der horizontalen
und mehrdirektionalen Kommunikationsstrukturen des Web 2.0 zu beschreiben:
Der Begriff „Social Media“ - Soziale Medien hebt hervor, dass das Web 2.0 vorrangig
nicht eine Technologie, sondern eine gesellschaftlich geprägte und an Personen
gebundene kulturelle Form des Umgangs mit Medien ist;
„Crowdsourcing“9 zielt darauf ab, dass die „Masse“ oder der „Schwarm“ durch die
aktive Beteiligung der einzelnen ein Potential an Ressourcen umfasst, das sich im
Web zur „Wisdom of Crowds“, zur Intelligenz des Schwarms entwickeln kann;
„Cloud“10 hingegen fasst beide Aspekte im Bild der „Wolke“ zusammen, das zugleich
die Undurchschaubarkeit des Gesamtnetzes wie seine Erreichbarkeit von jedem Ort
und zu jeder Zeit beschreibt.
Eine Kommunikation der Nachhaltigkeit, die über das Web 2.0 verläuft, nimmt damit Teil an
einem gesellschaftlichen Wandel von Öffentlichkeit und Kommunikation. Die
partizipatorische Wende in der Kommunikation bedeutet eine Ausdifferenzierung in
„zahllose Andockmöglichkeiten für ebenso zahllose Interessen, Idiosynkrasien und
Obsessionen“11. Gerade für ein solch komplexes Themenfeld wie Nachhaltigkeit ermöglicht
Web 2.0 einen offenen Zugang, der gleichermaßen Expertenwissen wie Erfahrungswissen
als Ressource aufzugreifen und zu vernetzen vermag. Verständlichkeit der Inhalte auf
unterschiedlichem Niveau, Berücksichtigung regionaler und kultureller Besonderheiten und
Einbeziehung aktueller Ergebnisse aus Forschung und Wissenschaft werden durch die
Nutzung der verschiedenen Plattformen - z.B. von Facebook, YouTube über Blog, twitter bis
Wiki- ermöglicht. Alle Interessierten können mit ihrem Wissensstand, ihren Kompetenzen
und Erfahrungen an der Diskussion, Verbreitung und Gestaltung der Inhalte partizipieren.
Experten agieren hierbei als Moderatoren, die Impulse geben, Lern- und
Diskussionsprozesse anstoßen, ggf. auch korrigierend und ergänzend eingreife. Jeder User
trägt mit seinem Beitrag einen „Wert“ bei und je mehr das tun, umso besser, wie es Tim
O’Reilly in seiner viel zitierten Definition von Web 2.0 beschrieben hat. 12
„Jeder kennt irgendwas, aber das kann immer nur ein Bruchteil dessen sein, was es gibt;
[…] Autoritäten gibt es nicht – außer der Autorität der vielen anderen Einzelnen: der Autorität
des Schwarms.“13 Die Beiträge sind nicht auf finale Versionen angelegt, sondern als „re-
edits“, als „perpetual Beta“14, die kritisch reflektiert, beständig aktualisiert und weiter editiert
werden können. „Die digitale Öffentlichkeit trainiert den Einzelnen zum Selbstdenker, sie
fordert seine Reflexivität heraus, sie übt ihn in kommunikativer Vernunft.“15 Experteninput
und Alltagswissen müssen sich gleichermaßen im offenen Austausch und in der
Kommunikation innerhalb der sozialen Netzwerke bewähren. Es hat sich „in der digitalen
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5. Öffentlichkeit eine Kritik der Kritik etabliert“16, für die Authentizität und Transparenz der
Aussagen entscheidende Kriterien bilden. Insofern kann von einer Demokratisierung in der
Kommunikation gesprochen werden. 17
Der insgesamt „virale“ Verlauf der Kommunikationsprozesse im Web 2.0 schließt eine
zentrale und hierarchische Kontrolle aus: nur in begrenztem Umfang können einzelne
Phasen, z.B. die Entscheidung mit wem man sich vernetzt, wem man folgt oder wen man als
„ Freund“ akzeptiert, den Verlauf beeinflussen. Dieser Kontrollverlust birgt vor allem
hinsichtlich des Missbrauchs persönlicher Daten und der Verletzung von Autorenrechten ein
Risiko. Für die Inhalte und ihre öffentlichkeitswirksame Vermittlung ähnelt „virale“
Kommunikation im Web 2.0 durchaus der guten alten „Mundpropaganda“, die das
Engagement für eine Sache, die sie auch anderen bekannt und begreifbar machen will,
voraussetzt und dabei persönliche Kontakte nutzt, aber mit dem Ziel, einen Prozess zu
initiieren, der viele jenseits des persönlichen Umfelds erreicht. Entgegen des kritischen
Vorbehalts, dass die persönliche Begegnung in der Welt des Web an Bedeutung verliert,
zeigt sich ihre Relevanz gerade für eine Kommunikation, die nicht nur Nachhaltigkeit
vermitteln, sondern selbst nachhaltig wirken will. „Alles, was man im virtuellen Raum tut,
führt nur zum Ziel, wenn man sich auf etwas konzentriert, das außerhalb von einem selbst
existiert, um mit ihm in Berührung zu kommen.“18 Aufmerksamkeit, Verständnis von
Zusammenhängen, Problembewusstsein und eine positive Handlungsorientierung
entwickeln sich nachhaltig im Austausch mit anderen, der von der Online-Aktivität zum
Offline-Handeln führt.
Dieser „Sprung“ wird durch die Web 2.0 Strukturen selbst unterstützt, indem sie
Alltagserfahrung nicht nur als Ausgangspunkt für Kommunikation und Vernetzung
einbeziehen, sondern auch wieder hierhin zurückführen können. „Flash Mobs“ sind ein
Beispiel, wie die sozialen Netzwerke des Web zur Offline- Aktion motivieren und diese nicht
nur organisieren: die Kommunikation im Web über die Inhalte hat eine reale Wirkung auf das
Denken und Handeln im Alltag, aus der heraus die Bereitschaft zur Aktion entsteht.
Veränderungen im individuellen Lifestyle sind weitere Beispiele, wie die Kommunikation in
der Online-Community das Verhalten offline beeinflussen und verändern kann.
1
Joachim Borner, „Nachhaltigkeit in 50 Sekunden“, S.82
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6. 2
Social Media Revolution, Socialnomics by Erik Qualman, mit deutscher Übersetzung vom Institut Michael
Ehlers: http://www.youtube.com/watch?v=2_Ig0ClYlmM (Okt 2009) [07.11.2011]
Version 2011 mit aktuellen Nutzerzahlen (engl.): http://www.youtube.com/watch?v=3SuNx0UrnEo
[07.11.2011]
3
Jürgen Habermas (2008) Hat die Demokratie noch eine epistemische Dimension? Empirische Forschung und
normative Theorie, In: Ders.: Ach, Europa. Frankfurt am Main, S.161, zitiert in: Gerhard Schulze, 2011,
Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0, Kunst und Publikum im digitalen Zeitalter, in: Kulturpolitische Mitteilungen,
Nr. 134, III/2011, S.36
4
Gerhard Schulze (2011), ebd.
5
Dieses Verständnis von Massenmedien folgt der Definition von Günther Maletzke (1963) Psychologie der
Massenkommunikation, Verlag Hans Bredow Institut
6
Der Slogan von YouTube, der Web-Plattform für das Teilen von vorrangig selbst erstellten Videoclips:
Founded in February 2005, YouTube allows billions of people to discover, watch and share originally-created
videos. YouTube provides a forum for people to connect, inform, and inspire others across the globe and acts as
a distribution platform for original content creators and advertisers large and small.
http://www.youtube.com/t/about_youtube [07.10.2011]
7
Jay Rosen, Medienkritiker, Professor am Arthur L. Carter Journalism Institute der NYU prägte im Artikel seines
Blogs „PressThink“ (www.pressthink.org) das Akronym TPFKATA.
http://archive.pressthink.org/2006/06/27/ppl_frmr.html . 27. Juni 2006 [07.11.2011]
s. auch: The Web is People, Video, 08.April 2008 http://www.youtube.com/watch?v=WCgvkslCzTo&feature=user
8
ebd. “Ein hoch konzentriertes Mediensystem hatte die Leute „aufwärts“ verbunden zu den großen
gesellschaftlichen Schaltstellen und Machtzentren, aber nicht „quer“ untereinander. Nun ist der horizontale
Verlauf, Bürger-zu-Bürger, genau so wirklich und wichtig wie der vertikale.“ (Übersetzung jf)
9
vgl. den grundlegenden Artikel: The Rise of Crowdsourcing, in: Wire, Issue 14.06, Juni 2006
http://www.wired.com/wired/archive/14.06/crowds.html
10
„The term "cloud" is used as a metaphor for the Internet, based on the cloud drawing used in the past to
represent the telephone network and later to depict the Internet in computer network diagrams as an abstraction
of the underlying infrastructure it represents.“ http://en.wikipedia.org/wiki/Cloud_computing [07.11.2011]
11
Gerhard Schulze (2011), S.38
12
Tim O’Reilly (2004) Key Note Web 2.0 Conference, San Francisco, Oct 2004,
http://www.web2con.com/web2con/ [07.11.2011]
Tim O’Reilly (2005) What is Web 2.0? http://tim.oreilly.com/lpt/a/6228 [07.11.2011]
vgl. auch: Video Interview 21.05.2007, von Kamla Bhatt: http://www.youtube.com/watch?v=CQibri7gpLM
[07.11.2011]
13
ebd., S. 41
14
ebd.
15
Gerhard Schulze (2011), S. 43
16
ebd. S. 41
17
http://getsocial.mod-lab.com/page/what_is_a_social_website [07.11.2011]
Gerhard Schulze (2011), S.40
18
ebd. S.41
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