1. Medienkonferenz der Gesundheits- und Fürsorgedirektion vom 6. Juli 2012
Es gilt das gesprochene Wort!
„Eine anspruchsvolle Revision,
orientiert am übergeordneten Allgemeininteresse“
Spitalversorgungsgesetz (SpVG)
Revision – Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens
Erläuterungen von Regierungsrat Philippe Perrenoud
Gesundheits- und Fürsorgedirektor
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüsse Sie recht herzlich zur heutigen
Medienkonferenz!
Diese erste Juliwoche war in politischer Hinsicht sehr intensiv. Uns allen ist bewusst, dass
unser Kanton riesigen Herausforderungen begegnet, dies in einer wegen den prekären
finanziellen Voraussetzungen relativ ungünstigen Ausgangslage.
Im Zuständigkeitsbereich meiner Direktion steht nun die sicherlich anspruchsvollste
Gesetzesrevision der laufenden Legislatur bevor. Der Regierungsrat hat anlässlich seiner
letzten Sitzung vor der Sommerpause das revidierte Spitalversorgungsgesetz für die
Eröffnung der Vernehmlassung verabschiedet – eine dicke Vorlage zu einer schwierigen
Materie mit zahlreichen komplexen Fragen. Für alle betroffenen Partner des Spitalwesens
sowie für die interessierten Kreise wird somit die Sommerpause sehr kurz, auch wenn die
Vernehmlassung bis zum 5. Oktober läuft.
In einem ersten Schritt werde ich Ihnen die wichtigsten Schwerpunkte dieser Revision
darlegen. Anschliessend wird Herr Carlo Tschudi, Vorsteher des Rechtsamts meiner
Direktion, die Revision in ihrem Umfeld situieren. Dann wird Ihnen Frau Annamaria Müller
Imboden, Vorsteherin des Spitalamts meiner Direktion, die Bestimmungen des
Gesetzentwurfs im Detail erläutern. Zum Schluss werde ich das Vorhaben in politischer
Hinsicht kurz bewerten.
Alles in allem brauchen wir dazu eine knappe Stunde, ich bitte um Verständnis.
Anschliessend stehen wir für die Beantwortung Ihrer Fragen gerne zur Verfügung.
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Meine Damen und Herren, als der Bundesgesetzgeber im Dezember 2007 die neue
Spitalfinanzierung verabschiedete, war den wenigsten politischen Entscheidungsträgern klar,
welches Ausmass die angekündigten Änderungen haben würden und wie gross die zu
überwindenden Schwierigkeiten sein würden, um die Neuerungen umzusetzen.
Wir müssen in der Tat Lösungen finden, und zwar in einem paradox organisierten System.
Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) definiert einen im Wesentlichen liberalisierten
nationalen Spitalmarkt, verlangt von den Kantonen aber gleichzeitig eine strenge Planung
der Versorgung ihrer Bevölkerung. Die Kantone sind den Auswirkungen einer ständig
wachsenden Konkurrenz auf dem Markt und dem immer grösser werdenden Kostendruck
ausgesetzt. Und die Kantone stehen in der Versorgungsplanungspflicht, konfrontiert mit den
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2. in der Bevölkerung bestehenden grossen Erwartungen sowie den Befürchtungen eines
Abbaus des Service public, insbesondere in den Randregionen. Sie bemühen sich, ein jeder
nach seinen eigenen staatspolitischen, demografischen und geografischen Verhältnissen,
einen fruchtbaren Kompromiss zu finden.
Für unseren Kanton, den bevölkerungs- und flächenmässig zweitgrössten der Schweiz, ist
dieses Unterfangen wesentlich schwieriger als für andere. Erstens, weil unser Kantonsgebiet
sehr vielfältig ist: Es umfasst sowohl dicht besiedelte städtische Räume als auch schwach
besiedelte Randzonen. Zweitens, weil die Finanzressourcen unseres Kantons einem
dramatischen Druck ausgesetzt sind. Der Regierungsrat hat vorgestern Mittwoch aufgezeigt,
dass es nicht mehr ohne einschneidende Sparmassnahmen gehen wird. Und schliesslich
zeichnet sich das bernische Spitalwesen durch einen höheren Anteil an Privatspitälern aus,
die rund 40 Prozent der Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
erbringen.
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Dies also ist die allgemeine Ausgangslage. Es sei ausserdem daran erinnert, dass das
geltende kantonale Spitalversorgungsgesetz (SpVG) relativ jung ist. Es ersetzte das alte
Spitalgesetz von 1973 und trat am 1. Januar 2006 in Kraft. Wir können in mehrfacher
Hinsicht darauf stolz sein: Es hat sich bewährt und hat auch die laufenden Änderungen
vorweggenommen – beispielsweise mit der Verselbstständigung der regionalen
Spitalzentren (RSZ), die wir praktisch vor allen anderen vorgenommen haben, damals, als
der Kanton die alten Bezirksspitäler übernahm, bei denen die Gemeinden eine zentrale Rolle
spielten.
Gleichzeitig wollten unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, dass dem Staat bei der
Entwicklung der bernischen Spitalversorgung eine strategische Rolle zukommt. Sie brachten
dies zum Ausdruck, als sie im Juni 2005 ganz knapp einem Volksvorschlag zustimmten, der
den Kanton verpflichtete, mindestens die Hälfte des Kapitals der Regionalen Spitalzentren zu
halten und dem Pflegepersonal Arbeitsbedingungen zu garantieren, wie sie etwa das
Personal der Kantonsverwaltung kennt.
Mit der Umsetzung der neuen Spitalfinanzierung des KVG muss nun auch unser bisheriges
Spitalversorgungsgesetz intensiv überarbeitet werden. Wie Sie sehen werden, handelt es
sich bei der Reform, die der Regierungsrat sehr sorgfältig an die Hand genommen hat, um
ein ehrgeiziges Vorhaben.
Um die zu lösenden Probleme gründlich untersuchen und eine nachhaltige Gesetzgebung
beantragen zu können, hat der Regierungsrat in einem ersten Schritt mittels einer dringlichen
Verordnung per 1. Januar 2012 die zwingenden Normen der neuen Spitalfinanzierung
eingeführt. Carlo Tschudi wird darauf zurückkommen.
In einer zweiten Phase hat sich die Kantonsregierung intensiv mit den möglichen Optionen
für die grundlegenden Reformen auseinandergesetzt, das heisst vor allem mit der
Leistungsmengensteuerung, der Organisation des öffentlichen Spitalwesens, der
Investitionssteuerung, der Bildung eines Ausgleichsfonds, der Versorgungsplanung sowie
der Aus- und Weiterbildungspflicht der Leistungserbringer, um einem allfälligen
Pflegepersonalmangel zu begegnen.
Nachdem die grundlegenden Ausrichtungen feststanden, wurde die Revisionsvorlage im
Detail erarbeitet. Mit der Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens beginnt heute die dritte
Etappe. Die Vorlage tritt nun also in die Phase der demokratischen Debatte. Die Beratungen
im Grossen Rat werden 2013 stattfinden, und das revidierte Gesetz sollte, unter Vorbehalt
eines allfälligen Referendums, am 1. Januar 2014 in Kraft treten können.
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3. Das Spitalversorgungsgesetz verfolgt zwei zentrale Ziele. Einerseits legt es fest, wie der
Kanton die Versorgung der erforderlichen Pflegeleistungen sicherstellt. Andererseits definiert
es die Steuerungsfunktion des Kantons, damit die Spitalversorgung möglichst wirtschaftlich
erfolgt. Zur Erinnerung: Der Kanton Bern musste für das Jahr 2012 aufgrund des
Spitalversorgungsgesetzes insgesamt 1,23 Milliarden Franken budgetieren. Allein die Höhe
dieses Betrags unterstreicht die Bedeutung dieser Gesetzesrevision!
Die Revisionsvorlage behält die bekannten Steuerungsinstrumente, die das KVG vorgibt, bei:
die Versorgungsplanung – der Grosse Rat hat die zweite Versorgungsplanung für die
Jahre 2011 bis 2014 im letzten Herbst zur Kenntnis genommen – und die Spitalliste – die
leider auf grossen Widerstand stösst, wodurch ihre Anwendung erschwert wird.
Der Regierungsrat hat nach reiflicher Überlegung und trotz des Widerstands des Grossen
Rates beschlossen, ein Instrument vorzuschlagen, mit dem den Spitälern, denen der Kanton
via Spitalliste einen Leistungsauftrag erteilt, Leistungsmengen zugewiesen werden. Aus
unserer Sicht ist diese Steuerung der Leistungsmengen von entscheidender Bedeutung,
und es wäre verantwortungslos, darauf zu verzichten!
Da die Tarife von den Krankenversicherern und den Leistungserbringern festgelegt werden
und der Kanton mindestens 55 Prozent der Kosten tragen muss, besteht die einzige
Möglichkeit für die Einflussnahme auf die Kostenentwicklung darin, den Listenspitälern klare
Leistungsmengen zuzuweisen. Diese Leistungsmengen sollen gestützt auf die
Versorgungsplanung durch das Spitalamt festgelegt werden. Es handelt sich dabei aber
weder um Empfehlungen noch um Richtmengen, sondern vielmehr um eine verbindliche
Festlegung, in welchem Umfang diese Spitäler Leistungen zu Lasten der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung erbringen dürfen. Überschreitet ein Leistungserbringer die
vorgeschriebene Leistungsmenge, muss er eine Lenkungsabgabe entrichten, deren Ertrag
in einen Ausgleichsfonds fliesst. Allerdings soll diese Bestimmung nur subsidiär gelten. Der
Kanton verzichtet auf die Erhebung der Lenkungsabgabe, wenn sämtliche Tarifverträge in
einem Versorgungsbereich ein einheitliches Instrument vorsehen, das zu einer
vergleichbaren Lenkungswirkung wie die gesetzlichen Bestimmungen zu den
Leistungsvolumen und zur Lenkungsabgabe führt.
Dieser Ausgleichsfonds ist eine weitere bedeutende Neuerung – in meinen Augen ist es
ein Solidaritätsfonds. Nebst den Erträgen aus den leistungsmengenabhängigen
Lenkungsabgaben wird dieser Fonds auch durch Ausgleichsabgaben geäufnet, die
Listenspitäler für ihre Leistungen im Bereich der Zusatzversicherungen zu entrichten haben.
Diese Spitäler haben dadurch nämlich einen Wettbewerbsvorteil, da sie im Bereich der
Zusatzversicherungen von einer durch den Kanton und die Grundversicherung
mitfinanzierten Infrastruktur und von einem qualifizierten Personalbestand profitieren. Die
Gesetzesvorlage sieht vor, dass ein Teil der Erträge, maximal aber 20 Prozent, der aus
diesem Wettbewerbsvorteil gezogen wird, an den Kanton zurückfliesst, der die Gelder
wiederum einsetzt, um öffentliche Aufgaben zur Deckung des Bedarfs zu finanzieren, die
durch die KVG-Abgabetarife nicht ausreichend gedeckt werden können.
Was die Investitionssteuerung betrifft, so ist bekannt, dass die Investitionen künftig nicht
mehr objektbezogen, sondern über die Fallpauschalen abgegolten werden. Der Kanton
verfügt somit nicht mehr über die Investitionskredite für die öffentlichen Spitäler, und er
finanziert die Investitionen der Privatspitäler mit. Die Gesetzesvorlage sieht also ein
Investitionsmonitoring für alle Listenspitäler vor. Grössere Infrastrukturvorhaben sollen einer
Bewilligungspflicht unterliegen, unabhängig davon, ob es sich um eine öffentliche oder um
eine private Unternehmung handelt. Die Unternehmung wird jährlich einen Bericht über das
Lebenszyklusmanagement ihrer Infrastruktur sowie die Planung der künftigen Investitionen
vorlegen müssen. Der Kanton wird auch intervenieren können, wenn er Unterinvestitionen
feststellt, die sich auf die Qualität der zu erbringenden Leistungen auswirken oder die
Versorgungssicherheit gefährden könnten.
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4. Das neue Spitalfinanzierungssystem schafft gleich lange Spiesse für die öffentlichen und für
die privaten Spitäler. Die Gesetzesvorlage definiert also auch die Pflichten der
Leistungserbringer, die auf der Spitalliste stehen. Die Aufnahme-, Behandlungs- und
Nothilfepflicht ergibt sich unmittelbar aus dem Leistungsauftrag. Andere Pflichten stehen im
Zusammenhang mit dem Willen des Kantons, insgesamt ein nachhaltiges Spitalwesen zu
gewährleisten. Dasselbe gilt für die Massnahmen zugunsten des Personals –
Gesamtarbeitsvertrag oder vergleichbare Anstellungsbedingungen, Offenlegung der
Entschädigungen an Direktionsmitglieder sowie Ärztinnen und Ärzte in leitender Stellung,
Rechnungsstellungsvorschriften und Kostendarstellungsstandards.
Weiter unterstellt die Gesetzesvorlage sämtliche Leistungserbringer einer Pflicht, sich an
der Aus- und Weiterbildung des benötigten Fachpersonals zu beteiligen. Es geht hier um
die Gewährleistung, dass wir auch in Zukunft über das erforderliche qualifizierte Personal
verfügen werden, um die nötigen medizinischen und pflegerischen Leistungen erbringen zu
können – ein wichtiges Dispositiv angesichts des drohenden Personalmangels.
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Ich komme nun zum Kapitel der Reorganisation des bernischen Spitalwesens. Der
Regierungsrat strebt hier eine zentralistische Organisationsstruktur an.
Die Revisionsvorlage schlägt zwei Varianten zur Diskussion vor. Die Überführung der RSZ in
eine zentralistische Organisationsstruktur in der Rechtsform der Aktiengesellschaft kann
entweder mittels Fusion zu einer kantonsweiten AG oder durch die Bildung einer
Holdingstruktur erreicht werden.
Im Kontext der neuen Spitalfinanzierung wurde die bisherige Organisation des Berner
Spitalwesens kritisch hinterfragt. Insbesondere muss es den Spitälern möglich sein, schnell
und einfach auf Veränderungen reagieren zu können. Überkapazitäten sollen abgebaut und
die Zusammenarbeit der Spitäler soll mit Blick auf die stetig ansteigenden
Gesundheitskosten gefördert werden.
Gerade die leider zumeist fehlende Kooperation unter den Spitälern wird jedoch als einer der
Schwachpunkte des heutigen Systems angesehen. Durch die dezentrale Organisation
stehen die öffentlichen Spitäler nicht nur in Konkurrenz zu den privaten Spitälern, sondern
sie konkurrenzieren sich auch gegenseitig, was Kooperationen erschwert. Diese Situation
erhöht auf der einen Seite den Druck auf die einzelnen regionalen Spitalzentren (RSZ) zur
Steigerung der Wirtschaftlichkeit und der Qualität. Auf der anderen Seite hängt gerade diese
Steigerung von den erreichten bzw. erreichbaren Fallzahlen ab.
Es ist nicht klar, ob unsere RSZ in der heutigen dezentralen Struktur die notwendigen
Anpassungen je für sich alleine umsetzen können. Der Anreiz zur Steigerung der Fallzahlen
dürfte dazu beitragen, dass die einzelnen RSZ Anpassungen mittels beträchtlicher
Investitionen vornehmen. Es besteht somit die Gefahr, dass regionale Kapazitäten aus- bzw.
aufgebaut werden, sodass aus kantonsweiter Sicht Überkapazitäten entstehen.
Solche Investitionen können aus Sicht der einzelnen RSZ zwar durchaus sinnvoll sein, aus
gesamtkantonaler Sicht hingegen einen nicht optimalen Einsatz der Investitionsmittel
darstellen. Dies führt insgesamt zu einer Verteuerung der Spitalkosten. Aufgrund der
knappen Mittel werden diese Investitionen teilweise nur durch massive Aufnahme von
Fremdkapital realisierbar sein, was zu einer beträchtlichen Fremdverschuldung einzelner
RSZ führen kann.
Weiter besteht das Problem, dass die finanziellen Mittel der einzelnen RSZ nicht ausreichen,
um optimale Investitionen zu tätigen. Sie gehen dadurch das Risiko ein, suboptimale, mittel-
und langfristig teure Lösungen zu beschliessen, was wiederum negative Auswirkungen auf
die Wirtschaftlichkeit und die Qualität hat.
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5. Diesen Nachteilen will der Regierungsrat mit vermehrter Kooperation und Koordination unter
den Spitälern, insbesondere jedoch unter den RSZ aktiv begegnen. Mit der vorgeschlagenen
zentralistischen Organisationsstruktur soll erreicht werden, dass die Verantwortung für die
Grundversorgung mit überregionalem, kantonsweitem Fokus besser wahrgenommen wird.
Doppelspurigkeiten und Überkapazitäten können effizient abgebaut werden. Kooperationen
zwischen den heutigen RSZ bzw. standort- oder regionsübergreifende Spitaldienstleistungen
werden vereinfacht.
Ich betone es, meine Damen und Herren: Dies erlaubt wiederum mit Blick auf die stetig
wachsenden Gesundheitskosten u. a. die Optimierung von Abläufen, die Vermeidung von
Doppelspurigkeiten, den Abbau von Überkapazitäten, die Nutzung von Synergien, die
Förderung von Spezialisierungen, die Konzentration von Angeboten und damit die Erhöhung
der entsprechenden Fallzahlen sowie eine optimierte Investitionsfinanzierung. Insgesamt
wäre also die Steigerung der Wirtschaftlichkeit und der Qualität der erbrachten Leistungen
die Folge.
Dem Regierungsrat ist bewusst, dass eine zentralistische Organisationsstruktur aufgrund
ihrer Grösse und Verantwortung höchste Ansprüche an die Führungsorgane stellt.
Insbesondere betrifft dies die Balance zwischen notwendigen Eingriffen und Steuerungen
der zentralen Führungsorgane und den erforderlichen Freiheiten und Kompetenzen der lokal
verantwortlichen Organe. Der Kanton kann sich aber als Eigentümer auf nur noch eine
Spitalgesellschaft konzentrieren. Anstelle der heute sechs bzw. sieben Ansprechpartner
steht dem Kanton primär nur noch ein zentraler Ansprechpartner gegenüber. Die Abläufe in
Bezug auf die Umsetzung der Eigentümerstrategie sind dadurch erheblich vereinfacht.
Zusammenfassend kann Folgendes festgehalten werden: Eine zentralistische
Organisationsstruktur bietet insbesondere aufgrund der kantonsweiten Zuständigkeit der
Spitalgesellschaft für die umfassende Grundversorgung verschiedene Vorteile gegenüber
der dezentralen Organisationsstruktur. Regionalen Gegebenheiten und Bedürfnissen kann
auch in einer zentralistischen Organisationsstruktur Rechnung getragen werden, indem die
zentrale Geschäftsführung den Standortverantwortlichen die notwendige Autonomie
zukommen lässt. Damit werden auch vertikale Integrationen auf regionaler Ebene oder die
Berücksichtigung spezieller regionaler Bedürfnisse sowie die Wahrung des nahen Kontakts
zu den Patientinnen und Patienten ermöglicht.
Wesentliche Voraussetzung für die Erzielung der entscheidenden Vorteile ist eine
weitgehende Unabhängigkeit der verantwortlichen Organe, die über die notwendigen
Kompetenzen und Freiräume verfügen müssen. Der Verwaltungsrat muss weitestgehend
autonom, unabhängig und ohne politische Einflussnahme die notwendigen strategischen
Entscheidungen treffen können. Wird dies entsprechend umgesetzt, kommen in einer
zentralistischen Organisationsstruktur zahlreiche Vorteile zum Tragen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir kommen somit langsam zum Schluss unserer
Präsentation dieser wichtigen Gesetzesvorlage. Ich fasse kurz zusammen:
○ Die vorgeschlagene Revision des Spitalversorgungsgesetzes leitet sich aus der
neuen Spitalfinanzierung auf eidgenössischer Ebene ab; ihr Ziel ist es, auch in
Zukunft der ganzen Bevölkerung die bestmöglichen Pflegeleistungen zu einem
tragbaren Preis zu gewährleisten.
○ Die Revision verankert im kantonalen Recht die zwingenden Vorschriften des
revidierten Krankenversicherungsgesetzes (KVG); sie ist insofern ein
Ausführungsgesetz zur eidgenössischen Rahmengesetzgebung.
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6. ○ Sie präzisiert die Art und Weise der Anwendung der vom KVG vorgeschriebenen
Steuerungsinstrumente, in erster Linie der Versorgungsplanung und der Spitalliste.
○ Sie führt eine Steuerung der Leistungsvolumen ein sowie eine Lenkungsabgabe,
die erhoben wird, falls ein Leistungserbringer die im Leistungsauftrag festgelegten
Volumen überschreitet.
○ Sie führt für die auf der Spitalliste figurierenden Einrichtungen ausserdem eine
Ausgleichsabgabe ein, die auf den Einnahmen aus Leistungen im
Zusatzversicherungsbereich erhoben wird.
○ Diese beiden Abgaben speisen einen Ausgleichsfonds, der es dem Kanton
erlauben wird, öffentliche Aufgaben im Bereich der Spitalversorgung zu finanzieren,
die durch die KVG-Tarife nur ungenügend abgedeckt sind.
○ Die Revision etabliert auch eine Steuerung der Investitionsvorhaben, die sämtliche
Listeneinrichtungen betrifft, öffentliche wie private.
○ Sie umschreibt im Weiteren die Pflichten der Leistungserbringer, einschliesslich
der Massnahmen zugunsten des Personals und Standards bezüglich Darstellung der
Rechnung, wobei auch hier öffentliche und private Einrichtungen gleich behandelt
werden.
○ Sie präzisiert ebenfalls, wie sicherzustellen ist, dass die Leistungserbringer zur
Ausbildung und zur Weiterbildung des Pflegepersonals beitragen, dessen wir
morgen bedürfen.
○ Und schliesslich wird mit der Revision die Errichtung einer zentralistischen
Organisationsstruktur angestrebt, um dem schleichenden Verlust an
Konkurrenzfähigkeit zu begegnen, dem unsere öffentlichen Spitäler ausgesetzt sind,
sei es durch eine Holdingstruktur oder durch die Schaffung einer kantonalen
Aktiengesellschaft.
Erlauben Sie mir, bevor ich zum Schluss komme, noch das zu erwähnen, was der SpVG-
Revisionsentwurf in diesem Stadium noch nicht behandeln kann:
○ die Konsequenzen des Projekts zur Stärkung des Medizinalstandorts Bern – die
Zusammenführung von Inselspital und der Spital Netz Bern AG,
UND
○ die Verselbständigung der kantonalen psychiatrischen Institutionen, wie sie der
Grosse Rat will.
Ersteres kommt gut voran, wie die zwei Verwaltungsräte am Dienstag, 3. Juli, öffentlich
verlauten liessen. Über den endgültigen Restrukturierungsvorschlag wird der Regierungsrat
jedoch nicht vor Ende Jahr befinden können.
Das zweite Projekt konnte noch nicht in Angriff genommen werden, und ich rechne mit einer
Vorbereitungszeit von zwei Jahren, bis wir Klarheit über das mögliche Vorgehen haben.
Die nötigen Änderungen werden also zu gegebener Zeit mit einer Teilrevision erfolgen
müssen. Wann genau, lässt sich heute noch nicht sagen.
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Meine Damen und Herren, auf politischer Ebene stellt die Revision des
Spitalversorgungsgesetzes, wie ich einleitend gesagt habe, die anspruchsvollste – und wohl
auch die schwierigste – Gesetzesreform der laufenden Legislaturperiode dar.
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7. Zusammenfassend gesagt, wollte man mit der KVG-Revision im Kapitel Spitalfinanzierung
einen „gesamtschweizerischen Spitalraum“ schaffen, indem man eine Art freier
Patientenfreizügigkeit zwischen den Spitälern einführte und die Finanzierung harmonisierte.
Man hat dergestalt öffentliche und private Spitäler in direkte Konkurrenz zueinander gesetzt,
in der Hoffnung, dass diese Liberalisierung die Strukturreformen erleichtern und
beschleunigen würde, dank einem besser und günstiger funktionierenden Spitalsystem.
Dank verschärfter Konkurrenz sollten sich die besten Praktiken herausschälen und überholte
Strukturen und Doppelspurigkeiten verschwinden. Letztlich hoffte man auf eine
Verbesserung des schweizerischen Spitalsystems durch dessen schrittweise Umwandlung in
einen grossen Markt.
Gleichzeitig wollte man mit dem föderalistischen Charakter des Gesundheitssystems nicht
brechen. Die Hauptverantwortung für die Gewährleistung der Spitalpflegeleistungen obliegt
unverändert den Kantonen, das Prinzip einer nationalen Spitalplanung kennt die Schweiz
nicht.
Aus der Sicht des Regierungsrats besteht die grosse Herausforderung darin, eine
nachhaltige Gesetzgebung vorzuschlagen, mit der garantiert ist, dass der Staat seine
grundlegende Verantwortung als Spitalmarkt-Regulator auch in Zukunft wahrzunehmen
vermag.
Unser Land zählt 27 Regulierungsbehörden im Spitalwesen. Während auf nationaler Ebene
der Bund die Rahmenbedingungen mit dem KVG definiert, bemühen sich die 26 Kantone, für
ihre Bevölkerung eine qualitativ hochstehende Spitalversorgung sicherzustellen.
○ Was wir vermeiden wollen, ist, dass mit der Schaffung eines grossen, nationalen
Spitalmarkts die Kompetenzen der Kantone zunehmend wegbrechen und dass ihre
Regulierungsverantwortung durch den immer stärkeren Einfluss der Versicherer
ersetzt wird.
○ Was wir ebenfalls vermeiden wollen, ist, dass private Unternehmen, die
Spitalpflegeleistungen erbringen, sich zum Schaden der Service-public-Institutionen –
und somit auf Kosten der Steuerpflichtigen –Wettbewerbsvorteile verschaffen.
○ Und schliesslich wollen wir auch dies vermeiden: dass die Steuerpflichtigen für den
grössten Teil der Spitalkosten aufkommen müssen – für die 55 Prozent zu Lasten
des Kantonsbudgets –, ohne dass die zuständige politische Behörde die
Entwicklungen im Spitalsystem im Sinne des öffentlichen Interesses beeinflussen
kann.
○ Was wir fördern wollen, ist ein Spitalsystem, wo öffentliche und private Einrichtungen
mit gleich langen Spiessen operieren, als Partner in einem zusammenhängenden
Netz und nicht als Gegner in einem schlecht und ungenügend regulierten Boxkampf.
Angesichts der unablässig steigenden Gesundheitskosten und des Pflegebedarfs,
der vor allem wegen der demographischen Alterung ebenfalls gegen oben tendiert,
sind wir das unserer Bevölkerung ganz einfach schuldig.
Unserem Kanton stehen vor dem Hintergrund der notleidenden Staatskasse und politischer
Unwägbarkeiten schwierige Zeiten bevor. Umso mehr wünscht sich der Regierungsrat, dass
das Vernehmlassungsverfahren zu einer offenen Debatte über die fundamentalen Fragen
der Neugestaltung der bernischen Spitallandschaft führt, einer Debatte ohne ideologische
Tabus und stures Parteidenken, hellsichtig und orientiert am übergeordneten
Allgemeininteresse.
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