Betriebswirtschaftslehre (B.Sc.) an der Universität Duisburg Essen
Game-based Learning - Spielend Lernen?
1. Son
Le
und
Peter
Weber
Game-Based Learning
Spielend Lernen?
Computer-‐
und
Videospiele
gewinnen
immer
weiter
an
Popularität,
vor
allem
auch
durch
neuere
Entwick-‐
lungen
wie
der
zunehmenden
Eignung
moderner
Smartphones
als
SpielplaRorm
oder
dem
Trend
zu
Browser-‐
und
Social-‐Games.
Millionen
von
Menschen
nutzen
digitale
Spiele
als
reine
Freizeitbeschäf-‐
(gung,
ohne
sich
der
mit
den
Spielen
verbundenen
Lernprozesse
bewusst
zu
sein.
Zwar
dienen
das
bei
Un-‐
terhaltungsspielen
erworbene
Wissen
und
die
sich
entwickelnden
Kompetenzen
in
erster
Linie
der
Errei-‐
chung
der
Spielziele,
aber
das
Lernpotenzial
digitaler
Spiele
lässt
sich
auch
für
formelle
Bildungsziele
nutzen
–
das
zumindest
ist
die
Grundidee
des
„Digital
Game-‐Based
Learning“.
Was
und
wie
lernt
man
durch
digitale
Spiele?
Wie
lassen
sich
Computer-‐
und
Videospiele
zu
Lernzwecken
instrumentalisieren?
Wie
müssen
digitale
Lernspiele
ausgestaltet
werden,
um
einen
möglichst
hohen
Lernerfolg
zu
gewähr-‐
leisten,
und
wie
können
die
Spiele
in
geeignete
Lernarrangements
eingebunden
werden?
Mit
diesen
und
ähnlichen
Fragen
beschäIigt
sich
die
WissenschaI
im
Themenbereich
(Digital)
Game-‐Based
Learning.
Ziel
dieses
Kapitels
ist
es,
das
Konzept
des
(Digital)
Game-‐Based
Learning
vorzustellen,
indem
einerseits
seine
Grundüberlegungen
und
wich(ge
Einflussgrößen
erläutert,
und
andererseits
Potenziale,
Probleme
und
Herausforderung
veranschaulicht
werden.
Abgerundet
wird
das
Kapitel
durch
einige
Praxisbeispiele.
Quelle:
Son
Le
#game
#ver(efung
#werkzeugmethode
Version
vom
1.
Februar
2011
Für
dieses
Kapitel
wird
noch
ein
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2. 2
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
und situierten Lernens erkannten (Petko, 2008; Gros,
1. Begriff
und
Geschichte
2007). Diese Idee fand im Bildungsbereich insbe-
Der Begriff „Game-Based Learning“ stammt aus sondere auch deshalb große Resonanz, weil die ersten
dem angloamerikanischen Raum. Er wurde Anfang Erfahrungen mit E-Learning zeigten, dass bisherige
des Jahrtausends durch die Arbeiten von Autoren softwareunterstützte Lernformen wie Computer-
und Autorinnen wie James Paul Gee (2007), Diana Based Trainings (CBT) oder Web-Based Trainings
Oblinger (2006), Richard Van Eck (2006), Steven (WBT) häufig aufgrund didaktischer Mängel nicht
Johnson (2006) und Marc Prensky (2007) medien- den erhofften Erfolg hervorbrachten. Trotz der weit-
wirksam verbreitet. Teilweise wird von den Autoren reichenden multimedialen Darstellungsmöglichkeiten
und Autorinnen ein „Digital“ ergänzt, um hervorzu- konnten die Lernenden die Inhalte hier oft nur passiv
heben, dass Computer- und Videospiele als digitale rezipieren, so dass es bei mangelnder intrinsischer
Spiele im Vordergrund stehen. In der Literatur findet Motivation zu hohen Abbruchquoten kam (Meier &
sich bisher keine eindeutige Abgrenzung des Game- Seufert, 2003).
Based Learning zu anderen populären Begriffen wie
„Serious Games“ (siehe #virtuellewelt) oder „Educa- Digitale
Spiele
(Bildschirmspiele
oder
Computer-‐
und
tional Games“ (Fromme et al., 2008). Einigkeit
herrscht aber darin, dass der Einsatz digitaler Spiele ! Videospiele)
sind
ein
regelbasiertes,
interak(ves
Medium,
das
Spielende
emo(onal
bindet
und
in-‐
im Bildungskontext mit „ernsten Absichten“ ge- nerhalb
eines
virtuellen
Raums
staRindet,
dessen
zu-‐
schieht. Einige Autoren/innen fassen dabei auch grunde
liegende
Interak(onstechnologie
rein
digitaler
solche Konzepte unter den Begriff des (Digital) Natur
ist.
Beispiele
für
Interak(onstechnologien
sind
Arcade-‐Automaten,
mobile
oder
sta(onäre
Computer
Game-Based Learning, bei denen konventionelle Un-
und
Videokonsolen
sowie
Mobiltelefone.
terhaltungsspiele zur Motivation, zur Belohnung,
oder zur Reflexion eingesetzt werden (Ritterfeld & 2. Grundüberlegungen
Weber, 2006; Klimmt, 2008). Andere Autoren/innen
beschränken wiederum „Serious Games“ nicht allein Digitale Spiele sind nach Wagner (2008) ein regelba-
auf den institutionellen Bildungssektor, sondern siertes, interaktives Medium, das Spielende „emo-
sehen sie etwa auch als geeignete Instrumente zur tional bindet und innerhalb eines von der objektiven
Wissensvermittlung im Gesundheitssektor („Games Realität abgegrenzten Raums stattfindet“ und dessen
for Health“), beispielsweise zur spielerischen Unter- „zugrunde liegende Interaktionstechnologie rein digi-
stützung von Therapien oder in der Werbung zur An- taler Natur ist“. Zwar handelt es sich bei Spielen aus
preisung von Produkten (Sawyer, 2008). informationstechnischer Sicht um Software, sie un-
Bereits in den 1990er Jahren, also noch vor der terscheiden sich aber von anderen Softwareformen
Diskussion von (Digital) Game-Based Learning, dadurch, dass es keinen zweckbezogenen Bedarf für
wurden digitale Spiele zur Wissensvermittlung einge- sie gibt (Sellers, 2006). Sie werden nicht erstellt, um
setzt. Es handelte sich dabei in der Regel um eher festgelegte Nutzerziele oder erforderliche Aufgaben
simple Lernspiele für jüngere Lernende, die sich im zu erfüllen beziehungsweise zu unterstützen; die
Rahmen des Edutainment-Trends die zunehmend Nutzer/innen sind also nicht auf sie angewiesen. Da
multimedialen Fähigkeiten von PC zu Nutze machten digitale Spiele im Wesentlichen der Unterhaltung
und hauptsächlich Vorschulwissen vermittelten (Mi- dienen, stehen die Hersteller im Gegensatz zu an-
chael & Chen, 2006). Zeitgleich gewannen im deren Softwareproduzenten vor der Herausfor-
Kontext der immer leistungsfähigeren PC und der derung, Bedarf für ihre Produkte überhaupt erst zu
Verbreitung portabler und stationärer Videospielkon- wecken. Die hohen, internationalen Wachstumsraten
solen digitale Spiele rasant an Popularität. Bildungsex- der Spielbranche in den letzten Jahren zeigten, dass
perten/innen sahen sich vor diesem Hintergrund ge- dies auch gut gelingt. Der sich verschärfende Wett-
fordert, die Auswirkungen der Spielnutzung auf die bewerb um die Aufmerksamkeit der Kunden führt
Heranwachsenden zu untersuchen. Neben den Kri- aber gleichzeitig dazu, dass die Spielproduktion
tikern/innen, die vor Gefahren wie Vereinsamung, immer aufwändiger und teurer wird. Zum Beispiel
Suchtverhalten, Aggression oder Bewegungsarmut lagen laut Holowaty (2010) die Produktionskosten für
der intensiven und unbegleiteten Spielbeschäftigung die zehn teuersten Spiele der letzten Jahre im zwei-
warnten, meldeten sich zunehmend auch Befür- stelligen Millionenbereich.
worter/innen eines Game-Based Learning zu Wort, Es existieren verschiedene Typen digitaler
die in digitalen (Lern-) Spielen eine vielversprechende Spiele, leider findet sich in der Literatur jedoch
Form des aktiven, selbstgesteuerten, konstruktiven bisher keine einheitliche Klassifizierung. Je nachdem
3. Game-‐Based
Learning.
Spielend
Lernen?—
3
welche Merkmale ein Verfasser oder eine Verfasserin rungen, die sich in Form von Stolz und gestei-
für seine Einordnung berücksichtigt, ergeben sich gerten Selbstwertgefühlen äußern können. Ne-
entsprechend unterschiedlich viele Spielgenres gative Ergebnisse hingegen können zu negativen
(Gauguin, 2010). Typische Unterscheidungsmerkmale Emotionen wie Frust und Enttäuschungen führen.
sind dabei die Spieldynamik, die Symbolstruktur oder ▸ Lebens- und Rollenerfahrungen machen Spie-
die Handlungsanforderung, was auf die folgenden lende durch das Eintauchen in die Rahmenge-
grundlegenden Spielgenres schließen lässt (wobei an- schichte der Spiele. Diese Erfahrungen sind
zumerken ist, dass aktuelle Unterhaltungsspiele in der möglich, weil in den Spielen häufig Realitäten auf
Regel Merkmale mehrere Genres aufweisen) (Feil & multimediale Weise simuliert werden. Die Mecha-
Scattergood, 2005; Pedersen, 2003): nismen des Unterhaltungserlebens funktionieren
▸ Actionspiele, in denen die Reaktionsgeschwin- allerdings nur dann über einen längeren Zeitraum,
digkeit entscheidend ist; wenn Spielende kontinuierlich Erfolge erzielen.
▸ Adventurespiele, in denen das Lösen von Rätsel- Erfolg in Spielen zu haben bedeutet, das Spiel
aufgaben die Rahmengeschichte fortführt; kontrollieren zu können beziehungsweise seinen
▸ Casual Games, deren Spielrahmung weniger Leistungsanforderungen gerecht zu werden. Für
komplex und deren Spielregeln schnell erlernbar Fritz (2005) ist diese Form der Machtausübung in
sind, so dass sich die Spiele gut für eine „gelegent- der virtuellen Welt der Hauptgrund dafür, dass
liche“ und beiläufige Nutzung eignen; gerade Heranwachsende mit ihren altersspezifi-
▸ Rollenspiele, in denen sich die Spielfiguren durch schen Schwierigkeiten – wie etwa dem Gefühl
Aktionen in ihren Attributen weiterentwickeln und eines Kontrollverlustes in ihrer sozialen Umwelt –
somit das Identifikationsempfinden steigern; von digitalen Spielen fasziniert sind.
▸ Simulationsspiele, die Spielende realitätsnahe Er-
Eng verbunden mit der Selbstwirksamkeit und der er-
fahrungen nachempfinden lassen, dabei aber we-
folgreichen Kontrolle eines Spiels ist die Lernfä-
niger realistisch sind als simulierende Trainingsap-
higkeit eines Spielers oder einer Spielerin. Das Er-
plikationen;
lernen von Spielen beschreiben Garris & Driskell
▸ Sportspiele mit unterschiedlichen Realitätsgraden, (2002) dabei als einen Spielzyklus aus Spielerver-
die in ihren Regeln echten Sportarten nachemp- halten, Rückmeldungen des Programms, und der dar-
funden sind; aufhin von Spielenden vorgenommenen Beurteilung
▸ Strategiespiele, in der ein kluges Management von des Spielfeedbacks und des eigenen vorherigen Ver-
Ressourcen und Einheiten zum Spielerfolg führt. haltens (vgl. ebenso die Ausführungen von Kerres et
Die Popularität und der Spielspaß von digitalen al., 2009). Die Spieler reagieren dabei mit einem un-
Spielen können dadurch erklärt werden, dass ver- terschiedlich hohen Grad an Interesse, Freude,
schiedene Mechanismen des Unterhaltungserlebens Ehrgeiz oder Selbstvertrauen auf das Feedback, was
sequenziell oder parallel ausgenutzt und aktiviert wiederum die Richtung, Intensität und Qualität ihres
werden. Zentrale Unterhaltungsprozesse sind nach weiteren Verhaltens beeinflusst. Spielende führen also
Klimmt (2008) Selbstwirksamkeitserfahrung, Span- einen Spielzug aus, erhalten eine Reaktion, bewerten
nung bzw. Lösung und simulierte Lebens- und Rol- anschließend ihre Situation und können sich dann zu
lenerfahrungen, die bei Spielen zu einem integrierten einem weiteren Spielzug entscheiden. Wird ihr
Erlebnis verschmelzen: Handeln als richtig akzeptiert, fühlen sie sich positiv
▸ E i n e Selbstwirksamkeitserfahrung m a ch t ein bestätigt und ihr Interesse am Weiterspielen steigt.
Spieler oder eine Spielerin, wenn auf seine Akti- Wird ihr Zug aber als falsch deklariert, fühlen sie sich
vität eine unmittelbare Reaktion des Spiels erfolgt. herausgefordert. Ihr Ehrgeiz steigt und sie nehmen
Er erhält hier das Gefühl, einen unmittelbaren solange alternative Handlungen vor, bis bei wieder-
Einfluss auf das Geschehen in der Spielumgebung holtem Misserfolg ihre individuelle Frustgrenze er-
zu nehmen. reicht ist und sie das Spiel entnervt beenden. In der
▸ Spannung entsteht in digitalen Spielen durch die Regel durchlaufen Spielende diesen Zyklus nach dem
Handlungsnotwendigkeiten, mit denen die Spie- Versuch-und-Irrtum-Prinzip mehrfach und erwerben
lenden immer wieder konfrontiert werden sowie damit schließlich die erforderliche Kompetenz. Eine
durch die emotionale Anteilnahme an der Medien- kritische Komponente des Zyklus stellen folglich die
figur, die von Spielenden selbst verkörpert wird. Rückmeldungen des Programms und somit die im
Positive Ergebnisse der Spannungsauflösung Spiel implementierten Hilfefunktionen und Regeln
führen daher zu starken emotionalen Erleichte- dar. Spiele mit gutem Spieldesign zeichnen sich durch
4. 4
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
eine abgestimmte Balance von Herausforderungen Rückmeldung und erneuter Handlung in Reaktion auf
und Erfolgserlebnissen aus. Abbildung 1 zeigt den Erfolg oder Misserfolg. Eine derart intensive und
Spielzyklus. selbstvergessene Auseinandersetzung mit dem Spiel-
Ein Verständnis für die Spielidee zu entwickeln, gegenstand (beziehungsweise Immersion und Flow-
bedeutet, dass Spielende deklaratives Wissen über die Erfahrung, Bopp, 2005) wünschen sich Bildungsan-
Objekte und Regeln des Spiels erwerben, welches sie bieter auch für andere Lerninhalte, weshalb sie daran
im Spielzyklus anwenden und weiterentwickeln. Bei interessiert sind, die Eigenschaften digitaler Spiele im
komplexeren Spielen würde der Aufbau einer dekla- Bildungskontext gewinnbringend einzusetzen. Insbe-
rativen Wissensbasis jedoch zu einer regelrechten sondere im Rahmen des durch die Möglichkeiten des
Einstiegshürde heranwachsen, weshalb hier typischer- technologiegestützten Lernens vorbereiteten Paradig-
weise einer prozeduralen Wissensgenerierung im menwechsels von traditionellen und eher passiv aus-
Spielverlauf (Learning-by-Doing) der Vorzug ge- gerichteten Lernformen zu stärker selbstgesteuerten
währt wird. Die zunächst verborgene Logik des und eigenverantwortlichen Lernprozessen stellt (Di-
Spiels wird von Spielenden erst nach und nach er- gital) Game-Based Learning einen vielverspre-
kundet, was sie jedoch nicht vom erfolgreichen chenden Ansatz dar. Komplexere digitale Lernspiele
Spielen abhält. Kerres et al. (2009) weisen in diesem können folgende, auf Basis einer konstruktivistischen
Kontext darauf hin, dass in digitalen Spielen vor- Auffassung wünschenswerte Lernprozesse fördern
wiegend implizites Lernen stattfindet. Das trainierte (in Anlehnung an Meier & Seufert, 2003):
Verhaltensrepertoire Spielender wird durch den Spiel- ▸ aktives Lernen (durch den kontinuierlichen Spiel-
zyklus hochgradig routinisiert und läuft weitgehend zyklus);
automatisch ab. Explizites Lernen wird aber immer ▸ konstruktives Lernen (durch das Austesten von
dann notwendig, wenn die Spielenden nicht mehr Handlungsalternativen nach dem Versuch-und-
weiterkommen und sich gezwungen sehen, aus der Irrtum-Prinzip und durch individuelle Interpre-
Spielwelt in die Realität aufzutauchen, um nach geeig- tation der gesammelten Erfahrungen);
neten Problemlösungen zu suchen. Spiele, die Spie- ▸ selbstgesteuerte Lernen (durch individuelle Vor-
lenden zu häufigen und langen Phasen expliziten gehensweisen und freigewählter Spieldauer das);
Lernens zwingen, laufen dabei Gefahr, schnell an At- ▸ soziales Lernen (in Mehrspielervarianten durch
traktivität zu verlieren. Kooperation, Wettbewerb oder durch den Erfah-
3. Potenziale
und
Herausforderungen rungsaustausch zwischen den Spielenden);
▸ emotionales Lernen (durch tiefgreifende Betei-
Bei unterhaltsamen Spielen können die Spielenden
ligung am Handlungsgeschehen mit persönlicher
die Zeit und ihr reales Umfeld regelrecht vergessen.
Identifikation - parasozialer Interaktion - und der
Ein Grund hierfür ist der geschilderte schrittweise
Selbstwirksamkeitserfahrung) und
Aufbau der erforderlichen Kompetenzen und Kennt-
nisse im kontinuierlichen Zyklus aus Handlung,
Abbildung
1:
Input-‐Prozess-‐Output-‐Spielmodell
(nach
Garris
&
Driskell,
2002)
5. Game-‐Based
Learning.
Spielend
Lernen?—
5
▸ situiertes Lernen (durch Versetzung in unter- den Standard konventioneller Spiele heranreicht, was
schiedliche Rollen und Spielsettings mit entspre- aber hauptsächlich durch das wesentlich geringere In-
chenden Problemen und Aufgaben). vestitionsbudget für Lernspiele begründet werden
kann. Die Absicht, digitale Spiele für Bildungszwecke
Im Idealfall ist spielbasiertes Lernen also mit einem zu nutzen, stellt somit große Herausforderungen an
hohen Maß an intrinsischer Motivation verbunden das Instruktions- und an das Spieldesign, da mit einer
und kann strategisches Denken und Entscheidungs- unausgewogenen Balance aus pädagogischem An-
findung in einem Kontext anregen, wo Lösungen an- spruch und spieltechnischer Umsetzung Ergebnisse
spruchsvoller Probleme mit der Möglichkeit verschie- erzeugt werden, die weder lehrreich noch unter-
dener Handlungsalternativen gefordert werden (Helm haltsam sind (Kerres et al., 2009).
& Theis, 2009). Die Lernziele von Game-Based
Learning gehen über das reine Verstehen und Spei-
chern von Lerninhalten hinaus, sie beinhalten auch (Digital)
Game-‐Based
Learning
bedeutet
den
Einsatz
den Erwerb von generischen und metakognitiven ! digitaler
Spiele
in
einem
(Fort-‐)Bildungskontext
zur
Förderung
und
Unterstützung
von
Lernprozessen.
Die
Fertigkeiten wie den Umgang mit komplexen Situa-
Nutzung
der
Spieltypen
beschränkt
sich
allerdings
tionen oder das Durchdenken und Erkunden von er- nicht
nur
auf
digitale
Lernspiele
(Serious
Games),
forderlichen Handlungen (unter anderem mittels In- sondern
es
können
auch
konven(onelle
Unterhal-‐
formationssuche unter Zeitdruck oder schnellem tungsspiele
eingesetzt
werden,
wenn
sie
inhaltlich
Reagieren auf Bedrohungen). Das Sammeln positiver oder
thema(sch
für
das
Ziel-‐Lernarrangement
ge-‐
Selbstwirksamkeitserfahrungen kann außerdem das eignet
sind.
allgemeine Selbstvertrauen im Umgang mit Unsicher-
heiten stärken (Kerres et al., 2009). Der hohe pädagogische Anspruch spiegelt sich
Es stellt sich aber die Frage, inwiefern sich Spiele auch in den ambivalenten Erwartungen wider, die oft
überhaupt in der gewünschten Weise instrumentali- an (Digital) Game-Based Learning gestellt werden.
sieren lassen, wenn Spiele nach Spieltheoretikern wie Danach sollen die im (Digital) Game-Based Learning
Huizinga oder Caillois eigentlich zweckfreie und frei- eingesetzten Spiele (Jenkins et al., 2009):
willige Handlungen sind, die losgelöst vom Alltags- ▸ einen offenen Rahmen für Exploration eröffnen,
leben nach eigenen Regeln funktionieren (Huizinga, aber gleichzeitig ein festgelegtes Curriculum ab-
1961; Caillois, 2001). Die Beschreibung der Lernpro- decken,
zesse beim Spielen deutete bereits darauf hin, dass ▸ komplex genug sein, um viele Lerninhalte zu
implizites Lernen nicht als Lernaktivität wahrge- bieten, aber in der Beschaffung oder in der Pro-
nommen wird und so gesehen die ideale und er- duktion keine hohen Kosten verursachen,
wünschte Lernweise darstellt („Stealth-Learning“), ▸ den Spielenden lange motivieren und fesseln, aber
wobei explizites Lernen – zumindest potenziell – den nicht zu Lasten der Behandlung anderer Lernin-
Spielfluss stören kann. Bopp (2005) bezeichnet daher halte gehen und
die Lehr-Lern-Methode in digitalen Spielen als Pro- ▸ genauso viel Spielspaß bereiten wie Unterhaltungs-
gramm einer immersiven Didaktik. Mediale oder spiele, unabhängig davon, welche Lerninhalte zu
technische Brüche in Lernspielen fördern dieses ermitteln sind.
Gefühl der Störung zusätzlich. Beispielsweise kommt
Jantke (2007) aus der Analyse einiger kommerziell er- Jenkins et al. (2009) kritisieren zudem die irrtümliche,
folgreicher Lernspiele zu dem Schluss, dass den Her- aber verbreitete Auffassung, dass bei Lernenden auf-
stellern in vielen Fällen keine didaktisch sinnvolle In- grund der spielerischen Vermittlungsform er-
tegration von Lerninhalten und Spielmechanik ge- wünschte Lerninhalte oder Fähigkeiten einfach in-
lingt: In einigen Spielen werden Spiel- und Lernbe- doktriniert werden könnten. Digitale Lernspiele
reiche voneinander getrennt, wobei Lerninhalte nicht dürfen gerade nicht als spielerische Varianten instruk-
immer relevant für den Spielablauf sind oder Spie- tiver Lernsoftware verstanden werden, sondern be-
lende sogar zum Lernen gezwungen werden, um im sitzen wie bereits erläutert spezifische Mechanismen
Spiel voranzukommen. Zudem bereiten nach einer und Wirkungsweisen, um Lernprozesse anzuregen.
Untersuchung bekannterer Serious Games durch Um gewünschte Lernziele zu erreichen reicht es
Shen et al (2009) viele Titel nicht annähernd das von daher nicht aus, Lerninhalte lediglich in digitalen
Unterhaltungsspielen gewohnte Maß an Spielspaß, da Spielen zu platzieren, sondern die Inhalte müssen mit
ihre technische Funktionalitäten, ihre ästhetische Prä-
sentationen und vor allem ihr Game Design nicht an
6. 6
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
Potenziale Herausforderungen
Förderung
von
ak(vem,
konstruk(vem,
selbstgesteuertem, Didak(sche
Aumereitung
von
Lerninhalten
und
Spielmecha-‐
sozialem,
emo(onalem
und
situiertem
Lernen
(lernerzen-‐ nik
(zum
Beispiel
Gefahr
der
Verminderung
von
Spielspaß
triertes
Lernmodell) durch
Wechsel
von
implizitem
und
explizitem
Lernmodus)
Erleichterung
des
Verständnisses
von
komplexen
Sachverhal-‐ Hohe,
ambivalente
Erwartungen
an
(Digital)
Game-‐Based
ten
durch
Erwerb
generischer
und
metakogni(ver
Fer(gkei-‐ Learning
aufgrund
unklaren
Verständnisses;
Notwendigkeit
ten zur
Auolärung
von
Chancen
und
Grenzen
Hohe
Mo(va(on
durch
spielerische
Komponenten
wie
Her-‐ Mögliche
Probleme
beim
Transfer
von
Bedeutungskontexten
ausforderungen
und
Erfolgserlebnissen
(Stärkung
des
eige-‐ ohne
Betreuung
oder
Nachbesprechung
nen
Selbstvertrauens)
Realisierbarkeit
von
implizitem
Lernen,
idealerweise
keine Fehlende
Verfügbarkeit
geeigneter
Spiele
für
individuelle
Wahrnehmung
von
exogener
Anstrengung
oder
Druck
beim Lehrveranstaltungen;
hohe
Hürden
für
die
Selbsterstellung
Lernen
(Stealth
Learning) geeigneter
Spiele
aufgrund
der
Komplexität
der
Spielgestal-‐
tung
bzw.
des
erforderlichen
interdisziplinären
Know-‐How
Tabelle
1:
Potenziale
und
Herausforderungen
des
(Digital)
Game-‐Based
Learning
der Spielmechanik verzahnt werden, um durch die Wirklichkeit aufmerksam gemacht werden und die
Lernprozesse beim Spielen die angestrebten Effekte Ereignisse des Spiels mit ihren Dozierenden kritisch
zu fördern. reflektieren.
Ob eine solche Verzahnung jedoch alleine aus-
4. Zusammenfassung
und
zentrale
Erkenntnisse
reicht, bezweifelt Wagner (2009) in seiner Theorie
des ludischen Konstruktivismus, nach der die Ler- Abschließend sollen noch einmal die zentralen Er-
nergebnisse von dem Zusammenwirken der Erwar- kenntnisse dargestellt werden:
tungshaltungen des Lernenden im Umgang mit dem ▸ Bei digitalen Spielen durchleben Spielende auf-
Spiel, den im Spiel existierenden Regeln und Zielen grund des Spielzyklusses wiederholt implizite
und der Übersetzungskompetenz des Spielenden zwi- Lernprozesse. Gut produzierte Spiele können eine
schen den Bedeutungskontexten von objektiver Rea- große Faszinationskraft auf Spielende auslösen,
lität und vom Medienspielraum abhängen. Der was insbesondere eine Balance zwischen Heraus-
Einsatz von digitalen Lernspielen kann aufgrund der forderungen und Erfolgserlebnissen voraussetzt.
individuellen Spielerfahrungen die Erreichung festge- ▸ Diese Wirkung auf Spielende wird im (Digital)
legter Lernziele nicht garantieren. Um auf definierte Game Based Learning im Gegensatz zu kritischen
Lernziele hinwirken zu können, wäre demnach im Auslegungen als Potenzial angesehen, um auf mo-
Vorfeld eine individuelle Beeinflussung der Erwar- tivierende Weise Lernprozesse anzuregen. Au-
tungshaltung der Lernenden durch eine pädagogische ßerdem erscheinen digitale Spiele aufgrund ihrer
Betreuung erforderlich. Auch müsste die Überset- Fähigkeit, virtuelle Explorationsräume erschaffen
zungskompetenz der Lernenden auf Defizite oder zu können, im Rahmen einer veränderten Lern-
Unterschiede überprüft werden; der Lehrende wird kultur gut geeignet für die Initiierung von Lern-
somit zu einem unverzichtbaren Lernprozessbe- prozesse. Aus diesen Potenzialen lässt sich das Be-
gleiter/in, ohne den nach Wagner im Allgemeinen ein streben begründen, digitale Spiele als Vermitt-
selbstgesteuertes Lernen mittels (Digital) Game- lungsform für Wissen und Fertigkeiten zu instru-
Based Learning weitgehend ausgeschlossen ist. Auch mentalisieren.
andere Autoren/innen (Kerres et al., 2009) erkennen ▸ Eine durchdachte Integration von Lerninhalten
die Notwendigkeit einer didaktischen Rahmung an, und Spielmechanik stellt die größte Herausfor-
um gewünschte Lerneffekte erzielen zu können. derung für das Instruktions- und Spieldesign dar.
Garris und Driskell (2002) sehen zudem in der Nach- Explizites Lernen sollte vermieden werden und es
besprechung („De-Briefing“) eines Lernspiels einen empfiehlt sich eine didaktische Rahmung, um den
kritischen Teil der Spielerfahrung, weil hier eine Ver- angestrebten Lerntransfer zu fördern.
bindung von Spielwelt und Realität hergestellt werden
kann: Die Lernenden können auf Parallelen zur
7. Game-‐Based
Learning.
Spielend
Lernen?—
7
In der Praxis : Beispiele
Winterfest
auolärung
und
-‐versorgung,
oder
Verhandlungen
mit
be-‐
Das
Adventure
Winterfest
soll
Erwachsene,
die
Probleme
mit waffneten
Rebellen
bei
einem
NahrungsmiFelkonvoi
er-‐
dem
Lesen,
Schreiben
und
Rechnen
haben,
spielerisch
zum füllen.
Lernen
mo(vieren.
Der
Spieler
oder
die
Spielerin
wird
in
eine hFp://www.wfp.org/how-‐to-‐help/individuals/food-‐force
prätechnologische Welt
versetzt
und
muss
durch
die
Bewäl-‐
(gung
von
Rätseln
und
Aufgaben
versuchen,
wieder
nach FronDers
–
You’ve
reached
the
fortress
Europe
Hause
zu
kommen.
In
vielen
Aufgaben
werden
die
Lese-‐, In
dem
Spiel
Fron(ers
erleben
Spielende
den
Alltag
an
den
Schreib-‐
und
Rechenkompetenz
gefördert
im
Kontext
lebens-‐ EU-‐Außengrenzen
aus
zwei
Perspek(ven:
Aus
der
Sicht
eines
weltnaher
Alltags-‐
und
Arbeitsszenarien. Flüchtlings
oder
eines
Grenzpolizisten.
Als
Flüchtling
müssen
hFp://www.lernspiel-‐winterfest.de
die
Spieler
sich
verstecken,
untertauchen
oder
Wachen
be-‐
stechen,
als
Grenzpolizist
hingegen
können
sich
die
Spieler
EnergeDka
2010 entscheiden,
ob
sie
Warnschüsse
abgeben
oder
gar
den
Das
Online-‐Strategiespiel
Energe(ka
2010
stellt
Spielende Grenzgänger
erschießen,
wobei
unethisches
Verhalten
be-‐
vor
die
Herausforderung,
die
Stromversorgung
im
fik(ven straI
wird.
Zweck
des
Spiels
ist
es,
Spielenden
die
schwierige
Land
Energe(ka
bis
2050
sicherzustellen.
Dazu
müssen
sie Situa(on
von
Flüchtlingen
und
Grenzbeamten
nachemp-‐
unter
anderem
KraIwerke
bauen,
Speicheranlagen
planen finden
zu
lassen
und
damit
Denkanstöße
zu
geben.
und
neue
Technologien
entwickeln.
Neben
strategischem
Ge-‐ hFp://fron(ers-‐game.com/
schick
müssen
Spielende
auch
nachhal(g
Handeln,
um
die
Umwelt
zu
schonen
und
die
WirtschaIskraI
seines
Landes Re-‐Mission
zu
erhalten.
Das
Spiel
soll
seinen
Nutzern
und
Nutzerinnen In
dem
Ac(on-‐Spiel
Re-‐Mission
steuern
Spielende
einen
die
technischen,
wirtschaIlichen
und
gesellschaIliche
Zu-‐ Nano-‐Roboter
und
spüren
damit
Tumorzellen
im
mensch-‐
sammenhänge
der
Energieversorgung
nahe
bringen. lichen
Körper
auf,
oder
sie
bekämpfen
bakterielle
Infek-‐
hFp://www.energiespiel.de
(onen.
Dabei
kann
als
„Waffe“
zum
Beispiel
die
Chemotherapie
eingesetzt
werden.
Die
Zielgruppe
des
Spiels
Food
Force sind
in
erster
Linie
junge
an
Krebs
erkrankte
Pa(enten,
die
In
Food
Force
lernen
Spielende
die
logis(schen
Herausforde-‐ damit
ihre
Krankheit
bzw.
Therapie
besser
verstehen
und
rungen
der
NahrungsmiFelverteilung
in
Krisengebieten
als daraus
Mut
schöpfen
sollen.
Teil
der
Arbeit
des
World-‐Food-‐Programmes
der
UNO hFp://www.re-‐mission.net/
kennen,
indem
sie
in
sechs
Missionen
AuIräge
wie
die
LuI-‐
Laden
Sie
eines
der
freien
Praxisbeispiele
für
digitale Reflek(eren
Sie
ein
nah
zurückliegendes
Erlebnis
mit
? Lernspiele
über
den
angegeben
Link
herunter
und
spielen
Sie
das
Spiel
möglichst
durch.
Haben
Sie
etwas
? Computer-‐
oder
Videospielen:
Haben
Sie
Spielspaß
empfunden?
Wenn
ja,
worauf
würden
Sie
die
dabei
Neues
gelernt?
Hat
Ihnen
das
Spiel
Spaß
gemacht? entstandene
Mo(va(on
zurückführen?
Wenn
nicht,
Wie
beurteilen
Sie
die
Integra(on
von
Lerninhalt
und was
hat
Sie
an
der
Entwicklung
von
Begeisterung
für
Spielmechanik?
Was
könnte
man
bei
dem
Spiel
besser das
Spiel
gehindert?
machen?
Literatur
Überlegen
Sie
sich
ein
Thema,
das
Sie
anderen
durch ▸ Bopp, M. (2005). Immersive Didaktik: Verdeckte Lernhilfen
? ein
digitales
Lernspiel
vermiFeln
wollen.
Wie
könnte
ein
entsprechendes
Lernspiel
aussehen?
Welches
und Framingprozesse in Computerspielen. In: kommunika-
tion@gesellschaft, 6, Beitrag 2. URL: http://www.soz.uni-
Spielgenre
würden
Sie
auswählen
und
wie
würden
Sie
frankfurt.de/K.G/B2_2005_Bopp.pdf [2010-09-23].
die
Lerninhalte
didak(sch
integrieren?
Ist
ein
Spiel
überhaupt
für
das
Thema
geeignet
bzw.
welche
Pro-‐ ▸ Caillois, R. (2001). Man, play, and games. Urbana: Univ. of Il-
bleme
könnten
bei
einer
spielerischen
Form
der
Wis-‐ linois Press.
sensvermiFlung
hinsichtlich
der
Lernzielerreichung ▸ Feil, J. & Scattergood, M. (2005). Beginning Game Level
auIreten?
Stellen
Sie
Ihre
Lösungen
Kollegen
und
Kol-‐ Design. Boston: Thomson Course Technology.
leginnen
vor
-‐
würden
diese
Ihr
Spiel
spielen? ▸ Fritz, J. (2005). Computerspiele: Was ist das?: Was unter Com-
puterspielen verstanden und wie mit ihnen umgegangen wird.
Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, URL: http://ww-
8. 8
—
Lehrbuch
für
Lernen
und
Lehren
mit
Technologien
(L3T)
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Spielend
Lernen?—
9
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