Am Anfang der Digitalisierung versuchten Museen, durch strenge Regeln vergleichbare Daten zu erzielen. Die Orientierung an fachwissenschaftlichen Strukturen und Begriffen konnte dabei zu Abgrenzungen in der interdisziplinären Zusammenarbeit führen.
Neue Kommunikationsgefüge im World Wide Web, das Web 2.0 und die Fortschritte in der Standardisierung von Informationen über das kulturelle Erbe sind die Grundlage für die Entwicklung semantischer Datenmodelle und den fachübergreifenden Austausch. Notwendig ist hierbei eine intensive Zusammenarbeit zwischen Experten der verschiedenen Fachdisziplinen mit den Mitteln der Informationswissenschaft. Unverzichtbar ist auch die Verständigung auf gemeinsame Begriffe, die oft nur durch kontinuierliche Kommunikation zu erreichen ist, in denen sich die fachwissenschaftlichen Erkenntnisse widerspiegeln.
Für Museen werden semantische Datenmodelle vor allem in der Erfassung und Nutzung extrinsischer Daten über Museumsobjekte immer wichtiger, denn erst die zuverlässige Abbildung der vorhandenen fachwissenschaftlichen Informationen und ihre allgemeine Zugänglichkeit ermöglicht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihnen auf hohem Niveau.
Abstract
At the beginning of digitization museums tried to achieve comparable data by means of strict rules. The orientation to the structures and concepts of different disciplines could thereby result in limitations of interdisciplinary collaboration.
New communication structures in the World Wide Web, the Web 2.0, and the progress in the standardization of information on cultural heritage are the foundation for the development of semantic data models and the interdisciplinary communication. In this connection the intensive cooperation between experts of different disciplines by means of information science is necessary. It is also essential to agree on common terms, which can often be achieved only through continuous communication reflecting the specific knowledge in different fields of expertise.
Semantic data models are becoming more and more important for museums, especially in the collection and use of extrinsic information about museum objects, because only the reliable representation of the existing specialized information and their general accessibility enables the scholarly debate on a high level.
Einfach, effizient, erweiterbar: Wie man mit Wikis arbeiten kann
Informationswissenschaftliche Herausforderungen für kulturelle Gedächtnisorganisationen
1. Informationswissenschaftliche
Herausforderungen ...
... für kulturelle Gedächtnisorganisationen
EVA Berlin 2012 Thomas Tunsch
2. Vom Regelwerk zur Datenstruktur 1
Bibliotheken Museen
– Universalbibliothek – Museumsverbünde und
„Mundaneum“ (19. Jh.) große Museen
– WorldCat und andere – Europeana
Recherchewerkzeuge
November 2012 EVA Berlin 2012 2
3. Vom Regelwerk zur Datenstruktur 2
„Arbeitsgruppe Museumsdokumentation“ des
Deutschen Museumsbundes
1971: „Regeln für die allgemeine und spezielle
Erfassung von Museumsobjekten“ als nationaler
Standard vorgeschlagen
November 2012 EVA Berlin 2012 3
4. Waetzoldt 1971: Information und
Dokumentation
„Es gilt, das Museum den Forderungen von
Gegenwart und Zukunft nicht nur anzupassen,
sondern selbst die Initiative zu ergreifen, um die
wissenschaftlichen und didaktischen
Möglichkeiten des Museums auszuschöpfen und
vor allem seine Bestände für die sehr
unterschiedlichen Ansprüche der Öffentlichkeit
bereitzuhalten. Das Museum muß sich also auf sehr
vermehrte Anforderungen an Information und
Dokumentation einstellen.“
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5. Waetzoldt 1971: Nationaler Standard und
Gesamtinventar
„Elektronische Datenverarbeitung im Museum kann nicht Sache
einzelner Institute sein, sie betrifft die deutschen Museen in
ihrer Gesamtheit und als Teil einer internationalen
Gemeinschaft der Museen ebenso wie diejenigen, die für
Wissenschaft, Bildung und Kultur politisch verantwortlich sind.“
„Anzufügen wäre noch, daß die Objektdokumentation
automatisch auch ein Gesamtinventar der in öffentlichem
Eigentum stehenden Kunstwerke und Kulturgüter herstellen
würde, daß sie für die Identifizierung entwendeter Bestände, für
Verwaltungsvorgänge der verschiedensten Art auch außerhalb
der Museen und für die Lehre von unschätzbarem Wert
wäre.“
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6. Waetzoldt 1971: Regelwerk und
Interdisziplinarität
„Der Datenkatalog muß aus einem für alle Sammlungsobjekte
gleicherweise gültigen Teil (Benennung, Material, Maße,
Provenienz, Lokalisierung, Datierung, Eigentümer,
Inventarnummer usw.) und fachspezifischen Informationen
bestehen, und - wie der Bibliothekskatalog - zu Gesamt- und
Zentralkatalogen zusammengefaßt, d.h. in eine zentrale
Datenbank eingegeben werden können. Voraussetzung ist
allerdings die Annahme der Regeln durch viele, möglichst
alle Museen. [...] Eine Datenbank der Museumsobjekte muß
den Zugriff nicht nur durch die einzelnen Fachwissenschaften,
sondern durch möglichst viele geistes-, gesellschafts-
und naturwissenschaftliche Disziplinen und auch durch
das Ausland gestatten. Sie sollte von vornherein so angelegt
sein, daß sie andere Datenbanken ergänzen und durch diese
ergänzt, daß die Terminologie in andere Sprachen übersetzt
werden kann.“
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7. Informationen im Museum und Elektronische
Datenverarbeitung
eindeutige Identifizierung der extrinsische Daten
Sammlungsobjekte – größere Herausforderungen
– ID (Inventarnummer) an die maschinelle
– + International Standard Verarbeitung
Identifier for Libraries and – wichtigste Grundlage für die
Related Organizations (ISIL) wissenschaftliche Arbeit
– = weltweit eindeutige – immer Interpretation
Identifizierung – Ausstellen und Vermitteln:
intrinsische Daten unterschiedliche
– z.B. Maße Ausgabeformen, -formate
Dokumentation der Methoden
und Verfahren
– Datenerhebung
– Verarbeitung/Verwendung
– Ausgabe
↳wesentlich komplexere
Datenmodelle
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8. Relationale oder hierarchische Modellierung?
einheitliches Regelwerk für alle Museen: einmalige
Modellierung?
Situation bei den Staatlichen Museen zu Berlin (1990er Jahre)
als Beispiel
Antikensammlung Dyabola Dokumentation von Quellen
über Museumsobjekte
Ethnologisches GOS hierarchische
Museum Informationsstrukturen
Sammlungen MIDAS aufbauend auf Iconclass
europäischer Kunst und anderen Standards
andere Sammlungen verschiedene relationale Datenbanken
Systeme
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9. Unterschiedliche Formen der Datenmodellierung
Gründe
– starke fachwissenschaftliche Bindungen
– Kommunikationsbeziehungen zu externen Institutionen
ABER: Bibliotheken
– unterschiedliche fachwissenschaftliche Anforderungen
– + Nutzung informationswissenschaftlicher Erkenntnisse
– = übergreifende Standards
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10. Grenzen und ihre Überwindung
CIDOC Conceptual Reference Model (CIDOC CRM)
– begonnen mit Entity-Relationship-Modellierung
– 1996 bis 1999 als objektorientiertes Modell
weiterentwickelt
– 2006: Status eines internationalen Standards für den
Informationsaustausch über kulturelles Erbe
– 2010: in deutscher Sprache
↳Kulturelle Gedächtnisorganisationen können
– fachliche Informationsstrukturen und Begriffe auf eine
gemeinsame Norm beziehen und
– diese gleichzeitig für andere kulturelle
Gedächtnisorganisationen verfügbar machen
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11. Kulturelles Erbe und Standards: Internet und
Forschung 1
Veränderungen der Verfügbarkeit von Informationen durch das Internet
– Geschwindigkeit der Datenübertragung
– weltweite Ausdehnung
– ↳ neue Qualitäten der Verarbeitung und der Vernetzung von Informationen
Beispiel: Fußnoten → Hyperlinks
– sofortiger Aufruf statt Beschaffung der Verweisziele
– Aufhebung der Linearität von Texten
– neu: automatische Rückverweise (z.B. Blogs, Wikis)
– ↳ neue Möglichkeiten der Analyse von Beziehungen wissenschaftlicher Texte zu
anderen Werken (z.B. Zitationsanalyse)
– ↳ Abbildung komplexer Informationsstrukturen und Informationsbeziehungen
Folgen
– Veränderungen der Publikations- und Zitierformen
– beschleunigte Zyklen:
Informationsbeschaffung – Verarbeitung – Publikation
– Vergleichbarkeit und Verständigung über engere Fachgebiete hinaus mit Hilfe
fachübergreifender Standards
– Erweiterung fachbezogener Netzwerke und ihrer Verknüpfung mit anderen
↳ Digital Humanities (Digitale Geisteswissenschaften)
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12. Kulturelles Erbe und Standards: Internet und
Forschung 2
Publikation
Idee Forschung (Wissenschaftler) (Buch, Katalog,
Webseite)
Einmalige Nutzung von
Artikel Konferenzen Datenbanken Ressourcen und Quellen
Bücher Kollegen Netzressourcen Start-Ende-Prozeß
Publikationen
Idee Forschung (Wissenschaftler) (Buch, Katalog,
elektronisch, ...)
Vernetzte Arbeitsgemeinschaften
Mehrfache Nutzung von Ressourcen und Quellen, verfügbar durch Hyperlinks
Wissenschaftler als Teil einer Gemeinschaft (Publikation, Strukturen, Ideen, Entwicklungen)
Vernetzte Prozesse
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13. Digitale Geisteswissenschaften
Experte Spezialgebiet
Spezialisierung
Experte
Fachgebiet
Generalist
fachübergreifende Standards
(Terminologie, Methoden, ...)
Digital Zugänglichkeit
Humanities Allgemeinwissen
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14. Kulturelles Erbe und Standards:
Verfahrensdokumentation
zweite Ebene im Vergleich zu Daten und Informationen über
Museumsobjekte selbst
Rolle
– flexible, erweiterbare und strukturierte Verknüpfung mit
Informationen zu Museumsobjekten
– Nachvollziehbarkeit der historischen Entwicklung von
Informationen zu Museumsobjekten
Vergleiche mit Forschungsprojekten und Forschungsergebnissen
– ohne fachübergreifende Modellierung nur innerhalb der
jeweiligen Spezialdisziplin auf gemeinsamer fachlicher Basis
möglich
Modellierung für interdisziplinäre Zusammenarbeit
– CIDOC CRM: Klasse E7 Handlung
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15. Fachwissenschaften und
informationswissenschaftliche Abstraktion 1
Kooperation über fachwissenschaftliche Grenzen
hinaus erfordert Verständigung über Terminologie
und Methoden
– Beispiel: allgemeine Sprachwissenschaft und
philologische Fachgebiete (Ägyptologie,
Altamerikanistik, Klassische Philologie)
↳ Verknüpfung fachwissenschaftlicher Arbeit mit den
Erkenntnissen der Informationswissenschaft
– seit 1970er Jahren: „library science“ → „Library and
information science“
– Zugang zu / Austausch von fachwissenschaftlichen
Informationen ↔ methodische und terminologische
Abgrenzung der Spezialgebiete
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16. Fachwissenschaften und
informationswissenschaftliche Abstraktion 2
Krämer 2001/Waetzoldt 1971:
– Diese Vorgaben zu einer EDV-gerechten Eingabe und
systematischen Vor- und Nachbearbeitung der
Informationen „zwingt allerdings den Wissenschaftler“,
so Waetzoldt in seinem Bericht der Arbeitsgruppe
Museumsdokumentation, „zu einer logischen Abfolge
von Denkschritten, zu exakter Definition und zur
Anwendung einheitlicher Terminologie - all dies
wahrhaftig nicht von Nachteil für die in Museen
vertretenen Wissenschaften.“
November 2012 EVA Berlin 2012 16
17. Fachwissenschaften und
informationswissenschaftliche Abstraktion 3
informationswissenschaftliche Erkenntnisse für
fachübergreifende Kommunikation mit Hilfe von
– Modellierung
– Standardisierung
informationswissenschaftliche Mittel und Methoden
– Georeferenzierung
– automatische Zeitstempel
– Tags zur persönlichen oder gemeinschaftlichen
Klassifizierung („steve.museum“)
– CIDOC CRM für komplexe Modellierung
• Anwendung der Ereignismodellierung bei von CDWA Lite zu
museumdat und später LIDO
– vernetzte Arbeitsgemeinschaften (collaborative communities)
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18. Dynamik der Informationsgesellschaft 1
steigende Nachfrage nach qualitativ
hochwertigen Informationen aus den
Museen für verschiedene
gesellschaftliche Bereiche
– ↳ mehrdimensionale Interpretation
der Informationen über
Museumsobjekte
– Aufbereitung fachwissenschaftlicher
Erkenntnisse für Notwendigkeit der
• Ausstellungen
• Forschungsprojekte Modellierung
• Netzpublikationen ...
– ↳ Museumsdokumentation muß
• abstrakten Standards genügen
• auf konkrete und komplexe
Spezialfälle anwendbar sein
↳ Rückwirkungen auf traditionelle
Verfahren der Museumsdokumentation,
z.B.
– Thesauri als Webservices
– Meßverfahren und Standards in
Chronologie oder bei Geodaten
November 2012 EVA Berlin 2012 18
19. Dynamik der Informationsgesellschaft 2
Veränderungen in der Verfügbarkeit von Daten und
Informationen über Museumsobjekte
Beispiel: traditionelle Karteikartensysteme und
Literaturverweise
– nur bei physischem Zugang nutzbar
– diskontinuierliche Publikation von Änderungen oder
Ergänzungen
• Druckwerke nur bei physischem Zugang nutzbar
– Hindernis für Forschung, z.B. wegen Kosten für
verstreute Informationen
• Recherche
• Abgleich
November 2012 EVA Berlin 2012 19
20. Dynamik der Informationsgesellschaft 3
Erfolg der Suchmaschine Google Bibliotheken 19./20. Jh. →
– Einfachheit der Bedienung verbindende Funktion der
durch Informationswissenschaften
• Komplexität des Verfahrens – hohe gesellschaftliche
• ständige Weiterentwicklung Wertschätzung
↳ Anregung für Fachwissenschaften – Bibliothek +
in Museen Informationswissenschaften
– Überwindung der Grenzen = visionäre Projekte, z.B.
zwischen Einzeldisziplinen • Paul Otlet (Universelle
Bibliothek)
– kontinuierliche Zusammenarbeit • Emanuel Goldberg (Erfinder
in Entwicklung übergreifender einer frühen Suchmaschine auf
Standards optischer Grundlage)
Nachfrage nach
Forschungsergebnissen und ihre
Verfügbarkeit: wichtige Faktoren für
– Finanzierung dieser
Wissenschaften
– Gewinnung wissenschaftlichen
Nachwuchses
– gesellschaftliche Anerkennung
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21. Danke
Kommentare und Zusammenarbeit (MuseumsWiki)
Informationswissenschaftliche Herausforderungen für
kulturelle Gedächtnisorganisationen
EVA Berlin 2012 Thomas Tunsch
22. Inhalt
Vom Regelwerk zur Datenstruktur Kulturelles Erbe und Standards:
– 1 (Bibliotheken, Museen) Internet und Forschung
– 2 (AG Museumsdokumentation) – 1 (Verfügbarkeit,
Waetzoldt 1971: Geschwindigkeit, Hyperlinks)
– 2 (linear → zyklisch)
– Information und
Dokumentation – Digitale Geisteswissenschaften
– Nationaler Standard und – Kulturelles Erbe und Standards:
Gesamtinventar Verfahrensdokumentation
– Regelwerk und Fachwissenschaften und
Interdisziplinarität informationswissenschaftliche
Informationen im Museum und Abstraktion
Elektronische Datenverarbeitung – 1 (Terminologie, Methoden)
Relationale oder hierarchische – 2 (Waetzoldt 1971)
Modellierung? – 3 (informationswiss. Methoden)
Unterschiedliche Formen der Dynamik der
Datenmodellierung Informationsgesellschaft
Grenzen und ihre Überwindung – 1 (Notwendigkeit Modellierung)
– 2 (Verfügbarkeit)
– 3 (Fachwissenschaften)
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