1. 1/2011
MAGAZIN
Erfolgsmodell Familienunternehmen Verbindlich
«Ticken» Familienunternehmen anders ? Kleine und mittlere Unternehmen, die
KMU, bilden das Rückgrat der Schweizer
Wirtschaft. Auch im Aargau tragen
Viele der 1500 Mitgliedfirmen der Aargauischen Industrie- und Handelskammer ( AIHK ) sie massgeblich zur Wertschöpfung bei:
sind KMU. Eine ganze Reihe dieser KMU sind Familienunternehmen. Von einem Vorfahren KMU bieten Arbeits- und Ausbildungs-
mit Unternehmergeist gegründet sind sie über Generationen gewachsen und haben plätze an, zahlen Steuern und Sozial-
sich mit Innovationsfreude den wechselnden Rahmenbedingungen auf einem immer abgaben, überzeugen mit Innovationen
globaleren Markt erfolgreich angepasst. Die AIHK wollte von den Verantwortlichen von und behaupten sich mit ihren Dienst-
drei Familienunternehmen, die sich auch in der AIHK engagieren, wissen, ob und wie leistungen und Produkten gegen globale
denn Familienunternehmen anders «ticken» als andere Firmen. Konkurrenz auf dem Markt.
Sie führen ein Unternehmen, das
älter ist als die Schweizer Bundesver-
fassung: Thomas Fischer als Präsident
des Verwaltungsrates und sein Sohn
Peter Fischer als Delegierter des Ver-
waltungsrates leiten als Eigentümer-
Unternehmer die Geschicke der
Fischer Reinach AG und deren Toch-
terfirma Fischer Rista AG. 1842, als Peter Lüscher, Geschäftsleiter AIHK
das aargauische Wynental noch von
der Stumpen- und Zigarrenproduk- Viele der rund 1500 Mitgliedfirmen
tion sowie der Bandweberei – oft in der Aargauischen Industrie- und Handels-
Heimarbeit – geprägt war, gründete kammer ( AIHK ) sind KMU und eine
ihr Vorfahre eine Metallwarenfabrik, Reihe von ihnen sind Familienbetriebe,
an deren Standort noch heute mit die sich über Generationen etabliert
Metall gearbeitet wird. Aus dem haben. KMU-Familienbetriebe, wollen
«Häftlimacher» von einst, in dessen sie erfolgreich sein und bleiben, können
Fabrik Haken, Ösen, Nägel und sich aber nicht bloss auf den Lorbeeren
Agraffen für Kleider und Schuhe Armierungen – von der Maschine geschweisst und gebogen – werden bei Fischer der Leistungen ihrer Vorfahren ausruhen.
produziert wurden, sind «die Metall- Rista AG für den Weitertransport auf die Baustellen der Kunden gebündelt. Die aktive Generation ist gefordert, sich
former» von heute geworden, die auf einem Markt mit rasch wandelnden
mit hochmodernen Maschinen und selbstgebauten Werk- Oder jenes gestanzte Metallteil, das weltweit in jedem Rahmenbedingungen zu behaupten.
zeugen für die spezifischen Bedürfnisse ihrer Kunden VW Polo mitfährt, damit in diesem das Lenkrad verstellt Nur mit Innovation und Flexibilität
werden kann. Komplex gefalzte Kupferteile, die in können sich Familienunternehmen mit
Plastikdosen gefasst europaweit für einwandfrei funk- ihren Produkten und Dienstleistungen
tionierende Schütze sorgen oder Pinzetten für den behaupten. Dank Tradition und Erfah-
Weltmarkt-Schlager «swiss army knife» von Victorinox. rung sind sie weniger der hektischen
Optimierung von Quartalszahlen
Auch wenn die Tradition über 170 Jahre weit ins 19. Jahr- verpflichtet. Wo die Eigentümer selbst
hundert zurück reicht, müssen die Reinacher innovativ unternehmerisch wirken, planen sie
bleiben und agil auf die Bedürfnisse ihrer Kunden reagie- oft mit längerem Atem und sind so für
ren: «Wir kommen gar nicht in Versuchung, fünfzig Jahre Kunden, Mitarbeitende und den Wirt-
lang das Gleiche zu machen. In den dreissig Jahren unter schafts-Standort Aargau zuverlässige
Bilder: Lucia Degonda
meiner Verantwortung hat sich die gesamte Produktpa- Partner. Auf diesen Seiten dürfen wir
lette laufend gewandelt. Fast kein einziges Produkt von Ihnen exemplarisch drei AIHK-Mitglieder
vorstellen, die dem Kanton Aargau und
«Wir kommen gar nicht in Versuchung, seinen Menschen als Arbeitgeber ver-
50 Jahre lang das Gleiche zu machen.» pflichtet sind und sich nachhaltig und
verbindlich für eine gesunde Wirtschaft
damals ist heute noch in unserem Angebot», illustriert des Kantons einsetzen.
Dank eigener Präzisionswerkzeuge in immer gleich hoher Quali- Thomas Fischer den Wechsel der Rahmenbedingungen
tät, spuckt die Kaltstanzmaschine 794 Teile in der Minute aus … und Anforderungen der Kunden, auf die sie als Zulieferer Peter Lüscher
reagieren. Die Gleichung, dass man die Balance zwischen Geschäftsleiter AIHK
Produkte entwickeln und produzieren. 3 000 000 000 dem Bewahren von Bewährtem und dem Integrieren von
verarbeitete Teile verlassen die Werkstätten im Wynental Innovation halten muss, will man am Markt bestehen, gilt
pro Jahr: Etwa Beschläge und Bauteile für Küchenkombi- für alle erfolgreichen Unternehmen – erst recht für
nationen, ohne die kein «Chuchichäschtli» auskommt. Familienunternehmen mit langer Tradition.
2. AIHK MAGAZIN AIHK Aargauische Industrie- und Handelskammer
Komplette Neuausrichtung in der Pflicht, den 85 Mitarbeitenden «guet z’luege».
«vendere necesse est» – Verkaufen ist notwendig, das Nachdem sie von ihrer Familie angefragt worden war, ob
lateinische Credo ihres Grossvaters Georg Heizmann sie den Betrieb übernehmen wolle, hat sie nach dem
begleitet die Enkelin Karin Streit-Heizmann, die seit 2004 Gespräch mit ihrem Mann, der ihr hohes Engagement
die Firma leitet, noch heute und voll unterstützt, zugesagt und den Einstieg in den Fami-
hängt in ihrem Büro in der Aarauer lienbetrieb über das prozessorientierte Qualitätsma-
Telli. Will man als KMU bestehen, nagement gefunden. Karin Streit kennt jetzt nicht nur
braucht es manchmal auch drastische jeden Schritt im Betrieb, sondern auch jeden und jede
Veränderungen. 1992 hat sich die der Mitarbeitenden mit ihren besonderen Qualitäten
Firma, 1919 als Detaillist für Autozu-
behör gegründet und so etabliert, «Ich fühle mich persönlich
dass Viele Heizmann noch heute verantwortlich, den Leuten ‹guet z’luege›.»
damit identifizieren, völlig neu aus-
gerichtet und die Sparte Autozube- und weiss die sich ergänzenden Kompetenzen und
hör für Privatkunden ganz aufgege- Fähigkeiten zu schätzen. Sorgfalt in der täglichen Arbeit
ben. Nach dem Motto «Schläuche und bei der Ausbildung der Lernenden wird gross
braucht es überall», hat sich das geschrieben: «Die Lehrlinge sind unsere Mitarbeitenden
Unternehmen voll auf die Sparte der Zukunft.» Geduld, Sorgfalt und Nachhaltigkeit in der
Schlauchtechnik, Hydraulik und An- Betriebsführung und bei der Entwicklung der Mitarbei-
triebstechnik für Geschäftskunden tenden, dabei selber Vorbild sein für diese Arbeitshal-
konzentriert. Was blieb und bleibt: tung, sind Schlüsselworte im Gespräch mit Karin Streit.
die Ausrichtung auf die Bedürfnisse «Ich fühle mich persönlich verantwortlich für die Familie
der Kunden, für die Schläuche kon- und die Leute, die hier zu anständigen Bedingungen
fektioniert werden und die jederzeit arbeiten.»
und schweizweit auf den Service der
Fachleute und Ersatzteile zählen Mitarbeitenden und Kunden verpflichtet
können. «Wir kennen unsere Kun- Diese Haltung den Mitarbeitenden gegenüber – auch in
den, wissen genau, was sie brauchen Zeiten wirtschaftlicher Krisen – ist prägend in den Famili-
und können pragmatisch und schnell enunternehmen: «Unsere 180 Mitarbeiter bringen rund
auf ihre Bedürfnisse eingehen», fasst 2000 Jahre Erfahrungs-Know-how in die Firma ein», sagt
Christian Horisberger konfektioniert Karin Streit zusammen. Und so ver- Peter Fischer zum Thema. Auch im Krisenjahr 2009, als für
in der Werkstatt von Heizmann auf lassen im Tag rund dreihundert kleine Päckli das Haus, die exportorientierten Zulieferer in Reinach die Auftrags-
Kundenwunsch einen Hydraulik- jedes gefüllt mit exakt den richtigen Ersatzteilen. Im bücher mit einem Mal gähnend leer waren, waren für
Schlauch mit Wasserverteilern für grossen und übersichtlich geordneten Lager liegen auch Fischer Entlassungen keine Option. Mit allen Mitteln –
eine Grossbaustelle. jene bereit, die nur alle zwei Jahre jemand nachfragt. und gezwungenermassen zum Teil auch Kurzarbeit – hat
er die Firma mit ihren Mitarbeitenden durch die Krise
Im Kleinen gross geführt. Auch dank dem Wissen, dass auf Krisen immer
Ob es gilt, für ein Paket hundert gleiche Teile herbeizu- wieder auch erfolgreiche Geschäftsjahre folgen. Und «die
schaffen, oder eben für 300 kleine Pakete jeweils das Mentalität des längeren Atems», wie sie Thomas Fischer
eine, einzige und passende aus dem Lager zu holen, als typisch schildert, schütze ausserdem vor Kurzschluss-
macht für die logistischen Prozesse einen Riesenunter- handlungen.
Bilder: Lucia Degonda
Langfristig, nachhaltig
Karin Streit-Heizmann im Lager Hans-Jörg Bertschi, der vor der Über-
ihrer Firma: Viel Luft in unter- nahme der operativen Verantwor-
schiedlich schweren Schläuchen, tung der Bertschi AG in einem
die zunehmend «lebendig» werden, US-Konzern Erfahrungen gesammelt
muss hier gestapelt werden. hat, formuliert es so: «Wir werden
nicht von der Börse getrieben und
müssen daher nicht von Quartal zu
Quartal die Shareholder mit Gewin-
nen befriedigen.» Auch in Dürren-
äsch wird langfristig geplant; seit
Hans Bertschi mit dem ersten Lastwa-
gen 1956 eine Einzelfirma gegründet
hat, ist die unterdessen zur AG
Die Aargauische Industrie- und Handels- gewandelte Firma mit 42 Niederlas-
kammer ( AIHK ) dankt Ihren Mitgliedern sungen in 20 Staaten präsent.
Hans-Jörg Bertschi, Peter und Thomas
Fischer sowie Karin Streit-Heizmann für Aus der Fuhrhalterei des Urgross-
ihre Bereitschaft zur Mitarbeit am vaters, der im Nebenerwerb zum
AIHK-Magazin. schied. Da braucht es neben der Unterstützung durch Landwirtschaftsbetrieb mit Ross und Wagen Material
Computer auch sehr viel Know-how der Mitarbeitenden, für die Elektrifizierung des Dorfes vom Bahnhof Teufen-
auf das Heizmann zählt. «Mitarbeitende wie Kunden thal nach Dürrenäsch gebracht hat, wie die in gesto-
sind unser Kapital» und deshalb fühlt sich die Patronne chen schöner Handschrift ausgestellte Rechnung über
3. AIHK Aargauische Industrie- und Handelskammer AIHK MAGAZIN
«Fr. 123.35» von 1906 belegt, ist die multimodale Trans- Nachfolge
port- und Logistik-Firma gewachsen. Mit 15 eigenen In einem weiteren Gebiet ist Nachhaltigkeit unerlässlich:
Containerterminals, rund 2000 Mitarbeitenden europa- Bei der Planung und Regelung der eigenen Nachfolge,
weit ( 500 in der Schweiz ) bewegt Bertschi 15 000 Trans- mit der Bertschi mit Anfang fünfzig schon weit gediehen
porteinheiten auf Schienen, Wasser und Strasse. Auch für ist, «die nächste Generation kennt die Spielregeln und die
Weichen für die kommenden Jahre
sind gestellt». Klare Regeln, etwa,
dass die Eigentümer/Unternehmer «Wir werden nicht
mit 65 in Pension gehen, haben sich von der Börse getrieben.»
auch für Karin Streit-Heizmann als
nachhaltiges Modell erwiesen: Ihr
Onkel, der mit dem Vater gemein-
sam die Geschäfte führte, war bereits
in Pension, als sie in die Firma einge-
treten ist. Nach zwei Jahren gemein-
samer Verantwortung ist auch ihr
Vater in Pension gegangen. Jetzt ist
sie seit 2004 als Aktionärin mit Stim-
menmehrheit und Geschäftsführerin
allein für die Geschicke der Firma
verantwortlich. «Ich habe die Verant-
wortung, die Firma in einem guten
Zustand weiter zu geben» und, das Im Containerterminal Birrfeld wird nicht
«Dieser Silocontainer ist gestern mit 26,5 Tonnen Pulver befüllt in Köln auf den Zug schätzt Karin Streit besonders an nur umgeladen, hier werden die leeren
und kommt jetzt auf die Strasse nach Sins», erklärt Willi Lang. dieser Verantwortung: «Ich kann Silocontainer auch akribisch geputzt
meine Firma auch mit meinen Wer- «und das Wasser liefern wir einwandfrei
Bertschi stand bei Einbruch des Umsatzes 2009 fest: «Ich ten und ethischen Vorstellungen prägen.» Sorgfalt, vorgeklärt in die ARA».
will das Know-how der Mitarbeiter erhalten.» Und so hat Umsicht, Respekt und Verbindlich-
der eine gesammelte Überzeiten und Ferien endlich für keit nicht nur den Kunden und Mit-
die Weltreise verwendet und viele Fahrer blieben in der arbeitenden, sondern auch dem
Werkstatt, wo die gut ausgebildeten Berufsleute Contai- Gemeinwesen gegenüber: «Wir sind
ner und Fahrzeuge saniert haben. Abläufe und Prozesse in dieser Region verankert, wollen
wurden optimiert, um weiterhin dem hoch gesteckten zum Umfeld direkt beitragen und
Ziel, in Sicherheit, Qualität und Umweltschutz von bringen auch Wertschöpfung in die
Chemie-Transporten führend zu sein, gerecht zu eigene Region.»
werden.
Verbindlichkeit und Treue
Nachhaltigkeit in der Mitarbeiter-Ausbildung und -Ent- Auch letzteres gilt für alle drei Fami-
wicklung – bei allen portraitierten Familienunternehmen lienunternehmen: Sie sind ihrem
von hoher Priorität – ist für Bertschi nicht erst seit den Standort treu geblieben. «Es gibt
Diskussionen um die CO2-Abgabe auch beim Betrieb eine vielleicht das eine oder andere
Daueraufgabe. Seit sein Vater Hans 1963 den ersten ‹Gründli› für einen Wegzug, aber
Lastwagen auf einen Zug gestellt hat und so eine Pionier- keinen einzigen guten Grund», ist
rolle bei der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Peter Fischer überzeugt. Die ehema-
Schiene im Nord-Süd-Verkehr gespielt hatte, hat Hans- ligen Häftlimacher und Drahtzieher
Jörg Bertschi mit Niederlassungen und Containertermi- bleiben Reinach auch als Zulieferer
nals in 20 Staaten diesen Weg konsequent weitergeführt von Metallteilen für die globalen
und in die West-Ost-Richtung erweitert. Unterdessen Märkte treu, genau so wie der multi-
wickelt Bertschi 80 Prozent allen Verkehrs über den modale Transport-Logistiker Bertschi
Schienen- oder Wasserweg ab und hat damit 2010 gegen- immer noch von Dürrenäsch aus
über dem Strassentransport 215 000 Tonnen CO2 einge- operiert – dem Dorf zwischen Seetal
spart – eine Einsparung immerhin in der Höhe der Jahres- und Wynental mit genau einer
Emissionen einer Kleinstadt mit gut 25 000 Einwohnern, Busverbindung pro Stunde an den
grösser als jede Stadt im Kanton Aargau. nächsten Bahnhof. ( kk )
Aargauische Industrie- und Mehr als 1500 Unternehmen – darunter viele KMU und Familien- Die AIHK bietet ihren Mitgliedern eine umfangreiche Palette
Handelskammer (AIHK) unternehmen – sind Mitglied der Aargauischen Industrie- von Dienstleistungen: Die Expertinnen und Experten der
Entfelderstrasse 11, 5001 Aarau und Handelskammer (AIHK). Die AIHK vernetzt KMU und AIHK-Geschäftsstelle beraten die Mitgliedfirmen konkret in
Telefon +41 (0)62 837 18 18 Grossunternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistung Rechts-, Wirtschafts- und Exportfragen. Neben Beratung
Fax +41 (0)62 837 18 19 und vertritt deren Anliegen gegenüber Politik und Gesell- der Mitglieder gehören Information und Schulung zu allen
info@aihk.ch schaft. Ob und wie die Familienunternehmen unter den KMU Unternehmensfragen sowie die politische Arbeit und die AIHK-
www.aihk.ch, www.ahv-aihk.ch «anders ticken» ist Thema dieser Seiten. Ausgleichskasse zum Angebot der Geschäftsstelle in Aarau.
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