Manche Patentkritiker glauben, Softwarepatente wären seit der Entscheidung des Europäischen Parlaments 2005 kein Thema mehr. Doch Patente auf Software werden inzwischen routinemäßig von Patentämtern erteilt und von Gerichten vollstreckt. Zehn Jahre nach der Gründung der Eurolinux-Alliance gibt der Vortrag einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen und die Gefahren für Freie und Open Source Software, die sich daraus in neuer Schärfe ergeben. (Vortrag auf der FrOSCon 2009)
2. Softwarepatente Heute
Vorlage beim EPA, der Fall Bilski und die Notwendigkeit
nachhaltiger Patentrechtsreform
Georg Jakob
FFII e.V.
FrOSCon 2009
Sankt Augustin, 23. August
6. I. Patente und Patentansprüche
II. Bis heute
III. Moment der Entscheidung?
• Europa:Vorlagefragen an die GBK
• USA: Der Fall Bilski
IV. Ein Weg aus der Patentkrise
9. • Ein Verfahren/Apparat bestehend aus
(Stand der Technik), gekennzeichnet durch...
• ...einen erfinderischen Schritt (der
offenbart wird, d.h. eine technische Lehre)
mit industrieller Anwendbarkeit.
32. Software läuft nicht nur auf ,,Schreibtisch-
PCs”, sondern...
• Laptops, Handys, Handhelds
• Produktionsstrassen
• Kampfjets
...eben überall, wo sich ein Universalrechner
einbauen läßt.
35. Ein Anspruch auf die Erzeugung einer Kurve, um die
Intensität einer therapeutischen Bestrahlungslampe
zu kontrollieren, könnte durch einen Druckertreiber
oder ein Grafikprogramm verletzt werden.
Ein Anspruch auf ein Programm, dass bei einem
Rasenmäher Bodenunebenheiten ausgleicht, könnte
durch das Fahrwerk eines Kampfjet verletzt werden.
36. Es ist nicht Aufgabe des Patentrechts, vor
solcher ,,Konkurrenz” zu schützen.
41. Der häufigste Weg der Umgehung von Art.
52 - anstelle von:
1. Ein Computerprogramm, gekennzeichnet
durch...
2. (was immer das Programm tut)
42. beansprucht man
1. Ein Computersystem, gekennzeichnet
durch...
2. Anweisungen, die darauf ausgeführt werden
(d.h. ein Computerprogramm).
43. Die ,,Begründungen” des EPA:
• Weiterer technischer Effekt,
• Technischer Charakter,
• Lösung eines technischen Problems
• mit technischen Mitteln
Dabei wird vermieden, technisch zu definieren.
(Auch es auf 21 Seiten 71x vorkommt.)
44. 2002:
Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission
über die Patentierbarkeit ,,computer-implementierter”
Erfindungen (d.h.: zur Legalisierung von
Softwarepatenten)
45. Der Vorschlag beinhaltete unter anderem:
• Explizite Erlaubnis von Ansprüchen auf
Programme
• Patentierbarkeit bei ,,technischem
Beitrag” (Hybrid aus technischem Effekt
und Charakter)
49. Europäischer E-Commerce im Ernstfall
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2. Order by cell phone: Selling over a mobile phone network - EP1090494
3. Shopping cart: Electronic shopping cart - EP807891
4. [CDs] [Films] [Books]: Tabbed palettes and restrict search - EP689133 and EP1131752
5. Picture link: Preview window - EP537100
6. Get key via sms: Sending key to decrypt bought data via mobile phone network - EP1374189
7. View film:Video streaming (”segmented video on-demand”) - EP633694
8. Copy protection: Encrypt file so it can only be played on authorised devices - EP1072143
9. Credit card: Pay with credit card on the Internet - EP779587
10. Adapt pages: Generate different web page depending on detected device - EP1320972
11. Request loan: Automated loan application - EP715740
12. Secure card payment: Secure online credit/debit card payment with PIN code - EP1218865
13. Send offers: Send offers in response to request - EP986016
14. Delivery: Ship items to the correct pick-up point of the used delivery service - EP1181655
15. Support system: Support system based on answers to questions - EP915422
16. Preview chapters: Use of TV as metaphor for selecting different video fragments - EP670652
17. Image: Reduce page loading time by automatically reducing image quality - EP992922
18. Related results: Show related results if customer likes the current ones - EP628919
19. Rebate code: Allow rebate codes to be entered by customers - EP929874
20. Web-to-Print: Printouts from low resolution templates via Internet - EP852359, EP1169848
51. • 2005 wird die Softwarepatent-RL vom
Europaparlament abgelehnt
• 2006/07 scheitern EPLA und
Gemeinschaftspatent (vorläufig)
• 2007 ruft die Technische
Beschwerdekammer die Große
Beschwerdekammer zu EP1069819
(Brokkoli) an.
52. 2007 eröffnet der FFII e.V. ein Büro in Berlin und
erhöht den politischen Druck im ,,Patentmusterland”
Deutschland.
53. Im Mai 2008 führen U.S.-Richter den Machine/
Transformation-Test ein.
54. Im Oktober 2008 stellt die Präsidentin des EPA ihre
Fragen an die Große Beschwerdekammer. Insgesamt
werden 96 Amicus Curiae Briefs eingereicht.
55. Am 1. Juni 2009 entscheidet der U.S. Supreme
Court, den Fall Bilski zu hören.
64. Am 22. Oktober 2008 stellt Präsidentin
Brimelow unter G3/08 vier Fragen an die
Große Beschwerdekammer:
65. 1. Kann ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen nur dann
als Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches von
der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden, wenn es
ausdrücklich als Programm für Datenverarbeitungsanlagen
beansprucht wird?
66. 2. a) Kann ein Anspruch auf dem Gebiet der Programme
für Datenverarbeitungsanlagen das Patentierungsverbot
nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ allein schon dadurch
überwinden, dass ausdrücklich die Verwendung einer
Datenverarbeitungsanlage oder eines computerlesbaren
Datenspeichermediums erwähnt wird?
67. 2. b) Wenn Frage 2 a verneint wird, ist zur Überwindung des
Patentierungsverbots eine weitere technische Wirkung
erforderlich, die über die Wirkungen hinausgeht, die mit der
Verwendung einer Datenverarbeitungsanlage oder eines
Datenspeichermediums zur Ausführung bzw. Speicherung eines
Programms für Datenverarbeitungsanlagen inhärent verbunden
sind?
68. 3. a) Muss ein beanspruchtes Merkmal eine technische
Wirkung auf einen physikalischen Gegenstand in der realen
Welt hervorrufen, um einen Beitrag zum technischen
Charakter des Anspruchs zu leisten?
69. 3. b) Wenn Frage 3. a) bejaht wird, ist als physikalischer
Gegenstand eine nicht näher bestimmte Datenverarbeitungs-
anlage ausreichend?
70. 3. c) Wenn Frage 3. a) verneint wird, können Merkmale einen
Beitrag zum technischen Charakter eines Anspruchs leisten,
wenn die einzigen Wirkungen, zu denen sie beitragen,
unabhängig von der jeweils verwendeten Hardware sind?
71. 4. a) Erfordert die Tätigkeit des Programmierens einer
Datenverarbeitungsanlage notwendigerweise technische
Überlegungen?
72. 4. b) Wenn Frage 4. a) bejaht wird, leisten dann alle Merkmale,
die sich aus der Tätigkeit des Programmierens ergeben, einen
Beitrag zum technischen Charakter eines Anspruchs?
73. 4. c) Wenn Frage 4. a) verneint wird, können Merkmale, die sich
aus der Tätigkeit des Programmierens ergeben, nur dann einen
Beitrag zum technischen Charakter eines Anspruchs leisten,
wenn sie bei der Ausführung des Programms zu einer weiteren
technischen Wirkung beitragen?
74. Es geht also gar nicht um Ausschlusskriterien, sondern
um reine Formalia, um Softwarpatente doch noch zu
legitimieren:
78. Es geht um folgenden Anspruch:
• Initialisieren von Verkaufstransaktionen
zwischen Verkäufer und Vermittler,
basierend auf einem festgelegtem Preis,
• Identifikation potentieller Käufern,
• Initialisierung von Verkäufen der Vermittler
an die Käufer
• um die Risiken von Käufern/Verkäufern
auszugleichen (Hedge-Risk Minimierung)
84. Im Fall Bilski wurde dies vom CAFC nicht
abgelöst, sondern ergänzt:
85. A method claim is surely patentable
subject matter if
• it is tied to a particular machine or
apparatus, or
• it transforms a particular article into a
different state or thing.
86. Was damit für Softwarepatente gewonnen ist,
ist unklar, insbesondere:
• Ist ein Computer eine solche Maschine?
• Reicht bereits die Transformierung von
Signalen/Daten?
87. Am 1. Juni 2009 entschied der Supreme Court,
den Fall zu hören.
89. Im Zusammenhang mit DeCSS entschied der
Sixth Circuit Court of Appeals 2004, das auch
Computer-Programme grundsätzlich vom ersten
Verfassungszusatz geschützt sein können.
90. IBM dagegen meint:
Erst Patente ermöglichen (und zwar durch die
Veröffentlichung der Patentschrift) Redefreiheit.
91. ,,Given the reality that software source code is
human readable, and object code can be reverse
engineered, it is difficult for software developers to
resort to secrecy. Thus, without patent protection,
the incentives to innovate in the field of software
are significantly reduced. Patent protection has
promoted the free sharing of source code on a
patentee’s terms - which has fueled the explosive
growth of open source software development.”
93. • Das Patentsystem droht - wegen Patenten
auf Software, Biotechnologie und
herkömmlich gezüchtetes Leben - jede
Legitimation zu verlieren.
• Die Patentämter sind völlig überlastet.
• Innovatoren werden durch Monoplisten
und/oder Patenttrolle terrorisiert.
• Ökonomen warnen bereits heute vor dem
Platzen der ,,Patentblase”.
97. 1. Ein beanspruchtes Objekt, dass
ausschließlich aus Instruktionen für einen
Universalrechner besteht, ist keine
Erfindung im Sinnes des Patentrechts,
unabhängig davon, in welcher Form es
beansprucht wird.
2. Ein beanspruchtes Objekt kann nur dann
eine Erfindung im Sinne des Patentrechts
sein, wenn es neues Wissen (d.h. einen
erfinderischen Schritt) zum Stand der
Technik im Bereich der angewandten
Naturwissenschaften beiträgt.
98. Regel 2. schließt also insbesondere exakte und
Strukturwissenschaften (wie Mathematik,
Psychologie) aus.
99. Jedes Patent, das auch nur einen Anspruch auf ein
Computerprogramm enthält, ist ein - von Art. 52
EPÜ untersagtes - Softwarepatent.
102. • Erlaubt weiterhin Patente auf ABS & Co.
• Verlagert die Last von der
Gesamtwirtschaft auf den Antragsteller
(nämlich seine Patentansprüche redlich zu
formulieren).
• Sorgt für Rechtssicherheit insbesondere im
Hinblick auf erteilte Patente.
• Macht das Patentsystem insgesamt
transparenter.
• Entlastet die Patentprüfer.
103. Und ist die bisher einzige Interpretation, die dem
Artikel 52 EPÜ nicht jeden praktischen
Anwendungsbereich rauben würde.
108. Herzlichen Dank für Ihre freundliche
Aufmerksamkeit!
Weitere Informationen:
gjakob@ffii.org
http://www.ffii.org
http://www.stopsoftwarepatents.eu
http://www.twitter.com/ffii_de