Bauen und Erneuern mit Minergie und von Förderbeiträgen profitieren
Feuchte Luft braucht der gesunde Mensch: Plädoyer für eine Anhebung der Untergrenze der relativen Luftfeuchtigkeit auf 40 Prozent
1. Minergie Fachveranstaltung Do. 29. Oktober 2014
"Gute Raumluft"
Liebe Seminarteilnehmer,
Es freut mich, dass ich als Hausarzt die Gelegenheit bekomme, zu ihnen als
Fachpublikum über Raumluft und Luftfeuchtigkeit zu sprechen.
Mein spezieller Dank geht an Herrn Röthenmund von Minergie und an die Firma
Condair.
Die Themen Raumluft‐Qualität und Raumluft‐Feuchte sind untrennbar miteinander
verbunden. Meine Präsentation soll Ihnen diesen engen Zusammenhang aufzuzeigen.
Ich war fünfundzwanzig Jahre als Hausarzt in einer Flughafengemeinde tätig. Damals
wurde ich Winter für Winter mit den gesundheitlichen Auswirkungen schlechter
Klimatechnik in Grossraumflugzeugen und schlechter Gebäudetechnologie
konfrontiert.
Dr.med. W. Hugentobler 1
2. Minergie Fachveranstaltung
"Gute Raumluft"
Trotzdem bin ich ein Bewunderer der Fortschritte, die die Gebäudetechnik in den letzten
Jahrhunderten gemacht hat. Fliessendes Wasser, sanitarische Einrichtungen,
Elektrizität, Licht und der Schutz vor Klimaextremen haben mehr zur Gesunderhaltung
der Menschheit beigetragen als alle medizinischen Fortschritte zusammengenommen ‐
vielleicht mit Ausnahme der Impf‐Programme.
Wo aber stehen wir heute ? Macht das Innenraumklima uns krank ?
Immer bessere Thermoisolation und Luftdichtigkeit der Gebäudehüllen haben
zusammen mit den Energiespar‐Bemühungen neue Herausforderungen provoziert. Wir
sind weit davon entfernt auf die neuen Fragestellungen Antworten gefunden zu haben.
Es besteht ein grosser Forschungsbedarf.
Vielen hygienischen und technischen Problemen sind wir aus dem Weg gegangen,
indem wir die Luftfeuchtigkeit im Winter auf unnatürlich tiefe Werte absinken lassen.
Wir haben damit nicht nur Komfortprobleme provoziert. Wir haben neue
Herausforderungen geschaffen und vor allem das Risiko von Erkrankung mit
epidemischem Ausmass erhöht und immense sozio‐ökonomische Kosten ausgelöst.
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3. Minergie Fachveranstaltung Do. 29. Oktober 2014
"Gute Raumluft"
Die Luft ist Dein wichtigstes Lebensmittel …
Du atmest pro Tag etwa 15’000 Liter oder umgerechnet gut 15 Kilogramm Luft ein und
aus.
Abstrakt betrachtet hat die Luft drei essentielle Funktionen für den Menschen:
Sie liefert uns die beiden lebenswichtigen Stoffe Sauerstoff und Wasser und sie ist ein
Transportmittel.
In der Regel steht uns genügend Sauerstoff zur Verfügung. Meine Überlegungen werden
sich also auf das Wasser, respektive den Wasserdampf und die Luft als Transportmittel
beziehen.
Dr.med. W. Hugentobler 3
4. Minergie Fachveranstaltung
"Gute Raumluft"
Do. 29. Oktober 2014
Stellen wir uns schematisch eine Wohnung vor mit möglichen Schadstoffquellen und
zwei Bewohnern.Mögliche Schadstoffquellen sind
Biofilme, Schimmelpilze, Milben und Hausstaub, «Wohn‐Toxine», Viren‐ und
Bakterien‐Aerosole und z.B. Legionellen usw.
All diese Schadstoffe können erst dann eine krankmachende Wirkung haben, wenn
sie luft‐transportiert, also aerogen respektive als Aerosole auf unsere Schleimhäute
und v.a.in unsere Atemwege gelangen. Dieser Umstand wurde viel zu wenig beachtet
und ist die Ursache dafür, das wir bisher mit der Risikobeurteilung für die meisten
Schadstoffe solche Mühe hatten.
Es versteht sich von selbst, dass alle Faktoren, die den Aerosoltransport beeinflussen,
für die Expositionsbeurteilung und die Risikobeurteilung eine zentrale Rolle spielen.
Dr.med. W. Hugentobler
5. Minergie Fachveranstaltung Do. 29. Oktober 2014
"Gute Raumluft"
Die Luft die Du atmest ist physikalisch gesehen ein AEROSOL
* das heisst ein Gemisch aus Gasen sowie festen und flüssigen Schwebeteilchen,
genannt «Partikel» respektive «Tröpfchen»
Selbst saubere Luft enthält rund 10’000 Partikel pro Kubikzentimeter (1000 Millionen pro
Kubikmeter). Darunter befinden sich Krankmacher wie Feinstäube, andere Schadstoffe
und Erreger wie Viren und Bakterien sowie Allergen und vieles mehr …….
Die Aerosolpartikel können je nach ihrer Grösse stunden‐, ja tagelang schwebend
vorhanden sein und werden mit der Konvektion, den Raumlufttechnischen Anlagen oder
Winden über weite Strecken transportiert (dies wurde für Tierseuchen über Kilometer
nachgewiesen, und zum Beispiel für SARS über hunderte von Metern).
Dr.med. W. Hugentobler 5
6. Minergie Fachveranstaltung
"Gute Raumluft"
Do. 29. Oktober 2014
Unser Alltag wird dominiert von der uns umgebenden Alltagswelt die uns
einigermassen vertraut ist …… hier verbringen wir gut neunzig Prozent unserer Zeit in
Innenräumen und Verkehrsmitteln. Für das Innenraumklima in dieser Alltagswelt sind
Sie wesentlich mitverantwortlich.
Wir erleben täglich den Einfluss des uns umgebenden Makro‐Kosmos, der unseren
Tagesablauf und die Gezeiten bestimmt …
Unsichtbar für unsere Augen existiert ein Mikro‐Kosmos. Hier spielen sich Vorgänge
ab, die einen gewaltigen Einfluss auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit
haben. Es existiert eine «Mikrowelt» mit den Dimensionen «Mikrometer» und
«Nanometer» die angesiedelt ist zwischen unserer Alltagswelt und der atomaren
Welt.
In dieser Mikro‐Welt gelten teils andere Naturgesetze, die wir noch unvollständig
begreifen.
Ich will Ihnen aufzeigen, dass in dieser «Mikrowelt» die Feuchtigkeit eine absolut
zentrale Rolle spielt.
Dr.med. W. Hugentobler
7. Minergie Fachveranstaltung
"Gute Raumluft"
Do. 29. Oktober 2014
Gute Raumluft ist letztlich die Frage nach Qualität und Quantität der Schwebstoffe in
der Raumluft.
Meine Aussagen zu den folgenden Themenkreisen sind grundsätzlicher Natur und
stellen eine Vereinfachung dar. Im Detail sind die Zusammenhänge noch deutlich
komplexer.
Wenn von aussen und innen kein neuer Schwebstoffeintrag erfolgt, wird die
Raumluftqualität bestimmt durch das Fliess‐Gleichgewicht zwischen:
* Feuchtewachstum * Sedimentation/Deposition * Adhäsion auf Oberflächen
* und Resuspendierung/Staubbildung
Das Feuchtwachstum besteht in der Anlagerung von Wasser an Schwebepartikel. Alle
Schwebestoffe die auch nur eine geringe Hygroskopie zeigen, lagern feuchteabhängig
Wasser an. Ein Spezialfall der Feuchtewirkung ist die direkte Inaktivierung von
«Winterviren» durch Luftfeuchtigkeit über 40 Prozent.
Adhäsionskräfte und die Resuspendierung sind ebenfalls feuchteabhängig. Die stärkste
Kraft, die Schwebepartikel nach der Deposition auf den Raumoberflächen hält, ist die
Adhäsionskraft des Wassers. Im Mikrobereich wird diese Kraft durch die Wasser‐
Adsorption bestimmt und im Nanobereich durch die sog. «Kapillare Kondensation».
Die Resuspendierung wird durch mechanische Kräfte ermöglicht. Hier spielen
Konvektions‐ und Ventilationsströmungen eine zentrale Rolle. Aber auch menschliche
Aktivitäten wie z.B. Herumgehen fördern die Resuspendierung deutlich messbar.
Weitere Faktoren die die Raumluftqualität beeinflussen sind:
• Die Raum‐Klimafaktoren
Der Eintrag der Schwebestoffe erfolgt durch
* Gebäude‐Faktoren
Dr.med. W. H*ugInennetonb‐Flaekrtoren
8. Minergie Fachveranstaltung Do. 29. Oktober 2014
"Gute Raumluft"
Eine Anhebung der Luftfeuchtigkeit hat folgende Auswirkungen:
sie führt zu einem Anstieg von Feuchtewachstum, zu einer Zunahme der
Sedimentationsgeschwindigkeit und bei über 40% zur Inaktivierung von
«Winterviren».
Feuchte führt zu einer Zunahme der Deposition von Schwebepartikeln auf den
Oberflächen
Feuchte führt zu einer Zunahme der Adhäsionskräfte an den Oberflächen
Feuchte führt zu einer Abnahme der Resuspendierung. Im Makrobereich bedeutet
das Abnahme der Staubbildung. Wir alle kennen aus unserer Alltagswelt die Situation
des Staubwischens in einem trockenen Keller. Weniger Staub wird aufgewirbelt beim
Versprühen vonWasser!
Im Endeffekt resultiert eine Abnahme der Schwebepartikel und damit eine
Verbesserung der Raumluftqualität
Selbstverständlich kann ich all diese Aussagen mit wissenschaftlichen Arbeiten
untermauern. Dies würde den Rahmen der Veranstaltung aber sprengen. Ich hoffe, an
einer nächsten Veranstaltung näher darauf eingehen zu können.
Dr.med. W. Hugentobler 8
9. Minergie Fachveranstaltung Do. 29. Oktober 2014
"Gute Raumluft"
Eine Senkung der Luftfeuchtigkeit hat die exakt gegenteiligen Effekte!
Sie sind alle aus Sicht der Raumluftqualität unerwünscht!
Dr.med. W. Hugentobler 9
10. Minergie Fachveranstaltung
"Gute Raumluft"
Do. 29. Oktober 2014
* Dieseacht klinischen Studien untersuchten den Einfluss einer besseren
Luftbefeuchtung auf Kindergartenkinder, Studenten, Spitalpersonal und
Rekruten. Es wurden sechsundzwanzig Winterperioden untersucht. In
zweiundzwanzig der Winterperioden fand sich eine signifikante Reduktion der
Erkältungskrankheiten oder der Absenz‐Raten.
* Stolz sein dürfen wir auf die weltweit erste klinische Studie mit dieser
Fragestellung. Sie wurde in der Schweiz durchgeführt. Günther Ritzel, damals
Vorstand des Schulamtes Basel, hat sie mit 232 Kindergarten‐Kindern in Basel
1966 durchgeführt.
Die Anhebung der Raumluftfeuchtigkeit im Winter auf rund 40 Prozent führt zu
einer Reduktion der infektiösen Atemwegserkrankungen (von Grippe bis zur
banalen Erkältung) um rund 25 Prozent bei Erwachsenen und um rund 50
Prozent bei Kindern. Dies ist erstaunlich wenn man bedenkt, dass lediglich an
einem, allerdings dominanten Aufenthaltsort die Luftfeuchtigkeit angehoben
wurde!
Ich will heute ganz bewusst nicht von den neuesten klinischen Studien sprechen
sondern bei den physikalischen Prozessen bleiben. Gestatten Sie mir aber noch
eine letzte Folie dazu.
Dr.med. W. Hugentobler
11. Minergie Fachveranstaltung
"Gute Raumluft"
Do. 29. Oktober 2014
Die Ingenieure Scofield und Sterling, haben 1985 das nach Ihnen benannte Diagramm
publiziert. Sie postulieren darin einen optimalen Feuchtebereich zwischen 40 und 60
Prozent.
Die klinischen und tierexperimentellen Forschungsergebnisse sowie die Aerosol‐
Forschung der letzten zehn Jahre stützen eindrücklich diesen optimalen Feuchtebereich.
Für moderne Niedrig‐Energiehäuser würde ich den Idealbereich allerdings heute eher
bei 45 bis 55 Prozent sehen.
Wir wissen, dass bei tiefer Luftfeuchtigkeit das Risiko für virale und bakterielle
Infekte der Atemwege zunimmt
bei höherer Luftfeuchtigkeit wird ein Anstieg des Wachstums der Schimmelpilze und
der Milbenpopulationen befürchtet
der effektive Feuchtebereich in unseren Breitegraden liegt im Winter meist bei 30
bis 40 Prozent
ideal wäre der Bereich von 40 bis 50 Prozent. ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐ Weit liegen effektiver
und idealer Feuchtebereich nicht auseinander !
Die 40 Prozent‐Grenze ist aber eine wichtige Grenzlinie, die aus präventiver Sicht
nicht unterschritten werden darf!
Ich kann wohl davon ausgehen, dass niemand in diesem Raum eine rel. Luftfeuchtigkeit
von 20 bis 30 Prozent für optimal hält. Die gesetzliche Untergrenze wurde vor
Jahrzehnten bei 30 Prozent angesetzt. Man glaubte damals, aus bautechnischen
Gründen Kompromisse machen zu müssen. Zudem wurde angenommen, dass diese
tiefen Feuchtewerte lediglich Komfortprobleme verursachen würden.
Die von mir zitierten Studien wurden ignoriert. Studien die die Unschädlichkeit einer
tiefen Luftfeuchtigkeit von rund 30 Prozent bewiesen hätten, gab es damals und heute
nicht!
Dr.med. W. Hugentobler
12. Minergie Fachveranstaltung Do. 29. Oktober 2014
"Gute Raumluft"
Es gibt im Wesentlichen drei natürliche Vorgänge, die eine Smog‐Glocke über einer Stadt
entfernen können: Feuchtigkeit, Regen und Winde. Deshalb ist die Luftfeuchtigkeit für
die Meteorologen ein Megathema.
Ein Megathema ist die Luftfeuchtigkeit auch in der Aerosolphysik.
Aber die Auswirkungen der Luftfeuchtigkeit auf die Innenraumbelastung durch
Aerosole sind noch wenig bekannt, kaum untersucht und finden bisher wenig
Beachtung.
Sie sehen im unteren Teil der Folie schematisch das Feuchtewachstums eines Aerosol‐
Tröpfchens. Sie erkennen, dass die relative Luftfeuchtigkeit die Endgrösse des Aerosols
bestimmt.
Die Luftfeuchtigkeit ist meines Erachtens die am häufigsten unterschätzte und
fehlinterpretierte physikalische Grösse. Zudem haben wir ein schlechtes Sensorium für
die Luftfeuchtigkeit. Wir nehmen sie subjektiv nur schlecht, verzögert und indirekt wahr.
Dies ist vermutlich ein weiterer Grund dafür, dass auch viele Forscher die
Luftfeuchtigkeit bei ihren Überlegungen schlicht vergessen oder davon ausgehen, das ihr
geringe oder gar keine Bedeutung zukommt.
Dr.med. W. Hugentobler 12
13. Minergie Fachveranstaltung Do. 29. Oktober 2014
"Gute Raumluft"
Ich kann Sie bei diesem Thema nicht vor etwas Physik und Chemie bewahren. Der
Einfluss der Luftfeuchte auf die Aerosolbelastung der Raumluft wird nur verständlich,
wenn man sich darauf einlässt. Ich will Ihnen deshalb kurz das Feuchtewachstum
erklären und dazu die Begriffe der Hysterese, der Effloreszenz‐Feuchte sowie der
Deliqueszenz‐Feuchte erläutern.
Das Feuchtwachstum erfolgt bei Aerosolen, die in Lösung gehen und Auskristallisieren
können, nicht in einem linearen Prozess. Es tritt ein wichtiges Phänomen auf, das als
Hysterese bezeichnet wird.
* DieHydratation (blaue Kreise) führt dazu, dass die auskristallisierten Salze in
Lösung gehen. Dies erfolgt durch die erzwungene Aufnahme von Wasser bei steigender
Luftfeuchtigkeit. * Die Wasseraufnahme erfolgt jedoch nicht kontinuierlich sondern
plötzlich, beim Erreichen der Deliqueszenz‐Feuchte * hier 75% * .
* DieDehydratation (rote Kreuze) führt dazu, dass die Salze auskristallisieren. Sie
beruht auf der erzwungenen Abgabe von Wasser bei fallender Luftfeuchtigkeit. * Auch
diese Wasserabgabe erfolgt plötzlich * beim Erreichen der Effloreszenz‐Feuchte von
hier 40%.
Mikhailov hat 2004 das hygroskopische Wachstum von physiologischen Salzwasser‐
Aerosolen mit steigendem Proteingehalt untersucht. Damit hat er Speichel‐ und
Bronchialsekret imitiert, mit denen virus‐ und bakterienbeladene Aerosole von
Mensch und Tier ausgehustet und ausgeatmet werden.
Die Hysterese hat eine weitere wichtige Konsequenz. Das Salz in einem Aerosolpartikel,
das auskristallisierte, weil die Effloreszenz‐Feuchte unterschritten wurde, geht erst
wieder in Lösung, wenn die Luftfeuchtigkeit auf den hohen Wert von über 75% ansteigt !
Der Vorgang kann also nicht einfach dadurch rückgängig gemacht werden, dass die
Feuchtigkeit leicht über 40 Prozent gesteigert wird.
*Konnte aus Zeitgründen nicht präsentiert werden:
Dr.med. W.D HasugoebnigteobFleeurchteverhalten trifft zu auf alle Schwebepartikel, die hygroskopisch sind 13
14. Minergie Fachveranstaltung Do. 29. Oktober 2014
"Gute Raumluft"
Der Vorgang der Hysterese ist wesentlich dafür verantwortlich, dass die
Gefährdung durch aerogen übertragbare Viren unterhalb einer relativen
Luftfeuchtigkeit von 40 Prozent sprunghaft ansteigt.
Die wahrscheinlichste Erklärung dafür ist die Effloreszenz‐Feuchte bei 40 Prozent:
wenn diese unterschritten wird, kristallisieren die Salze aus. Der Stressfaktor
«Steigende Salz‐Konzentration» fällt weg, die Viren fühlen sich unterhalb dieser
Grenze wieder wohl und überleben deutlich länger.
* Konnte aus Zeitgründen nicht vorgetragen werden:
Auf der obigen Grafik von Hemmes aus seiner Originalarbeit von 1962 ist die
Inaktivierungsrate gegen die Luftfeuchtigkeit aufgetragen. Sie ersehen daraus, dass die
Grippe‐Viren sich unterhalb von 40 % pudelwohl fühlen und oberhalb von 40 – 50
Prozent rasch inaktiviert werden.
*Die folgende Folie konnte aus Zeitgründen nicht präsentiert werde:
Die Folie zeigt, welche drei Stressfaktoren die Grippeviren schädigen und sie schliesslich
inaktivieren * .
Dr.med. W. Hugentobler 14
15. Minergie Fachveranstaltung Do. 29. Oktober 2014
"Gute Raumluft"
* Diese Folie konnte aus Zeitgründen nicht besprochen werden:
Es sind die mit drei Pfeilen angegebenen Faktoren «Steigende Salz‐Konzentration»,
«Fallender pH‐Wert» und «Steigende Oberflächen‐Inaktivierung». Der erste Effekt ist
derWichtigste.
Alle drei Vorgänge nehmen mit zunehmender Evaporation, d.h. fallender
Luftfeuchtigkeit, zu. Das. «Mikroklima» des Aerosols wird für die Viren immer
ungastlicher und sie werden inaktiviert.
Aber weshalb stoppt der Vorgang unterhalb von 40 % LF und die Grippe‐Viren fühlen
sich wieder wohl?
Eine wahrscheinliche Erklärung dafür ist die Effloreszenz‐Feuchte bei 40%:
wenn diese unterschritten wird, kristallisieren die Salzkristalle aus. Der Stressfaktor
«Steigende Salz‐Konzentration» fällt weg, die Viren fühlen sich unterhalb dieser
Grenze wieder wohl und überleben deutlich länger.
Dr.med. W. Hugentobler 15
16. Minergie Fachveranstaltung Do. 29. Oktober 2014
"Gute Raumluft"
Kommen wir zurück in unsere «Alltagswelt».
Ich will einige Bemerkungen machen zum Ist-Zustand der
Luftfeuchtigkeit an kalten Wintertagen und zu den weitverbreiteten
Befürchtungen rund um eine höhere Luftfeuchte in unseren Wohn-und
Arbeitsräumen.
Auf der Folien sehen sie vier Lokalisationen mit dazugehörigen relativen
Feuchtewerten, die ich an einem kalten Februar-Nachmittag 2010
gemessen habe. Die Feuchtemessungen erfolgten mit einem Präzisions-
Hygrometer von Rotronic.
Links zwei bedenkliche Beispiele, die belegen, dass selbst Werte deutlich
unter 20 Prozent bei tiefen Temperaturen mit viel gebundenem Wasser
(Eis und Schnee) auch bei uns möglich sind.
Dort wo eine höhere Luftfeuchtigkeit gefordert wird (rechts,
wertvolle Gemälde oder Konzertflügel) kann die Luftfeuchtigkeit sehr
wohl, auch in älteren Gebäuden und an Frosttagen, über 40 Prozent
gesteigert werden!
Dr.med. W. Hugentobler 16
17. Minergie Fachveranstaltung
"Gute Raumluft"
Do. 29. Oktober 2014
Die Folie zeigt vereinfacht die Temperaturverläufe in der Gebäudehülle eines gut‐und
eines schlecht isolierten Gebäudes für statische Verhältnisse.
Viele Vorstellungen rund um die Zusammenhänge zwischen relativer
Raumluftfeuchte und Gebäudeschäden sind schlichtweg falsch. Insbesondere ist
die landläufige direkte Assoziation zwischen Feuchteschaden am Gebäude,
Pilzwachstum und zu hoher Luftfeuchtigkeit so nicht richtig !
Pilze können keine Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen. Für ihr Wachstum ‐ da
ist sich die Wissenschaft einig ‐ braucht es einen Wasserindex von mindestens
0.65, für die allermeisten Pilze über 0.8. Um diesen Wasserindex zu erreichen, ist
in der grenzschichtigen Luft eine relative Luftfeuchtigkeit von rund 80 Prozent
erforderlich. Diese Situation ist dann gegeben, wenn die innere
Oberflächentemperatur auf die Taupunkttemperatur abfällt, wie wir auf der
Folie rechts erkennen können.
Die Wissenschaft ist sich einig darüber, dass bei einer Luftfeuchte von konstant
unter 80 Prozent in einer Oberflächengrenzschicht in keine Material ein
Pilzwachstum möglich ist.
Man kann sich nun die Frage stellen, weshalb in gut thermoisolierten, modernen
Gebäuden überhaupt noch Feuchteschäden auftreten können.
Dr.med. W. Hugentobler
18. Minergie Fachveranstaltung
"Gute Raumluft"
Do. 29. Oktober 2014
Die Antwort ist ebenso einfach wie folgenschwer: es sind die wiederkehrenden,
dynamischen Spitzen‐Feuchtewerte, die für Gebäudeschäden und das
Pilzwachstum matchentscheidend sind !
Die Angabe von Durchschnittswerten für die Luftfeuchtigkeit sind für die
Beurteilung des Feuchterisikos nahezu wertlos ! Es ist in unseren Breitengraden
für gut isolierte Gebäude nicht das Makroklima des Raumes, das das Risiko für
ein Pilzwachstum bestimmt, sondern immer das Mikroklima auf und in den
Oberflächen‐Materialen.
Problematisch – auch für Niedrig‐Energiehäuser – sind die dynamischen
Feuchteverläufe. Vor allem die kurzfristigen Feuchteeinträge z.B. beim Kochen,
Duschen oder Baden. Sie führen in jedem Fall zu einer
Oberflächenkondensation. Dies lässt sich weder durch effiziente
Ventilationssysteme noch durch tiefe Raumluftfeuchtigkeit oder optimale
Thermoisolation vermeiden!
Entscheidend für den weiteren Verlauf sind die Eigenschaften der
Oberflächenmaterialien. Es ist die «Time of Wetness» (auf der Folie dargestellt)
und erneut ein Hysterese‐Phänomen, das für das Pilzwachstum von
entscheidender Bedeutung ist.
*Dieser Text konnte aus zeitlichen Gründen nicht präsentiert werden:
Ich zeige Ihnen hier das Konzept des «Time of Wetness» das für das Pilzwachstum von
entscheidender Bedeutung ist.
Pilzwachstum kann auftreten, wenn an der Grenzfläche Material – Luftschicht die rel.
Luftfeuchtigkeit den Schwellenwert von 80% erreicht. In dieser Situation tritt eine
Oberflächenkondensation (Wasser‐Adsorption) auf und entsprechend dem
Wasserpotentialgefälle tritt ein Wassertransport in das Wandmaterial auf (Wasser‐
Absorption). DerWasserindex des Materials steigt und es kann Pilzwachstum auftreten.
In Abhängigkeit von den Materialeigenschaften wird das Wasser rascher oder langsamer
Dr.med. W. Hugentobler
19. Minergie Fachveranstaltung
"Gute Raumluft"
Do. 29. Oktober 2014
Befeuchtung und Austrocknung von Raumoberflächen unterliegen einer Hysterese mit
weitreichenden Konsequenzen.
Sie hat zur Folge, das ein gemessener Feuchtewert in einem Material auch im
Gleichgewichtszustand nicht eindeutig einer bestimmten Luftfeuchtigkeit zugeordnet
werden kann, wenn man die «Vorgeschichte» des Materials nicht kennt. Es muss
bekannt sein, ob wir uns auf dem Adsorptionsschenkel befinden * (Befeuchtung)
oder ob wir uns auf dem Desorptionsschenkel befinden, * d.h. in der
Abtrocknungsphase. Das Material besitzt eine «Memory».
Lieder habe ich nicht genügend Zeit zur Verfügung, um Ihnen die praktischen
Konsequenzen aus dem Gesagten darzulegen. Ich hoffe, dass wir im Podiumsgespräch
darauf zurückkommen können.
* Konnte aus Zeitgründen nicht vorgetragen werden:
Beispiel: wir messen im Gips einen Wassergehalt von 0.022. * Dies entspricht im
Befeuchtungsablauf (Adsorptionsschenkel) einer rel. LF von knapp 80%.
* sind wir im Abtrocknungsablauf (Desorptionsschenkel), entspricht dieser Wert
einer rel. LF von 40%.
Mit anderen Worten: um bei der Befeuchtung diesen Wassergehalt im Gips zu
erreichen, braucht es eine rel. LF von 80%. War das Material schon einmal mit
Wasserdampf gesättigt, erreichen wir erst bei einer Abtrocknung auf eine rel. LF von
40% wieder denselbenWassergehalt !
Für das Pilzwachstum auf Materialoberflächen ist dieser Vorgang von grosser
Bedeutung. Die Hysterese ist ein weiteres Beispiel dafür, wie wichtig die dynamischen
Feuchteverläufe sind und vor allem, wie entscheidend das Auftreten von
Extremwerten die Wasseraktivität in den Oberflächenmaterialien prägt.
Es können drei praktische Konsequenzen abgeleitet werden:
1. Die Folgen einer einmaligen Benetzung einer Oberfläche sind nachhaltig und
langanhaltend. Die relative Luftfeuchtigkeit muss bedeutend drastischer gesenkt
werden, um beim Abtrocknungsvorgang Dr.med. W. Hugentobler wieder den identischen Wasserindex zu
20. Minergie Fachveranstaltung Do. 29. Oktober 2014
"Gute Raumluft"
Meine Zeit ist abgelaufen.
Ich hoffe darauf, dass bald auch die Zeit abgelaufen ist, in der wir
Raumbewohner eine unnatürlich tiefen Luftfeuchtigkeit aussetzen.
Wir haben heute die Kenntnisse und die technischen Möglichkeiten, um die
Luftfeuchtigkeit auch in Winter für alle in einem gesunden, komfortablen Bereich
von 45 bis 55 Prozent zu halten ‐ wir müssen es nur wollen !
Herzlichen Dank für ihre Aufmerksamkeit.
Dr.med. W. Hugentobler 20