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Arbeitsrecht | Entscheidungen
Zimmermann | BB-Kommentar zu LG Frankfurt, 16.2.2015 – 3-16 O 1/14
LG Frankfurt: Berücksichtigung im
Ausland beschäftigter Arbeitnehmer bei
Schwellenwerten der Mitbestimmung
LG Frankfurt a.M., Urteil vom 16.2.2015 – 3-16 O 1/14
Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2015-1792-1
unter www.betriebs-berater.de
LEITSÄTZE DER REDAKTION
Bei der Ermittlung der für die Anwendung der Regeln über die Unter-
nehmensmitbestimmung maßgeblichen Unternehmensgröße sind die
im Ausland beschäftigten Mitarbeiter, insbesondere auch die auslän-
discher Konzernunternehmen, mitzuberücksichtigen. Ein eigener mit-
bestimmungsrechtlicher Konzernbegriff existiert nicht.
MitbestG § 1 Abs 1, § 5 Abs 1, § 7, DrittelbG § 1, § 2, § 4, AktG § 95
BB-Kommentar
„Zurechnung der Arbeitnehmer ausländischer Konzern-
gesellschaften bei der Unternehmensmitbestimmung? –
Beschluss des LG Frankfurt verunsichert“
PROBLEM
Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat setzt eine be-
stimmte Zahl regelmäßig beschäftigter Arbeitnehmer voraus. Nach dem
Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) muss der Aufsichtsrat von Kapitalge-
sellschaften (z.B. AG, GmbH) zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern
bestehen, wenn die Gesellschaft in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer
beschäftigt. Arbeiten in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmer für das
Unternehmen, muss der Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz
(MitbestG) zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern bestehen. In einem
Konzern werden die Mitarbeiter der abhängigen Konzerngesellschaften
der Muttergesellschaft zugerechnet, nach dem Drittelbeteiligungsgesetz
nur, wenn zusätzlich ein Beherrschungsvertrag besteht oder die Tochter-
gesellschaft in das herrschende Unternehmen eingegliedert ist.
Bisher war allgemein anerkannt – und gängige Unternehmenspraxis –, dass
Arbeitnehmer ausländischer Tochtergesellschaften der inländischen Mut-
tergesellschaft nicht zugerechnet werden, sie also bei den Schwellenwerten
nicht mitzählen. Nur die Belegschaft der Konzerngesellschaften wurde be-
rücksichtigt, die ihren Sitz in Deutschland hatten. Begründet wurde das mit
dem Territorialitätsprinzip, wonach das Hoheitsgebiet anderer Staaten nicht
durch die deutsche Rechtsordnung beeinflusst werden könne. Überra-
schend ist dem jetzt das Landgericht Frankfurtentgegengetreten.
ZUSAMMENFASSUNG
Die Antragsgegnerin ist herrschendes Unternehmen eines Konzerns, in
dem Ende 2013 rund 3800 Arbeitnehmer beschäftigt sind, davon etwa
1600 in Deutschland und 1700 im europäischen Ausland. Der Aufsichtsrat
ist nach dem DrittelbG gebildet und besteht daher (nur) zu einem Drittel
aus Vertretern der Arbeitnehmer.
Der Antragsteller ist Aktionär. Er hat ein Statusverfahren nach § 98 AktG
eingeleitet und beantragt festzustellen, dass der Aufsichtsrat fehlerhaft
gebildet ist. Das DrittelbG verstoße durch den Ausschluss des aktiven und
passiven Wahlrechts der Arbeitnehmer im EU-Ausland gegen Unionsrecht.
Der Aufsichtsrat sei daher ausschließlich aus Vertretern der Anteilseigner
zusammenzusetzen, hilfsweise nach dem MitbestG hälftig aus Vertretern
der Anteilseigner und der Arbeitnehmer.
Entgegen der bislang ganz herrschenden Auffassung und jahrelangen
Unternehmenspraxis entschied das Landgericht Frankfurt, dass sich die
Muttergesellschaft auch die im Ausland bei ihren Tochtergesellschaften
beschäftigten Arbeitnehmer zurechnen lassen muss, sie damit mehr als
2000 Arbeitnehmer beschäftigt. Daher sei der Aufsichtsrat falsch zusam-
mengesetzt. Er sei nicht nur zu einem Drittel, sondern zur Hälfte mit Ar-
beitnehmervertretern zu besetzen.
Weder dem Wortlaut des DrittelbG noch des MitbestG könne entnommen
werden, dass im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer ausgenommen wer-
den. Vielmehr sei der allgemeine Konzernbegriff des § 18 Abs. 1 AktG maß-
geblich.Hierseiaberunstreitig,dassauchausländischeUnternehmenerfasst
werden. Zudem verstoße eine Ungleichbehandlung von im EU-Ausland an-
sässigenUnternehmengegendasDiskriminierungsverbotausArt. 18AEUV.
PRAXISFOLGEN
Der Beschluss überrascht. Zum einen, weil die Kammer mit der ganz herr-
schenden Auffassung in der Literatur (z.B. Oetker, in: ErfK, 15. Aufl. 2015, § 1
MitbestG, Rn. 7; Waldenmaier/Ley, BB 2009, 1694, 1696) und der bislang er-
gangenen Instanzrechtsprechung (LG Düsseldorf, Beschluss vom 5.6.1979 –
25 AktE 1/78, DB 1979, 1451; LG Frankfurt, Beschluss vom 1.4.1982 – 2/6 Akt
E 1/81, DB 1982, 1312) bricht. Zum anderen widerspricht sie dem klaren Wil-
len des Gesetzgebers. In den Gesetzesmaterialien heißt es: „Im Ausland
gelegene Tochtergesellschaften und deren Betriebe im Inland von unter das
Gesetz fallenden Unternehmen zählen bei der Errechnung der maßgeb-
lichen Arbeitnehmerzahl nicht mit.“ (BT-Drs. 7/4845, 4).
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Beschwerde zum OLG Frankfurt ist
eingelegt. Wenn der Beschluss Bestand hat, wird das zu einer erheblichen
Ausweitung der Unternehmensmitbestimmung führen. Bislang war in Un-
ternehmen mit weniger als 2000 Mitarbeitern im Inland ein Aufsichtsrat
nach dem MitbestG nicht zu bilden, unabhängig davon, wie viele Arbeit-
nehmer in ausländischen Tochtergesellschaften tätig sind. Entsprechendes
galt mit Blick auf das DrittelbG für Unternehmen unterhalb der Schwelle
von 500 Arbeitnehmern. Bei vielen mittelständischen Unternehmen könnte
eine Zurechnung der Arbeitnehmer ausländischer Tochtergesellschaften
erstmals zur Errichtung eines mitbestimmten Aufsichtsrats führen.
Bei größeren Unternehmen kann die neue Zählweise zum Wechsel von der
Drittelmitbestimmung nach dem DrittelbG in die paritätische Mitbestim-
mung nach dem MitbestG führen.Schließlich kann die Einbeziehung vonAr-
beitnehmern ausländischer Konzernunternehmen bei Unternehmen, die
bereits dem MitbestG unterfallen, zu einer Änderung der Größe des Auf-
sichtsrats führen, weil sich die Größe des Aufsichtsrats hier nach der Zahl der
zu berücksichtigenden Arbeitnehmer richtet. Völlig unklar sind auch die Fol-
gen für die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, die dann mögli-
cherweise grenzüberschreitend stattfinden müsste. Das würde das ohnehin
schon komplizierte Wahlverfahren noch anfälliger machen für Fehler.
Unternehmen, die unter Berücksichtigung der Arbeitnehmer auslän-
discher Tochtergesellschaften die Schwellenwerte der Unternehmensmit-
bestimmung überschreiten, müssen damit rechnen, dass mit Blick auf die
Entscheidung vermehrt Statusverfahren durch Arbeitnehmervertreter ein-
geleitet werden.
Dr. André Zimmermann, LL.M., RA/FAArbR, ist Counsel im
Frankfurter Büro von King & Wood Mallesons LLP. Er berät
nationale und internationale Unternehmen in allen Fragen
des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.
1792 Betriebs-Berater | BB 30.2015 | 20.7.2015
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MitbestG § 1 Abs 1, § 5 Abs 1, § 7, DrittelbG § 1, § 2, § 4, AktG § 95 BB-Kommentar „Zurechnung der Arbeitnehmer ausländischer Konzern- gesellschaften bei der Unternehmensmitbestimmung? – Beschluss des LG Frankfurt verunsichert“ PROBLEM Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat setzt eine be- stimmte Zahl regelmäßig beschäftigter Arbeitnehmer voraus. Nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) muss der Aufsichtsrat von Kapitalge- sellschaften (z.B. AG, GmbH) zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen, wenn die Gesellschaft in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt. Arbeiten in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmer für das Unternehmen, muss der Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern bestehen. 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ZUSAMMENFASSUNG Die Antragsgegnerin ist herrschendes Unternehmen eines Konzerns, in dem Ende 2013 rund 3800 Arbeitnehmer beschäftigt sind, davon etwa 1600 in Deutschland und 1700 im europäischen Ausland. Der Aufsichtsrat ist nach dem DrittelbG gebildet und besteht daher (nur) zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer. Der Antragsteller ist Aktionär. Er hat ein Statusverfahren nach § 98 AktG eingeleitet und beantragt festzustellen, dass der Aufsichtsrat fehlerhaft gebildet ist. Das DrittelbG verstoße durch den Ausschluss des aktiven und passiven Wahlrechts der Arbeitnehmer im EU-Ausland gegen Unionsrecht. Der Aufsichtsrat sei daher ausschließlich aus Vertretern der Anteilseigner zusammenzusetzen, hilfsweise nach dem MitbestG hälftig aus Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer. Entgegen der bislang ganz herrschenden Auffassung und jahrelangen Unternehmenspraxis entschied das Landgericht Frankfurt, dass sich die Muttergesellschaft auch die im Ausland bei ihren Tochtergesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer zurechnen lassen muss, sie damit mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigt. Daher sei der Aufsichtsrat falsch zusam- mengesetzt. Er sei nicht nur zu einem Drittel, sondern zur Hälfte mit Ar- beitnehmervertretern zu besetzen. Weder dem Wortlaut des DrittelbG noch des MitbestG könne entnommen werden, dass im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer ausgenommen wer- den. Vielmehr sei der allgemeine Konzernbegriff des § 18 Abs. 1 AktG maß- geblich.Hierseiaberunstreitig,dassauchausländischeUnternehmenerfasst werden. Zudem verstoße eine Ungleichbehandlung von im EU-Ausland an- sässigenUnternehmengegendasDiskriminierungsverbotausArt. 18AEUV. PRAXISFOLGEN Der Beschluss überrascht. Zum einen, weil die Kammer mit der ganz herr- schenden Auffassung in der Literatur (z.B. Oetker, in: ErfK, 15. Aufl. 2015, § 1 MitbestG, Rn. 7; Waldenmaier/Ley, BB 2009, 1694, 1696) und der bislang er- gangenen Instanzrechtsprechung (LG Düsseldorf, Beschluss vom 5.6.1979 – 25 AktE 1/78, DB 1979, 1451; LG Frankfurt, Beschluss vom 1.4.1982 – 2/6 Akt E 1/81, DB 1982, 1312) bricht. Zum anderen widerspricht sie dem klaren Wil- len des Gesetzgebers. In den Gesetzesmaterialien heißt es: „Im Ausland gelegene Tochtergesellschaften und deren Betriebe im Inland von unter das Gesetz fallenden Unternehmen zählen bei der Errechnung der maßgeb- lichen Arbeitnehmerzahl nicht mit.“ (BT-Drs. 7/4845, 4). Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Beschwerde zum OLG Frankfurt ist eingelegt. Wenn der Beschluss Bestand hat, wird das zu einer erheblichen Ausweitung der Unternehmensmitbestimmung führen. 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Völlig unklar sind auch die Fol- gen für die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, die dann mögli- cherweise grenzüberschreitend stattfinden müsste. Das würde das ohnehin schon komplizierte Wahlverfahren noch anfälliger machen für Fehler. Unternehmen, die unter Berücksichtigung der Arbeitnehmer auslän- discher Tochtergesellschaften die Schwellenwerte der Unternehmensmit- bestimmung überschreiten, müssen damit rechnen, dass mit Blick auf die Entscheidung vermehrt Statusverfahren durch Arbeitnehmervertreter ein- geleitet werden. Dr. André Zimmermann, LL.M., RA/FAArbR, ist Counsel im Frankfurter Büro von King & Wood Mallesons LLP. Er berät nationale und internationale Unternehmen in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. 1792 Betriebs-Berater | BB 30.2015 | 20.7.2015 Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)