Gosche, Augsberg: Kultur als weitere Staatszielbestimmung in das Grundgesetz? Argumente für und gegen die Aufnahme einer sogenannten Kulturklausel in die Verfassung
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Gosche, Augsberg: Kultur als weitere Staatszielbestimmung in das Grundgesetz? Argumente für und gegen die Aufnahme einer sogenannten Kulturklausel in die Verfassung
1. A Rechtsgrundlagen
A1 Deutsche, europäische und internationale Rechtsgrundlagen
Kultur als weitere Staatszielbestimmung
in das Grundgesetz?
A
Argumente für und gegen die Aufnahme einer sogenannten Kultur-
klausel in die Verfassung 1.7
S. 1
Dr. Anna Gosche
Rechtsanwältin bei DLA Piper UK LLP in Hamburg, Tätigkeitsschwerpunkte:
Medien- und Urheberrecht, IT- und Datenschutzrecht
Dr. Dr. Ino Augsberg
Akademischer Rat a. Z. am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Kirchenrecht
(Prof. Dr. Stefan Korioth) der Ludwig-Maximilians-Universität München
Inhalt Seite
1. Einleitung 2
2. Zur Geschichte der Debatte 2
3. Argumente gegen eine Grundgesetzänderung 3
3.1 Verfassungsdogmatische Bedenken 4
3.2 Kulturpolitische Bedenken 7
4. Argumente für eine Grundgesetzänderung 8
4.1 Zur Widerlegung der verfassungsrechtlichen Bedenken 8
4.2 Argumente für die Aufnahme einer Kulturklausel 10
5. Fazit 12
48 Kultur & Recht Januar 2010
2. A Rechtsgrundlagen
A1 Deutsche, europäische und internationale Rechtsgrundlagen
1. Einleitung
Seit Jahrzehnten wird sowohl von Seiten der Politik als auch von Seiten der
A Rechtswissenschaft und der Kulturschaffenden immer wieder diskutiert, ob Kul-
1.7 tur als weitere Staatszielbestimmung in das Grundgesetz aufgenommen werden
sollte. Die praktischen Konsequenzen einer derartigen Kulturklausel sind dabei
S. 2
ebenso umstritten wie ihre Aufnahme selbst. Während die Gegner verfassungs-
rechtliche Bedenken äußern und ihren konkreten Nutzen in Abrede stellen, beto-
nen die Befürworter die Notwendigkeit eines verfassungsrechtlichen Schutzes der
Kultur, die vor einer allgemeinen Tendenz zur umfassenden Ökonomisierung
bewahrt werden müsse. (vgl. Pieroth 2006: 3; Nida-Rümelin 2006: 83)
Die folgende Darstellung gibt zunächst beide Positionen mit ihren jeweiligen Ar-
gumentationen wieder. Darauf aufbauend wird dann ein Fazit zum tatsächlich zu
erwartenden Nutzen einer Kulturklausel im Grundgesetz gezogen.
2. Zur Geschichte der Debatte
Die Anfänge der Debatte reichen in die frühen 1980er Jahre zurück. In den Jahren
1981 bis 1983 erarbeitete die vom damaligen Bundesminister der Justiz einberu-
fene Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsauf-
träge“ einen Vorschlag für eine Kulturklausel im Grundgesetz. (vgl. BMI; BMJ
1983: Rn. 169 ff.; Wienholtz 1984: 543 ff.) Danach sollte Art. 20 Abs. 1 GG um
den folgenden Satz ergänzt werden: „Sie [die Bundesrepublik] schützt und pflegt
die Kultur und die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen.“ Der Vorschlag
wurde jedoch nicht umgesetzt.
Spätere Verfassungsreformen setzten die Initiative zunächst nicht fort. Der Eini-
gungsvertrag von 1990 umfasste zwar ausdrücklich ein eigenes Kapitel mit der
Überschrift „Kultur, Bildung, Wissenschaft und Sport“. Art. 35 Abs. 1 EinigV be-
zeichnete das vereinte Deutschland sogar als „Kulturstaat“ und bestimmte im
Weiteren, dass die Erfüllung der kulturellen Aufgaben, einschließlich ihrer Finan-
zierung, zu sichern sei.1 Die 1992 eingesetzte gemeinsame Verfassungskommission
von Bundestag und Bundesrat nahm diesen Gedanken aber nicht auf. Während die
1983 mitberücksichtige Verpflichtung des Staates auf den Schutz der natürlichen
Lebensgrundlagen im Zuge des 42. ÄndG 1994 durch die Einfügung eines neuen
Art. 20 a GG umgesetzt wurde, blieb die Kulturstaatsklausel unberücksichtigt. (vgl.
Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission 1993; Vitzthum 1995)
Im Jahr 2005 griff jedoch die Enquete-Kommission des Bundestags „Kultur in
Deutschland“ die Empfehlung von 1983 wieder auf und sprach sich einstimmig
dafür aus, einen neuen Art. 20 b in das Grundgesetz einzufügen mit dem Inhalt:
„Der Staat schützt und fördert die Kultur.“ (Zwischenbericht der Enquete-
Kommission 2005: 2) Diesen Vorschlag übernahm die FDP-Fraktion und brachte
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3. A Rechtsgrundlagen
A1 Deutsche, europäische und internationale Rechtsgrundlagen
2006 einen entsprechenden Gesetzesentwurf in den Bundestag zur Änderung des
Grundgesetzes ein. Die SPD-Fraktion sprach sich intern für ein solches Staatsziel
aus und nahm dessen grundgesetzliche Verankerung in ihr Wahlprogramm auf.
Trotzdem scheiterte letztlich auch dieser Versuch. In der diesbezüglichen Ab-
A
stimmung Anfang 2009 votierten die Abgeordneten der SPD aus Rücksicht auf
den Koalitionspartner CDU/CSU, der sich gegen eine Grundgesetzänderung 1.7
ausgesprochen hatte, gegen den Gesetzesentwurf. Nur die Abgeordneten der FDP S. 3
und der Linkspartei stimmten dafür.
Dennoch ist das Kapitel der „Kultur im Grundgesetz“ auch mit dieser Entschei-
dung noch nicht beendet. Sowohl in den Wahlprogrammen der FDP, der SPD als
auch der Linkspartei ist die Forderung nach einer Kulturklausel im Grundgesetz
wieder enthalten. So könnte sich der Bundestag – je nach Koalition – nach der
Bundestagswahl im September 2009 erneut mit dem Thema beschäftigen – dieses
Mal möglicherweise mit einem anderen Ausgang.
Die Fragen nach dem Pro und Contra einer solchen Grundgesetzänderung sind
daher nach wie vor von aktueller Relevanz: Welche verfassungsrechtlichen und
politischen Argumente streiten dafür, welche dagegen? Was spricht insbesondere
aus Sicht der Kulturschaffenden für bzw. gegen eine solche Kulturklausel im
Grundgesetz?
3. Argumente gegen eine
Grundgesetzänderung
Die Gegner der Grundgesetzänderung argumentieren vor allem verfassungs-
dogmatisch. In diesem Sinn machen sie zunächst geltend, im föderalen Staat der
Bundesrepublik sei Kultur primär und traditionell Angelegenheit der Länder. Die
stärkere Verankerung der Kultur auf der Bundesebene würde einen Eingriff in
deren Kernzuständigkeiten darstellen. Scheinbar konträr zu dieser für die bundes-
staatliche Ebene eher restriktiven Position argumentieren die Kritiker der Kultur-
klausel zudem, die Kulturstaatlichkeit des Bundes lasse sich bereits dem beste-
henden Grundgesetz mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen. Die ausdrückli-
che grundgesetzliche Verankerung der Kultur sei demnach (weitgehend) überflüs-
sig. Weitere Bedenken werden vor allem bezüglich der hinreichenden Bestimmt-
heit des Kulturbegriffs und der normativen Wirkung einer solchen Kulturklausel
geäußert. (dazu 3.1)
Ein zweiter Argumentationsstrang thematisiert kulturpolitische Bedenken.
Problematisiert werden hier die möglichen Folgen einer Kulturklausel für die
Kulturpolitik im Allgemeinen und privates Engagement im Besonderen. (vgl. 3.2)
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4. A Rechtsgrundlagen
A1 Deutsche, europäische und internationale Rechtsgrundlagen
3.1 Verfassungsdogmatische Bedenken
Eingriff in die Kulturhoheit der Länder
A
Nach Ansicht der Kritiker kann die Aufnahme der Kultur in das Grundgesetz
1.7
zunächst eine Gefahr für den Föderalismus bzw. für die Kulturhoheit der
S. 4 Länder darstellen.
Die Pflege der Kultur ist entsprechend der Art. 30 und 70 ff. GG vorrangig und
traditionell Aufgabe der Länder, ihrer Städte und Gemeinden. (vgl. Möllers 2007;
Wolff 2007; Steiner 2006: Rn. 4; Scheytt 2005: Rn. 94) Die Kulturhoheit der
Länder ist daher integraler Bestandteil der föderativen Staatsordnung, Basis für
die Vielfalt der nationalen Kultur und stellt damit ein Kernstück der Eigenstän-
digkeit der Länder dar, die auch oft als die Seele des deutschen Föderalismus
bezeichnet wird. (vgl. Scheytt 2005: Rn. 94 f.) Aus diesem Grund findet sich der
Schutz der Kultur konsequenterweise auch in den meisten Landesverfassungen.2
Zum Kulturauftrag des Bundes enthält das Grundgesetz hingegen nur Einzelaus-
sagen. (vgl. Maihofer 1994: Rn. 52 ff.) So sind dem Bund als Gesetzgeber neben
der Zuständigkeit für auswärtige Kulturpolitik und dem Schutz deutschen Kultur-
gutes gegen Abwanderung ins Ausland (Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 a GG) vor allem
solche Bereiche zugeschrieben, die lediglich als Rahmenbedingungen des künst-
lerischen Schaffens gelten, ohne dieses jedoch selbst im engeren Sinne zu betref-
fen. Hierzu zählen das Urheber- und das Verlagsrecht (Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 GG),
das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) sowie die Steuer- und Sozi-
algesetzgebung (Art. 105 und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG). Das Bundesverfas-
sungsgericht geht in diesem Zusammenhang zudem von einem strengen Maßstab
hinsichtlich der Annahme von ungeschriebenen Bundeszuständigkeiten aus (vgl.
Scheytt 2005: Rn. 94): Das Grundgesetz habe eine Grundentscheidung für die
Zuständigkeit der Länder in kulturellen Angelegenheiten getroffen. Daher verbie-
te es sich gerade in diesem Bereich, ohne eine hinreichend deutliche grundgesetz-
liche Ausnahmeregelung, Zuständigkeiten des Bundes anzunehmen. (vgl. BVerf-
GE 12, 229 [229 ff.]; Scheytt 2005: Rn. 95)
Durch eine Aufnahme der Kultur als Staatszielbestimmung seien Veränderungen
dieses Kompetenzgefüges nicht auszuschließen. (vgl. Karpen 2004; Möllers
2007; Wolff 2007; Häberle 1998: 24) Es könne zu einer Art zentralistischer Sog-
wirkung zu Lasten der Kulturkompetenzen der Länder kommen, wodurch sich
der Bund zu immer weitergehenden Aktivitäten berechtigt und verpflichtet sehen
könnte. (vgl. Häberle 1998: 24; Geis 1992: 42, 47)
Eine solche Tendenz des Bundes, in die Kulturpolitik vorzudringen, ist seit eini-
gen Jahren bereits tatsächlich erkennbar und wird von den Ländern mit Skepsis
beobachtet. (vgl. Sommermann 2006: 34 ff.) So gibt es beispielsweise schon jetzt
eine Hauptstadtkultur mit eigenem Etat, eine Kulturstiftung des Bundes sowie seit
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