3. MACHT.
FÜHRUNG.
SINN.
Oder: Warum erst das Nachdenken über diese drei Teilaspekte
eine befriedigende Antwort auf die gleichlautende Frage geben kann
Franz Bailom, Kurt Matzler, Alexander Kausl, IMP
Die Rufe nach mehr, nach einem neuen, anderen, aber vor allem: besseren
LEADERSHIP lassen nicht nach, der Ton wird dabei zunehmend schriller.
Häufig gleichen die gestellten Forderungen jedoch eher simpler Markt-
schreierei als einer durchdachten, konstruktiven Kritik an heutigen Füh-
rungsprinzipien. Brauchbare Lösungsansätze sucht man dort vergeblich.
So reduzieren sich sämtliche Aussagen lediglich darauf, dass wieder „echte
Visionäre“ benötigt würden, die die „richtige Richtung“ vorgeben. Es ist na-
türlich unumstritten, dass wir visionäre „Führungsköpfe“ brauchen, die für
nachhaltige Weiterentwicklung, Veränderung und Innovation stehen. Dieser
Ansatz ALLEINE stellt uns aber noch nicht zufrieden. Denn …
… der Unmut über die derzeit erbrachte Führungsleistung in nahezu allen Feldern unserer Gesell-
schaft hat ein beängstigendes Ausmaß erreicht: in der Politik, in der Wirtschaft insgesamt mit ihren
großen wie auch kleinen Unternehmen, im Bildungsbereich, im Sport, in der Kirche … Eine Auf-
zählung jener Bereiche, die „gelungene“ Führungsarbeit vorzuweisen haben, wäre wohl wesentlich
04 kürzer. Die berechtigte und grundlegende Frage lautet daher: Macht Führung Sinn? Und wenn ja:
2012/13 Was genau könnte ein konkreter Lösungsansatz sein, der dem Leadership wieder zu wohlverdien-
11 ter Anerkennung verhilft?
4. Google verweist bei einer Abfrage mit dem Besonderes erreichen zu wollen – und das aus
Begriff LEADERSHIP auf mehr als 502 den unterschiedlichsten Gründen. Das Thema
Millionen Einträge. Ja – Sie haben richtig Führung wird spätestens dann relevant, wenn
gelesen! Es existieren im World Wide Web ein einzelner Mensch erkennen muss, dass er
mehr als 502 Millionen Einträge zu diesem zur Realisierung dieses inneren Bedürfnisses
Thema. Die Anzahl an wissenschaftlichen alleine nicht imstande ist und folglich auf die
Publikationen scheint nicht enden zu wol- Unterstützung anderer angewiesen ist. So kann
len. Trotzdem wird nicht auf Anhieb klar, weder ein Superstar des Fußballs wie Lionel
was genau damit gemeint sein soll. Was Messi noch der beste Fußballtrainer der Welt
man hingegen sofort erkennen kann, ist die alleine einen Weltmeistertitel erringen. Auch ein
Tatsache, dass sich die Menschheit insge- Jahrhundert-Dirigent kann seine Vorstellungen
samt schon lange mit der Frage nach dem einzigartiger Klangerlebnisse nur gemeinsam
„richtigen“ Leadership beschäftigt: die alten mit einem Orchester verwirklichen. Kein Spit-
Griechen …, die Feldherrn …, die Prediger zenchirurg kann ohne sein Spezialisten-Team
…, die Demagogen …, die Gelehrten – um eine schwierige Operation erfolgreich durch-
nur einige zu nennen. Wissenschaftler wie führen. Und Steve Jobs hätte niemals alleine
Prof. Joseph Rost1 und Dr. Joanne Ciulla2, das iPad entwickeln, designen, produzieren und
die einen Vergleich von mehr als 200 De- vermarkten können (auch wenn er sich das
finitionen zu Leadership aus den unter- selbst vermutlich nie eingestanden hätte).
schiedlichsten Zeitepochen und Disziplinen
Es handelt sich also vielfach um Gruppen von
vorgenommen haben, kommen zu dem
Menschen, die imstande waren oder sind, et-
Schluss, dass Führung im Kern nicht mehr
was Besonderes zu bewirken. Die Betonung
und nicht weniger bedeutet, als Menschen
liegt hier auf GRUPPEN. Diese Erkenntnis ist
zielgerichtet in Bewegung zu versetzen.
zwar weder revolutionär noch neu, aber sie ist
Erkenntnisse darüber, ob die dabei ange-
im Kontext von Leadership fundamental. Denn
strebten Ziele „gut“ sind, oder ob etwa der
wir müssen erkennen, dass der Schlüssel für
Prozess des In-Bewegung-Versetzens für
Außergewöhnliches maßgeblich im KOOPERA-
die daran beteiligten Menschen „gut“ ist,
TIVEN Denken und Tun einer Gruppe von Men-
konnten bei diesen Untersuchungen jedoch
schen begründet liegt: Wenn wir unser Wissen
nicht abgeleitet werden.
nicht teilen, kann nur sehr schwer neues Wis-
Müssen wir uns vielleicht damit abfinden, dass sen entstehen. Wenn wir den oder die anderen
es gar keine Antwort auf die Frage gibt, was in einer schwierigen Phase nicht unterstützen,
ein richtiges bzw. gutes Leadership ausmacht? bleibt die Qualität des gesamten Systems auf
Muss man vielmehr davon ausgehen, dass jede dem Niveau des „schwächsten“ Glieds stehen.
Zeit bzw. jede Herausforderung ihr ganz spezi- Wenn bestimmte Entscheidungen nicht von
fisches Leadership erfordert(e) und dass es per allen Beteiligten mitgetragen werden, wird der
se keine „gute“ bzw. „schlechte“ Führung gibt? Beitrag zur Realisierung einer außergewöhn-
Auch dieser Ansatz stellt uns noch nicht zufrie- lichen Idee insgesamt ein bescheidener sein
den. Denn eine fundierte Auseinandersetzung … Diese Erkenntnis führt also unmittelbar zur
mit dem Thema Leadership erfordert unseres nächsten Frage:
Erachtens, sich mit einer ganz entscheidenden
Frage zu beschäftigen, die im gängigen Diskurs
Welche Form von Leadership kann koope-
um „richtiges“ Leadership vielfach ausgeblen-
ratives Denken und Handeln positiv beein-
det bleibt:
flussen?
Auf Basis einer umfassenden Literatur-Recher-
Warum interessieren sich überhaupt so
che sowie einer Reihe vertiefender Gespräche
viele Menschen für Leadership?
mit führenden Philosophen, Gehirnforschern,
Die Antwort darauf ist einfach, aber grundle- Wirtschaftswissenschaftlern, Eigentümern IMP
gend. Viele Menschen tragen offensichtlich und Managern von Unternehmen, Dirigenten, Perspectives
die Idee oder das Bedürfnis in sich, etwas Musikern, Experten und Trainern aus dem 12
5. MACHT.
FÜHRUNG.
SINN.
Spitzensport sowie mit Menschen, die Teams also eine entscheidende. Die weiterführende
ins Ausnahmesituationen leiten, kristallisierten Schlüsselfrage lautet daher:
sich folgende ASPEKTE und daraus abgelei-
tete FRAGEN heraus, die uns für eine kons- Wie kann es gelingen, „Macht“ eine andere
truktive Auseinandersetzung mit dem Thema Bedeutung zu geben, die es ermöglicht,
„Leadership-Logiken der Zukunft“ bedeutsam etwas Positives hervorzubringen?
erscheinen:
In Anlehnung an den Soziologen Max Weber
–
MACHT dreht sich beim „klassischen“ Machtverständnis
Oder: Warum wir unser Verständnis von letztlich alles darum, dass es gelingen muss,
Macht überdenken müssen den eigenen Willen gegen den Willen der an-
deren durchzusetzen, selbst dann, wenn man
–
FÜHRUNG
dabei auf Widerstand stößt. „Bestimmte Ideen,
Oder: Warum wir unser Verständnis von Füh-
bestimmte Konzepte, bestimmte Zielvorstellun-
rung erweitern müssen
gen, die ICH habe und zu deren Realisierung
–
SINN ich andere Menschen benötige, müssen – mit
Oder: Warum wir alles dafür tun sollten, welchen Mitteln auch immer – zur Vorstellung
damit Mitarbeiter einen Sinn in ihrem Tun anderer gemacht werden.“4 Die Idee des Ge-
erkennen können horsams ist, wie oben angedeutet, unweigerlich
mit diesem Verständnis von Macht verbunden.
Betrachten wir also der Reihe nach die drei
Diese Sichtweise determiniert nach wie vor,
Aspekte im Einzelnen.
explizit oder implizit, das Rollenverständnis
bzw. Rollenverhalten vieler Führungskräfte.
Inwieweit eine solche Auffassung von Macht
die Kooperationsbereitschaft von Menschen
MACHT LANGFRISTIG erhöht bzw. die Leistungsfähig-
keit einer Organisation NACHHALTIG steigert,
ist und bleibt fragwürdig. Denn die Geschichte
Oder: Warum wir unser Verständnis von – vor allem auch die jüngste – sollte uns längst
Macht überdenken müssen gelehrt haben, dass selbst die „erfolgreichsten“
Systeme in kürzester Zeit zerbrechen, wenn
Trotz neuer Führungskonzepte, die durchaus
Menschen beginnen, sich im jeweiligen System
partizipative Ansätze aufweisen und weniger
nicht mehr kooperativ zu verhalten. Die Gründe
ihre Legitimation auf Positionsmacht stützen,
dafür sind natürlich vielschichtig: Die Menschen
muss man sich Folgendes vor Augen führen:
erachten die Richtung, in die sich das Sys-
Wir kommen – wie es der Philosoph Konrad
tem bewegen soll, als falsch. Oder sie fühlen,
Paul Liessmann in unserem Gespräch auf den
dass das System keine Meinungsfreiheit und
Punkt bringt –„… bei keinem Konzept von
Partizipation (mehr) zulässt. Sie zweifeln an
Führung um das Phänomen der MACHT he-
der Glaubwürdigkeit der Führenden oder sie
rum, auch wenn wir es anders benennen. Wir
fühlen sich massiv übervorteilt. Gleichzeitig
kommen bei keinem Konzept der Führung um
verdeutlichen unzählige Beispiele über alle
das Problem des GEHORSAMS herum, auch
Zeitepochen hinweg, dass negative Energien
wenn wir es anders benennen. Und wir kom-
einem System gegenüber selbst mit härtesten
men bei keinem Konzept der Führung um das
Repressionen nicht langfristig aufgehoben
Problem herum, dass (…) es eine DIFFERENZ
werden können, sondern die „Gegenbewe-
zwischen dem gibt, was ich will, und dem was
gung“ der Masse nur noch verstärken. Verkürzt
der REST will. Und diese Differenz muss aus-
könnte man in diesem Zusammenhang auch
geglichen werden.“3
sagen, dass MACHT in letzter Konsequenz
Die Frage, mit welchem MACHTVERSTÄND- eine KRAFT DER MASSE ist. Interessant da-
04 NIS wir den Ausgleich dieser Differenz in unse- bei ist die Tatsache, dass „Druck“ per se weder
2012/13 rer Führungsarbeit im Sinne KOOPERATIVEN ein probates Mittel ist, Menschen nachhaltig
13 Denkens und Handelns erwirken können, ist zu kooperativem Denken und Handeln zu
7. MACHT.
FÜHRUNG.
SINN.
„motivieren“, noch ein wirksames „Instrument“, auch nicht möglich, andere „wirklich“ zu mögen,
um die Leistungsfähigkeit einzelner Personen was dann zur Folge hat, dass diese Menschen
oder des Systems zu erhalten bzw. wiederher- nicht auf die LIEBE vertrauen, sondern nur
zustellen. Der Hirnforscher Prof. Martin Korte auf die MACHT.“6 Kuhn sieht – neben der ei-
erklärt uns in unserem Interview, dass massiver genen Vorbildwirkung durch Fachwissen und
Druck nachweislich Angst und Stress auslöst, der eigenen Begeisterung für eine Idee – also
was im Gehirn zur Ausschüttung des Boten- durchaus eine Möglichkeit, um sich von „klas-
stoffs Cortisol führt. Und dies führt zu massiven sischem Machtverhalten“ in der Führungsar-
Denkblockaden bzw. zu egozentrierten Selbst- beit zu lösen: nämlich den Weg, Menschen zu
schutzmechanismen.5 lieben, allen voran sich selbst. Dann sei man
weniger auf eine Positionsmacht angewiesen,
Wenn wir also an die Kraft einer kooperati-
sondern könne sich auf die „Macht der eigenen
onsbereiten Gruppe von Menschen glauben
Ausstrahlung und Persönlichkeit“ verlassen.
und gleichzeitig verstehen, dass Macht im
Mitarbeiter seien dann bereit, einer Idee zu fol-
Sinne von Druck die Potenzialentfaltung von
gen bzw. zu kooperieren. Auch Kuhn verbindet
Menschen limitiert – dann müssen wir uns
„Führung“ mit „Kooperation“, was einmal mehr
konsequenterweise dem Begriff der MACHT
den Verdacht bestätigt, dass die Kooperations-
im Kontext von Leadership aus einer anderen
bereitschaft einer Gruppe von Menschen DER
Perspektive nähern. Führungsarbeit bedeutet
zentrale Angelpunkt in der Diskussion rund um
dann nämlich NICHT die Ausübung von Macht
das Thema „gutes Leadership“ darstellt. Somit
im Sinne von DRUCKAUSÜBUNG auf die
drängt sich die nächste Frage auf:
einem anvertrauten oder zugeordneten Men-
schen. Führung erfordert im Gegenteil, alles
dafür zu tun, die Kraft der KOOPERATION Was versteht man unter Kooperation?
innerhalb der Gruppen von Menschen zu stär-
Kooperation (lat. cooperatio „Zusammenwir-
ken, um das Unternehmen, das Orchester, die
kung“, „Mitwirkung“) kann grundsätzlich als
Fußballmannschaft, das Forschungsteam …
das positiv aufeinander abgestimmte Verhalten
zu einer „mächtigen“ (Massen-)Bewegung zu
zweier oder mehrerer Lebewesen, Personen
machen, die gemeinsam alles dafür tut, um das
oder Systeme verstanden werden. Kooperation
angestrebte Ziel zu erreichen.
beruht auf dem Grundsatz, dass die gemein-
same Leistungsfähigkeit größer ist, als die
Summe der Einzelleistungen. Der Nutzung von
Wer die Macht von kooperativem Handeln und
Synergie-Effekten kommt dabei eine entschei-
Tun nicht versteht, wird nur in Ausnahmefällen
dende Bedeutung zu. Vereinfacht ausgedrückt
bzw. nur kurzfristig gemeinsam mit anderen
kann Kooperation durchaus als das Gegenteil
etwas Bedeutendes erwirken.
von Konkurrenz angesehen werden.
Die Arbeiten von Morton Deutsch7, der als
Dr. Gustav Kuhn – seines Zeichens Dirigent, Gründer der modernen Konfliktlösungstheorie
Komponist, Philosoph, Psychologe und Psycho- und -praxis gilt und seit 1949 als Pionier im
pathologe – bringt dieses falsche Verständnis Bereich der Konfliktforschung und der Diplo-
von „Führung“, das von einer reinen Positions- matie arbeitet, bis hin zu Winfried Hacker8 und
macht und von Druckausübung ausgeht, im Erika Spieß9 zeugen von dieser Wirkkraft der
Gespräch mit IMP folgendermaßen auf den Kooperation. Die Forscher beweisen in ihren
Punkt: „Ich würde sagen: Das Wesentlichste in vielschichtigen Untersuchungen, dass koopera-
der Führungsarbeit (…) ist das Liebesprinzip tives Verhalten
und nicht – wie das leider häufig gelebt wird –
das Machtprinzip. Damit ist gemeint, dass man –
das soziale Kollektiv stärkt,
nicht nur MENSCHEN mögen muss, sondern
–
eine stark motivationale Kraft hat und
04 vor allem SICH SELBST. Hier beginnt aber das
2012/13 eigentliche Dilemma. Die meisten Menschen –
die individuell kognitive Leistungsfähigkeit
15 mögen sich selbst nicht. Dadurch ist es ihnen steigert.
8. Abbildung 1: Einflussfaktoren auf kooperatives Verhalten
Authentizität
Beitrag leisten
Zugehörigkeit
Authentizität Belohnung
Sicherheit
Authentizität
Chancen nutzen
Selbstwertgefühl
Selbstverwirklichung
Authentizität
Was veranlasst nun aber Menschen dazu, aktiv –
dem Streben nach BELOHNUNG und der
zu kooperieren? Folgende Erkenntnisse aus damit verbundenen Suche nach Chancen
der Hirnforschung auf Basis der unten ange- und Möglichkeiten, die sich für den einzelnen
führten Fragen rücken dabei in den Mittelpunkt, Menschen lohnen.
wenn es darum geht, die Macht kooperativen
Verhaltens im Unternehmen zu wecken:
Warum streben wir nach Sicherheit?
1
. Was treibt uns an?
Das Gehirn ist eine regelsuchende Maschine.
2. Was führt zur Kooperation? Passieren Dinge, die nicht regelkonform sind
(darunter fallen auch alle neuen Situationen),
3. Warum entscheidet letztlich die Authentizi-
sind wir verunsichert und geraten in einen
tät?
Angstmodus, der uns blockiert. Unser assozi-
atives und kreatives Denken funktioniert nicht
Also, der Reihe nach:
mehr. Dementsprechend „motiviert“ das Stre-
ben nach Sicherheit den Menschen dazu, Be-
1. Was treibt uns an? drohung bzw. Neues bestmöglich zu vermeiden
bzw. in einem bestimmten Ausmaß Sicherheit
Erkenntnisse der Hirnforschung verdeutli-
zu finden.10
chen, dass der Ursprung bzw. Ausgangspunkt
menschlicher Motivation (vereinfacht ausge-
drückt) ganz wesentlich von zwei im Wettstreit Warum streben wir nach Belohnung?
stehenden „Quellen“ gespeist wird:
Die Neugierde bzw. unser Leistungsstreben
–
Dem Streben nach SICHERHEIT und der wird insbesondere durch unser Belohnungs- IMP
damit verbundenen Vermeidung von Bedro- system angefeuert. Wenn das „Gehirn“ erkennt, Perspectives
hung sowie dass sich eine Chance eröffnet, belohnt zu 16
9. MACHT.
FÜHRUNG.
SINN.
werden, dann wird der Mensch neugierig und dafür einsetzen darf? Denn sich gemeinsam
sucht seine „Befriedigung“.11 um etwas Wichtiges und mit einem Größeren
in Zusammenhang Stehendes zu kümmern,
Das Problem bei der ganzen Sache ist aber,
vermittelt einem das Gefühl, eine Chance zu
dass sich die beiden „Motivationsquellen“ im-
haben, etwas Bedeutendes zu erwirken.
mer in einer gewissen Konkurrenz zueinander
befinden. Vereinfacht ausgedrückt könnte man –
Habe ich die Möglichkeit, im Sinne der ge-
auch sagen, dass sich der Mensch immer die meinsamen Sache bzw. Zielsetzung meine
Frage stellt, ob die Vorteile des „Neuen“ so individuelle Gestaltungskraft einbringen zu
bedeutend sind, um die „alte“ Sicherheit dafür können? Denn seine individuelle Gestal-
aufzugeben. tungskraft einzubringen, vermittelt einem das
Gefühl, die Chance zu haben, sich selbst zu
verwirklichen, und auf sich selbst stolz sein
Leadership muss also darauf abzielen, Mitar- zu dürfen.
beitern ein Umfeld anzubieten, das ihnen auf
der einen Seite eine erkennbare Sicherheit
bietet und auf der anderen Seite aber auch
Echte Zugehörigkeit, ehrliche Wertschätzung,
Chancen eröffnet, die sich für die Einzelperson
aktive Einbindung und individuelle Entwick-
lohnen könnten und so die Neugierde wecken.
lungschancen sind jene Dimensionen, die
wesentlich für die Bereitschaft der Mitarbeiter
sind, sich für ein kooperatives Verhalten zu
2. Was führt zur Kooperation? entscheiden.
Ausgehend von diesen beiden Kerntreibern
menschlicher Motivation drängt sich die Frage
auf, anhand welcher „Messgrößen“ Menschen 3. Warum entscheidet letzTlich die
das Potenzial für Sicherheit und Chancennut- Authentizität?
zung im Kontext von Gemeinschaften beurtei-
Das menschliche Gehirn verfügt über aus-
len. In Anlehnung an unser Gespräch mit dem
gezeichnete Fähigkeiten, sich in wenigen
Hirnforscher Prof. Gerald Hüther12 erhalten
Augenblicken und mit einer sehr großen
folgende Orientierungspunkte eine ganz be-
Treffsicherheit ein Urteil über Situationen, Men-
sondere Bedeutung, wenn es darum geht, sich
schen, Verhaltensweisen etc. zu bilden. Diese
für oder gegen kooperatives Verhalten zu ent-
Erkenntnis wird u. a. durch die Ergebnisse
scheiden:
aus der Spiegelneuronen-Forschung weiter
–
Fühle ich mich der Gemeinschaft zugehörig? bestätigt. Wie uns Prof. Korte erklärte, konnte
Denn einer Gemeinschaft zugehörig zu sein, nachgewiesen werden, dass der Mensch es
vermittelt mir ein Gefühl der Sicherheit. nahezu perfekt versteht, sich in einen anderen
Menschen hineinzuversetzen. Wenn Sie bei-
–
Vermittelt mir die „Gemeinschaft“ das Gefühl,
spielsweise einen Menschen beobachten, der
gebraucht und wertgeschätzt zu werden?
sich gerade mit einem Messer in den Finger
Denn gebraucht zu werden, stärkt mein
schneidet, dann werden in Ihrem Gehirn die-
Selbstwertgefühl und gibt mir „Selbst“-
selben Regionen „aktiviert“, wie beim anderen,
Sicherheit.
der sich tatsächlich geschnitten hat. Sie „emp-
04 –
Habe ich das Empfinden, dass ich mich finden“ ähnlich wie diese Person und können
2012/13 gemeinsam mit anderen um etwas Wichti- sich dadurch auch empathischer zeigen und
17 ges – um etwas „Größeres“ – kümmern bzw. mehr Verständnis in solchen Situationen auf-
10. bringen.13 Diese Fähigkeit bedingt, dass der Durchführung zielorientierter Vorhaben. Die
Mensch wie kein anderes Lebenswesen auch Aufmerksamkeit konzentriert sich sehr stark
dazu imstande ist, sehr gut zu „verstehen“, was auf Mittel und Wege, die die Sicherstellung der
tatsächlich erwünscht ist, und sich in seinem Zielerreichung garantieren sollen. Partizipation
Verhalten entsprechend anzupassen. Der und Teilhabe hinsichtlich der Zielfindung sowie
Mensch ist folglich auch in der Lage, mit sehr der damit einhergehenden Entscheidungs-
großer Treffsicherheit zu beurteilen, ob im je- prozesse wird wenig bis gar keine Bedeutung
weiligen Umfeld tatsächlich kooperatives Ver- beigemessen. Zudem impliziert ein technokra-
halten erwünscht ist und wertgeschätzt wird, tisches Verständnis letztlich die unbedingte
oder eben nicht. Durchsetzung von Gehorsam und baut dement-
sprechend auf dem „klassischen“ Verständnis
von Macht auf.
Das menschliche Gehirn verfügt über außer-
Kritiker – von Herbert Marcuse14 bis Sir Karl
ordentliche Fähigkeiten, sich auch über die
Popper15 – warnen eindringlich vor einer
„Authentizität“ von Führungskräften ein „gutes“
Sichtweise, die sich letztlich im Glauben an
Urteil zu bilden. Anders ausgedrückt: Men-
ein hochrationalisiertes und durch und durch
schen tragen in sich die Fähigkeit, sich nicht
mechanisiertes Wirtschaftssystem von höchster
„blenden“ zu lassen.
Produktivität manifestiert. Eine Auseinander-
setzung mit Leadership im Kontext kooperati-
ven Denkens und Handelns erfordert aber aus
unserer Sicht eine differenziertere Herange-
hensweise. Dabei rücken vier grundlegende
FÜHRUNG Fragestellungen in den Vordergrund:
1. Welchem Menschenbild fühlen wir uns ver-
Oder: Warum wir unser Verständnis von pflichtet?
Führung erweitern müssen
2. Warum stellt Führungslosigkeit keine echte
Wenn man sich tatsächlich mit der Frage Alternative dar?
ausein ndersetzen will, was Führungsarbeit
a
3
. Warum sollten Könige Philosophen sein?
im Kontext von kooperativem Denken und Tun
bedeuten könnte, dann wird sehr schnell klar, 4. Wie macht man Mitarbeiter zu Mitspielern?
dass ein Blick über den Tellerrand der klassi-
schen Management-Literatur hinaus gewagt
werden muss. Denn darin wird Führungsarbeit 1. Welchem Menschenbild fühlen
nur allzu oft auf vier Kernaufgaben reduziert: wir uns verpflichtet?
–
Ziele setzen Der Mensch ist MITTEL. Punkt!
Oder aber: Der Mensch ist MITTELPUNKT. Der
Entscheidungen treffen
–
Ton macht in diesem Fall nicht nur die Musik,
–
Aufgaben übertragen sondern hinterlegt diese beiden Aussagen mit
zwei völlig unterschiedlichen Führungszugän-
–
Kontrolle ausüben
gen. Für den Philosophen Konrad Paul Liess-
Diese Sichtweise basiert im Kern sehr häufig mann haben alle Vorstellungen von Führung
– bewusst oder unbewusst – auf einem tech- mit einem ganz spezifischen Menschenbild zu
nokratischen Verständnis, was Führungsarbeit tun: „Im Grunde genommen geht jedes Konzept IMP
ist und letztlich zu leisten hat. Im Vordergrund von Führung davon aus, dass wir es in der Re- Perspectives
steht dabei die rationale, effektive Planung und gel mit Menschen zu tun haben, die nicht wis- 18
11. MACHT.
FÜHRUNG.
SINN.
sen, was sie zu tun haben. Sonst würde man reiche Führungsarbeit grundsätzlich mehr
sie erst gar nicht führen. Da stellt sich dann Bedeutung hat, ist auf den ersten Blick ein
sofort die Frage: Woher wissen wir das? Woher schwieriges Unterfangen. Historisch betrachtet
wissen wir so genau, dass wir es mit Menschen gibt es nämlich vermeintliche Erfolgsbeispiele
zu tun haben, die nicht wissen, was sie zu tun für beide Sichtweisen. Einfacher wird es, wenn
haben? Und woher wissen wir, wo jene Men- man sich folgende Frage stellt:
schen zu finden sind, die wissen, was ANDERE
zu tun haben? Führung hat also etwas damit zu
tun, dass man denkt, es gibt einen Grund, Men- Wie gelingt es, die Potenziale von Men-
schen bewegen zu MÜSSEN.“16 schen optimal zur Geltung zu bringen?
Folgt man dieser Logik, dann rückt die Frage Für den Hirnforscher Prof. Gerald Hüther ist
nach dem jeweiligen Menschenbild unweiger- die Sache klar. Der Mensch verfügt seiner Auf-
lich in den Fokus der Diskussion. Insbesondere fassung nach über ungeahnte Potenziale. Das
zwei Menschenbilder werden laut Liessmann in Gehirn sei nämlich ein „Problemlösungsorgan“.
diesem Zusammenhang schon seit der Antike Es sei perfekt konzipiert, um neue Lösungen
debattiert: hervorzubringen. Ob wir dieses Potenzial nun
nutzen, ob wir also unseren „Innovationsgeist“
„Man kann auf der einen Seite jenes Men- erscheinen lassen, oder nicht, hängt einzig und
schenbild vertreten, wonach der Mensch ein allein davon ab, WIE wir unser Gehirn verwen-
führungsbedürftiges Wesen ist und aufgrund den und zum Einsatz bringen. Dazu muss man
seiner Lage, seiner Herkunft, seiner Bildung, wissen, dass sich unser Gehirn genau so ent-
seiner Bedürfnisse usw. eher PASSIV ist. Bei wickelt, wie wir es mit Begeisterung (!) nutzen.
diesem Bild ist der Mensch ein Wesen, das Denn nach einem „Sturm der Begeisterung“
seine Bedürfnisse befriedigt bekommen will, in unserem Gehirn schütten die Zellfortsätze
und wenn er zu bestimmten Aktivitäten be- im Mittelhirn neuroplastische Botenstoffe aus.
wegt werden soll, dann müssen die Anstöße Und diese Botenstoffe wirken wie Dünger auf
von außen kommen. Man kann aber auch das die dahinter geschalteten Netzwerke, die man
Menschenbild vertreten, wonach alle Menschen im Zustand der Begeisterung und Neugierde
ihrer Grundausstattung nach nicht nur passiv intensiv benutzt, um ein Problem zu lösen,
bedürfnisorientiert, sondern auch AKTIV sind. Ideen zu entwickeln – kurz: um sein kreatives
Demnach sind Menschen im Allgemeinen neu- Potenzial zu entfalten.18
gierig, kreativ, experimentierfreudig, vernunft-
begabt usw. Jene Aufgaben, die der Mensch zu
bewältigen hat, werden bewältigt, indem er sich
mit anderen verständigt und gemeinsam zu Mitarbeiter bringen ihre Potenziale genau SO
Entscheidungen findet.“17 zur Geltung, wie Führungskräfte es ZULASSEN.
Und das hängt wiederum mit dem Menschen-
bild der jeweiligen Führungskraft zusammen.
Führungskräfte agieren in Übereinstimmung
mit ihrem jeweiligen Menschenbild entweder
tendenziell autoritär hierarchisch oder partizipa- Dominiert das Bild des PASSIVEN Menschen,
tiv einbindend. kommt es im Grunde genommen nur darauf
an, dass die Mitarbeiter FUNKTIONIEREN.
Es geht darum, dass die Menschen genau
04 das machen, was die Führungskräfte samt
2012/13 Der Versuch, sich möglichst wertfrei der Frage der dazugehörigen Verwaltungssysteme und
19 zu nähern, welches Menschenbild für erfolg- Organisationsstrukturen verlangen. Diese
12. MACHT.
FÜHRUNG.
SINN.
müssen bestmöglich „befüllt“ werden, meint sie nicht automatisch mit Führungslosigkeit
auch Prof. Hüther. Es gehe darum, dass die gleichgesetzt werden. Der Philosoph und Theo-
Mitarbeiter ihren Platz zugewiesen bekommen loge Prof. Clemens Sedmak weist im Rahmen
und dort ihre Rolle so gut wie möglich spielen. unserer Diskussion darauf hin, wie bedeutend
Mit anderen Worten: „Es ist von Anfang an ein und notwendig gute Führungsarbeit unter dem
manipulatives System, das die Mitarbeiter wie Gesichtspunkt asymmetrischer bzw. symmetri-
ein Objekt an ihren Platz stellt. Dieses System scher Beziehungen sind:
versucht mit allen Tricks (…) die Mitarbeiter
„Bei Führungsverantwortung geht es auch
entsprechend ‚herzurichten‘, sodass diese dann
darum, zu erkennen, dass nicht JEDE Bezie-
alle Fähigkeiten besitzen, um die zugewiesene
hung auf ALLEN Ebenen symmetrisch ist bzw.
Rolle und den Platz möglichst gut auszufüllen.
sein kann. Eine Tendenz in der Führungsarbeit
Das nennt man dann Qualifikation. Das Er-
geht aber immer mehr in diese Richtung. Na-
gebnis davon ist, dass die Leute diese Plätze
türlich ist es gut, wenn man sein Gegenüber
deshalb so gut einnehmen, weil sie über Beloh-
als gleichwertiges, ebenbürtiges, symmetri-
nung oder Bestrafung in die angedachte Form
sches Wesen anerkennt. Aber das Ganze muss
gebracht werden. Denn im Grunde genommen
man kontextbezogen durchaus differenziert
erwartet man, dass die Mitarbeiter den Prozess
betrachten – vor allem bei Kindern und in
nicht mitgestalten, sondern lediglich eine Funk-
der Führungsarbeit. (…) Es gibt so etwas wie
tion einnehmen – ähnlich wie ein Zahnrad im
verantwortungslose Symmetrie und verant-
Getriebe. Man will für jene Bereiche, wo es um
wortungsvolle Asymmetrie. Eine Asymmetrie
Verantwortung geht, gar keine mitdenkenden
im Verhältnis von Führungskraft zu Mitarbeiter
und begeisterten Menschen. Man will Men-
ergibt sich z. B. durch die ungleiche Informa-
schen, die funktionieren. Und deshalb macht
tionsverteilung – wer hat den Gesamtkontext
man sie zum Objekt und entwickelt ausgefeilte
im Blick und kann somit über die Tragweite der
Strategien (…)“19 Wenn hingegen das Bild des
Entscheidungen Bescheid wissen?“20
AKTIVEN Menschen dominiert, dann glauben
wir an die Fähigkeiten und Potenziale unserer
Mitarbeiter und verhalten uns auch dement-
sprechend. Der Weg zur Begeisterung ist dann Wer davon ausgeht, dass Menschen vernunft-
nur noch ein kleiner Schritt. begabte Wesen mit einem immanenten Eigen-
antrieb sind, muss auch seine Führungsarbeit
Doch was heißt das nun? Wenn das „Konzept“ so ausrichten, dass allen Mitarbeitern Wachs-
vom PASSIVEN, hilflosen Menschen davon tum bzw. Weiterentwicklung im System möglich
ausgeht, dass Mitarbeiter definitiv FÜHRUNG ist – ohne sie dabei zu überfordern.
brauchen, dann müsste das doch im Um-
kehrschluss bedeuten, dass das „Konzept“ vom
Menschen als AKTIVEM Wesen gänzlich auf
Führung verzichten kann. FÜHRUNGSLOSIG- Wenn Leadership im Kern die Übernahme von
KEIT als Alternative? Verantwortung bedeutet, muss man sich fra-
gen, WIE eine Führungskraft dann sein, den-
ken und handeln soll. Eine Antwort darauf zu
2. Warum stellt Führungslosigkeit
finden ist ein schwieriges Unterfangen, zumal
keine Alternative dar?
auch aus wissenschaftlichen Untersuchungen
Das Bild des AKTIVEN Menschen bringt es keine eindeutigen „Eigenschaften“ erfolgrei-
unweigerlich mit sich, dass in der Führungsar- cher Leader abzuleiten sind.
beit die klassische Über- bzw. Unterordnung
immer mehr an Bedeutung verliert bzw. neu
3. Warum sollten Könige philoso-
interpretiert werden muss. In diesem Zusam-
phen sein?
menhang spricht man sehr oft von „flachen
Hierarchien“, „Kommunikation auf Augenhöhe“ Hier hilft uns eine Anleihe bei der Philosophie IMP
und „Eigenverantwortung“. Dabei handelt es weiter: nämlich Platons umstrittene Theorie, Perspectives
sich um absolut positive „Konzepte“, solange dass in einem Staat entweder die Philosophen 20
14. Abbildung 2: Bausteine für ein zukunftsorientiertes Leadership-Denken
Problemlösungs-
intelligenz fördern
Führungsverständnis
Verantwortung
wahrnehmen
Nach Wahrheit
streben
KÖNIGE oder die Könige PHILOSOPHEN Den zweiten Grund, warum Platon glaubte,
sein sollen. Konrad Paul Liessmann meint dazu dass Könige Philosophen sein sollten, ist
in unserem Interview: folgender: „…einen Staat kann nur derjenige
gut führen – und Staat kann jetzt mit UN-
„Ersetzen wir jetzt ‚Könige‘ durch ‚Führungs-
TERNEHMEN ersetzt werden –, der frei von
kräfte‘. Dann würde das bedeuten, dass die
persönlichen Ambitionen ist. (…) Derjenige, der
Herausforderung genau darin bestünde, dass
wirklich imstande ist, das Interesse des Unter-
Führungskräfte entweder zu Philosophen wer-
nehmens, der Gemeinschaft, der Gesellschaft
den oder Philosophen Führungsarbeit überneh-
zu sehen, ist zum Führen geeignet und nicht
men. Warum hat Platon das gesagt? Aus zwei
derjenige, der aus persönlichem Ehrgeiz Ziele
Gründen.
verfolgt.“22
Der erste Grund war jener: Platon war der Mei-
nung, dass zum Wahrnehmen von Führungs-
aufgaben etwas gehört, was man eigentlich „(…) ein Führungsanspruch, der sich am Wohle
jedem Menschen zutrauen könnte, nämlich das des Unternehmens oder der Gemeinschaft
Erkennen der WAHRHEIT. Nur dann, wenn orientiert, erfordert neben dieser Liebe zur
ich dieses innere Streben habe, mich nicht Wahrheit und dem Anspruch auf Macht auf der
täuschen zu lassen – und diese Eigenschaft einen Seite den Verzicht auf PERSÖNLICHE
hat Platon ja den Philosophen zugeschrieben – Macht auf der anderen Seite!“23
werden wir auch die richtigen Entscheidungen
treffen können. (…) Es darf bei Führung eben
NICHT um meine subjektiven Präferenzen Obwohl diese Forderung scheinbar Über-
gehen. Es darf sich NICHT um eine Ideologie menschliches verlangt, kann sie einen REFE-
handeln, die mit Gier und Eigennutz zu tun hat. RENZPUNKT für ein sinnstiftendes Selbstbild
Es geht darum, dass Entscheidungen darauf von Führungskräften darstellen. Denn wie be-
beruhen, WAHR und WAHRHAFT eingeschätzt reits erwähnt, verfügt das menschliche Gehirn IMP
worden zu sein. Das ist sicherlich die größte über die Fähigkeit, sich in Sekundenschnelle Perspectives
Herausforderung für Führungskräfte.“21 und mit großer Treffsicherheit ein Urteil über 22
15. MACHT.
FÜHRUNG.
SINN.
Situationen, Menschen oder Verhaltenswei- Zwei Aspekte erscheinen in diesem Kontext für
sen zu bilden. Übertragen auf Führungsarbeit die Führungsarbeit als besonderes relevant:
bedeutet dies, dass auch Mitarbeiter laufend
–
Auf welchen Fähigkeiten basiert die
prüfen und beurteilen:
Problemösungsintelligenz?
l
–
wie ehrlich das gemeint ist, was Führungs-
–
Welche Voraussetzungen muss Führungsar-
kräfte sagen,
beit schaffen, damit Mitarbeiter ihre „Spiel
–
wie bedeutend das Gesagte für die Füh- intelligenz“ erhöhen können?
rungskräfte selbst ist und
Beim FC Barcelona wird in der Trainingsarbeit
–
wie hoch das persönliche Engagement der seit Jahren mit ausgefeilten Methoden daran
Führungskräfte tatsächlich ist.24 gearbeitet, die Spieler zu befähigen,
1. die relevanten Dinge wahrzunehmen,
Ehrlichkeit, Authentizität und das persönliche 2. die Situation richtig einzuordnen und umfas-
Engagement von Führungskräften sind die send zu verstehen,
entscheidenden Parameter für die Bereitschaft
3. richtige Entscheidungen unter Berücksichti-
der Mitarbeiter, sich zu engagieren.
gung der möglichen Risiken und Chancen zu
treffen und
Wie kann es nun gelingen, die vorhandenen 4. diese dann erfolgreich und zum richtigen
Energien in wirkungsvolle Kooperationsbereit- Zeitpunkt auszuführen bzw. ausführen zu
schaft bei möglichst vielen Mitarbeitern umzu- lassen.
wandeln?
Im Idealfall sollten in Unternehmen auf mög-
4. Wie macht man mitarbeiter zu mit-
lichst vielen Positionen Mitarbeiter agieren, die
spielern?
in ihrem Bereich diese vier Fähigkeiten zum
Gerade in Mannschaftssportarten entscheiden Einsatz bringen können.
Kooperationsbereitschaft und Spielintelligenz
über Erfolg oder Misserfolg einer Mannschaft.
Was läge also näher, als sich die dort etablier-
Ob die Fußballspieler diese Fähigkeiten ent-
ten Führungsprinzipien näher anschauen? Für
wickeln können, hängt für Host Wein zum
Horst Wein, international angesehener Fuß-
Großteil vom jeweiligen Führungsverständnis
ballanalytiker und -lehrer, bedeutet der Begriff
der Trainer ab: „Nach wie vor fokussiert unsere
„Spielintelligenz“ die Fähigkeit der Spieler
Führungsarbeit vor allem auf Instruieren, Leh-
„HÄUFIG RICHTIG ZU HANDELN“ – und zwar
ren, Anweisen und Kontrollieren. Spielintelli-
im Sinne des Mannschaftserfolgs.25
genz kann sich in einem solchen Umfeld aber
In Unternehmen, die sich heute in äußerst kom- niemals entwickeln. Führung muss Mitarbeiter
plexen Umgebungen befinden, gibt es – ähn- anregen, selbstständig Lösungen für die rele-
lich wie im Fußball – unzählige Möglichkeiten, vanten Probleme zu finden. Das Fragenstellen
ein bestimmtes Problem bzw. eine bestimmte wird dabei zu einem wichtigen Führungsinstru-
Situation zu lösen. Standardlösungen oder ment. Dabei wird es zur Kernherausforderung,
einfache Erfolgsrezepte haben ausgedient. die richtige ‚Spielfeldgröße‘, also den richtigen
Hier ist die Problemlösungsintelligenz der Rahmen zu definieren. So wie neunjährige Kin-
04 Mitarbeiter, die „Spielintelligenz“, von der Horst der mit einem Spiel ‚elf gegen elf‘ völlig über-
2012/13 Wein spricht, ein zentraler Erfolgs- und Überle- fordert sind und keine Spielintelligenz entwi-
23 bensfaktor. ckeln können, so ist es auch Mitarbeitern nicht
17. MACHT.
FÜHRUNG.
SINN.
möglich, an zu schwierigen und komplexen Beitrag zu etwas Sinnvollem leisten zu können,
Aufgaben Führungsintelligenz zu erwerben.“26 löst jene Primärmotivation beim Menschen aus,
die ungeahnte Kräfte freizusetzen imstande ist.
„Nur die Suche nach dem Sinn gibt uns (…)
In der Führungsarbeit muss der richtige, SINN- authentische Bereicherung und die Erfüllung,
VOLLE Rahmen für jeden Mitarbeiter gefunden welche die meisten Menschen in ihrer Arbeit
werden. Die richtigen Fragen zu stellen, hilft und ihrem Alltag suchen. Und nur die Fähigkeit,
dabei. Die altbekannten Handlungsanweisun- unseren Willen zum Sinn zu realisieren – au-
gen von „oben herab“ behindern die Entwick- thentisches Engagement für sinnvolle Werte
lung zu einem „häufig richtig Handeln“. und Ziele, die nur wir selbst verwirklichen und
erfüllen können und niemand sonst –, treibt
uns dazu an, dieses rein menschliche Potenzial
Zudem gilt es, als Führungskraft konsequent anzuzapfen.“27 Die häufig angepriesenen Moti-
Prinzipien zu definieren, die Kooperationsbe- vationstechniken und -tricks verblassen dem-
reitschaft zum höchsten Gut erklären, und sich gegenüber zu „Manipulationsversuchen“, die
für die Einhaltung dieser Prinzipien auch mit keine nachhaltige Wirkung erzeugen.
aller Kraft einzusetzen. Wenn wir also einen
„SINNVOLLEN Rahmen“ schaffen wollen, in
dem Kooperationsbereitschaft Platz hat, geht Jeder von uns kann sich nur dann inhaltlich
es um den dritten und letzten Punkt unseres und emotional für eine Sache, eine Idee, eine
Dreiklangs MACHT. FÜHRUNG. SINN. Arbeit, ein Unternehmen … begeistern, wenn
er darin einen Sinn erkennt.
Denn:
SINN –
Je größer die Sinnhaftigkeit ist, desto wert-
voller wird das Ganze für uns.
Oder: Warum wir alles dafür tun sollten,
–
Je wertvoller etwas für uns ist, desto wichti-
damit Mitarbeiter einen Sinn in ihrem Tun
ger wird es für uns.
erkennen können
–
Je wichtiger etwas für uns ist, desto mehr
Was sinnvoll bzw. sinnlos ist, ist nicht nur eine
beschäftigen wir uns emotional und inhaltlich
von Philosophen aller Zeitepochen disku-
mit dem Anliegen.
tierte Frage. Es ist eine jener Fragen, die die
Menschen Zeit ihres Lebens immer wieder –
Je mehr wir uns emotional und inhaltlich mit
beschäftigen: Wie sinnvoll ist es, überhaupt in etwas befassen, desto eher wachsen wir
die Schule zu gehen, sich gesellschaftlich zu über uns hinaus, und sind imstande, etwas
engagieren, sich bei der Arbeit anzustrengen? Besonderes zu leisten.
Wir alle kennen diese Fragen, die letztlich alle
in die eine Frage nach dem SINN des Lebens „Sinnlosigkeit“ und „Sinnleere“ hingegen führen
münden. Und spüren, dass ein sinnerfülltes zu Interesseverlust und Gleichgültigkeit, die
Leben etwas ist, das wir uns alle explizit oder am Arbeitsplatz auch zum „Bore-out“ führen
implizit wünschen – unabhängig davon, was können: einer massiven Unzufriedenheit mit
jeder Einzelne darunter versteht. der eigenen Aufgabe, die mit denselben Symp
tomen wie ein Burn-out einhergeht: Übermü-
dung, Antriebslosigkeit, Gereiztheit bis hin zu
Was bedeutet „Sinn“ für die Führungsar-
Depression und Totalausfall. Bore-out darf
beit?
nicht als „Faulheit“ missverstanden werden:
04 Der Arzt und Psychotherapeut Viktor Frankl Solcherart unzufriedene Menschen MÖCHTEN
2012/13 bringt die Dimension bzw. Bedeutung des arbeiten und suchen in Wahrheit nach sinnvol-
25 SINNS aus unserer Sicht auf den Punkt: Einen len Aufgaben. Häufig werden jedoch Bore-out-
18. Betroffene auch dazu GEMACHT (!), indem Arbeitsengagement besteht: Wer seinen Beruf
ihnen keine passenden, herausfordernden, d. h. als sinnvoll erlebt, ist auch bereit, sich für die
für sie sinnvollen Aufgaben übertragen werden. Arbeit stärker einzusetzen. Wenn umgekehrt
Arbeit als sinnlos empfunden wird, verringert
Auch Prof. Sedmak spricht im Rahmen unse-
sich auch die Anstrengung, etwas für diese
res Interviews von der PASSGENAUIGKEIT
Arbeit zu leisten.30
der Arbeit und von „sinnvollen“ Produkten
oder Dienstleistungen, die Antworten auf die Nun ist diese Erkenntnis weder neu noch gibt
wirklich wichtigen Fragen und Bedürfnisse der sie automatisch eine Antwort darauf, wie ein
Gesellschaft geben sollten: „Ein Unternehmen, SINNVOLLER UNTERNEHMENSRAHMEN
das solche sinnvollen Produkte anbietet, wird gestaltet sein sollte, damit möglichst viele Mit-
bei den Mitarbeitern entsprechenden Nachhall arbeiter darin ihren SINN FINDEN können.
finden. Was Menschen bestärken kann, ihre Dennoch können mit solcherlei Studien auf
Arbeit als ‚sinnvoll‘ zu empfinden, ist neben Basis von Mitarbeiter-Befragungen wichtige
dem soziale Nutzen (‚Antwortwert‘ des Pro- Erkenntnisse gewonnen werden. Wichtige Be-
dukts) auch die ‚Passgenauigkeit‘, die ‚Persön- zugspunkte für Sinn im Beruf sind demnach:
lichkeit‘ der Arbeit. Es geht also darum, dass
die Arbeit zu einem PASST, meinen Fähigkeiten 1. Selbstständigkeit und Selbstbestimmung
entspricht und vielleicht in dieser Weise nur von 2. Eine offene Unternehmenskultur
mir ausgefüllt werden kann. Auch hier haben
Unternehmer Spielraum, um darauf zu achten, 3. Soziale Unterstützung seitens Kollegen und
dass Tätigkeiten und Mitarbeiter gut aufeinan- Vorgesetzten
der abgeglichen werden.“28 4. Positive Aspekte der Arbeitsaufgaben wie
Unweigerlich könnten man nun also denken, Bedeutsamkeit, Anforderungsvielfalt, Auto-
dass eine Kernaufgabe von Leadership darin nomie und Rückmeldungen.31
besteht, SINN zu erzeugen – ein Irrglaube, Was heißt das nun für BEIDE, sowohl für die
wie uns Sedmak im Gespräch erläutert: „Die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer? Denn
Wortkombination ‚Sinn MACHEN‘ ist falsch die oben angeführten Punkte bringen klar zum
und irreführend. Warum? Weil damit angedeu- Ausdruck, dass es nicht NUR am ARBEITGE-
tet wird, dass Sinn hergestellt und fabriziert BER liegen kann, für einen entsprechenden
werden kann. Sinn ‚machen‘ klingt wie ‚Kuchen Rahmen zu sorgen. Es liegt auch beim AR-
machen‘. Wenn Sie aber einen Kuchen ma- BEITNEHMER, die Möglichkeiten innerhalb
chen, gibt es dafür ein Rezept und bestimmte eines vorgegebenen Rahmens zu nutzen, be-
Zutaten. Für die Herstellung von SINN gibt es stimmte Rahmenbedingungen zu fordern und
aber kein ‚Rezept‘ (…) Somit kann weder ein aktiv an der Gestaltung der Unternehmenskul-
Unternehmen, noch Arbeit Sinn MACHEN. Sie tur mitzuarbeiten.
können aber als Unternehmen oder Person
Sinn GEBEN bzw. Sinn FINDEN.“29 In der Studie werden mit Blick auf Arbeitge-
ber- und Arbeitnehmerseite folgende Punkte
Mit der Frage, ob die eigene Berufsausübung
vorgeschlagen:
als „sinnvoll“ erlebt wird – ob Menschen also in
ihrer Arbeit Sinn FINDEN – setzten sich auch –
Arbeitgeber sollten sich darum bemühen,
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der ihren Beschäftigten eine Position zu bieten,
Universität Innsbruck auseinander. So konnte in der diese relativ selbstbestimmt arbeiten
zum Beispiel Elke Siller in einer empirischen und kreativ mitgestalten können; damit steigt IMP
Studie belegen, dass ein positiver Zusammen- das Sinnerleben im Beruf und das Arbeitsen- Perspectives
hang zwischen Sinnerfüllung im Beruf und gagement. 26
19. MACHT. Abbildung 3: Sinn-Dimensionen
FÜHRUNG.
SINN.
Bedeutsamkeit
empfinden
Freude in
der Aufgabe Sinn
suchen
Von der Gruppe
gebraucht
werden
Individuell gefordert
werden
–
Im Kreis der Kollegen ist es wünschenswert, dem hat er sich Gedanken darüber gemacht,
füreinander einzustehen: Eine Abkehr vom wie er z. B. diese Tätigkeit als Buddhist ver-
Konkurrenzdenken hin zu Kollegialität stei- richten würde. Die Hauptaussage dieses Bu-
gert das Sinngefühl des Einzelnen. Für die ches ist sicherlich: ‚Stärke Menschen in ihren
Arbeitgeberseite bedeutet dies, dass sich inneren Ressourcen!‘ Eine weitere Botschaft
Arbeits- und Unternehmensstrukturen, die ist: ‚Wenn die Arbeit, die du machst, monoton
auf innerbetriebliche Solidarität abzielen, ist, dann versuche den Punkt zu finden, den du
positiv auswirken. GESTALTEN kannst!‘ Der Dalai-Lama meinte in
diesem Zusammenhang: ‚Ich würde mir jeden
–
Eine Unternehmenskultur, in der auf Mitbe-
Tag ein Projekt suchen, wie zum Beispiel: Wenn
stimmung bzw. Mitsprache der Arbeitnehmer
es eine schlecht gelaunte Empfangsdame
Wert gelegt wird, bringt ein subjektives
gäbe, würde ich versuchen, ihr ein Lächeln zu
Sinngefühl mit sich und drückt sich auch in
entlocken. Oder, wenn es einen Kollegen gäbe,
stärkerem Engagement der Mitarbeiter aus.32
mit dem niemand in der Pause spricht, würde
Eine weitere und die vielleicht bedeutendste ich mich in der nächsten Pause zu ihm setzen!‘
Dimension der Sinnfindung verbirgt sich in der Die Botschaft ist also: Es geht gar nicht so
inneren Haltung, mit der man eine Tätigkeit sehr darum, WAS du machst, sondern WIE du
ausübt. Sedmak führt als Beispiel dafür, dass das machst, was du machst.“33
es darauf ankommt, WIE man etwas tut, den
Dalai-Lama an. Der höchste buddhistische
Meister der Tibeter war von einem amerikani-
Man kann auch monotone Tätigkeiten, die un-
schen Psychologen und Schriftsteller nach den
ter ungünstigen Bedingungen stattfinden, als
04 „Glücksregeln für den Alltag“ gefragt worden:
2012/13 sinnvoll empfinden.
„Zwar hatte der Dalai-Lama noch nie in seinem
27 Leben Fließbandarbeit verrichtet (…) – trotz-
20. Laut Isaksens qualitativer Studie (2000)34 ge- –
Fühle ich mich der Gemeinschaft zugehörig?
ben drei von vier Angestellten eintöniger Jobs
–
Vermittelt mir die „Gemeinschaft“ das Gefühl,
an, ihre Arbeit sehr wohl als sinnvoll zu empfin-
gebraucht und wertgeschätzt zu werden?
den. Isaksens Studienergebnissen zufolge kann
man sich aktiv und durch kontinuierliche Bemü- –
Habe ich das Empfinden, dass ich mich
hungen seinen EIGENEN Sinn SCHAFFEN, gemeinsam mit anderen um etwas Wichti-
wie auch folgendes Beispiel untermauert, das ges – um etwas „Größeres“ – kümmern bzw.
der amerikanische Autor, Professor und Bera- einsetzen darf?
ter Alex Pattakos in seinem Buch „Gefangene
–
Habe ich die Möglichkeit, im Sinne der ge-
unserer Gedanken – Viktor Frankls 7 Prinzipi-
meinsamen Sache bzw. Zielsetzung meine
en, die Leben und Arbeit Sinn geben“ erzählt:
individuelle Gestaltungskraft einbringen zu
„Jeden Tag bringt Vita fröhlich pfeifend meine können?
Post. Das Pfeifen ist ihr Markenzeichen. Eines
Tages schüttete es aus Eimern, aber ich hörte Unabhängig also davon, mit welcher „Brille“ –
ihr Lied unten am Briefkasten. Spontan rief ich ob aus der Sicht der Gehirnforschung, der Phi-
zu ihr hinunter: (…) Wie können Sie tagaus, losophie oder der Psychologie – man die Frage
tagein so gut gelaunt und beschwingt Post nach dem Sinn betrachtet: Das Erkennen und
austragen?‘, fragte ich. ‚Ich bringe nicht nur die Empfinden eines SINNS im eigenen Tun und
Post‘, sagte sie. ‚Ich verbinde Menschen, ich die ARBEITSMOTIVATION scheinen im direk-
unterstütze ihr Miteinander. Abgesehen davon ten Zusammenhang zu stehen. Und damit liegt
sind die Leute von mir abhängig, und ich will in der Sinn-FINDUNG wohl eine der größten
sie nicht hängen lassen.‘ Ihre Antwort verriet Antriebskräfte menschlichen Denkens und
Begeisterung und Stolz.“35 Handelns begründet.
Diese Episode bringt kurz und bündig jene
sinnstiftenden Kriterien auf den Punkt, die
Führungskräfte müssen ihren Mitarbeitern
Isaksen in seiner Studie identifizieren konnte,
Möglichkeiten zur persönlichen Sinnfindung
nämlich:
ermöglichen. Sie können dann erleben, wie sich
1. Zugehörigkeitsgefühl zur Arbeitsstelle und im Team ungeahnte Ressourcen entfalten und
Tätigkeit gemeinsam echte Herausforderungen bewälti-
gen lassen.
2. Engagement in sozialen Beziehungen am
Arbeitsplatz
3. Betrachtung der Arbeit in einem größeren
Zusammenhang
4. Gefühl von Verantwortung und Stolz
Und diese Kriterien korrespondieren 1 : 1
mit den bereits genannten Kriterien, die der
Hirnforscher Hüther als relevant für die MOTI-
VATION herausgefunden hatte. Zur besseren
Erinnerung: Laut Hüther stehen die Chancen
auf hohe Mitarbeitermotivation gut, wenn fol- IMP
genden Fragen positiv beantwortet werden Perspectives
können: 28
21. MACHT.
FÜHRUNG.
SINN.
Wir hatten uns eingangs gefragt, was Lea-
dership wieder zu der notwendigen und ge-
rechtfertigten Anerkennung verhilft. Unsere
Gespräche, Diskussionen und Reflexionen mit
führenden Männern und Frauen aus den unter-
schiedlichsten Disziplinen, die Sie im Folgen-
den ausführlich lesen können, lassen sich als
Antwort auf diese Frage in
VIER KERNTHESEN
zusammenfassen. Demnach bedeutet „Leader-
ship-Logiken der Zukunft“ …
–
… dass Führende sich vom Bild des passi-
ven Menschen lösen. Führungsverantwor-
tung muss so wahrgenommen werden, dass
die Potenziale der Mitarbeiter im Sinne und
zum Wohle des Unternehmens zur Geltung
kommen können.
–
… dass Führende sich dazu verpflichtet füh-
len, losgelöst von persönlichen Eitelkeiten
und Wünschen nach „Wahrheit“ im Sinne
Platons für das Unternehmen und die Mitar-
beiter zu streben.
–
… dass Führende sich vom klassischen
Machtverständnis verabschieden und sich
dafür einsetzen, dass sich die Kraft koopera-
tiven Denkens und Handelns im Unterneh-
men entfalten kann.
–
… dass Führende die Verantwortung haben,
in ihrem Unternehmen für Raum und Metho-
den zur persönlichen und kollektiven Sinnfin-
dung zu sorgen.
MACHT FÜHRUNG SINN?
haben wir die diesjährige Ausgabe der IMP
Perspectives betitelt. Ja – wir sind stärker denn
je davon überzeugt. Führung macht Sinn, wenn
die FÜHRUNG darin besteht, die MACHT und
04 Intelligenz der Masse sowie das Potenzial des
2012/13 Einzelnen durch Kooperation und Koordination
29 SINNvoll zur Entfaltung zu bringen.
22. Quellen
1
Joseph C. Rost ist emeritierter Professor an der 9
Erika Spieß ist Professorin am Lehrstuhl für Wirt-
School of Leadership and Education Sciences der schafts- und Organisationspsychologie an der
Universität von San Diego. Ludwig-Maximilians-Universität München und be-
schäftigt sich unter anderem mit Lern- und Koopera-
2
Joanne B. Ciulla ist Professorin für Leadership
tionskulturen.
und Ethik an der Universität von Richmond.
10
Vgl. Weber, K.; Ettinger, A.: Führung ist … reine
Weber, K.; Bailom, F.; Kausl, A.: Philosophicum mit
3
„Kopfsache“? Oder: Einblicke in die Gehirne von
Konrad Paul Liessmann. „Führung MACHT keinen
„Führungsköpfen“, IMP Perspectives 4: Leadership-
Sinn, sondern hat die Aufgabe, die Sinnfrage zu
Logiken der Zukunft, 2012.
verhindern!“, IMP Perspectives 4: Leadership-Logi-
ken der Zukunft, 2012. 11
Ebd.
4
Ebd. 12
Vgl. Weber, K.; Bailom, F.: Hüther’s Lemon Trees.
Oder über Fools Garden und den Geist der Inno-
5
Vgl. Weber, K.; Ettinger, A.: Führung ist … reine
vation, IMP Perspectives 3: Innovationslogiken der
„Kopfsache“? Oder: Einblicke in die Gehirne von
Zukunft, 2011.
„Führungsköpfen“, IMP Perspectives 4: Leadership-
Logiken der Zukunft, 2012. 13
Vgl. Weber, K.; Ettinger, A.: Führung ist … reine
„Kopfsache“? Oder: Einblicke in die Gehirne von
6
Weber, K.; Bailom, F.; Mirow, M.: Der Kontrabass, die
„Führungsköpfen“, IMP Perspectives 4: Leadership-
Zweite: alles Theater? Oder: IMP im Gespräch mit
Logiken der Zukunft, 2012.
Menschen, die wissen, wie das wahre Leben „spielt“,
IMP Perspectives 4: Leadership-Logiken der 14
Herbert Marcuse (1898–1979) war ein deutsch-US-
Zukunft, 2012. amerikanischer Philosoph, Politologe und Soziologe.
7
Morton Deutsch (*1920) ist ein US-amerikanischer 15
Sir Karl Raimund Popper (1902–1994) war ein
Sozialpsychologe und Konfliktforscher. Deutsch gilt österreichisch-britischer Philosoph, der mit seinen
als Gründer der modernen Konfliktlösungstheorie Arbeiten zur Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie,
und -praxis. Er forscht seit 1949 als Pionier im zur Sozial- und Geschichtsphilosophie sowie zur
Bereich der Konfliktforschung und der Diplomatie. politischen Philosophie den kritischen Rationalismus
begründete.
8
Winfried Hacker (*1934) ist ein deutscher Psycholo-
ge und Arbeitswissenschaftler. Hacker ist vor allem 16
Weber, K.; Bailom, F.; Kausl, A.: Philosophicum mit
durch seine Beiträge zur Handlungsregulationsthe- Konrad Paul Liessmann – „Führung MACHT keinen
orie und weiteren Themen der Arbeitspsychologie Sinn, sondern hat die Aufgabe, die Sinnfrage zu ver-
bekannt. hindern!“, IMP Perspectives 4: Leadership-Logiken
IMP
der Zukunft, 2012. Perspectives
30
23. MACHT.
FÜHRUNG.
SINN.
Quellen
17
Ebd. 27
Pattakos, A.: Gefangene unserer Gedanken. Viktor
Frankls 7 Prinzipien, die Leben und Arbeit Sinn
18
Vgl. Weber, K.; Bailom, F.: Hüther’s Lemon Trees.
geben, Linde Verlag Wien, 2007, S. 89.
Oder über Fools Garden und den Geist der Inno-
vation, IMP Perspectives 3: Innovationslogiken der 28
Weber, K.; Bailom, F.: Die Philosophie des Führens.
Zukunft, 2011. Oder: Warum Führung keine Kunst oder Wissen-
schaft ist, sondern eine Philosophie und Haltung,
19
Ebd.
IMP Perspectives 4: Leadership-Logiken der Zu-
20
Weber, K.; Bailom, F.: Die Philosophie des Führens. kunft, 2012.
Oder: Warum Führung keine Kunst oder Wissen- 29
Ebd.
schaft ist, sondern eine Philosophie und Haltung,
IMP Perspectives 4: Leadership-Logiken der Zu- 30
Siller, E.: Sinnerfüllung im Beruf: Zum Zusammen-
kunft, 2012. hang von Merkmalen der Arbeitstätigkeit, Sinner-
füllung, Arbeitsengagement und Wohlbefinden.
21
Weber, K.; Bailom, F.; Kausl, A.: Philosophicum mit
Unveröffentlichte Diplomarbeit. Leopold-Franzens-
Konrad Paul Liessmann – „Führung MACHT keinen
Universität Innsbruck, 2009.
Sinn, sondern hat die Aufgabe, die Sinnfrage zu ver-
hindern!“, IMP Perspectives 4: Leadership-Logiken 31
http://www.sinnforschung.org/gesellschaftsrele-
der Zukunft, 2012. vant/sinnerfullungim-beruf
22
Ebd. 32
Siller, E.: Sinnerfüllung im Beruf: Zum Zusammen-
hang von Merkmalen der Arbeitstätigkeit, Sinner-
23
Ebd.
füllung, Arbeitsengagement und Wohlbefinden.
24
Vgl. Weber, K.; Ettinger, A.: Führung ist … reine Unveröffentlichte Diplomarbeit. Leopold-Franzens-
„Kopfsache“? Oder: Einblicke in die Gehirne von Universität Innsbruck, 2009.
„Führungsköpfen“, IMP Perspectives 4: Leadership- 33
Ebd.
Logiken der Zukunft, 2012.
34
Isaksen, J.: Constructing Meaning despite the
25
Vgl. Tschemernjak T.; Kausl, A.; Cotiaux N.: Tiki-Taka
Drudgery of Repetitive Work. Journal of Humanistic
… Oder: Mit der Philosophie des Ball-Führens zu
Psychology, 40, 2000, S. 84–107.
mehr (Problemlösungs-)Intelligenz, , IMP Perspec-
tives 4: Leadership-Logiken der Zukunft 2012. 35
Pattakos, A.: Gefangene unserer Gedanken, Viktor
Frankls 7 Prinzipien, die Leben und Arbeit Sinn
26
Vgl. Weber, K.; Ettinger, A.: Führung ist … reine
geben, Linde Verlag Wien, 2007, S. 25.
„Kopfsache“? Oder: Einblicke in die Gehirne von
„Führungsköpfen“, IMP Perspectives 4: Leadership-
04
2012/13 Logiken der Zukunft, 2012.
31