„Auch andere regionale Zeitungen beginnen inzwischen mit Haustürwerbung. Doch es gibt auch Skeptiker. Thomas Bertz , Geschäftsführer der auf Lesermarketing spezialisierten TBM Marketing in Burgwedel, wähnt die Verlage hier noch in einer Experimentierphase, eine große Erfolgsstory kenne er nicht. Allgemein beobachtet er eine Verlagerung vom Telefon hin zu Direktmarketing, Standwerbung und Internet. „Das Internet gewinnt klar an Bedeutung. Im vergangenen Jahr kamen bereits zwölf Prozent aller Probeleser über diesen Kanal“, sagt Bertz. „Es gibt aber keinen Königsweg. Die Verlage müssen sich alle Vertriebskanäle anschauen. Am Ende kommt es auf den richtigen Mix an.“ Bei allen Marketinganstrengungen gibt es allerdings eine bisher wenig beachtete Grenze: „Die Leo-Lesestudie hat Anfang dieses Jahres bei 40 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung Lese- und Schreibschwächen festgestellt. Regionale Zeitungen mit hoher Reichweite müssen sich fragen, ob ihr Markt nicht schon weitestgehend ausgeschöpft ist“, warnt Bertz. Angesichts solcher Zahlen ergeben die Aktivitäten der Zeitungen im Kinder- und Jugendsektor Sinn. Während Schülerbetreuung bereits länger zum gängigen Repertoire gehört, starten inzwischen immer mehr Blätter in Zusammenarbeit mit örtlichen Unternehmen entsprechende Azubi-Aktionen. Mit diesen Projekten machen die Verlage nicht nur Jugendliche fit fürs spätere Zeitungslesen, sie fassen damit auch in den Gemeinden Fuß. Eine ganze Reihe von Zeitungen entfaltet inzwischen lokale Aktivitäten, die über ihr Kerngeschäft weit hinausgehen.“ (Werben & Verkaufen, 28/2011).
1. NACHRICHTEN
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AGENTUREN
MEDIEN
MEDIA
DIGITAL
KARRIERE & JOB
68 Werben & Verkaufen 3 28/2011
REGIONALE MEDIENSCHWERPUNKT
Fotos:TinoLex;Unternehmen
Kein Anschluss unter dieser Nummer: Mit der
NovellierungdesGesetzesgegendenunlauterenWettbewerb
(UWG)istdasTelefonalsMarketinginstrumentfürTageszei-
tungen weitgehend erledigt. Vielen regionalen Zeitungen ist
damit ein wichtiges Mittel zur Abonnentengewinnung weg-
gebrochen. Klassische Leser-werben-Leser-Aktionen (LwL)
können dies nicht mehr ausgleichen. In den Verlagen wird
daher fieberhaft nach neuen Wegen zum Leser gesucht, denn
die verkaufte Auflage bröckelt allenthalben: Im vergangenen
JahrverzeichnetenregionaleundlokaleZeitungeneinenRück-
gang von 2,2 Prozent auf 13,7 Millionen Exemplare täglich.
„Bei regionalen Tageszeitungen liegt die Fluktuations-
rate um die zehn Prozent, das muss jedes Jahr durch Neu-
Abonnenten ausgeglichen werden“, sagt
Christian Eggert, Referent Verlagswirtschaft
beim Verlegerverband BDZV. „Beim Telefon-
marketing sind die formalen Voraussetzun-
gen durch die Gesetzesänderungen jetzt so
hoch, dass es sich nicht mehr lohnt. Dagegen
haben andere Formen des Direktmarketings
noch ein Potenzial, das bisher nicht von allen
Verlagen ausgeschöpft wird.“
Eggert hat dabei nicht nur Mailings im
Sinn; quer durch die Republik wird derzeit
Der direkte Weg zum Leser
Auf der Jagd nach Abonnenten erproben
regionale Tageszeitungen alle Formen des
Lesermarketings. Der Wegfall der Telefon-
Akquise zwingt zu neuen Überlegungen.
die Standwerbung intensiviert, teilweise steigen regionale
Blätter sogar ins Haustürgeschäft ein.
Vorreiter auf diesem direkten Weg zum Kunden ist die
Rheinische Post, Düsseldorf. 2008 wurde mit der RP Direkt-
Kom GmbH eine eigenständige Direktvertriebsorganisation
für Stand- und Haustürwerbung gegründet. „Einerseits wa-
ren es die rückläufigen Response-Quoten unserer Marke-
tingmaßnahmen, die uns veranlasst haben, nach neuen
Wegen zu suchen. Andererseits waren wir getrieben, insbe-
sondere durch Gesetzesnovellierungen wie beim UWG“,
sagt Jörn Christiansen, Verlagsleiter Vertrieb & Lesermarkt.
„Das bedeutet nicht, dass wir auf klassische Maßnahmen
verzichten. Der Direktvertrieb hat sich aber neben Leser-
werben-Leser zu unserem wichtigsten Vertriebskanal ent-
wickelt.“ Rund 100 Handelsvertreter sind für RP DirektKom
unterwegs. Überwiegend werden Privatkunden angespro-
chen, zehn Mitarbeiter kümmern sich jedoch ausschließlich
um das Firmenkundengeschäft.
Christiansen legt freilich größten Wert darauf, die RP
DirektKom von den berüchtigten Drücker-
kolonnen abzugrenzen. Die Handelsvertre-
ter werden sorgfältig ausgewählt und profes-
sionell geschult; jeder Haustüreinsatz wird
beiPolizeiundGemeindeangemeldet.Durch
eine einheitliche Kleidung sind die Vertreter
klar als Repräsentanten der Rheinischen Post
erkennbar.
Nicht nur an den Ständen, auch an der
Haustür seien die Erfahrungen positiv, be-
richtet Christiansen. „Über 90 Prozent der
Nur nicht drängeln
Über 150 Mann-
schaften traten zum
1. Mittelbayerischen
Landkreislauf an.
Die „Mittelbayerische
Zeitung“ erhielt dafür
den 1. Preis beim
Ferag-Leser-Blatt-
Bindungs-Preis 2011.
„Wenn irgend-
wo ein Bier-
stand steht,
bauen wir uns
daneben auf“
Claas Schmedtje
Wolfsburger Allgemeine
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REGIONALE MEDIENSCHWERPUNKT
70 Werben & Verkaufen 3 28/2011
Bewohner reagieren freundlich, auch wenn es nicht bei je-
dem Besuch zu einem Abonnementsabschluss kommt.“
Direktvertrieb ist kostenintensiv. Trotzdem lohne sich
der Aufwand, meint der Verlagsleiter. „Weil der Zugang an
der Haustür teuer ist, rechnet er sich freilich nur mit länger-
fristigen Abschlüssen“, sagt Christiansen. „Deshalb werden
keine kostenlosen Probe-Abos verschenkt. Wir erwarten
von unseren Handelsvertretern, dass sie zu 90 Prozent
24-Monats-Abos verkaufen.“ Die Auswahl der Gebiete, die
mit Haustürwerbung angegangen werden, erfolgt aufgrund
einer Analyse sozio-demografischer Daten. Am erfolgreichs-
ten seien die Vertreter erstaunlicherweise dort, wo die Haus-
haltsabdeckung bereits sehr hoch ist, sagt Christiansen. Das
Haustürgeschäft werde ausgebaut. Künftig sollen auch ver-
lagseigene Zeitschriften angeboten werden.
Auch andere regionale Zeitungen beginnen inzwischen
mit Haustürwerbung. Doch es gibt auch Skeptiker. Thomas
Bertz, Geschäftsführer der auf Lesermarketing spezialisier-
ten TBM Marketing in Burgwedel, wähnt die Verlage hier
noch in einer Experimentierphase, eine große Erfolgsstory
kenneernicht.AllgemeinbeobachtetereineVerlagerungvom
TelefonhinzuDirektmarketing,StandwerbungundInternet.
„Das Internet gewinnt klar an Bedeutung. Im vergangenen
JahrkamenbereitszwölfProzent
aller Probeleser über diesen Ka-
nal“, sagt Bertz. „Es gibt aber
keinen Königsweg. Die Verlage
müssen sich alle Vertriebskanäle
anschauen. Am Ende kommt es
auf den richtigen Mix an.“
Bei allen Marketinganstren-
gungen gibt es allerdings eine
bisher wenig beachtete Grenze:
„Die Leo-Lesestudie hat Anfang
dieses Jahres bei 40 Prozent der
erwerbsfähigenBevölkerungLese-
undSchreibschwächenfestgestellt.
Regionale Zeitungen mit hoher
Reichweite müssen sich fragen,
ob ihr Markt nicht schon weitest-
gehend ausgeschöpft ist“, warnt
Bertz. Angesichts solcher Zahlen ergeben die Aktivitäten der
ZeitungenimKinder-undJugendsektorSinn.WährendSchü-
lerbetreuung bereits länger zum gängigen Repertoire gehört,
starten inzwischen immer mehr Blätter in Zusammenarbeit
mit örtlichen Unternehmen entsprechende Azubi-Aktionen.
Mit diesen Projekten machen die Verlage nicht nur Ju-
gendliche fit fürs spätere Zeitungslesen, sie fassen damit
auch in den Gemeinden Fuß. Eine ganze Reihe von Zeitungen
entfaltet inzwischen lokale Aktivitäten, die über ihr Kernge-
schäft weit hinausgehen. Zu diesen umtriebigen Blättern
gehört die Mittelbayerische Zeitung, Regensburg. Der Verlag
offeriert eine breite Palette von Events. Als Renner haben sich
die in verschiedenen Orten regelmäßig durchgeführten Kin-
der-Bürgerfeste erwiesen, die bis zu 60000 Besucher anzie-
hen. „Mit solchen Veranstaltungen erfüllen wir auch einen
sozialen Zweck. Je mehr wir uns einbringen, umso mehr wer-
den wir zu einem unverzichtbaren Bestandteil des sozialen
Lebens“, meint Verlagsleiter Martin Wunnike.
Reger Nachfrage erfreut sich die „MZ Akademie“, die
Erste-Hilfe-Kurse ebenso anbietet wie Anleitungen zum
Weidenflechten. Vor allem aber der eng an die Zeitung an-
gelehnte Kundenclub kann Erfolgszahlen vorweisen. „Wir
haben bereits über 50000 Mitglieder, die Rabatte bei unse-
ren Partnern erhalten oder an Leserveranstaltungen und
Reisen teilnehmen“, sagt Wunnike. Während Kundenbin-
dungsprogramme normalerweise aus dem Marketing-Etat
finanziert werden, tragen sich die Reisen und Kurse selbst.
Zu den lokalen Erfolgsgeschichten dervergangenenJah-
re gehört die Wolfsburger Allgemeine Zeitung, die ihre Auflage
in 20 Jahren von 7000 auf gut 18000 steigern konnte. Hinter-
grund ist eine konsequent betriebene Neuausrichtung der
Zeitung, die besonders auf die VW-Facharbeiter zielt, das
Blatt dem Boulevard annähert und vor allem auf Sportbe-
richterstattung setzt. „Entscheidend für den Verkaufserfolg
ist die enge inhaltliche Orientierung an der Zielgruppe“, sagt
GeschäftsführerClaasSchmedtje.„ZurUnterstützungfeuern
wirimMarketingausallenRohren:SämtlicheKanälewerden
genutzt, jeder potenzielle Leser soll erreicht werden.“ Das ge-
samte Verbreitungsgebiet werde mit einer hohen Schlagzahl
bearbeitet. „Wir nutzen jede Veranstaltung. Wenn irgendwo
nur ein Bierstand steht, bauen wir uns daneben auf.“
Als wichtigster Weg zu Neu-Abonnenten haben sich laut
Schmedtje Aktionen zu Events wie der WM mit speziellen
Probe-Abos erwiesen, die massiv beworben werden. Alle
Marketing-Aktivitäten werden im engen Schulterschluss mit
der Redaktion gemacht, die Werbung muss die Sprache der
Wolfsburger Allgemeinen sprechen. Auch Schmedtje leidet
allerdings unter dem Wegfall des Telefons als Marketingins-
trument. Erstmals seit Langem war 2010 bei den Abo-Zahlen
ein leichter Rückgang von 0,4 Prozent zu verzeichnen.
Andreas Klähn 3 medien@wuv.de
Thomas Bertz, TBM
Einen Königsweg
gibt es nicht.
Es kommt auf den
richtigen Mix an.
Martin Wunnike,
Mittelbayerische
Zeitung Unverzicht-
barer Bestandteil
des sozialen Lebens.
Jörn Christiansen,
Rheinische Post
Direktvertrieb als
einer der wichtigsten
Vertriebskanäle.
Persönliche Note Standwerbung ist wieder schwer im Kommen.
Hier sollen aus Laufkundschaft Abonnenten geformt werden.