1. Faktizität und Geltung (1/4)
VO Politik und Recht 72
Zentrales Werk: „Faktizität und Geltung. Beiträge
zur Diskurstheorie des Rechts und des
demokratischen Rechtsstaats“, Frankfurt am Main
1992.
o Charakteristika des Rechts bei Jürgen Habermas
• eine Form kulturellen Wissens
• beinhaltet moralische Elemente
• reguliert Handeln
• ermöglicht die Reproduktion der Gesellschaft
• sichert Handlungsfreiheiten und eine solidarische
Gesellschaft
• entlastet Einzelne
• regelt sein eigenes Entstehen
„Recht“ ist für Habermas „das moderne gesatzte Recht, das mit dem
Anspruch auf systematische Begründung sowie verbindliche
Interpretation und Durchsetzung auftritt. “
J. Habermas, Faktizität und Geltung, Frankfurt am Main 1992, S. 106
Faktizität und Geltung (2/4)
VO Politik und Recht 73
• Diskurse und Recht
• Herstellung einer idealen Diskurssituation
o Begründungsdiskurse
• bezieht sich auf Geltung von Normen
• Normen gelten, wenn sie positiv gesetzt, rational vereinbart und
durchgesetzt werden können
o Anwendungsdiskurse
• nur richtige Entscheidungen, die unparteiisch und rational
argumentiert sind, fügen sich ins Rechtssystem ein
• falsche Entscheidungen erwachsen lediglich in Rechtskraft
• Herrschaftsfreiheit in den juristischen Diskursarenen?
„Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle möglicherweise
Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen
könnten“
J. Habermas, Faktizität und Geltung, Frankfurt am Main 1992, S. 138.
2. Faktizität und Geltung (3/4)
VO Politik und Recht 74
Recht stabilisiert sich über das Spannungsverhältnis von Faktizität und
Geltung bei der Anwendung des Rechts
Faktizität
(auferlegter Zwang –
Sanktionen)
Geltung
(bindende Kraft –
rational motivierte
Rechtsüberzeugung)
Faktizität und Geltung (4/4)
VO Politik und Recht 75
o Zieldeterminanten von legitimen Rechtsordnungen
nach Habermas
• ein größtmögliches Maß gleicher subjektiver Handlungsfreiheiten,
• die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in der Rechtsgemeinschaft,
• die Einklagbarkeit von Rechten,
• die chancengleiche Teilnahme an politischen Meinungs‐ und
Willensbildungsprozessen und
• die dazu nötigen Lebensbedingungen sichern
o Somit gelangt Habermas zu den vier Prinzipien des
Rechtsstaates
1. das Prinzip der Volkssouveränität
2. das Prinzip der Gewährleistung eines umfassenden, individuellen
Rechtsschutzes
3. das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
4. das Prinzip der Trennung von Staat und Gesellschaft, welches eine
politische Kultur fordere, die von Klassenstrukturen entkoppelt ist
3. 8. Das Phänomen der
„Rechtskultur“
Die Rechtskultur
VO Politik und Recht 77
• Der mehrdeutige Begriff der Kultur
• Definitionsversuch
„Inbegriff der in einer Gesellschaft bestehenden, auf
das Recht bezogenen, Wertvorstellungen, Normen,
Institutionen, Verfahrensregeln und
Verhaltensweisen.“ T. Raiser, Das lebende Recht, 1993, 318.
Deskriptive
Dimension der
Rechtskultur
Funktionale
Dimension der
Rechtskultur
4. Aspekte der Rechtskultur
VO Politik und Recht 78
Aspekte der
Rechtskultur
Umgang mit
Grund‐ und
Menschenrechten
Verfahrensdauer
Ausbildung und
Akzeptanz der Juristen
Umfang von
Arbeitnehmerschutz‐,
Mieterschutz‐ und
Konsumentenschutz‐
gesetzen
Transparenz der
Gesetzgebung
(Korruptionsaffinität,
Lobbyismus, …)
Zugang zum Recht
(Kosten)
Rechtskultur im österreichischen politischen System
• Rechtskultur ist stark beeinflusst von historischen
Gegebenheiten
o Lange Zeit in Österreich relativ konstant
• Starke Gesetzesgebundenheit staatlichen Handelns
• Lange Tradition der Juristenausbildung
o Nunmehr beschleunigt durch exogenen Anpassungsdruck
• Wandel sozialer Wohlfahrtssysteme
• „Kundenorientiertheit“ der öffentlichen Verwaltung
• Politisches System eingebunden in internationalen
und supranationalen Kontexten
• Problemlösungsfähigkeit und ‐willigkeit der Politik
• Lange Zeit geübte Rechtskultur generiert eine
gesellschaftliche Rechtsidee (nicht abstrakt, sondern konkret und dynamisch zu
verstehen)
o Vertrauen in Rechtsordnung und Justiz
o Gerechtigkeitserwartungen und ‐anforderungen in materielles Recht
o …
VO Politik und Recht 79
5. Europäische Rechtskultur?
VO Politik und Recht 80
• Der lange Weg zu einer europäischen Rechtskultur
„Je mehr sich Europas unterschiedliche Rechtsordnungen
einander annähern, desto größerer wird das gegenseitige
Vertrauen und das Vertrauen der Bürger in das EU‐
Rechtssystem und damit auch in die europäische
Rechtsstaatlichkeit als der bindenden Kraft in der
Europäischen Union. Auf diese Weise nimmt der
europäische Rechtsraum konkrete Gestalt an, was dazu
führt, dass ein jeder seine Rechte wahrnehmen und von den
Chancen, die der Binnenmarkt eröffnet, profitieren kann.“
• Durchdringung des gesellschaftlichen Alltags durch das europäische
Recht
• Problemlösungskapazität des europäischen Rechts?
• Europäische Rechtskultur als Nährboden für eine europäische
Rechtsidee
Viviane Reding
Kommissarin für Justiz,
Grundrechte und Bürgerschaft