Mit Visual Facilitating Komplexität ins Bild setzen
1. Visual Facilitating – Wie wir Komplexität ins Bild setzen können /
Daniel Osterwalder, visualdynamics
Visual Facilitating verweist auf zwei Dinge: Auf das Visualisieren und auf Facilitating,
worunter wir das Erleichtern und Ermöglichen verstehen. Zusammengeno
. Zusammengenommen
bedeutet es, dass wir mit Hilfe von Bildern ein vertieftes oder neues Verständnis in
ein komplexes Thema erleichtern oder möglich machen wollen. Mit Bildern können
.
wir somit komplexe Themen nicht einfach nur mit ästhetischen Mitteln neu und
tteln
anders gestalten, mit Bildern und dem visuellen Denken und Tun verdichten und
vereinfachen wir komplexe Themen und eröffnen so einen neuen Zugang zu
unserem Thema. Und schliesslich ist visuelles Denken ein ausgesprochen effektiver
Problemlösungsansatz, denn Bilder können grosse Mengen an Informationen
ngsansatz,
zusammenfassen und so etwas Neues verdeutlichen.
Eine Gefahr besteht natürlich darin, dass wir in einer Welt leben, in der die Bilder
Bilder-
und Informationsflut exorbitant wächst. Und nun kommen wir mit Visualisieren und
it
Visual Facilitating und legen gleich noch ein Brikett in den hochrot glühenden Ofen
litating
und vervielfachen die Bilderflut noch Das wäre natürlich am Ziel vorbeigeschossen.
noch?
Damit wir mit Bildern und Visualisierungen also nicht noch mehr Ver Verwirrung stiften
wollen, müssen wir zuerst einmal verstehen, was wir uns unter Visualisieren
vorstellen müssen.
„Wer schnellen und bleibenden Eindruck machen will, bedient sich
der Bilder“ (Otto Neurath – ein kleiner historischer Abriss
Otto Neurath)
Otto Neurath, der Wiener Sozialwissenschaftler, der in der ersten Hälfte des 20.
r
Jahrhunderts im bekannten Wiener Kreis mittat, sprach im Zusammenhang mit einer
zu entwickelnden Bildersprache oder Bilderschrift davon, dass diese mit
sprechenden und einfachen Signaturen zu versehen sei, also weniger Konventionen
bedürfen, um verstanden zu werden. Ein Bauer wird demnach mit einer Sichel
dargestellt, ein Bergarbeiter mit einem Hammer. Grösste Bedeutung kommt somit
einer einfachen Darstellung zu. Sinnvolles Visualisieren ist damit also Reduktion und
damit
Einfachheit. In den Worten Neuraths: „Der Kopf als Kreisscheibe verlangt einen
1
2. wesentlich vereinfachten Körper als Fortsetzung. Es kommen überhaupt nur sehr
vereinfachte Bilder in Betracht.“
Mit dem deutschen Grafiker Gerd Arntz entwickelte Neurath ab 1927 aus der „Wiener
Methode der Bildstatistik“[ die „International Picture Language“ bzw. das
Bildersprachen-System ISOTYPE = International System of Typographic Picture
System
Education Isotype (siehe Abbildung).
Abbildung 1: Beispiel aus Isotype
Neurath war der Meinung, dass wir mit diesen visuellen Codierungen komplexe
Sachverhalte allen Volksgruppen verständlich machen könnten und dass damit das
Verständnis für komplexe Zusammenhänge zunehmend gefördert werden könnte.
gefördert
Betrachten wir die einzelnen Elemente, so können wir uns unschwer vorstellen, dass
Isotype auch vielen Programmierern nicht unbekannt war und ist, finden wir doch in
den sogenannten Bibliotheken verschiedener Applikationen recht ähn
ähnliche Symbole
und Icons.
Kleiner Spaziergang durch die Geschichte
Viel wichtiger an den Arbeiten Neuraths et al. war aber, dass damit das Bild wieder
Aufnahme fand im öffentlichen Diskurs, auch als Mittel, um vertiefte Erkenntnisse in
komplexe Sachverhalte zu entwickeln. Im 17. bis 19. Jahrhundert war dem nicht so.
Werfen wir deshalb den Blick historisch etwas weiter zurück. Uns allen sind die
figurativen Darstellungen der Ägypter, Azteken und Mayas bekannt, wenn sich diese
auch nicht so einfach erschliessen. Mit den Libri Carolingi (895 unserer
erschliessen.
Zeitrechnung) begann dann ein eigentlicher Kreuzzug gegen das Bild, heisst es dort
doch, „was den Lesekundigen die Schri t, das bedeutet Idioten das Bild.“ Im Zuge der
Schrift,
Reformation und dem Bildersturm und der Forcierung der Schriftkultur als Werkzeug
Forcierung
der Erkenntnisgewinnung während der Aufklärung (so beispielsweise der Philosoph
I. Kant, der sich vehement gegen Bilder als Mittel zur Verständigung stellte) erfolgte
eine eigentliche Zäsur gegen das Bild. Erst um 1900, im Zusammenhang mit dem
im
Umbruch der Kommunikationskultur und ersten medientechnischen Innovationen
2
3. fand und findet das Bild (neben Ton, Foto, Film) wieder vermehrten Einsatz in der
Kommunikation; zuerst im Unterrichtswesen, dann mehr und mehr auch im
Zusammenhang mit wissenschaftlichen und technischen Publikationen. Denn Bilder
(wie auch Fotos, Ton, Film) haben der Schrift und der Sprache eines vorweg: Sie
schaffen eine Direktheit der Erfahrung, was die Sprache und die Schrift nicht
schaffen kann, denn Bilder sprechen die Sinne viel intensiver an als ein Wort.
Deshalb auch Neuraths Diktum: „Vereinfachte Mengenbilder sich merken ist besser
als genaue Zahlen vergessen.“ Für Neurath bedeutete die Arbeit mit Bildern und
seine Entwicklungen mit Isotype auch ein Beitrag zur Demokratisierung von Wissen.
Bilder und Symbole sollen es als neue Denkwerkzeuge für den Alltag allen
ermöglichen, vertiefte Erkenntnisse gewinnen zu können, den „der gewöhnliche
Bürger sollte in der Lage sein, uneingeschränkt Informationen zu erhalten.“
Visualisieren ist sehen (hören),
vorstellen, verstehen und
zeigen
Damit ist ein klarer Auftrag ans Bild
und ans Visualisieren verbunden.
Nicht einfach zeichnen, sondern Wege
eröffnen zu neuer
Erkenntnisgewinnung. Das bedeutet,
dass wir Visualisieren etwas weiter
fassen müssen, nämlich als sehen
(hören), vorstellen, verstehen und
zeigen (oder zeichnen).
Beginnen wir nun mit dem Zeichnen Abbildung 2: Zeichnen - das Pferd falsch aufgezäumt
oder Visualisieren, dann beginnen wir
mit dem Zeigen oder Präsentieren, zäumen das Pferd von hinten auf und setzen uns
dementsprechend auch mit dem Rücken zum Wind aufs Pferd, was leider dazu führt,
dass wir nicht sehen, wohin die Reise
geht. Wenn wir uns beim Visualisieren
einfach dem Zeigen / Zeichnen widmen,
so macht es letztlich nur einen
ästhetischen Unterschied, ob wir schön
zeichnen oder klassisch eine
Präsentationssoftware wie Powerpoint,
Keynote oder Prezi einsetzen. Um zu
verstehen, wohin die Reise beim
Visualisieren gehen soll, lohnt es sich
deshalb, uns einen Moment lang beim
Sehen (Hören), Betrachten, Vorstellen und
Verstehen aufzuhalten.
Was sehen Sie?
Der Psychologe Benesch untersuchte mit
Hilfe dieses Bildes, auf welche Weise sich
das Sehen zwischen Erwachsenen und
Kindern unterscheidet. Die Hypothese:
Sehen und Wahrnehmen ist abhängig
Abbildung 3: Sandro Del Prete - Liebespaar? 3
4. oder besser: Eingebettet in unseren sozialen Kontext. 90 % der Erwachsenen, denen
das Bild gezeigt wurde, sahen ein Liebespaar. Nur wenige sahen direkt etwas
anderes. Als Die Forschungsgruppe um Benesch das Bild Kindern zwischen vier und
acht Jahren zeigte, entdeckten die Kinder – Fische.
Sehen Sie selbst – was haben Sie zuerst entdeckt?
Was bedeutet das für das Visualisieren? Beim Visualisieren geht es im
Zusammenhang mit dem Sehen nicht um die Frage, was wir sehen, sondern wie wir
sehen. Bleiben wir bei der Frage „Was sehen Sie?“, dann verstehen wir sehen als
Abbildung. Stellen wir aber die Frage nach dem Wie, dann verstehen wir Sehen als
Konstruktionsprozess. In diesem Fall wird das Visualisieren ein Austauschprozess,
d.h. wer beispielsweise in einem Workshop für eine Gruppe visualisiert, hört zu, um
die Sprache und Sprachbilder der Gruppe zu verstehen, um dann das Gesagte auf
den Kern zu reduzieren und um aus dem Gesagten die entsprechende Bildsprache
abzuleiten. Neurath schrieb dazu: „Wer am geschicktesten weglassen kann, ist der
beste Lehrer. Die Transformation bestimmter Ideen in klare Skizzen auf der
Grundlage des ausgewählten Materials (Kern) ist der zweite schwierige Schritt. Alles
muss auf seinen eigentlichen Kern reduziert werden.“
Instrumente visuellen Denkens
Kehren wir noch einmal zurück zum Zeigen: Setzen wir uns für das Zeigen vor den
Computer und öffnen die entsprechende Zeige-Software (wie Powerpoint, Keynote,
Prezi), so macht sich hier der Unterschied bemerkbar zum Skizzieren und Zeichnen
von Hand. Während mein Blick vor dem Computer bereits beim Sehen in einen
Tunnel gezwängt wird, öffnet sich mir beim Skizzieren und Zeichnen von Hand das
Sehfeld. Dieses ist nicht begrenzt, hat keine Einschränkung und dementsprechend
bleibt Raum für das Sehen und die Vorstellung und schliesslich für die Verbindung
zwischen sehen und zeichnen. Die Basis für das visuelle Denken hat nichts mit dem
Erstellen von Grafiken am Computer zu tun. „Visuelles Denken heisst, mit den Augen
denken zu lernen, und dazu braucht man überhaupt keine fortschrittliche
Technologie.“ (Roam, 33) Die Instrumente visuellen Denkens sind unsere Augen,
unsere Vorstellungskraft, unser Gehör und unsere Hände. Zu Visualisieren bedeutet
deshalb Sehen, vorstellen, zuhören / verstehen und zeigen (zeichnen). Wir brauchen
dazu nur das Vertrauen in unsere Instrumente und ein wenig Übung. Roam versteht
visuelles Denken als vierstufigen Prozess:
- sehen und die ganze Vielfalt in den Blick nehmen
- betrachten (verstehen) und eine Auswahl treffen; wir erkennen beispielsweise
Muster, Unterscheidungen und kategorisieren
- vorstellen (wie bestimmte Elemente und Dinge miteinander in Verbindung
stehen); z.B. Analogien und Vergleiche bilden, ein verborgenes System
entdecken, das Gesehene in der Vorstellung manipulieren, auf den Kopf
stellen, von der Seite sehen etc.
- zeigen und präsentieren (oder eben zeichnen); dabei die Bilder und Ideen
nach Prioritäten sortieren, überlegen, was in den Vordergrund gehoben
werden muss und vielleicht auch eine visuelle Pointe finden.
Betrachten: Die Kunst auszuwählen
Auswählen und betrachten bedeutet zu reduzieren. Als Spezialisten eines Themas
neigen wir dazu, sehr viel als wichtig zu erachten, damit man unser Thema versteht.
Viel wichtiger ist es jedoch, aus der Informationsflut eine geeignete Auswahl zu
treffen. Dies bewerkstelligen wir mit einem einfachen Fragenkatalog. Wir erstellen ein
Koordinatensystem mit den Fragen:
4
5. - wer / was: alle Herausforderungen in Bezug auf Dinge, Menschen und Rollen
o Wer gehört dazu? Wer führt das Projekt? Wo liegt die Verantwortung
etc.?
- wie viel: Fragestellungen im Zusammenhang mit Messen und Zählen
o Haben wir genügend Ressourcen, um damit unser Projekt zu Ende zu
führen?
o Wie viel werden wir davon noch brauchen, um weitermachen zu
können?
- Wo: Richtung und Zugehörigkeit
o Wohin führt das Projekt? Wohin zielen wir? Wie passen die Teile
zusammen, was ist wichtig, was ist weniger wichtig?
- Wann: Planung und Zeitablauf, Zeitdimension
o Was kommt zuerst, was danach? Wann soll was erledigt sein?
- Wie: Beeinflussungen
o Was passiert, wenn wir hier nachgeben? Können wir Ergebnisse
ändern, wenn wir unser Handeln verändern?
- Warum: Erkennen des „ganzen Elefanten“
o Was tun wir da und warum eigentlich? Wenn es Veränderungen
braucht, welchen Optionen haben wir?
Mit Hilfe dieser Fragen können wir aus der Fülle an Informationen eine Auswahl
treffen. In einem weiteren Auswahlschritt geht es dann darum, wem wir das zeigen
wollen, denn je nach Publikum müssen wir die Auswahl anders treffen. Und damit
gelangen wir zur Vorstellung.
Vorstellung oder was will ich eigentlich vermitteln
Dan Roam hat eine sehr einsichtige Gegenüberstellung entwickelt, wie wir uns das
Thema, das wir vermitteln wollen auch vorstellen können; er tut dies anhand
einfacher Gegensätze:
- Soll es simpel sein (z.B. ein einzelner Baum) oder ausführlich (Wald)?
- Soll es Qualität abbilden oder Quantität?
- Geht es um die Vision oder um die Durchführung und Umsetzung?
- Stehen individuelle Merkmale im Vordergrund oder Vergleiche?
- Geht es beim Thema um Wandel oder um den Status quo?
Mit Hilfe dieser einfachen Gegensätze spielen wir unser Thema in unserer
Vorstellung durch, bevor wir mit Zeichnen beginnen.
Zeichnen: Grammatik und Vokabeln büffeln?
Wir können eine Fremdsprache dadurch lernen – und wer kennt das nicht -, dass wir
Vokabeln büffeln, grammatische Strukturen auswendig lernen und haufenweise
Papier vollschreiben mit uns oft nicht sehr verständlichen Sätzen. Dieser Ansatz geht
davon aus, dass wir uns aus dem Anhäufen “toter” Elemente (Vokabeln) schon
irgendwie verständlich machen können. Die Fremdsprache bleibt aber
Fremdsprache. Ein anderer Ansatz zum Erlernen einer uns ungewohnten Sprache ist
die Immersion, d.h. das Eintauchen in die neue Sprache. Dieser Ansatz des
Erlernens einer Sprache baut darauf auf, dass dies deshalb erfolgsversprechender
ist, weil er auf den Prinzipien des Erwerbs der Muttersprache beruht. D.h. wir
verlassen uns beim auf unsere einfachen Zeichnungen, wie sie uns von der Hand
gehen. Keine komplexen Kunstwerke, sondern mit wenigen Strichen, vielleicht
einigen geometrischen Grundformen (Kreis, Dreieck, Quadrat), etwas Farbe und
Schatten visualisieren wir das, was wir mittels Betrachtung und Vorstellung
ausgewählt und reduziert haben. Die Formen, wie wir zeichnen und visualisieren
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6. können, sind sehr vielfältig. Wichtig ist dabei nur, dass man für sich ein eigenes
System entwickelt, mit dem man das, was man sich vorstellen kann, auch zeichnen
kann, damit unser Publikum oder unsere internen / externen Kunden dies verstehen
können.
Zur Wahl des Bildes oder des Layouts bietet Roam sechs verschiedene Layouts an:
- Wer Thema -> Porträt oder Landkarte / Map des Themas
- Wie viel -> Tabellen, Kuchen, andere bekannte Symbole und Darstellungen
aus der Statistik
- Wo -> Karte, Landkarte, auf der die räumliche Position gezeigt werden kann.
- Wann -> Zeitstrahl, Ablauf, Weg (von unten links nach rechts oben, 1 Drittel)
- Wie -> Ablaufdiagramm, Pfeile und andere Formen, eine Ablauf zu zeichnen
- Warum -> Schaubild
An dieser Stelle lohnt es sich natürlich, sich zuerst einmal eine Skizze des zu
Visualisierenden zu entwickeln. Mit Hilfe weniger Striche können wir eine Karte
zeichnen, ein Porträt des Themas bis hin zum komplexen Schaubild. Wenn wir dann
noch einige Figuren einbauen, erhält die Visualisierung rasch Leben.
Abbildung 4: Bildergeschichte für die Einführung einer komplexten Internetapplikation
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7. Literatur
Frank Hartmann, Erwin K. Bauer: Bildersprache Otto Neurath. Visualisierungen, 2.
erw. Auflage, Wien 2006
Robert E. Horn: Visual Language. Global Communication fort he 21st Century,
Portland 1998
Christian Leborg: Visual Grammar, New York 2006
Nancy Margulies: Mapping Inner Space. Learning and Teaching Visual Mapping,
Wales 2002
Dan Roam: Auf der Serviette erklärt. Probleme lösen und Ideen verkaufen mit Hilfe
von Bildern, München 2009
David Sibbet: Visual Meetings. How Graphics, Sticky Notes & Idea Mapping Can
Transform Group Productivity, New Jersey 2010
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