DIE PRESSE Elite: „Das alte Beziehungsnetz verliert an Bedeutung“
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Elite: „Das alte Beziehungsnetz verliert an Bedeutung“
06.01.2010 | 18:24 | MATTHIAS AUER (Die Presse)
Der Politologe Reinhard Heinisch und der Headhunter Lars Maydell diskutieren über die
Gründe für das Fehlen und die Auswirkungen des Versagens der Elite in Österreich. In den
USA werden Staatsgäste an Unis geladen.
„Die Presse“: In Österreich klagt man einerseits über das Fehlen einer Elite. Andererseits ist
für viele der Begriff allein schon tabu. Wie sieht Österreichs Elitenproblem nun aus?
Lars Maydell: Eine Elite ist notwendig. In Österreich gibt es aber Erklärungsbedarf, dass es sich um
Leistungseliten und nicht um eine soziale Elite handelt. Dennoch ist auffallend: Wer in Österreich zur
Elite gehört, spricht nicht darüber.
Reinhard Heinisch: Man muss auch unterscheiden, ob die Existenz einer Elite oder die
Entscheidungskriterien, wie ich Teil der Elite werde, kritisiert wird. In den USA ist das Gefühl stärker,
dass das System durchlässig ist, dass jeder die theoretische Chance hat, nach oben zu kommen.
Hierzulande schwingt bei Elitenkritik immer mit, dass es bestimmter Seilschaften bedarf, um
hineinzukommen, was bei kleinen Gesellschaften traditionell stark ausgeprägt ist.
Stimmt also Bourdieus Diagnose: Besser als die Schulbank drückt man die Hände der
richtigen Leute?
Heinisch: In der Tat findet in Österreich eine sehr frühe Selektion statt. Als Migrantenkind auf dem
Land habe ich wenig Chancen, in ein Gymnasium zu kommen. Akademiker sind meist Kinder von
Akademikern, eher Inländer und kommen häufiger aus der Stadt.
Maydell: In der Wirtschaft zählt immer die Mischung aus Leistung und der Fähigkeit, Beziehungsnetze
aufzubauen. Die Firmen suchen händeringend nach Talent. In Österreich ist das Potenzial an
talentierten, leistungswilligen Menschen, die bereit und imstande sind, diese Rolle zu spielen, aber
beschränkt. Die Wirtschaftselite ist interessiert, jungen Menschen Aufstieg zu ermöglichen. Natürlich ist
es ein Vorteil, aus einer Umgebung zu kommen, die Leistung von jeher als Wert anerkennt. Aber das
Beziehungsnetz in Österreich, das lange geholfen hat, verliert im europäischen Kontext an Bedeutung.
Heute ist es wichtiger, in andere Länder zu gehen und die Eliten aus dem Ausland nach Österreich zu
locken.
Wie müsste man das Bildungssystem ändern, um die Mängel zu beheben?
Heinisch: Ein ideales Schulsystem sollte die Menschen möglichst lange mitnehmen und transparent
bleiben. Es ist schließlich auch ein volkswirtschaftliches Problem, Leute zu früh zu spezialisieren, weil
man sie später erst „umbauen“ muss. Ein gefächertes Ausbildungssystem würde automatisch eine
gewisse Elite bringen. Bestimmte Menschen würden in Ausbildungsstätten landen, die die nötigen
Ressourcen haben, und andere in Institutionen, die eine breite Basis betreuen. Ich schlage ein System
vor, das mehr Wettbewerb bringt. Studenten könnten etwa Gutscheine zur Unifinanzierung in die Hand
bekommen, da würden sich Blockaden von selbst lösen. Hierzulande sind die Berührungsängste einer
sehr klösterlich funktionierenden Universitätsstruktur noch groß. Es gilt, ja nicht an Ökonomisierung
anzukommen.
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Maydell: Dabei wird verkannt, dass auch im Bildungssystem ein Wettlauf mit anderen Ländern läuft.
Heinisch: Wenn man etwa punktuell Leistungskriterien einführt, würden sich Dinge zwangsläufig
öffnen. Je weniger der Staat sich hier einmischt, desto eher finden die Systeme einen eigenen Weg.
Der Sushi-Trend hat Thunfisch fast ausgerottet. Nun gibt es erste Zuchterfolge.
Maydell: Auch in Österreich wachsen hervorragende Menschen auf, weil sie einen Weg um die
Blockaden herum finden. Aber es gibt ein Imageproblem: Zurzeit ist die Elite eher in der Kritik, weil sie
zu wenig Orientierung bietet und ihre Rolle unzureichend wahrnimmt.
Wie bewerten Sie die Einstellung der Jungen zu Bildung und Leistung?
Maydell: Die heute 40- bis 50-Jährigen haben einen anderen Leistungsbegriff als 20-Jährige. So
schwindet etwa die Vorstellung, nur einen Arbeitgeber im Leben zu haben, Karrierewege sehen anders
aus. Die Jungen wollen aber genauso Leistung erbringen, Sinn stiften und etwas hinterlassen. Firmen
müssen den Mitarbeitern ihrerseits mehr Freiraum geben, weil die Jungen sonst nicht mehr kommen.
Viele große Unternehmen haben das Problem, dass sie nicht erste Wahl bei den Bewerbern sind.
Heinisch: Punkto Bildungsbewusstsein wäre es wichtig, das Thema in der politischen Debatte
aufzuwerten. In den USA werden Staatsgäste an Unis geladen. In Österreich geht man ins Burgtheater.
Den Universitäten fehlen im Verteilungskampf mächtige Lobbys, weil kaum einer weiß, was sie
machen. Nur jeder fünfte Österreicher ist Akademiker, alle anderen finanzieren diese Elite mit. Klar,
dass viele glauben, dass es „denen“ eh so gut geht.
Wer leidet unter den Konsequenzen? In welchen Bereichen ist der Elitemangel am
deutlichsten spürbar?
Maydell:Meiner Ansicht nach gibt es kein spezifisches Eliteversagen, sondern eher ein Versagen der
Kommunikation zwischen den Eliten. Als es der Wirtschaft gutgegangen ist, haben sie die Politik vor der
Tür warten lassen, jetzt, da es der Wirtschaft schlecht geht, redet die Werteelite von Exzessen. Dieses
gegenseitige Anschwärzen – ob berechtigt oder nicht – führt dazu, dass den Leuten die Orientierung
fehlt. Obwohl sich die Entscheidungsträger jeden Tag in Wien treffen, wird man das Gefühl nicht los,
dass die Gruppen komplett unterschiedliche Standpunkte vertreten.
Heinisch: Das würde ich unterschreiben. In den USA gehen Politiker an die Uni, in die Wirtschaft und
zurück. Man lernt die jeweils andere Seite kennen. In Österreich gibt es eine Kunstelite, eine
Bildungselite, eine Geisteselite, eine Wirtschaftselite. Jeder bleibt in seinem eigenen Zirkel, Feindbilder
werden aufgebaut, über den anderen weiß man oft erschreckend wenig. Jeder vertritt nur seine eigene
Sicht, ein nötiger Grundkonsens ist nicht erkennbar.
Wie sähe dieser Grundkonsens aus?
Heinisch: Ich denke, man sollte vor allem eines diskutieren: Was wollen wir umsetzen, und was sind
die Konsequenzen? Wenn ich eine Marktwirtschaft will, brauche ich einen relativ freien Kapitalmarkt.
Die Debatte läuft zurzeit aber so ab, dass wir das eine wollen, die logischen Nachteile davon aber nicht.
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