1. Marketing & Vertrieb Update Wissenschaft
Wie soziale Medien den
E-Commerce verändern
Autor: Markus Pfeiffer
Eine etwas umfangreichere Analyse der
In Zeiten, in denen von Internetstars wie Four- wissenschaftlichen Marketing- und
square und Facebook berichtet wird, sollte man Business-Journals der vergangenen
zwei Jahre fördert aber doch zumindest
auch Marketingforschungsergebnisse betrachten. ein paar handfeste Ergebnisse zutage:
Denn für viele Praktiker ist die Integration von So- Beinahe jedes Unternehmen verfügt
heute über eine eigene Homepage,
cial Media oder Social-Commerce-Angeboten wie auf welcher dem Kunden die eigene(n)
Marke(n) und Produkte präsentiert
Groupon noch ein weißer Fleck im Marketingmix. werden. Für viele Unternehmen ist es
aber auch schon zur Normalität gewor-
Tatsächlich stellt man schnell fest, Kommunikation auf den Abverkauf den, eigene Produkte über das Web zu
dass die Social-Media-Euphoriewelle von Produkten (Social Commerce) aus- verkaufen, und zwar unabhängig davon,
bei den jungen, genauso wie auch einandersetzen. Weder Couponing- ob es sich um hochpreisige Luxusgüter,
den erfahrenen Marketingforschern Geschäftsmodelle à la Groupon wer- Automobile oder einfach nur Zahnpasta
der Prominenz wie Kevin Lane Keller den untersucht, noch gibt es beson- handelt.
angekommen ist. Bei der diesjährigen ders valide Ergebnisse im Bereich des Dennoch gibt es eine Reihe von Fakto-
Marketing-Science-Konferenz, inter- Mobile Commerce, also der mobi- ren, die den Erfolg von Online-Trans-
nationaler Gradmesser und Bühne für len Nutzung von Informations- und aktionen positiv oder negativ beein-
die renommiertesten Marketingwis- Shoppingangeboten. f lussen: „Soziale Dimensionen“ spielen
senschaftler der Welt, beschäftigten insbesondere dort eine wichtige Rolle,
↘
sich immerhin knapp 20 Prozent aller wo mangelndes Vertrauen in einen
Vorträge (insgesamt gab es rund 105 Anbieter häufig zur Kauf barriere wird.
Präsentationen) mit Themen rund um Praxistipp Dies gilt für Kategorien, bei denen das
Internetmarketing. wahrgenommene Kaufrisiko aus Sicht
Der Schwerpunkt lag dabei auf den • Bauen Sie Ihre Präsenz im digitalen der Konsumenten besonders hoch ist,
Bereichen der Online-Werbung (mit Umfeld weiter aus und nutzen Sie die etwa bei der Auswahl von Hotels oder
25 Studien) und der klassischen So- Chancen durch digitale Medien. Restaurants. Beispielsweise wies das
cial-Media-Themen (37 verschiedene • Stellen Sie wertvollen Kunden Autorenteam um Ray L. Benedicktus in
Vorträge) rund um Word-of-Mouth, Coupons zur Verfügung, die sich auf einer Studie im „Journal of Retailing“
Blogs oder Studien zur Nutzung von Smartphones empfangen und am nach, dass die Zufriedenheits- und
Twitter für Marketingzwecke. Auf- Point of Sale (PoS) einlösen lassen. Servicerankings auf Webseiten wie yelp
fallend viele der präsentierten For- • Wappnen Sie sich für die nächste .com und tripadvisor.com einen sig-
schungsarbeiten behandelten Fra- Stufe des Social Commerce, bei der nifikanten Einf luss auf das Vertrauen
gen der Kommunikation, das heißt, Nutzer am Point of Sale identifiziert in ein Angebot haben. Das wiederum
welche Zielgruppe kommuniziert mit und deren Daten direkt ins Customer- treibt selbstverständlich die Kaufwahr-
wem und warum über welche Social- Relationship-Management(CRM)- scheinlichkeit.
Media-Kanäle. Dagegen sind ledig- System der Händler integriert werden Laut einer von Marketingwissenschaft-
lich vereinzelt Arbeiten zu finden, die können. ← lern der University of Southern Califor-
sich mit den Auswirkungen dieser nia veröffentlichten Studie sind diese
28 absatzwirtschaft 10/2011
2. Platzhirsch des Mobile Couponing: Groupon führt momentan beim
Coupon-Versand. Durch die Smartphone-Verbreitung erlangt Coupo-
ning auch für den Online-Handel eine zusätzliche Nutzendimension.
persönlichen Empfehlungen wirksam, wenn es sich um
Nischenprodukte kleiner Anbieter handelt. Das ist intuitiv
nachvollziehbar, denn wo die Markenreputation als Vertrau-
enssurrogat fehlt, kann Word-of-Mouth laut Feng Zhu und
Xiaoquan Zhang eine wichtige Rolle spielen.
Aber auch, wenn nur eine geringe Anzahl von Empfehlungen
vorhanden ist oder gar negative Meinungen dominieren,
kann zusätzliches Vertrauen geschaffen werden. Dann spielt
Benedicktus zufolge jede Form von Werbung und spielen
auch Formen von Sponsoring oder anderen Kommunika-
tionsmaßnahmen wie Suchmaschinenmarketing (Search
Engine Marketing, SEM) oder Search Engine Optimization
(SEO) eine zentrale Rolle. Was nach Ansicht von Adwait Khare
und seinen Kollegen wiederum dafür spricht, alle Online-
Maßnahmen zu 100 Prozent auch mit dem klassischen
Kommunikationsmix abzustimmen – falls daran überhaupt
noch jemand Zweifel hatte.
Im Vorteil befinden sich zudem Unternehmen, die „hybride“
Händler sind, also sowohl über einen Online-Shop als auch
einen realen Vertriebskanal verfügen. Für Benedicktus und
Autoren hat es den Anschein, dass diesen Anbietern eher ein
gewisses Wohlwollen und Vertrauen zugesprochen wird, falls
es zu Problemen oder Reklamationen kommt, denn reinen
Online-Unternehmen. Einerseits mag das für die in der
Studie untersuchten Fälle richtig sein. Andererseits zeigt die
Internetpraxis, dass auch reine Internethändler wie Zalando
mit einem Jahresumsatz, der sich mittlerweile auf mehr als
200 Millionen Euro beläuft, mehr als nur Achtungserfolge
erzielen.
Während die dargestellte Rolle von Consumer Reviews als
Mund-zu-Mund-Werbung schon lange bekannt ist, haben wir
es bei deren Verbreitung jetzt doch mit neuen und sehr viel
effizienteren Kanälen zu tun. Denn: Facebook-Empfehlungen
(„Likes“) sind heute per Mausklick möglich und die virale
Verbreitung von Videos über Youtube sowie das Sharing auf
den verschiedensten Kanälen gehören bei den Nutzern zum
Alltag. Beinahe jeder hat sich inzwischen an die obligatorische
Liste von Schaltf lächen („Buttons“) gewöhnt, die einem das
Weiterverteilen von Inhalten erleichtern.
3. Marketing & Vertrieb Update Wissenschaft
Mit dem Siegeszug der sozialen Netz-
werke haben sich die Nutzer allerdings ↘
auch immer mehr von Websites großer
Marken wegbewegt. Heute wird mit Ab-
Literatur
stand am meisten Internetnutzungszeit Benedicktus, Ray L.; Brady, Michael K.; Darke, Peter R.; Voorhees, Clay M.: Con-
auf sozialen Medien verbracht. Dadurch, veying Trustworthiness to Online Consumers: Reactions to Consensus, Physical
dass Verbraucher mittlerweile häufiger Store Presence, Brand Familiarity, and Generalized Suspicion, Journal of Retailing,
über das Smartphone auf das Internet December 2010, S. 322–335.
zugreifen als über den Computer (PC) Dickinger, Astrid; Kleijnen, Mirella: Coupons going wireless: Determinants of
zu Hause beziehungsweise im Büro consumer intentions to redeem mobile coupons, Journal of Interactive Marketing,
(zumindest zutreffend für den Vorreiter 2008, 22, 3, S. 23–39.
USA), wird das Phänomen noch weiter Khare, Adwait; Labrecque, Lauren I.; Asare, Anthony K.: The Assimilative and Con-
verstärkt. Die Facebook-App gehört zu trastive Effects of Word-of-Mouth Volume: An Experimental Examination of Online
den am meisten genutzten Apps über- Consumer Ratings, Journal of Retailing, March 2011, S. 111–126.
haupt und ist heute auf mehr als 99 Lee, Tzong-Ru; Chen, Shiou-Yu; Wang, Shiau-Ting; Chang, Shuchih Ernest: Ad-
Prozent der iPhones installiert. Große option of mobile Location-Based-Services with Zaltman Metaphor Elicitation Tech-
Marken und Händler können also nicht niques, International Journal of Mobile Communications, 2009, 7, 1, S. 117–132.
mehr darauf warten, dass Konsumen- Shankar, Venkatesh; Venkatesh, Alladi; Hofacker, Charles; Naik, Prasad: Mobile
ten zu ihnen kommen, sondern müs- Marketing in the Retailing Environment: Current Insights and Future Research
sen ihre Präsenz im digitalen Umfeld Avenues, Journal of Interactive Marketing, May 2010, S. 111–120.
der Verbraucher konsequent auf- und Zhu, Feng; Zhang, Xiaoquan (Michael): Impact of Online Consumer Reviews on
ausbauen. Für kleine, aber auch für Sales: The Moderating Role of Product and Consumer Characteristics, Journal of
bekannte Marken wird es damit immer Marketing, March 2010, S. 133–148. ←
schwieriger, ausreichend Aufmerksam-
keit der Nutzer zu gewinnen.
Kaufanreize über Discounts und Cou- Auch Astrid Dickinger und Mirella Management(CRM)-Systemen oder
pons zu verbreiten ist zum Standard Kleijnen kommen in ihrer Studie im Loyalitätsprogrammen der Händler
geworden. Weltmarktführer für das „Journal of Interactive Marketing“ zu zulassen.
Versenden ist derzeit das Start-up Grou- ähnlichen Erkenntnissen und nennen Mit der weiteren Entwicklung von
pon mit über 115 Millionen Nutzern als entscheidenden Erfolgsfaktor die Mobile-Payment-Technologien wie Near
und 500 Millionen Dollar Umsatz im Einfachheit im Zugang und beim Ein- Field Communication und Anwendun-
Jahr 2010. Daneben existieren aller- lösen der Gutscheine als Erfolgsfaktor. gen, welche den Komfort für Kunden
dings weltweit bereits mehr als 2 000 Doch hier liegt ein wichtiger Trade-off: am PoS erhöhen (wie 3-D-Scanning
Klone, die das Geschäftsmodell eifrig Denn einerseits sollen die Discounts oder RFID), wird all das noch wichti-
kopieren. leicht erreichbar sein, andererseits zieht ger werden. Für den Handel gilt jetzt:
man damit vor allem „Value Seekers“, „Retailers should embrace the power of
Eine zusätzliche Nutzendimension hat also Kunden, die auf der Suche nach the personal nature and portability of
das Mobile Couponing durch die Ver- Rabatten sind, an. Genau das ist immer mobile devices, which eminently distin-
breitung von Smartphones erlangt, mehr zum Kritikpunkt im Mobile Cou- guish mobile marketing from both on-
die für den Online-Handel eine zen- poning geworden, denn wer will nur line and off line marketing.“ Klassische
trale Bedeutung hat. Konsumenten Schnäppchenjäger als Kunden haben? Werbung hilft zwar, markenbezogene
können Coupons auf ihrem Smart- Inhalte zu vermitteln, detailliertere
phone empfangen und anschließend Deutlich wird, dass die Ausrichtung auf Informationen holen sich Verbraucher
einlösen – und das in einem jeweils Verbraucher und deren Bedürfnisse im jedoch über Online-Reviews. Aber erst
relevanten örtlichen und zeitlichen Online-Handel zunimmt. Das Marke- das Mobile Marketing ermöglicht laut
Kontext (Location-based-Service). Das ting wird sich damit mehr und mehr Marketingprofessor Venkatesh Shankar
heißt, man bekommt genau dann die am echten Verkaufserfolg messen lassen eine Zwei-Wege-Kommunikation, die
richtigen Discounts, wenn man vor dem müssen. Während bei Online-Display- Nutzern zum richtigen Zeitpunkt und
relevanten Geschäft steht. Werbung noch der Klick auf die eigene am richtigen Ort die lokal relevanten
Die zentralen Erfolgsfaktoren einer Website im Vordergrund steht, zählt im Angebote bietet. Der Erfolg des Marke-
derartigen „Rabattmarken-Kampag- Mobile Marketing schon der Abverkauf tings wird damit beinahe in Realtime
ne“ lassen sich kurz zusammenfassen. am realen Point of Sale (PoS). Künftig am Abverkauf messbar. Ist das nicht das,
Tzong-Ru Lee und Kollegen identifi- wird das Marketing auch Transparenz was wir Marketer immer wollten? ←
zieren in ihrer Studie zwei Aspekte: darüber haben, ob man es mit einem
die Einfachheit in der Nutzung (beim wertvollen Kunden zu tun hat. Denn die autor
Abrufen und Einlösen des Coupons) nächste Entwicklungsstufe des Social Dr. Markus Pfeiffer ist Managing Partner bei
Vivaldi Partners. Seine Kernkompetenzen liegen
und der wahrgenommene persönliche Commerce wird auch die Identifikation
in den Bereichen Brand-Management, strategi-
Nutzen (der Umfang der Preisreduk- des Users am PoS und die Integrati- sches Marketing und digitale Medien.
tion oder die Relevanz des Angebots). on mit den Customer-Relationship-
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