1. Informationskompetenz in der Schule
Zur Studie “Teachers' conceptions of student information literacy learning and
teachers' practices of information literacy teaching and collaboration with the
school library” von Nathalie Mertes
In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es den Spruch „Man muss
nicht alles wissen. Man muss nur wissen, wo es steht.“ Der Wissensspeicher, der sich
außerhalb des menschlichen Gedächtnisses befand, war damals noch
vergleichsweise überschaubar: gedruckte Bücher, das häusliche Bücherregal, die
öffentliche Bibliothek. Dreißig Jahre später ist im Internet ein gigantischer, aber auch
chaotischer Wissensspeicher nur noch einen Tastendruck entfernt. Die
Suchmaschinen werden immer komfortabler. Der Gang ans Bücherregal, das
Blättern im Buch oder das Aufsuchen der Stadtbibliothek scheinen überflüssig
geworden zu sein. Stattdessen wird gegoogelt.
Vor allem für die Schule werden das Meer der digitalen Informationen und die
Neigung, alles und jedes zu googeln, zum Problem. Statt die in vielfacher Auflage
aktualisierten und behördlich zugelassenen Lehrbücher oder gedruckte Lexika zu
Rate zu ziehen, werden Informationen heute in der „Wildnis“ Internet
zusammengesucht. Das ist oft zeitraubend und vor allem unsicher, was die Güte der
Information betrifft: Stammt die Islam-Definition von den Wahhabiten, erklärt eine
Sozialistin den Neo-Liberalismus oder ein Freikirchler die Entstehung des Menschen?
Lösen soll dieses Problems die Schulung der Informationskompetenz von Schülerinnen
und Schüler.
Dieser in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgekommene Begriff für
wissenschaftsorientierte Informationsbeschaffung zielte ursprünglich auf
Verbesserung der Benutzerorientierung und Benutzerschulung in wissenschaftlichen
Bibliotheken. Inzwischen sind auch Schulen und die Erwachsenenbildung Adressaten.
Nicht nur die Informationsbeschaffung aus Büchern ist Thema, vor allem sind die
Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien gemeint. Naheliegend ist, dass der
Umgang mit Computern und Internet sowie der Datenschutz einbezogen werden.
Medienkompetenz wird je nach Forscher als Ober-, Unter- oder Nachbarbegriff von
Informationskompetenz verstanden. Eingeübt werden soll ein mehrstufiger
Lernprozess:
• Erkennen, dass man einen Informationsbedarf hat
• Wissen, wo und wie man Informationen sucht und findet
• Wie man sie auf ihre Seriosität überprüft
• Wie man sie auswertet, erfasst, ordnet, auswählt und in die Aufgabe integriert
1
2. • Wie man sie präsentiert und ins eigene Wissensrepertoire übernimmt.1
Zu diesem Zweck haben deutsche Bibliotheks- und Informationswissenschaftler nach
angelsächsischem Vorbild Bildungsstandards, Kompetenzraster, Curricula und
Lernzielkataloge vom Kindergarten bis zum Abitur erarbeitet. Vereinzelt hört man
auch die Forderung nach einem Schulfach „Informationskompetenz“ oder spricht
von einer neuen Fachdidaktik.2
Flankiert wird der Ruf nach Vermittlung von Informationskompetenz durch Studien,
die den Nachweis führen, dass Lehrer und Schüler nicht in der Lage seien, mit der
enormen Masse von Treffermeldungen in Suchmaschinen kompetent umzugehen.3
Aus Lehrersicht irritiert, dass die einschlägigen Curricula und Bildungsstandards ohne
Mitarbeit von Lehrern, Schuldidaktikern oder Erziehungswissenschaftlern erarbeitet
wurden. Dass und wie Schule schon im vordigitalen Zeitalter Informationsrecherche
beibrachte, interessiert anscheinend nicht. Der Umgang mit Quellen,
Zeitungsanalyse, Textsorten, Referaten und Facharbeiten, der Gebrauch von
Nachschlagewerken sind bis heute Themen des Unterrichts. Es sei dahin gestellt, ob
diese immer und überall zufriedenstellend unterrichtet wurden. Aber ganz neu sind
die Recherche von Informationen und ihre Präsentation nun auch wieder nicht. Wer
US-amerikanische Fachliteratur zu Informationskompetenz liest, gewinnt gar den
Eindruck, dass kritisches Denken erst mit dem Training der - digitalen -
Informationskompetenz ins Blickfeld geraten wäre.4
Es ist nicht zu bestreiten, dass die Vermittlung von Informationskompetenz sinnvoll ist.
Irritierend an der gegenwärtigen Diskussion ist aber zweierlei:
• Der aus dem bibliothekarischen Raum stammende Begriff hat auch eine
berufspolitische Bedeutung. Angesichts der Abwanderung von gedrucktem
Wissen ins Internet und in Datenbanken, nicht zuletzt angesichts der
elektronischen Bücher und der jederzeitigen Erreichbarkeit dieser Daten auf nicht
ortsgebundenen, digitalen Endgeräten, stellt sich die Frage nach der Zukunft
dieses Berufsstandes. Eine Antwort ist: Navigator auf dem Meer der Informationen.
Er hilft dem Kunden, die richtigen Informationen zu finden.5
• Das Thema wird an Lehrer und Schule herangetragen, ohne dass eine
Auseinandersetzung mit den Bedingungen von Unterricht und Lehrertätigkeit
1
In Anlehnung an “Informationskompetenz” in Wikipedia,
http://de.wikipedia.org/wiki/Informationskompetenz (aufgerufen am 3.3.2014)
2
„Schulfach“: Sonja Gust von Loh, Wolfgang G. Stock, Informationskompetenz als
Schulfach?, URL für das Vorwort: http://www.phil-fak.uni-
duesseldorf.de/fileadmin/Redaktion/Institute/Informationswissenschaft/stock/Informationskompetenz_
Vorwort_03.pdf. „Fachdidaktik“: Agnes Kürzl, Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Lehrern und
Bibliothekaren bei der Vermittlung von Informationskompetenz an Schüler der Sekundarstufe II, URL:
http://fiz1.fh-potsdam.de/volltext/diplome/06310.pdf (17.07.14)
3
Celeste McNicholas, Ross J. Todd; New kids on the box: is it worth the effort and investment?,
http://image.slidesharecdn.com/scaffolding-the-research-process-1204576206116547-2/95/slide-24-
728.jpg?cb=1287840135
4
Heather Davis, Critical literacy? Information, Eintrag im Blog “In the Library with the Leadpipe,
http://www.inthelibrarywiththeleadpipe.org/2010/critical-literacy-information/ v .3.2.2010, (aufgerufen
am 17.7.14)
5
Dann müsste man aber kritisch fragen, ob es klug ist, Schülern Informationskompetenzen
beizubringen, weil man sich tendenziell überflüssig macht.
2
3. stattgefunden hat. An der Ausarbeitung der einschlägigen Curricula und
Standards sind, nach meiner Kenntnis, keine Pädagogen oder
Erziehungswissenschaftler beteiligt gewesen.
Die Vermittlung der Kompetenzen wird als alleinige Aufgabe der Bibliothekare
gesehen, durchaus auch in Kooperation mit Lehrern.6
Im Zusammenhang mit unserem Thema wären demnach einige Fragen zu klären:
• Wie ist es um Informationskompetenzvermittlung in Schulen bestellt?
• Welche Informationskompetenzen sind für Lehrer wichtig?
• Welche halten Lehrer für ihre Schüler für wichtig? Wie schätzen sie die
Informationskompetenz ihrer Schüler ein?
• Worauf achten Lehrer bei Rechercheaufgaben? Auf welche Kompetenzen legen
sie wert? Wo und wie intervenieren sie im Rechercheprozess?
• Wie sehen Lehrer die Schulbibliothek und den Schulbibliothekar?
• Ist in der Schule der Zugang zur Information das A und O oder liegt der
Schwerpunkt auf Wissenserwerb?
• Wie wirken sich die Rahmenbedingungen von Schule und Unterricht - Zeit,
Fachunterricht, Lehrpläne u. a. - aus?
• Könnte das Modell der Zusammenarbeit von (Fach-)lehrern und
informationskompetenten Schulbibliothekaren bei der Vorbereitung und
Durchführung des Unterrichts die Qualität von Unterricht und die
Schülerleistungen verbessern?7
Diese Fragen sind weitgehend ungeklärt. Die Lehrerrolle bei der Vermittlung von
Informationskompetenzen ist bisher nicht untersucht worden. Dazu gehört auch die
Zusammenarbeit mit der Schulbibliothek, obwohl sie in angelsächsischen Ländern
Eingang in die Schulpraxis gefunden hat. Wie sie abläuft, wie sie von den Beteiligten
wahrgenommen wird, ob sie überhaupt funktioniert, wo die Probleme liegen, ist
wissenschaftlich wenig erforscht.8
6
Z. B. steht im Paragraphen 5(2) des hessischen Bibliotheksgesetzes von 2010: „Öffentliche
Bibliotheken dienen der schulischen, beruflichen und allgemeinen Bildung und Information, der
Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz sowie der Pflege von Sprache und Literatur.“ In
diesem Zusammenhang nicht genannt sind Schulen und Schulbibliotheken(!), sondern nur öffentliche
Bibliotheken (und deren Personal), die das vermitteln sollen, URL:
http://www.rv.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/3l1u/page/bshesprod.psml?pid=Dokumentanzeige
&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=3&numberofresults=202&fromdoctodoc=ye
s&doc.id=jlr-BiblGHErahmen%3Ajuris-lr00&doc.part=X&doc.price=0.0&doc.hl=1 (17.07.14)
Eine realistische Einschätzung des in öffentlichen Bibliotheken dafür vorhandenen Potenzials zeigt die
Grenzen dieses Ansatzes: Generelle Knappheit des Personals, geringe Zahl der dafür in fachlicher
wie didaktisch-methodischer Hinsicht Qualifizierten, fehlende schulnahe Versorgung mit öffentlichen
Bibliotheken, fehlende Ausstattung der öffentlichen Bibliotheken für den Unterricht von Schulklassen.
7
In “Die Schulbibliothek im Zentrum. Erfahrungen, Berichte, Visionen“, Berlin 2013, stelle ich das
Konzept der Zusammenarbeit vor. Sie ist zwar in der angelsächsischen Schulbibliothekarsausbildung
und in der Fachliteratur Thema, aber weit entfernt davon, im Schulalltag selbstverständlich zu sein.
Vergleichbar ist das mit dem deutschen Referendariat, in dem Gruppenarbeit und offener Unterricht
geübt werden, während im Schulalltag dann Frontalunterricht vorherrscht.
8
R. J. Todd, The Dynamics of Classroom Teacher and Teacher Librarian Instructional Collaborations.
In: Scan, v.27, no.2, May 2008, p.19-28 (ISSN: 0726-4127), URL:
http://trove.nla.gov.au/work/153058013?versionId=166808395 (14.07.14); in der vorliegenden Arbeit
3
4. Die Forschungslücke wird nun sehr viel kleiner durch die Dissertation von Nathalie
Mertes: “Teachers' conceptions of student information literacy learning and teachers'
practices of information literacy teaching and collaboration with the school library”9
Die fundierte Studie wurde in einer US-amerikanischen, privaten High School
(Klassen7-12) durchgeführt, weil in den USA Fachlehrer und Schulbibliothekar
zusammenarbeiten, wenn auch nicht überall und nicht ohne Friktionen. In
Deutschland gibt es keine hauptamtlichen, speziell ausgebildeten
Schulbibliothekare. Dennoch ist diese Studie auch für die deutschen Verhältnisse
hilfreich.
Bibliotheks- und Informationswissenschaftler/-innen, die Standards und Curricula für
schulische Informationskompetenzvermittlung entwerfen und beanspruchen, Lehrern
und Schülern diese Kompetenzen beizubringen, erhalten hier - erstmals -
Informationen darüber,
• was die Fachlehrer von der Schulbibliothek erwarten und wie sie sie nutzen
• wie diese über Informationskompetenz denken
• was für sie im Rechercheprozess besonders wichtig ist
• welche Stärken und Schwächen sie bei der Informationskompetenz ihrer
Schüler sehen
• welche fächerspezifischen Unterschiede sich ergeben
Es wurden Schüler, Schulleitungsmitglieder, Lehrer und die Schulbibliothekare (zwei
ausgebildete Schulbibliothekare und eine Assistentin) interviewt und mittels
Fragebögen befragt.
Hier sind einige Ergebnisse:
Lehrer, Schüler und Schulleitungsmitglieder sagen übereinstimmend, dass
Informationskompetenzen von nahezu allen im Kollegium vermittelt würden. Fast alle
Fachlehrer würden Rechercheaufgaben geben, nicht nur die Schulbibliothekare.
Lehrer würden nicht nur selbst Informationen im darbietenden Unterricht geben,
sondern auch Wert darauf legen, dass sie von den Schülern erarbeitet werden. Es
komme nicht nur auf das fertige Referat an, sondern auf den Rechercheprozess.
Im Lehrplan sind in verschiedenen Jahrgangsstufen längere und kürzere
Rechercheprojekte vorgesehen. Im Laufe der Schulzeit kann davon ausgegangen
werden, dass die Schüler gelernt haben, Informationen in verschiedenen Medien zu
finden und zu verwenden. Bei der Nutzung der Bibliothek als Ort für Projekte mit
„Forschungsaufgaben“ gibt es allerdings beträchtliche Unterschiede. Das Internet
ersetzt häufig den Bibliotheksbesuch, weil Schüler lieber dort recherchieren, als in die
Bibliothek zu gehen. Zunehmend arbeiten sie auf ihren eigenen Endgeräten. Manche
werden nicht nur die eigenen Befunde diskutiert, sie enthält auch eine hervorragende Übersicht über
die angelsächsische Forschung zur Zusammenarbeit (p. 89ff).
9
http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/mertes-nathalie-2014-03-04/METADATA/abstract.php?id=40539
4
5. Lehrer benutzen die Schulbibliothek nur für ein längeres Projekt, aber nicht im
normalen Unterricht, manche brauchen sie in ihrem Fach überhaupt nicht.
Generell scheinen die Lehrer kürzere Projekte zu bevorzugen. Auch bei diesen wird
auf Informationskompetenzen geachtet, aber man geht darin eher ins Internet als in
die Bibliothek. Gerne empfehlen Lehrkräfte Webseiten, die sie vorher „gescreent“
haben, auch weisen sie auf Bücher und Zeitschriften hin.
Nicht zu unterschätzen sind die systemischen Bedingungen:
Fach und Zeitaufwand sind wichtige Bedingungsfaktoren. Während die
Schulbibliothekare lieber längerfristige Projekte machen möchten - zwei bis vier und
mehr Wochen dauernd, acht bis zehn Druckseiten Umfang, 30 min Präsentationszeit -
tendieren die Lehrer zu kürzeren Projekten. In den AP-Kursen (Advanced Placement,
d. h. Unterricht auf Collegeniveau) wird wegen des Zeit- und Stoffdrucks auf
Rechercheprozesse nach den informationsfachlichen Methoden etwa von Carol
Kuhltau oder Mark Eisenberg lieber ganz verzichtet.10 Die leistungsbereiten Schüler
dieser Kurse würden sich per Hausaufgaben Informationen selbständig beschaffen.
In diesen AP-Kursen geht es darum, auf die standardisierten Leistungstests
vorzubereiten. Informationskompetenzen werden eher in regulären Klassen und
Wahlpflichtkursen unterrichtet, Dort ließen sich Schüler dadurch motivieren, sich
intensiver mit einer Sache auseinanderzusetzen. Das sei in den AP-Kursen nicht nötig.
Wenn man zwischen den Zeilen liest, entsteht beim Lesen der Lehrer-Statements der
Eindruck, dass Projektunterricht und lange Rechercheprozesse als „pädagogischer“
gelten, aber der geheime Lehrplan der intensiven Stoffvermittlung in den Köpfen
steckt.
Am liebsten kooperieren die Geschichtslehrer, während Mathematiker,
Naturwissenschaftler und Sprachler die Bibliothek weniger nutzen.
Die größten Probleme haben Schüler bei der Informationssuche nach Auffassung der
Lehrer bei diesen Schritten:
• Wie man eine wichtige Information von einer unwichtigen unterscheidet
• Wie man die Güte von Internetquellen feststellen kann
• Wie man die gefundenen Informationen exzerpiert und sammelt
• Wie man zusammenfasst („extremely difficult“ sagt ein Lehrer)
• Wie Informationen zu Wissen werden (Knowledge Building): verstehen,
analysieren, anwenden usw.
• Wie man präsentiert
Was Lehrer außerdem bekümmert: Wie man Plagiate verhindert. Und es sei
schwierig, mit Schülern über den Rechercheprozess zu reflektieren. Für sie ist die
Aufgabe abgeschlossen, wenn das Endprodukt, die Präsentation, abgeliefert wurde.
10
In Kapitel 2, p. 53ff, wird ein Überblick über die Modelle des Rechercheprozesses gegeben. Auch
diese umfangreiche Literaturübersicht verdient, hervorgehoben zu werden.
5
6. Während das Suchen und Finden von Informationen für die Schulbibliothekare sehr
wichtig ist, rangiert es bei den Lehrern ziemlich weit hinten auf der Skala der
Probleme auf der Recherche.
Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Fach- und Bibliothekar aus?
Drei Viertel der Lehrkräfte haben schon in der Bibliothek unterrichtet, aber nur die
Hälfte davon hat dann mit dem Schulbibliothekar zusammengearbeitet. Am
beliebtesten ist, wenn dieser die Klasse darüber informiert, wo man Informationen
findet, wie man präsentiert und wie man die gefundenen Informationen anwendet
(Knowledge Building). Dazu kommt er in den Unterricht des Fachlehrers. Gerne
angenommen wird seine Mitarbeit bei der Unterrichtsvorbereitung.
Meist ist der Schulbibliothekar an der Notenfindung beteiligt, etwa bei der
Beurteilung des richtigem Zitierens, der Struktur des Berichts, der Methodik, dem
Arbeitseifer. Es gibt Lehrer, die ihre Klasse in die Bibliothek schicken und dem
Schulbibliothekar das gesamte Projekt mitsamt der Benotung überlassen. Das
wiederum hat zur Folge, dass dieser mit „seinem „Projekt“ beschäftigt ist und für
Lehrer, die Unterstützung suchen, schlecht ansprechbar.
Bei der Zusammenarbeit gibt es ziemlich alle Varianten, von enger Kooperation bis zu
gar keiner.
Gelobt wird von den Lehrern:
• Schulbibliothekare unterstützen einzelne, schwächere Schüler, suchen nach
geeigneten Materialien, schlagen Bücher vor, besorgen Bücher per Fernleihe.
Die Fachlehrer wenden sich überwiegend an die ganze Klasse. Sie
beobachten, weisen auf offensichtliche Fehler hin, machen Vorschläge,
nennen Quellen. Sie arbeiten aber selten längere Zeit mit einzelnen Schülern.
• Die Schulbibliothekare seien sowohl Medienspezialisten als auch Lehrer.11
Es gibt aber auch eine Fülle von Problemen:
Das in den USA übliche Scheduling macht es erforderlich, Benutzungszeiten für die
Bibliothek lange Zeit im Voraus zu reservieren, es gibt wenig Flexibilität. Man muss freie
Stunden finden, wenn der eigene Fachunterricht stattfindet, man muss mit der Klasse
in die Bibliothek umziehen. Dort sei es möglicherweise laut, man werde abgelenkt, es
gebe zu wenige Gruppenräume für ungestörtes Arbeiten. Schulbibliothekare neigen
dazu, so wird moniert, bei Projekten weniger strikt auf der Einhaltung vereinbarter
11
Die korrekte Berufsbezeichnung ist: School Library Media Specialist. Im Idealfall sind die
Schulbibliothekare weitergebildete Lehrer. In der Praxis sind es aber überwiegend Seiteneinsteiger
aus anderen Berufen. Dies dürfte erklären, dass viele US-Schulbibliothekare sich nicht als Kollegen
der Lehrer behandelt fühlen.
6
7. Abgabetermine zu bestehen. Dagegen finden die Schulbibliothekare, dass die
Zeitvorgaben der Fachlehrer zu knapp seien.
Schulbibliothekare und Fachlehrer hätten unterschiedliche Vorstellungen vom
Unterricht, das erschwere die Kooperation. Es gäbe keine gemeinsamen Ziele, die
Schulbibliothekare hätten ihre eigenen Methoden. Sie würden die Schüler enger
führen als die Fachlehrer, hätten wenig fachspezifisches Wissen, so dass sie mitunter
auch ungeeignete Materialien empfehlen würden.
Die Lehrer wollen die Verantwortung für den Unterricht nicht aus der Hand geben.
Sie müssen für den Lernerfolg der Schüler und das gute Abschneiden in den Tests
gerade stehen. Sie sehen die Vermittlung von Informationskompetenzen im engen
Zusammenhang mit dem Lernstoff, was bei den Bibliothekaren nicht so ausgeprägt
ist. Die sehen sie eher als fachunabhängige Methoden. Mancher Lehrer konzentriert
sich daher auf den regulären Unterricht und überlässt die Klasse für das curricular
vorgeschriebene größere Projekt dem Schulbibliothekar.
Zusammenfassung
Alle Lehrkräfte berücksichtigen Kompetenzen der Informationsrecherche in ihrem
Unterricht. Sie sehen sie im engen Zusammenhang mit ihrem jeweiligen Fach. Ein
fachunabhängiges Training von Fertigkeiten halten sie nicht für sinnvoll.
Die Nutzung der Schulbibliothek und die Zusammenarbeit mit dem Schulbibliothekar
sind in den Fächern sehr unterschiedlich.
Die Ausstattung der Schulbibliothek wird als unbefriedigend empfunden: EDV-
Ausstattung, Aktualität der Bücher, laute Umgebung, zu wenig Platz, unflexible
Benutzungsregeln, Überlastung der Bibliothekare.
Eine gedeihliche Kooperation zwischen Fachlehrern und dem Bibliothekspersonal ist
mühevoll. Die Ziele sind unterschiedlich. Einzelne Elemente der
Informationsrecherche werden unterschiedlich gewichtet. Für Lehrer ist der kritische
Umgang mit Informationen (Evaluation) wichtiger als das Finden von Information.
Geschätzt wird die „Türöffner“-Funktion der Schulbibliothekare: Sie unterstützen die
Fachlehrer bei der Planung von Unterricht durch Bereitstellung geeigneter
Ressourcen.
Schulbibliothekare haben eine anspruchsvolle Tätigkeit. Sie müssen mit einer Vielzahl
von Fächern, der Bandbreite des Lehrstoffs dieser Fächer sowie einer Vielzahl
unterschiedlicher Unterrichtsstile und Lehrererwartungen zurechtkommen. Die Palette
der Formen der Zusammenarbeit mit den Fachlehrern ist groß. Sie müssen in der Lage
sein, einzelne Schüler im Rechercheprozess zu unterstützen, Klassen zu unterrichten
und Lehrer fortzubilden. Es wird erwartet, dass sie einen digitalen und physischen
Schulbibliotheksbestand aufbauen, der für Lehrer und Schüler attraktiv ist.
7
8. Ihre Beiträge werden geschätzt, keineswegs aber wird ihnen die Vermittlung von
Informationskompetenzen gänzlich überlassen. Als gleichberechtigte Partner des
Lehrers werden sie eher nicht gesehen. Die Fachlehrer sind näher an den Schülern,
haben häufiger mit ihnen zu tun, sind letztlich verantwortlich für deren Schulerfolg, sie
fühlen sich verpflichtet, in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Menge Wissen zu
vermitteln.
Dem Fazit von Nathalie Mertes ist zuzustimmen: Die Schulbibliothekare sind zwar
Informationsspezialisten, aber sie sollten akzeptieren, dass auch die Fachlehrer
Informationskompetenzen vermitteln. Sie selbst sind immer nur phasenweise in
Unterricht involviert. Aber sie haben viele Möglichkeiten, gerade auch informelle,
nicht nur bei den „großen“ Rechercheprojekten, Lehrer zu unterstützen und
fortzubilden.
Beide, Fachlehrer und Bibliothekare, müssten daran arbeiten, zu einem
gemeinsamen Verständnis von Informationskompetenz und ihrer Vermittlung zu
kommen
Was lässt sich für das deutsche Schulbibliotheks- und Informationskompetenzwesen
lernen?
Informationswissenschaftliche Referenzrahmen, Curricula und Forderungen nach
einem eigenen Fach „Informationskompetenz“ sollten sich dem „Faktencheck“
dieser Studie unterziehen. Eine erfolgreiche Implementation von
Informationskompetenzvermittlung muss sich dem komplexen Unterrichtalltag der
Schule stellen, wie er hier aufgezeigt wird.12
Informationskompetenzen müssen vielfältig und variabel unterrichtet werden. Wobei
zu fragen wäre, ob sie in jedem Jahrgang, vom Kindergarten bis zum Abitur, und bei
jedem Thema, vermittelt und benotet werden müssen. Günstig ist ein Unterricht, in
dem beide Methoden zu ihrem Recht kommen, darbietende Formen und
forschendes Lernen.
Es muss diskutiert werden, ob eine zu große Gewichtung der Kompetenzorientierung
auf Kosten von Wissenszuwachs geht. Auch das wird in der vorliegenden Studie von
Lehrern angesprochen.13
12
Ein in dieser Studie nicht angesprochenes, aber in Deutschland höchst bedeutsames Problem:
Wann sollten Lehrer sich mit Schulbibliothekaren, so es sie gäbe, zusammensetzen? Transparente
Arbeitszeitmodelle gibt es erst in Ansätzen (Hamburg), in denen Teamsitzungen, Konferenzen und
Besprechungen auf die Lehrerarbeitszeit angerechnet werden.
13
Vgl. auch die Kritik an kompetenzorientierten Prüfungsaufgaben. Der Mathematikdidaktiker Hans
Peter Klein hat Neuntklässler Abituraufgaben des neuen kompetenzorientierten Typs mit
durchschlagendem Erfolg lösen lassen. Nötig war kein Fachwissen, sondern die Kompetenz, im Text
die richtige Information zu finden und wiederzugeben. Hans-Peter Klein, Nivellierung der Ansprüche,
FAZ v. 17.10.2010, URL: http://www.faz.net/frankfurter-allgemeine-zeitung/politik/nivellierung-der-
ansprueche-11057288.html (20.07.2014) Grundsätzliche Kritik am kompetenzorientiertem Lernen übt
Andreas Gruschka, Verstehen lehren. Ein Plädoyer für guten Unterricht, Stuttgart 2011
8