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Erleben Avignon
A
m allerbesten laufen die Unterhosen».
CindyChastagnerlachtherzlichundzeigt
auf die Auslage gleich beim Eingang.
Hier liegt der «slip français» in der edlen nachhalti-
gen Box und wartet auf modebewusste Träger. Nach-
haltigkeit von der Verpackung über die Herstellung
bis zur Entsorgung ist Pflicht, wenn es ein Produkt in
die Regale an der Place de la Principale in Avignon
schaffenwill.GemeinsammitihrerGeschäftspartne-
rin Julie Chazal hat die Designerin das Label CQFD
(Ce qu’il fallait découvrir/was zu beweisen war) ge-
gründet. Zudem: Alle Produkte in ihrem Concept-
store sind «made in France». Diesen Anspruch un-
terstreichen die beiden Frauen mit einer sauberen
Portion Witz: Statt des offiziellen stolzierenden Fran-
zosengüggels trägt das selbstbewusste Label ein cat-
walkendes Huhn mit roten High Heels im Logo.
Ein Festbruder kauft sich die Stadt
Unterhosen, sexy Schuhwerk, französische Produkti-
on: Passt eigentlich alles nicht ganz zur Stadt am
Ostufer der Rhone. Historisch gesehen natürlich.
Schliesslich haben hier einst sieben Päpste residiert,
nachdem es den Stellvertretern Gottes in Rom zu ge-
fährlich geworden war. Clemens VI, ein besonders
begnadeter Festbruder und Kunstfreund, kaufte 1348
die Stadt («man gönnt sich ja sonst nichts») und
machte sie zum Teil des Vatikanstaates. Deshalb war
Avignon bis zur Französischen Revolution eine italie-
nische Stadt mitten in der Provence. Überhaupt
Die Provence kann auch
ganz anders
Der französische Süden liegt näher als man denkt. Und hat mehr zu bieten als Béret,
Pastis und Pétanque. Ein Streifzug durch Avignon und Umgebung.
Text:Gaston Haas; Fotos:Cécile Mella
Anreise
Ab Bern 5:10h
Ab Genf 2:50h
Ab Luzern 6:15h
Ab Zürich 5:34h
Die Anreise mit dem TGV Lyria
ist schnell und komfortabel. Ab
Bahnhof Avignon TGV verkehrt
zweimal in der Stunde ein «Train
virgule» zum Hauptbahnhof von
Avignon direkt am Eingang zur
Altstadt. Das Billett kostet 1.50
Euro, die Fahrt dauert 5 Minuten.
Die Fahrt mit dem Taxi in die
Altstadt kostet etwa 15 Euro und
dauert rund 10 Minuten.
Taxiruf: +33(0)4 90391102
tgv-lyria.com
sbb.ch
Avignon: Blick von der Rhone-
insel Barthelasse auf die Pont Saint
Bénezet und den Papstpalast.
Foto:AlainHocquel
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Avignon Erleben
Stattdesstolzierenden
Franzosengüggels
trägtdasLabeleincat-
walkendesHuhnmitroten
HighHeelsimLogo.
Cindy Chastagner (l.) und Julie
Chazal in ihrem Conceptstore in
Avignon (cqfd-avignon.fr).
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Markthalle Avignon: Samstags ab 11 Uhr
kochen hier Küchenchefs ihre Rezepte.
Mit Produkten vom Markt, versteht sich.
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Avignon Erleben
strahltAvignoneineganzbesondereAtmosphäreaus.
Schon immer kamen hier Händler und Reisende vor-
bei; die Rhone war schon vor Jahrhunderten eine
wichtige Handels- und Reisestrasse. Und so kamen
hier nicht nur immer die neusten Waren an, sondern
auch Menschen, Kulturen und Ideen. Die heutige Pont
d’Avignon (genau: Sur le pont d’Avignon, l’on y
danse…), die Pont Saint Bénezet, wie sie offiziell
heisst, war lange der einzige steinerne Übergang über
Hierkamennichtnurdie
neustenWarenan,
sondernauchMenschen,
KulturenundIdeen.
die Rhone zwischen Lyon und Marseille. Und wenn
mansowillauchzwischenItalienundFrankreich.Von
den einst 22 Bögen haben die
Hochwasser der Rhone gerade
mal deren drei überdauert.
Deshalb reicht die Brücke mit
der kleinen Kapelle heute kaum
noch bis in die Mitte des Flus-
ses. Wegen seiner aussergewöhnlichen Lage, dem
Klima und der Mentalität seiner Einwohner wurde
Avignon nach und nach zu einem kulturellen und
intellektuellen Zentrum im französischen Süden.
Stadt der Kunst und der Kreativität
Voraussetzung dafür war und ist eine offene Grund-
haltung der Menschen. Am augenfälligsten ist dies
jeweils im Juli. Dann kommen am Theaterfestival von
Avignon seit 1947 und am jüngeren Off-Festival Tau-
sende von internationalen Künstlern und Hundert-
tausende von Besuchern aus aller Welt zusammen.
Diesen offenen und kreativen Geist erleben wir
bei Corinne Guyon ganz unmittelbar. Wir klingeln
und kurz darauf öffnet die zierliche Frau die schwere
Eichentür und bittet ins Innere. Und hier ist nichts
wieanderswo.Manwärewenigerstaunt,wennplötz-
lich der ewig verspätete Hase aus Alices Wunderland
die breiten Treppen aus dem 16. Jahrhundert hoch
hetzen würde. «Ich mag das Experiment und das
Überraschende», sagt sie und führt uns durch ver-
winkelte Gänge in ihre Universen: Die Küche, in de-
nen sie Kurse mit bekannten Küchenchefs aus der Re-
gion veranstaltet, Mal- und Nähateliers, Diners,
Cocktailparties oder Ausstellungen. Montags isst
man am Mittag und am Abend für vernünftiges Geld
Viel ist nicht geblieben von
der päpstlichen Sommerresidenz
in Châteauneuf-du-Pape.
Corinne Guyon
bittet in ihren
verwunschen-
verspielten
Stadtpalais,
das Maison
de Fogasses.
5. Erleben Avignon
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…stirbt der Reiz des Lebens,
wusste vor 2500 Jahren schon
ein alter Grieche. Wer es nicht
glaubt, entdecke es selber. Zum
Beispiel mit dem Velo. In der
Region Châteauneuf-du-Pape
führen diverse Velowege durch
die Reben. Wer mag, verbin-
det die Fahrt mit einer Degus-
tation oder einem Lehrpfad.
Syrah, Bourboulenc, Grena-
che oder Picpoul: 13 Trauben-
sorten sind insgesamt in der
Appellation zugelassen. Kaum
eine andere Weinregion bringt
daher vielfältigere Weine her-
vor. Die Velowege sind zumeist
flach und laden zum Schau-
en und Geniessen ein. Die un-
terschiedlichen Routen eignen
sich für ambitionierte Radfah-
rer oder gemütliche Familien-
touren.
provence-a-velo.com
Wo der Wein fehlt…
herrliche Gerichte. Tja, und wer etwas Zeit hat, mietet
eines der wenigen Zimmer auf Wochenbasis – zu
überraschend guten Preisen, versteht sich.
ZurückzudenhohenHerrenaufdemStuhldesPe-
trus. Weil es damals wie heute im Sommer in Avignon
ziemlich heiss werden kann, musste eine kühle Som-
merresidenz her. Was dem Römer-Papst sein Castel
Gandolfo, war den Tiara-Trägern aus der Provence
Châteauneuf-du-Pape.VompäpstlichenSchlosssteht
heute nur noch der Turm; den Rest haben die Bauern
der Umgebung nach der Revolution abgetragen und
zum Bau ihrer Häuser und Strassen verwendet.
Und doch ist der Ort zu einer Art Wallfahrtsort
geworden. Allerdings weniger für Geistliches als für
Geistiges. Die Weine, die auf den rund 3000 Hektaren
der Appellation gekeltert werden, gehören zum Bes-
ten, was Frankreich diesbezüglich zu bieten hat.
Etwas weiter südöstlich, in L’Isle-sur-la-Sorgue,
ist die Vergangenheit nicht nur greifbar, sie ist im
wahrsten Sinne des Wortes käuflich. Die hiesigen
Antiquitätenhändler machen den Ort mit ihren
Schätzen zu einem der bedeutendsten der Branche in
ganz Frankreich, ja in Europa. Vom schlichten Floh-
marktangebot bis zu schier unbezahlbaren Möbeln,
Gemälden, Statuen oder Porzellan reicht das Ange-
bot. Schlicht atemberaubend!
Die mächtigen Wasserräder zeugen von den gros-
sen Zeiten der Seiden- und Wollwebereien. Und die
romantischen Brücken über die vielen Arme und Ne-
benarme der gurgelnd-schäu-
menden Sorgue laden ein zum
Schauen und Flanieren. Wer an
einem Sonntag den Marché im
Stadtzentrumbesucht,wirddie-
se Ecke der Provence nie mehr
ganz vergessen können. Oliven, Lavendel, Blumen,
Gemüse, Früchte, Gewürze und mehr oder weniger
alles, was man daraus herstellen kann, betören die
Sinne. «Il vit comme un coq en pâte», sagen die Fran-
zosen dazu – leben wie Gott in Frankreich. Gut mög-
lich, dass die Herren Päpste aus der Gegend ihre gu-
ten Beziehungen nach ganz oben bis heute spielen
lassen. ■
provenceguide.com
avignon-tourisme.com
pays-provence.fr
oti-delasorgue.fr
rendezvousenfrance.com
Wersonntagsden
Marché besucht,wirddie
Provenceniemehr
ganzvergessenkönnen.
Wasser prägt das Ortsbild
von L’Isle-sur-la-Sorgue. Von
den einst Dutzenden von
Wasserrädern sind heute noch
deren sechs in Betrieb.
Sonntags verwandeln sich die Strassen in
L Isle-sur-la-Sorgue in einen üppigen Markt
mit weit über 250 Händlern.
6. Erleben Avignon
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ExklusiveTipps fürAvignonunddasUmland
La Maison de Fogasses
Ein magisches Haus, mitten in der Altstadt
von Avignon. Wer eintritt, taucht ein in
Corinne Guyons Reich der Fantasie, der
Kunst, des Handwerks und Experimentie-
rens. Übernachten geht übrigens auch.
Maison-de-fogasses.com
La table de Sorgues
Hinsetzen, essen und mit einem Lächeln
sterben: Was Sandrine und Jean-Paul
Lecroq auf den Tisch zaubern, treibt jedem
sinnlichen Wesen das Wasser in die Augen.
Und erst noch zu unglaublichen Preisen.
latabledesorgues.fr
Atelier Carton noir
Cécile Chappuis’ Kunstwerke aus Karton
finden Käufer in der ganzen Welt. Was die
Frau aus ganz normalem Karton in ihrem
Atelier in L’Isle-sur-la-Sorgue herstellt, ist
schlicht unglaublich.
carton-noir.com
Cinema Utopia – La Manutention
Das junge Kulturzentrum Avignons. Kino,
Konzerte, eine Bar und ein Restaurant mit
vernünftigen Preisen (tout fait maison) in
einem wunderbaren Dekor. Eine geniale
Oase abseits des Trubels.
cinemas-utopia.org/avignon
Weingut Nalys
Die Domaine liegt im Osten der Appella-
tion Châteauneuf-du-Pape. Die ältesten
Reben sind über hundert Jahre alt. Führun-
gen und Degustationen auf Anmeldung.
Durch die Reben führen Velowege.
domainedenalys.com
Hôtel Dongier Antiquités
30 Händler bieten in diesem wunderbaren
Anwesen aus dem Jahr 1600 ihre Schätze
an. Schauen Sie sich ungeniert um, fragen
Sie – und lassen Sie sich von den Geschich-
ten um die Objekte verzaubern.
hoteldongierantiquites.fr
Festival d Avignon
1947 von Jean Vilar gegründet, ist es das
berühmteste Theaterfest Frankreichs. Die
Aufführungen in der historischen Kulisse
der Stadt sind einmalig (4.–27. Juli).
festival-avignon.com
maisonjeanvilar.org
Domaine de Rhodes
Dieses Bed&Breakfast liegt auf der
Rhoneinsel Barthelasse in einem grossen
Park. Ein Traum in einer atemberaubenden
Umgebung für alle, die das Besondere zu
schätzen wissen.
domainederhodes.com
Bed&Breakfast Artishow
Fünf Zimmer, jedes gross genug zum
Fussballspielen, und jeweils einem Künstler
gewidmet. Die hohe Kunst des Übernach-
tens in einem Renaissance-Haus mitten in
der Altstadt von L’Isle-sur-la-Sorgue.
maisonartishow.com
Fotos:CécileMella,zVg