2. Literatur zur medizinischen Begutachtung
Empfehlung zur Abfassung von Gutachten in Arzthaftungsprozessen,
Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht der DGGG; AWMF 015/026 (S1)
Allgemeine Grundlagen der medizinischen Begutachtung, Leitlinie der
Deutschen Gesellschaft für neurowissenschaftliche Begutachtung und
andere, 07/2013 (AWMF 094/001)
Bayerlein, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 5. Aufl. 2015,
insbesondere Seiten 245 ff.
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„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
3. Gerda Müller, Arzthaftungsrecht und Sachverständigenbeweis, Zeitschrift
für Medizinrecht 2001, 487
Stegers/Hansis/Albers/Scheuch, Der Sachverständigenbeweis im
Arzthaftungsrecht, 2002
Demnächst: Uphoff/Hindemith: Das medizinische Gutachten – Was ist bei
der Abfassung medizinischer Fachgutachten aus juristischer Sicht zu
beachten?, Der Gynäkologe 2015
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„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
4. Grundlagen
§ 66 SGB V: Unterstützung der Versicherten bei Behandlungsfehlern
Die Krankenkassen sollen die Versicherten bei der Verfolgung von
Schadenersatzansprüchen, die bei der Inanspruchnahme von
Versicherungsleistungen aus Behandlungsfehlern entstanden sind und
nicht nach § 116 des X. Buches auf die Krankenkasse übergehen,
unterstützen.
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5. D.h. nach der Neuregelung des Patientenrechtegesetzes, welches am
26.02.2013 in Kraft getreten ist, müssen die Krankenkassen nunmehr
begründen, warum sie bei einem vermeintlichen Behandlungsfehler die
Versicherten nicht unterstützen wollen.
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6. Die Unterstützungsleistungen sehen hierzu (auch nach dem Leitfaden zur
Zusammenarbeit zwischen MDK und Krankenkassen) vor, dass die
Krankenkasse
• den MDK mit medizinischen Bewertungen oder Gutachten beauftragt.
Auftraggeber für die medizinische Bewertung und das Sachverständigen-
gutachten ist daher die Krankenkasse (!).
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7. Auswahl des Gutachters/Kompetenzüberschreitung als Fehlerquelle
medizinischer Gutachten
Der Sachverständige hat unverzüglich nach Eingang des Auftrages zu
prüfen, ob er für dessen Erledigung die erforderliche Fachkunde und eigene
Erfahrung besitzt.
Hält er sich nicht für kompetent, darf er keinesfalls von sich aus den Auftrag
ganz oder teilweise übertragen.
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8. Hansis in: Der Sachverständigenbeweis, S. 5:
Die Eignung des Sachverständigen hängt von folgenden Voraussetzungen
ab:
• wissenschaftliche und kritische Fachkompetenz,
• medizinrechtliche Kompetenz,
• zeitnahe Erstellung des Gutachtens,
• Neutralität des Gutachtens,
• persönliche Erstellung des Gutachtens.
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9. AWMF-Leitlinie, Allgemeine Grundlage der medizinischen Begutachtung,
S. 29
Vor Beginn zu klären:
Verfüge ich über ausreichende medizinische und rechtliche Kompetenz?
Liegen Hinderungsgründe (z. B. Besorgnis der Befangenheit) vor?
Ist eine rechtzeitige Gutachtenerstellung möglich?
…
Delegationsabsicht?
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10. Pflichten des Gutachters
• Objektivität und Neutralität (vgl. § 29 Musterberufsordnung)
• Unbefangenheit
Insbesondere Fragenkatalog der AG Medizinrecht der DGGG, Empfehlung
zur Abfassung von Gutachten, S. 1, 2.
Es besteht auch dann eine Besorgnis der Befangenheit, wenn der Sach-
verständige die Aussagen der Parteien bereits würdigt oder zum Inhalt
von Dokumentation und Aufklärung Wertungen abgibt (vorweggenommene
Beweiswürdigung oder einseitig akzentuierte Schlussfolgerungen).
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13. Aufbau, Inhalt und Stil des Gutachtens sind entscheidend (!).
Vgl. hierzu die „Checkliste Gutachten“ der Leitlinie „Allgemeine
Grundlagen der medizinischen Begutachtung“, S. 29, 30.
Bei streitigem Sachverhalt, insbesondere widersprechenden Aussagen
und Dokumentationen in Gedächtnisprotokoll und Behandlungsdoku-
mentation, muss der Gutachter alternativ beurteilen.
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14. § 404a III ZPO:
Bei streitigem Sachverhalt bestimmt das Gericht, welche Tatsachen der
Sachverständige der Begutachtung zugrunde legen soll.
Das Unterstellen von Sachverhalten, das Bewerten von Widersprüchen
oder die Würdigung von Dokumentationslücken ist strikt zu unterlassen.
Wenn die Dokumentation eine Behandlungsmaßnahme nicht beschreibt
oder eine Aufklärung nicht dokumentiert ist, ist davon auszugehen, dass
die Maßnahme bzw. das Aufklärungsgespräch nicht erfolgt ist.
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15. Grundsätzlich zum Aufbau des Gutachtens (vgl. erneut Empfehlung der AG
MedR der DGGG zur Abfassung von Gutachten in Arzthaftungsprozessen):
I. Darstellung des Auftrags bzw. Fragenkataloges
II. Darstellung der vorliegenden Behandlungsakten, Erkenntnisquellen
III. Beschreibung des Sachverhalts
IV. Bewertung des ärztlichen Vorgehens
Darstellung des Standards
Erläuterung von Leitlinien und Empfehlungen
Erläuterung von Befunderhebungsmängeln, Dokumentationslücken
oder grob fehlerhaftem Vorgehen
Kausalitätsfragen
V. Zusammenfassung
VI. Literaturverzeichnis
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16. Zivilrechtliche Haftung des Arztes
• nach unzureichender Dokumentation
• wegen Verletzung der Befund- und Befundsicherungspflicht
• wegen unzureichender Aufklärung
• wegen grober Behandlungsfehler
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17. Haftung nach unzureichender Dokumentation
Die Dokumentation in den Krankenunterlagen muss „wahr, vollständig
und widerspruchsfrei“ sein.
Einer ordnungsgemäßen Dokumentation kommt Indizwirkung zu, d. h.
der dokumentierte Behandlungsverlauf ist zugrunde zu legen
(OLG Dresden, GesR 2005, 464).
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18. Aus der Tatsache einer fehlenden, mangelhaften oder unvollständigen
Dokumentation einer aus medizinischen Gründen aufzeichnungs-
pflichtigen Maßnahme kann zurückgeschlossen werden, dass diese
Maßnahme unterblieben bzw. vom Arzt nicht getroffen worden ist
(BGH VersR 1999, S. 190).
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19. Die Dokumentation dient nicht dazu, dem Patienten Beweise für einen
Schadenersatzprozess zu verschaffen.
Die Dokumentation von Umständen und Tatsachen, deren Aufzeichnung
und Aufbewahrung für die weitere Behandlung der Patienten nicht
erforderlich sind, ist auch aus Rechtsgründen nicht geboten (BGH NJW
1999, S. 3408, 3409).
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20. Was ist aus medizinischer Sicht zu dokumentieren?
• Die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen
• Die wesentlichen Verlaufsdaten
• Ärztliche Diagnosen sowie ärztliche Anordnungen
• Informations- und Aufklärungsgespräche mit dem Patienten
• Weigerung des Patienten, eine Untersuchung vorzunehmen oder
Hinweis auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Untersuchung
• Operationsverlauf
• Nicht dokumentationspflichtig sind Routinemaßnahmen
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21. Einer ordnungsgemäßen Dokumentation oder einem unterschriebenen
Aufklärungsformular kommen nach der obergerichtlichen
Rechtsprechung (prozessentscheidende) Indizwirkung zu.
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22. Welche Fragen muss sich der Gutachter zum Problem der
Dokumentation stellen?
…
22
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23. • Ist anhand der Dokumentation der medizinische Sachverhalt überhaupt
rekonstruierbar?
• Ist die Dokumentation widerspruchsfrei?
• Was war aus medizinischer Sicht zu dokumentieren, um den
Behandlungsverlauf nachzuvollziehen und zu rekonstruieren?
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24. Verstoß gegen Befunderhebungs- und Befundsicherungspflichten
Grundlegend:
EKG-Entscheidung des BGH (BGH NJW 1996, 1589; Urteil vom
13.02.1996)
Es besteht die Verpflichtung des Arztes, medizinisch zweifelsfrei
gebotene Befunde zu erheben, zu sichern und zu dokumentieren.
Hat der Arzt es schuldhaft unterlassen, medizinisch zweifelsfrei gebotene
Befunde zu erheben, so kommt es zu einer Beweislastumkehr zulasten
des Arztes, wenn dadurch die Aufklärung eines immerhin wahrschein-
lichen Ursachenzusammenhangs zwischen Fehler und Schaden
erschwert oder vereitelt wird.
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25. Die Behandlungsseite kann sich nicht darauf berufen, dass man
nunmehr nicht mehr feststellen kann, wie der Befund bei Erhebung
ausgesehen haben würde.
25
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26. Welche Fragen muss der Gutachter aus medizinischer Sicht im
Zusammenhang mit der Befunderhebungspflicht beantworten?
…
26
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27. • War es medizinisch zweifelsfrei geboten bzw. indiziert, einen Befund zu
erheben und zu dokumentieren?
• Was war aus medizinischer Sicht für die Diagnosestellung,
Therapieempfehlung bzw. Behandlung des Patienten notwendig?
• Welche diagnostischen und/oder therapeutischen Maßnahmen waren zu
ergreifen?
• Wie hätte der Befund, der erhoben werden musste, ausgesehen, wenn
der Arzt diesen Befund erhoben hätte?
• Ist mit einer „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ (Wahrscheinlichkeit von
mehr als 50%) davon auszugehen, dass der Befund positiv, d. h.
reaktionspflichtig gewesen wäre?
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28. • Wie hätte auf den Befund reagiert werden müssen, wenn er erhoben
worden wäre und auffällig gewesen wäre?
• Wäre das Unterlassen der Reaktion auf einen positiven Befund grob
fehlerhaft gewesen?
• War bereits das Unterlassen der Befunderhebung für sich allein grob
fehlerhaft?
28
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29. Haftung wegen unzureichender Aufklärung
Der Arzt muss sorgfältig und frühzeitig über die Diagnose, die Therapie,
den Eingriff, das Risiko und über alternative Behandlungsmethoden
aufklären.
Der Patient kann Schadenersatz geltend machen, wenn die Behandlung
zwar fehlerfrei, er jedoch über die Behandlung nicht ausreichend und
sorgfältig aufgeklärt war.
29
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
30. Insbesondere Aufklärung über Behandlungsalternativen
• Konservativ oder operatives Vorgehen
• Vaginalgeburt oder Sectio
30
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31. Zivilrechtliche Haftung wegen unzureichender Aufklärung
BGH: Bestehen deutliche Anzeichen dafür, dass im weiteren Verlauf eines
Entbindungsvorgangs eine Situation eintreten kann, in der eine normale
vaginale Entbindung kaum noch in Betracht kommt, sondern eine Sectio
notwendig oder zumindest zu einer echten Alternative zu einer vaginalen
Entbindung wird, dann muss der geburtsleitende Arzt die Mutter bereits zu
einem Zeitpunkt über die unterschiedlichen Entbindungsmethoden
aufklären und ihre Entscheidung einholen, zu dem sie sich noch in einem
Zustand befindet, in dem diese Problematik mit ihr besprochen werden
kann.
(BGH VersR 1993, 703)
31
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32. Nochmals:
Aufklärung und Einwilligung sind notwendig, wenn eine Sectio wegen
ernstzunehmender Gefahren für das Kind bei vaginaler Entwicklung zu
einer echten Alternative geworden ist.
32
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
33. Allgemein:
Eine Verpflichtung zur Aufklärung über Behandlungsalternativen besteht
dann, wenn konkret eine echte Alternative mit gleichwertigen Chancen,
aber andersartigen Risiken besteht (bspw. konservativ statt operativ;
Intubationsnarkose statt Periduralanästhesie).
33
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
34. Haftung wegen grober Behandlungsfehler
Es gibt eine generelle Beweislastumkehr zu Gunsten des Patienten,
wenn ein Arzt „eindeutig gegen bewährte Behandlungsregeln oder
gesicherte medizinische Erkenntnisse und Erfahrung“ verstößt.
34
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
35. Der Fehler ist „nicht mehr verständlich, weil er einem Arzt schlechterdings
nicht unterlaufen darf“ (grober Behandlungsfehler)
Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 2014, 919 mit weiterer Rechtsprechung
Medizinisch gefragt:
Gibt es elementare Behandlungsregeln, die unbedingt eingehalten werden
müssen?
35
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
36. Welche Fragen muss der Gutachter aus medizinischer Sicht im
Zusammenhang mit einem groben Behandlungsfehler beantworten?
…
36
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
37. • Gab es elementare Behandlungsregeln, die unbedingt eingehalten
werden mussten?
• Sind medizinische Standardmaßnahmen nicht ergriffen worden, die
unbedingt hätten ergriffen werden müssen?
• Hätte eine solche Maßnahme/Versäumnis in der Klinik zu einem
„ernsthaften Dienstgespräch“ mit dem Chefarzt geführt?
37
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
38. Resümee:
Der medizinische Sachverhalt ist aus medizinischer/medizinrechtlicher
Sicht dahingehend zu begutachten, ob
1. eine ausreichende Dokumentation und
2. insbesondere eine (erforderliche) Befunderhebung
vorliegen. Insbesondere die
3. Aufklärung des Patienten
ist sorgfältig zu prüfen und zu dokumentieren.
38
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
40. Widerspruch mit anderen Gutachten
BGH, Entscheidung vom 11.11.2014 (Az. VI ZR 76/13):
In Arzthaftungsprozessen hat der Tatrichter die Pflicht, Widersprüchen
zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger von Amts wegen
nachzugehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, auch wenn es
sich um Privatgutachten handelt.
Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu
den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so
darf der Tatrichter den Streit der Sachverständigen nicht dadurch
entscheiden, dass er ohne nachvollziehbare Begründung einem von
ihnen den Vorzug gibt.
40
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
41. „Einsatz“ des Sachverständigen bzw. Gutachtens
• Vorlage des (Privat-) MDK-Gutachtens bei Gericht
• Erarbeiten eines medizinrechtlichen Fragenkatalogs gegenüber dem
Gericht auf der Grundlage des erstatteten Sachverständigengutachtens,
vgl. § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO: Mitteilen von Einwendungen, Anträgen
und Ergänzungsfragen an den Gerichtsgutachter
41
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
42. • Anwesenheit des (Privat-) MDK-Sachverständigen bei der mündlichen
Anhörung des Gerichtsgutachters:
BGH: Das Gericht hat von Amts wegen auf die Aufklärung von
Widersprüchen hinzuwirken, die sich zu den Angaben eines
anderen, gerichtlich bestellten Sachverständigen oder einem
von der Patienten- oder Behandlungsseite vorgelegten
Privatgutachten ergeben (BGH VersR 2009, S. 499, 500).
42
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
43. „Allen Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen ist nachzugehen; eine
Auseinandersetzung mit dem Privatgutachten ist erforderlich.“
(BGH VersR 2004, S. 1579)
43
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
44. „Auch wenn es sich bei einem Privatgutachten (MDK-Gutachten) nicht
um ein Beweismittel im Sinne der §§ 355 ff. ZPO, sondern „nur“ um
qualifizierten, urkundlich belegten Parteivortrag handelt, hat sich das
Gericht mit diesem Gutachten ebenso sorgfältig auseinanderzusetzen
und diesem grundsätzlich dieselbe Aufmerksamkeit zu schenken, wie
wenn es sich um ein gerichtlich bestelltes Gutachten handelt.“
(BGH NJW 2005, S. 888)
44
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
45. Der medizinische Sachverhalt muss im Ergebnis medizinisch unter
medizinrechtlichen Fragestellungen „aufgearbeitet“ und in einem
Rechtsstreit entsprechend vorgetragen werden (s.o.).
45
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
46. Praxis:
Die in einem Rechtsstreit vom Gericht beauftragten Sachverständigen
bestätigen nur mit großer Zurückhaltung das Vorliegen eines
„groben Behandlungsfehlers“.
Es wird formuliert:
„Behandlung war suboptimal“. Man hätte Maßnahmen ergreifen
„sollen“.
„Fehler kann passieren“.
Es ist „üblich“, die Maßnahmen nicht zu ergreifen.
Der „klinische Alltag“ erlaube nicht, diese Maßnahmen zu ergreifen.
46
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
47. Der vom Gericht bestellte Sachverständige entscheidet den
Prozess!?
Praxis:
Der Gerichtsgutachter ist in der Praxis der „Richter in Weiß“.
Der Gerichtsgutachter kann dem Gericht erklären, dass die „Erde eine
Scheibe ist“.
Der von Patienten eingeschaltete Privatgutachter wird ignoriert!
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48. Vorschlag:
Die prozessuale Bedeutung des Privatgutachters muss gestärkt werden!
Es muss einen zivilprozessualen Rechtsanspruch der Parteien geben,
den Privatgutachter zu laden und mündlich anzuhören.
48
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
49. Resümee:
Das Gutachten muss klar formuliert, gut strukturiert und begründet sein.
Das Gutachten benötigt einen medizinrechtlichen Fragenkatalog, um den
medizinischen Sachverhalt haftungsrechtlich eindeutig zu bewerten.
Das Gutachten muss bei der mündlichen Anhörung des gerichtlich
bestellten Sachverständigen persönlich vom MDK-Gutachter/
Privatgutachter erläutert werden, d.h. die Anwesenheit ist zwingend
erforderlich.
„Stand up or shut up“
49
„Das medizinisch-wissenschaftliche Gutachten und dessen Umsetzung, AOK Bundesverband,, 15.06.2015, Berlin
51. „Die Eltern kommen zu uns mit ihrem Wichtigsten – ihren Kindern!“
Dr. Roland Uphoff, Master of medicine, ethics an law
Fachanwalt für Medizinrecht
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