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Weihnachten 08
Liebe weihnachtliche Gemeinde,
Im Laufe unseres Lebens, manchmal aber auch schon sehr früh
in der Kindheit, lernen wir, wie verletzlich/ wie gefährdet und
bedroht das Leben sein kann.
Und nun kommt Gott als bedrohtes Kind zur Welt mit einem
Kindernamen, der damals häufig vorkam. Er heißt wie
unsereins. Heute könnte er zum Beispiel Kevin heißen, oder
Marvin, Jessica, Lea Sophie.
Erinnern Sie sich noch ? Das waren die Namen der 5 Kinder,
die uns im vergangenen Jahr so über die Maßen bewegt und
aufgewühlt haben. Die Kinder aus dem benachbarten Dorf
Darry.
Eine „Kultur des Hinsehens“ hat die Bundeskanzlerin damals
angemahnt; zu Recht. Hinsehen heißt nicht urteilen/nicht
verurteilen oder mit dem Finger zeigen. Hinsehen kann auch
hingehen/Anteilnehmen bedeuten, Anteil nehmen an der
Hilflosigkeit anderer, und dabei die eigene Hilflosigkeit
aushalten. Manches ist schwer auszuhalten: auf Arte war
dieser Tage ein Bericht zu sehen über das Schicksal von
Kindersoldaten. Es sollen weltweit mehr als 250 000 sein !
Und nun versammelt sich Deutschland wie jedes Jahr um ein
Kind und ist gerührt. Aber, auch da muss genau hingeschaut
werden. Ist da noch mehr außer der üblichen Gefühlsseligkeit ?
Wie ist das zu verstehen und zusammenzubringen, wenn selbst
in unserer Kultur, die ein Kind als Heilsbringer des Lebens
verehrt, gleichzeitig Kinder bedroht, vernachlässigt oder gar
getötet werden ?
Jedenfalls kommt Weihnachten dieser Horizont von Kindheit und
seine verschiedenen Wirklichkeiten in den Blick. Schönes und
Schreckliches. Wie können solche Wirklichkeiten füreinander
durchsichtig werden ?
Ich denke mit einem warmen Gefühl zurück an die
Weihnachtsfeste meiner Kindheit und bin damit nicht allein:
bei aller Kärglichkeit in diesen Nachkriegsjahren lag ein Glanz
über diesen Tagen und Nächten: das mit einfachen Mitteln
schön geschmückte Haus… das Lieder-Singen… mit der Mutter
backen… die Vorfreude. Und dennoch blieb mir schon damals
nicht verborgenen, wie es zuging im Nachbarviertel bei
manchen Flüchtlingskindern oder Vertriebenen. Oder beim
prügelnden Vater zwei Häuser weiter.
Alles Leben ist verletzlich; in der Kindheit besonders. In
unserer Kindheit wird sozusagen ein Rucksack gepackt, der uns
anschließend ein Leben lang begleitet. Da sind Dinge drin, die
uns ernähren und stärken, oder aber Dinge, die uns
runterziehen und beschweren. Und, wenn wir wirklich Glück
haben, ist da noch der Glanz, den Gott uns mitgegeben hat…
der uns versöhnt… der uns einen Frieden und eine Kraft gibt,
die man nirgendwo sich kaufen oder erwerben kann.
So tragen wir auch später unsere Rucksäcke mit herum und
teilen ungewollt aus: als Ernährer, als Beschwerer, oder als
Versöhner und Friedensbringer; und oft als welche, die leider
nicht wissen, was sie tun oder tun sollten.
Vor zwei Jahren habe ich kurz vor Weihnachten Josef
kennengelernt: Josef Marimba aus Uganda. Ich traue mich
heute das erste Mal, von ihm zu erzählen. Josef war damals
gerade 17 geworden… der älteste und mit Abstand größte in
einer Klasse von ca. 100 Kindern. Eine ganze Woche lang waren
wir mit noch mehr Kindern zusammen, während der
Schulferien in einem Lager. Josef war bei den Sportspielen (z.B.
beim Korbball) wegen seiner langen Beine und seinen
geschickten, schnellen Hände sehr gefragt. Aber, immer wieder
fiel mir auch auf, wie sehr Josef ansonsten alleine und
gemieden war. Eines Tages steckte er mir, dem Pastor aus der
Fremde, im Vorbeigehen einen Zettel mit der Bitte zu, sich zu
treffen. Wir saßen dann unter einem Baum. Er hielt, während
er sprach, sehr lange die Hände vor die Augen; die Hände, die
getötet hatten. Josef Marimba war als Zwölfjähriger von
Rebellen entführt worden.
Es geschah sehr früh morgens. Er hatte noch nach seinen neuen
Schuhen gesucht, die ihm sein Onkel zu Weihnachten
geschenkt hatte. Zu lange gesucht. Ich will nicht erzählen von
den folgenden zwei Jahren der Hölle im Busch als
Kindersoldat. Ich will Sie nicht beschweren. Selbst meiner Frau
hab ich das nicht erzählt.
Am Ende saßen wir schweigend unter dem großen Baum und
er schaute mich an. Mir schossen Tausend Gedanken durch den
Kopf. Schließlich fasste ich den Mut, ihn zu fragen, was ich für
ihn tun könne. Er: Give me your blessing. Weiter nichts. Und so
hab ich ihn gesegnet. Und: ich hab seinen Lehrer diskret
gebeten, auf ihn – unter dieser Masse von Schüler – einen
besonderen und liebevollen Blick zu werfen. Ehemalige
Kindersoldaten haben es sehr schwer, sowohl mit ihrer inneren
Welt als auch mit der Außenwelt. Sie sind misstrauisch beäugte
Außenseiter sowohl in der Schule als auch in der Gemeinschaft
ihres Dorfes.
Genau in einer Woche, wenn der Festtagstrubel mit all seinen
Anforderungen vorbei ist, werde ich wieder dort in Nord-
Uganda sein, und falls ich Josef treffe, will ich ihm ein neues
Paar Schuhe schenken, denn die alten passten schon damals
nicht. Gott allein weiss, was aus ihm werden soll. Vielleicht
auch so ein guter Familienvater und Handwerker wie der, von
dem in der Weihnachtsgeschichte die Rede ist ?
Zurück zu uns, liebe Gemeinde. Kennen Sie das auch, wenn
man so etwas Schweres hört/von solch einem schlimmen
Schicksal, dass man dann unwillkürlich denkt: Gut, das mir so
was erspart geblieben ist ! Und, das ist (!) auch gut so. Man denkt:
Gott sei Dank wars bei mir anders. Und man denkt: Was wäre
eigentlich, wenn… ? Wenn Du nicht so behütet aufgewachsen
wärst ? Wenn dein Leben durch Gewalt und Vernachlässigung
bestimmt wäre ? Wer wäre ich heute ? Wäre ich überhaupt noch ?
Gut, dass ich nicht in deren Haut stecke. Wobei mir dann - quer
dazu - auch einfällt, dass Gott genau so was nicht gesagt hat:
Ich will nicht in Deiner Haut stecken. Im Gegenteil: Gott ist in
unsere Haut geschlüpft. Und gerade darin liegt das Geheimnis
der Erlösung.
Weihnachten, liebe Gemeinfe, werden die verschiedenen
Wirklichkeiten füreinander durchsichtig. Gott schlägt in diesem
Kind die Augen auf und schaut auf uns: auf unsere Hände…
auf unser Herz. Er hat keine anderen Hände als die unseren.
So geschieht das Geheimnis dieser Nacht: dass das Kind, dass
sich damals finden ließ von armen Hirten wie auch von großen
Königen, dass es uns durch die Zeiten hindurch anschaut und
fragt, ob wir Liebe üben wollen, wo man sich hasst, ob wir
verzeihen, wo man sich beleidigt, ob wir Frieden bringen und
Licht, wo die Finsternis regiert. Das Kind fragt uns: Habt ihr
einen Platz für mich ? Hütet ihr das Leben ? Achtet ihr die
Schwachen und Beiseitegeschobenen ?
Ich wünsche uns allen den Frieden und den Glanz der
Weihnacht, der alles Verstehen übersteigt. Frohe Weihnachten.
Amen.

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Weihnachten 08

  • 1. Weihnachten 08 Liebe weihnachtliche Gemeinde, Im Laufe unseres Lebens, manchmal aber auch schon sehr früh in der Kindheit, lernen wir, wie verletzlich/ wie gefährdet und bedroht das Leben sein kann. Und nun kommt Gott als bedrohtes Kind zur Welt mit einem Kindernamen, der damals häufig vorkam. Er heißt wie unsereins. Heute könnte er zum Beispiel Kevin heißen, oder Marvin, Jessica, Lea Sophie. Erinnern Sie sich noch ? Das waren die Namen der 5 Kinder, die uns im vergangenen Jahr so über die Maßen bewegt und aufgewühlt haben. Die Kinder aus dem benachbarten Dorf Darry. Eine „Kultur des Hinsehens“ hat die Bundeskanzlerin damals angemahnt; zu Recht. Hinsehen heißt nicht urteilen/nicht verurteilen oder mit dem Finger zeigen. Hinsehen kann auch hingehen/Anteilnehmen bedeuten, Anteil nehmen an der Hilflosigkeit anderer, und dabei die eigene Hilflosigkeit aushalten. Manches ist schwer auszuhalten: auf Arte war dieser Tage ein Bericht zu sehen über das Schicksal von Kindersoldaten. Es sollen weltweit mehr als 250 000 sein ! Und nun versammelt sich Deutschland wie jedes Jahr um ein Kind und ist gerührt. Aber, auch da muss genau hingeschaut werden. Ist da noch mehr außer der üblichen Gefühlsseligkeit ? Wie ist das zu verstehen und zusammenzubringen, wenn selbst in unserer Kultur, die ein Kind als Heilsbringer des Lebens verehrt, gleichzeitig Kinder bedroht, vernachlässigt oder gar getötet werden ? Jedenfalls kommt Weihnachten dieser Horizont von Kindheit und seine verschiedenen Wirklichkeiten in den Blick. Schönes und Schreckliches. Wie können solche Wirklichkeiten füreinander durchsichtig werden ?
  • 2. Ich denke mit einem warmen Gefühl zurück an die Weihnachtsfeste meiner Kindheit und bin damit nicht allein: bei aller Kärglichkeit in diesen Nachkriegsjahren lag ein Glanz über diesen Tagen und Nächten: das mit einfachen Mitteln schön geschmückte Haus… das Lieder-Singen… mit der Mutter backen… die Vorfreude. Und dennoch blieb mir schon damals nicht verborgenen, wie es zuging im Nachbarviertel bei manchen Flüchtlingskindern oder Vertriebenen. Oder beim prügelnden Vater zwei Häuser weiter. Alles Leben ist verletzlich; in der Kindheit besonders. In unserer Kindheit wird sozusagen ein Rucksack gepackt, der uns anschließend ein Leben lang begleitet. Da sind Dinge drin, die uns ernähren und stärken, oder aber Dinge, die uns runterziehen und beschweren. Und, wenn wir wirklich Glück haben, ist da noch der Glanz, den Gott uns mitgegeben hat… der uns versöhnt… der uns einen Frieden und eine Kraft gibt, die man nirgendwo sich kaufen oder erwerben kann. So tragen wir auch später unsere Rucksäcke mit herum und teilen ungewollt aus: als Ernährer, als Beschwerer, oder als Versöhner und Friedensbringer; und oft als welche, die leider nicht wissen, was sie tun oder tun sollten. Vor zwei Jahren habe ich kurz vor Weihnachten Josef kennengelernt: Josef Marimba aus Uganda. Ich traue mich heute das erste Mal, von ihm zu erzählen. Josef war damals gerade 17 geworden… der älteste und mit Abstand größte in einer Klasse von ca. 100 Kindern. Eine ganze Woche lang waren wir mit noch mehr Kindern zusammen, während der Schulferien in einem Lager. Josef war bei den Sportspielen (z.B. beim Korbball) wegen seiner langen Beine und seinen geschickten, schnellen Hände sehr gefragt. Aber, immer wieder fiel mir auch auf, wie sehr Josef ansonsten alleine und gemieden war. Eines Tages steckte er mir, dem Pastor aus der Fremde, im Vorbeigehen einen Zettel mit der Bitte zu, sich zu treffen. Wir saßen dann unter einem Baum. Er hielt, während er sprach, sehr lange die Hände vor die Augen; die Hände, die
  • 3. getötet hatten. Josef Marimba war als Zwölfjähriger von Rebellen entführt worden. Es geschah sehr früh morgens. Er hatte noch nach seinen neuen Schuhen gesucht, die ihm sein Onkel zu Weihnachten geschenkt hatte. Zu lange gesucht. Ich will nicht erzählen von den folgenden zwei Jahren der Hölle im Busch als Kindersoldat. Ich will Sie nicht beschweren. Selbst meiner Frau hab ich das nicht erzählt. Am Ende saßen wir schweigend unter dem großen Baum und er schaute mich an. Mir schossen Tausend Gedanken durch den Kopf. Schließlich fasste ich den Mut, ihn zu fragen, was ich für ihn tun könne. Er: Give me your blessing. Weiter nichts. Und so hab ich ihn gesegnet. Und: ich hab seinen Lehrer diskret gebeten, auf ihn – unter dieser Masse von Schüler – einen besonderen und liebevollen Blick zu werfen. Ehemalige Kindersoldaten haben es sehr schwer, sowohl mit ihrer inneren Welt als auch mit der Außenwelt. Sie sind misstrauisch beäugte Außenseiter sowohl in der Schule als auch in der Gemeinschaft ihres Dorfes. Genau in einer Woche, wenn der Festtagstrubel mit all seinen Anforderungen vorbei ist, werde ich wieder dort in Nord- Uganda sein, und falls ich Josef treffe, will ich ihm ein neues Paar Schuhe schenken, denn die alten passten schon damals nicht. Gott allein weiss, was aus ihm werden soll. Vielleicht auch so ein guter Familienvater und Handwerker wie der, von dem in der Weihnachtsgeschichte die Rede ist ? Zurück zu uns, liebe Gemeinde. Kennen Sie das auch, wenn man so etwas Schweres hört/von solch einem schlimmen Schicksal, dass man dann unwillkürlich denkt: Gut, das mir so was erspart geblieben ist ! Und, das ist (!) auch gut so. Man denkt: Gott sei Dank wars bei mir anders. Und man denkt: Was wäre eigentlich, wenn… ? Wenn Du nicht so behütet aufgewachsen wärst ? Wenn dein Leben durch Gewalt und Vernachlässigung bestimmt wäre ? Wer wäre ich heute ? Wäre ich überhaupt noch ? Gut, dass ich nicht in deren Haut stecke. Wobei mir dann - quer
  • 4. dazu - auch einfällt, dass Gott genau so was nicht gesagt hat: Ich will nicht in Deiner Haut stecken. Im Gegenteil: Gott ist in unsere Haut geschlüpft. Und gerade darin liegt das Geheimnis der Erlösung. Weihnachten, liebe Gemeinfe, werden die verschiedenen Wirklichkeiten füreinander durchsichtig. Gott schlägt in diesem Kind die Augen auf und schaut auf uns: auf unsere Hände… auf unser Herz. Er hat keine anderen Hände als die unseren. So geschieht das Geheimnis dieser Nacht: dass das Kind, dass sich damals finden ließ von armen Hirten wie auch von großen Königen, dass es uns durch die Zeiten hindurch anschaut und fragt, ob wir Liebe üben wollen, wo man sich hasst, ob wir verzeihen, wo man sich beleidigt, ob wir Frieden bringen und Licht, wo die Finsternis regiert. Das Kind fragt uns: Habt ihr einen Platz für mich ? Hütet ihr das Leben ? Achtet ihr die Schwachen und Beiseitegeschobenen ? Ich wünsche uns allen den Frieden und den Glanz der Weihnacht, der alles Verstehen übersteigt. Frohe Weihnachten. Amen.