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Humboldt-Universität zu Berlin
Philosophische Fakultät III
Institut für Kulturwissenschaft
Abschlussarbeit im Bachelorstudium
Betreuer: Dr. Holger Brohm
Zweitgutachter: M.A. Jasmin Mersmann
Abgabe bis 17.12.2012

Die Bedeutung von Prosumentenkultur für die
Literaturproduktion der Zukunft
− Fanfiction als Beispiel für Textproduktion im Web 2.0

The Importance of Prosumer Culture for the Literary Scene of the Future
- Fanfiction as an Example of Textproduction in Web 2.0

von
Annekatrin Bergemann
Zossener Str. 16
10961 Berlin
Tel: 0170 / 7527920
Annekatrin.Bergemann@gmail.com
BA Kulturwissenschaft / Amerikanistik
Matrikelnummer: 529903
8. Fachsemester
Inhaltsverzeichnis

1.

Einleitung..............................................................................................1

2.

Begriffsklärung und konzeptionale Themeneinführung
2.1
2.2

Alvin Tofflers Konzept der Prosumtion....................................9

2.3
3.

Dimensionen von Fanfiction.....................................................3
Merkmale digitaler Medien und Defintion des Web 2.0.........12

Das Web 2.0 als neuer Ausgangspunkt von Prosumtion
3.1

Konsumenten und Produzenten von digitalen Medien............19

3.2

Die Geburt des Nutzers und die Idee des Produsage...............27

4.

Fanfiction als partizipative Textproduktion im Web 2.0....................34

5.

Schlussbetrachtung und Ausblick.......................................................43

6.

Quellenverzeichnis
6.1

Literaturverzeichnis.................................................................46

6.2

Verzeichnis der verwendeten Internetquellen.........................48
1

1. Einleitung
Der Begriff der Prosumtion fällt erstmals 1980 in Alvin Tofflers Konzept einer sozialen Utopie, die er in der Veröffentlichung „The Third Wave“ vorstellt. Die
Wortneuschöpfung des Futorologen verbindet Produktion und Konsumtion zu einem
Zustand, der nach seinem Verständnis die postindustrielle Gesellschaft auszeichnen
wird und in dem der Konsument nicht mehr schlicht Sach- und Dienstleistungen erwirbt, sondern sie zum Teil aktiv mitproduziert. Die Mitglieder einer postindustriellen Gesellschaft bilden eine zunehmende Bereitschaft zur Mitgestaltung von Leistungen aus – dies kann sich im Trend zur Selbstbedienung in Restaurants und Supermärkten als auch in den in den 1970er Jahren aufkommenden Bewegungen zur
Selbsthilfe und Do-it-Yourself abzeichnen. Im Zusammenhang mit dem Aufkommen
des Internets als Massenmedium und der Verbreitung von Webanwendungen, die
Tim O'Reilly 2005 unter dem Begriff Web 2.0 zusammenfasst, beschleunigt sich der
Aufstieg des Prosumenten rasant. Das Web 2.0 wird aufgrund seiner Eigenschaft, die
kollektive Intelligenz seiner Nutzer zu bündeln und den Großteil der angebotenen Inhalte und Leistungen durch die Nutzer generieren zu lassen, auch als Mitmach-Netz
bezeichnet und wird somit zum Schlagwort für das Entstehen einer neuen, sogenannten 'participatory culture'. Dieser Trend durchsetzt mit der vermehrten Ausbreitung
der Internetnutzung zunehmend alle Bereiche des menschlichen Lebens und vor allem auch die Kulturindustrie. Welche Auswirkungen hat ein zunehmendes Prosumentenverhalten für die Produktion von Kultur und im Besonderen für die Produktion von Literatur? Wie verändern sich die Prozesse der Textproduktion durch das
Web 2.0 und die ihm eigene partizipative Massenkultur? Diese Fragen sollen diese
Arbeit zum Thema Prosumtion im Literaturbetrieb bestimmen und am Beispiel des
Phänomens der Fanfiction erläutert werden. Ziel ist es außerdem, ein besseres Verständnis zu liefern, woher die derzeitigen Verwerfungen in der Buchbranche rühren,
und Wege aufzuzeigen, produktiv mit den Veränderungen umzugehen.
Im ersten Teil der Arbeit und als Vorarbeit zur Beantwortung der Leitfragen
muss zuerst eine Einführung in das Universum von Fanfiction gegeben werden. Im
Anschluss können somit alle Überlegungen am konkreten Beispiel befragt werden
und der Erkenntnisgewinn wird praxisnah untermauert. Im zweiten Schritt wird das
Konzept der Prosumtion vorgestellt. Dazu ist es essentiell, einen Blick auf Tofflers
'Third Wave'-Theorie (im Deutschen als Stadientheorie bezeichnet) zu werfen. Im
2
letzten Teil der Vorarbeit wird eine Arbeitsdefinition für digitale Medien und deren
charakteristische Arbeitsweise erarbeitet, sodass anschließend der Begriff Web 2.0
definiert werden kann. Wobei es hier nicht darum gehen soll, das Thema der digitalen Medien oder der Web 2.0 Technologien erschöpfend darzustellen, sondern lediglich einige grundlegende Charakteristiken vorzustellen.
Im zweiten Teil der Arbeit wird das Web 2.0 in seiner Funktion als neuer
Ausgangspunkt von Prosumtion beleuchtet. Um über Prosumenten sprechen zu können, muss ausgeführt werden, wer generell als Konsument und wer als Produzent im
Kontext digitaler Medien gilt. Im speziellen Zusammenhang mit Literaturproduktion
ist es hier entscheidend, einen Blick auf Autorschaftskonzepte zu werfen. Die Theorie von Roland Barthes zum Tod des Autors und der Geburt des Lesers soll vorgestellt und im neuen Kontext des Internetzeitalters weiterentwickelt werden. Nachdem
diese Grundlagen gelegt sind, können die Themen Prosumtion und Web 2.0 verbunden werden – hierbei ist es essentiell, sich mit der Geburt des Nutzers zu beschäftigen, um anschließend Axel Bruns Idee des Produsage als Weiterentwicklung von
Tofflers Konzept vorzustellen.
Im dritten Teil der Arbeit liegt der Fokus auf den spezifischen Veränderungen
in der Textproduktion, die durch eine Verbreitung von Prosumentenverhalten hervorgerufen werden. Das Phänomen der Fanfiction wird anschließend nach seinen digitalen Organisationsstrukturen befragt, um exemplarisch zu untersuchen, welche Bedeutung die Digitalisierung und die damit entstehende Remix-Kultur in Verbindung
mit dem aufkommenden Prosumentenverhalten für die Literaturproduktion der Zukunft haben kann. Zur besseren Veranschaulichung werden beispielhaft zwei der populärsten Plattformen von Fanfiction näher betrachtet: fanfiction.net und wattpad.com. Hier wird explizit untersucht, wie die partizipative Kultur, die sich in den vielfältigen digitalen Fangemeinden ausbildet, durch die medialen Gegebenheiten des
Web 2.0 an der Entstehung von Literatur beteiligt ist. Entscheidend ist hier, das Entstehen von Fanfiction unter dem Vorzeichen des Produsage zu untersuchen.
Es finden sich bereits viele Publikationen zu der Problematik von Fanfiction
und Urheberrechtsbestimmungen: Dies ist durchaus sinnvoll, da durch Remix enstandene kulturelle Produktion unter dem Generalverdacht der Urheberrechtsverletzung
steht. Der Fokus dieser Arbeit liegt jedoch auf der Analyse digitaler, kultureller Textproduktionsvorgänge. Eine Betrachtung der Urheberrechtslage würde hier den Rahmen sprengen und ist nicht zwingend notwendig, um abschließend einen Ausblick
3
auf die Bedeutung von Prosumentenkultur für den Literaturbetrieb der Zukunft zu
geben.

2. Begriffsklärung und konzeptionale Themeneinführung
2.1 Dimensionen von Fanfiction
Zur Veranschaulichung der theoretischen Ausführungen dieser Arbeit soll das
Phänomen der Fanfiction herangezogen werden – daher ist in diesem Punkt zu klären: Was genau ist Fanfiction? Und wie sind Fans und ihre speziellen Gemeinschaften definiert? Außerdem werden zwei der populärsten Plattformen – fanfiction.net
und wattpad.com - inklusive einer Beispiel-Fangeschichte aus dem sehr beliebten
„Harry-Potter“-Fantum vorgestellt1, um die folgenden theoretischen Überlegungen
zur Autorschaft in den digitalen Medien und schlussendlich zur Prosumtion in der
Textproduktion stets an konkreten Beispielen zu befragen.
Fanfiction ist ein Begriff unter dem sich verschiedene Definitionen vereinen.
Im weitesten Sinne ist es das amateurhafte Wiedererzählen einer bereits existierenden Geschichte. Somit führt es die Tradition von Folklore fort und existiert bereits
seit Tausenden von Jahren. Hiernach zählt die Bibel ebenso wie Homers Epen als
Fanfiction und die Definition ist somit für diese Arbeit zu weitläufig. Ewan Morrison
argumentiert, dass es vor der Geburt des Autors auch keine Fanfiction geben könne,
da kein derivatives Werk existieren könne, wenn es keine Regeln gibt, was als originales Werk angesehen werden könne. Somit greift eine engere Definition hier besser:
Fanfiction ist die Neubearbeitung oder Weiterentwicklung der Charaktere eines anderen Autors (vgl. Morrison 2012). Noch genauer nimmt es Ramon Reichert mit seiner Beschreibung von Fanfiction als
Geschichten, die von Fans eines popularkulturellen Originalwerkes […] hergestellt werden,
welche die Protagonisten, die Erzählstile, oder das Setting des Werkes als Ausgangspunkt ihrer Aneigungspratiken für neue, fortgeführte oder alternative Erzähl- und Handlungskontexte
gebrauchen (Reichert 2008, S.194).

1

„50 Shades of Grey“ von E.L. James soll in dieser Arbeit nur am Rand Erwähnung finden. Der
mittlerweile weltweit sehr erfolgreiche Titel wurde zwar von der Autorin ursprünglich als
Fanfiction zu der Twilight Saga von Stephenie Meyer geschrieben, spielt diese Herkunft als Teil
der Vermarktungsstrategie des Verlags jedoch nicht in den Vordergrund (vgl. Boog 2012).
4
Die Produzenten von Fanfics bezeichnen sich bewusst als Fans und Teil von bestimmten Fankulturen, die erstmals in den 1920er Jahren populär werden. Es bilden
sich produktive Fangemeinden um die Werke von Jane Austen, genannt Janeites, und
Sir Arthur Conan Doyles „Sherlock Holmes“ - Fanfiction.net verzeichnet 2196 Beiträge zu Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ und 3321 Beiträge zu Sherlock Holmes
(vgl. fanfiction.net 2012a). Als weiterer wichtiger Punkt in der Geschichte von Fanfiction gilt das Entstehen der Science Fiction Fankultur, im Besonderen der Star Trek
Fangemeinden, in den 1960er Jahren.
Fanfiction ist immer im Kontext ihrer konkreten Fankulturen zu sehen. Bevor
jedoch ein Verständnis für die Dynamiken innerhalb dieser Kulturen aufgebaut werden kann, muss ein Blick auf das Wesen des Fans geworfen werden. Begrifflich entspringt das Wort Fan aus dem Fanatiker und ist bis in die 1990er Jahre hinein generell eher negativ konnotiert. Rainer Winter bringt die stereotype Vorstellung folgendermaßen auf den Punkt:
Fans sind obsessive, ›lobotomierte‹ Anhänger von Massenkultur, die alles kaufen und konsumieren, was mit ihrem von der Kulturindustrie gesteuerten Interesse zusammenhängt, sie
widmen ihre Freizeit […] gesellschaftlich für wertlos gehaltenen Kulturgütern (Winter 2010,
S.170).

Winter führt weiter aus, dass Fans verurteilt werden, einen illegitimen Geschmack zu
Tage zu tragen, da sie scheinbar weder die ästhetische Distanz zum Kunstwerk wahren, welche guten Geschmack auszeichnet, noch sich für Werturteile institutionell
abgesicherter Autoritäten interessieren. Die Ausgrenzung des Fans als den Anderen
verschwindet im 21. Jahrhundert mehr und mehr und Fantum ist zu einer gewöhnlichen kulturellen Praxis geworden: Fans werden nun im Vergleich zu normalen Konsumenten lediglich als kompetenter, produktiver oder kreativer im Umgang mit kulturellen Objekten gesehen (vgl. ebd., S.173, 289). Henry Jenkins, einer der renomiertesten Fanforscher, bringt seine langjährigen Beobachtungen wiefolgt auf den Punkt:
„I have watched fans move from the invisible margins of popular culture and into the
center of current thinking about media production and consumption“ (Jenkins 2008,
S.12).
Die Interaktion innerhalb von Fangemeinschaften vor dem Aufkommen des
Internets basierte hauptsächlich auf sogenannten Fanzines, einem günstig produzierten, amateurhaften Magazin von Fans für Fans, das an Mitglieder der Fanszene ver-
5
schickt wurde. Mit der Etablierung des Internets werden die Interaktionen der Fans
immer leichter zugänglich und die Größe der Fantümer als auch ihre demographische
Struktur verändern sich rasant – niedrige Zugangsbarrieren ermöglichen jüngeren
Mitgliedern die Teilnahme (vgl. Busse/Hellekson 2006, S.2). Die Schreibenden sind
elektronisch vernetzt und der Austausch sowie die generelle Verbreitung von Fanliteratur sind deutlich kostengünstiger. Jeder Fan hat jetzt potenziell die Möglichkeit, etwas zu veröffentlichen. Das Medium Internet macht die einstige Subkultur der Fangeschichten zu einem globalen Massenphänomen. Die Verlagerung der Fantümer
vom physischen in den virtuellen Raum führt dazu, dass alles global und zeitunabhängig konsumiert werden kann und sich das Genre immer weiter ausdifferenziert
(vgl. Reichert 2008, S.194ff).
Fanfiction zeichnet sich, wie bereits angerissen nicht durch die bloße Reproduktion des Primärtextes sondern durch vielschichtige Veränderungen, Überarbeitungen, Ergänzungen und Weiterentwicklungen des Inhaltsangebots aus. Die Fankreationen sind ein Versuch, das sichtbar zu machen, was das Medium dem Publikum
vorenthält. Die medialen Primärquellen, um welche sich Fankulturen entwickeln, bestärken dieses Phänomen durch einen hohen Grad an Mehrdeutigkeiten und Intertextualität2, die großes Potenzial für die textuelle Produktivität der Fans liefern. Die Geschehnisse, Schauplätze und Charaktere des Quelltextes bilden den Kanon, auf den
sich alle Fanfictions beziehen und auf dessen Basis die Fangemeinschaft den sogenannten 'fanon', also alle eigenen Geschehnisse und Handlungsstränge, entwickelt.
Es gibt eine Vielzahl von Spielformen der Fanfiction und im Folgenden seien nur einige der wichtigsten genannt. Fangeschichten weisen häufig einen romantischen oder
pornografischen Inhalt auf, es gibt jedoch auch 'gen(eral) fic', die beispielsweise
Handlungen ohne expliziten romantischen Inhalt fortführt. AU ('alternative universe')
ist auf die Ausgestaltung bestimmter kanonischer Inhaltsebenen in neuen Umgebungen oder unter anderen Umständen fokussiert. 'Het fic' legt den Fokus auf die Bearbeitung einer heterosexuellen Beziehung zweier kanonischer Charaktere und 'slash
fic' widmet sich der Ausgestaltung einer homosexuellen Beziehung, die einem im
Primärtext wahrgenommenen homoerotischen Subtext zwischen zwei Charakteren
Ausdruck verleiht. Die meisten Fanfiction Autoren arbeiten mit einem OTP ('one
true pairing') - das heißt: sie schreiben hauptsächlich über ein von ihnen favorisiertes
2

Diese Arbeit versteht Intertextualität im Sinne von Julia Kristevas Ausführungen, welche besagen,
dass kein Text innerhalb einer kulturellen Struktur ohne Bezug zur Gesamtheit aller Texte denkbar
ist (siehe Kapitel 3.1).
6
Figurenpaar. Fanfiction neigt zur Dramatisierung von romantischen und sexuellen
Beziehungen. Dies führt nicht selten zu Aggression und Gewalt in den produzierten
Texten. 'Kink' und 'BDSM' (bondage and discipline, dominance and submission, sadomasochism) bezeichnen Geschichten mit explizit sexuellen und Gewalt beschreibenden Inhalten. Weitere beliebte Konzepte hinter Fangeschichten sind der 'episode
fix' – ein Ereignis wird nach persönlichem Belieben vollendet, ohne auf die kanonische Fortführung des Handlungsstrangs zu achten – oder die Konstruktion von 'missing scenes / moments', indem kanonische Szenen mit mehr Informationen aufgefüllt
werden, um Darstellungslücken zu schließen. Durch Refokussierung setzen Fangeschichten individuelle Schwerpunkte. Kanonische Nebenfiguren werden zu Hauptfiguren und angedeutete Handlungsstränge werden zum Mittelpunkt des Geschehens
einer Fankreation. Sehr interessant sind 'I wonder ifs', denn hier spekulieren die Fanautoren über narrative Möglichkeiten, die vom Originaltext angedeutet, jedoch nie
ausformuliert werden. Schlussendlich sei noch erwähnt, dass Fans mehrerer verschiedener Fantümer in sogenannten 'crossovers' Figuren aus verschiedenen Primärquellen
miteinander konfrontieren und teilweise bizarre Paarungen erschaffen3 (vgl. Reichert
2008, S.196; vgl. Busse/Hellekson 2006, S.9ff; vgl. Jenkins 2008, S.328f).
Neben diesen speziellen Charakteristika von Fanfiction kann grundlegend
festgestellt werden, dass eine Fankreation stets eines primären Bezugstexts bedarf
und dass Fans immer in die Aktivität einer Gemeinschaft eingebunden sind, welche
interpretiert, kommentiert und den Kontext des Originals erweitert (vgl. Reichert
2008, S.195). Abigail Derecho spricht deshalb von Fanfiction als archontischer Literatur. Dieses Adjektiv entnimmt sie Jacques Derridas Überlegungen zum Archiv 4 auf
die hier nicht im Speziellen eingegangen werden soll. Derecho argumentiert, dass
Fanfiction fälschlich als derivative, folglich abgeleitete beziehungsweise sekundäre
oder aneignende Literatur bezeichnet wird. Sie stellt Fanfiction stattdessen in den
Zusammenhang mit dem Konzept des Archivs und sagt, jedes Archiv sei für immer
offen für neue Einträge, neue Artefakten und neue Inhalte. Ein Archiv sei niemals
endgültig geschlossen. Dies begründet Derecho mit dem archontischen Prinzip, welches ihr zu folge den inneren Antrieb jedes Archivs, sich kontinuierlich zu vergrößern, beschreibt. Ein Archiv sei immer bestrebt, mehr Archiv zu erzeugen und nie3

4

Morrison nennt hier zum Beispiel „Darth Vader & Spongebob VS Edward & Harry Potter“ (vgl.
Morrison 2012).
Derecho bezieht sich speziell auf Ausführungen in Jacques Derridas „Mal d'Archive: Une
Impression Freudienne“ (1995).
7
mals in einer stabilen Form zu verharren. Archontische Literatur sei demzufolge Literatur bestehend aus Texten, die in ihrem Wesen archivalisch sind und durch das archontische Prinzip angetrieben werden. In diesem Zusammenhang seien dann also
Texte, die auf einem bereits existierenden Text aufbauen, keinesfalls weniger wert
als der Quelltext oder eine Verletzung seiner Grenzen, sondern lediglich eine Zugabe
zum Archiv des Quelltexts. Derecho erklärt weiter, dass ein archontischer Text anderen Schreibenden den Eintritt in den Quelltext stets erlaubt oder sogar dazu einlädt,
spezifische nützliche Teile des Primärtextes zu wählen und mit deren Hilfe neue Artefakte zu schaffen. Die Einladung erfolgt durch das archontische Prinzip – den
Drang, das Archiv des Quelltextes, mit einem neu geschaffenen Werk zu erweitern
(vgl. Derecho 2006, S.63f).
In diesen Ausführungen wird bereits deutlich, warum das Adjektiv archontisch zur Beschreibung und Einordnung von Fanfiction in dieser Arbeit besser geeignet ist als derrivativ oder aneignend. Denn im Gegensatz zu den letzteren beiden impliziert archontisch weder die traditionellen Vorstellungen von Besitzrechten noch
dass Fanfiction im Wert sekundär zum orignalen Bezugstext sei. Derecho schreibt
hierzu:
In Fanfiction there is a constant state of flux, of shifting and chaotic relation, between new
versions of stories and the originary texts: the fics written about a particular source text ensure the text is never solified, calcified, or at rest, but is in continuos play, its characters, stories,
and meanings all varying through the various fics written about it. Fanfiction is philosophically opposed to hierachy, property, and the dominance of one variant of a series over another variant (ebd., S.76).

Fanfiction ist durch die Einbettung in eine kollaborativ arbeitende Gemeinschaft,
dem Fantum, immer in einem Zustand der Veränderung. Neue Fangeschichten erweitern das Archiv des Quelltextes und entwickeln Charaktere und Handlungsstränge
ständig weiter.
Doch welche Primärtexte erzeugen ein Fantum um sich und tragen somit das
archontische Prinzip in sich? Wichtig ist, dass der Text ein hohes Potenzial für kreative Auseinandersetzungen bereitstellt – dazu zählen gut entwickelte vielschichtige
Charaktere genauso wie durchdachte, verschlungene und überraschende Handlungsstränge. Ein hoher Grad von Mehrdeutigkeiten verspricht großen Interpretationsspielraum. Die Geschichten um J.K. Rowlings Erfolgsfigur „Harry Potter“ bieten all das,
gebündelt mit einer großen Popularität, die vor allem durch weltweit vermarktete Kinofilme zu den Büchern gezielt gesteigert wurde. So ist es nicht verwunderlich, dass
8
„Harry Potter“ Fanfiction mit 618 416 Einträgen im Bereich Fanfiction zu Büchern
auf fanfiction.net auf Platz 1 gelistet ist (vgl. fanfiction.net 2012a). Archontische Literatur erlaubt den Eintritt anderer Schreibender: J.K. Rowling ist eine Autorin, die
Fanfiction zu ihren Werken unter der Bedingung, dass die Fangeschichten keinem
kommerziellen Zweck dienen, unterstützt. Ein Sprecher ihres Literaturagenten sagte
2004:
JK Rowling's reaction is that she is very flattered by the fact there is such great interest in her
Harry Potter series and that people take the time to write their own stories. Her concern
would be to make sure that it remains a non-commercial activity to ensure fans are not exploited and it is not being published in the strict sense of traditional print publishing (Waters
2004).

Ausgewählte Beispiele von „Harry Potter“ Fanfiction von den Plattformen fanfiction.net und wattpad.com sollen daher als Beispiele für diese Arbeit herangezogen
werden.
Fanfictions als archontische Texte zeigen den Bezug zwischen Original und
der neuen Version für das Archiv bewusst an. Der Eintritt in das Archiv eines
archontischen Texts ist nur möglich, wenn der Primärtext ausdrücklich genannt wird.
Archontische Texte sind laut Derecho also nur Texte, die Variationen ihrer selbst
erzeugen, welche sich selbst explizit als Variationen bezeichnen (vgl. Derecho 2006,
S.64). Kehrt man zurück zu der Aussage, dass Fanfiction immer durch eine
Gemeinschaft konstituiert wird, die interpretiert und kommentiert, und somit den
Kontext beziehungsweise das Archiv des Originals erweitert, erscheint Fanfiction
archontisch zu sein. Geht man weiter zurück und berücksichtigt außerdem, dass
Fankreationen immer einen primären Bezugstext brauchen, kann ganz sicher gesagt
werden: Fanfiction ist archontisch, weil die Fangeschichten sich offen und
ausdrücklich an bereits existierende Texte binden.5 Fangeschichten werden entweder
direkt auf Webseiten publiziert, die explizit zu einem Fantum gehören – die
populärste Seite im „Harry-Potter“-Universum ist hier sugarquill.net – oder auf
großen Onlineplattformen, wie fanfiction.net, unter dem Stichwort des Primärtextes
eingetragen. Außerdem gibt der sogenannte 'Header', zu deutsch Kopfzeile eines
Eintrages, immer Auskunft über das Fantum, dem die Geschichte zugeschrieben
wird. Weiterhin werden der Titel der Fangeschichte, der Autor, die vorkommenden
5

Derecho bemerkt weiterhin, dass nicht nur Fanfiction archontisch ist, sondern auch andere Werke
sich demonstrativ an bereits existierende Texte binden. Als Beispiel nennt sie unter anderem
Isabell Allendes „Zoro“ und J.M. Cotzoees „Foe“ mit seinen unverkennbaren Charakteren Crusoe
und Freitag (vgl. Derecho 2006, S.66).
9
Figurenpaarungen, die Kategorie – zum Beipiel 'slash fic' – und die Altersfreigabe
genannt. Meistens dankt der Fanautor zusätzlich noch seinen Beta-Lesern, die die
Geschichte vor der Veröffentlichung korrigieren und verbessern, und formuliert
einen

sogenannten

Disclaimer

(vgl.

Busse/Hellekson

2006,

S.10).

Diese

Ausschlußklausel soll Abmahnungen von Rechteinhabern der Charaktere, also
beispielsweise J.K. Rowling, vorbeugen und besagt meistens etwas wie dieses
Beispiel auf der "Harry Potter" Fanwebsite checkmated.com: „The Characters and
situations of Harry Potter depicted on this website are the legal property of J.K.
Rowling, Bloomsbury, and AOL Time Warner, and have been used without
permission. No copyright infringement is intended“ (checkmated.com).
Das Medium Internet beschert dem Phänomen der Fanfiction immer mehr
Zulauf. Online existieren heute auf internationaler Ebene vernetzte Foren und Netzgemeinschaften in denen Leser zu Autoren und somit Konsumenten zu Produzenten
von Literatur werden, wenn sie als Fans die literarischen Schöpfungen ihrer Lieblingsautoren weiterentwickeln, remixen und vermischen, um ihre Neuentwicklungen
dann mit den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zu teilen und ihre Arbeit begutachten und verbessern zu lassen. Diese Arbeit untersucht in den folgenden Kapiteln
die Dynamik hinter den immer schneller wachsenden Online-Fantümern und stellt
die Prozesse auf den Plattformen fanfiction.net und wattpad.com näher vor, um an
ihrem Beispiel zu erörtern inwieweit Prosumtion im Literaturbetrieb ausgeprägt ist.

2.2 Alvin Tofflers Konzept der Prosumtion
Nachdem erklärt ist, was unter Fanfiction zu verstehen ist und die praktische
Ebene der Untersuchung identifiziert ist, widmet sich dieser Teil der Arbeit nun Alvin Tofflers „Third Wave“ Theorie6. Hier fällt der Begriff der Prosumtion zum ersten
Mal – der Futorologe stellt 1980 in seiner Wellenkamm-Sozialtheorie eine neue
Möglichkeit vor, die Entwicklung der Menschheitsgeschichte als ununterbrochene
Wellenbewegung zu analysieren und gibt daraufhin eine positive Zukunftsprognose
ab. Toffler gliedert sein Buch durch die zentrale Metapher des Zusammenpralls von
(Innovations-)Wellen und unterteilt die Menschheitsgeschichte in einer bewussten
6

Diese Arbeit legt den Fokus auf das Kapitel 20 und möchte nicht den gesamten Umfang von
Tofflers Theorie darstellen.
10
Verallgemeinerung in drei Wellen. Circa 8000 v.Chr. setzt Toffler die erste Welle an:
die Agrarrevolution. Zuvor lebten die Menschen in kleinen nomadischen Gruppen
vom Jagen und Sammeln. Aus der Agrarrevolution gehen die Kultivierung von Land,
die Gründung größerer Siedlungen und der Einzug eines neuen Lebensstils der Sesshaftigkeit hervor. Zwischen 1650 und 1750 n.Chr. sieht Toffler die zweite Welle: die
industrielle Revolution. Eine Industriegesellschaft erwächst mit der Entwicklung
energieintensiver Technologien, schnellerer Verkehrsmittel, sich rasant vergrößernden Städten und neuen Arbeitsweisen der Standartisierung und Spezialisierung. Seit
circa 1950 sieht der Futorologe jetzt einen Trend, der die Kollision dieser Industriegesellschaft mit einer dritten Innovationswelle anzeigt (vgl. Toffler 1980, S.15ff,
24ff).
Ein großer Teil der Innovation in der dritten Welle hängt für Toffler mit dem
Aufstieg einer Prosumentenkultur zusammen. Er argumentiert, dass die Aufspaltung
der Menschen in Produzenten und Konsumenten unnatürlich und nur während der
zweiten Welle, also in einer Industriegesellschaft, vorhanden sei. Während der ersten
Welle seien alle Menschen Prosumenten, denn sie konsumieren, was sie selbst produzieren. Sie seien somit Produzenten und Konsumenten zugleich. Toffler führt weiter aus, dass in dieser Prosumentenökonomie Produktion größtenteils für den Eigenverbrauch (Sektor A) erfolge und nur ein sehr geringer Prozentsatz für den Markt bestimmt sei (Sektor B). Die industrielle Revolution trenne den Produzenten vom Konsumenten, um durch diese Aufspaltung einen größeren Markt zu erzeugen. Somit
gäbe es plötzlich einen sehr großen Sektor B, der ausschließlich für den Markt produziere und nur noch einen kleinen Prozentsatz des Sektors A, der für den Eigenverbrauch produziere. Diesen geschrumpften Sektor A sieht Toffler als Teil einer Art
unsichtbaren Ökonomie, da Hausarbeit zumeist als nicht produktiv abqualifiziert
wird. Doch er sieht Hoffnung, wenn er feststellt, dass Menschen ungefähr seit 1950
beginnen, bestimmte Dienste des Sektors B wieder zurück in den Sektor A zu verlagern. Den ersten Schritt in dieser Verlagerung identifiziert er im Aufkommen von
Selbsthilfegruppen, die seiner Meinung nach „eine grundlegende Abkehr vom passiven Konsumentendasein und eine Zuwendung zum aktiven Prosumententum“ (ebd.,
S.276) repräsentieren. Ein zweiter umfassender Schritt in Richtung Prosumentenkultur manifestiere sich in den 1970er Jahren mit der Entwicklung von Selbstbedienung
an Tankstellen oder durch die Installation von Bankautomaten. Generell erwache die
sogenannte Do-It-Yourself Bewegung und ein großes Wachstum, in der Heimwer-
11
kerbranche als auch eine große Nachfrage bei den Ratgeberbüchern sei zu verzeichnen. Hier liegt also definitiv ein Rücktransfer von Tätigkeiten aus dem Marktsektor
in den Sektor des Prosums vor. Neben dem Dienstleistungsbereich sieht Toffler diese
Verschiebung bereits 1980 auch im Sachleistungsbereich. Hier stellt er sich die Beteiligung des Konsumenten durch die Möglichkeit der Individualisierung der zuvor
immer standadisierten Güter vor und schlägt zum Beispiel die Integration von Kunden in den Designprozess der Produkte vor (vgl. ebd., 273ff). Außerdem scheint er
die technologischen Möglichkeiten des Internets zu antizipieren, wenn er schreibt:
Viele der elektronischen Apparaturen, mit denen wir daheim unser Geld verdienen werden,
werden es uns auch ermöglichen, Güter oder Dienstleistungen für den Eigenverbrauch zu
produzieren. In einem solchen System rückt der Prosument wie einst während der Ersten
Welle ins Zentrum des wirtschaftlichen Lebens – dieses Mal jedoch unter den technologischen Bedingungen der Dritten Welle (ebd., S.281).

Diese technologischen Bedingungen manifestieren sich heute wohl maßgeblich im
sogenannten Web 2.0, welches im nächsten Punkt nähere Beachtung findet. An dieser Stelle sei kurz gesagt, dass Toffler Recht behalten hat und neue Kommunikationstechnologien eine Welt vernetzter Nutzer geschaffen haben, die kollaborativ Produkte erstellen und somit eine neue Partizipationskultur formen. Nach Henry Jenkins
ist dies eine Kultur, in der Fans und andere Konsumenten dazu eingeladen sind, aktiv
an der Produktion und Distribution von neuen Inhalten teilzunehmen (vgl. Jenkins
2008, S.331). Jenkins sieht daher Fanfiction im Internet als Ausdruck einer modernen Amateurkultur, die ähnlich wie die Kulturen in der vorindustriellen Zeit, in Tofflers Worten also der ersten Welle, auf kreative Weise auf ihre Umgebung reagieren
(vgl. Jenkins 1992, S.18).
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass Prosumtion generell
die „Herstellung einer bestimmten Sach- oder Dienstleistung zum Zwecke der nichtexklusiven Eigennutzung“ (Hellmann 2010, S.23) beschreibt. Das durch den Prosumenten hergestellte Gut bezieht seinen Gebrauchswert somit aus seiner Bestimmung zur Eigenverwendung und nicht zum Angebot auf dem Markt. Kai-Uwe Hellmann fügt dieser Definition noch an, dass der Prosument stets einen Beitrag leistet,
ohne den der Herrstellungsprozess eines Produktes oder einer Dienstleistung unabgeschlossen bleiben würde. Dies ist augenscheinlich bei den Beispielen der Selbstbedienung (der Gast könnte ohne Eigenleistung nicht essen) oder bei einer eigenhändigen Reparatur unter telefonischer Anleitung einer Servicekraft. Der US-amerikani-
12
sche Verlag Coliloquy verinnerlicht die Beteiligung des Prosumenten durch seine
„Wähle-dein-eigenes-Abenteuer“-Titel. Der Leser muss sich zwischen verschiedenen
Lesepfaden entscheiden und vervollständigt das Produkt, das Buch, individuell nach
seinem Belieben (vgl. Morais 2012). Wendet man diese Definition sehr weitläufig
an, ist man schnell der Kritik ausgesetzt, dass jede Art von Konsum dann Prosumtion
ist, da die Wertschöpfungskette eines Produktes immer erst abgeschlossen ist, wenn
der Konsument dem Produkt Aufmerksamkeit schenkt. Sonst erfüllt das Produkt den
Zweck der Investition nicht (vgl. Hellmann 2010, S.36ff). Ein Buch ist unter diesem
Gesichtspunkt ohne den Leser nicht abgeschlossen, denn es kann seinen Sinn, gelesen zu werden, nicht erfüllen. Nicht jeder Leser kann jedoch so einfach zum Prosumenten erklärt werden.
Dennoch ist deutlich geworden, dass dem Aufstieg des Prosumenten mehr
Aufmerksamkeit entgegengebracht werden muss. Philip Kotler macht bereits 1986
Vorschläge inwiefern ein erfolgreiches Marketing sich verändern muss, um auf die
zu erwartenden Veränderungen eingehen zu können: „Marketers will have to direct
their promotion appeals to themes stressing individualism, skill-building, and productiveness“ (Kotler 2010, S.57). Toffler unterstreicht zum Ende seiner Ausführungen:
Die Ökonomen werden nicht mehr ihre ganze Weisheit auf den Sektor B konzentrieren können, sondern müssen eine »Ganzheitsmethode« entwickeln. Sie müssen auch analysieren was
in Sektor A geschieht und in welchem Verhältnis die beiden Sektoren zueinander stehen
(Toffler 1980, S.285f).

Genau diesem Aufruf möchte diese Arbeit folgen und Fanfiction, als Literatur, die
für den unkommerziellen Eigenkonsum im Sektor A produziert wird, in ihrem Verhältnis zur Textproduktion in Sektor B untersuchen.

2.3 Merkmale digitaler Medien und Definition des Web 2.0
Der Aufstieg des Prosumenten mit der dritten Welle ist stark an das Aufkommen neuer Kommunikationstechnologien gebunden. Deshalb muss im Zuge der theoretischen Vorarbeit für die Diskussion von Fanfiction als Textprosumtion, ein ganz
basales Verständnis für digitale Medien und deren charakteristische Arbeitsweise
aufgebaut werden. Die hier angebotenen Definitionen erschöpfen das Diskussions-
13
feld um digitale Medien nicht, sondern werden lediglich zielführend herangezogen,
um anschließend das Konzept der Web 2.0 - Technologien vorgestellen zu können.
Siegfried J. Schmidt definiert Medien als Teil seines Entwurfs einer Medienkulturwissenschaft als einen Kompaktbegriff mit vier Komponenten. Zum einen seien Medien Kommunikationsinstrumente, mit denen Informationen übermittelt werden – dies sei zuallererst natürlich Sprache und in den digitalen Medien sind es vor
allem Computersprachen und Protokolle. Ein weiterer Aspekt des Medienbegriffs
ziele auf die Technologien, die Angebote produzieren, distributieren und rezipierbar
machen. Digitale Medien benutzen verschiedene Computertechnologien zu denen
unter anderem Web 2.0 Anwendungen gehören und auf die später detaillierter eingegangen werden soll. Als dritte Komponente zählt Schmidt die „sozialsystemische Institutionalisierung der medientechnischen Dispositive“ (Schmidt 2008, S.355) – Medientechnologien seien folglich auf die Herausbildung verschiedenster Institutionen
angewiesen, um die nötige technische, ökonomische, rechtliche, politische und soziale Infrastruktur zur Verwaltung und Kontrolle zu entwickeln. Die Urheberrechtsdebatte um digitale Inhalte im Internet ist ein Zeichen dafür, dass das Internet eine recht
junge Medientechnologie ist, deren juristische Einbettung in die Gesellschaft noch
nicht abgeschlossen ist. Der letzte Bestandteil von Schmidts Mediendefinition bezieht sich auf das Medienangebot, dessen Entstehung und Existenz strukturell als
auch inhaltlich von den anderen drei Komponenten abhänge und aus ihnen hervorgehe. Ein digitales mediales Angebot wird mittels Computertechnologie für das oder
direkt im Internet produziert, durch dieses distributiert und kann mittels Empfangsgeräten mit Computertechnologie rezipiert und auch bearbeitet werden (vgl. Schmidt
2008, S.354f; vgl. Hartling 2009, S.42f). In dieser Arbeit geht es vordergründig um
das Medienangebot Online Fanfiction, dass durch die Nutzung von computerbasierten Kommunikationsmitteln, Web 2.0 Medientechnologien, einer massenereichenden
technischen Infrastruktur und einer bemerkenswerten sozialen Dimension der verschiedenen Fantümer erschaffen wird.
Vor dem Hintergrund dieses grundlegenden Verständnisses des Medienbegriffs stellt sich jetzt die Frage: Was genau ist der Unterschied zwischen analogen
und digitalen Medien? Lev Manovich schlägt zum Zweck dieser Unterscheidung
fünf Prinzipien vor, die digitale Medien auszeichnen. Zum ersten seien digitale Medien immer numerisch repräsentiert, das heißt sie sind mathematisch beschreibbar
und daher auch programmier- beziehungsweise manipulierbar. Zweitens seien sie im
14
Gegensatz zu analogen Medien modular aufgebaut. Digitale Medienelemente seien
einzelne autonome Fragmente, die beliebig kombiniert werden können. Digitale Medien fügen sich somit immer wieder beliebig neu zusammen und sind daher ausgezeichnet zum Remix geeignet. Der numerische Code zusammen mit der modularen
Struktur bedinge laut Manovich die dritte Eigenschaft digitaler Medien. Sie könnten
durch Automation geregelte Operationen ausführen, die menschliche Partizipation
ausschließen könne. Als niedrigste Form dieser Automation nennt er zum Beispiel
die Photoshopfunktion der automatischen Bildrandbeschneidung und als höchste
Ebene gelten selbstverständlich Formen von künstlicher Intelligenz. Das vierte Prinzip beschreibt die Variabilität von digitalen Medienobjekten. Das Prinzip der Codierung ermögliche potenziell unendliche Variationen der Objekte. Analoge Medienobjekte wie das Buch oder das Foto seien starre Artefakte, weil ihre Informationen endgültig auf einem unveränderlichen Trägermedium fixiert seien. Digitale Medienobjekte seien jedoch nie endgültig fixiert, sondern dynamisch veränderbar, also sozusagen flüssig. Dieser fluide Charakter von digitalen Medien ist eine wesentliche Bedingung der rasanten Ausbreitung von Prosumtion und wird bei den Ausführungen von
Axel Bruns Konzept des Produsage im Kapitel 3.2 noch eine große Rolle spielen.
Das fünfte und letzte Prinzip beschreibt Manovich als kulturelle Transcodierung.
Hier spricht er die Eigenschaft digitaler Medien an, unsere ganze Kultur zu computisieren:
In summary, the computer layer and the culture layer influence each other. To use another
concept from new media, […] they are being composited together. The result of this composite is a new computerculture – a blend of human and computer meanings, of traditional ways
in which human culture modeled the world and the computer's own means of representing it
(Manovich 2001, S.46).

Das letzte Prinzip ist eine Art Metapher für den derzeitigen Übergang von alten zu
neuen Medien und beschwört die Herausbildung einer digitalen Kultur. Manovich
beschreibt den Einfluss der Neue-Medien-Revolution als spürbar auf allen Kommunikationswegen, besonders in der Erfassung, Bearbeitung, Speicherung und Verbreitung von Informationen. Betroffen sind alle Formen von Medien: genannt werden
Texte, unbewegte Bilder, bewegte Bilder sowie Klänge (vgl Manovich 2001,
S.19,27,30ff,36,45f).
Auch die Ablösung der Industriegesellschaft mit ihrer Kultur der Massenmedien durch eine postindustrielle Gesellschaft, die sich durch Individualität statt Kon-
15
formität auszeichnet, findet in Manovichs Charakterisierung Ausdruck. Er sieht im
Wandel der Medientechnologien von den alten analogen Medien zu den neuen digitalen Medien auch den Ausdruck eines sozialen Wandels, der Leben und Medien als
individuell anpassbar propagiert (vgl. ebd., S.41). Hier ist wieder die von Toffler angesprochene Kollision der zweiten und dritten Welle spürbar: das Publikum fordert
eine Individualisierung der Leistung von Massenmedien und spaltet sich in immer
kleinere Interessengruppen, die nur von individualisierten Medien bespielt werden
können. Die Kollision bedingt somit die Entstehung von „de-massified media“ (Toffler 1980, 171ff). Prosumenten in den digitalen Medien beginnen außerdem, den fluiden Charakter für ihre individuellen Ziele, Zwecke und Ideen zu nutzen: Fanfiction-Schreiber setzen sich aktiv in einer Gemeinschaft von Fans mit Texten auseinander – die Artefakte, die sie dabei als Fangeschichten erschaffen, sind von digitalem
Charakter und existieren in immer neuen Versionen in den sozialen Gemeinschaften
von Foren und Blogs. Hier werden sie stätig kommentiert, verändert, verbessert und
individuellen Bedürfnissen angepasst.
Digitale Medien werden im Sinne dieser Arbeit also als Kommunikationsinstrumente verstanden, die durch bestimmte Technologien fruchtbar gemacht und
durch verschiedenste gesellschaftliche Institutionen strukturiert werden. Das resultierende Medienangebot zeichnet sich durch die Prinzipien der numerischen Codierung,
der Modularität, der Automation und der Variabilität aus.
Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts wird die Nutzung von vernetzten Computern zur täglichen Praxis eines Großteils der westlichen Bevölkerung. Computerhardware wird stetig besser und günstiger, schnellere Internetverbindungen machen
das Surfen im World Wide Web immer bequemer und das Internet wird zu einem
Massenmedium. Aufgrund dieser Entwicklung betritt 2004 ein neues Trendwort die
Bühne des digitalen Mediendiskurses: Tim O'Reilly prägt mittels einer gleichnamigen Konferenz den Begriff „Web 2.0“ und erklärt dann 2005 in einem Artikel auch
„What is Web 2.0?“ - O'Reilly beschreibt hier wie bestimmte Technologien, die sich
durch sieben Eigenschaften auszeichnen, die Potenziale des Internets durch neue Anwendungen weiter ausschöpfen als bisherige von ihm Web 1.0 genannte Services.
O'Reilly formuliert den Übergang zu einer metaphorischen neuen Version des Internets mittels Beispielen. Er sieht die Transformation vom passiven Surfen in einem
dezentralisierten Web hin zur aktiven Beteiligung in einer vernetzten Gemeinschaft
beispielsweise im Wandel von der Nutzung statischer persönlicher Websites hin zur
16
Nutzung dynamischer Blogs. Gehe es im Web 1.0 nur um Veröffentlichung von Informationen, sei das Ziel des Web 2.0 immer die Partizipation der Nutzer (vgl.
O'Reilly 2005; vgl. Behrendt/Zeppenfeld 2008, S.5,11). Aus diesem Grund wird das
Konzept des Web 2.0 auch als Mitmach-Netz bezeichnet. Im Folgenden soll näher
auf die einzelnen Faktoren, die O'Reilly benennt, eingegangen werden. Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt jedoch auf den Faktoren, die für den Aufstieg einer
Prosumentenkultur im Allgemeinen wichtig sind und gleichzeitig die Vorraussetzung
für die explosionsartige Verbreitung von Fanfiction im Speziellen bilden.
Das erste Merkmal einer Web 2.0 Anwendung sei nach O'Reilly die Nutzung
des Webs als Service-Plattform. Das heißt, dass komplexe Programme nichtmehr
durch den lokalen Rechner als Desktop-Anwendung ausgeführt werden, sondern
unabhängig von Betriebssoftware über das Internet abgefragt werden können. Diese
Eigenschaft senkt die Zugangsbarrieren zu Inhalten deutlich, macht private Daten
jederzeit und von überall abrufbar und unterstützt kooperative und kollaborative
Arbeitsweisen. Die soziale Publikations- und Leseplattform Wattpad.com ist mit
einem Internetzugang jederzeit erreichbar – wer dort einen Text einstellt, kann diesen
jederzeit von jedem Computer mit Internetzugang weltweit wieder abrufen. Das
heißt, dass auch alle anderen Nutzer von Wattpad.com Zugriff haben und
kollaborativ am Inhalt der Geschichte gearbeitet werden kann. Daraus resultiert
indirekt eine weitere Eigenschaft: Web 2.0 Anwendungen nutzen die kollektive
Intelligenz aller Internetnutzer, um Inhalte zu erschaffen. Die Reduzierung der
Zugangsbarrieren wird soweit ausgedehnt, dass die Oberflächen der Anwendungen
so benutzerfreundlich sind, dass technische Vorkenntnisse zur Produktion von
Webinhalten nicht nötig sind. Wattpad.com bietet eine einfache Nutzeroberfläche,
mittels derer jeder Nutzer in der Lage ist, Inhalte auf der Seite zu publizieren. Jeder
kann theoretisch mitmachen und die Web 2.0 Services leben fast ausschließlich von
sogenanntem 'user-generated content'. Dies ist die nächste Eigenschaft von Web 2.0
Anwendungen, die O'Reilly als „Data is the next Intel inside“ (O'Reilly 2005)
beschreibt. Das verdeutlicht, dass Qualität und Quantität der Datenbestände das
ganze Kapital eines Web 2.0 Service ausmachen. Eigentlich benutzen viele Websites
die selben Darstellungskomponenten – einziges Unterscheidungsmerkmal im Web
2.0 Dschungel sind die von Nutzern permanent generierten Daten (vgl.
Behrendt/Zeppenfeld 2008, S.11ff; vgl. Ebersbach u.a. 2008, S.24f; vgl. O'Reilly
2005). Fanfiction.net war eine der ersten Plattformen mit wenigen editorialen
17
Beschränkungen, sodass sich eine große Anzahl von Nutzern für die Website
begeistert.
Als viertes Merkmal von Web 2.0 Applikationen sieht O'Reilly den Ausbruch
aus dem traditionellen Softwareentwicklungskreislauf. Neue Webanwendungen werden meist mittels der 'agile'-Methode entwickelt. Das heißt, dass nicht erst die gesamte Anwendung geplant, entwickelt und getestet wird, um sie dann in einem Paket
zu veröffentlichen, sondern dass die Entwicklung mit dem Nutzer erfolgt. Beta-versionen von Applikationen sind schon während der Entwicklungsphase für den Nutzer
erreichbar und das Produkt ist besser an den schnelllebigen Markt anpassbar, da der
Entwicklungszyklus variabler ist (vgl. Behrendt/Zeppenfeld 2008, S.14; vgl. Ebersbach u.a. 2008, S.25; vgl. O'Reilly 2005). Die agile Arbeitsweise zeichnet sich durch
Dynamik und Variabilität aus und ist daher optimal geeignet, um schnell auf Kundenbedürfnisse und Marktveränderungen zu reagieren. Aktuell wird deshalb darüber
nachgedacht wie agiles Publizieren im traditionellen Literaturbetrieb ausssehen
kann.7 Als wegweisendes Beispiel gilt der in der Nähe von Chicago ansässige Verlag
Sourcebooks, der 2012 das Buch „Entering the Shift Age“ von David Houle mittels
der 'agile'-Strategie konzipiert und von Beginn an Leser in den Entstehungsprozess
des Buches einbeziehen wollte (vgl. Sourcebooks 2012).
Die letzten drei Eigenschaften von Web 2.0 Anwendungen, die O'Reilly benennt, sind Punkte, die generell mehr Anwenderfreundlichkeit bedingen. Er fordert
sogenannte „lightweight programming models“ (O'Reilly 2005), die es Nutzern erleichtern bestehende Komponenten einer Anwendung wieder- und weiterzuverwenden. Im Grunde appeliert O'Reilly für offene, leicht zu bedienende Schnittstellen innerhalb und zwischen den Anwendungen. Außerdem fordert er, dass die Darstellung
von Software nicht an bestimmte Geräte gekoppelt sein darf, sondern zum Beispiel
auf mehr als einem mobilen Endnutzergerät laufen sollte. Wattpad.com bietet seine
Anwendungen beispielsweise als Download für mobile Geräte, die mit dem Appleals auch dem Android-Betriebssystem arbeiten. Als letzte Eigenschaft formuliert
O'Reilly dann das Hauptziel jeder Web 2.0 Anwendung: die Bereitstellung einer
„rich user experience“ (O'Reilly 2005) und vor allem eines Erlebnisses, das sich automatisch verbessert je mehr Nutzer partizipieren (vgl. O'Reilly 2005; vgl.
Behrendt/Zeppenfeld 2008, S.14f).
7

Mehr Informationen zu diesem Thema sind zu finden auf: http://www.buchreport.de/nachrichten/
verlage/verlage_nachricht/datum/2012/09/28/wie-verlage-mit-daten-bessere-buecher-machen.htm
und http://toc.oreilly.com/2012/02/agile-for-real-world-publishing.html.
18
Das Prinzip des Web 2.0 basiert also auf dem Nutzer, der nichtmehr nur Konsument ist, sondern angehalten wird aktiv zu sein und zu produzieren. Das Web 2.0
gibt der ganzen Prosumentenbewegung somit einen gewaltigen Antrieb und vermehrt
die Produktionsmöglichkeiten für Amateure. Die Organisationsprinzipien des Web
2.0 ermöglichen einen freien und einfachen Austausch von Information und schaffen
eine Art Amateurkultur der Partizipation. Jeder Internetnutzer ist aufgrund von Web
2.0 Services in der Lage, ohne professionelles technisches Know-How oder teure
Produktionsmittel ausgereifte Medienprodukte zu erschaffen. Jeder kann theoretisch
ein Autor sein und sich selbst verwirklichen, da die neue Vernetzungsstruktur des Internets die konventionelle Sender-Empfänger Hierachie untergräbt (vgl. Reichert
2008, S.8,37). Diese Eigenschaft, dass Informationssender und -empfänger innerhalb
des Kommunikationsaktes einfach und kontinuierlich die Rollen tauschen können,
soll in dieser Arbeit als Definition von Interaktivität gelten. Die Web 2.0 Anwendungen perfektionieren die Interaktivität der digitalen Medien und befreien die bisher
passiven Leser, Zuhörer und Zuschauer aus ihren alten massenmedialen Umgebungen:
[I]n der Netzkommunikation [flacht] die Hierachie zwischen Sender und Empfänger (respektive Produzenten und Rezipienten von Informationen) [ab] und [tendiert] zu einer symmetrischen Wechselwirkung […], sodass die »Nutzer« also erheblich mehr Wahl- und Kontrollmöglichkeiten besitzen als in »herkömmlichen« Medienumgebungen (Bieber/Leggewie
2004, S.9)

Der Prosument profitiert demnach von der neuen digitalen, interaktiven Medienumgebung und ist durch die Errungenschaft des Web 2.0 in der Lage, ein persönliches,
mobiles und multimediales Kommunikationsverhalten zu entwickeln. (vgl.
Bieber/Leggewie 2004, S.7ff) Dies steht im Kontrast zu Meinungen, dass Amateure
nicht kreativ produktiv werden, sondern lediglich laienhaft mit programmierten
Blackboxen umgehen (vgl. Reichert 2008, S.66). Es bleibt also zu diskutieren, welche Auswirkungen die Möglichkeiten des Web 2.0 wirklich auf die Position des Autors und die Arbeitsweisen in der Literaturproduktion haben.
19

3. Das Web 2.0 als neuer Ausgangspunkt von Prosumtion
3.1 Konsumenten und Produzenten von digitalen Medien
Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln erläutert worden ist, verwischen die digitalen Medien und ihre neuen Web 2.0 Anwendungen die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten. Das traditionelle Konzept des Publikums, der
passiv Konsumierenden, verliert sein Anwendungsfeld im Zeitalter des Internets. Die
Vielfalt von Medienangeboten ist mit der Ausdifferenzierung des World Wide Web
exponentiell gestiegen. Ein Grund dafür sind die leichteren und günstigeren Distributionsmöglichkeiten im Internet. Ein anderer ist die Ausprägung von diversen Medienproduktionshilfen für Amateure und der Wandel im Selbstverständnis von Web 2.0
Anwendern. Inhalte können leicht und schnell durch diverse Plattformen produziert
werden und es geht nicht mehr nur darum, ein möglichst großes Publikum zu erreichen, sondern schlicht um Selbstdarstellung oder Teilhabe am medialen Diskurs. Mit
der zunehmenden Verbreitung von sogenannten Amateurinhalten, die qualitativ stark
variieren, ist der Konsument einer anhaltenden Informationsflut ausgesetzt. Für viele
Nutzer eröffnet sich hier ein großes Problem der Filterung und Kategorisierung von
Inhalten – der Konsument muss aktiv Strategien produzieren, um gewünschte Inhalte
zu finden (vgl. Pavlik 2008, S.56,79ff). Konsumenten von digitalen Medien entwickeln ständig neue Medienkompetenzen und damit einhergehend ein neues Selbstverständnis als aktiv-teilhabende und produktiv-tätige Nutzer. Ramon Reichert fasst
diese Entwicklung speziell im Bezug zur Textproduktion folgendermaßen zusammen:
Das Hypermedium Internet subsumiert alle bisherigen Kommunikationsmedien und -wege
unter ein- und derselben Medienoberfläche in multimedialen Darstellungsformen. Dabei vernetzt es Hypertexte, die sich aus schriftlichen, auditiven, visuell-dynamischen, fotografischen
und grafischen Dokumenten zusammensetzen und auf technischen Plattformen bearbeitet
werden können. Die damit einhergehende Aufhebung der Differenz zwischen Lese- und
Schreibrechten stellt den traditionellen Begriff vom Autor und der Autorin in Frage und kündigt eine neue Wissensordnung an, in der die Rollenaufteilung zwischen dem aktiven Autor
und dem passiven Leser verschwinden könnte (Reichert 2008, S.45, Hervorhebung im Origi
nal).

Digitale Medien verändern den Umgang mit dem Lesen und Schreiben, wenn diese
Konsum- und Produktionsvorgänge durch die zunehmende Vernetzung von Nutzern
vermehrt kollaborativ werden. Bedeuten die Vernetzung durch das Internet und die
speziellen Web 2.0 Anwendungen somit den Tod des traditionellen Autors? Zum
20
besseren Verständnis von Autorschaft und ihren vielfältigen Ausprägungen möchte
diese Arbeit eine kurze lineare und daher stark vereinfachte Darstellung der historischen Entwicklung von Autorschaftskonzepten liefern. Eine Beschreibung des eigentlichen Nebeneinanders der vielfältigen und rivalisierenden Autorschaftsmodelle
würde den Rahmen hier sprengen.8
Ansgar Nünning nimmt den Autorbegriff generell zur „Bezeichnung für den
geistigen Urheber von Texten jeglicher Art“ (Nünning 2008, S.41). Verschiedene
Konzeptionen von Autorschaft fächern sich auf, weil der geistige Urheber historisch
teilweise als Kollektiv und teilweise als Individuum auftritt. Althochdeutsche Literatur kann als reiner Ausdruck des kulturellen Gedächtnisses eines Kollektivs angesehen werden. Literatur wird zumeist mündlich weitergegeben und sofern von Autorschaft zu sprechen ist, ist diese durch ihrer Kollektivität anonym. In der mittelhochdeutschen Literatur verdichten sich mündliche und schriftliche Weitergabestrukturen
zu einer sogenannten Regelpoetik. Der Autor gilt als poetischer Handwerker. Er ist
ein Schreiber und hat lediglich eine handwerkliche Funktion und keine sinnstiftende.
Somit erwirbt er auch keine Autorschaft an dem Geschriebenen und die niedergeschriebene Literatur bleibt durch die kollektive Produktion des Inhaltes im Modus einer anonymen Autorschaft. Mit der literarischen Bewegung des Sturm und Drang im
18. Jahrhundert verändert sich das Verständnis von Autorschaft grundlegend. Die
Regelpoetik wird zugunsten einer sogenannten Genieästhetik aufgelöst: kollektive
Autorschaftsmodelle werden durch die Vorstellung vom Autor als Genie ersetzt. Der
Autor kann und muss jetzt gegen die gegebenen Regeln der Poetik verstoßen, denn
sein Können misst sich am Grad der von ihm gezeigten Individualität und Autonomie seiner Arbeit. Allein das Autorgenie ist verantwortlich für den Sinn des Textes
und ist somit die Instanz, die befragt werden muss, wenn der Textsinn entschlüsselt
werden soll. Die Intention des Autors bestimmt das Verständnis des Textes. Diese
Geniepoetik ist die Grundlage für die Entstehung des heute geltenden modernen Urheberrechts, welches die Rechte des Autors an seinem Werk fixiert und somit erstmals eine eindeutige Beziehung im Sinne eines Besitztums zwischen dem Text und
dem Autor herstellt (vgl. Hartling 2009, S.76ff).
Das Verständnis des Autors als alleinigen geniehaften Urheber von Texten ist
auch heute noch gesellschaftlich vorherrschend, obwohl sich Überlegungen des Poststrukturalismus bereits in den 1960er Jahren von dieser traditionellen Autorfigur ver8

Für eine ausführliche Darstellung siehe Hartling 2008, Kapitel 3.3.
21
abschieded haben. Julia Kristeva9 setzt eine universale Intertextualität an die Stelle
des Autors und Roland Barthes ruft 1968 den Tod des Autors aus. Barthes kritisiert
mit seinen Ausführungen die Vorstellung, dass ein Text einen einzigen vom Autorgenie gegebenen Sinn habe. Dieser Standpunkt der Hermeneutik, welche stets die
Biografie des Autors zur Entschlüsselung des Textsinns heranzieht, wird von Barthes
karikiert und kritisiert. Er schlägt, indirekt auf Kristevas These der Intertextualität
aufbauend, ein neues Verständnis von Text vor, wenn er schreibt,
daß [sic!] ein Text nicht aus einer Wortzeile besteht, die einen einzigen gewissermaßen theologischen Sinn (das wäre die ››Botschaft‹‹ des ›Autor-Gottes‹) freisetzt, sondern aus einem
mehrdimensionalen Raum, in dem vielfältige Schreibweisen [écritures], von denen keine ursprünglich ist, miteinander harmonieren oder ringen: Der Text ist ein Geflecht von Zitaten,
die aus den tausend Brennpunkten der Kultur stammen (Barthes 2006, S.61).

Ein Text wird also nicht mehr als originelles Werk des Autors behandelt, sondern als
ein Gewebe aus bereits dagewesenen, nur neu aufgeschriebenen écritures – Textproduktion ist „ein zitierendes Zusammenschreiben von Fragmenten“ (Wirth 2001,
S.56). Der Autor wird von Barthes wieder durch den Schreiber ersetzt, der jetzt verschiedene Schreibweisen verschiedener Kulturen und Zeiten zu einem Text verwebt.
Der Schreiber ist sozusagen wieder der bloße Handwerker, eine Art überpersönliche
Instanz des Schreibens und an die Stelle des genialen Autors tritt der Text selbst. Der
Text löst sich von seinem Urheber und ist somit autorlos. Aufgrund der intertextuellen Beschaffenheit der Welt und jedes Textes erteilt Barthes eine Absage an die singuläre Interpretierbarkeit von Texten. Der Sinn eines Textes kann im hermeneutischen Sinne nicht entziffert werden. Jeder Text bietet eine Vielzahl von diffus verlinkten Sinnangeboten, die durch den Leser individuell entwirrt werden können. In
der Instanz des Lesers entfaltet sich der individuelle Sinn eines Textes. Somit kann
der Autor nicht mehr als Bezugspunkt der Interpretation von literarischen Texten gelten: „Die Geburt des Lesers muß [sic!] mit dem Tod des ›Autors‹ bezahlt werden“
(Barthes 2006, S.63). Die Vorstellung einer individuellen Autorschaft verschwindet
in Barthes Denken, da er die Funktion der Einheitsstiftung nicht mehr in der Texterzeugung, dem materiellen Ursprung des Textes, verankert, sondern im Akt des Lesens also im Zielpunkt der Textproduktion (vgl. Barthes 2006, S.57-63; vgl. Wirth
2001, S.56).
Der Autor wird verabschieded und seine Funktionen werden anderen literari9

Siehe hierzu Julia Kristevas Aufsatz „Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman“ (1967).
22
schen Kategorien zugeschrieben: dem Leser und dem Text. Übrig bleibt der Schreiber, der lediglich mit der Zusammenstellung von Dagewesenem betraut ist – er betreibt konstant 'copy and paste'. Uwe Wirth ist mit Barthes Beschreibung des Schreibers nicht ganz einverstanden und hinterfragt, ob der Schreiber seine Funktion erfüllen kann, ohne jemals vorher Leser gewesen sein. Barthes macht hierzu keine expliziten Angaben und Wirth schlägt die Einführung der Figur des Editors vor. Die Instanz eines Herausgebers beschreibe besser, was Barthes als Schreiber bezeichnet:
der Editor ist „als erster Leser und zweiter Autor [derjenige, der] das Geschriebene
Anderer zusammenliest und zusammenschreibt“ (Wirth 2001, S.57).
Neben der Degradierung des Autors zum Schreiber oder wie Wirth vorschlägt
zum Editor, ist die Aufwertung der Bedeutung des Lesers zentral für Barthes Theorie. Aus dieser Aufwertung ziehen Vertreter der Hypertext-Theorie in den 1990er
Jahren ihre theoretische Fundamentierung und feiern den endgültigen Tod des Autors
und die Geburt eines emanzipierten, produzierenden Lesers in der Praxis von digitaler Hypertextliteratur:
Roland Barthes describes ideal textuality that precisely matches that which in computing has
come to be called hypertext – text composed of blocks of words (or images) linked electronically by multiple paths chains, or trails in an open-ended, perpetually unfinished textuality
described by the terms link, node, network, web and path (Landow 1997, S.3, Hervorhebungen im Original).

Mit dem sogenannten 'wreader' wird die kollektive Autorschaft im Internetzeitalter
wiedergeboren. Literatur im digitalen Medium liegt in den verschiedensten Ausformungen vor: es soll hier zwischen Literatur im Internet, die dort lediglich publiziert,
jedoch nicht produziert wird und Netzliteratur unterschieden werden, die für oder im
Internet produziert wird und die neuen Möglichkeiten des Mediums für sich fruchtbar macht. Diese Texte sind nach dem Hypertextprinzip organisiert und werden somit zu nicht-linearer Literatur, die sich aus einzelnen, untereinander verlinkten, in
sich linearen Texteinheiten (Lexien) aufbaut (vgl. Tuschling 2006, S13f). Online
Fanfiction ist in diesem Sinne eine schwach ausgeprägte Form von Netzliteratur. Sie
ist nicht nur Literatur im Internet, weil das Kommentar- und Beurteilungssystem der
Blogs und Foren essentieller Bestandteil und nur im digitalen Medium direkt mit
dem Ursprungstext verknüpft ist. Dennoch bedient Fanfiction sich nicht vordergründig der Hypertextform wie die Hypertext-Theorie es vorschlägt. Trotzdem ist es
wichtig, einen Blick auf diese Theorie zu werfen, da sie als erstes die Überzeugungen
23
von Roland Barthes auf die technischen Bedingungen von Literaturproduktion im
Zeitalter des Internets bezieht und große Hoffnungen formuliert, dass die digitalen
Medien eine völlig neue kollaborative, literarische Textproduktion bedingen.
Die Figur des 'wreaders' wird 1994 von George Landow entworfen: dieser
aufgewertete Leser ist durch das Lesen an der Produktion von Texten beteiligt, weil
er durch die Auswahl eines bestimmten Lektürepfads im Dschungel der Hypertextverbindungen eine bestimmte Version eines Textes produziert (vgl. Hartling 2009,
S.70). Ein Beispiel für digitale Hypertextliteratur heute sind die bereits erwähnten
Wähle-dein-eigenes-Abenteuer-Titel von Coliloquy. Der Leser erwirbt hier autoriale
Funktionen:
One clear sign of such transference of authorial power in the reader's ability to choose his or
her way through the metatext, to annotate text written by others and to create links between
documents written by others. […] In reducing the autonomy of the text, hypertext reduces the
autonomy of the author (Landow 1997, S.90).

Es scheint also so als könnte der Hypertext die poststrukturalistischen Versprechen
von Roland Barthes einlösen und den Leser endgültig befreien.
Bei genauerer Betrachtung erweist sich Landows Argumentation jedoch als
Trugschluß. Roberto Simanowski sieht in der Praxis der Hypertexttechnologie keinesfalls eine Befreiung des Lesers, sondern vielmehr eine Gefangenschaft. Der Leser
könne zwar einen individuellen Lektürepfad wählen, sich allerdings nur im Rahmen
der vom Autor oder Programmierer vorgegebenen Möglichkeiten entscheiden. Somit
wirft Simanowski der Hypertextfiction vor, den Leser nur scheinbar zum Co-Autor
zu machen. Der Leser bleibe weiterhin in den vom Autor vorgegebenen Dimensionen gefangen: Beim Beispiel der Hypertextliteratur muss sich der Leser den bereitgestellten Varianten der Text-Link Organisation unterordnen. Somit sei der Autor nicht
geschwächt, sondern behalte seine Macht, den Rahmen der Erzählung vorzugeben
(vgl. Simanowski 2001, S.8,11). Simanowski propagiert hier die scheinbare Rückkehr des Autors in Gestalt des Programmieres, denn eines ist eindeutig: Durch die digitalen, nicht-linearen, interaktiven Medien werden neue Autorschaftskonzepte hervorgebracht. Im Gegensatz zu einem starken Autor als Programmierer, kann der Autor im digitalen Feld jedoch auch als vollkommen entmündigter Schreiber oder
Handwerker, der Hard- und Software uneingeschränkt ausgeliefert ist, wahrgenommen werden (vgl. Hartling 2009, S.102). Vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes muss gefragt werden, ob es noch Sinn macht, Begriffe wie Autor, Leser und
24
Text, im Zusammenhang mit digitalen Medien weiter zu verwenden. Michael Wetzel
argumentiert, dass die Wiederkehr des Autorbegriffs im digitalen Diskurs eine reine
Karikatur ist. Er beschreibt den historischen Autor, der sich mit dem Medium Buch
entwickele, als Zentrum eines geschlossenen Systems. Diese Autorschaft, die unter
dem Stichwort Genieästhetik bereits besprochen wurde, sei ausgezeichnet durch stilistische Individualität, Intentionalität und den Eigentumsanspruch. Mit der Digitalisierung breche die Geschlossenheit auf und Wetzel befürchtet,
daß [sic!] sich der Begriff [Autor], von seiner Genesis abgeschnitten, als gewissermaßen leere Bedeutungshülle neue Geltung schafft bzw. daß [sic!] als einzige die juristische Bedeutung
des Verantwortungsträgers überlebt hat, in funktionaler Hinsicht aber ganz andere, zur Tradition von Autorschaft nachgerade diametral entgegengesetzte Sinnzusammenhänge (wie das
handwerkliche, das Schreiber- / Kopisten- / Transformationsmodell) Geltung erlangen
(Wetzel 2002, S.279).

Der Begriff des traditionellen Autors scheint, im Kontext der digitalen Medien also entleert zu sein. Welche Gründe bedingen dieses Phänomen? Im Gegensatz
zum traditionellen Autor muss der Netzschreiber mehr Kompetenzen in sich vereinen: Natürlich bleibt die literarisch-ästhetische Komponente aus dem historischen
Autorbild erhalten. Hinzu kommt jedoch jetzt die Notwendigkeit von programmiertechnischer Affinität, wenn keine Software-Blackboxen der Web 2.0 Anwendungen
genutzt werden, oder hoher kommunikativer Fähigkeiten und sozialer Bereitschaft
bei der Nutzung von Web 2.0 Applikationen (vgl. Hartling 2009, S.46). Fanfiction-Schreiber spiegeln die netzspezifischen Techniken und Kommunikationsmuster
des Internets ästhetisch in ihren Blog- oder Foreneintragungen: Die komunikationstechnologische Komponente ihres Schreibens ist der Kommentar- und Bewertungsprozess, welcher immer ein Teil des produzierten Textes ist und als solcher wertgeschätzt wird. Interaktivität und Kollaboration sind wichtige Bestandteile von Netzliteratur und verändern die Autorposition so grundlegend, dass die Strukturender traditionellen genieästhetischen Autorschaft dahinter verschwinden. Dieser Punkt belegt,
dass sich die Materialität von Literatur verändert hat und der Netzschreiber nie ein
fertiges Produkt ins Netz stellt, sondern die kollektive Intelligenz aller vernetzten
Nutzer das Artefakt immer weiter verändert. Axel Bruns greift diesen Punkt auf interessante Weise auf und begründet darauf sein Konzept des Produsage, welches im
nächsten Kapitel weiter ausgeführt wird.
Im Zusammenhang mit Netzliteratur ist eine Zunahme von kollaborativer Au-
25
torschaft bewiesen und durch die Beschaffenheit des Mediums vorgezeichnet. Das
Internet demokratisiert die Mediennutzung, denn jeder Empfänger ist gleichzeitig
auch potenzieller Sender. Am Beispiel der Fanfiction kann man sehen, dass sich die
individuelle Autorschaft durch die Interaktion mit dem Kollektiv auflöst. Florian
Hartling nennt als Grundcharakteristikum von kollaborativer Autoschaft zuallererst,
dass jeder Leser die Möglichkeit hat, zum Schreiber zu werden. 10 Jeder Leser kann
mit Hilfe von Web 2.0 Anwendungen zum Schreiber von Fanfiction werden. Die im
Web bereitgestellten Applikationen wie Blogs, Wikis oder Foren, erlauben durch
ihre einfache Bedienung auch die Teilnahme von Nutzern mit geringer medialer
Kompetenz. Die Mitarbeit von einer potenziell sehr großen Anzahl vernetzter Nutzer
führt dazu, dass Texte mit kollektiver Autorschaft immer unabgeschlossen sind (vgl.
Hartling 2009, S.268). Ständige Erweiterungen sind nicht nur möglich, sondern dem
Medium inhärent und erwünscht. Die digitalen Medien ermöglichen dem Leser,
leicht eine Autorfunktion in einer Kollaboration einzunehmen. Somit wird der Konsument im Kontext der digitalen Medienproduktion zum Prosument und Barthes
These, das produktive Potenzial sei allein im Leser zu finden, bestätigt sich.
Diese theoretischen Überlegungen tendieren schnell zu radikalen Formulierungen, die in der Praxis nicht notwendigerweise genauso klar und endgültig vorzufinden sind. Simone Winko sieht den Autor im Netzdispositiv immer noch weiterleben, in Anbetracht dessen, wie sich Autoren mit Hilfe des Internets weiterhin stilisieren und präsentieren. Sie führt an, dass kollaborative Textproduktion zumeist journalistischer Natur ist und sich in Projekten wie Wikipedia oder der großen politischen
Blogosphäre manifestiert (vgl. ebd., S.271,277). Literarische Projekte tendieren weiterhin zu singulären Autorschaftsmodellen, die vom traditionellen Literaturbetrieb
durch die stetige Rückführung von erfolgreichen Onlinewerken zu Printversionen unterstützt wird. Fanfiction ist nach theoretischen Gesichtspunkten Ausdruck einer kollaborativen Autorschaft, die von einem singulären Autor iniziiert wird. Das heißt,
dass die Texte in jedem Fall als Produkt einer Fangemeinschaft angesehen, aber dennoch mit nur einem Autornamen gekennzeichnet werden. Ewan Morrison argumentiert in einem Artikel über Fanfiction, dass ungefähr 60 000 Variationen von Fangeschichten zur Twilight Saga von Stephenie Meyer existieren, die dem Inhalt von E.L.
10

Mit dieser Aussage ist gemeint, dass die Zugangsbarrieren der neuen vernetzten Informationswirtschaft niedriger sind als in einer industriellen Informationswirtschaft. Partizipation ist jetzt nur
durch die Frage nach dem individuellen Zugang zum Netzwerk, also dem Internet, beschränkt
(vgl. Bruns, 17).
26
James „Fifty Shades of Grey“ ähnlich sind. Die Fangemeinschaft hat diesen Inhalt
kollaborativ erschaffen und Morrison stellt daher fest: „Fifty Shades is a book with
60,000 authors“ (Morrison 2012). Der traditionelle Literaturbetrieb fordert jedoch
einen einzigen Autornamen, den er als Ordnungsprinzip des Diskurses dringend benötigt. Diese Strukturen ziehen sich bis in das neue digitale Medium hinein und bedingen die angesprochene Theorie-Praxis-Differenz. Somit zweifeln Hansgeorg
Schmidt-Bergmann und Torsten Liesegang zurecht:
[Es] ist fraglich, ob ein technisches Medium allein die Chance bietet, überlieferte Rezeptionsweisen aufzubrechen […]. Eine solche Argumentation übersieht die Tatsache, dass eine bestimmte Rollenteilung innerhalb literarischer Kommunikation Ergebnis einer funktionalen
Ausdifferenzierung ist. Autor und Werk erfüllen die Funktion einer Beständigkeit und Verlässlichkeit, die Instanz des Literaturbetriebes eine Auswahlfunktion, die Orientierung vermittelt im immer größeren Informationsangebot. Literatur verspricht weiterhin ein gesellschaftliches Prestige, das in der völligen Anonymität nicht erreichbar wäre. […] Nach wie
vor erscheint der Autor weniger als oberste Sinninstanz, sondern vielmehr als Ordnungsinstanz des literarischen Materials auch im Internet gefragt zu sein (Schmidt-Bergmann/Liese
gang 2001, S.16).

Solange also traditionelle Ordnungsdiskurse im Literaturbetrieb vorherrschend sind,
werden kollaborative Autorschaftsprojekte von Prosumenten, die sich in den digitalen Medien manifestieren, vorerst nicht Ernst genommen, ästhetisch abgewertet oder
bei großem Erfolg im Netz unter einem singulären Autornamen in den Printbereich
rückgeführt. Dennoch ist, am Beispiel der Fanfiction-Gemeinschaften zu sehen, wie
fruchtbar kollaborative Prosumtionsvorgänge sein können. Literaturproduktion verändert ihre Arbeitsweise – auch wenn Fanfiction nur einen geringen Teil der literarischen Textproduktion ausmacht.11
Die Möglichkeiten des Web 2.0 bedingen die Aufwertung des Lesers zum
Prosumenten, der jetzt als aktiv teilhabender und produktiv tätiger Internetnutzer zu
verstehen ist. Der Prosument ist sowohl Leser als auch Schreiber, Editor, Programmierer und Nutzer. Der traditionelle Autorbegriff aus den Zeiten der bürgerlichen
Moderne ist somit entleert. Produktionsvorgänge werden durch die Online-Vernetzung der Prosumenten zunehmend kollaborativ und das Konzept einer singulären
Autorschaft löst sich im Kollektiv der Internetnutzer auf. Insofern kann von einem
Tod des Autors gesprochen werden, der Hand in Hand mit der Veränderung der Materialität von Literatur geht. Literarische Textproduktion im Netz ist interaktiv und
kollaborativ und bringt somit fluide, dynamische Artefakte hervor.
11

Genaue Zahlen zu diesem Verhältnis konnten leider nicht in Erfahrung gebracht werden.
27
3.2 Die Geburt des Nutzers und die Idee des Produsage
Nach der Beleuchtung von Autorschaftsverhältnissen in einer vernetzten Informationswirtschaft ist deutlich geworden, dass Prosumtion im Sinne von Alvin
Toffler noch nicht weit genug gedacht ist, um die gegenwärtigen Entwicklungen in
der digitalen Textproduktion zu erfassen. Die veränderte Materialität der digitalen
Literatur ist, nicht allein durch Prosumtion zu erlären. Axel Bruns stellt fest, dass
Tofflers Theorie ein Kind seiner Zeit mit Erkenntnissen aus Betrachtungen der
1970er Jahre ist und Toffler die heutige vernetzte Internetwelt selbstverständlich
nicht komplett vorausdenken konnte. Bruns sieht Tofflers Verständnis von Prosumtion einzig als Etablierung einer Feedbackschleife von Konsument zu Produzent, jedoch keine signifikante Verschiebung in den Machtverhältnissen der traditionellen
Wertschöpfungskette von Produzent, Distributor und Konsument. Toffler scheint lediglich einen Zustand zu beschreiben, in dem der Konsument die industrielle Produktion durch hohe Bereitschaft zur Teilnahme an Marktforschung und Mitteilung seiner
Vorlieben zur Personalisierung von Produkten unterstützt. Der Konsument hat somit
mehr Einfluss darauf, was er konsumiert, indem er mehr und mehr direkte Produktionsaufträge gibt, wird jedoch nicht im vollen Maße zum aktiven Produzenten, sondern eher zu einem professionellen Konsumenten. Tofflers Konzept bleibt somit klar
in den Möglichkeiten der Zeit einer Industriewirtschaft, die sich langsam in eine Informationswirtschaft verwandelt, verankert (vgl. Bruns 2008, S.11ff).
Yochai Benkler beschreibt die derzeitige Gesellschaftssituation als den Zustand einer vernetzten Informationswirtschaft – im Vergleich zu Tofflers zeitlicher
Ausgangslage hat sich die Gesellschaft somit schon weiter in die dritte Welle hineinbegeben. Charakteristisch für diese vernetzte Informationswirtschaft sei die zunehmende Bedeutung von dezentralen individuellen Handlungen, im Besonderen kooperative und kollaborative Handlungen, die abseits des Marktes und gegen feste Besitzhierachien entstünden (vgl. Benkler2006, S.3). Dies steht im radikalen Kontrast zur
Organisation von Kommunikationsmodellen durch die industrielle Informationswirtschaft. Der Aufstieg des Internets als Massenmedium bringt schwerwiegende Verwerfungen und viele Herausforderungen für das traditionelle industrielle Modell von
Informationsproduktion und -distribution mit sich. Durch die fortschreitende dezentrale Vernetzung verändern sich die Zugangmöglichkeiten zu Informationen. Traditionell wird Information durch ein sogenanntes 'product push' Modell verbreitet – das
28
heißt, dass Information nicht individuell durch den Konsument angefragt wird, sondern unabhängig von seinen Bedürfnissen für eine breite Masse bereitgestellt wird.
Durch das Internet ist jeder Nutzer jetzt in der Lage, sich individuell Informationen
zusammenzustellen – in einer vernetzten Informationsgesellschaft liegt also ein sogenanntes 'information pull' Modell vor. Weiterhin bietet das Internet, wie bereits
mehrfach erwähnt, einfachen und allgemeinen Zugang zu neuen Produktions- und
Distributionsmöglichkeiten, sodass Informationsproduktion nicht mehr nur einigen
wenigen Unternehmern vorbehalten ist (vgl. Bruns 2008, S.13). Der vorherige Konsument kann durch die neuen Netzwerktechnologien die traditionellen Produzenten
und Distributoren einfach umgehen. Im literarischen Kontext steht somit
[d]er Begriff Netzliteratur […] auch für das seltsame Phänomen, dass sich die traditionellen
Funktionen im Literatursystem im Grunde genommen relativ diffus über alle Teilnehmer des
Netzdiskurses verteilen. Der Tod des Autors geht einher mit der Entmachtung von Verleger
und Lektor. Der Leser selbst ist nicht mehr auf die passive Rezipientenrolle zurückgeworfen,
sondern dazu angehalten sich kritisierend und schreibend in den Diskurs einzumischen
(Hartling 2009, S.47).

Die Funktionen im Informationsnetzwerk, die klassisch von Verlagen eingenommen
wurden und die ganze Domäne der Literaturvermittlung umfassen, können jetzt theoretisch von jedem Internetnutzer übernommen werden und der Literaturbetrieb ist
deshalb nicht ohne Grund in einer Phase des Umbruchs. Nutzer sind nun im Sinne
von 'peer-to-peer' Technologien direkt miteinander vernetzt und Mittlerpositionen
verlieren an Relevanz. Eine Informationswirtschaft, die weiterhin hierarchisch organisiert ist, wird im Internet durch dezentrale Vernetzungsmechanismen untergraben.
Im digitalen Raum bewegen sich Hersteller und Nutzer von Medieninhalten auf Augenhöhe – sie sind hier alle nur Knoten in einem neutralen Netzwerk. Im Gegensatz
zu den traditionellen Massenmedien vermag es das Internet jetzt also, das Machtungleichgewicht zwischen Produzenten und Konsumenten aufzulösen, indem der Konsument zu einem vernetzten Nutzer wird, der aktiv an der Informationsgestaltung
teilnehmen kann (vgl. Bruns 2008, S.14).
Neben den Funktionen des Konsumenten und des Produzenten wird ein Begriff im Zusammenhang mit dem Internet immer wichtiger: die Position des Nutzers.
Yohai Benkler begründet diese Entwicklung wie folgt:
[W]e are seeing the emergence of the user as a new category of relationship to information
production and exchange. Users are individuals who are sometimes consumers and someti-
29
mes producers. They are substantially more engaged participants, both in defining the terms
of their productive activity and in defining what they consume and how they consume it
(Benkler 2006, S.138).

Der Nutzer ist in seiner Funktion somit hybrid – der Internetnutzer kann ständig zwischen seiner Funktion als Konsument und als Produzent wechseln. Diese Geburt des
Nutzers im Internet hängt mit der Materialität von digitalen Inhalten zusammen. In
der Realität können digitale Inhalte insofern nicht konsumiert werden, als dass sie
nicht verbraucht werden können. Sie bleiben nach dem Konsum intakt und zusätzlich
ist ihre Verbreitung durch das Internet auch noch einfach und schnell. Digitale Inhalte sind, leicht zu erhalten und einfach zu nutzen: sie können aufgrund der bereits genannten Eigenschaften ihres digitalen Trägermediumseinfach verändert, erweitert
und neu kombiniert werden (vgl. Bruns 2008, S.14). Im digitalen Zeitalter spricht
man somit mehr von dem Nutzer als von dem Konsumenten.
Aufgrund dieser Umwälzungen verkündet Kevin Kelly 2005 im Wired Magazin unter dem Titel „We are the Web“ das Zeitalter der Prosumtion im Web 2.0:
What matters is the network of social creation, the community of collaborative interaction
that futurist Alvin Toffler called prosumption. As with blogging and BitTorrent, prosumers
produce and consume at once. The producers are the audience, the act of making is the act of
watching, and every link is both a point of daparture and a destination (Kelly 2005).

Kellys Verständnis stimmt offensichtlich nicht direkt mit Tofflers Originalkonzept
von Prosumtion überein. Indirekt scheint er somit erkannt zu haben, dass sich die
Vorzeichen des Prosumententums mit der neuen kommunikativen Einbettung im
Web 2.0 verändern haben. Tofflers Konzept muss weiterentwickelt werden und Axel
Bruns unternimmt diesen Versuch, in dem er ein neues Konzept von Prosumtion für
die vernetzte Informationsgesellschaft vorschlägt, das er Produsage nennt.
Während Prosumtion die Vorgänge Produktion und Konsum (englisch 'consumption') vereinigt, verbindet Produsage Produktion und Nutzung (englisch
'usage'). Kernidee des Produsage-Konzepts ist, dass sich im Internet vernetzte Gemeinschaften herausbilden, die als Nutzerschwärme verstanden werden können, und
durch Aktivitäten zwischen den Mitgliedern kollektiv Inhalte erstellen. Die Evolution des Internets macht mittels Web 2.0 Technologien neue Onlinekooperations- und
Kollaborationsformen zwischen den Nutzern von bestimmten Dienstleistungen möglich. Populärstes Beispiel für Produsage ist daher Wikipedia. Hier erstellen Nutzer
kollektiv den Inhalt einer Online-Enzyklopädie auf einer als Wiki bezeichneten Web
30
2.0 Serviceoberfläche. Die gemeinschaftlichen Kollaborationen können verschiedene
Ziele verfolgen: es können Informationen oder kreative Werke erstellt werden, Wissen gesammelt und ausgetauscht werden oder schlicht Informationen vermittelt werden. Viele kleine Beiträge von vielen Mitgliedern des Schwarms führen zum Phänomen der kollektiven Intelligenz12 – frei nach dem Prinzip: viele Augen sehen mehr,
ist eine der grundlegenden Eigenschaften von Produser-Gemeinschaften, dass sie offen zugänglich für alle sind und generell durch die Dynamik der Gemeinschaft kontrolliert werden. Alle Teilnehmer sind für die Inhaltserstellung und Qualitättssicherung verantwortlich – somit ist das Organisationsprinzip hier nicht Exklusivität sondern immer Inklusivität. Statt starrer hierarchischer Strukturen organisieren sich die
Nutzerschwärme in schnell wandelbaren Heterachien. Das bedeutet, dass nicht zwingend alle Teilnehmer gleich sind, aber alle die gleiche Chance haben, Wertvolles zur
Gemeinschaft beizutragen. Entscheidungen werden dezentral getroffen und unterstützen die Selbstbestimmung der Gemeinschaft. Die Produkte oder Inhalte, die kollaborativ erschaffen werden, sind gemeinschaftliches Eigentum und sollen immer frei zugänglich sein. Das bedeuted vor allem, dass Inhalte immer für aktive Nutzung zum
Beispiel im Sinne von Modifikationen und Weiterentwicklungen verfügbar sein sollen. Aufgrund dieser Prinzipien verändert die kollaborative Organisation von
Schwarmgemeinschaften die traditionelle Wertschöpfungskette bis in die Unkenntlichkeit: klassische Rollen von Produzenten, Distributoren und Konsumenten oszillieren in der Gemeinschaft, die aus einer potenziell unendlichen Kette von Nutzern
besteht. Schrittweise erweitern und verbessern die Mitglieder die vorliegenden Informationen. Manchmal sind sie Nutzer, wenden vorhandene Ressourcen an und kontrollieren die Inhalte im selben Zug. Manchmal sind sie Produzenten und fügen neue
Informationen hinzu. Die Rolle kann im Laufe der Zeit und je nach derzeitigem Aufgabentyp stark variieren. In solchen kollaborativen Netzgemeinschaften haben die
Teilnehmer daher immer eine Art hybride Rolle inne: Sie sind Produser, denn ihre
Nutzer- und ihre Produzentenrolle sind untrennbar miteinander verwoben (vgl. Bruns
2008, S.16, 21,24ff,28f).
Fanfiction-Gemeinschaften sind nach den genannten Gesichtspunkten Produser-Gemeinschaften: Sie sind frei zugänglich, heterarchisch organisiert und von der
Gemeinschaft kontrolliert. Auf der Plattform fanfiction.net beispielsweise werden in
12

Für ausführlichere Informationen siehe Pierre Lévy „Die kollektive Intelligenz. Für eine
Anthropologie des Cyberspace“ (1998).
31
einem vernetzten partizipativen Umfeld Inhalte gemeinsam geschaffen, bewertet und
verbessert. Weiterhin beschreiben Karen Hellekson und Kristina Busse Fantexte genauso wie Axel Bruns durch Produsage erschaffene Artefakte beschreibt:
always ongoing, always renegotiated work in progress – the creation of a text that can never
reach closure – but for us, the very activity of its creation achieves the same status of the text
itself, and this creation is the product of a community (Busse/Hellekson 2006, S.2).

Durch Produsage Geschaffenes kann nicht die Form von industriellen Produkten haben: Es sind niemals einzelne, abgeschlossene Einheiten. Der Produktionsprozess der
Produsage besteht aus ständigen Aktualisierungen, Erweiterungen und Änderungen –
je nachdem wie sich die Dynamik in der gemeinschaftlichen Inhaltserschaffung der
Produser entwickelt, verändert sich auch das Produkt. Somit ist der Begriff Produkt
nicht zweckmäßig – Produsage bringt vielmehr Artefakte hervor, die immer unabgeschlossen und somit offen sind. Da die Entwicklung, der Produsageprozess, immer
fortläuft, entstehen immer nur temporäre, kurzlebige Erzuegnisse (vgl. Bruns 2008,
S.21f,27f). Fanfiction ist ein fluides Artefakt, das Hellekson deshalb als ständiges
work in progress, immer in Bearbeitung, beschreibt und Derecho aus diesem Grund
als archontisch klassifiziert (vgl. Kap. 2.1). Ein Fantext, der im Forum einer Fangemeinde zum Beispiel auf fanfiction.net eingestellt wird, ist immer eine Einladung an
die Gemeinschaft, mit dem Text zu interagieren. Dies ist ein Unterschied zum professionellen Literaturbetrieb: Die Fluidität der Texte wird von den Fans zelebriert.
Die Interaktion mit den Texten ist zentrales Anliegen der gemeinschaftlichen Produktion und immer deutlich sichtbar im Diskurs um die einzelnen Fanproduktionen.
Die Gesamtheit aller Fantexte eines Fantums ist ein Paradebeispiel für ein Produsage-Artefakt: Alle eingestellten Fangeschichten und der dazugehörige kritische Diskurs, der die Geschichten stätig modifiziert und erweitert, erschaffen eine ständig
wachsende, niemals abgeschlossene Welt der involvierten Charaktere: „they in effect
colaboratively curate an ever-expanding, constantly changing exhibition of the community's creative works“ (Bruns 2008, S.229). Diese Ausstellung steht jedem offen
und weitet sich kontinuierlich aus (vgl. Busse/Hellekson 2006, S.7,28).
Essentiell für das Verständnis von Produsagevorgängen ist weiterhin, dass
zum Beispiel ein Fanfictiontext nicht ohne den Kontext des Fandoms existieren
kann. Produsage Artefakte sind nie nur Information, sondern immer sogenannte 'information commons', also gemeinschaftlich genutzte Information:
32

in its full form the information (knowledge, creative work) prodused by the community therefore exists not in abstraction from the social contexts of its development, as a stand-alone
product, but exists only as directly embedded in such contexts, as a temporary artefact of
continuing social processes of developing, extending, negotiating, and evaluating this shared
content (Bruns 2008, S.23).

Fanfiction ist immer das Produkt einer Gemeinschaft – dies geht bereits aus ihrer archontischen Natur, welche die Gemeinschaft braucht, um das Archiv des Quelltextes
stetig zu erweitern, hervor und wird durch ihre Kennzeichnung als Produsage-Artefakt unterstrichen.
Nachdem die Bedeutung der Gemeinschaft stark herausgestellt wurde, stellt
sich nun die Frage: Wer sind die einzelnen Mitglieder einer Produser-Gemeinschaft
und was treibt sie an? In der Praxis verstehen sich Teilnehmer in einem Fanfiction
Forum oder Blog nicht zwingend als Produser, sondern eher schlicht als Teilnehmer.
Es existieren sehr aktive Nutzer, die in der Inhaltserstellung sozusagen führend sind,
über verschiedene Nutzertypen, die sich mehr oder weniger produktiv mit den bestehenden Inhalten auseinandersetzen, bis hin zu Nutzern, die die Inhalte nur passiv verwenden und sich vielleicht nicht einmal als Teil der Gemeinschaft sehen. Dieses Nutzerspektrum ist nicht konstant, denn jeder kann jederzeit einen anderen Aktivitätsgrad einnehmen. Unabhängig jedoch von der Ausgeprägheit der Partizipation leistet
jeder Nutzer immer einen Beitrag zu dem allumfassenden, gemeinschaftlichen, kollaborativen Prozess der Inhaltserschaffung. Produktivität wird nicht notwendigerweise
bewusst als solche verstanden, sondern kann von den Nutzern auch als normaler Bestandteil ihrer Beteiligung an der Gemeinschaft angesehen werden und muss gar
nicht funktionsbezogen hinterfragt werden (vgl. ebd., S.18,23). In einer Fangemeinschaft gibt es verschiedene Mitgliederformen, die alle ihren Teil zum Wachsen des
Fantums beitragen. Allgemein in den meisten Fangemeinden vertretene Mitgliedertypen sind BNFs ('Big Name Fans'), die einen großen Kreis von Fans, genannt
'fangirls', um ihre Aktivitäten scharren können, 'newbies', die sich der Fangemeinde
neu angeschlossen haben und deren Praktiken erlernen möchten, und 'lurkers', die
Aktivitäten anderer Fans beobachten und Fanfiction lesen, aber sich selbst selten aktiv am Diskurs beteiligen (vgl. Busse/Hellekson, S.11). Die Netzgemeinschaften sind
divers und ständig in Bewegung – ihre Produktivitätist hoch und ihr Einfluss in der
vernetzten Onlinewelt des Internets steigt stetig.
Es ist deutlich geworden, dass die derzeitigen Entwicklungen in der digitalen
33
Textproduktion im Web 2.0 nicht allein durch Prosumtion erklärbar sind, jedoch auf
diesem Konzept aufbauend als Phänomen von Produsage klassifiziert werden können. Im Netz organisierte Produser-Gemeinschaften erschaffen digitale Inhalte generell – im Besonderen aber auch Texte – durch hoch dynamische kollaborative Prozesse, die keinen Endpunkt haben. Somit sind mittels Produsage erschaffene Texte,
zu denen auch Fanfiction gehört, immer fluide, unabgeschlossene Artefakte, die in
ihrem durch eine Gemeinschaft getragenen Informationskontext, zum Beispiel einem
Fantum, existieren und dort kontinuierlich weiterentwickelt werden. Im deutschen
Literaturbetrieb scheint der Journalist und Autor Dirk von Gehlen, einer der Wenigen
zu sein, die diese Dynamiken in der Kulturproduktion erkannt haben, wenn er ohne
direkt vom Kozept des Produsage zu sprechen, dieses zur Kernthese und Produktionsart seines neuen Buches macht. Von Gehlen bemerkt, dass die Digitalisierung
Kunst und Kultur verflüssigt. Er nennt Wikipedia als Beispiel dafür, dass Texte nicht
mehr Produkte sondern Prozesse sind und nur in Versionen vorliegen können. Aus
diesem Grund heißt sein Buchprojekt „Eine neue Version ist verfügbar“ 13 - er will
damit beweisen, dass auch das Buch kein fertiges Kulturprodukt mehr ist, sondern im
Zuge der Digitalisierung als Prozess gedacht werden muss. Sein Buchprojekt wird
während seiner gesamten Entstehung für den Leser zugänglich sein – jeder kann zusehen wie das Buch entsteht:
Zudem können sich die Leser durch diese Offenheit und Transparenz an dem Produkt beteiligen und werden dadurch […] auch eine sehr viel höhere Interaktionsbereitschaft mitbringen.
Dass das im Buchmarkt funktionieren kann, zeigt zum Beispiel der Erfolg von Fan-Fiction
(Mindnich 2012).

Was diese Arbeit im Bereich Fanfiction untersucht, will von Gehlen also im Bereich
der traditionellen Literaturproduktion erproben. Zu diesem Zweck appeliert er an den
Literaturbetrieb, sich von der klassischen Genieästhetik des kreativen Schaffensprozesses zu lösen und das Experiment zu wagen, den Prozess offenzulegen. Er macht
mit seinem neuen Buch den ersten Schritt und will „ungefiltert lernen, ob die Idee
der Verflüssigung und kollaborativen Zusammenarbeit tatsächlich funktioniert“
(Mindnich 2012).

13

Für ausführlichere Informationen siehe http://www.enviv.de/.
34

4. Fanfiction als partizipative Textproduktion im Web 2.0
Nachdem die bisherigen Ausführungen das kollaborative Autorschaftskonzept und die dynamischen Nutzergruppen hinter digitaler Literaturproduktion beleuchtet haben, soll jetzt der Fokus auf der Beantwortung der Leitfragen liegen und
anhand von konkreten Beispielen die spezifischen Veränderungen, die die Verbreitung von Prosumentenverhalten mit sich bringen, aufgezeigt werden.
Zuerst muss dargelegt werden, welche Auswirkungen ein zunehmendes Prosumenten- beziehungsweise Produsertum für die Produktion von Kultur im Allgemeinen und von Literatur im Speziellen hat. Fanfiction ist, wie bereits dargestellt, eines der Phänomene, die durch den Begriff Prosumtion aufgerufen werden. Mit der
Digitalisierung wird Tofflers Prosument zu einer entscheidenden Figur in der Kulturproduktion, die sich in der entstehenden vernetzten Informationswirtschaft besser mit
dem Konzept des Produsers beschreiben lässt (vgl. Kapitel 3.2). Die digitale Kulturproduktion wird jetzt also vermehrt von Produser-Gemeinschaften bestimmt und literarische Inhalte im Bereich Fanfiction werden von solchen Gemeinschaften kollaborativ erschaffen. Das Internet ermöglicht durch seine immer ausgedehntere Vernetzung schnellere und intensivere Kommunikation zwischen weltweit verstreuten Nutzern. Daraus resultiert eine immer schnellere Deterritorialisierung von Wissen: Neue
virtuelle Wissensräume und -gemeinschaften enstehen. Aufgrund von bestimmten
gemeinsamen Interessen, wie zum Beispiel die Faszination für die „Harry Potter“
Bücher, bilden sich Nutzergruppen aus, die dazu neigen, sich in Produser-Gemeinschaften zu organisieren. Die entstehenden Wissensgemeinschaften sind freiwillige
Zusammenschlüsse, die hochgradig variabel und somit nur temporär in einer distinkten Form anzutreffen sind. Außerdem basieren sie organisatorisch auf den Prinzipien
der Partizipation und hierarchielosen Interaktion. Hier entsteht somit eine kollektive
Intelligenz, die durch das Zusammenführen des jeweils exklusiven Wissens der Einzelnen kollaborativ Inhalte erzeugt, Wissen versammelt oder Texte produziert (vgl.
Jenkins 2008, S.27ff). Kulturproduktion wird also in den virtuellen Räumen des Internets jetzt zu ausgeprägten kollaborativen Prozessen zwischen weltweit verstreuten
Produsern.
Eine neue partizipative Kultur, bestehend aus selbstorganisierten Nutzer- beziehungsweise Produser-Gemeinschaften, produziert jetzt also mittels kollektiver In-
35
telligenz auch kulturelle Inhalte – in der Softwareentwicklung ist dies bereits länger
durch das Open Source Konzept etabliert. Diese Inhalte sind Ausdruck einer aufstrebenden Remix-Kultur, die sich unter anderem durch die Auflösung der traditionellen
industriellen Arbeitsteilung in Produktion, Distribution und Konsum auszeichnet. Inhalte werden online gegenwärtig durch Nutzer erschaffen, die je nach Ziel und Kontext individuell zwischen den verschiedenen Funktionen von Produzent und Nutzer
hin und her wechseln. Durch die sich immer mehr ausbildende Kultur der globalen
Netzwerkgesellschaft und der flächendeckenden Verbreitung des Meta-Mediums der
vernetzten Computer, sieht Felix Stalder die Vorraussetzungen für die Etablierung einer Remix-Kultur geschaffen (vgl. Stalder 2009, S.2).
Die sich durch die fortschreitende Vernetzung rasant in allen Lebensbereichen ausbreitende Digitalisierung bringe erstmals alle Medien zum Punkt der Satuierung. Stalder meint damit, dass in der derzeitigen Gesellschaft alle medialen Objekte
umfassend verfügbar sind. Das heißt, sie sind durch die computerbasierte Vernetzung
leicht und preiswert zugänglich, nur noch durch schwache und vorallem umstrittene
normativ-legale Bestimmungen eingeschränkt nutzbar und liegen, da sie digital sind,
jetzt in einer Materialität vor, die Bearbeitung einfach zulässt. Der Kreis der Produzenten wird für den Amateur geöffnet, weil vorherige technische, ökonomische oder
rechtliche Zugangshürden zunehmend abflachen. Somit verstehen sich immer mehr
Subjekte jetzt nicht mehr nur als Konsumenten oder Nutzer von Kultur, sondern auch
als aktive Kulturproduzenten. Stalder fomuliert: „Kulturproduktion wird »entspezialisiert«“(Stalder 2009, S.20) und bekräftigt damit das Verschwinden der Grenzen
zwischen professioneller und Amateurkultur, als auch zwischen Produktion, Distribution und Konsum (vgl. Stalder 2009, S.3,8f,18f,22).
Während klassische Konzepte von Kreativität, die aus der Zeit der bürgerlichen Moderne stammen, kreative Vorgänge als innerlich im Individuum zentriert ansehen, sind kreativ-produktive Praktiken in einer Remix-Kultur immer kooperativ.
Der Remix muss sich mit verschiedenen Positionen auseinandersetzen, um sie zu einer neuen Version verbinden zu können. Fanfiction-Schreiber befinden sich in ständigen Kooperationsprozessen, wenn sie die bereits existierenden Charaktere des
Quelltextes mittels kontinuierlicher Verhandlungen mit dem Kanon weiterentwickeln
und beispielsweise aus eindimensionalen Nebencharakteren komplexe und facettenreiche Figuren erschaffen (vgl. Busse/Hellekson 2006, S.28). Somit erfolgt kulturelle
Produktion hier notwendigerweise immer in Kooperation und basiert auf der struktu-
36
rellen Offenheit des Konzepts des Remix: Generell kann alles mit allem in Verbindung treten. Die poststrukturalistische Annahme der vollkommenen Intertextualität
der Welt wird in der Remix-Kultur zelebriert, wenn unter der Verwendung von existierenden kulturellen Werken neue Werke geschaffen werden. Mit den Quellen wird
offen umgegangen, da sie als Ursprung der neuen Inhalte anerkannt werden. Fanfiction sieht im Remix von vorhandenen Inhalten zum Beispiel eine Methode, „um ein
neues Verhältnis zwischen individueller und kollektiver Wahrnehmung zu artikulieren“ (Stalder 2009, S.1). Fans sind durch die Anwendung von Remix-Praktiken im
Kontext der kommerziellen Massenmedien, welche die Quelltexte für ihre Fanfictions hervorbringen, eine treibende Kraft in der Ausdifferenzierung einer neuen komplexeren, kulturellen Arbeitsteilung, die kollaborativ erschaffene Inhalte feiert (vgl.
Stalder 2009, S.1,11f,16,23).
Wichtig ist hier, dass die kulturelle Produktion, wie sie in Fangemeinschaften
stattfindet, ihr Endziel nicht allein in der Herstellung eines Textes begreift: „Fans use
digital technology not only to create, to change, to appropriate, to poach, or to write,
but also to share, to experience together, to become alive with community“ (Booth
2010, S.39). Einem kollaborativen Arbeitsstil ist das Ziel, eine Gemeinschaft zu erfahren, stets inhärent und ein Fan verfolgt mit dem Schreiben eines Fantextes nicht
nur das Ziel, durch Remix einen neuen Text zu erschaffen, sondern auch Teil der
Fangemeinde zu werden. Für Fanfiction im Modus einer kollaborativen Autorschaft
ist somit die gemeinschaftliche Kommunikation über den Schreibvorgang und die
gemeinsame Einpassung in das Archiv des Quelltextes genauso wichtig wie die Erstellung eines ästhetisch ansprechenden Textes (vgl. Hartling 2009, S.279f).
Die Gewichtung der gemeinschaftlichen Arbeitsweise wird auch im Aufbau
der virtuellen Interaktionsräume der Fans deutlich. Die Website fanfiction.net, die
Plattform für Fans aus der ganzen Welt und Fangeschichten in 35 verschiedenen
Sprachen ist, unterstützt Kollaboration durch ihre Gestaltung und Organisation. Das
Design der Website vermeidet eine starre Trennung in Gestalter und Nutzer der Seite, indem Nutzer in verschiedenen Bereichen dazu befähigt werden, die Seite und
ihre Inhalte zu gestalten, zu verändern und kontinuierlich neu zu erschaffen. Die
Startseite bietet Verlinkungen zu den wichtigen Bereichen 'Browse', 'Community',
'Forums', 'Beta' und der Suche sowie dem Login für Nutzer der Seite, die ein kostenloses Mitgliedskonto haben. Über die Browse-Verlinkung gelangt der Nutzer zu einem Auswahlmenü: Hier kann er sich für einen Kanon im Bereich Fanfiction oder
37
Crossover entscheiden. Als Medienkanon verzeichnet sind Animes, Spiele, Bücher,
Cartoon, Filme, Comic, Fernsehserien und Sonstiges. Die Kategorie Bücher ist nach
Popularität der Titel aufgeschlüsselt und listet „Harry Potter“ mit 618 600 Einträgen
als beliebteste Vorlage für Fantexte. Nach der Auswahl des „Harry Potter“ Fanuniversums sieht der Nutzer eine Auflistung aller zu diesem Fantum publizierten Fantexte, die sich mit Hilfe des Headers kurz defnieren und einen Link zur persönlichen
Seite des Verfassers sowie zu den bereits erhaltenden Kommentaren und Bewertungen ('reviews') von Lesern aufweisen. Die persönliche Mitgliedsseite des Verfassers
gibt optionale Informationen, zum Beispiel über die Herkunft des Autors, und stellt
Links zu allen von diesem Mitglied verfassten Texten, seinen persönlichen Favoriten
unter allen Fantexten und Autoren sowie in welchen Communities er Mitglied ist.
Aufgrund all dieser Informationen kann der Nutzer sich für das Lesen einer Fangeschichte entscheiden und kommt über die Auflistung oder die Suchmaske jetzt zu einer jeweils individuellen Seite für jeden Fantext und weitere Verlinkungen zu eventuellen fortführenden Kapiteln. Jedes Mitglied kann aufgrund einer einfachen Maske
jederzeit Fangeschichten zu dem gewählten Kanon hinzufügen. Außerdem ist Partizipation auch über die Mitgliedschaft in einem der vielen Foren oder Communities, die
von engagierten Mitgliedern erstellt werden und dem Zweck des Austauschs beispielsweise über Definitionen von Genres, persönlich favorisierte Figurenpaarungen
oder Etiquette bei der Bewertung anderer Fantexte dienen. Communities formieren
sich auch häufig zur gezielten Sammlung von Fantexten zu bestimmten Figurenpaarungen. Neben dem Einstellen von Fantexten können Nutzer somit auch frei und einfach andere Inhalte, die das Fantum betreffen, sammeln und organisieren. Neben der
Interaktion mittels der öffentlichen für alle Mitglieder sichtbaren Kommentare, bietet
fanfiction.net ebenfalls die Möglichkeit, private Nachrichten zwischen einzelnen
Mitgliedern zu verschicken. Das Design der Website verdeutlicht somit, dass fanfiction.net nicht nur eine Sammlung von Fanfiction, sondern auch ein gemeinschaftlicher Raum zur Diskussion und Sozialisierung für Fans sein will (vgl. Black 2008,
S.36ff).
Rebecca Black betrachtet fanfiction.net (FFN) als 'online affinity space', also
einen virtuellen Raum, in dem sich eine Gruppe von Menschen versammelt, weil sie
ein gemeinsames Interesse verbindet. Diese Gemeinschaften seien besonders, da sie
gewöhnlich sehr heterogen sind:
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Die Bedeutung von Prosumentenkultur für die Literaturproduktion der Zukunft

  • 1. Humboldt-Universität zu Berlin Philosophische Fakultät III Institut für Kulturwissenschaft Abschlussarbeit im Bachelorstudium Betreuer: Dr. Holger Brohm Zweitgutachter: M.A. Jasmin Mersmann Abgabe bis 17.12.2012 Die Bedeutung von Prosumentenkultur für die Literaturproduktion der Zukunft − Fanfiction als Beispiel für Textproduktion im Web 2.0 The Importance of Prosumer Culture for the Literary Scene of the Future - Fanfiction as an Example of Textproduction in Web 2.0 von Annekatrin Bergemann Zossener Str. 16 10961 Berlin Tel: 0170 / 7527920 Annekatrin.Bergemann@gmail.com BA Kulturwissenschaft / Amerikanistik Matrikelnummer: 529903 8. Fachsemester
  • 2. Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung..............................................................................................1 2. Begriffsklärung und konzeptionale Themeneinführung 2.1 2.2 Alvin Tofflers Konzept der Prosumtion....................................9 2.3 3. Dimensionen von Fanfiction.....................................................3 Merkmale digitaler Medien und Defintion des Web 2.0.........12 Das Web 2.0 als neuer Ausgangspunkt von Prosumtion 3.1 Konsumenten und Produzenten von digitalen Medien............19 3.2 Die Geburt des Nutzers und die Idee des Produsage...............27 4. Fanfiction als partizipative Textproduktion im Web 2.0....................34 5. Schlussbetrachtung und Ausblick.......................................................43 6. Quellenverzeichnis 6.1 Literaturverzeichnis.................................................................46 6.2 Verzeichnis der verwendeten Internetquellen.........................48
  • 3. 1 1. Einleitung Der Begriff der Prosumtion fällt erstmals 1980 in Alvin Tofflers Konzept einer sozialen Utopie, die er in der Veröffentlichung „The Third Wave“ vorstellt. Die Wortneuschöpfung des Futorologen verbindet Produktion und Konsumtion zu einem Zustand, der nach seinem Verständnis die postindustrielle Gesellschaft auszeichnen wird und in dem der Konsument nicht mehr schlicht Sach- und Dienstleistungen erwirbt, sondern sie zum Teil aktiv mitproduziert. Die Mitglieder einer postindustriellen Gesellschaft bilden eine zunehmende Bereitschaft zur Mitgestaltung von Leistungen aus – dies kann sich im Trend zur Selbstbedienung in Restaurants und Supermärkten als auch in den in den 1970er Jahren aufkommenden Bewegungen zur Selbsthilfe und Do-it-Yourself abzeichnen. Im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Internets als Massenmedium und der Verbreitung von Webanwendungen, die Tim O'Reilly 2005 unter dem Begriff Web 2.0 zusammenfasst, beschleunigt sich der Aufstieg des Prosumenten rasant. Das Web 2.0 wird aufgrund seiner Eigenschaft, die kollektive Intelligenz seiner Nutzer zu bündeln und den Großteil der angebotenen Inhalte und Leistungen durch die Nutzer generieren zu lassen, auch als Mitmach-Netz bezeichnet und wird somit zum Schlagwort für das Entstehen einer neuen, sogenannten 'participatory culture'. Dieser Trend durchsetzt mit der vermehrten Ausbreitung der Internetnutzung zunehmend alle Bereiche des menschlichen Lebens und vor allem auch die Kulturindustrie. Welche Auswirkungen hat ein zunehmendes Prosumentenverhalten für die Produktion von Kultur und im Besonderen für die Produktion von Literatur? Wie verändern sich die Prozesse der Textproduktion durch das Web 2.0 und die ihm eigene partizipative Massenkultur? Diese Fragen sollen diese Arbeit zum Thema Prosumtion im Literaturbetrieb bestimmen und am Beispiel des Phänomens der Fanfiction erläutert werden. Ziel ist es außerdem, ein besseres Verständnis zu liefern, woher die derzeitigen Verwerfungen in der Buchbranche rühren, und Wege aufzuzeigen, produktiv mit den Veränderungen umzugehen. Im ersten Teil der Arbeit und als Vorarbeit zur Beantwortung der Leitfragen muss zuerst eine Einführung in das Universum von Fanfiction gegeben werden. Im Anschluss können somit alle Überlegungen am konkreten Beispiel befragt werden und der Erkenntnisgewinn wird praxisnah untermauert. Im zweiten Schritt wird das Konzept der Prosumtion vorgestellt. Dazu ist es essentiell, einen Blick auf Tofflers 'Third Wave'-Theorie (im Deutschen als Stadientheorie bezeichnet) zu werfen. Im
  • 4. 2 letzten Teil der Vorarbeit wird eine Arbeitsdefinition für digitale Medien und deren charakteristische Arbeitsweise erarbeitet, sodass anschließend der Begriff Web 2.0 definiert werden kann. Wobei es hier nicht darum gehen soll, das Thema der digitalen Medien oder der Web 2.0 Technologien erschöpfend darzustellen, sondern lediglich einige grundlegende Charakteristiken vorzustellen. Im zweiten Teil der Arbeit wird das Web 2.0 in seiner Funktion als neuer Ausgangspunkt von Prosumtion beleuchtet. Um über Prosumenten sprechen zu können, muss ausgeführt werden, wer generell als Konsument und wer als Produzent im Kontext digitaler Medien gilt. Im speziellen Zusammenhang mit Literaturproduktion ist es hier entscheidend, einen Blick auf Autorschaftskonzepte zu werfen. Die Theorie von Roland Barthes zum Tod des Autors und der Geburt des Lesers soll vorgestellt und im neuen Kontext des Internetzeitalters weiterentwickelt werden. Nachdem diese Grundlagen gelegt sind, können die Themen Prosumtion und Web 2.0 verbunden werden – hierbei ist es essentiell, sich mit der Geburt des Nutzers zu beschäftigen, um anschließend Axel Bruns Idee des Produsage als Weiterentwicklung von Tofflers Konzept vorzustellen. Im dritten Teil der Arbeit liegt der Fokus auf den spezifischen Veränderungen in der Textproduktion, die durch eine Verbreitung von Prosumentenverhalten hervorgerufen werden. Das Phänomen der Fanfiction wird anschließend nach seinen digitalen Organisationsstrukturen befragt, um exemplarisch zu untersuchen, welche Bedeutung die Digitalisierung und die damit entstehende Remix-Kultur in Verbindung mit dem aufkommenden Prosumentenverhalten für die Literaturproduktion der Zukunft haben kann. Zur besseren Veranschaulichung werden beispielhaft zwei der populärsten Plattformen von Fanfiction näher betrachtet: fanfiction.net und wattpad.com. Hier wird explizit untersucht, wie die partizipative Kultur, die sich in den vielfältigen digitalen Fangemeinden ausbildet, durch die medialen Gegebenheiten des Web 2.0 an der Entstehung von Literatur beteiligt ist. Entscheidend ist hier, das Entstehen von Fanfiction unter dem Vorzeichen des Produsage zu untersuchen. Es finden sich bereits viele Publikationen zu der Problematik von Fanfiction und Urheberrechtsbestimmungen: Dies ist durchaus sinnvoll, da durch Remix enstandene kulturelle Produktion unter dem Generalverdacht der Urheberrechtsverletzung steht. Der Fokus dieser Arbeit liegt jedoch auf der Analyse digitaler, kultureller Textproduktionsvorgänge. Eine Betrachtung der Urheberrechtslage würde hier den Rahmen sprengen und ist nicht zwingend notwendig, um abschließend einen Ausblick
  • 5. 3 auf die Bedeutung von Prosumentenkultur für den Literaturbetrieb der Zukunft zu geben. 2. Begriffsklärung und konzeptionale Themeneinführung 2.1 Dimensionen von Fanfiction Zur Veranschaulichung der theoretischen Ausführungen dieser Arbeit soll das Phänomen der Fanfiction herangezogen werden – daher ist in diesem Punkt zu klären: Was genau ist Fanfiction? Und wie sind Fans und ihre speziellen Gemeinschaften definiert? Außerdem werden zwei der populärsten Plattformen – fanfiction.net und wattpad.com - inklusive einer Beispiel-Fangeschichte aus dem sehr beliebten „Harry-Potter“-Fantum vorgestellt1, um die folgenden theoretischen Überlegungen zur Autorschaft in den digitalen Medien und schlussendlich zur Prosumtion in der Textproduktion stets an konkreten Beispielen zu befragen. Fanfiction ist ein Begriff unter dem sich verschiedene Definitionen vereinen. Im weitesten Sinne ist es das amateurhafte Wiedererzählen einer bereits existierenden Geschichte. Somit führt es die Tradition von Folklore fort und existiert bereits seit Tausenden von Jahren. Hiernach zählt die Bibel ebenso wie Homers Epen als Fanfiction und die Definition ist somit für diese Arbeit zu weitläufig. Ewan Morrison argumentiert, dass es vor der Geburt des Autors auch keine Fanfiction geben könne, da kein derivatives Werk existieren könne, wenn es keine Regeln gibt, was als originales Werk angesehen werden könne. Somit greift eine engere Definition hier besser: Fanfiction ist die Neubearbeitung oder Weiterentwicklung der Charaktere eines anderen Autors (vgl. Morrison 2012). Noch genauer nimmt es Ramon Reichert mit seiner Beschreibung von Fanfiction als Geschichten, die von Fans eines popularkulturellen Originalwerkes […] hergestellt werden, welche die Protagonisten, die Erzählstile, oder das Setting des Werkes als Ausgangspunkt ihrer Aneigungspratiken für neue, fortgeführte oder alternative Erzähl- und Handlungskontexte gebrauchen (Reichert 2008, S.194). 1 „50 Shades of Grey“ von E.L. James soll in dieser Arbeit nur am Rand Erwähnung finden. Der mittlerweile weltweit sehr erfolgreiche Titel wurde zwar von der Autorin ursprünglich als Fanfiction zu der Twilight Saga von Stephenie Meyer geschrieben, spielt diese Herkunft als Teil der Vermarktungsstrategie des Verlags jedoch nicht in den Vordergrund (vgl. Boog 2012).
  • 6. 4 Die Produzenten von Fanfics bezeichnen sich bewusst als Fans und Teil von bestimmten Fankulturen, die erstmals in den 1920er Jahren populär werden. Es bilden sich produktive Fangemeinden um die Werke von Jane Austen, genannt Janeites, und Sir Arthur Conan Doyles „Sherlock Holmes“ - Fanfiction.net verzeichnet 2196 Beiträge zu Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ und 3321 Beiträge zu Sherlock Holmes (vgl. fanfiction.net 2012a). Als weiterer wichtiger Punkt in der Geschichte von Fanfiction gilt das Entstehen der Science Fiction Fankultur, im Besonderen der Star Trek Fangemeinden, in den 1960er Jahren. Fanfiction ist immer im Kontext ihrer konkreten Fankulturen zu sehen. Bevor jedoch ein Verständnis für die Dynamiken innerhalb dieser Kulturen aufgebaut werden kann, muss ein Blick auf das Wesen des Fans geworfen werden. Begrifflich entspringt das Wort Fan aus dem Fanatiker und ist bis in die 1990er Jahre hinein generell eher negativ konnotiert. Rainer Winter bringt die stereotype Vorstellung folgendermaßen auf den Punkt: Fans sind obsessive, ›lobotomierte‹ Anhänger von Massenkultur, die alles kaufen und konsumieren, was mit ihrem von der Kulturindustrie gesteuerten Interesse zusammenhängt, sie widmen ihre Freizeit […] gesellschaftlich für wertlos gehaltenen Kulturgütern (Winter 2010, S.170). Winter führt weiter aus, dass Fans verurteilt werden, einen illegitimen Geschmack zu Tage zu tragen, da sie scheinbar weder die ästhetische Distanz zum Kunstwerk wahren, welche guten Geschmack auszeichnet, noch sich für Werturteile institutionell abgesicherter Autoritäten interessieren. Die Ausgrenzung des Fans als den Anderen verschwindet im 21. Jahrhundert mehr und mehr und Fantum ist zu einer gewöhnlichen kulturellen Praxis geworden: Fans werden nun im Vergleich zu normalen Konsumenten lediglich als kompetenter, produktiver oder kreativer im Umgang mit kulturellen Objekten gesehen (vgl. ebd., S.173, 289). Henry Jenkins, einer der renomiertesten Fanforscher, bringt seine langjährigen Beobachtungen wiefolgt auf den Punkt: „I have watched fans move from the invisible margins of popular culture and into the center of current thinking about media production and consumption“ (Jenkins 2008, S.12). Die Interaktion innerhalb von Fangemeinschaften vor dem Aufkommen des Internets basierte hauptsächlich auf sogenannten Fanzines, einem günstig produzierten, amateurhaften Magazin von Fans für Fans, das an Mitglieder der Fanszene ver-
  • 7. 5 schickt wurde. Mit der Etablierung des Internets werden die Interaktionen der Fans immer leichter zugänglich und die Größe der Fantümer als auch ihre demographische Struktur verändern sich rasant – niedrige Zugangsbarrieren ermöglichen jüngeren Mitgliedern die Teilnahme (vgl. Busse/Hellekson 2006, S.2). Die Schreibenden sind elektronisch vernetzt und der Austausch sowie die generelle Verbreitung von Fanliteratur sind deutlich kostengünstiger. Jeder Fan hat jetzt potenziell die Möglichkeit, etwas zu veröffentlichen. Das Medium Internet macht die einstige Subkultur der Fangeschichten zu einem globalen Massenphänomen. Die Verlagerung der Fantümer vom physischen in den virtuellen Raum führt dazu, dass alles global und zeitunabhängig konsumiert werden kann und sich das Genre immer weiter ausdifferenziert (vgl. Reichert 2008, S.194ff). Fanfiction zeichnet sich, wie bereits angerissen nicht durch die bloße Reproduktion des Primärtextes sondern durch vielschichtige Veränderungen, Überarbeitungen, Ergänzungen und Weiterentwicklungen des Inhaltsangebots aus. Die Fankreationen sind ein Versuch, das sichtbar zu machen, was das Medium dem Publikum vorenthält. Die medialen Primärquellen, um welche sich Fankulturen entwickeln, bestärken dieses Phänomen durch einen hohen Grad an Mehrdeutigkeiten und Intertextualität2, die großes Potenzial für die textuelle Produktivität der Fans liefern. Die Geschehnisse, Schauplätze und Charaktere des Quelltextes bilden den Kanon, auf den sich alle Fanfictions beziehen und auf dessen Basis die Fangemeinschaft den sogenannten 'fanon', also alle eigenen Geschehnisse und Handlungsstränge, entwickelt. Es gibt eine Vielzahl von Spielformen der Fanfiction und im Folgenden seien nur einige der wichtigsten genannt. Fangeschichten weisen häufig einen romantischen oder pornografischen Inhalt auf, es gibt jedoch auch 'gen(eral) fic', die beispielsweise Handlungen ohne expliziten romantischen Inhalt fortführt. AU ('alternative universe') ist auf die Ausgestaltung bestimmter kanonischer Inhaltsebenen in neuen Umgebungen oder unter anderen Umständen fokussiert. 'Het fic' legt den Fokus auf die Bearbeitung einer heterosexuellen Beziehung zweier kanonischer Charaktere und 'slash fic' widmet sich der Ausgestaltung einer homosexuellen Beziehung, die einem im Primärtext wahrgenommenen homoerotischen Subtext zwischen zwei Charakteren Ausdruck verleiht. Die meisten Fanfiction Autoren arbeiten mit einem OTP ('one true pairing') - das heißt: sie schreiben hauptsächlich über ein von ihnen favorisiertes 2 Diese Arbeit versteht Intertextualität im Sinne von Julia Kristevas Ausführungen, welche besagen, dass kein Text innerhalb einer kulturellen Struktur ohne Bezug zur Gesamtheit aller Texte denkbar ist (siehe Kapitel 3.1).
  • 8. 6 Figurenpaar. Fanfiction neigt zur Dramatisierung von romantischen und sexuellen Beziehungen. Dies führt nicht selten zu Aggression und Gewalt in den produzierten Texten. 'Kink' und 'BDSM' (bondage and discipline, dominance and submission, sadomasochism) bezeichnen Geschichten mit explizit sexuellen und Gewalt beschreibenden Inhalten. Weitere beliebte Konzepte hinter Fangeschichten sind der 'episode fix' – ein Ereignis wird nach persönlichem Belieben vollendet, ohne auf die kanonische Fortführung des Handlungsstrangs zu achten – oder die Konstruktion von 'missing scenes / moments', indem kanonische Szenen mit mehr Informationen aufgefüllt werden, um Darstellungslücken zu schließen. Durch Refokussierung setzen Fangeschichten individuelle Schwerpunkte. Kanonische Nebenfiguren werden zu Hauptfiguren und angedeutete Handlungsstränge werden zum Mittelpunkt des Geschehens einer Fankreation. Sehr interessant sind 'I wonder ifs', denn hier spekulieren die Fanautoren über narrative Möglichkeiten, die vom Originaltext angedeutet, jedoch nie ausformuliert werden. Schlussendlich sei noch erwähnt, dass Fans mehrerer verschiedener Fantümer in sogenannten 'crossovers' Figuren aus verschiedenen Primärquellen miteinander konfrontieren und teilweise bizarre Paarungen erschaffen3 (vgl. Reichert 2008, S.196; vgl. Busse/Hellekson 2006, S.9ff; vgl. Jenkins 2008, S.328f). Neben diesen speziellen Charakteristika von Fanfiction kann grundlegend festgestellt werden, dass eine Fankreation stets eines primären Bezugstexts bedarf und dass Fans immer in die Aktivität einer Gemeinschaft eingebunden sind, welche interpretiert, kommentiert und den Kontext des Originals erweitert (vgl. Reichert 2008, S.195). Abigail Derecho spricht deshalb von Fanfiction als archontischer Literatur. Dieses Adjektiv entnimmt sie Jacques Derridas Überlegungen zum Archiv 4 auf die hier nicht im Speziellen eingegangen werden soll. Derecho argumentiert, dass Fanfiction fälschlich als derivative, folglich abgeleitete beziehungsweise sekundäre oder aneignende Literatur bezeichnet wird. Sie stellt Fanfiction stattdessen in den Zusammenhang mit dem Konzept des Archivs und sagt, jedes Archiv sei für immer offen für neue Einträge, neue Artefakten und neue Inhalte. Ein Archiv sei niemals endgültig geschlossen. Dies begründet Derecho mit dem archontischen Prinzip, welches ihr zu folge den inneren Antrieb jedes Archivs, sich kontinuierlich zu vergrößern, beschreibt. Ein Archiv sei immer bestrebt, mehr Archiv zu erzeugen und nie3 4 Morrison nennt hier zum Beispiel „Darth Vader & Spongebob VS Edward & Harry Potter“ (vgl. Morrison 2012). Derecho bezieht sich speziell auf Ausführungen in Jacques Derridas „Mal d'Archive: Une Impression Freudienne“ (1995).
  • 9. 7 mals in einer stabilen Form zu verharren. Archontische Literatur sei demzufolge Literatur bestehend aus Texten, die in ihrem Wesen archivalisch sind und durch das archontische Prinzip angetrieben werden. In diesem Zusammenhang seien dann also Texte, die auf einem bereits existierenden Text aufbauen, keinesfalls weniger wert als der Quelltext oder eine Verletzung seiner Grenzen, sondern lediglich eine Zugabe zum Archiv des Quelltexts. Derecho erklärt weiter, dass ein archontischer Text anderen Schreibenden den Eintritt in den Quelltext stets erlaubt oder sogar dazu einlädt, spezifische nützliche Teile des Primärtextes zu wählen und mit deren Hilfe neue Artefakte zu schaffen. Die Einladung erfolgt durch das archontische Prinzip – den Drang, das Archiv des Quelltextes, mit einem neu geschaffenen Werk zu erweitern (vgl. Derecho 2006, S.63f). In diesen Ausführungen wird bereits deutlich, warum das Adjektiv archontisch zur Beschreibung und Einordnung von Fanfiction in dieser Arbeit besser geeignet ist als derrivativ oder aneignend. Denn im Gegensatz zu den letzteren beiden impliziert archontisch weder die traditionellen Vorstellungen von Besitzrechten noch dass Fanfiction im Wert sekundär zum orignalen Bezugstext sei. Derecho schreibt hierzu: In Fanfiction there is a constant state of flux, of shifting and chaotic relation, between new versions of stories and the originary texts: the fics written about a particular source text ensure the text is never solified, calcified, or at rest, but is in continuos play, its characters, stories, and meanings all varying through the various fics written about it. Fanfiction is philosophically opposed to hierachy, property, and the dominance of one variant of a series over another variant (ebd., S.76). Fanfiction ist durch die Einbettung in eine kollaborativ arbeitende Gemeinschaft, dem Fantum, immer in einem Zustand der Veränderung. Neue Fangeschichten erweitern das Archiv des Quelltextes und entwickeln Charaktere und Handlungsstränge ständig weiter. Doch welche Primärtexte erzeugen ein Fantum um sich und tragen somit das archontische Prinzip in sich? Wichtig ist, dass der Text ein hohes Potenzial für kreative Auseinandersetzungen bereitstellt – dazu zählen gut entwickelte vielschichtige Charaktere genauso wie durchdachte, verschlungene und überraschende Handlungsstränge. Ein hoher Grad von Mehrdeutigkeiten verspricht großen Interpretationsspielraum. Die Geschichten um J.K. Rowlings Erfolgsfigur „Harry Potter“ bieten all das, gebündelt mit einer großen Popularität, die vor allem durch weltweit vermarktete Kinofilme zu den Büchern gezielt gesteigert wurde. So ist es nicht verwunderlich, dass
  • 10. 8 „Harry Potter“ Fanfiction mit 618 416 Einträgen im Bereich Fanfiction zu Büchern auf fanfiction.net auf Platz 1 gelistet ist (vgl. fanfiction.net 2012a). Archontische Literatur erlaubt den Eintritt anderer Schreibender: J.K. Rowling ist eine Autorin, die Fanfiction zu ihren Werken unter der Bedingung, dass die Fangeschichten keinem kommerziellen Zweck dienen, unterstützt. Ein Sprecher ihres Literaturagenten sagte 2004: JK Rowling's reaction is that she is very flattered by the fact there is such great interest in her Harry Potter series and that people take the time to write their own stories. Her concern would be to make sure that it remains a non-commercial activity to ensure fans are not exploited and it is not being published in the strict sense of traditional print publishing (Waters 2004). Ausgewählte Beispiele von „Harry Potter“ Fanfiction von den Plattformen fanfiction.net und wattpad.com sollen daher als Beispiele für diese Arbeit herangezogen werden. Fanfictions als archontische Texte zeigen den Bezug zwischen Original und der neuen Version für das Archiv bewusst an. Der Eintritt in das Archiv eines archontischen Texts ist nur möglich, wenn der Primärtext ausdrücklich genannt wird. Archontische Texte sind laut Derecho also nur Texte, die Variationen ihrer selbst erzeugen, welche sich selbst explizit als Variationen bezeichnen (vgl. Derecho 2006, S.64). Kehrt man zurück zu der Aussage, dass Fanfiction immer durch eine Gemeinschaft konstituiert wird, die interpretiert und kommentiert, und somit den Kontext beziehungsweise das Archiv des Originals erweitert, erscheint Fanfiction archontisch zu sein. Geht man weiter zurück und berücksichtigt außerdem, dass Fankreationen immer einen primären Bezugstext brauchen, kann ganz sicher gesagt werden: Fanfiction ist archontisch, weil die Fangeschichten sich offen und ausdrücklich an bereits existierende Texte binden.5 Fangeschichten werden entweder direkt auf Webseiten publiziert, die explizit zu einem Fantum gehören – die populärste Seite im „Harry-Potter“-Universum ist hier sugarquill.net – oder auf großen Onlineplattformen, wie fanfiction.net, unter dem Stichwort des Primärtextes eingetragen. Außerdem gibt der sogenannte 'Header', zu deutsch Kopfzeile eines Eintrages, immer Auskunft über das Fantum, dem die Geschichte zugeschrieben wird. Weiterhin werden der Titel der Fangeschichte, der Autor, die vorkommenden 5 Derecho bemerkt weiterhin, dass nicht nur Fanfiction archontisch ist, sondern auch andere Werke sich demonstrativ an bereits existierende Texte binden. Als Beispiel nennt sie unter anderem Isabell Allendes „Zoro“ und J.M. Cotzoees „Foe“ mit seinen unverkennbaren Charakteren Crusoe und Freitag (vgl. Derecho 2006, S.66).
  • 11. 9 Figurenpaarungen, die Kategorie – zum Beipiel 'slash fic' – und die Altersfreigabe genannt. Meistens dankt der Fanautor zusätzlich noch seinen Beta-Lesern, die die Geschichte vor der Veröffentlichung korrigieren und verbessern, und formuliert einen sogenannten Disclaimer (vgl. Busse/Hellekson 2006, S.10). Diese Ausschlußklausel soll Abmahnungen von Rechteinhabern der Charaktere, also beispielsweise J.K. Rowling, vorbeugen und besagt meistens etwas wie dieses Beispiel auf der "Harry Potter" Fanwebsite checkmated.com: „The Characters and situations of Harry Potter depicted on this website are the legal property of J.K. Rowling, Bloomsbury, and AOL Time Warner, and have been used without permission. No copyright infringement is intended“ (checkmated.com). Das Medium Internet beschert dem Phänomen der Fanfiction immer mehr Zulauf. Online existieren heute auf internationaler Ebene vernetzte Foren und Netzgemeinschaften in denen Leser zu Autoren und somit Konsumenten zu Produzenten von Literatur werden, wenn sie als Fans die literarischen Schöpfungen ihrer Lieblingsautoren weiterentwickeln, remixen und vermischen, um ihre Neuentwicklungen dann mit den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zu teilen und ihre Arbeit begutachten und verbessern zu lassen. Diese Arbeit untersucht in den folgenden Kapiteln die Dynamik hinter den immer schneller wachsenden Online-Fantümern und stellt die Prozesse auf den Plattformen fanfiction.net und wattpad.com näher vor, um an ihrem Beispiel zu erörtern inwieweit Prosumtion im Literaturbetrieb ausgeprägt ist. 2.2 Alvin Tofflers Konzept der Prosumtion Nachdem erklärt ist, was unter Fanfiction zu verstehen ist und die praktische Ebene der Untersuchung identifiziert ist, widmet sich dieser Teil der Arbeit nun Alvin Tofflers „Third Wave“ Theorie6. Hier fällt der Begriff der Prosumtion zum ersten Mal – der Futorologe stellt 1980 in seiner Wellenkamm-Sozialtheorie eine neue Möglichkeit vor, die Entwicklung der Menschheitsgeschichte als ununterbrochene Wellenbewegung zu analysieren und gibt daraufhin eine positive Zukunftsprognose ab. Toffler gliedert sein Buch durch die zentrale Metapher des Zusammenpralls von (Innovations-)Wellen und unterteilt die Menschheitsgeschichte in einer bewussten 6 Diese Arbeit legt den Fokus auf das Kapitel 20 und möchte nicht den gesamten Umfang von Tofflers Theorie darstellen.
  • 12. 10 Verallgemeinerung in drei Wellen. Circa 8000 v.Chr. setzt Toffler die erste Welle an: die Agrarrevolution. Zuvor lebten die Menschen in kleinen nomadischen Gruppen vom Jagen und Sammeln. Aus der Agrarrevolution gehen die Kultivierung von Land, die Gründung größerer Siedlungen und der Einzug eines neuen Lebensstils der Sesshaftigkeit hervor. Zwischen 1650 und 1750 n.Chr. sieht Toffler die zweite Welle: die industrielle Revolution. Eine Industriegesellschaft erwächst mit der Entwicklung energieintensiver Technologien, schnellerer Verkehrsmittel, sich rasant vergrößernden Städten und neuen Arbeitsweisen der Standartisierung und Spezialisierung. Seit circa 1950 sieht der Futorologe jetzt einen Trend, der die Kollision dieser Industriegesellschaft mit einer dritten Innovationswelle anzeigt (vgl. Toffler 1980, S.15ff, 24ff). Ein großer Teil der Innovation in der dritten Welle hängt für Toffler mit dem Aufstieg einer Prosumentenkultur zusammen. Er argumentiert, dass die Aufspaltung der Menschen in Produzenten und Konsumenten unnatürlich und nur während der zweiten Welle, also in einer Industriegesellschaft, vorhanden sei. Während der ersten Welle seien alle Menschen Prosumenten, denn sie konsumieren, was sie selbst produzieren. Sie seien somit Produzenten und Konsumenten zugleich. Toffler führt weiter aus, dass in dieser Prosumentenökonomie Produktion größtenteils für den Eigenverbrauch (Sektor A) erfolge und nur ein sehr geringer Prozentsatz für den Markt bestimmt sei (Sektor B). Die industrielle Revolution trenne den Produzenten vom Konsumenten, um durch diese Aufspaltung einen größeren Markt zu erzeugen. Somit gäbe es plötzlich einen sehr großen Sektor B, der ausschließlich für den Markt produziere und nur noch einen kleinen Prozentsatz des Sektors A, der für den Eigenverbrauch produziere. Diesen geschrumpften Sektor A sieht Toffler als Teil einer Art unsichtbaren Ökonomie, da Hausarbeit zumeist als nicht produktiv abqualifiziert wird. Doch er sieht Hoffnung, wenn er feststellt, dass Menschen ungefähr seit 1950 beginnen, bestimmte Dienste des Sektors B wieder zurück in den Sektor A zu verlagern. Den ersten Schritt in dieser Verlagerung identifiziert er im Aufkommen von Selbsthilfegruppen, die seiner Meinung nach „eine grundlegende Abkehr vom passiven Konsumentendasein und eine Zuwendung zum aktiven Prosumententum“ (ebd., S.276) repräsentieren. Ein zweiter umfassender Schritt in Richtung Prosumentenkultur manifestiere sich in den 1970er Jahren mit der Entwicklung von Selbstbedienung an Tankstellen oder durch die Installation von Bankautomaten. Generell erwache die sogenannte Do-It-Yourself Bewegung und ein großes Wachstum, in der Heimwer-
  • 13. 11 kerbranche als auch eine große Nachfrage bei den Ratgeberbüchern sei zu verzeichnen. Hier liegt also definitiv ein Rücktransfer von Tätigkeiten aus dem Marktsektor in den Sektor des Prosums vor. Neben dem Dienstleistungsbereich sieht Toffler diese Verschiebung bereits 1980 auch im Sachleistungsbereich. Hier stellt er sich die Beteiligung des Konsumenten durch die Möglichkeit der Individualisierung der zuvor immer standadisierten Güter vor und schlägt zum Beispiel die Integration von Kunden in den Designprozess der Produkte vor (vgl. ebd., 273ff). Außerdem scheint er die technologischen Möglichkeiten des Internets zu antizipieren, wenn er schreibt: Viele der elektronischen Apparaturen, mit denen wir daheim unser Geld verdienen werden, werden es uns auch ermöglichen, Güter oder Dienstleistungen für den Eigenverbrauch zu produzieren. In einem solchen System rückt der Prosument wie einst während der Ersten Welle ins Zentrum des wirtschaftlichen Lebens – dieses Mal jedoch unter den technologischen Bedingungen der Dritten Welle (ebd., S.281). Diese technologischen Bedingungen manifestieren sich heute wohl maßgeblich im sogenannten Web 2.0, welches im nächsten Punkt nähere Beachtung findet. An dieser Stelle sei kurz gesagt, dass Toffler Recht behalten hat und neue Kommunikationstechnologien eine Welt vernetzter Nutzer geschaffen haben, die kollaborativ Produkte erstellen und somit eine neue Partizipationskultur formen. Nach Henry Jenkins ist dies eine Kultur, in der Fans und andere Konsumenten dazu eingeladen sind, aktiv an der Produktion und Distribution von neuen Inhalten teilzunehmen (vgl. Jenkins 2008, S.331). Jenkins sieht daher Fanfiction im Internet als Ausdruck einer modernen Amateurkultur, die ähnlich wie die Kulturen in der vorindustriellen Zeit, in Tofflers Worten also der ersten Welle, auf kreative Weise auf ihre Umgebung reagieren (vgl. Jenkins 1992, S.18). Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass Prosumtion generell die „Herstellung einer bestimmten Sach- oder Dienstleistung zum Zwecke der nichtexklusiven Eigennutzung“ (Hellmann 2010, S.23) beschreibt. Das durch den Prosumenten hergestellte Gut bezieht seinen Gebrauchswert somit aus seiner Bestimmung zur Eigenverwendung und nicht zum Angebot auf dem Markt. Kai-Uwe Hellmann fügt dieser Definition noch an, dass der Prosument stets einen Beitrag leistet, ohne den der Herrstellungsprozess eines Produktes oder einer Dienstleistung unabgeschlossen bleiben würde. Dies ist augenscheinlich bei den Beispielen der Selbstbedienung (der Gast könnte ohne Eigenleistung nicht essen) oder bei einer eigenhändigen Reparatur unter telefonischer Anleitung einer Servicekraft. Der US-amerikani-
  • 14. 12 sche Verlag Coliloquy verinnerlicht die Beteiligung des Prosumenten durch seine „Wähle-dein-eigenes-Abenteuer“-Titel. Der Leser muss sich zwischen verschiedenen Lesepfaden entscheiden und vervollständigt das Produkt, das Buch, individuell nach seinem Belieben (vgl. Morais 2012). Wendet man diese Definition sehr weitläufig an, ist man schnell der Kritik ausgesetzt, dass jede Art von Konsum dann Prosumtion ist, da die Wertschöpfungskette eines Produktes immer erst abgeschlossen ist, wenn der Konsument dem Produkt Aufmerksamkeit schenkt. Sonst erfüllt das Produkt den Zweck der Investition nicht (vgl. Hellmann 2010, S.36ff). Ein Buch ist unter diesem Gesichtspunkt ohne den Leser nicht abgeschlossen, denn es kann seinen Sinn, gelesen zu werden, nicht erfüllen. Nicht jeder Leser kann jedoch so einfach zum Prosumenten erklärt werden. Dennoch ist deutlich geworden, dass dem Aufstieg des Prosumenten mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht werden muss. Philip Kotler macht bereits 1986 Vorschläge inwiefern ein erfolgreiches Marketing sich verändern muss, um auf die zu erwartenden Veränderungen eingehen zu können: „Marketers will have to direct their promotion appeals to themes stressing individualism, skill-building, and productiveness“ (Kotler 2010, S.57). Toffler unterstreicht zum Ende seiner Ausführungen: Die Ökonomen werden nicht mehr ihre ganze Weisheit auf den Sektor B konzentrieren können, sondern müssen eine »Ganzheitsmethode« entwickeln. Sie müssen auch analysieren was in Sektor A geschieht und in welchem Verhältnis die beiden Sektoren zueinander stehen (Toffler 1980, S.285f). Genau diesem Aufruf möchte diese Arbeit folgen und Fanfiction, als Literatur, die für den unkommerziellen Eigenkonsum im Sektor A produziert wird, in ihrem Verhältnis zur Textproduktion in Sektor B untersuchen. 2.3 Merkmale digitaler Medien und Definition des Web 2.0 Der Aufstieg des Prosumenten mit der dritten Welle ist stark an das Aufkommen neuer Kommunikationstechnologien gebunden. Deshalb muss im Zuge der theoretischen Vorarbeit für die Diskussion von Fanfiction als Textprosumtion, ein ganz basales Verständnis für digitale Medien und deren charakteristische Arbeitsweise aufgebaut werden. Die hier angebotenen Definitionen erschöpfen das Diskussions-
  • 15. 13 feld um digitale Medien nicht, sondern werden lediglich zielführend herangezogen, um anschließend das Konzept der Web 2.0 - Technologien vorgestellen zu können. Siegfried J. Schmidt definiert Medien als Teil seines Entwurfs einer Medienkulturwissenschaft als einen Kompaktbegriff mit vier Komponenten. Zum einen seien Medien Kommunikationsinstrumente, mit denen Informationen übermittelt werden – dies sei zuallererst natürlich Sprache und in den digitalen Medien sind es vor allem Computersprachen und Protokolle. Ein weiterer Aspekt des Medienbegriffs ziele auf die Technologien, die Angebote produzieren, distributieren und rezipierbar machen. Digitale Medien benutzen verschiedene Computertechnologien zu denen unter anderem Web 2.0 Anwendungen gehören und auf die später detaillierter eingegangen werden soll. Als dritte Komponente zählt Schmidt die „sozialsystemische Institutionalisierung der medientechnischen Dispositive“ (Schmidt 2008, S.355) – Medientechnologien seien folglich auf die Herausbildung verschiedenster Institutionen angewiesen, um die nötige technische, ökonomische, rechtliche, politische und soziale Infrastruktur zur Verwaltung und Kontrolle zu entwickeln. Die Urheberrechtsdebatte um digitale Inhalte im Internet ist ein Zeichen dafür, dass das Internet eine recht junge Medientechnologie ist, deren juristische Einbettung in die Gesellschaft noch nicht abgeschlossen ist. Der letzte Bestandteil von Schmidts Mediendefinition bezieht sich auf das Medienangebot, dessen Entstehung und Existenz strukturell als auch inhaltlich von den anderen drei Komponenten abhänge und aus ihnen hervorgehe. Ein digitales mediales Angebot wird mittels Computertechnologie für das oder direkt im Internet produziert, durch dieses distributiert und kann mittels Empfangsgeräten mit Computertechnologie rezipiert und auch bearbeitet werden (vgl. Schmidt 2008, S.354f; vgl. Hartling 2009, S.42f). In dieser Arbeit geht es vordergründig um das Medienangebot Online Fanfiction, dass durch die Nutzung von computerbasierten Kommunikationsmitteln, Web 2.0 Medientechnologien, einer massenereichenden technischen Infrastruktur und einer bemerkenswerten sozialen Dimension der verschiedenen Fantümer erschaffen wird. Vor dem Hintergrund dieses grundlegenden Verständnisses des Medienbegriffs stellt sich jetzt die Frage: Was genau ist der Unterschied zwischen analogen und digitalen Medien? Lev Manovich schlägt zum Zweck dieser Unterscheidung fünf Prinzipien vor, die digitale Medien auszeichnen. Zum ersten seien digitale Medien immer numerisch repräsentiert, das heißt sie sind mathematisch beschreibbar und daher auch programmier- beziehungsweise manipulierbar. Zweitens seien sie im
  • 16. 14 Gegensatz zu analogen Medien modular aufgebaut. Digitale Medienelemente seien einzelne autonome Fragmente, die beliebig kombiniert werden können. Digitale Medien fügen sich somit immer wieder beliebig neu zusammen und sind daher ausgezeichnet zum Remix geeignet. Der numerische Code zusammen mit der modularen Struktur bedinge laut Manovich die dritte Eigenschaft digitaler Medien. Sie könnten durch Automation geregelte Operationen ausführen, die menschliche Partizipation ausschließen könne. Als niedrigste Form dieser Automation nennt er zum Beispiel die Photoshopfunktion der automatischen Bildrandbeschneidung und als höchste Ebene gelten selbstverständlich Formen von künstlicher Intelligenz. Das vierte Prinzip beschreibt die Variabilität von digitalen Medienobjekten. Das Prinzip der Codierung ermögliche potenziell unendliche Variationen der Objekte. Analoge Medienobjekte wie das Buch oder das Foto seien starre Artefakte, weil ihre Informationen endgültig auf einem unveränderlichen Trägermedium fixiert seien. Digitale Medienobjekte seien jedoch nie endgültig fixiert, sondern dynamisch veränderbar, also sozusagen flüssig. Dieser fluide Charakter von digitalen Medien ist eine wesentliche Bedingung der rasanten Ausbreitung von Prosumtion und wird bei den Ausführungen von Axel Bruns Konzept des Produsage im Kapitel 3.2 noch eine große Rolle spielen. Das fünfte und letzte Prinzip beschreibt Manovich als kulturelle Transcodierung. Hier spricht er die Eigenschaft digitaler Medien an, unsere ganze Kultur zu computisieren: In summary, the computer layer and the culture layer influence each other. To use another concept from new media, […] they are being composited together. The result of this composite is a new computerculture – a blend of human and computer meanings, of traditional ways in which human culture modeled the world and the computer's own means of representing it (Manovich 2001, S.46). Das letzte Prinzip ist eine Art Metapher für den derzeitigen Übergang von alten zu neuen Medien und beschwört die Herausbildung einer digitalen Kultur. Manovich beschreibt den Einfluss der Neue-Medien-Revolution als spürbar auf allen Kommunikationswegen, besonders in der Erfassung, Bearbeitung, Speicherung und Verbreitung von Informationen. Betroffen sind alle Formen von Medien: genannt werden Texte, unbewegte Bilder, bewegte Bilder sowie Klänge (vgl Manovich 2001, S.19,27,30ff,36,45f). Auch die Ablösung der Industriegesellschaft mit ihrer Kultur der Massenmedien durch eine postindustrielle Gesellschaft, die sich durch Individualität statt Kon-
  • 17. 15 formität auszeichnet, findet in Manovichs Charakterisierung Ausdruck. Er sieht im Wandel der Medientechnologien von den alten analogen Medien zu den neuen digitalen Medien auch den Ausdruck eines sozialen Wandels, der Leben und Medien als individuell anpassbar propagiert (vgl. ebd., S.41). Hier ist wieder die von Toffler angesprochene Kollision der zweiten und dritten Welle spürbar: das Publikum fordert eine Individualisierung der Leistung von Massenmedien und spaltet sich in immer kleinere Interessengruppen, die nur von individualisierten Medien bespielt werden können. Die Kollision bedingt somit die Entstehung von „de-massified media“ (Toffler 1980, 171ff). Prosumenten in den digitalen Medien beginnen außerdem, den fluiden Charakter für ihre individuellen Ziele, Zwecke und Ideen zu nutzen: Fanfiction-Schreiber setzen sich aktiv in einer Gemeinschaft von Fans mit Texten auseinander – die Artefakte, die sie dabei als Fangeschichten erschaffen, sind von digitalem Charakter und existieren in immer neuen Versionen in den sozialen Gemeinschaften von Foren und Blogs. Hier werden sie stätig kommentiert, verändert, verbessert und individuellen Bedürfnissen angepasst. Digitale Medien werden im Sinne dieser Arbeit also als Kommunikationsinstrumente verstanden, die durch bestimmte Technologien fruchtbar gemacht und durch verschiedenste gesellschaftliche Institutionen strukturiert werden. Das resultierende Medienangebot zeichnet sich durch die Prinzipien der numerischen Codierung, der Modularität, der Automation und der Variabilität aus. Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts wird die Nutzung von vernetzten Computern zur täglichen Praxis eines Großteils der westlichen Bevölkerung. Computerhardware wird stetig besser und günstiger, schnellere Internetverbindungen machen das Surfen im World Wide Web immer bequemer und das Internet wird zu einem Massenmedium. Aufgrund dieser Entwicklung betritt 2004 ein neues Trendwort die Bühne des digitalen Mediendiskurses: Tim O'Reilly prägt mittels einer gleichnamigen Konferenz den Begriff „Web 2.0“ und erklärt dann 2005 in einem Artikel auch „What is Web 2.0?“ - O'Reilly beschreibt hier wie bestimmte Technologien, die sich durch sieben Eigenschaften auszeichnen, die Potenziale des Internets durch neue Anwendungen weiter ausschöpfen als bisherige von ihm Web 1.0 genannte Services. O'Reilly formuliert den Übergang zu einer metaphorischen neuen Version des Internets mittels Beispielen. Er sieht die Transformation vom passiven Surfen in einem dezentralisierten Web hin zur aktiven Beteiligung in einer vernetzten Gemeinschaft beispielsweise im Wandel von der Nutzung statischer persönlicher Websites hin zur
  • 18. 16 Nutzung dynamischer Blogs. Gehe es im Web 1.0 nur um Veröffentlichung von Informationen, sei das Ziel des Web 2.0 immer die Partizipation der Nutzer (vgl. O'Reilly 2005; vgl. Behrendt/Zeppenfeld 2008, S.5,11). Aus diesem Grund wird das Konzept des Web 2.0 auch als Mitmach-Netz bezeichnet. Im Folgenden soll näher auf die einzelnen Faktoren, die O'Reilly benennt, eingegangen werden. Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt jedoch auf den Faktoren, die für den Aufstieg einer Prosumentenkultur im Allgemeinen wichtig sind und gleichzeitig die Vorraussetzung für die explosionsartige Verbreitung von Fanfiction im Speziellen bilden. Das erste Merkmal einer Web 2.0 Anwendung sei nach O'Reilly die Nutzung des Webs als Service-Plattform. Das heißt, dass komplexe Programme nichtmehr durch den lokalen Rechner als Desktop-Anwendung ausgeführt werden, sondern unabhängig von Betriebssoftware über das Internet abgefragt werden können. Diese Eigenschaft senkt die Zugangsbarrieren zu Inhalten deutlich, macht private Daten jederzeit und von überall abrufbar und unterstützt kooperative und kollaborative Arbeitsweisen. Die soziale Publikations- und Leseplattform Wattpad.com ist mit einem Internetzugang jederzeit erreichbar – wer dort einen Text einstellt, kann diesen jederzeit von jedem Computer mit Internetzugang weltweit wieder abrufen. Das heißt, dass auch alle anderen Nutzer von Wattpad.com Zugriff haben und kollaborativ am Inhalt der Geschichte gearbeitet werden kann. Daraus resultiert indirekt eine weitere Eigenschaft: Web 2.0 Anwendungen nutzen die kollektive Intelligenz aller Internetnutzer, um Inhalte zu erschaffen. Die Reduzierung der Zugangsbarrieren wird soweit ausgedehnt, dass die Oberflächen der Anwendungen so benutzerfreundlich sind, dass technische Vorkenntnisse zur Produktion von Webinhalten nicht nötig sind. Wattpad.com bietet eine einfache Nutzeroberfläche, mittels derer jeder Nutzer in der Lage ist, Inhalte auf der Seite zu publizieren. Jeder kann theoretisch mitmachen und die Web 2.0 Services leben fast ausschließlich von sogenanntem 'user-generated content'. Dies ist die nächste Eigenschaft von Web 2.0 Anwendungen, die O'Reilly als „Data is the next Intel inside“ (O'Reilly 2005) beschreibt. Das verdeutlicht, dass Qualität und Quantität der Datenbestände das ganze Kapital eines Web 2.0 Service ausmachen. Eigentlich benutzen viele Websites die selben Darstellungskomponenten – einziges Unterscheidungsmerkmal im Web 2.0 Dschungel sind die von Nutzern permanent generierten Daten (vgl. Behrendt/Zeppenfeld 2008, S.11ff; vgl. Ebersbach u.a. 2008, S.24f; vgl. O'Reilly 2005). Fanfiction.net war eine der ersten Plattformen mit wenigen editorialen
  • 19. 17 Beschränkungen, sodass sich eine große Anzahl von Nutzern für die Website begeistert. Als viertes Merkmal von Web 2.0 Applikationen sieht O'Reilly den Ausbruch aus dem traditionellen Softwareentwicklungskreislauf. Neue Webanwendungen werden meist mittels der 'agile'-Methode entwickelt. Das heißt, dass nicht erst die gesamte Anwendung geplant, entwickelt und getestet wird, um sie dann in einem Paket zu veröffentlichen, sondern dass die Entwicklung mit dem Nutzer erfolgt. Beta-versionen von Applikationen sind schon während der Entwicklungsphase für den Nutzer erreichbar und das Produkt ist besser an den schnelllebigen Markt anpassbar, da der Entwicklungszyklus variabler ist (vgl. Behrendt/Zeppenfeld 2008, S.14; vgl. Ebersbach u.a. 2008, S.25; vgl. O'Reilly 2005). Die agile Arbeitsweise zeichnet sich durch Dynamik und Variabilität aus und ist daher optimal geeignet, um schnell auf Kundenbedürfnisse und Marktveränderungen zu reagieren. Aktuell wird deshalb darüber nachgedacht wie agiles Publizieren im traditionellen Literaturbetrieb ausssehen kann.7 Als wegweisendes Beispiel gilt der in der Nähe von Chicago ansässige Verlag Sourcebooks, der 2012 das Buch „Entering the Shift Age“ von David Houle mittels der 'agile'-Strategie konzipiert und von Beginn an Leser in den Entstehungsprozess des Buches einbeziehen wollte (vgl. Sourcebooks 2012). Die letzten drei Eigenschaften von Web 2.0 Anwendungen, die O'Reilly benennt, sind Punkte, die generell mehr Anwenderfreundlichkeit bedingen. Er fordert sogenannte „lightweight programming models“ (O'Reilly 2005), die es Nutzern erleichtern bestehende Komponenten einer Anwendung wieder- und weiterzuverwenden. Im Grunde appeliert O'Reilly für offene, leicht zu bedienende Schnittstellen innerhalb und zwischen den Anwendungen. Außerdem fordert er, dass die Darstellung von Software nicht an bestimmte Geräte gekoppelt sein darf, sondern zum Beispiel auf mehr als einem mobilen Endnutzergerät laufen sollte. Wattpad.com bietet seine Anwendungen beispielsweise als Download für mobile Geräte, die mit dem Appleals auch dem Android-Betriebssystem arbeiten. Als letzte Eigenschaft formuliert O'Reilly dann das Hauptziel jeder Web 2.0 Anwendung: die Bereitstellung einer „rich user experience“ (O'Reilly 2005) und vor allem eines Erlebnisses, das sich automatisch verbessert je mehr Nutzer partizipieren (vgl. O'Reilly 2005; vgl. Behrendt/Zeppenfeld 2008, S.14f). 7 Mehr Informationen zu diesem Thema sind zu finden auf: http://www.buchreport.de/nachrichten/ verlage/verlage_nachricht/datum/2012/09/28/wie-verlage-mit-daten-bessere-buecher-machen.htm und http://toc.oreilly.com/2012/02/agile-for-real-world-publishing.html.
  • 20. 18 Das Prinzip des Web 2.0 basiert also auf dem Nutzer, der nichtmehr nur Konsument ist, sondern angehalten wird aktiv zu sein und zu produzieren. Das Web 2.0 gibt der ganzen Prosumentenbewegung somit einen gewaltigen Antrieb und vermehrt die Produktionsmöglichkeiten für Amateure. Die Organisationsprinzipien des Web 2.0 ermöglichen einen freien und einfachen Austausch von Information und schaffen eine Art Amateurkultur der Partizipation. Jeder Internetnutzer ist aufgrund von Web 2.0 Services in der Lage, ohne professionelles technisches Know-How oder teure Produktionsmittel ausgereifte Medienprodukte zu erschaffen. Jeder kann theoretisch ein Autor sein und sich selbst verwirklichen, da die neue Vernetzungsstruktur des Internets die konventionelle Sender-Empfänger Hierachie untergräbt (vgl. Reichert 2008, S.8,37). Diese Eigenschaft, dass Informationssender und -empfänger innerhalb des Kommunikationsaktes einfach und kontinuierlich die Rollen tauschen können, soll in dieser Arbeit als Definition von Interaktivität gelten. Die Web 2.0 Anwendungen perfektionieren die Interaktivität der digitalen Medien und befreien die bisher passiven Leser, Zuhörer und Zuschauer aus ihren alten massenmedialen Umgebungen: [I]n der Netzkommunikation [flacht] die Hierachie zwischen Sender und Empfänger (respektive Produzenten und Rezipienten von Informationen) [ab] und [tendiert] zu einer symmetrischen Wechselwirkung […], sodass die »Nutzer« also erheblich mehr Wahl- und Kontrollmöglichkeiten besitzen als in »herkömmlichen« Medienumgebungen (Bieber/Leggewie 2004, S.9) Der Prosument profitiert demnach von der neuen digitalen, interaktiven Medienumgebung und ist durch die Errungenschaft des Web 2.0 in der Lage, ein persönliches, mobiles und multimediales Kommunikationsverhalten zu entwickeln. (vgl. Bieber/Leggewie 2004, S.7ff) Dies steht im Kontrast zu Meinungen, dass Amateure nicht kreativ produktiv werden, sondern lediglich laienhaft mit programmierten Blackboxen umgehen (vgl. Reichert 2008, S.66). Es bleibt also zu diskutieren, welche Auswirkungen die Möglichkeiten des Web 2.0 wirklich auf die Position des Autors und die Arbeitsweisen in der Literaturproduktion haben.
  • 21. 19 3. Das Web 2.0 als neuer Ausgangspunkt von Prosumtion 3.1 Konsumenten und Produzenten von digitalen Medien Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln erläutert worden ist, verwischen die digitalen Medien und ihre neuen Web 2.0 Anwendungen die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten. Das traditionelle Konzept des Publikums, der passiv Konsumierenden, verliert sein Anwendungsfeld im Zeitalter des Internets. Die Vielfalt von Medienangeboten ist mit der Ausdifferenzierung des World Wide Web exponentiell gestiegen. Ein Grund dafür sind die leichteren und günstigeren Distributionsmöglichkeiten im Internet. Ein anderer ist die Ausprägung von diversen Medienproduktionshilfen für Amateure und der Wandel im Selbstverständnis von Web 2.0 Anwendern. Inhalte können leicht und schnell durch diverse Plattformen produziert werden und es geht nicht mehr nur darum, ein möglichst großes Publikum zu erreichen, sondern schlicht um Selbstdarstellung oder Teilhabe am medialen Diskurs. Mit der zunehmenden Verbreitung von sogenannten Amateurinhalten, die qualitativ stark variieren, ist der Konsument einer anhaltenden Informationsflut ausgesetzt. Für viele Nutzer eröffnet sich hier ein großes Problem der Filterung und Kategorisierung von Inhalten – der Konsument muss aktiv Strategien produzieren, um gewünschte Inhalte zu finden (vgl. Pavlik 2008, S.56,79ff). Konsumenten von digitalen Medien entwickeln ständig neue Medienkompetenzen und damit einhergehend ein neues Selbstverständnis als aktiv-teilhabende und produktiv-tätige Nutzer. Ramon Reichert fasst diese Entwicklung speziell im Bezug zur Textproduktion folgendermaßen zusammen: Das Hypermedium Internet subsumiert alle bisherigen Kommunikationsmedien und -wege unter ein- und derselben Medienoberfläche in multimedialen Darstellungsformen. Dabei vernetzt es Hypertexte, die sich aus schriftlichen, auditiven, visuell-dynamischen, fotografischen und grafischen Dokumenten zusammensetzen und auf technischen Plattformen bearbeitet werden können. Die damit einhergehende Aufhebung der Differenz zwischen Lese- und Schreibrechten stellt den traditionellen Begriff vom Autor und der Autorin in Frage und kündigt eine neue Wissensordnung an, in der die Rollenaufteilung zwischen dem aktiven Autor und dem passiven Leser verschwinden könnte (Reichert 2008, S.45, Hervorhebung im Origi nal). Digitale Medien verändern den Umgang mit dem Lesen und Schreiben, wenn diese Konsum- und Produktionsvorgänge durch die zunehmende Vernetzung von Nutzern vermehrt kollaborativ werden. Bedeuten die Vernetzung durch das Internet und die speziellen Web 2.0 Anwendungen somit den Tod des traditionellen Autors? Zum
  • 22. 20 besseren Verständnis von Autorschaft und ihren vielfältigen Ausprägungen möchte diese Arbeit eine kurze lineare und daher stark vereinfachte Darstellung der historischen Entwicklung von Autorschaftskonzepten liefern. Eine Beschreibung des eigentlichen Nebeneinanders der vielfältigen und rivalisierenden Autorschaftsmodelle würde den Rahmen hier sprengen.8 Ansgar Nünning nimmt den Autorbegriff generell zur „Bezeichnung für den geistigen Urheber von Texten jeglicher Art“ (Nünning 2008, S.41). Verschiedene Konzeptionen von Autorschaft fächern sich auf, weil der geistige Urheber historisch teilweise als Kollektiv und teilweise als Individuum auftritt. Althochdeutsche Literatur kann als reiner Ausdruck des kulturellen Gedächtnisses eines Kollektivs angesehen werden. Literatur wird zumeist mündlich weitergegeben und sofern von Autorschaft zu sprechen ist, ist diese durch ihrer Kollektivität anonym. In der mittelhochdeutschen Literatur verdichten sich mündliche und schriftliche Weitergabestrukturen zu einer sogenannten Regelpoetik. Der Autor gilt als poetischer Handwerker. Er ist ein Schreiber und hat lediglich eine handwerkliche Funktion und keine sinnstiftende. Somit erwirbt er auch keine Autorschaft an dem Geschriebenen und die niedergeschriebene Literatur bleibt durch die kollektive Produktion des Inhaltes im Modus einer anonymen Autorschaft. Mit der literarischen Bewegung des Sturm und Drang im 18. Jahrhundert verändert sich das Verständnis von Autorschaft grundlegend. Die Regelpoetik wird zugunsten einer sogenannten Genieästhetik aufgelöst: kollektive Autorschaftsmodelle werden durch die Vorstellung vom Autor als Genie ersetzt. Der Autor kann und muss jetzt gegen die gegebenen Regeln der Poetik verstoßen, denn sein Können misst sich am Grad der von ihm gezeigten Individualität und Autonomie seiner Arbeit. Allein das Autorgenie ist verantwortlich für den Sinn des Textes und ist somit die Instanz, die befragt werden muss, wenn der Textsinn entschlüsselt werden soll. Die Intention des Autors bestimmt das Verständnis des Textes. Diese Geniepoetik ist die Grundlage für die Entstehung des heute geltenden modernen Urheberrechts, welches die Rechte des Autors an seinem Werk fixiert und somit erstmals eine eindeutige Beziehung im Sinne eines Besitztums zwischen dem Text und dem Autor herstellt (vgl. Hartling 2009, S.76ff). Das Verständnis des Autors als alleinigen geniehaften Urheber von Texten ist auch heute noch gesellschaftlich vorherrschend, obwohl sich Überlegungen des Poststrukturalismus bereits in den 1960er Jahren von dieser traditionellen Autorfigur ver8 Für eine ausführliche Darstellung siehe Hartling 2008, Kapitel 3.3.
  • 23. 21 abschieded haben. Julia Kristeva9 setzt eine universale Intertextualität an die Stelle des Autors und Roland Barthes ruft 1968 den Tod des Autors aus. Barthes kritisiert mit seinen Ausführungen die Vorstellung, dass ein Text einen einzigen vom Autorgenie gegebenen Sinn habe. Dieser Standpunkt der Hermeneutik, welche stets die Biografie des Autors zur Entschlüsselung des Textsinns heranzieht, wird von Barthes karikiert und kritisiert. Er schlägt, indirekt auf Kristevas These der Intertextualität aufbauend, ein neues Verständnis von Text vor, wenn er schreibt, daß [sic!] ein Text nicht aus einer Wortzeile besteht, die einen einzigen gewissermaßen theologischen Sinn (das wäre die ››Botschaft‹‹ des ›Autor-Gottes‹) freisetzt, sondern aus einem mehrdimensionalen Raum, in dem vielfältige Schreibweisen [écritures], von denen keine ursprünglich ist, miteinander harmonieren oder ringen: Der Text ist ein Geflecht von Zitaten, die aus den tausend Brennpunkten der Kultur stammen (Barthes 2006, S.61). Ein Text wird also nicht mehr als originelles Werk des Autors behandelt, sondern als ein Gewebe aus bereits dagewesenen, nur neu aufgeschriebenen écritures – Textproduktion ist „ein zitierendes Zusammenschreiben von Fragmenten“ (Wirth 2001, S.56). Der Autor wird von Barthes wieder durch den Schreiber ersetzt, der jetzt verschiedene Schreibweisen verschiedener Kulturen und Zeiten zu einem Text verwebt. Der Schreiber ist sozusagen wieder der bloße Handwerker, eine Art überpersönliche Instanz des Schreibens und an die Stelle des genialen Autors tritt der Text selbst. Der Text löst sich von seinem Urheber und ist somit autorlos. Aufgrund der intertextuellen Beschaffenheit der Welt und jedes Textes erteilt Barthes eine Absage an die singuläre Interpretierbarkeit von Texten. Der Sinn eines Textes kann im hermeneutischen Sinne nicht entziffert werden. Jeder Text bietet eine Vielzahl von diffus verlinkten Sinnangeboten, die durch den Leser individuell entwirrt werden können. In der Instanz des Lesers entfaltet sich der individuelle Sinn eines Textes. Somit kann der Autor nicht mehr als Bezugspunkt der Interpretation von literarischen Texten gelten: „Die Geburt des Lesers muß [sic!] mit dem Tod des ›Autors‹ bezahlt werden“ (Barthes 2006, S.63). Die Vorstellung einer individuellen Autorschaft verschwindet in Barthes Denken, da er die Funktion der Einheitsstiftung nicht mehr in der Texterzeugung, dem materiellen Ursprung des Textes, verankert, sondern im Akt des Lesens also im Zielpunkt der Textproduktion (vgl. Barthes 2006, S.57-63; vgl. Wirth 2001, S.56). Der Autor wird verabschieded und seine Funktionen werden anderen literari9 Siehe hierzu Julia Kristevas Aufsatz „Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman“ (1967).
  • 24. 22 schen Kategorien zugeschrieben: dem Leser und dem Text. Übrig bleibt der Schreiber, der lediglich mit der Zusammenstellung von Dagewesenem betraut ist – er betreibt konstant 'copy and paste'. Uwe Wirth ist mit Barthes Beschreibung des Schreibers nicht ganz einverstanden und hinterfragt, ob der Schreiber seine Funktion erfüllen kann, ohne jemals vorher Leser gewesen sein. Barthes macht hierzu keine expliziten Angaben und Wirth schlägt die Einführung der Figur des Editors vor. Die Instanz eines Herausgebers beschreibe besser, was Barthes als Schreiber bezeichnet: der Editor ist „als erster Leser und zweiter Autor [derjenige, der] das Geschriebene Anderer zusammenliest und zusammenschreibt“ (Wirth 2001, S.57). Neben der Degradierung des Autors zum Schreiber oder wie Wirth vorschlägt zum Editor, ist die Aufwertung der Bedeutung des Lesers zentral für Barthes Theorie. Aus dieser Aufwertung ziehen Vertreter der Hypertext-Theorie in den 1990er Jahren ihre theoretische Fundamentierung und feiern den endgültigen Tod des Autors und die Geburt eines emanzipierten, produzierenden Lesers in der Praxis von digitaler Hypertextliteratur: Roland Barthes describes ideal textuality that precisely matches that which in computing has come to be called hypertext – text composed of blocks of words (or images) linked electronically by multiple paths chains, or trails in an open-ended, perpetually unfinished textuality described by the terms link, node, network, web and path (Landow 1997, S.3, Hervorhebungen im Original). Mit dem sogenannten 'wreader' wird die kollektive Autorschaft im Internetzeitalter wiedergeboren. Literatur im digitalen Medium liegt in den verschiedensten Ausformungen vor: es soll hier zwischen Literatur im Internet, die dort lediglich publiziert, jedoch nicht produziert wird und Netzliteratur unterschieden werden, die für oder im Internet produziert wird und die neuen Möglichkeiten des Mediums für sich fruchtbar macht. Diese Texte sind nach dem Hypertextprinzip organisiert und werden somit zu nicht-linearer Literatur, die sich aus einzelnen, untereinander verlinkten, in sich linearen Texteinheiten (Lexien) aufbaut (vgl. Tuschling 2006, S13f). Online Fanfiction ist in diesem Sinne eine schwach ausgeprägte Form von Netzliteratur. Sie ist nicht nur Literatur im Internet, weil das Kommentar- und Beurteilungssystem der Blogs und Foren essentieller Bestandteil und nur im digitalen Medium direkt mit dem Ursprungstext verknüpft ist. Dennoch bedient Fanfiction sich nicht vordergründig der Hypertextform wie die Hypertext-Theorie es vorschlägt. Trotzdem ist es wichtig, einen Blick auf diese Theorie zu werfen, da sie als erstes die Überzeugungen
  • 25. 23 von Roland Barthes auf die technischen Bedingungen von Literaturproduktion im Zeitalter des Internets bezieht und große Hoffnungen formuliert, dass die digitalen Medien eine völlig neue kollaborative, literarische Textproduktion bedingen. Die Figur des 'wreaders' wird 1994 von George Landow entworfen: dieser aufgewertete Leser ist durch das Lesen an der Produktion von Texten beteiligt, weil er durch die Auswahl eines bestimmten Lektürepfads im Dschungel der Hypertextverbindungen eine bestimmte Version eines Textes produziert (vgl. Hartling 2009, S.70). Ein Beispiel für digitale Hypertextliteratur heute sind die bereits erwähnten Wähle-dein-eigenes-Abenteuer-Titel von Coliloquy. Der Leser erwirbt hier autoriale Funktionen: One clear sign of such transference of authorial power in the reader's ability to choose his or her way through the metatext, to annotate text written by others and to create links between documents written by others. […] In reducing the autonomy of the text, hypertext reduces the autonomy of the author (Landow 1997, S.90). Es scheint also so als könnte der Hypertext die poststrukturalistischen Versprechen von Roland Barthes einlösen und den Leser endgültig befreien. Bei genauerer Betrachtung erweist sich Landows Argumentation jedoch als Trugschluß. Roberto Simanowski sieht in der Praxis der Hypertexttechnologie keinesfalls eine Befreiung des Lesers, sondern vielmehr eine Gefangenschaft. Der Leser könne zwar einen individuellen Lektürepfad wählen, sich allerdings nur im Rahmen der vom Autor oder Programmierer vorgegebenen Möglichkeiten entscheiden. Somit wirft Simanowski der Hypertextfiction vor, den Leser nur scheinbar zum Co-Autor zu machen. Der Leser bleibe weiterhin in den vom Autor vorgegebenen Dimensionen gefangen: Beim Beispiel der Hypertextliteratur muss sich der Leser den bereitgestellten Varianten der Text-Link Organisation unterordnen. Somit sei der Autor nicht geschwächt, sondern behalte seine Macht, den Rahmen der Erzählung vorzugeben (vgl. Simanowski 2001, S.8,11). Simanowski propagiert hier die scheinbare Rückkehr des Autors in Gestalt des Programmieres, denn eines ist eindeutig: Durch die digitalen, nicht-linearen, interaktiven Medien werden neue Autorschaftskonzepte hervorgebracht. Im Gegensatz zu einem starken Autor als Programmierer, kann der Autor im digitalen Feld jedoch auch als vollkommen entmündigter Schreiber oder Handwerker, der Hard- und Software uneingeschränkt ausgeliefert ist, wahrgenommen werden (vgl. Hartling 2009, S.102). Vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes muss gefragt werden, ob es noch Sinn macht, Begriffe wie Autor, Leser und
  • 26. 24 Text, im Zusammenhang mit digitalen Medien weiter zu verwenden. Michael Wetzel argumentiert, dass die Wiederkehr des Autorbegriffs im digitalen Diskurs eine reine Karikatur ist. Er beschreibt den historischen Autor, der sich mit dem Medium Buch entwickele, als Zentrum eines geschlossenen Systems. Diese Autorschaft, die unter dem Stichwort Genieästhetik bereits besprochen wurde, sei ausgezeichnet durch stilistische Individualität, Intentionalität und den Eigentumsanspruch. Mit der Digitalisierung breche die Geschlossenheit auf und Wetzel befürchtet, daß [sic!] sich der Begriff [Autor], von seiner Genesis abgeschnitten, als gewissermaßen leere Bedeutungshülle neue Geltung schafft bzw. daß [sic!] als einzige die juristische Bedeutung des Verantwortungsträgers überlebt hat, in funktionaler Hinsicht aber ganz andere, zur Tradition von Autorschaft nachgerade diametral entgegengesetzte Sinnzusammenhänge (wie das handwerkliche, das Schreiber- / Kopisten- / Transformationsmodell) Geltung erlangen (Wetzel 2002, S.279). Der Begriff des traditionellen Autors scheint, im Kontext der digitalen Medien also entleert zu sein. Welche Gründe bedingen dieses Phänomen? Im Gegensatz zum traditionellen Autor muss der Netzschreiber mehr Kompetenzen in sich vereinen: Natürlich bleibt die literarisch-ästhetische Komponente aus dem historischen Autorbild erhalten. Hinzu kommt jedoch jetzt die Notwendigkeit von programmiertechnischer Affinität, wenn keine Software-Blackboxen der Web 2.0 Anwendungen genutzt werden, oder hoher kommunikativer Fähigkeiten und sozialer Bereitschaft bei der Nutzung von Web 2.0 Applikationen (vgl. Hartling 2009, S.46). Fanfiction-Schreiber spiegeln die netzspezifischen Techniken und Kommunikationsmuster des Internets ästhetisch in ihren Blog- oder Foreneintragungen: Die komunikationstechnologische Komponente ihres Schreibens ist der Kommentar- und Bewertungsprozess, welcher immer ein Teil des produzierten Textes ist und als solcher wertgeschätzt wird. Interaktivität und Kollaboration sind wichtige Bestandteile von Netzliteratur und verändern die Autorposition so grundlegend, dass die Strukturender traditionellen genieästhetischen Autorschaft dahinter verschwinden. Dieser Punkt belegt, dass sich die Materialität von Literatur verändert hat und der Netzschreiber nie ein fertiges Produkt ins Netz stellt, sondern die kollektive Intelligenz aller vernetzten Nutzer das Artefakt immer weiter verändert. Axel Bruns greift diesen Punkt auf interessante Weise auf und begründet darauf sein Konzept des Produsage, welches im nächsten Kapitel weiter ausgeführt wird. Im Zusammenhang mit Netzliteratur ist eine Zunahme von kollaborativer Au-
  • 27. 25 torschaft bewiesen und durch die Beschaffenheit des Mediums vorgezeichnet. Das Internet demokratisiert die Mediennutzung, denn jeder Empfänger ist gleichzeitig auch potenzieller Sender. Am Beispiel der Fanfiction kann man sehen, dass sich die individuelle Autorschaft durch die Interaktion mit dem Kollektiv auflöst. Florian Hartling nennt als Grundcharakteristikum von kollaborativer Autoschaft zuallererst, dass jeder Leser die Möglichkeit hat, zum Schreiber zu werden. 10 Jeder Leser kann mit Hilfe von Web 2.0 Anwendungen zum Schreiber von Fanfiction werden. Die im Web bereitgestellten Applikationen wie Blogs, Wikis oder Foren, erlauben durch ihre einfache Bedienung auch die Teilnahme von Nutzern mit geringer medialer Kompetenz. Die Mitarbeit von einer potenziell sehr großen Anzahl vernetzter Nutzer führt dazu, dass Texte mit kollektiver Autorschaft immer unabgeschlossen sind (vgl. Hartling 2009, S.268). Ständige Erweiterungen sind nicht nur möglich, sondern dem Medium inhärent und erwünscht. Die digitalen Medien ermöglichen dem Leser, leicht eine Autorfunktion in einer Kollaboration einzunehmen. Somit wird der Konsument im Kontext der digitalen Medienproduktion zum Prosument und Barthes These, das produktive Potenzial sei allein im Leser zu finden, bestätigt sich. Diese theoretischen Überlegungen tendieren schnell zu radikalen Formulierungen, die in der Praxis nicht notwendigerweise genauso klar und endgültig vorzufinden sind. Simone Winko sieht den Autor im Netzdispositiv immer noch weiterleben, in Anbetracht dessen, wie sich Autoren mit Hilfe des Internets weiterhin stilisieren und präsentieren. Sie führt an, dass kollaborative Textproduktion zumeist journalistischer Natur ist und sich in Projekten wie Wikipedia oder der großen politischen Blogosphäre manifestiert (vgl. ebd., S.271,277). Literarische Projekte tendieren weiterhin zu singulären Autorschaftsmodellen, die vom traditionellen Literaturbetrieb durch die stetige Rückführung von erfolgreichen Onlinewerken zu Printversionen unterstützt wird. Fanfiction ist nach theoretischen Gesichtspunkten Ausdruck einer kollaborativen Autorschaft, die von einem singulären Autor iniziiert wird. Das heißt, dass die Texte in jedem Fall als Produkt einer Fangemeinschaft angesehen, aber dennoch mit nur einem Autornamen gekennzeichnet werden. Ewan Morrison argumentiert in einem Artikel über Fanfiction, dass ungefähr 60 000 Variationen von Fangeschichten zur Twilight Saga von Stephenie Meyer existieren, die dem Inhalt von E.L. 10 Mit dieser Aussage ist gemeint, dass die Zugangsbarrieren der neuen vernetzten Informationswirtschaft niedriger sind als in einer industriellen Informationswirtschaft. Partizipation ist jetzt nur durch die Frage nach dem individuellen Zugang zum Netzwerk, also dem Internet, beschränkt (vgl. Bruns, 17).
  • 28. 26 James „Fifty Shades of Grey“ ähnlich sind. Die Fangemeinschaft hat diesen Inhalt kollaborativ erschaffen und Morrison stellt daher fest: „Fifty Shades is a book with 60,000 authors“ (Morrison 2012). Der traditionelle Literaturbetrieb fordert jedoch einen einzigen Autornamen, den er als Ordnungsprinzip des Diskurses dringend benötigt. Diese Strukturen ziehen sich bis in das neue digitale Medium hinein und bedingen die angesprochene Theorie-Praxis-Differenz. Somit zweifeln Hansgeorg Schmidt-Bergmann und Torsten Liesegang zurecht: [Es] ist fraglich, ob ein technisches Medium allein die Chance bietet, überlieferte Rezeptionsweisen aufzubrechen […]. Eine solche Argumentation übersieht die Tatsache, dass eine bestimmte Rollenteilung innerhalb literarischer Kommunikation Ergebnis einer funktionalen Ausdifferenzierung ist. Autor und Werk erfüllen die Funktion einer Beständigkeit und Verlässlichkeit, die Instanz des Literaturbetriebes eine Auswahlfunktion, die Orientierung vermittelt im immer größeren Informationsangebot. Literatur verspricht weiterhin ein gesellschaftliches Prestige, das in der völligen Anonymität nicht erreichbar wäre. […] Nach wie vor erscheint der Autor weniger als oberste Sinninstanz, sondern vielmehr als Ordnungsinstanz des literarischen Materials auch im Internet gefragt zu sein (Schmidt-Bergmann/Liese gang 2001, S.16). Solange also traditionelle Ordnungsdiskurse im Literaturbetrieb vorherrschend sind, werden kollaborative Autorschaftsprojekte von Prosumenten, die sich in den digitalen Medien manifestieren, vorerst nicht Ernst genommen, ästhetisch abgewertet oder bei großem Erfolg im Netz unter einem singulären Autornamen in den Printbereich rückgeführt. Dennoch ist, am Beispiel der Fanfiction-Gemeinschaften zu sehen, wie fruchtbar kollaborative Prosumtionsvorgänge sein können. Literaturproduktion verändert ihre Arbeitsweise – auch wenn Fanfiction nur einen geringen Teil der literarischen Textproduktion ausmacht.11 Die Möglichkeiten des Web 2.0 bedingen die Aufwertung des Lesers zum Prosumenten, der jetzt als aktiv teilhabender und produktiv tätiger Internetnutzer zu verstehen ist. Der Prosument ist sowohl Leser als auch Schreiber, Editor, Programmierer und Nutzer. Der traditionelle Autorbegriff aus den Zeiten der bürgerlichen Moderne ist somit entleert. Produktionsvorgänge werden durch die Online-Vernetzung der Prosumenten zunehmend kollaborativ und das Konzept einer singulären Autorschaft löst sich im Kollektiv der Internetnutzer auf. Insofern kann von einem Tod des Autors gesprochen werden, der Hand in Hand mit der Veränderung der Materialität von Literatur geht. Literarische Textproduktion im Netz ist interaktiv und kollaborativ und bringt somit fluide, dynamische Artefakte hervor. 11 Genaue Zahlen zu diesem Verhältnis konnten leider nicht in Erfahrung gebracht werden.
  • 29. 27 3.2 Die Geburt des Nutzers und die Idee des Produsage Nach der Beleuchtung von Autorschaftsverhältnissen in einer vernetzten Informationswirtschaft ist deutlich geworden, dass Prosumtion im Sinne von Alvin Toffler noch nicht weit genug gedacht ist, um die gegenwärtigen Entwicklungen in der digitalen Textproduktion zu erfassen. Die veränderte Materialität der digitalen Literatur ist, nicht allein durch Prosumtion zu erlären. Axel Bruns stellt fest, dass Tofflers Theorie ein Kind seiner Zeit mit Erkenntnissen aus Betrachtungen der 1970er Jahre ist und Toffler die heutige vernetzte Internetwelt selbstverständlich nicht komplett vorausdenken konnte. Bruns sieht Tofflers Verständnis von Prosumtion einzig als Etablierung einer Feedbackschleife von Konsument zu Produzent, jedoch keine signifikante Verschiebung in den Machtverhältnissen der traditionellen Wertschöpfungskette von Produzent, Distributor und Konsument. Toffler scheint lediglich einen Zustand zu beschreiben, in dem der Konsument die industrielle Produktion durch hohe Bereitschaft zur Teilnahme an Marktforschung und Mitteilung seiner Vorlieben zur Personalisierung von Produkten unterstützt. Der Konsument hat somit mehr Einfluss darauf, was er konsumiert, indem er mehr und mehr direkte Produktionsaufträge gibt, wird jedoch nicht im vollen Maße zum aktiven Produzenten, sondern eher zu einem professionellen Konsumenten. Tofflers Konzept bleibt somit klar in den Möglichkeiten der Zeit einer Industriewirtschaft, die sich langsam in eine Informationswirtschaft verwandelt, verankert (vgl. Bruns 2008, S.11ff). Yochai Benkler beschreibt die derzeitige Gesellschaftssituation als den Zustand einer vernetzten Informationswirtschaft – im Vergleich zu Tofflers zeitlicher Ausgangslage hat sich die Gesellschaft somit schon weiter in die dritte Welle hineinbegeben. Charakteristisch für diese vernetzte Informationswirtschaft sei die zunehmende Bedeutung von dezentralen individuellen Handlungen, im Besonderen kooperative und kollaborative Handlungen, die abseits des Marktes und gegen feste Besitzhierachien entstünden (vgl. Benkler2006, S.3). Dies steht im radikalen Kontrast zur Organisation von Kommunikationsmodellen durch die industrielle Informationswirtschaft. Der Aufstieg des Internets als Massenmedium bringt schwerwiegende Verwerfungen und viele Herausforderungen für das traditionelle industrielle Modell von Informationsproduktion und -distribution mit sich. Durch die fortschreitende dezentrale Vernetzung verändern sich die Zugangmöglichkeiten zu Informationen. Traditionell wird Information durch ein sogenanntes 'product push' Modell verbreitet – das
  • 30. 28 heißt, dass Information nicht individuell durch den Konsument angefragt wird, sondern unabhängig von seinen Bedürfnissen für eine breite Masse bereitgestellt wird. Durch das Internet ist jeder Nutzer jetzt in der Lage, sich individuell Informationen zusammenzustellen – in einer vernetzten Informationsgesellschaft liegt also ein sogenanntes 'information pull' Modell vor. Weiterhin bietet das Internet, wie bereits mehrfach erwähnt, einfachen und allgemeinen Zugang zu neuen Produktions- und Distributionsmöglichkeiten, sodass Informationsproduktion nicht mehr nur einigen wenigen Unternehmern vorbehalten ist (vgl. Bruns 2008, S.13). Der vorherige Konsument kann durch die neuen Netzwerktechnologien die traditionellen Produzenten und Distributoren einfach umgehen. Im literarischen Kontext steht somit [d]er Begriff Netzliteratur […] auch für das seltsame Phänomen, dass sich die traditionellen Funktionen im Literatursystem im Grunde genommen relativ diffus über alle Teilnehmer des Netzdiskurses verteilen. Der Tod des Autors geht einher mit der Entmachtung von Verleger und Lektor. Der Leser selbst ist nicht mehr auf die passive Rezipientenrolle zurückgeworfen, sondern dazu angehalten sich kritisierend und schreibend in den Diskurs einzumischen (Hartling 2009, S.47). Die Funktionen im Informationsnetzwerk, die klassisch von Verlagen eingenommen wurden und die ganze Domäne der Literaturvermittlung umfassen, können jetzt theoretisch von jedem Internetnutzer übernommen werden und der Literaturbetrieb ist deshalb nicht ohne Grund in einer Phase des Umbruchs. Nutzer sind nun im Sinne von 'peer-to-peer' Technologien direkt miteinander vernetzt und Mittlerpositionen verlieren an Relevanz. Eine Informationswirtschaft, die weiterhin hierarchisch organisiert ist, wird im Internet durch dezentrale Vernetzungsmechanismen untergraben. Im digitalen Raum bewegen sich Hersteller und Nutzer von Medieninhalten auf Augenhöhe – sie sind hier alle nur Knoten in einem neutralen Netzwerk. Im Gegensatz zu den traditionellen Massenmedien vermag es das Internet jetzt also, das Machtungleichgewicht zwischen Produzenten und Konsumenten aufzulösen, indem der Konsument zu einem vernetzten Nutzer wird, der aktiv an der Informationsgestaltung teilnehmen kann (vgl. Bruns 2008, S.14). Neben den Funktionen des Konsumenten und des Produzenten wird ein Begriff im Zusammenhang mit dem Internet immer wichtiger: die Position des Nutzers. Yohai Benkler begründet diese Entwicklung wie folgt: [W]e are seeing the emergence of the user as a new category of relationship to information production and exchange. Users are individuals who are sometimes consumers and someti-
  • 31. 29 mes producers. They are substantially more engaged participants, both in defining the terms of their productive activity and in defining what they consume and how they consume it (Benkler 2006, S.138). Der Nutzer ist in seiner Funktion somit hybrid – der Internetnutzer kann ständig zwischen seiner Funktion als Konsument und als Produzent wechseln. Diese Geburt des Nutzers im Internet hängt mit der Materialität von digitalen Inhalten zusammen. In der Realität können digitale Inhalte insofern nicht konsumiert werden, als dass sie nicht verbraucht werden können. Sie bleiben nach dem Konsum intakt und zusätzlich ist ihre Verbreitung durch das Internet auch noch einfach und schnell. Digitale Inhalte sind, leicht zu erhalten und einfach zu nutzen: sie können aufgrund der bereits genannten Eigenschaften ihres digitalen Trägermediumseinfach verändert, erweitert und neu kombiniert werden (vgl. Bruns 2008, S.14). Im digitalen Zeitalter spricht man somit mehr von dem Nutzer als von dem Konsumenten. Aufgrund dieser Umwälzungen verkündet Kevin Kelly 2005 im Wired Magazin unter dem Titel „We are the Web“ das Zeitalter der Prosumtion im Web 2.0: What matters is the network of social creation, the community of collaborative interaction that futurist Alvin Toffler called prosumption. As with blogging and BitTorrent, prosumers produce and consume at once. The producers are the audience, the act of making is the act of watching, and every link is both a point of daparture and a destination (Kelly 2005). Kellys Verständnis stimmt offensichtlich nicht direkt mit Tofflers Originalkonzept von Prosumtion überein. Indirekt scheint er somit erkannt zu haben, dass sich die Vorzeichen des Prosumententums mit der neuen kommunikativen Einbettung im Web 2.0 verändern haben. Tofflers Konzept muss weiterentwickelt werden und Axel Bruns unternimmt diesen Versuch, in dem er ein neues Konzept von Prosumtion für die vernetzte Informationsgesellschaft vorschlägt, das er Produsage nennt. Während Prosumtion die Vorgänge Produktion und Konsum (englisch 'consumption') vereinigt, verbindet Produsage Produktion und Nutzung (englisch 'usage'). Kernidee des Produsage-Konzepts ist, dass sich im Internet vernetzte Gemeinschaften herausbilden, die als Nutzerschwärme verstanden werden können, und durch Aktivitäten zwischen den Mitgliedern kollektiv Inhalte erstellen. Die Evolution des Internets macht mittels Web 2.0 Technologien neue Onlinekooperations- und Kollaborationsformen zwischen den Nutzern von bestimmten Dienstleistungen möglich. Populärstes Beispiel für Produsage ist daher Wikipedia. Hier erstellen Nutzer kollektiv den Inhalt einer Online-Enzyklopädie auf einer als Wiki bezeichneten Web
  • 32. 30 2.0 Serviceoberfläche. Die gemeinschaftlichen Kollaborationen können verschiedene Ziele verfolgen: es können Informationen oder kreative Werke erstellt werden, Wissen gesammelt und ausgetauscht werden oder schlicht Informationen vermittelt werden. Viele kleine Beiträge von vielen Mitgliedern des Schwarms führen zum Phänomen der kollektiven Intelligenz12 – frei nach dem Prinzip: viele Augen sehen mehr, ist eine der grundlegenden Eigenschaften von Produser-Gemeinschaften, dass sie offen zugänglich für alle sind und generell durch die Dynamik der Gemeinschaft kontrolliert werden. Alle Teilnehmer sind für die Inhaltserstellung und Qualitättssicherung verantwortlich – somit ist das Organisationsprinzip hier nicht Exklusivität sondern immer Inklusivität. Statt starrer hierarchischer Strukturen organisieren sich die Nutzerschwärme in schnell wandelbaren Heterachien. Das bedeutet, dass nicht zwingend alle Teilnehmer gleich sind, aber alle die gleiche Chance haben, Wertvolles zur Gemeinschaft beizutragen. Entscheidungen werden dezentral getroffen und unterstützen die Selbstbestimmung der Gemeinschaft. Die Produkte oder Inhalte, die kollaborativ erschaffen werden, sind gemeinschaftliches Eigentum und sollen immer frei zugänglich sein. Das bedeuted vor allem, dass Inhalte immer für aktive Nutzung zum Beispiel im Sinne von Modifikationen und Weiterentwicklungen verfügbar sein sollen. Aufgrund dieser Prinzipien verändert die kollaborative Organisation von Schwarmgemeinschaften die traditionelle Wertschöpfungskette bis in die Unkenntlichkeit: klassische Rollen von Produzenten, Distributoren und Konsumenten oszillieren in der Gemeinschaft, die aus einer potenziell unendlichen Kette von Nutzern besteht. Schrittweise erweitern und verbessern die Mitglieder die vorliegenden Informationen. Manchmal sind sie Nutzer, wenden vorhandene Ressourcen an und kontrollieren die Inhalte im selben Zug. Manchmal sind sie Produzenten und fügen neue Informationen hinzu. Die Rolle kann im Laufe der Zeit und je nach derzeitigem Aufgabentyp stark variieren. In solchen kollaborativen Netzgemeinschaften haben die Teilnehmer daher immer eine Art hybride Rolle inne: Sie sind Produser, denn ihre Nutzer- und ihre Produzentenrolle sind untrennbar miteinander verwoben (vgl. Bruns 2008, S.16, 21,24ff,28f). Fanfiction-Gemeinschaften sind nach den genannten Gesichtspunkten Produser-Gemeinschaften: Sie sind frei zugänglich, heterarchisch organisiert und von der Gemeinschaft kontrolliert. Auf der Plattform fanfiction.net beispielsweise werden in 12 Für ausführlichere Informationen siehe Pierre Lévy „Die kollektive Intelligenz. Für eine Anthropologie des Cyberspace“ (1998).
  • 33. 31 einem vernetzten partizipativen Umfeld Inhalte gemeinsam geschaffen, bewertet und verbessert. Weiterhin beschreiben Karen Hellekson und Kristina Busse Fantexte genauso wie Axel Bruns durch Produsage erschaffene Artefakte beschreibt: always ongoing, always renegotiated work in progress – the creation of a text that can never reach closure – but for us, the very activity of its creation achieves the same status of the text itself, and this creation is the product of a community (Busse/Hellekson 2006, S.2). Durch Produsage Geschaffenes kann nicht die Form von industriellen Produkten haben: Es sind niemals einzelne, abgeschlossene Einheiten. Der Produktionsprozess der Produsage besteht aus ständigen Aktualisierungen, Erweiterungen und Änderungen – je nachdem wie sich die Dynamik in der gemeinschaftlichen Inhaltserschaffung der Produser entwickelt, verändert sich auch das Produkt. Somit ist der Begriff Produkt nicht zweckmäßig – Produsage bringt vielmehr Artefakte hervor, die immer unabgeschlossen und somit offen sind. Da die Entwicklung, der Produsageprozess, immer fortläuft, entstehen immer nur temporäre, kurzlebige Erzuegnisse (vgl. Bruns 2008, S.21f,27f). Fanfiction ist ein fluides Artefakt, das Hellekson deshalb als ständiges work in progress, immer in Bearbeitung, beschreibt und Derecho aus diesem Grund als archontisch klassifiziert (vgl. Kap. 2.1). Ein Fantext, der im Forum einer Fangemeinde zum Beispiel auf fanfiction.net eingestellt wird, ist immer eine Einladung an die Gemeinschaft, mit dem Text zu interagieren. Dies ist ein Unterschied zum professionellen Literaturbetrieb: Die Fluidität der Texte wird von den Fans zelebriert. Die Interaktion mit den Texten ist zentrales Anliegen der gemeinschaftlichen Produktion und immer deutlich sichtbar im Diskurs um die einzelnen Fanproduktionen. Die Gesamtheit aller Fantexte eines Fantums ist ein Paradebeispiel für ein Produsage-Artefakt: Alle eingestellten Fangeschichten und der dazugehörige kritische Diskurs, der die Geschichten stätig modifiziert und erweitert, erschaffen eine ständig wachsende, niemals abgeschlossene Welt der involvierten Charaktere: „they in effect colaboratively curate an ever-expanding, constantly changing exhibition of the community's creative works“ (Bruns 2008, S.229). Diese Ausstellung steht jedem offen und weitet sich kontinuierlich aus (vgl. Busse/Hellekson 2006, S.7,28). Essentiell für das Verständnis von Produsagevorgängen ist weiterhin, dass zum Beispiel ein Fanfictiontext nicht ohne den Kontext des Fandoms existieren kann. Produsage Artefakte sind nie nur Information, sondern immer sogenannte 'information commons', also gemeinschaftlich genutzte Information:
  • 34. 32 in its full form the information (knowledge, creative work) prodused by the community therefore exists not in abstraction from the social contexts of its development, as a stand-alone product, but exists only as directly embedded in such contexts, as a temporary artefact of continuing social processes of developing, extending, negotiating, and evaluating this shared content (Bruns 2008, S.23). Fanfiction ist immer das Produkt einer Gemeinschaft – dies geht bereits aus ihrer archontischen Natur, welche die Gemeinschaft braucht, um das Archiv des Quelltextes stetig zu erweitern, hervor und wird durch ihre Kennzeichnung als Produsage-Artefakt unterstrichen. Nachdem die Bedeutung der Gemeinschaft stark herausgestellt wurde, stellt sich nun die Frage: Wer sind die einzelnen Mitglieder einer Produser-Gemeinschaft und was treibt sie an? In der Praxis verstehen sich Teilnehmer in einem Fanfiction Forum oder Blog nicht zwingend als Produser, sondern eher schlicht als Teilnehmer. Es existieren sehr aktive Nutzer, die in der Inhaltserstellung sozusagen führend sind, über verschiedene Nutzertypen, die sich mehr oder weniger produktiv mit den bestehenden Inhalten auseinandersetzen, bis hin zu Nutzern, die die Inhalte nur passiv verwenden und sich vielleicht nicht einmal als Teil der Gemeinschaft sehen. Dieses Nutzerspektrum ist nicht konstant, denn jeder kann jederzeit einen anderen Aktivitätsgrad einnehmen. Unabhängig jedoch von der Ausgeprägheit der Partizipation leistet jeder Nutzer immer einen Beitrag zu dem allumfassenden, gemeinschaftlichen, kollaborativen Prozess der Inhaltserschaffung. Produktivität wird nicht notwendigerweise bewusst als solche verstanden, sondern kann von den Nutzern auch als normaler Bestandteil ihrer Beteiligung an der Gemeinschaft angesehen werden und muss gar nicht funktionsbezogen hinterfragt werden (vgl. ebd., S.18,23). In einer Fangemeinschaft gibt es verschiedene Mitgliederformen, die alle ihren Teil zum Wachsen des Fantums beitragen. Allgemein in den meisten Fangemeinden vertretene Mitgliedertypen sind BNFs ('Big Name Fans'), die einen großen Kreis von Fans, genannt 'fangirls', um ihre Aktivitäten scharren können, 'newbies', die sich der Fangemeinde neu angeschlossen haben und deren Praktiken erlernen möchten, und 'lurkers', die Aktivitäten anderer Fans beobachten und Fanfiction lesen, aber sich selbst selten aktiv am Diskurs beteiligen (vgl. Busse/Hellekson, S.11). Die Netzgemeinschaften sind divers und ständig in Bewegung – ihre Produktivitätist hoch und ihr Einfluss in der vernetzten Onlinewelt des Internets steigt stetig. Es ist deutlich geworden, dass die derzeitigen Entwicklungen in der digitalen
  • 35. 33 Textproduktion im Web 2.0 nicht allein durch Prosumtion erklärbar sind, jedoch auf diesem Konzept aufbauend als Phänomen von Produsage klassifiziert werden können. Im Netz organisierte Produser-Gemeinschaften erschaffen digitale Inhalte generell – im Besonderen aber auch Texte – durch hoch dynamische kollaborative Prozesse, die keinen Endpunkt haben. Somit sind mittels Produsage erschaffene Texte, zu denen auch Fanfiction gehört, immer fluide, unabgeschlossene Artefakte, die in ihrem durch eine Gemeinschaft getragenen Informationskontext, zum Beispiel einem Fantum, existieren und dort kontinuierlich weiterentwickelt werden. Im deutschen Literaturbetrieb scheint der Journalist und Autor Dirk von Gehlen, einer der Wenigen zu sein, die diese Dynamiken in der Kulturproduktion erkannt haben, wenn er ohne direkt vom Kozept des Produsage zu sprechen, dieses zur Kernthese und Produktionsart seines neuen Buches macht. Von Gehlen bemerkt, dass die Digitalisierung Kunst und Kultur verflüssigt. Er nennt Wikipedia als Beispiel dafür, dass Texte nicht mehr Produkte sondern Prozesse sind und nur in Versionen vorliegen können. Aus diesem Grund heißt sein Buchprojekt „Eine neue Version ist verfügbar“ 13 - er will damit beweisen, dass auch das Buch kein fertiges Kulturprodukt mehr ist, sondern im Zuge der Digitalisierung als Prozess gedacht werden muss. Sein Buchprojekt wird während seiner gesamten Entstehung für den Leser zugänglich sein – jeder kann zusehen wie das Buch entsteht: Zudem können sich die Leser durch diese Offenheit und Transparenz an dem Produkt beteiligen und werden dadurch […] auch eine sehr viel höhere Interaktionsbereitschaft mitbringen. Dass das im Buchmarkt funktionieren kann, zeigt zum Beispiel der Erfolg von Fan-Fiction (Mindnich 2012). Was diese Arbeit im Bereich Fanfiction untersucht, will von Gehlen also im Bereich der traditionellen Literaturproduktion erproben. Zu diesem Zweck appeliert er an den Literaturbetrieb, sich von der klassischen Genieästhetik des kreativen Schaffensprozesses zu lösen und das Experiment zu wagen, den Prozess offenzulegen. Er macht mit seinem neuen Buch den ersten Schritt und will „ungefiltert lernen, ob die Idee der Verflüssigung und kollaborativen Zusammenarbeit tatsächlich funktioniert“ (Mindnich 2012). 13 Für ausführlichere Informationen siehe http://www.enviv.de/.
  • 36. 34 4. Fanfiction als partizipative Textproduktion im Web 2.0 Nachdem die bisherigen Ausführungen das kollaborative Autorschaftskonzept und die dynamischen Nutzergruppen hinter digitaler Literaturproduktion beleuchtet haben, soll jetzt der Fokus auf der Beantwortung der Leitfragen liegen und anhand von konkreten Beispielen die spezifischen Veränderungen, die die Verbreitung von Prosumentenverhalten mit sich bringen, aufgezeigt werden. Zuerst muss dargelegt werden, welche Auswirkungen ein zunehmendes Prosumenten- beziehungsweise Produsertum für die Produktion von Kultur im Allgemeinen und von Literatur im Speziellen hat. Fanfiction ist, wie bereits dargestellt, eines der Phänomene, die durch den Begriff Prosumtion aufgerufen werden. Mit der Digitalisierung wird Tofflers Prosument zu einer entscheidenden Figur in der Kulturproduktion, die sich in der entstehenden vernetzten Informationswirtschaft besser mit dem Konzept des Produsers beschreiben lässt (vgl. Kapitel 3.2). Die digitale Kulturproduktion wird jetzt also vermehrt von Produser-Gemeinschaften bestimmt und literarische Inhalte im Bereich Fanfiction werden von solchen Gemeinschaften kollaborativ erschaffen. Das Internet ermöglicht durch seine immer ausgedehntere Vernetzung schnellere und intensivere Kommunikation zwischen weltweit verstreuten Nutzern. Daraus resultiert eine immer schnellere Deterritorialisierung von Wissen: Neue virtuelle Wissensräume und -gemeinschaften enstehen. Aufgrund von bestimmten gemeinsamen Interessen, wie zum Beispiel die Faszination für die „Harry Potter“ Bücher, bilden sich Nutzergruppen aus, die dazu neigen, sich in Produser-Gemeinschaften zu organisieren. Die entstehenden Wissensgemeinschaften sind freiwillige Zusammenschlüsse, die hochgradig variabel und somit nur temporär in einer distinkten Form anzutreffen sind. Außerdem basieren sie organisatorisch auf den Prinzipien der Partizipation und hierarchielosen Interaktion. Hier entsteht somit eine kollektive Intelligenz, die durch das Zusammenführen des jeweils exklusiven Wissens der Einzelnen kollaborativ Inhalte erzeugt, Wissen versammelt oder Texte produziert (vgl. Jenkins 2008, S.27ff). Kulturproduktion wird also in den virtuellen Räumen des Internets jetzt zu ausgeprägten kollaborativen Prozessen zwischen weltweit verstreuten Produsern. Eine neue partizipative Kultur, bestehend aus selbstorganisierten Nutzer- beziehungsweise Produser-Gemeinschaften, produziert jetzt also mittels kollektiver In-
  • 37. 35 telligenz auch kulturelle Inhalte – in der Softwareentwicklung ist dies bereits länger durch das Open Source Konzept etabliert. Diese Inhalte sind Ausdruck einer aufstrebenden Remix-Kultur, die sich unter anderem durch die Auflösung der traditionellen industriellen Arbeitsteilung in Produktion, Distribution und Konsum auszeichnet. Inhalte werden online gegenwärtig durch Nutzer erschaffen, die je nach Ziel und Kontext individuell zwischen den verschiedenen Funktionen von Produzent und Nutzer hin und her wechseln. Durch die sich immer mehr ausbildende Kultur der globalen Netzwerkgesellschaft und der flächendeckenden Verbreitung des Meta-Mediums der vernetzten Computer, sieht Felix Stalder die Vorraussetzungen für die Etablierung einer Remix-Kultur geschaffen (vgl. Stalder 2009, S.2). Die sich durch die fortschreitende Vernetzung rasant in allen Lebensbereichen ausbreitende Digitalisierung bringe erstmals alle Medien zum Punkt der Satuierung. Stalder meint damit, dass in der derzeitigen Gesellschaft alle medialen Objekte umfassend verfügbar sind. Das heißt, sie sind durch die computerbasierte Vernetzung leicht und preiswert zugänglich, nur noch durch schwache und vorallem umstrittene normativ-legale Bestimmungen eingeschränkt nutzbar und liegen, da sie digital sind, jetzt in einer Materialität vor, die Bearbeitung einfach zulässt. Der Kreis der Produzenten wird für den Amateur geöffnet, weil vorherige technische, ökonomische oder rechtliche Zugangshürden zunehmend abflachen. Somit verstehen sich immer mehr Subjekte jetzt nicht mehr nur als Konsumenten oder Nutzer von Kultur, sondern auch als aktive Kulturproduzenten. Stalder fomuliert: „Kulturproduktion wird »entspezialisiert«“(Stalder 2009, S.20) und bekräftigt damit das Verschwinden der Grenzen zwischen professioneller und Amateurkultur, als auch zwischen Produktion, Distribution und Konsum (vgl. Stalder 2009, S.3,8f,18f,22). Während klassische Konzepte von Kreativität, die aus der Zeit der bürgerlichen Moderne stammen, kreative Vorgänge als innerlich im Individuum zentriert ansehen, sind kreativ-produktive Praktiken in einer Remix-Kultur immer kooperativ. Der Remix muss sich mit verschiedenen Positionen auseinandersetzen, um sie zu einer neuen Version verbinden zu können. Fanfiction-Schreiber befinden sich in ständigen Kooperationsprozessen, wenn sie die bereits existierenden Charaktere des Quelltextes mittels kontinuierlicher Verhandlungen mit dem Kanon weiterentwickeln und beispielsweise aus eindimensionalen Nebencharakteren komplexe und facettenreiche Figuren erschaffen (vgl. Busse/Hellekson 2006, S.28). Somit erfolgt kulturelle Produktion hier notwendigerweise immer in Kooperation und basiert auf der struktu-
  • 38. 36 rellen Offenheit des Konzepts des Remix: Generell kann alles mit allem in Verbindung treten. Die poststrukturalistische Annahme der vollkommenen Intertextualität der Welt wird in der Remix-Kultur zelebriert, wenn unter der Verwendung von existierenden kulturellen Werken neue Werke geschaffen werden. Mit den Quellen wird offen umgegangen, da sie als Ursprung der neuen Inhalte anerkannt werden. Fanfiction sieht im Remix von vorhandenen Inhalten zum Beispiel eine Methode, „um ein neues Verhältnis zwischen individueller und kollektiver Wahrnehmung zu artikulieren“ (Stalder 2009, S.1). Fans sind durch die Anwendung von Remix-Praktiken im Kontext der kommerziellen Massenmedien, welche die Quelltexte für ihre Fanfictions hervorbringen, eine treibende Kraft in der Ausdifferenzierung einer neuen komplexeren, kulturellen Arbeitsteilung, die kollaborativ erschaffene Inhalte feiert (vgl. Stalder 2009, S.1,11f,16,23). Wichtig ist hier, dass die kulturelle Produktion, wie sie in Fangemeinschaften stattfindet, ihr Endziel nicht allein in der Herstellung eines Textes begreift: „Fans use digital technology not only to create, to change, to appropriate, to poach, or to write, but also to share, to experience together, to become alive with community“ (Booth 2010, S.39). Einem kollaborativen Arbeitsstil ist das Ziel, eine Gemeinschaft zu erfahren, stets inhärent und ein Fan verfolgt mit dem Schreiben eines Fantextes nicht nur das Ziel, durch Remix einen neuen Text zu erschaffen, sondern auch Teil der Fangemeinde zu werden. Für Fanfiction im Modus einer kollaborativen Autorschaft ist somit die gemeinschaftliche Kommunikation über den Schreibvorgang und die gemeinsame Einpassung in das Archiv des Quelltextes genauso wichtig wie die Erstellung eines ästhetisch ansprechenden Textes (vgl. Hartling 2009, S.279f). Die Gewichtung der gemeinschaftlichen Arbeitsweise wird auch im Aufbau der virtuellen Interaktionsräume der Fans deutlich. Die Website fanfiction.net, die Plattform für Fans aus der ganzen Welt und Fangeschichten in 35 verschiedenen Sprachen ist, unterstützt Kollaboration durch ihre Gestaltung und Organisation. Das Design der Website vermeidet eine starre Trennung in Gestalter und Nutzer der Seite, indem Nutzer in verschiedenen Bereichen dazu befähigt werden, die Seite und ihre Inhalte zu gestalten, zu verändern und kontinuierlich neu zu erschaffen. Die Startseite bietet Verlinkungen zu den wichtigen Bereichen 'Browse', 'Community', 'Forums', 'Beta' und der Suche sowie dem Login für Nutzer der Seite, die ein kostenloses Mitgliedskonto haben. Über die Browse-Verlinkung gelangt der Nutzer zu einem Auswahlmenü: Hier kann er sich für einen Kanon im Bereich Fanfiction oder
  • 39. 37 Crossover entscheiden. Als Medienkanon verzeichnet sind Animes, Spiele, Bücher, Cartoon, Filme, Comic, Fernsehserien und Sonstiges. Die Kategorie Bücher ist nach Popularität der Titel aufgeschlüsselt und listet „Harry Potter“ mit 618 600 Einträgen als beliebteste Vorlage für Fantexte. Nach der Auswahl des „Harry Potter“ Fanuniversums sieht der Nutzer eine Auflistung aller zu diesem Fantum publizierten Fantexte, die sich mit Hilfe des Headers kurz defnieren und einen Link zur persönlichen Seite des Verfassers sowie zu den bereits erhaltenden Kommentaren und Bewertungen ('reviews') von Lesern aufweisen. Die persönliche Mitgliedsseite des Verfassers gibt optionale Informationen, zum Beispiel über die Herkunft des Autors, und stellt Links zu allen von diesem Mitglied verfassten Texten, seinen persönlichen Favoriten unter allen Fantexten und Autoren sowie in welchen Communities er Mitglied ist. Aufgrund all dieser Informationen kann der Nutzer sich für das Lesen einer Fangeschichte entscheiden und kommt über die Auflistung oder die Suchmaske jetzt zu einer jeweils individuellen Seite für jeden Fantext und weitere Verlinkungen zu eventuellen fortführenden Kapiteln. Jedes Mitglied kann aufgrund einer einfachen Maske jederzeit Fangeschichten zu dem gewählten Kanon hinzufügen. Außerdem ist Partizipation auch über die Mitgliedschaft in einem der vielen Foren oder Communities, die von engagierten Mitgliedern erstellt werden und dem Zweck des Austauschs beispielsweise über Definitionen von Genres, persönlich favorisierte Figurenpaarungen oder Etiquette bei der Bewertung anderer Fantexte dienen. Communities formieren sich auch häufig zur gezielten Sammlung von Fantexten zu bestimmten Figurenpaarungen. Neben dem Einstellen von Fantexten können Nutzer somit auch frei und einfach andere Inhalte, die das Fantum betreffen, sammeln und organisieren. Neben der Interaktion mittels der öffentlichen für alle Mitglieder sichtbaren Kommentare, bietet fanfiction.net ebenfalls die Möglichkeit, private Nachrichten zwischen einzelnen Mitgliedern zu verschicken. Das Design der Website verdeutlicht somit, dass fanfiction.net nicht nur eine Sammlung von Fanfiction, sondern auch ein gemeinschaftlicher Raum zur Diskussion und Sozialisierung für Fans sein will (vgl. Black 2008, S.36ff). Rebecca Black betrachtet fanfiction.net (FFN) als 'online affinity space', also einen virtuellen Raum, in dem sich eine Gruppe von Menschen versammelt, weil sie ein gemeinsames Interesse verbindet. Diese Gemeinschaften seien besonders, da sie gewöhnlich sehr heterogen sind: